eJournals Kodikas/Code 32/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Von ihrem Beginn an wurden Medientechnologien auch in medizinischen Kontexten eingesetzt. Insbesondere die Röntgentechnologie involvierte filmische Verfahren. Diese Verfahren wurden allerdings nicht nur im innerdisziplinären Kontext eingesetzt, sondern sie dienten auch dem öffentlichen Spektakel. In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts war der 'Röntgenfilm' mit anderen medizinischen Darstellungen ein beliebtes Unterhaltungsgenre. In diesem Sinne können die medizinischen Bilder in zeitgenössischen Fernsehserien wie "CSI" und "ReGenesis" als Fortführung der frühen medizinischen Spektakel begriffen werden. Die visuellen Charakteristika des medizinischen Unterhaltungsfilms haben jedoch rückgewirkt in die wissenschaftliche Bildgestaltung. Viele Bilder innerhalb der Nanomedizin dokumentieren den populären Aspekt dieser Bilder.
2009
321-2

Technische Bilder: Aspekte medizinischer Bildgestaltung

2009
Angela Krewani
Zeichenmaterie und Zeichenträger bei stilistischen Zeichen 81 die feststellbaren möglichen Anwendungen vermutlich nicht auf andere Gründe zurückgehen; eine absolute Sicherheit wird hier jedoch nicht gefordert. Wo die Schwelle für die Annahme liegt, wird sicher bei verschiedenen Stilempfängern und auch bei verschiedenen Stilbetrachtungen desselben Stilempfängers variieren. Je niedriger diese Schwelle gewählt wird, desto spekulativer ist die für den Stil gewonnene Menge von Auswahlregeln (der Zeicheninhalt 1). Bei der Annahme von Auswahlregeln spielt auch eine Rolle, ob sie im zweiten Zeichenprozess zur Entstehung weiterer Zeicheninhalte führen oder nicht (vgl. Abschnitt 2.6). Auswahlregeln, aus denen sich nichts weiteres ergibt, werden im Allgemeinen wohl nur angenommen, wenn sie eindeutig angewandt wurden, während Auswahlregeln, die zur Entstehung weiterer Zeicheninhalte beitragen, auch stärker spekulativ angenommen werden. 4 Fazit Dieser Artikel beabsichtigte zweierlei: Zum einen sollte eine allgemeine Stiltheorie vorgestellt, zum anderen eine spezielle sich daraus ergebende Konsequenz (das Verhältnis von Zeichenträger und Zeichenmaterie) geklärt werden. Die Vorstellung der allgemeinen Stiltheorie in Abschnitt 2 kann nicht mehr als ein Ausblick auf die Darstellung in der Dissertation sein. Das hier in aller Kürze Zusammengefasste wird dort genauer erläutert und hergeleitet. Dort werden zudem Teile der Zeichenprozesse in formaler Darstellung modelliert, was dabei hilft, die genaue Funktionsweise dieser recht komplexen Prozesse nachzuvollziehen. Gerade bei stilistischen Zeichen ist das Verhältnis von Zeichenträger und Zeichenmaterie besonders interessant. Seine spezifische Ausprägung stellt zugleich eines der distinktiven Merkmale stilistischer Zeichen dar, die es rechtfertigen, diese als spezifischen Zeichentyp (und nicht nur Anwendung auch anderswo anzutreffender Zeichentypen in einem bestimmten Bereich) anzusehen. Dies stützt die Hypothese, dass es sich bei Stil um ein explizit semiotisches Phänomen handelt. Gemeint ist damit ein Phänomen, das wesentlich auf Zeichenverwendung beruht und für dessen Abgrenzung Eigenschaften des Zeichens (oder des Zeichenprozesses) herangezogen werden müssen. Beides ist bei Stil der Fall. Daraus ergibt sich, dass die Abgrenzung von Zeichenmaterie und Zeichenträger für eine allgemeine Stiltheorie relevant ist. Das Verhältnis von Zeichenmaterie und Zeichenträger bei stilistischen Zeichen zu klären, ist daher