eJournals Kodikas/Code 32/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Der folgende Beitrag diskutiert am Beispiel von Machinima die spezifische Nutzung des Computers als (1) Datenbank/Archiv, (2) die Prinzipien der Modularität, (3) der numerischen Repräsentation und (4) der Transkodierung. Diese Prinzipien werden unter den Aspekten von konkreter und abstrakter Repräsentation erörtert. Während die Nutzung des Mediums zur Archivierung und Dokumentation ein Beispiel für eine konkrete Nutzung ist, ist das Prinzip der Modularität des Mediums eine Option verschiedene Quellen zu einer neuen Ausdrucksform zusammenzuführen bzw. Modifikationen auf unterschiedlichen Ebenen, wie Textrepräsentation, Programmcode oder Interface durchzuführen. Auf einer Skala von konkret zu abstrakt sind diese Modifikationen in einem neutralen, mittleren Bereich anzusiedeln. Als letzte Kategorie wird die Transkodierung als abstrakte Repräsentation diskutiert. Abschließend wird die Frage "Wer produziert Machinima?" und "was ist die Funktion der Communities, in denen Machinima produziert werden?" beantwortet.
2009
321-2

Machinima: Zwischen Dokumentation, Performanz und Abstraktion

2009
Karin Wenz
Videoloops - Zeichen ohne Aura? 157 Urschrift gebe, die allen Handlungen zugrunde liege. Alle denkbaren Handlungen würden sich dann als ein Lesen dieser Urschrift begreifen lassen. So wie es scheinbar einen in die Sprache bereits eingeschlossenen Sprecher und einen in die Nation bereits eingeschlossenen Staatsbürger gibt, als wären diese Institutionen auf konkrete Menschen nicht angewiesen, so gibt es den in Literatur und Kunst bereits eingeschlossenen Leser und Betrachter, denen sie ein verpflichtendes Vorbild sind, weil sein Konsens vorausgesetzt wird. Roland Barthes hat diese Strategie unter anderem als “Mythos” beschrieben (Barthes 1957). Sigmund Freud sammelte eine Unzahl kleiner Tonfiguren, die er als Urbilder zu verstehen versuchte, alles im Bestreben, ein Fixiertes an den Anfang aller menschlichen Handlungen zu setzen (vgl. Bernadac 2001). Noch Jacques Derrida glaubte an eine Urschrift. Schrift verhieß Emanzipation, besonders für Minderheiten, die sich ihre Bildung erkämpft hatten. Auch Umberto Eco definierte den ‘Geist’ als “System der sprachlichen Determiniertheiten” (Eco 1977: 165), nicht als Performanz also, sondern als Kompetenz. Die Formalisierbarkeit von Sprache war ein ausdrückliches Ziel seiner frühen Systematik, so wie für viele seiner Zeitgenossen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als sich die Digitalisierung und Automatisierung der Welt ankündigten. Als die Formalisierungen gelungen waren, wie es in der Techno-Kultur seinen Ausdruck fand, trat jedoch auch ihre Mechanik hervor. Der Papst vertritt die konservative Gegenpartei zu den enthusiastischen Anhängern der Schrift. Er sprach in der erwähnten Meditation nicht von Gottes Vorschrift als Alternative zum alles vernetzenden Geld, sondern von Gottes Wort, von einer kontingenten autoritären Handlung also, die sich an keine rechtsstaatliche Vorschrift halten muss. Eine von den Gläubigen verabschiedete Verfassung könnte ihn vor willkürlichen Handlungen bewahren. Gottes Wunder, die Ereignisse par excellence, würden dann durch Naturgesetze verhindert. - Damit will ich religiöse Vorstellungen keineswegs lächerlich machen, sondern nur illustrieren, wie man in der frühen Neuzeit über diese Angelegenheit gedacht hat. Der Ersatz der persönlichen Autorität durch einen auratischen ‘Geist’ oder ein ‘Wesen’ (als fixierte Gesetzes- oder Kunstwerke, die man lesen und auf denen man bestehen kann) hat eine politische Dimension. Insofern ist die Entwicklung, die Walter Benjamin mit dem Verlust der Aura in Verbindung brachte, schon im Erhabenen der Aura, in ihrem “delightful horror” (Burke 1958: 73) angelegt. Wer heute wieder das Ereignishafte ohne ‘Werkgrundlage’ fordert, schließt sich möglicherweise der historisch älteren Position an. Die Theaterwissenschaft der letzten Jahre hebt das Performative der Aufführungen gegenüber den Theatertexten hervor, um sich damit von deren Autorität (und der Autorität der Literaturwissenschaft) zu befreien. 