eJournals Kodikas/Code 32/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Slam Poetry ist eine neue Form des antiken Dichterwettstreits. Demokratisierungs- und Individualisierungsprozesse haben ihm eine neue Erscheinungsform und Praxis verliehen. Sich auf das Performancekonzept der Theaterwissenschaften, den Ethos-Begriff, die Diskursanalyse und die Koordinationstheorie stützend, untersuchen die drei Autorinnen Slam Performances aus Frankreich und Deutschland. Ihre Ergebnisse zeigen, dass einerseits es sich um eine neue Gattung handelt, die sowohl der Selbstdarstellung als auch einem interaktiven Meinungsaustausch dient. Sie weist dementsprechend sprachlich wie körperkommunikativ spezifische Merkmale und Konventionen auf, die sich graduell zwischen einer intra- und interpersonellen Performance bewegen, mit der der Akzent entweder auf den gesprochenen Text oder auf das angesprochene Publikum gesetzt werden kann. Andererseits wurde beobachtet, dass es sich beim Selbstdarstellungsprozess im Text um ein rhetorisches Mittel handelt. Dieses ist an die Textsorte gebunden und lässt sich als 'Ethos der Individualität' definieren. Er trägt dazu bei, dass die Trennung zwischen Inhalt und Autor aufgehoben wird und ein Diskussionsraum entsteht, der, wie vor dem Hintergrund des Ecoschen Kommunikationsmodells bzw. seines Guerilla-Konzepts erarbeitet wird, alle Beteiligten zu einer (selbst)kritischen Rezeption anregt.
2009
321-2

Drei Dimensionen der Slam Poetry: Performance, Ethos und Widerstand

2009
Vera Nikolai
Adriana Orjuela
Nikola Schrenk
Poem und Präsenz 133 andererseits stellt er eine vielschichtige Verbindung zum Publikum her, über die er die Elemente der actual world in seiner textual actual world mit solchen einer possible world zusammenfließen lässt. Das Mögliche wird dadurch im virtuellen Raum der Erzählung erfahrbar. Dabei spielen auch paralinguistische und körperkommunikative Techniken eine wichtige Rolle. Aus der Analyse des Zusammenspiels aller multimodalen Ressourcen, die gleichzeitig zur verbalen Kommunikation ablaufen, lässt sich daher eine slamspezifische Typologie der Interaktion ableiten (siehe dazu den Beitrag von Adriana Orjuela, Vera Nikolai und Nikola Schrenk in diesem Band). Die interaktive Narration und Performance sind daher als Basis für den zweipoligen Verwandlungsprozess von Erlebtem in Erzähltes zu betrachten bzw. von Erzähltem in ein gemeinsam Erfahrenes. Er lässt aus Einsamkeiten Gemeinsamkeiten werden. 7 Poetizität und Kairos Ich habe primordiale Intermedialität eingangs als eine an den sprech-handelnden Körper gebundene Kommunikation beschrieben. Wir haben es daher mit einer Medialität zu tun, deren Mehrdimensionalität auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Deshalb könnte hier der Begriff des Kanals weiterhelfen. Primäre Medialität ist mehrkanalig, weil synästhetisch, und führt in der gesprochenen Sprache die Mehrdimensionalität von Wahrnehmung und Darstellung als etwas hic et nunc Erlebbares zusammen. Das, was Raoul Hausmann forderte, nämlich die Repräsentation der Welt in der eigenen Wahrnehmung und zugleich in ihrer medialen Vermittlung, ist das, was auch mit Rap und Slam praktiziert wird. Was Hausmann jedoch nicht diskutierte, ist die dabei entstehende Ästhetik der Atmosphäre, die mit dem Begriff des Kairos verbunden ist. Drei Aspekte des Kairos kommen in Rap und Slam zum Tragen. Einerseits die Definition der antiken Rhetorik, die den Kairos als eine auf den Augenblick gerichtete Überredungstechnik definiert. So sind Rapper und Slammer als Rhetoren zu sehen, weil sie mit ihrem Sprechen in einem Hier und Jetzt überzeugen wollen. Dabei entfaltet sich auch das, was Paul Tillich als ein entscheidendes Moment des Kairos oder als einen Wendepunkt in der Geschichte beschrieben hat. Es handelt sich um ein historisches Moment, bei dem einerseits, insbesondere im religiösen Kontext, das Ewige das Zeitliche richtet, anderseits aber auch das Mögliche als verpasste Chance in Erscheinung tritt. Beides trifft auch auf Rap und Slam zu. Insbesondere der Rap ist mit dem den Kairos prägenden Geist der Prophetie einerseits und einer Umbzw. Neuerzählung der Geschichte andererseits verbunden. Der Rapper versteht sich daher oft als Prophet. 2 Auch dass der Reim dabei eine wichtige Rolle spielt, ist kein Zufall, da auch er mit der Aura göttlichen Wissens verbunden ist; er ermöglicht eine räumliche Darstellung der messianischen Zeit, die nicht als Endzeit, sondern als eine Zeitverdichtung vor dem Ende zu begreifen ist (Agamben 2006: 72-100). Bei der Rede des Apostels handelt es sich daher um eine performative Sprache, weil in seiner Rede nicht nur Verkündigung, Glaube und Anwesenheit, sondern auch Potenz (im Sinne von Macht und Möglichkeit) mit einem energetischen und affektgeladenen Akt zusammenfallen. Dadurch wird die Möglichkeit der sprachlichen Verkündigung realisiert. In diesem Kontext lässt das paulinische Reimspiel aus einem Text einen Organismus mit einer auf die Gegenwart seiner Artikulation fokalisierten Zeit werden. Das Gedicht wirkt Eva Kimminich 134 deshalb wie “eine soteriologische Maschine, die durch eine ausgeklügelte m chan von Ankündigungen und Wiederaufnahmen der Reimwörter - die den typologischen Beziehungen zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem entsprechen - die chronologische in messianische Zeit verwandelt” (Agamben 2006: 96). Das aber ist der Kairos, wie Tillich ihn erläuterte, als das Eindringen des Ewigen oder der Prophetie in das Gegenwärtige. In diesem besonderen Moment kann das Abgeschlossene, die Vergangenheit, wieder aktualisiert werden und das Unabgeschlossene, die Gegenwart, eine Art des Abschlusses erfahren; man könnte auch sagen, den Taten vergangener Zeiten wird die Möglichkeit eines Ausgleichs geboten. Agamben bezeichnet das