für zwei Forschungsbereiche relevant: Einerseits für die Stiltheorie; andererseits für die Erforschung dieses Verhältnisses insgesamt. Wenn die hier vorgestellten Überlegungen sich als stichhaltig erweisen, ist für dieses Verhältnis auch in anderen Bereichen mit Besonderheiten und relevanten Unterschieden zu rechnen. Häufig wird die Unterscheidung zwischen Zeichenmaterie und Zeichenträger als weniger wichtig eingestuft; im Rahmen von semiotischen Theorien fristet sie oft ein Mauerblümchendasein verglichen mit anderen Unterscheidungen (etwa zwischen Zeichenträger und Zeicheninhalt bzw. Signifikant und Signifikat eines Zeichens, zwischen Ausdruck und Inhalt einer Nachricht oder zwischen Kodierung und Dekodierung einer Nachricht). Dem Verhältnis zwischen Zeichenträger und Zeichenmaterie sollte jedoch genau viel Aufmerksamkeit gewidmet werden. Darüber hinaus kann es in bereichsspezifischen Theorien von Zeichengebrauch eine wichtige Rolle spielen, wie für den Bereich stilistischer Zeichenprozesse gezeigt wurde. Martin Siefkes 82 5 Literatur Abraham, Werner 1971: “Stil, Pragmatik und Abweichungsgrammatik”, in: Arnim von Stechow (ed.): Beiträge zur generativen Grammatik. Referate des 5. Linguistischen Kolloquiums, Regensburg 1970, Braunschweig: Vieweg, 1-13 Albrecht, Jörn 2000: Europäischer Strukturalismus. 2., überarb. Aufl. Tübingen u.a.: Francke Anderegg, Johannes 1977: Literaturwissenschaftliche Stiltheorie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Bia ostocki, Jan 1981: Stil und Ikonographie. Studien zur Kunstwissenschaft, Köln: DuMont Bloch, Bernard 1953: “Linguistic Structure and Linguistic Analyses”, in: Hill, Archibald (ed.): Report of the Fourth Annual Round Table Meeting on Linguistics and Language Teaching, Washington D.C.: Georgetown University Press, 40-44 Doležel, Lubomir 1967: “The Prague School and the Statistical Theory of Poetic Language”, in: Prague Studies in Mathematical Linguistics 2: 97-104 Doležel, Lubomir und Richard W. Bailey (eds.) 1969: Statistics and Style, New York: Elsevier Ellis, Bret Easton 1991: American Psycho, London: Picador Ellis, Bret Easton 1998: Glamorama, London: Picador Enkvist, Nils E. 1973: Linguistic Stylistics, Den Haag u.a.: Mouton Halliday, Michael H.K. 1985: An Introduction to Functional Grammar, London: Arnold Nischik, Reingard M. 1991: Mentalstilistik. Ein Beitrag zu Stiltheorie und Narrativik, dargestellt am Erzählwerk Margaret Atwoods, Tübingen: Narr. Zugl.: Köln, Univ., Habil. Plett, Heinrich F. 2000: Systematische Rhetorik. Konzepte und Analysen, München: Fink Posner, Roland 1972: “Strukturalismus in der Gedichtinterpretation: Textdeskription und Rezeptionsanalyse am Beispiel von Baudelaires ‘Les Chats’”, in: Heinz Blumensath (ed.), Strukturalismus in der Literaturwissenschaft, Köln: Kieperheuer & Witsch Posner, Roland 1980: “Linguistische Poetik”, in: Althaus, H.P., H. Henne und H.E. Wiegand (eds.): Lexikon der Germanistischen Linguistik, Tübingen: Niemeyer Riffaterre, Michael 1973: Strukturale Stilistik, München: List Seidler, Herbert 1963: Allgemeine Stilistik. 2., neubearb. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Semino, Elena und Jonathan Culpeper (eds.) (2002): Cognitive Stylistics: Language and Cognition in Text Analysis, Amsterdam u.a.: John Benjamins Spillner, Bernd 1974: Linguistik und Literaturwissenschaft. Stilforschung, Rhetorik, Textlinguistik, Stuttgart u.a.: Kohlhammer Anmerkungen 1 Posner 1980: 688f. 2 Als Beispiele seien genannt: Seidler 1963, Anderegg 1977, Bia ostocki 1981, Nischik 1999, Plett 2000 und Semino u.a. 2002. 