12 Sprechen braucht keinen Text, Bewegen kein Bild. Auch in anderen Disziplinen wird vermehrt vom Ereignis oder von der Präsenz gesprochen, also von konkreten Erscheinungsformen des zeit- und raumlos gemachten Bildes, der Schrift oder des Loops - sofern den Ereignissen überhaupt ein solches Modell zugrunde liegt. Die Vorschrift und das Vorbild, die im 19. Jahrhundert triumphierten, haben offenbar ihr emanzipatorisches Potenzial verloren. Dies hat damit zu tun, dass die Formalisierung alltäglicher Handlungen im Zuge der Computerisierung seit Ende des 20. Jahrhunderts zu Wirklichkeit geworden ist, uns in allen Lebensbereichen umgibt, und wir daher ein Bedürfnis haben, uns mit unseren lebendigen Handlungen von einem Festgelegten und Automatisierten abzuheben. Mathias Spohr 158 6 Benjamins Kino und die Techno-Kultur Diese Ausführungen mögen ausschweifend erscheinen, sie bleiben jedoch streng beim Thema: Wenn dem Kunstwerk seit Hegel die Aufgabe zukam, eine Wirklichkeit von Strukturen unabhängig von konkreten Ereignissen zu behaupten, dann lastete auf ihm, in Gestalt seiner ‘Aura’, ein ungeheurer Bedeutungs- und Identitätsdruck. Daraus entstanden Bemühungen, sich diesem Druck zu entziehen. Walter Benjamins Kino-Erfahrungen der 1920er- und 30er-Jahre weisen Parallelen zu den Techno-Events der 1990er-Jahre auf. Sie spiegeln ein ähnliches Gemeinschaftsverständnis. Der gesellschaftliche Rahmen ist nicht als Vorschrift in ihnen eingeschlossen, sondern bleibt unverbindlich, beliebig, verfügbar, wobei die Schrift und die technische Reproduktion als etwas Entlastendes begrüßt werden. Das ‘Werk’ verleitet nicht zum Bündnis, verlangt kein nationalistisches Wir-Gefühl, verführt nicht zu Kadavergehorsam. Als Benjamin sie beobachtete, waren die Kinovorführungen zwanglose Massenveranstaltungen jenseits gesellschaftlicher Schranken. Sie waren Ausdruck neuer Technologien, in der Frühzeit der Massenmedien nach dem Ersten Weltkrieg ebenso wie in der Zeit der Digitalisierung und Virtualisierung aller Information am Ende des Jahrhunderts. Die soziale und emotionale Bewältigung der Mechanisierung und Anonymisierung durch den technischen Fortschritt, ohne sich gegen ihn zu stellen, steht hier wie dort im Vordergrund. In der Konfrontation mit Technik bildet sich ein Abstand zur Technik heraus, der das Gewaltsame einer Technisierung zum lockeren Gesellschaftsspiel macht. In den großen Techno-Events der 90er- Jahre wie der Zürcher Street Parade und der Berliner Love Parade wurde die unverbindliche Verbindung vieler Menschen gefeiert. “Gesellschaftliches Verhalten” wurde dort, wie Andreas Schmidt in einem weiteren jugendkulturellen Zusammenhang feststellt, “zum Design” (Schmidt 1996: 35): Durch Ästhetisierung verlieren die Zeichen ihre Bedeutung oder: Das Performative darf sich von einer vermittelten Botschaft lösen. Kultur besitzt hier kein Identitäts-Potenzial, sondern im Gegenteil ein Potenzial zum vorübergehenden, kontrollierten Identitätsverlust. Die karnevalesken Maskeraden von Street-Parade und Love- Parade befreiten ähnlich von einem ‘Sein-Müssen’, das den sozialen Alltag prägt, wie die Video-Loops in den Clubs mit ihrer Zeichenflut von einem ‘Verstehen-Müssen’ befreien. Erkennen und Verstehen sind dagegen Forderungen einer bildungsbürgerlichen Kultur, die eher eine Aufladung der Dinge mit Bedeutung fördern. Eine ähnliche (nicht bildungsbürgerliche und keine Identität fordernde) Kultur konnte Walter Benjamin seinerzeit beobachten. Die Ausrichtung des Kunstwerks auf “Politik” (Benjamin 1980: 18), die nach Benjamin mit dem Aura-Verlust einhergeht, ist auch eine Gefahr. Das Kino war noch vor seiner propagandistischen Inanspruchnahme durch die totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts eine Gegenwelt zu den Anpassungszwängen, die den Alltag bestimmten. Die Menschen hier hatten zwar gemeinsame Vorlieben und ein Bedürfnis nach friedlichem Zusammensein, aber nicht unbedingt nach Manifestation von Gemeinsamkeit. Diese Gegenwelt zum Alltag ist hoch technisiert, aber befreit zugleich von Zwängen. Die Beteiligten sind nicht Verschworene wie die kulturellen Strömungen, die aus den Avantgarden nach 1900 oder aus der 1968er-Bewegung hervorgingen, sondern sie sind nur gemeinsame Nutzer neuer Technologien. Erwartungen an eine Jugendkultur, in der sich Identitäten formieren, werden von der Technokultur enttäuscht (vgl. Muri 1996: 165). Vor allem der Vorstellung einer Jugend- Subkultur entspricht der zwanglos kommerzialisierte Techno-Stil nicht (Meyer 2000: 30). Identitäts-Konzepte wie Raving Society oder Rave Nation wurden von der Techno-Szene als Videoloops - Zeichen ohne Aura? 159 eher äußerliche Werbebegriffe kritisiert und nicht ernst genommen. 13 Insofern entspricht Techno einem exklusiven oder gar totalitären Gemeinschaftsideal ebenso wenig wie das frühe Kino. Das Sein-Müssen und Verstehen-Müssen als fordernder Anspruch in einer Art Kultur, die sich gegenüber dem Vorwurf des Unsteten und allzu Sinnlichen verwahren musste und ihm das ‘Wesen’ menschlicher Werke entgegenhielt, das wollte Walter Benjamin mit seinem Begriff der Aura umschreiben. Literatur Anz, Philipp & Patrick Walder (eds.) 1995: techno, Zürich: Bilger Ballinger, Erich 1997: Der Gletschermann. Ein Krimi aus der Steinzeit, Ravensburg: Ravensburger Barthes, Roland 1957: Mythologies, Paris: Seuil Benjamin, Walter 1980: “Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit”, in: Ders.: Gesammelte Schriften I/ 2, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Benjamin, Walter 1982: “Das Passagenwerk: Der Flaneur”, in: Ders.: Gesammelte Schriften V/ 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Bernadac, M. v. & H.U. Obrist (eds.) 2001: Louise Bourgeois: Destruction of the Father-Reconstruction of the Father, Schriften und Interviews 1923-2000, Zürich: Ammann Edmund Burke 1958: A Philosophical Enquiry Into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful, London: Routledge Eco, Umberto 1977: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Eggebrecht, Hans Heinrich (ed.) 1967: Riemann Musik Lexikon, Sachteil, Mainz: Schott Fischer-Lichte, Erika 2004: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Flusser, Vilém 2002: Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft? , Göttingen: European Photogaphy Hartmann, Frank & Erwin K. Bauer 2006: Bildersprache. Otto Neurath - Visualisierungen, Wien: WUV Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 1970: “Vorlesungen über die Ästhetik”, Teil I, in: Ders.: Werke, Bd. 13, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1986: “Phänomenologie des Geistes”, in: Ders.: Werke, Bd. 3, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Heidegger, Martin 1975: Unterwegs zur Sprache, Pfullingen: Neske Klein, Gabriele 1999: electronic vibration. Pop Kultur Theorie, Hamburg: Rogner & Bernhard Luhmann, Niklas 1978: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Mersch, Dieter 2002: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München: Fink Meyer, Erik 2000: Die Techno-Szene. Ein jugendkulturelles Phänomen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, Opladen: Leske + Budrich Muri, Gabriela 1996: Aufbruch ins Wunderland? Ethnographische Recherchen in Zürcher Technoszenen 1988-1998, Zürich: Volkskundliches Seminar der Univ. Zürich Schäfer, Sven et al. 1998: Techno-Lexikon, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Schiller, Friedrich 1984: Über das Schöne und die Kunst, München: dtv Schmidt, Andreas 1996: “Das Verschwinden des Menschen im Spiel - Volkskunde in der Postmoderne”, in: Simon, M. & H. Frieß-Reimann (eds.) 1996: Volkskunde als Programm. Updates zur Jahrtausendwende, Münster: Waxmann, 27-38 Weihe, Richard 2004: Die Paradoxie der Maske. Geschichte einer Form, München: Fink Anmerkungen 1 Als mittlerweile historische Einführung zur Techno-Kultur siehe Anz (1995). Begriffserklärungen sind zu finden bei Schäfer (1998). 