Gedicht deshalb als ein zeitliches Gebilde, das, auf Endlichkeit hin angelegt, eine eigene Zeit entfaltet. Deshalb fällt die Geschichte des Reims auch mit der Geschichte der messianischen Verkündigung zusammen: die metrische Form zerbrach in dem historischen Augenblick, in dem die Dichter Gott für tot erklärten. Das Wiederaufleben gesprochener Verse im Rap ist daher nicht zufällig mit religiösen Kontexten verknüpft. Die Prophets of da city, Gods’ Son oder die prophètes de la rue, wie sich viele Rapper oder Rapgruppen in Afrika, den USA oder Europa nennen, treten mit ihrer Reimkunst, die mit ihren Parechesen, Binnenreimen und Assonanzen eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Reimspielen der Paulinischen Texte aufweist, mehr oder weniger bewusst eine theologische Hinterlassenschaft an und als Bevollmächtigte einer göttlichen Instanz auf. Das, was sie verkünden, ist ihr ureigenstes Evangelium. Mit ihm setzen sie jene einst messianische in eine operative Zeit um, in der sie ihr Sprechen vergegenwärtigen. Das verleiht dem Rapper wie einst dem Propheten jene ‘vulkanische Kraft’, von der Tillich schrieb, dass sie “Neues in der Zeit [schafft], weil seine Deutung der Zeit die Zeit von der Ewigkeit her erschüttert und umwendet” (Tillich 1921: 4). Das aber ist genau das, was besonders im US-amerikanischen aber auch im französischen und deutschen Rap mit den zentralen Metaphern der christlichen Heilsgeschichte und ihren endzeitlichen Wirklichkeits- und Geschichtsdeutungskonzepten gemacht wird (siehe dazu Werner 2007 und Erdmann 2009). Wenn wir diesen Wirkungsmechanismus des Gedichts außerhalb seiner religiösen Kontextualisierung betrachten, dann können wir von einer gezielten ‘Erzeugung von Evidenzen’ sprechen. Sie verleihen der prophetischen Identität des Rappers Authentizität. Sie sind aber auch die Grundlage der an der Befindlichkeit des Menschen ansetzenden Ästhetik der Atmosphäre von Böhme. Er versteht Atmosphäre als eine “gemeinsame Wirklichkeit des Wahrgenommenen und des Wahrnehmenden”. Diese gemeinsame Wirklichkeit wird in Rap und Slam nicht über die denotative Eigenschaft der Sprache erzeugt, sie entsteht vielmehr durch die gemeinsame Erfahrung des Wortes, durch Präsenz, Interaktion und Performance. Das verleiht diesen Wirklichkeiten als Erfahrungshorizonte Nachhaltigkeit. 8 Fazit Das führt uns zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Rap und Slam sind nicht nur eine Kultur der Präsenz, sondern auch eine Kultur der Evidenz, weil sie Einsichten sichtbar und erlebbar machen. 2. Sie lassen in der Kommunikation individuelle und soziale Entfaltung, Wirklichkeitsbeschreibungen und -entwürfe über die Schnittstelle des sprechenden Körpers als Interme- Poem und Präsenz 135 dium ineinander übergehen. Auf diese Weise wird gemeinsames ästhetisches Handeln zu einem ästhetischen Lernfeld. 3. Der Anspruch, Sätze über die Wirklichkeit der Ereignisse, Dinge und Leidenschaften und das eigene Selbst formulieren zu können, basiert bei Rap und Slam auf der Reflexion der Inszenierungsbedingungen, die in die sprachliche Performance miteinbezogen werden. So macht das persona shuttling Selbstreflexivität für einen Augenblick subjektiv wie kollektiv erlebbar. Durch Inszenierung von actual und possible worlds in der narrational textual world wird die Diskursivität des Gesprochenen aufgehoben. Das lässt Fiktionen als Fakten und Fakten als Fiktionen erscheinen, verwandelt Erzähltes vorübergehend zu (gemeinsam) Erlebtem. Bibliographie Agamben, Giorgio 2006: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Asholt, Wolfgang, Walter Fähnders (eds.) 1995: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1900-1938), Stuttgart/ Weimar: J.B. Metzler Böhme, Gernot 1995: Atmosphäre: Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Butler, Mark 2007: “Das Spiel mit sich. Populäre Techniken des Selbst”, in: Kimminich, Eva, Michael Rappe, Heinz Geuen und Stefan Pfänder (eds.) 2007: Express yourself! Europas Kreativität zwischen Markt und Underground, Bielefeld: Tanscript, 75-101 Erdmann, Julius 2009: “Bombardement Vocale: Gewalt und Endzeitvisionen im Street- und Gangsta-Rap”, in: Kimminich, Eva (ed.) 2009: Utopien, Jugendkulturen und Lebenswirklichkeiten: ästhetische Praxis als politisches Handeln, Frankfurt a.M.: Peter Lang Fuhr, Michael 2007: Populäre Musik und Ästhetik. 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Une anthologie du slam, Paris: Spoke Edition Nadin, Mihai 1999: Jenseits der Schriftkultur: das Zeitalter des Augenblicks. Dresden/ München: Dresden University Press Neumann, Till 2009: Metaphern: Weisen der Welterzeugung im französischen und frankophonen Rap, Bachelor- Arbeit an der Universität Freiburg: Frankomedia Orjuela Adriana, Nikolai, Vera, Nikola Schrenk: “Drei Dimensionen der Slam Poetry: Performance, Ethos und Widerstand”, in diesem Band Preckwitz, Boris 2002: Nachhut der Moderne: Eine literarische Bewegung als Anti-Avantgarde, Books on Demand Preckwitz, Boris 2005: Spoken Word und Poetry Slam: kleine Schriften zur Interaktionsästhetik, Wien: Passagen Renner, Karl-Heinz und Lothar Laux 2006: “Histrionische Selbstdarstellung als performative Praxis”, in: Rao, Ursula (ed.) 2006: Kulturelle Verwandlungen. Die Gestaltung sozialer Welten in der Performanz, Frankfurt a.M.: Peter Lang Schmidt, Siegfried J. 2001: “Making stories about story-making. 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Der Anfang des Rap und das Ende der Welt, Bielefeld: Transcript Anmerkungen 1 Zur Nutzbarkeit dieses Modells für den Rap, siehe Kimminich 2004. 