3 Dies ist das Projekt meiner Dissertation, deren Erscheinen für 2010 geplant ist. Die hier gegebene Vorschau auf die Theorie stellt die Funktionsweise vereinfacht dar und verzichtet auf Herleitungen. 4 Genauer wäre “Überholsituation”, da die Frage, ob tatsächlich überholt wird oder nicht, bereits vom Fahrstil abhängt. 5 Bei dem Konzept “Alternativenklasse” handelt es sich um eine Verallgemeinerung des strukturalistischen Konzepts “Paradigma”. Paradigmen sind Alternativenklassen, die Zeichen als Elemente enthalten. (Vgl. für eine kurze Einführung in die Saussuresche Dichotomie “Syntagma - Paradigma” Albrecht 2000: 50ff.) 6 Bei dem Konzept “Realisierung” handelt es sich um eine Verallgemeinerung des strukturalistischen Konzepts “Syntagma”. Syntagmen sind Realisierungen, die auf der Basis von Zeichensystemen entstehen. (Vgl. auch letzte Anmerkung.) 7 Zu den Kontextbedingungen gehören etwa Wetter beim Autofahren oder Lage des Grundstücks und Klimabedingungen beim Bau eines Hauses; bei Artefakten kommen zusätzlich funktionale Bedingungen, bei Texten inhaltliche Bedingungen hinzu. 8 Vgl. Abschnitt 2.2, Schritt 3. 9 Vgl. Abschnitt 2.2, Schritt 4. Zeichenmaterie und Zeichenträger bei stilistischen Zeichen 83 10 Vgl. Posner 1972. 11 Auch dann wäre es eine präzisere Beschreibung des Stils, dies auch anzugeben und eine zweite Auswahlregel anzunehmen, die spezifiziert, dass alle Fahrsituationen außer Überholen “durchschnittlich”, “normal” oder evt. auch “immer anders” ausgeführt werden (denn es ist nicht eindeutig, was davon für Bereiche, die in einer angemessenen Stilbeschreibung nicht genannt werden, zutrifft). In diesem Fall hätte man eine informationsreichere Stilbeschreibung und könnte z.B. Schlüsse aus dem Gegensatz zwischen der Art, wie überholt wird, und den Ausführungsweisen der anderen Fahrmanöver ziehen. Obwohl die Annahme von “stilistisch unauffälligen” Bereichen der Realisierung also streng genommen problematisch ist, kann nicht verlangt werden, dass angemessene Stilbeschreibungen über alle Bereiche der Realisierung eine Aussage machen; die nicht einbezogenen Bereiche müssen daher stilistisch unauffällig sein. 12 Auswahlregeln sind die einheitliche Formulierung für Regelmäßigkeiten der Auswahl aus Varianten, die bei Schemaanwendung (aufgrund der Unterdeterminierung der Realisierung durch das Schema) gegeben sind. 13 AP = Ellis 1991, G = Ellis 1998 (es werden ein bis zwei Belegstellen genannt). B = Auswahlregel, U = Anwendungsvoraussetzungen, V = verlangte Eigenschaften, M = Zeicheninhalt im zweiten Zeichenprozess, R = Relation. 14 “Ich glaube, ich bin sehr moralisch. Es liegt eine Art von Moral in meinem Schreibstil, in diesem nicht urteilenden Ton.” http: / / www.zeit.de/ 1999/ 32/ 199932.b.e.ellis_.xml? page=2 [1.2.09]. 15 Die Angabe bestimmter auszudrückender Inhalte in den Anwendungsvoraussetzungen (z.B. “Folterszenen”) ist keine Einbeziehung des Inhalts, sondern gehört zu den notwendigen Voraussetzungen der Beschreibung des Stils, ähnlich wie z.B. “Atelierfenster” in den Anwendungsvoraussetzungen bei einem Architekturstil genannt sein könnte. Natürlich kann man aus der Tatsache, dass diese Auswahlregeln im Stilträger kodiert sind, entnehmen, dass es mindestens eine Foltersezene bzw. ein Atelier geben muss. Solche Rückschlüsse auf den Inhalt eines Texts bzw. auf die Funktion eines Hauses, also auf nicht-stilistische Aspekte, können häufig aus den Auswahlregeln entstehen. 