eJournals Kodikas/Code 40/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2017
401-2

Neue Medien – neue Identität?

2017
Amelie Zimmermann
K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Neue Medien - neue Identität? Selbstreflexivität in der transmedialen Fernsehsendung About: Kate Amelie Zimmermann (Passau) This paper discusses the reflexive structures in the transmedial project About: Kate which consists of a TV-series and a number of paratexts communicated via a second screen app, a website and the social network Facebook. The project traces the story of the series ’ protagonist Kate and her recovery from a mental disorder. Being part of a hypermediated society severely disturbs and challenges her and induces a massive identity crisis. As she recovers in a psychiatric hospital, she discovers that identity is highly connected to perception, signs and signifying structures and that media are fundamentally involved in creating identity. Thus, the series suggests that using different types of media in a playful but self-conscious way can have a positive impact - not only on the protagonist but also on the recipient. This is communicated through the transmedial logic of the project on a thematical level - the histoire level - as well as the discourse level in each paratext. 1 Selbstbezüglichkeit in transmedialen Konstrukten Dieser Beitrag thematisiert Selbstreflexivität in transmedialen Konstrukten am Beispiel der deutsch-französischen Fernsehserie About: Kate (cf. Nandzik 2013). Die Serie reflektiert sowohl auf thematisch-inhaltlicher Ebene, der Histoire, als auch auf Vermittlungsebene, dem Discours, den Einfluss von Medien auf die Konstruktion von Identität in unserer medialisierten Welt. Dies geschieht nicht nur durch den audio-visuellen Kerntext, die TV- Serie, sondern paradigmatisch plurimedial: Neben der Serie bilden eine speziell für die Serie entwickelte App, Facebook-Profile sowie eine Webseite mit verschiedenen Funktionen das transmediale Konstrukt. Bevor näher auf das konkrete Beispiel About: Kate eingegangen wird, stehen Konzepte des Selbstbezugs und deren Anwendung auf intendierte Medienverbunde im Vordergrund. 1 1 Dieser Beitrag konzentriert sich auf Selbstbezüglichkeit in About: Kate. Eine ausführliche Diskussion über transmediale Konstrukte, transmedia Storytelling und die einende Hyperdiegese im Beispiel About: Kate findet sich in cf. Zimmermann 2015. Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [140] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Selbstreferenz 2 , Selbst- oder ästhetische Reflexivität 3 , Metafiktion 4 , Selbstbezüglichkeit 5 , Metaisierung 6 , Potenzierung 7 etc. - die Begriffe für mediale Phänomene, die sich im weitesten Sinne mit sich selbst, mit ihrer Textualität und Medialität beschäftigen, sind vielfältig. Ebenso, wie sich die Benennungen unterscheiden, divergieren auch die dahinter liegenden Konzepte. Dieser Beitrag kann es nicht leisten, die verschiedenen Konzepte zu skizzieren und ihre Unterschiede heraus zu arbeiten; ebenso wenig ist das Ziel dieses Beitrags, eine allgemeingültige Definition des Phänomens des Selbstbezugs zu erarbeiten. 8 Indes ist es zielführend, einen weitläufigen Begriff der Selbstbezüglichkeit zugrunde zu legen, der es ermöglicht, die verschiedenen Formen der Selbstthematisierung im untersuchten Gegenstand zu inkludieren, um so die vermittelte Bedeutung des medialen Texts About: Kate rekonstruieren zu können. Dementsprechend wird Selbstreflexion hier verstanden als “ eine Tätigkeit, die sich [ … ] wahlweise als ‘ Sich-Selbst-Spiegeln ’ oder als ‘ Sich- Selbst-Betrachten ’ spezifizieren läßt ” (cf. Scheffel 1997: 47). 