2 Entgegen der durch die mediale Berichterstattung stark verzerrten Vorstellung von dieser Kultur war Rap von Anfang an religiös kontextualisiert. Rap und Hip Hop wurden in den USA über die Zulu-Nation Afrika Bambaataas und durch Louis Farrakhans Nation of Islam religiös geprägt. Als sich Rap als Teil der HipHop- Kultur in den 1980er Jahren in Europa und schließlich weltweit ausbreitete, wurde er nicht nur imitiert, sondern löste auch lokale Varianten aus, die sich durch eine Appropriation und Fusion von fremden mit eigenen Kulturelementen auszeichnen und nicht selten eine Auseinandersetzung mit den fremden eigenen bzw. lokalen Traditionen mit sich brachte; in Frankreich und im Senegal wurde der religiöse Kontext aufgegriffen und in unterschiedlicher Weise ausgestaltet. Drei Dimensionen der Slam Poetry: Performance, Ethos und Widerstand Vera Nikolai, Adriana Orjuela und Nikola Schrenk Slam Poetry is the contemporary version of the antique poetry contest. Processes of democratization and individualization, as well as a new code of practice have given it a new appearance. Basing their observations on the concept of Performance, originated within the field of Theatre Studies, that of Ethos, on methods of Discourse Analysis and Coordination Theory, the three authors analyse Slam Performances from France and Germany. Their results show that indeed, we are dealing with a new genre which not only serves as a means of self-presentation, but as well, as a way of creating an interactive exchange of opinion. On the one hand this new genre shows specific features and conventions on the grammatical level, as well as on the level of corporal communication, which moves gradually between an intraand interpersonal kind of performance accentuating either the spoken word or the involved audience. On the other hand, the authors observe that the process of self-representation within the text is, in fact, a rhetorical device which is bound to this specific type of text and which can be defined as an ‘Ethos of Individuality’. Not only does it contribute to the abolition of the separation between content and author, but as well to the creation of spaces for discussion, which, following Umberto Eco’s Model of Communication or rather his Concept of Guerrilla, can in turn encourage a (self)critical reception among all the persons involved. Slam Poetry ist eine neue Form des antiken Dichterwettstreits. Demokratisierungs- und Individualisierungsprozesse haben ihm eine neue Erscheinungsform und Praxis verliehen. Sich auf das Performancekonzept der Theaterwissenschaften, den Ethos-Begriff, die Diskursanalyse und die Koordinationstheorie stützend, untersuchen die drei Autorinnen Slam Performances aus Frankreich und Deutschland. Ihre Ergebnisse zeigen, dass einerseits es sich um eine neue Gattung handelt, die sowohl der Selbstdarstellung als auch einem interaktiven Meinungsaustausch dient. Sie weist dementsprechend sprachlich wie köperkommunikativ spezifische Merkmale und Konventionen auf, die sich graduell zwischen einer intra- und interpersonellen Performance bewegen, mit der der Akzent entweder auf den gesprochenen Text oder auf das angesprochene Publikum gesetzt werden kann. Andererseits wurde beobachtet, dass es sich beim Selbstdarstellungsprozess im Text um ein rhetorisches Mittel handelt. Dieses ist an die Textsorte gebunden und lässt sich als ‘Ethos der Individualität’ definieren. Er trägt dazu bei, dass die Trennung zwischen Inhalt und Autor aufgehoben wird und ein Diskussionsraum entsteht, der, wie vor dem Hintergrund des Ecoschen Kommunikationsmodells bzw. seines Guerilla-Konzepts erarbeitet wird, alle Beteiligten zu einer (selbst)kritischen Rezeption anregt. 1 Slam Poetry: Gegenstandsbestimmung Im Poetry Slam begegnen wir einem weltweiten Phänomen, das auf dem uralten Konzept des Dichterwettstreits beruht. Er wurde 1986 vom US-Amerikaner Marc Kelly Smith initiiert, der K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 32 (2009) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Vera Nikolai, Adriana Orjuela und Nikola Schrenk 138 in Chicago unter dieser Bezeichnung literarische Wettkämpfe organisierte. Bei der daraus entstandenen Gattung Slam Poetry handelt es sich um eine publikumsbezogene, inszenierte und live performte Bühnenpoesie, die sich durch eine Kombination lyrischer, narrativer und szenischer Elemente auszeichnet. Das in der Jugendkultur verortete Literatur Event Poetry Slam reflektiert auf inhaltlicher und stilistischer Ebene “[…] das moderne Leben in seinen sozialen Verwerfungen, seiner Multikulturalität, Mediengelenktheit und Modebesessenheit” (Preckwitz 2005: 33). Das heißt, wir haben eine große Bandbreite von Themen, wobei sich französische Slam Texte tendenziell durch einen stärker ausgeprägten lyrischen Charakter auszeichnen als deutsche. Beide Szenen nutzen Elemente der Improvisation und der Intertextualität, etwa wie im Jazz: Zum Beispiel wenn ein Slammer den Auftritt seines Vorgängers kommentiert, auf andere Slam Texte verweist (Wiederaufnahme von Ausdrücken, bzw. Textmustern) oder diese direkt zitiert. Formal betrachtet fallen Bezüge zu literarischen Vorbildern auf und spielerische Verfremdungen von mündlichen wie schriftlichen Genres (Märchen, Fabel, Telefonat, Gebet, Ode etc.). Slam Texte zeichnen sich also durch Intertextualität, Cross-Genre, Aktualität und Kürze aus. 2 Performance und Interaktion Vor allem aber wird das aktuelle Tagesgeschehen in der Slam Poetry aus der Wirklichkeitssicht des Autors kommentiert. Er überspitzt Alltägliches und reflektiert Themen, die nicht nur gesellschaftliche Relevanz haben, sondern auch für den Einzelnen von Bedeutung sind. So wird der Slammer in zweifacher Hinsicht zum Interpreten: Er thematisiert in seinem Poem einen bestimmten Teil der lebensweltlichen Realität und dessen Bedeutung für den einzelnen oder die Gemeinschaft. Gleichzeitig tritt er in der Performance als Interpret seines eigenen Textes auf (Preckwitz 2005: 85). Performances besitzen somit Bedeutung stiftende und Identität bildende