2 Z.B. e-gruppe Berlin, im Internet unter: http: / / www.raum-e.com/ [09. 12. 08]. 3 So etwa von Gabriele Klein, die behauptet: “Die Club- und Rave-Kultur lässt sich deshalb als eine […] sprachlose Antwort auf die diskursgeschulte und textgewandte studentenbewegte Elterngeneration interpretieren” (Klein 1999: 183). Mathias Spohr 160 4 Richard Weihe hat die Maske als kulturelles Konzept eines vom Bedeuteten trennbar gemachten Bedeutenden beschrieben, etwa mit der Feststellung, dass die Wörter für Masken in den afrikanischen Sprachen kein “Äußerliches und Oberflächliches” wie in den europäischen Sprachen bedeuten (Weihe 2004: 277). 5 “Am Rave ist man eine unbeschwerte und oberflächliche Klischeefigur”, Haemmerli, Thomas: Das Lebensgefühl. Nachrichten vom Rave, in: Anz/ Walder 1995: 185. 6 Mit Absicht erwähne ich hier Tagesereignisse der 1990er-Jahre. 7 Etwa mit Jugendbüchern wie Ballinger 1997. 8 Als Mischung von hergebrachter Ohnmacht und neu errungener Übermacht gegenüber der ‘Natur’ definierte bereits Friedrich Schiller im Anschluss an Kant das Erhabene. Insofern ist die ‘Aura’ dieses Erhabenen selbst schon ein Ersatz für seine de facto verlorene Autorität (vergleichbar mit dem wohligen Gruseln vor dem harmlos gewordenen Gespenst) - der von Benjamins diagnostiziertem “Verlust der Aura” lediglich fortgeführt wird (vgl. Schiller 1984: 93-115). 9 “Vanitas”, in: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, im Internet unter: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Vanitas, [09.12.08]. 10 Das Riemann-Musik-Lexikon schreibt unter dem Stichwort Ostinato: “mit dem Wiederholen verbindet sich das Verändern der Zusätze, auch des zu Wiederholenden selbst […]” (Eggebrecht 1967: 693). 11 “Wir sehen das jetzt beim Zusammenbruch der großen Banken: diese Gelder verschwinden, sie sind nichts.” Benedikt XVI: Meditation zur Eröffnung der Bischofssynode in Rom, 6. Oktober 2008, im Internet unter: http: / / www.vatican.va/ holy_father/ [09. 12. 08]. 12 Theaterwissenschaft als eine Wissenschaft der Aufführungen statt der Dramen entstand nach dem Ersten Weltkrieg, als die flüchtige, aber mächtige höfische Geste keine Konkurrenz mehr für das dauerhafte bürgerliche Werk war (vgl. Fischer-Lichte 2004: 42ff.). 13 Siehe http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Raving_Society [08.10.08]. Machinima: Zwischen Dokumentation, Performanz und Abstraktion Karin Wenz The following contribution introduces machinima under the following principles: (1) the specific use of the computer as database/ archive, (2) the principle of modularity, (3) the numeric representation and (4) transcoding. These aspects will be analyzed in respect of their concrete and abstract representation. The use of the medium for archiving and documentation can be understood as a concrete usage. The medium’s modularity has the effect that several sources can be combined to one new expression form or modified on several levels as e.g. the level of textual representation, the programming code or the interface, which can be understood as a more abstract representation on a scale from concrete to abstract. The most abstract representation is transcoding. Additionally the following questions will be answered: “Who produces machinima? ” and “what is the function of the communities producing machinima? ” Der folgende Beitrag diskutiert am Beispiel von Machinima die spezifische Nutzung des Computers als (1) Datenbank/ Archiv, (2) die Prinzipien der Modularität, (3) der numerischen Repräsentation und (4) der Transkodierung Diese Prinzipien werden unter den Aspekten von konkreter und abstrakter Repräsentation