16 In Ausnahmefällen kann es vorkommen, dass nur der erste Zeichenprozess auftritt und aus den extrahierten Auswahlregeln dann keine weiteren Zeicheninhalte mehr abgeleitet werden. Dies dürfte jedoch die Ausnahme sein, zudem sind solche Stile nicht besonders interessant, da der sich ergebende stilistische Gesamtinhalt zwangsläufig eher simpel ist. 17 Posner 1980: 688. 18 Auch beim Lesen eines gedruckten Texts kann erst endgültig entschieden werden, ob eine Schwärzung ein Buchstabe oder anderes Zeichen oder nur ein Fleck ist, indem der Text (zumindest bis zur Ebene der einzelnen Zeichen) dekodiert wird. Es kann aber eine provisorische Trennung von Zeichenmaterie und Zeichenträger nach mechanischen Kriterien (Helligkeitsabstrahlung des Papiers) durchgeführt werden, bevor die Dekodierung beginnt. 19 Abraham 1971; Enkvist 1973: 36ff.; vgl. auch Spillner 1974: 19f. 20 Riffaterre 1973; die für die Kontraststilistik relevanten Kontextfaktoren können auch mit dem Ansatz von Halliday untersucht werden (Halliday 1985). 21 Doležel 1967 und Doležel u.a. 1969; Bloch 1953; vgl. auch Enkvist 1973: 127-144. Technische Bilder: Aspekte medizinischer Bildgestaltung Angela Krewani From their inception on technologies of the visual media have been applied in medical contexts. Especially the x-ray technology adapted filmic representation. These filmic images exceeded the discipline towards their public screenings in the form of a spectacle. In the early twentieth century the x-ray films offered a well-known form of entertainment. Following on this the contemporary medical images in television shows such as CSI or ReGenesis can be considered as continuations of the earlier spectacular images. But the crossover effects work into two directions insofar as the public medical images have influenced scientific imaging as some examples from nanotechnology clearly display. Von ihrem Beginn an wurden Medientechnologien auch in medizinischen Kontexten eingesetzt. Insbesondere die Röntgentechnologie involvierte filmische Verfahren. Diese Verfahren wurden allerdings nicht nur im innerdisziplinären Kontext eingesetzt, sondern sie dienten auch dem öffentlichen Spektakel. In den ersten Dekaden des 20.Jahrhunderts war der ‘Röntgenfilm’ mit anderen medizinischen Darstellungen ein beliebtes Unterhaltungsgenre. In diesem Sinne können die medizinischen Bilder in zeitgenössischen Fernsehserien wie CSI und ReGenesis als Fortführung der frühen medizinischen Spektakel begriffen werden. Die visuellen Charakteristika des medizinischen Unterhaltungsfilms haben jedoch rückgewirkt in die wissenschaftliche Bildgestaltung. Viele Bilder innerhalb der Nanomedizin dokumentieren den populären Aspekt dieser Bilder. 1 Einleitung Die zeitgenössischen Naturwissenschaften und die Medizin zeichnen sich durch ihre fortschreitende Medialisierung aus, d.h. bildgebende Verfahren scheinen die Präsenz des Forschungsobjekts zu ersetzen. Ausgehend von der Verbindung von Film und Röntgenologie wird ein Überblick über die fortschreitende Visualisierung und Technisierung medizinischer Bilder angeboten. Angesichts digitaler Massenmedien wird im Zuge der Visualisierung die Trennung zwischen interner Wissenschaftskommunikation und öffentlichem Spektakel aufgehoben. Wissenschaftliche Bilder in zeitgenössischen Fernsehserien erhöhen deren Spektakelwert. Gleichzeitig dokumentiert die Anwendung und Einbindung wissenschaftlicher Bilder die Stellung einer Wissenschaftsdisziplin im Wissenschaftsbetrieb. Deutlich wird