Kraft, wobei die Authentizität von größter Bedeutung ist, denn der Slammer soll den eigenen Text im Vortrag sozusagen ‘leben’. Als Ausdrucksmodi stehen ihm dazu lediglich seine Stimme und sein Körper zur Verfügung, da Hilfsmittel wie Kostüme oder Gegenstände beim Slammen verboten sind. Um glaubwürdig bzw. authentisch zu wirken, muss der Slammer daher von dem Moment an, in dem er die Bühne betritt, bis zu dem Moment, in dem er die Bühne wieder verlässt, seinen Text verkörpern: Durch den Akt der Verkörperung ist die Individualität des Autors in Szene gesetzt, der den Text in seiner eigenen Person nicht nur präsentiert, sondern ‘lebt’. Der Autor selbst ist das Medium, das seine Botschaft repräsentiert, und stellt damit einen Kommunikationskanal her, der das Publikum ebenfalls als Medium (für kollektives Feedback/ eigene Auftritte) aktiviert (Ibid. 57). Man könnte auch sagen, der Slammer inszeniert die materiale Seite der Kommunikation, indem er sie verkörpert. Der im Mittelpunkt stehende Poet wird auf diese Weise selbst zum Zeichen. Er spricht mit und durch seinen Körper zum Publikum. Deshalb gehen im Slam explizite Kommunikation, d.h. die sprachliche, und implizite, also die parasprachliche Dimension, ein symbiotisches Verhältnis ein, denn nicht nur der Text alleine zählt, sondern seine Inszenierung. Der Slam Poet trägt, wie Schulze-Tammena formuliert: […] im kurzen Moment auf der Bühne die volle Verantwortung für die Eingänglichkeit seines Vortrags und den Erfolg seines Textes, die nicht unbedingt auf der Verständlichkeit oder Drei Dimensionen der Slam Poetry 139 Klarheit des Textes basieren müssen […]. Deshalb ist die nonverbale Kommunikation (Bühnenpräsenz, Körpersprache und Kleidungsstil) genauso relevant für die Kommunikation mit dem Publikum wie der Rhythmus und Klang der Sprache, ferner die Artikulationsfähigkeit und die Modulation der Stimme (c.f. http: / / www.schule-bw.de/ unterricht/ paedagogik/ lesefoerderung/ lesetipps/ abenteuer/ text2.pdf, 02.03.09). Das gesamte Auftreten, die Bühnenpräsenz des Slammers, das heißt die Körperhaltung, die eigene Anmoderation und die Kontextualisierung, spielen demnach für die Bewertung einer Performance eine wichtige Rolle. Ebenso wichtig ist das Publikum, denn die Slam Bewegung strebte von Beginn an nach Partizipation, was zum Entstehen einer neuen Publikumskultur führte. Im Unterschied zur traditionellen, in der Hochkultur verorteten Dichterlesung, zeichnet sich der Slam durch seine offene Form aus. Sie ermöglicht es jedem, seine Stimme zu erheben (vgl. Preckwitz 2005: 30) und eröffnet eine direkte Kommunikation zwischen Autor, Publikum, Slammaster und Jury. Diese vier Aktanten befinden sich in einem Zustand der ‘Actionality’ 1 , das heißt sie sind in ständiger Bereitschaft, den jeweils anderen Feedback zu geben bzw. selbst ihrer momentanen Rolle entsprechend zu agieren. Die Aufgabe des Slammers besteht in der ästhetischen Vermittlung seines Textes, der vom Publikum und von der Jury bewertet wird. Die Juroren sollen die Vorträge kommentieren und ihre Benotung am Mikrophon begründen. Das Publikum darf über die Bewertung mitentscheiden, indem es unmittelbares Feedback auf die vorgetragenen Texte gibt oder auch selbst Punkte für die einzelnen Performances vergeben kann. Der Slammaster moderiert das gesamte Event, erklärt die Regeln, wählt die Juroren aus, bestimmt die Reihenfolge der Vorträge und präsentiert die Poeten. Zusammenfassend lässt sich Slam also folgendermaßen definieren: Es handelt sich hier um eine an Körper und Stimme gebundene Inszenierung von Texten, deren Bedeutungen performativ und erst aus der Interaktion heraus, in deren Verlauf erzeugt werden. Die leibliche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern ist daher ein konstitutives Element der Gattung Slam Poetry bzw. des Literaturevents Poetry Slam. Um dieses Interaktionsspiel zwischen Autoren und Publikum zu analysieren, stützen wir uns einerseits auf den Aufführungsbegriff von Erika Fischer-Lichte. Sie versteht die Performance als “[…] Vorgang einer Darstellung durch Körper und Stimme vor körperlich anwesenden Zuschauern […]” (zit. nach Wirth 2002: 38), der auf dem Zusammenspiel der drei Faktoren Inszenierung, Korporalität und Wahrnehmung basiert. Andererseits nehmen wir Bezug auf das Interaktions- und Koordinationskonzept von Deppermann/ Schmitt (2007: 17). Es fokussiert die “[…] simultan realisierten, sequenziell strukturierten und aufeinander bezogenen interaktiven Beteiligungsweisen aller Teilnehmer”, sowie das Zusammenspiel aller multimodalen Ressourcen 2 , die gleichzeitig zur verbalen Kommunikation ablaufen (Koordination). Empirische Daten liefern Beobachtungen der französischen 3 und deutschen Slam Szene 4 . Als Ergebnis ist festzuhalten, dass sich generell drei große Performance- und Interaktionstypen unterscheiden lassen. 2.1 Wenig performativ/ interaktiv: Ich und der Text Slam Auftritte, die diesem Typus angehören, zeichnen sich in Hinblick auf die performative Dimension durch den Verzicht auf ausgeprägte Mimik oder Gestik aus. Hinzu kommt, dass der Slammer seinen Text zumeist ohne Anmoderation und Vorrede in einem monotonen Tonfall abliest. Bezüglich der Interaktion lässt sich feststellen, dass der Slammer das Publikum praktisch ausschließt, indem er während seiner Performance kaum Blickkontakt, noch Vera Nikolai, Adriana Orjuela und Nikola Schrenk 140 irgendeine andere Art von Beziehung zum Publikum herstellt, weder durch direkte Anrede noch durch Gesten. Es handelt sich hierbei also um intrapersonelle Koordination. Der Amerikaner A LEX , der in der Bar de la Réunion auftrat, verkörpert diesen Typus. In einem Interview erklärte er uns, dass er seine Texte nur für sich schreibe: “C’est pas pour faire plaisir aux autres, c’est plutôt pour moi” (A LEX , zit. nach: Nikolai/ Orjuela 2008: 0.56). So kann er seinen Gefühlen und Gedanken Ausdruck verleihen, ihnen freien Lauf lassen und somit eine seelische Reinigung erwirken. Dies macht sich auch in seiner Performance bemerkbar. Ohne in Kontakt mit dem Publikum zu treten, bleibt sein Blick während des gesamten Vortrags auf den geschriebenen Text geheftet. Er bewegt sich nicht von der Stelle, liest schnell und ohne Pause in beinahe monotonem Tonfall. Erst am Schluss seines Vortrags, den er mit einer rhetorischen Frage beendet, hebt sich seine Stimme und er blickt für einen kurzen, prüfenden Moment auf, um das Ende des Vortrags zu signalisieren. Dieser Blick ins Publikum ist mit der Erwartung verbunden, eine Rückmeldung des Publikums zu erhalten. Kurz darauf verlässt er die Bühne. Das Publikum reagiert unmittelbar auf diese Signale und applaudiert. 