erörtert. Während die Nutzung des Mediums zur Archivierung und Dokumentation ein Beispiel für eine konkrete Nutzung ist, ist das Prinzip der Modularität des Mediums eine Option verschiedene Quellen zu einer neuen Ausdrucksform zusammenzuführen bzw. Modifikationen auf unterschiedlichen Ebenen, wie Textrepräsentation, Programmcode oder Interface durchzuführen. Auf einer Skala von konkret zu abstrakt sind diese Modifikationen in einem neutralen, mittleren Bereich anzusiedeln. Als letzte Kategorie wird die Transkodierung als abstrakte Repräsentation diskutiert. Abschließend wird die Fragen “Wer produziert Machinima? ” und “was ist die Funktion der Communities, in denen Machinima produziert werden? ” beantwortet. 1 Materialität der Medien Im Kontext der digitalen Medien wurde zunächst in den 90ern besonders der immaterielle Status des digitalen Textes betont. Autoren wie unter anderem Manovich (2004), Hayles (2008), und Bouchardon (2008) haben diese Immaterialität als einen Mythos entlarvt und die Materialität der digitalen Medien unter unterschiedlichen Aspekten beleuchtet. Während Photographie noch als materielle Relation zwischen dem Photo und einem konkreten Referenten verstanden wurde - ich verweise hier nur auf die Diskussion der indexikalischen Relation (cf. Barthes) - hat sich der Status der Bilder durch die digitalen Medien verändert. Durch die Übersetzung des Bildes in numerische Daten ist die Modifikation und Transkodierung ohne weiteres möglich. Beispiele hierfür sind Programme, durch die K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 32 (2009) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Karin Wenz 162 eine Übersetzung eines Textes in ein Bild, eines Bildes in Sound etc. anbieten (cf. Christa Sommerer und Laurent Mignonneaus Verbarium oder Beispiele der ASCII-Art). Anstelle des indexikalischen Verweises des Bildes auf einen externen Referenten, wird hier ein indexikalischer Bezug systemintern erstellt. Wesentlich ist hier die Betonung des indexikalischen Bezuges systemintern, denn die Semantik des Ursprungstextes wird bei dieser Transkodierung in den meisten Fällen nicht erfasst. Eine Ausnahme stellt dabei ASCII-Art dar, denn hierbei handelt es sich um die Übersetzung von einem visuellen System, wie zum Beispiel Film, in ein anderes visuelles System, den ASCII Code, wodurch ein Teil der Semantik des Ursprungstextes beibehalten werden kann. Für alle Beispiele jedoch gilt, dass die gemeinsame numerische Kodierung die Transkodierung von einem Zeichensystem zum anderen möglich macht. Diese Transkodierung hat einen tief greifenden Einfluss auf unsere Interpretation der Zeichensysteme, was Katherine Hayles (2008) als “the mark of the digital” bezeichnet. Unter dem Begriff einer Ästhetik der Materialität werde ich die spezifische Nutzung des Computers als Datenbank/ Archiv, die Prinzipien der Modularität, der numerischen Repräsentation und Transkodierung am Bespiel von Machinima diskutieren und diese Prinzipien in den Kontext von konkreter zu abstrakter Repräsentation kurz erörtern. Während die Nutzung des Mediums zur Archivierung und Dokumentation ein Beispiel für eine konkrete Nutzung ist, ist das Prinzip der Modularität des Mediums eine Option verschiedene Quellen zu einer neuen Ausdrucksform zusammenzuführen bzw. Modifikationen auf unterschiedlichen Ebenen, wie Textrepräsentation, Programmcode oder Interface durchzuführen. Schließlich wird die Transkodierung als abstrakte Repräsentation diskutiert. 