9 Der Fokus soll hier also nicht darauf liegen, die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der verschiedenen Theorien zu medialer, textueller und zeichenhafter Selbstbezüglichkeit einander gegenüberzustellen und synthetisch zu einer möglichen Konzeptuierung zusammenzuführen. Vielmehr zeigt dieser Beitrag auf, wie Selbstreflexivität/ Selbstreflexion/ Selbstreferenzialität in transmedialen Konstrukten genutzt werden kann, um damit den Umgang mit Medien in einer medialisierten Gesellschaft durch Identitäts(re-)konstruktion möglich zu machen und sinnvoll zu gestalten. Der Fokus liegt damit klar auf der Funktionalisierung von Selbstreflexion. Kirchmann löst die Frage danach, ob “ jeder Film, der als Setting ein Filmstudio wählt, schon zu Recht als selbstreflexiv einzustufen ist ” (cf. Kirchmann 1996: 72) damit, dass er verstärkt nach der “ Intention ” des Selbstverweisens fragt. 10 Daraus resultiert für ihn eine theoretische Abgrenzung der Selbstreferenzialität (das “ Selbstbezügliche ” , cf. Kirchmann 1996: 74, Hervorhebung im Original) als “ spezifische Form ” der Selbstreflexivität (der “ ästhetischen Selbstbespiegelung ” , cf. Kirchmann 1996: 74, Hervorhebung im Original). Selbstreferenzialität versteht Kirchmann als ein eng mit der Moderne verknüpftes Phänomen, das den Begriff des Subjekts und die erkenntnistheoretische Aneignung der das Subjekt umgebenden Welt miteinander verbindet. Ohne die gewählten Begrifflichkeiten mit diesen Definition übernehmen zu wollen, ist es doch fruchtbar, Kirchmanns Verweis auf den Zusammenhang des Phänomens mit dem ideengeschichtlichen Diskurs zur 2 Diese Begrifflichkeit zieht Werner Wolf vor (cf. Wolf 2001). 3 Von Selbstreflexivität spricht beispielsweise Michael Scheffel (cf. Wolf 2001 vorgelegt worden. 4 Beispielsweise cf. Nünning 1995. 5 Diese Begriffsverwendung findet sich in der Forschung häufig genannt mit anderen Bezeichnungen, beispielsweise cf. Nöth 2006 oder cf. Hettich 2014. 6 Cf. Hauthal et al. 2007 b. 7 Cf. Fricke 2003. 8 Die beachtenswertesten Arbeiten mit der Zielsetzung einer umfassenden Beschreibung bzw. Typisierung selbstbezüglichen Erzählens sind vermutlich von Scheffel 1997 und Wolf 2001 vorgelegt worden. 9 Scheffel unterscheidet Selbstreflexion und Selbtsreflexivität, wobei erstere Bezeichnung den prozessualen Charakter des Phänomens hervorhebe (cf. Scheffel 1997: 47). Die beiden Begriffe werden hier jedoch synonym verwendet. 10 Kallweit löst die Frage insofern auf, als dass “ aus dem Film ableitbar sein [muss], welche Merkmale dem jeweiligen Medium innerhalb des Films zugewiesen werden ” (cf. Kallweit 1999: 213). Neue Medien - neue Identität? 141 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [141] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Selbstbestimmung und Weltaneignung für die Analyse selbstbezüglicher Konstrukte zu beachten. Insbesondere gilt dies im Zusammenhang mit der Identitätsproblematik in About: Kate. Transmediale Konstrukte, wie sie in dieser Arbeit verstanden werden, sind intentional plurimedial - sie bestehen bewusst aus (1) mehreren Kommunikaten und (2) mehreren beteiligten Medien. Die Rezeption der einzelnen Teile ist in bestimmter Weise (synchron und/ oder diachron) angelegt. 