2.2 Mittel performativ/ interaktiv: Ich, der Text und das Publikum Merkmale dieses Typus sind die eigene Anmoderation, der starke Einsatz von Mimik und Gestik sowie die Einbeziehung des Publikums durch direkte Ansprache und häufigen Blickkontakt. Somit wirken diese Performances interaktiver als es beim ersten Typ der Fall ist, obwohl die Texte meistens vorgelesen werden und das Publikum sich an der Gestaltung des Textes nicht aktiv beteiligt. Es handelt sich also immer noch um intrapersonelle Koordination. Der Slammer T OBIAS K UNZE , dessen Performance im Rahmen der Slam Tour mit Kuttner im Fernsehen zu sehen war 5 , beginnt seine Performance damit, den Text aus der Tasche seines Kapuzenpullovers hervorzuholen, sagt dabei kurz “Text”, lacht und das Publikum lacht mit ihm. Der Kontakt ist hergestellt und die Sympathien des Publikums scheinen ihm bereits sicher zu sein. Obgleich er seinen Text abliest, wirkt seine Performance äußerst lebendig und emotional bis leidenschaftlich, was nicht zuletzt an seiner Körpersprache, den häufigen Blicken ins Publikum und seinem schauspielerischen Talent liegt, das sich vor allem in der Art und Weise zeigt, wie er seine Stimme und seine Mimik einsetzt. Während seiner Performance steht er niemals absolut still, sondern gestikuliert und verlagert sein Gewicht rhythmisch wippend von einem Bein auf das andere. Am Ende seines Vortrags breitet er seine Arme aus, als wolle er eine Verbeugung andeuten, bedankt sich kurz und verlässt die Bühne. Obwohl er sich einer ausgeprägten Mimik und Gestik bedient, findet bei Tobias keine direkte Interaktion mit dem Publikum statt. Dennoch bezieht er das Publikum indirekt in seine Performance mit ein, indem er es häufig anblickt und es dadurch an seiner Art der Textpräsentation teilhaben lässt, d.h. er vollzieht die Belebung des Textes mit. 2.3 Stark performativ/ interaktiv: Ich und das Publikum Charakteristisch für diesen Typus ist ein freier, fließender Vortragsstil, begleitet von einer expressiven Gestik und Mimik. Körper, Stimme und Rhythmus werden nicht nur eingesetzt, um dem Text eine besondere Wirkung zu verleihen, sondern auch mit dem Ziel, bestimmte Reaktionen und Emotionen beim Publikum hervorzurufen. Ein weiteres Merkmal ist die direkte Einbeziehung des Publikums durch persönliche Anrede und ständigen Blickkontakt. Zudem fordern einige Slammer ihr Publikum des Öfteren direkt dazu auf, sich wiederholen- Drei Dimensionen der Slam Poetry 141 den Stellen laut mitzusprechen oder den Text durch Zurufe zu ergänzen. Somit ist die Möglichkeit einer interpersonellen Koordination gegeben, da der Slammer auf das unmittelbare Feedback des Publikums angewiesen ist. Sein sichtbares Verhalten wird merklich durch die Verhaltensweisen der Interlokutoren bestimmt. Bedeutung wird in diesem Falle performativ, d.h. im Verlauf des Vortrags und aus der Interaktion zwischen Publikum und Slammer heraus, erzeugt. Dieser Typus wird von dem Slammer V ERBAL verkörpert, dessen Auftritt wir in der Pariser Bar du vin in der Rue du Roi d’Alger beobachtet haben. Dem Titel seines Textes gemäß, “Je slamme, donc je suis”, performt er mit vollem Körpereinsatz. Er trägt frei und rhythmisch vor, lässt seine Blicke durch das Publikum schweifen, bedient sich vieler verschiedener Gesten, als er z.B. von seiner Wange herunter laufende Tränen mimt. Ohne seinen Vortrag zu unterbrechen, steht er langsam von seinem Hocker an der Bar auf und geht auf das Publikum zu. Seine Stimme hebt und senkt sich kontinuierlich, wird mal schneller, dann wieder langsamer. Hin und wieder macht er eine Pause, ohne das Publikum aus den Augen zu verlieren. Er bewegt sich immer weiter vorwärts, beugt sich zu einigen Zuschauern hinunter, um ihnen in die Augen zu sehen und sie direkt ansprechen zu können. Gegen Ende seiner Performance geht er rückwärts wieder zurück zu seinem Hocker. Er bleibt vor ihm stehen, spricht den letzten Satz seines Textes und bedankt sich mit einer kurzen Verbeugung. Im Unterschied zu A LEX nimmt V ERBAL also unmittelbaren Kontakt mit einzelnen Individuen im Publikum auf. Dies verleiht seiner Performance einen persönlichen und interaktiven Charakter. 3 Ethos Im Folgenden wird eine weitere Dimension der Slam Poetry beleuchtet, die sich am besten über den Begriff des ‘Ethos’ fassen lässt. Hierbei steht die Frage nach bestimmten Strategien der Selbstdarstellung und Selbstinszenierung der Slam Poeten im Mittelpunkt des Interesses. 