2 Technologie Machinima basieren auf der Aufnahme einer Spielsequenz eines Computerspieles als ein realtime Video auf dessen Basis dann durch Nachbearbeitung neue Videos produziert werden. Der Begriff wurde von zwei bedeutenden Machinima Produzenten Hugh Hancock und Paul Marino (2004) eingeführt. Machinima-Produzenten betonen die Bedeutung der neuen Form zum einen aufgrund ihrer Medienkonvergenz zum anderen aber auch darin, dass diese Gamevideos eine Möglichkeit bieten, mit sehr begrenzten Ressourcen Filme zu produzieren. Die notwendigen Ressourcen sind hier zum einen die Hardware, ein Computer, auf dem ein 3D-Computerspiel gespielt werden kann, und im Falle von Machinima, die auf Onlinespielen basieren eine Netzwerkverbindung. Da es verschiedene Aufnahmemöglichkeiten gibt, besteht eine Option im Gebrauch einer Videokamera, mit der die Spielsequenz aufgenommen wird. Zum zweiten die entsprechende Software: das Computerspiel, als Alternative zur Kamera wird heute eine Aufnahmesoftware, Software zur Nachbearbeitung des Videos und eventuell auch eine spezielle Machinima-Software die zwischen Spiel und Aufnahme geschaltet werden kann und durch die visuelle Repräsentation des Spieles modifiziert werden kann, verwendet. Machinima basieren auf der Möglichkeit des Replay und damit einer Erweiterung der Spielerfahrung, die seit den 1990ern von Gamedesignern diskutiert wird. Dies hat zur Bereitstellung von Tools geführt, die zunächst Replay und später auch Aufnahmen der Spielesequenzen erleichtern, aber auch zur Entwicklung spezieller Software zur Aufnahme, die im Hintergrund des Spieles mitläuft und keine weitere Hardware nötig macht. Die Produktion von Machinima ist mittlerweile durch die Entwicklung von Tools in den Spielen selbst (Second Life, Halo3) und spezieller Software, mit der man während des Spielens Spielsequenzen aufnehmen kann (wie z.B. FRAPS), einfacher geworden. Machinima: Zwischen Dokumentation, Performanz und Abstraktion 163 3 Die Dokumentation Die Materialität der digitalen Texte kann als “layered”/ geschichtet beschrieben werden, da sie aus zugrundeliegendem Kode, der Datenbank und der textuellen Repräsentation bestehen. Wesentlich für den Gebrauch von Machinima als Dokumentation ist, dass ihre Speicherung getrennt von der Ausführung ist. Die Distribution des Materials findet über verschiedene Distributionsplattformen statt. Hier finden wir spezifische Machinima-Sites, aber ebenso offizielle Seiten der Spielehersteller. Blizzard, der Entwickler von World of Warcraft, hat einen link zu einer Site, die ausschließlich World of Warcraft Videos hosted. Und natürlich werden die meisten Machinima-Videos zusätzlich auf YouTube bereit gestellt und erreichen dadurch auch diejenigen Nutzer, die das Spiel selber nicht spielen. Wer waren und sind die Produzenten von Machinima? Die ersten Machinimaproduktionen kamen aus einer Szene der Computerspieler, die ihre eigene Spielerfahrung aufnehmen wollten, das so genannte game footage. Dies hatte zwei Funktionen. Zum einen konnte so ein Video produziert werden, das als Dokumentation diente. Das Spiel konnte so erläutert werden. Spiele wurden im Schnelldurchlauf vorgestellt und zugleich die eigenen Fähigkeiten als Spieler herausgestellt, wie dies beispielsweise in Speedruns geschieht, Videos, in denen ein Spieler das Spiel so schnell wie möglich durchspielt. Damit wurden diese Videos ebenso eine Möglichkeit der Selbstdarstellung in der Szene der Computerspieler und eine Möglichkeit die eigene Spielerfahrung mit anderen Spielern zu teilen. Diese Selbstdarstellung ist verschieden von derjenigen in vielen Videos, die wir auf YouTube finden, denn die reale Person des Spielers wird nicht gezeigt, sondern ein Spielcharakter, der Avatar, mit dem der Spieler in der Spielwelt agiert. Auch die Namen, die sich die Spieler selber geben, sind so genannte Screennames, die die reale Person nicht preisgeben. Dies ist eine Schwierigkeit, will man Aussagen über die Produzenten von Machinima machen, da sich natürlich hinter solchen Namen auch kommerzielle Produzenten verbergen können, die auf diese Weise Werbung für das Produkt selbst machen und von der Spieleindustrie bezahlt werden. Die Spieler und die jeweiligen Screennames haben eine Reputation in der Machinima-Szene. Handelt es sich um Spielergruppen, die sogenannten Gilden oder Clans, sind diese Namen den anderen