das am Beispiel der Nanotechnologie vorgeführt. Während sich das Fach Medienwissenschaft lange auf die audiovisuellen Massenmedien Film und Fernsehen beschränkte, hat es in den letzten Dekaden eine Öffnung hin zu einem breiteren Medienbegriff erfahren, der vor allem die Medialität historischer und aktueller K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 32 (2009) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Angela Krewani 86 Wahrnehmung in den Vordergrund schiebt. Im Zuge der Öffnung des Fachs sind verstärkt die medialen Aspekte zeitgenössischer Naturwissenschaften und vor allem der Medizin in den analytischen Fokus gerückt. Seit jeher haben die Naturwissenschaften in Form von Zeichnungen, Tabellen, Diagrammen ihr Wissen visuell dargestellt. Selbstverständlich handelt es sich hierbei um semiotische Systeme und nicht authentische Wiedergaben des Forschungsobjekts (Galison 1997). Die zeitgenössische Wissenschaftsforschung weiß um die Konstruiertheit und die Objektferne des Bildes, das gerne als Produkt technischer, kultureller und sozialer Diskurse verstanden wird (Lynch 2006). In den folgenden Ausführungen wird das naturwissenschaftliche Bild nicht nur als kulturelles oder soziales Produkt begriffen, sondern die angeführten Überlegungen zielen darauf ab, die technischen und kulturellen Vorbedingungen wissenschaftlicher Bildgestaltung mit in die Reflektion einzubinden. Im Rahmen der Wissenschaftsgeschichte und ihrer Visualisierungsverfahren stellten die Verbreitung von Fotografie und Film aufgrund ihrer gesteigerten Dokumentationskompetenz einen erheblichen Einschnitt dar. Die Bedeutung der technischen Medien für die Wissenschaft wurde umgehend verstanden. Insbesondere der Film, seine technischen Bedingungen und die Komplexität seiner Montage garantierten neue Formen der Wissenskonstitution, verlangten zudem aber die Fähigkeit zum Verständnis filmspezifischer Technologien. Am Medium Film tritt aufgrund seiner technischen Gegebenheiten seine Wahrnehmung strukturierende Kompetenz besonders deutlich in Erscheinung. Der innerhalb der Filmtheorie entwickelte Begriff des Dispositivs beschreibt die technische Wahrnehmungsanordnung des Mediums (Baudry 1986). Im Kontext naturwissenschaftlicher Bildgestaltung reicht demnach keine formale oder ästhetische Analyse der vorliegenden Bilder, sondern die technischen Bedingungen der Bildkonstruktion müssen ebenfalls in Betracht gezogen werden. Damit sind im Rahmen der langen Geschichte der wissenschaftlichen Bildgestaltung drei markante Einschnitte zu verzeichnen: 1. Die Einführung der Fotografie, die eine neuartige, technisch-apparative Bildgestaltung darstellt, 2. die Einführung des Films, der als erstes Medium Bewegung zu reproduzieren und aufzuzeichnen in der Lage ist, 3. die zeitgenössische Digitalisierung von Bildern und Daten, die ein völlig neuartiges Verhältnis von Darstellung und Objekt initialisierte. Für das digitale Bild wird nicht mehr zwingend ein äußeres Objekt gebraucht: Bildgestaltung ist demnach schon Interpretation visueller Konventionen, wie William Mitchell betont (Mitchell 1995: 163). Im Gegensatz zur analogen Fotografie, die eines externen Objektes bedarf, ist die digitale Bildgestaltung in der Lage, jeglichen Datensatz in ein Bild zu verwandeln. Angesichts der divergierenden Verfahren muss davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche Technologien der wissenschaftlichen Bildgestaltung zugrunde liegen, die sich in jeweils verschiedenen Formen in das Bild