3.1 Der Ethos Begriff Damit der Kommunikationsprozess zwischen Slammer und Publikum gelingen kann, müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein: zum einen müssen die Teilnehmer die Konstellation der Kommunikationspartner und deren jeweilige Selbstpositionierungen richtig einschätzen. Zum anderen müssen aber auch die mit der Kommunikationshandlung einhergehenden kommunikativen Regeln, Normen und Konventionen beachtet werden. Eine Kommunikationshandlung kann also erst erfolgreich sein, wenn die Rollenverteilung (Sprecher/ Hörer) von allen Kommunikationspartnern akzeptiert wird. Für den Slammer bedeutet dies, dass er, um seine Sprecherrolle in der Partnerkonstellation einnehmen zu können, seine Kompetenz nachweisen muss. Dieser Legitimationsprozess ist bereits Teil des Produktionsprozesses und hat insofern großen Einfluss auf Auswahl und Zusammenstellung der Textkomponenten auf allen Textebenen (thematische, sprachliche, pragmatische), als dieser für den Slammer darin besteht, durch seinen Diskurs ein bestimmtes, zum Kommunikationsrahmen passendes ‘Image’ von sich zu vermitteln: “Toute interaction sociale exige que les acteurs donnent par leur comportement volontaire ou involontaire une certaine impression d’eux-mêmes qui contribue à influencer leurs partenaires dans le sens désiré” (Amossy 1999: 13). Vera Nikolai, Adriana Orjuela und Nikola Schrenk 142 Die (selbst-)Legitimation erfolgt in der Slam Poetry also über die Selbstdarstellung, bzw. Selbstverkörperung. Um dieses zum Kommunikationsrahmen passende Image näher zu bestimmen, wird in der modernen Diskursanalyse (u.a. Ducrot, Maingueneau, Amossy), in Rückgriff auf die antike/ klassische Rhetoriklehre (Aristoteles), der Begriff des ‘Ethos’ wieder aufgenommen 6 . Ein solches Ethos entsteht aufgrund des allgemeinen Tones eines Textes und aufgrund von ‘Spuren des Sprechers’. Es handelt sich also um ein Bündel sprachlicher Merkmale, die über den Sprecher, seinen Charakter, seine Überzeugungen, gegebenenfalls sogar seinen Gemütszustand Auskunft geben und einen positiven Gesamteindruck von ihm entstehen lassen. Letzterer entspricht dem kommunikativen Rahmen und trägt somit zur erfolgreichen Durchführung der Kommunikationshandlung bei (vgl. Barthes 1966: 212). Das Ethos dient dem Sprecher zur Inszenierung seiner selbst als legitime Figur der Diskurswelt, in der die Kommunikationshandlung stattfindet. Es verweist auf “[…] la figure de ce garant qui, à travers sa parole, se donne une identité à la mesure du monde qu’il est censé faire surgir dans son énoncé” (Maingueneau 1999: 80). 7 Die Eigenschaften des Ethos, d.h. die Qualitäten des für den jeweiligen Kommunikationsakt kompetenten und berechtigen Sprechers sind textsortengebunden 8 . Je nach Textsorte wird der Sprecher mit anderen Erwartungen konfrontiert und muss, um sich in seiner Rolle zu legitimieren, anderen Maßstäben gerecht werden. So werden beispielsweise vom Verfasser eines wissenschaftlichen Textes Eigenschaften wie Objektivität, fachliche Kompetenz oder Anspruch auf Allgemeingültigkeit seines Diskurses usw. erwartet, während ein Publizist durch eine wertende, kritische Haltung gegenüber politischen Geschehnissen “aktiv an der öffentlichen Meinungsbildung teilnimmt” (Duden). Dieses Beispiel macht auch deutlich, dass das Ethos als abstrakt und überindividuell zu verstehen ist. Selbst wenn es sich als den Eindruck definieren lässt, den ein Sprecher über die Auswahl bestimmter sprachlicher Mittel in einem Text von sich selbst vermittelt, ist das Ethos aber nicht mit dem Sprecher als empirischem Wesen verbunden, sondern mit dem Sprecher als (abstrakter) Diskursinstanz (vgl. Ducrot 1984: 201 u. Maingueneau 1999: 76). Dass der Sprecher im Prozess der Selbstdarstellung gewissen Erwartungen gerecht werden muss, zeigt weiterhin, dass das Ethos des Sprechers nicht ausschließlich in einer einzelnen Kommunikationssituation entsteht: Aufgrund ihrer Textsortenkompetenz, d.h. ihrer Kenntnis der Konventionen und Regeln, die für die einzelnen Textsorten Gültigkeit besitzen 9 , haben Produzent und Empfänger eines Diskurses noch vor dessen Produktion eine mehr oder weniger klare Vorstellung von der zu dieser Kommunikationshandlung passenden Sprecherhaltung (vgl. Maingueneau 1999: 78). Es muss also zwischen einem vor der Produktion des einzelnen Textes bereits bestehenden und einem erst im Produktionsprozess entstehenden Image des Sprechers unterschieden werden; eine Unterscheidung, die in der Diskursanalyse durch das Begriffspaar ‘ethos préalable’ vs. ‘ethos discursif’ erfasst wird. Erst wenn das ‘ethos préalable’ und das ‘ethos discursif’ hinreichend übereinstimmen, sind die Bedingungen für einen erfolgreichen Legitimationsprozess des Sprechers gegeben. 3.2 Das Slammer Ethos Welchen Beitrag kann der Ethosbegriff nun zur Beschreibung von Slam Poetry als Textsorte 10 oder literarischer Gattung leisten? Wir haben gesehen, dass die (Selbst)Legitimation im Slam über die Selbstdarstellung bzw. Selbstverkörperung erfolgt. Obwohl diese Gattung Freiheit und Offenheit für sich beansprucht und jegliche Norm ablehnt, die eine bestimmte Sprecher- Drei Dimensionen der Slam Poetry 143 haltung vorschreiben würde, lässt sich bei den Slam Poeten wiederholt das Bewusstsein beobachten, bei ihren Performances in eine Rolle zu schlüpfen. H ARRY und R IM beschrieben das folgendermaßen: C’est comme un jeu, c’est comme se mettre en scène - mais sans se prendre au sérieux […] C’est comme si je jouais une pièce, comme si je jouais un personnage, mais un personnage qui est bien moi - mais un personnage quand même, à chaque fois (H ARRY , zit. nach Schrenk 2008: 2.31). Je m’amuse à me mettre dans la peau de tel ou tel personnage. […] Moi, c’[est] vraiment jouer une seconde vie pour certains textes. […] Je m’invente une autre vie (R IM , ibid.: 2.23). Derartige Aussagen sind ein Indiz dafür, dass sich die Slammer beim Vortragen bewusst inszenieren und damit auch gezielt eine bestimmte Sprecherhaltung einnehmen. Sie sind sich also bei aller gattungskonstitutiven individuellen Freiheit bewusst, als Mitglieder einer bestimmten Sprechergemeinschaft, die aus Slammern und “aficionados” (Massot 2007: Vorwort) besteht, in einem öffentlichen, inzwischen kodifizierten Kommunikationsrahmen aufzutreten und damit als Sprecher mit bestimmten Erwartungen konfrontiert zu werden. Dieses Bewusstsein fließt in den Produktionsprozess ein und bestimmt unter anderem auch die Auswahl der Mittel zur Selbstdarstellung. Der Slammer selektiert die Komponenten seines Kommunikationsbeitrages aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen mit erfolgreichen bzw. misslungenen Texten in ähnlichen Kommunikationssituationen. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass auch im Slam der Erfolg der Performance mit der Vermittlung eines bestimmten Ethos verbunden ist. Dieses Ethos setzt sich aus den wiederkehrenden, vielleicht teilweise bereits konventionalisierten Merkmalen zusammen, durch die sich der Sprecher als Slammer zu erkennen gibt. Einem Diskurs liegt also immer dann ein bestimmtes Ethos zugrunde, wenn sich ein Bündel kongruenter Merkmale herausarbeiten lässt, deren Zusammenspiel ein einheitliches/ kohärentes Bild des Sprechers erzeugt. Mit dem Vollzug einer Kommunikationshandlung vermittelt der Sprecher aber bereits zwangsläufig ein Bild von sich, denn, wie Ruth Amossy (1999: 9) bemerkt, ist bereits jede Ergreifung des Wortes mit der Konstruktion eines Bildes des Sprechers verbunden, unabhängig davon, ob dieses Bild gezielt hergestellt wird oder unreflektiert entsteht. Dennoch geht die Diskursanalyse davon aus, dass die Konstruktion eines solchen Bildes vom Sprecher ein, wenn auch im Einzelfall mehr oder weniger bewusst und geschickt, gesteuerter Prozess ist. Der Produzent eines Diskurses orientiert sich also an Vorstellungen, auf deren Grundlage er entscheidet, welche Sprecherhaltung zur Erfüllung seiner kommunikativen Absicht am besten geeignet ist. Das aber heißt, der Selbstdarstellungsprozess sowie die aktive Konstruktion eines bestimmten Ethos im Text ist ein rhetorisches Mittel. Folgende Vermutung liegt nahe: Je stärker kodifiziert eine Kommunikationsform/ Textsorte ist, desto ausgeprägter sind die Merkmale des jeweils passenden Ethos, und desto wichtiger ist es, dass der Sprecher die passende Sprecherhaltung einnimmt. 3.3 Das ‘Slammer Ethos’ - ein ‘Ethos der Individualität? ’ Das Ethos ist, wie dargelegt, also an die jeweilige Kommunikationsform bzw. Textsorte gebunden und lässt sich von den für sie konstitutiven Normen und Konventionen ableiten. Die Rekonstruktion eines Slammer-Ethos setzt daher eine genauere Auseinandersetzung mit den für diese Gattung konstitutiven Normen und Konventionen voraus. Vera Nikolai, Adriana Orjuela und Nikola Schrenk 144 Neben dem prinzipiellen Anspruch auf kreative Freiheit, soziale Grenzenlosigkeit und demokratische Offenheit sowie der Ablehnung literarischer Vorschriften, spielt im Slam auch die Dimension des Wettbewerbs (‘compétition’), die nach festen Regeln, einem “rituel dramatique” (www.new.planetslam.com, 26.08.08) ablaufen, eine wichtige Rolle. Die meisten dieser Regeln beeinflussen vor allem die Form der Performance an sich und sind für die Rekonstruktion des Slammer-Ethos irrelevant. Interessant sind in diesem Hinblick nur die Vorschriften, die mit der äußerlichen Erscheinung der Teilnehmer verbunden sind und zwar in dem Maße, wie sie das Bild des Sprechers teilweise mitbestimmen: “Les costumes et déguisements sont interdits. Le poète doit porter les vêtements qu’il porte dans la vie de tous les jours” (http: / / www.ffdsp.com, 22.8.08). Den genannten Konventionen/ Prinzipien liegen also das Bekenntnis zur Ausdrucksfreiheit und die künstlerische Gleichberechtigung aller Teilnehmenden zugrunde: Ein jeder, der diese Regeln befolgt, ist daher berechtigt, im Rahmen einer Slam Veranstaltung das Wort zu ergreifen. Paradoxerweise bringen diese Prinzipien aber die Forderung an den Slammer mit sich, auf der Bühne ‘sich selbst’ zu sein und als ‘sich selbst’ aufzutreten - d.h. als ein Authentizität garantierendes Individuum und nicht als Vertreter einer literarischen Gruppe oder Mitglied einer Gemeinschaft. Der prototypische Slammer tritt also als Individuum auf, das sich seiner Einzigartigkeit/ Individualität bewusst ist und diese als Instrument braucht, um im Wettbewerb bestehen zu können. Daraus leitet sich die Hypothese ab, dass das Slammer Ethos ein Ethos der Individualität ist, denn der erfolgreiche Selbstdarstellungsprozess im Slam besteht in der überzeugenden Inszenierung der eigenen Individualität. 3.3.1 Inszenierung von Individualität: Formen und Beispiele Die immer wiederkehrenden Formen/ Mittel dieser Individualitätsinszenierung lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Zum einen solche, bei denen explizit ein thematischer und/ oder sprachlicher Zusammenhang zwischen Sprecherfigur und vorgetragenem Text hergestellt wird, und zum anderen jene, bei denen ostentativ die eigene Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Normen demonstriert wird. Diese Kategorien entsprechen den bereits genannten Dimensionen des Ethos als das über den Diskurs zu rekonstruierende/ entstehende Bild von ‘Charakter’ und ‘Korporalität’ des Sprechers. 3.3.2 ‘Charakter’ im Slammer Ethos: Herstellung eines thematischen Zusammenhangs zwischen vorgetragenem Text und Sprecherfigur Sprachliche Merkmale • Subjektivität/ Expressivität: In einem prototypischen Slam Text greift der Slammer massiv auf subjektive Einstellungen und sprachliche Mittel zurück, die persönliche Stellungnahmen indizieren. H ARRY , R IM und J AMAL nehmen auf Basis von moralischen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen in ihren Performances direkte oder indirekte Evaluationen vor, die meist explizit ihren eigenen Meinungen entsprechen. Drei Dimensionen der Slam Poetry 145 • Deiktische Verankerung: Typisch für Slam Texte ist die Verwendung von deiktischen Morphemen (“je”, “tu”, “nous”) und Adverbialen (“aujourd’hui”). Viele Slammer sprechen ihr Publikum direkt an wie R IM (ibid.: 639) “Alors expliquez-moi pourquoi […]” oder beziehen dieses