Spielern auf dem entsprechenden Spiele-Server bekannt. Die Dokumentation ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Machinima. In Onlinespielen werden sie häufig benutzt, um das Teamplay der Gilde zu dokumentieren und dieses wird im Anschluss dann in einem so genannten Debriefing auf den entsprechenden Foren von den Spielern analysiert und diskutiert. Oder aber es werden Machinima als Werbung, die sogenannten Promotion-Videos, produziert, um Spieler für die eigene Gilde in einem Onlinespiel anzuwerben. In diesen Promotion-Videos werden die Avatare der Spieler und die Aktivitäten der Gilde im Onlinespiel gezeigt und der Zuschauer aufgefordert, sich bei der Gilde als Mitglied zu bewerben. Voraussetzung ist natürlich, dass der Spieler das Spiel gut kennt und beherrscht und das seine Spielziele und Fähigkeiten mit denen der anderen Spieler in der Gilde übereinstimmen. Diese Promotion-Videos können die Gilde eher witzig-ironisch darstellen und den Spass des Miteinander-Spielens betonen, sehr ernsthaft rekrutieren, um die besten Spieler auf dem Server zu gewinnen oder aber sogar aggressiv-ironisch Rekrutierungsstrategien der US-Army übernehmen und ad absurdum führen, wie dies im Falle einer amerikanischen World of Warcraft Gilde geschehen ist. 1 Ausgehend von der Präsentation einiger einzelner Spielcharaktere der Gilde wird die Gruppe der Spieler als eine Armee identischer Avatare vorgestellt, die die bestmögliche Ausrüstung im Spiel bereits erworben haben. Diese Armee sucht nicht nur neue Mitspieler, die natürlich ebenso gut sein müssen, Karin Wenz 164 Figur 1: Screenshot aus dem Rekrutierungsvideo wie die aktuellen Mitglieder der Gruppe, sondern zusätzlich auch spielerfahrene, junge Erwachsene sein sollen. Deutlich wird gesagt: Kinder sind nicht erwünscht. Nach der Vorstellung der Gilde und der Frage, wer sich bewerben kann, werden die Ziele der Gilde präsentiert: “Wir erobern die Welt! ” Hierbei kommt es zu einer Vermischung der Rekrutierungstrategien der amerkanischen Armee mit einer Darstellung, die Hitler und seine Pläne Europa, und letztlich die Welt zu erobern, kopiert. Aufgefangen und abgeschwächt wird dieses faschistische Bild, das die Gilde von sich selbst erstellt, durch die Persiflage eines Plakates der amerikanischen Armee, auf dem der Avatar des Gildenmeisters, Mute, also des Anführers der Gruppe, als “Uncle Sam” dargestellt wird. Diese Promotion-Videos betonen den Status der Spieler deutlich. Spielcharaktere einer Gilde werden als Stars eingeführt, ein Status, den diese in der Tat in der Spielergemeinschaft auf dem entsprechenden Server erworben haben. Diese Dokumentation hat für die Spieler und Produzenten eine sehr konkrete Funktion: Archivierung, Selbstdarstellung und Information für die Spielergemeinschaft. 4 Modifikation Die Archivierung des game footage ermöglicht eine Nutzung des Materials, die über die reine Dokumentation hinausgeht. Durch Modifikation kann das Material dazu benutzt werden eigene Narrationen zu erstellen, was zum Teil schon in dem Rekrutieriungsvideo deutlich wurde. Machinima haben ihren Ursprung in der Hackerszene, die die Software der Spiele modifizierten, um das Spiel als Bühne für eigene Performances benutzen zu können. Nach der Hackerethik, die im Kontext des MIT entwickelt wurde 2 , geht es um einen offenen Umgang mit Software, der Distribution und Modifikation von Code und der Dokumentation. Hier liegt die Basis des so genannten Modding; Machinima werden als eine spezielle Form des Game- Modding gesehen. Modding bezeichnet, die Veränderung von Spielen durch die Spieler selbst, um ihre eigene Spielerfahrung zu erweitern oder den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Da die meisten Spiele keine Open Source Software anbieten, bedeutet dies also den Code zu hacken (oder nach der MIT Ethik “zu cracken”) und sich damit in den Bereich der Illegalität zu begeben. Ein mittlerer Weg ist, eine spezielle