einschreiben. Die sich anschließende Frage zielt auf die inneren Dynamiken von Wissenschaftsdisziplinen und deren visuelle Manifestationen. Im Folgenden werden eine Reihe von Bildgebungsverfahren vorgeführt, um daran exemplarisch zu demonstrieren, welche technischen Dispositive jeweils hinter ihnen stehen. Meine These in diesem Kontext zielt darauf ab, dass die jeweiligen technischen Verfahren der Bildgestaltung auch die Dynamiken beeinflussen, die die Bilder vom wissenschaftlichen in den öffentlichen Diskurs überwechseln lassen und deren Semantiken umschreiben. Im Technische Bilder 87 öffentlichen Diskurs werden Bilder aus Medizin- und Naturwissenschaften als Unterhaltung, ich bezeichne das als Spektakel, eingesetzt. Meine Beispiele sind in historischer Reihenfolge 1. der Röntgenfilm 2. Darstellungen in Fernsehserien 3. Bilder der Nano-Medizin. 2 Die Röntgentechnologie Wie bereits erwähnt, haben technische Bildmedien von ihren Anfängen an das Interesse der Naturwissenschaften auf sich gezogen, sie wurden umgehend in die jeweiligen Forschungsprozesse integriert. Robert Koch zum Beispiel hat sehr intensiv mikroskopische Arbeiten mit der Fotografie verbunden und auch der Film wurde direkt ins Repertoire der bildgebenden Verfahren eingebunden. Schon die Nachrufe auf den Filmpionier Charles Lumière betonten die besondere Bedeutung des Films für die Wissenschaft, Lisa Cartwright zufolge galt das neue Medium in erster Linie als dokumentierendes Werkzeug für wissenschaftliche Darstellungen. Die fiktionalen Dimensionen wurden anscheinend erst später in Betracht gezogen (Cartwright 1995: 1 ff.). Evelyn Fox Keller weist im Rahmen der Geschichte der Mikrobiologie darauf hin, dass durch den Film zum ersten Mal in der Geschichte der Wissenschaft das Leben selbst abgebildet werden konnte (Keller 2002: 218). Der amerikanische Filmtheoretiker Scott Curtis verfolgt den Aspekt der Beweglichkeit der Bilder und vermutet in den durch die Montage hergestellten Zeitrafferbzw. Zeitdehnungsstrukturen des Films dessen zentrale Qualitäten. Erst durch den Film können, wie Curtis anmerkt, Vorgänge wie Molekularbewegungen sichtbar gemacht werden (Curtis 2005). Der Mikrobiologe Jean Comandon, der die Verteilung und die Bewegungen von Syphilis- Bakterien dokumentierte, gewann die Unterstützung der französischen Filmfirma Pathé Frères und eröffnete 1907 ein Labor für Mikrokinematographie. Auch Jean Comandon betrachtete die Filmkamera - wie vorher schon das Mikroskop - als Instrument der Wahrnehmungserweiterung. Interessanterweise gebraucht er, ähnlich wie in den 1920er Jahre der russische Experimentalfilmer Dziga Vertov, die Metapher des erweiterten Auges bzw. des aufgerüsteten Körpers zur Beschreibung einer Medientechnologie. Microcinematography alone is capable of conserving the traces of phenomena occurring in the preparation. Like the retina of an eye which never tires, the film follows, over a prolonged period, all the changes which occur, even better, the cinematograph is, like the microscope itself, an instrument of research, while the one concerns visual space, the other concerns time, in condensing or spreading out movements by accelerating or slowing them; it reduces their speed to a scale that is more easily perceptible, which, indeed, reveals to us that which we had never suspected (Comandon, zit. n. Landecker 2005: 125). Neben der ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Anwendung jedoch wurde bereits der Röntgenfilm als Spektakel im öffentlichen