in ihre Aussagen mit ein. Hierdurch entstehen zwei unterschiedliche Kommunikationssituationen: Einerseits wird eine direkte Verbindung zum Slammer und der aktuellen Kommunikationssituation etabliert, andererseits entsteht eine fiktionale Situation, sodass die Grenzen zwischen Kunst und Wirklichkeit, dem Sprecher als Diskursinstanz und dem Slammer als empirischem Wesen fließend werden. • Variationen im Diasystem: Im Französischen sind diatopische, diastratische und diaphasische Variationen meist negativ konnotiert und werden aus diesem Grunde im alltäglichen, offiziellen Kommunikationsrahmen vermieden. Slam Texte hingegen weisen in dieser Hinsicht einen hohen Grad an Variation auf. Die Slammer geben so zu erkennen, dass sie sich bei der Auswahl ihrer sprachlichen Mittel nicht an standardisierte Richtlinien halten und von ihrer gewohnten Ausdrucksweise nicht abweichen möchten. Zu diesen Variationen gehören wie bei R IM z.B. die Übernahme von Argot-, Verlan- und dialektalen Wörtern (“une meuf”, “si tu veux qu’un mec te tringle” (Ibid.: 6.54-56). Möglich sind auch phonologische Besonderheiten, beispielsweise ein bestimmter Akzent. • Verhältnis zum Publikum: Die für Slam Texte konstitutive Appellfunktion wird über Mittel realisiert, die dazu beitragen, den Sprecher als (normales/ durchschnittliches) Individuum erscheinen zu lassen: Über Formen der ersten Person Plural bezieht der Slammer das Publikum in seinen Diskurs mit ein, stellt sich und die Hörer aber dadurch auch als Mitglieder ein und derselben Gruppe dar. Dabei ist es nicht nötig zu präzisieren, welche Gruppe gemeint ist, wichtig ist nur, dass der Sprecher dadurch bei den Zuhörern als “einer von ihnen” gilt. Dies wird beispielsweise deutlich durch Aussagen wie: “Paroles de nos ancêtres […]” (H ARRY , Ibid: 5.34) oder “On est tous des êtres humains […]” (J AMAL , Ibid.: 8.15). Thematische Merkmale • Autobiographisches: In prototypischen Slam Texten werden Situationen und Sachverhalte thematisiert, bei denen ein autobiographischer Bezug zum Slammer naheliegend erscheint. Dieser Eindruck entsteht u.a. aufgrund des alltags- und anekdotenhaften Charakters der meisten Themen (Familie, Freunde, Krisen im Beruf, Arbeitslosigkeit, Gewalt im Alltag), bei denen sich vermuten lässt, dass die Aussagen des Sprechers auf eigenen Erfahrungen basieren, wie es beispielsweise bei H ARRYS Performance der Fall ist. • Autoproklamierte Distanzierung von den Normen: Die Inszenierung der Individualität kann auch durch die autoproklamierte Emanzipation von allen künstlerischen- oder Wirklichkeitszwängen erfolgen. Der Slammer tritt dann wie J E SUIS VENU INCOGNITO als ein Mensch auf, der sich seine eigenen Regeln setzt und nur seinen eigenen Gesetzen gehorcht. Vera Nikolai, Adriana Orjuela und Nikola Schrenk 146 • Nachdenken über die eigene Stellung in der Welt: Die Inszenierung von Individualität liegt auch den Texten zugrunde, in denen es den Slammern wie H ARRY oder J AMAL darum geht, sich in ihrer (sozialen, politischen, menschlichen) Umwelt zu situieren und ihren Zweifeln, Ängsten, Forderungen in diesem Hinblick Ausdruck zu verleihen. 3.3.3 ‘Korporalität’ im Slammer Ethos: Ostentative Demonstration der eigenen Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Normen durch nichtsprachliche Zeichen • Expressiv-emotionale Komponenten: Das Individuum im Sprecher kommt auch über die expressiven Komponenten im Diskurs zum Vorschein. Besonders gut sind diese in den Performances von D AME G ABRIELLE , V ERBAL und Y AS zu beobachten. Über ihre appellative Funktion hinaus verleiht eine gefühlsgeladene Vortragsweise dem Diskurs eine expressiv-emotionale Dimension, wodurch die Abstraktheit der Sprecherinstanz (als Figur der Diskurswelt) aufgehoben wird: Dadurch signalisiert der Sprecher die Übereinstimmung seiner diskursiven Rolle mit seinem empirischen Wesen, und zwar unabhängig davon, ob er als empirisches Wesen nun die Gefühle, denen er als Figur der Diskurswelt Ausdruck verleiht, empfindet oder nicht. Entscheidend ist, dass diese Gefühle ihn zum emotionalen Wesen (und nicht etwa zu einer übergeordneten abstrakten Diskursinstanz) machen. • ‘Coolness’/ Kleidung Zur expliziten Distanzierung von allen dem sozialen Menschen aufgedrängten Normen und Konventionen passt ein allgemein locker-lässiges und ungezwungenes Auftreten des Sprechers. Dies spiegelt sich auch in der, den Regeln entsprechenden, meist unauffällig alltäglichen Kleidung der Slammer wieder. Ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen/ kulturellen Gruppe oder zu einer Berufsklasse und die damit verbundenen Verhaltenskonventionen treten so in den Hintergrund. Durch ihre Haltung geben sie zu erkennen, dass sie nicht in einer dieser sozialen Rollen auftreten, sondern die Slam Bühne als einen Ort verstehen, an dem sich das Individuum nicht verstellen oder hinter Requisiten verstecken muss, einen Ort, an dem Öffentlichkeit und unverstellte Individualität vereinbar sind 11 . • Körpersprache: Zur ungezwungenen Körperhaltung gehört, wie in den Performances von D AME G ABRIELLE und Verbal, auch oftmals eine Gestik, die an diejenige des Rap erinnert. Als Fazit lässt sich festhalten, dass trotz der Vielseitigkeit und Unterschiedlichkeit der untersuchten Slam Performances, allen Künstlern eines gemein ist: Sie legen alle sehr großen Wert darauf, ihre eigene Individualität zu betonen, indem sie bewusst als Individuen auftreten und sich als solche inszenieren. Da dies zu den Regeln des Genres gehört, weil es nötig ist, ein bestimmtes Bild von sich zu erzeugen, um Erfolg zu haben, kann hier von einem Ethos des Slammers gesprochen werden. Es handelt sich um ein Mittel zur Inszenierung seiner selbst als legitime Figur der Diskurswelt (Maingueneau 1999: 80). Daher können wir von einem ‘Ethos der Individualität’ sprechen.