Machinima-Software zu gebrauchen und die Charaktere und Spielwelt mit Hilfe dieser Software zu bearbeiten. Die Frage nach den Produzenten dieser Videos ist nicht in jedem Falle einfach zu beantworten. Handelt es sich um game footage, sind dies einzelne oder oft auch mehrere Spieler, die gemeinsam an einem Video gearbeitet haben. Bei Online-Spielen wird der Name der Gilde dann oft als Produzent genannt und nicht der individuelle Spieler, oder es wird ein Name erfunden, der einen Bezug zur Spielwelt hat. Hinter solchen Namen können sich aber Machinima: Zwischen Dokumentation, Performanz und Abstraktion 165 auch Produzenten verbergen, die auf diese Weise Werbung für ein Spiel machen. Niemand weiß, wer sich hinter den Namen ‘Evilhoof’ und ‘Flayed’ verbirgt, aber jeder in der Szene weiß sofort, welches Video diese beiden produziert haben: Das Video For Porn verwendet den Song The Internet is for Porn aus dem Broadway Musical Avenue Q. Gespielt wird der Song in World of Warcraft durch verschiedene Spielcharaktere. Die Frage im Forum der Machinima-Site machinima.com, wer die Produzenten dieses Videos sind, wurde nicht beantwortet. Auch weitere Videos unter denselben Screen-Namen sind nicht zu finden. Der Bekanntheitsgrad dieses Videos ist so hoch, dass sich in anderen Videos Videokommentare zum Video von Evilhoof und Flayed finden. Ein Beispiel für einen solchen Kommentar ist in einem anderen Machinima zu World of Warcraft zu finden sind, wie in der Schlussszene (6: 25) des Videos And now the news 3 , in der sich der Nachrichtenreporter mit “nine out of ten people really do believe that the internet is for porn” verabschiedet. Die einfache Nutzung des Spiels als Bühne, zum Nachspielen einer Szene eines berühmten Dramas, Films oder Musikvideos im Spiel bis hin zum Schreiben eines eigenen Drehbuchs, das dann im Spiel mit Hilfe von mehreren Spielern umgesetzt wird, sind Beispiele des Modding, die sich im Bereich der Legalität bewegen. Diese Bespiele erschaffen eine eigene neue fiktionale Welt, die auf der virtuellen Welt des Onlinespiels basiert und ist daher auf einer Skala von konkret zu abstrakt in einer mittleren Position zu verorten, wenn wir diese Opposition hier anwenden wollen. Sie sind konkret im Sinne der Materialität des Mediums, da sie die Interaktionsmöglichkeiten eines Computerspieles nutzen, setzen sich aber über die Spielregeln und das eigentlich Ziel des Spiels hinweg, indem sie die Spielwelt zweckentfremden und ausschließlich als Rahmen ihrer eigenen Narrationen nutzen. 5 Transkodierung Die Modifikation des Materials wurde bisher als Modifikation der Interaktion mit der Spielwelt beschrieben. Eine Modifikation kann allerdings bis hin zur Veränderung des Programmcodes oder der zusätzlichen Nutzung von Software ausgeweitet werden und führt uns dann in den Bereich der Transkodierung. In den Beispielen von Alan Sondheim, einem Vertreter der Codeworks, wird die visuelle Darstellung des Computerspiels verändert. Für Alan Sondheim bedeutet Codework: Codework is a practice, not a product. It is praxis, part and parcel of the critique of everyday life. It is not canonic, although it is taken as such. It is not a genre, although it is taken as such. The term is relatively new and should always be renewed. We are suffused with code and its intermingling with surface phenomena. Wave-trains of very low frequency radio pulses for example. Phenomenology of chickadee calls. Codework is not a metaphor, not metaphorical. It exists precisely in the obdurate interstice between the real and the symbolic. It exists in the arrow. It is not a set of procedures or perceptions. It is the noise in the system. 4 Auch wenn der Begriff Codework häufig benutzt wird, um ein Genre zu bezeichnen, so ist für Sondheim der Prozess zentral und nicht das Objekt. Alan Sondheim nutzt das Onlinespiel Second Life um mit einer Gruppe von Spielern in Second Life eine Performance zu planen und