Raum eingesetzt. Filmhistoriker bestätigen, dass es in der Geschichte des frühen Films keine Trennung hinsichtlich filmischer Genres gab: Sowohl Spielfilme, als auch Dokumentarfilme oder eben vorgeblich wissenschaftliche Filme wurden unterschiedslos dem öffentlichen Vergnügen dargeboten (Gunning 1990). Öffentliche Wirksamkeit ist indes auch anzutreffen in den Röntgenfilmen des Chemikers und Dokumentarfilmers Martin Rikli, der zwischen 1936 und 1937 unter dem Titel Röntgen Angela Krewani 88 Abb. 1: Screenshot aus Fantastic Voyage strahlen vier Filme vorlegte, die zur Erbauung des Publikums die Wirkung von Röntgenstrahlen vorführten. Ermöglicht wurden die Filme durch die Kooperation mit dem Röntgenmediziner Robert Janker, der an der Universitätsklinik Bonn ein Verfahren entwickelt hatte, kinematographische Röntgenfilme herzustellen (Hoffmann 2002). Die Nähe des Films zum Spektakel entwickelt sich langsam. Erst einmal beginnt Röntgenstrahlen I wie ein gewöhnlicher Lehrfilm mit den Fakten um die Entdeckung der Strahlen. Etwa in der Mitte des Films wird der sachliche Ton verlassen und sie beginnen, eine “Gratwanderung zwischen Sensation und Skurrilität” (Hoffmann 2002: 421) darzustellen. Etwa wenn Mäuse in einem Laufrad gezeigt werden, eine Katze beim Fressen oder Hühner beim Eierlegen. Ebenfalls sieht man Frauenhände beim Stricken oder Häkeln. 3 Filmbeispiele Schon hier lässt sich feststellen, dass das einst als ‘wissenschaftlich’ intendierte Verfahren schnell im Sinne öffentlichkeitswirksamer Unterhaltung umgesetzt wurde. Allerdings kann, Kay Hoffmann zufolge, noch eine Unterscheidung zwischen Bildern, die für den internen Forschungsprozess bestimmt waren, und denjenigen, spektakulären für die Öffentlichkeit festgestellt werden (Hoffmann 2002: 421). Ebenso spektakulär wie die Röntgentechnologie wurde die seit den 1960er Jahren entwikkelte Endoskopie aufgenommen: Eine Kamera wird am Ende eines Katheders in den Körper eingeführt und vermittelt so den Blick in das Körperinnere. Inzwischen ist die Endoskopie eine vor allem in der Medizin weit verbreitete Methode der Sichtbarmachung. In fiktionaler wie in science fiction-Hinsicht ist diese Fantasie gleichzeitig mit den ersten Anfängen der Endoskopie im Jahr 1966 mit dem Film Fantastic Voyage thematisiert. Eine Gruppe von Forschern bereist das Innere eines Körpers auf der Suche nach einem Gehirntumor, den es zu zerstören gilt. Interessanterweise finden wir hier schon - wie später in der Nanotechnologie - eine Gleichsetzung von Innen- und Außenräumen, bzw. die Innenwelten des Körpers werden zum ‘outer space’ der Raumfahrtfiktionen: “Man is in the center of the universe. We stand in the middle of infinity to outer and inner space and there is no limit either.” 1 Allerdings liegen zwischen Röntgentechnik und Endoskopie nicht nur einige Jahrzehnte medizinischer Entwicklung, sondern die medialen Implikationen beider Technologien differieren sehr stark. Grundlage des klassischen Röntgenfilms ist die traditionelle Kinematographie, wie sie Baudry in seinen Überlegungen zum Dispositiv charakterisiert. Das filmische Geschehen ergibt sich durch die Projektion auf eine weiße Leinwand, die Zuschauer sind fest eingebunden im Kinoraum, mit Blickrichtung auf eben diese Leinwand. Für den naturwissenschaftlichen und medizinischen Kontext ergibt sich aus diesem Dispositiv eine Anordnung, die eine Reihe von Distanzen herstellt: Der durchleuchtete Körper ist - im klassischen Röntgenfilm - nur noch als Repräsentation, d.h.