11 Schließlich beziehen sich alle Teile eines transmedialen Konstrukts auf eine gleiche (wenn auch nicht dieselbe) dargestellte Welt; Ryan verwendet hierfür den Begriff “ Storyworld ” (cf. Ryan 2013: 90), Evans und Hills “ Hyperdiegese ” (cf. Evans 2011; cf. Hills 2002) während Decker mit Rückgriff auf Genettes Begrifflichkeit von einer “ Hypodiegese ” (cf. Decker 2016: 157) spricht. Gemeinsame Welt meint, dass gleiche geografische Faktoren, historische Bezüge, Figuren, Regeln, Werte, Normen und Konflikte in den einzelnen Texten auftauchen und so intertextuelle Referenzbeziehungen zwischen den Texten eines transmedialen Projekts etabliert werden. Transmediale Konstrukte zeichnen sich durch mehrere Kommunikate aus, die über unterschiedliche Medien durch gemeinsame kanonische Elemente verbunden werden. In einem solchen Textverbund ist Selbstreflexivität auf mehreren Ebenen möglich: Auf Zeichenebene, auf Ebene des einzelnen Medienprodukts und auf Ebene des gesamten Konstrukts. Abb. 1: Ebenen der Selbstreflexivität im transmedialen Konstrukt (eigene Darstellung). 11 Selbstverständlich kann hierbei auch eine lose Verweisstruktur vorliegen, die keine zwingende Rezeption des Teils notwendig macht; dies ist häufig in Alternate Reality Games (ARGs) der Fall. 142 Amelie Zimmermann (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [142] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Selbstreflexivität auf Konstruktebene setzt eine Selbstreferenzialität auf Zeichenebene und der einzelnen Textebene voraus. Transmediale Konstrukte thematisieren also nicht nur ihren Aufbau als Medien- und Textverbund, sondern immer auch ihre mediale Gemachtheit als Text aus einzelnen, zusammengefügten Zeichen. Auf Konstruktebene wird durch Reflexion der unterschiedlichen, am Konstrukt teilhabenden Medien gleichzeitig auf einer Metaebene die Allgegenwärtigkeit von Medien und deren Interdependenz thematisiert. Transmediale Konstrukte führen so vor, wie es das Beispiel About: Kate zeigen wird, dass medialer Konsum in verschiedene Bereiche des Lebens vordringt. Ihrem Einfluss kann sich das Individuum als Teil der Gesellschaft und Mediennutzerinnen und Mediennutzer nicht entziehen. Selbstbezüglichkeit in transmedialen Konstrukten meint auch, dass sich die gemeinsame Diegese nicht nur zwischen den einzelnen Medienprodukten ausbreitet, die Texte also auf eine gemeinsame Hyperdiegese referenzieren. Gleichzeitig thematisieren selbstbezügliche transmediale Konstrukte häufig auch die Grenze, welche die Diegese von der textexternen Welt trennt. Diese “ bewegliche, aber heilige Grenze zwischen zwei Welten: zwischen der, in der man erzählt, und der, von der erzählt wird ” (cf. Genette 1998: 168 f.) wird häufig betont, etwa dadurch, dass fiktive Elemente, die eigentlich innerhalb der Diegese anzusiedeln sind, auch textextern zu finden sind. Dabei kann es sich um Objekte handeln, oder auch um Figuren - wie es das Beispiel About: Kate mit den aktiven Figuren im Online-Netzwerk Facebook zeigt (cf. Kapitel 2.2.3). Deutlich wird dies auch durch narrative Metalepsen, die Erzählebenen eines Textes logikwidrig miteinander verknüpfen (cf. Genette 1998). Metalepsen können nicht nur innerhalb eines Textes zu finden sein, sondern auch die Grenze des Textes nach außen thematisieren. Dies ist unter anderem der Fall, wenn Figuren Kontakt zum Publikum aufnehmen und so - durch die Thematisierung ihrer Selbst als fiktive Figuren - ihren Konstruktcharakter hervorheben. Das Aufzeigen der Grenze ist ein Thematisieren der medialen Erzählmöglichkeiten und damit ein Hinterfragen geltender Realitätskonstrukte und Sinnetablierungen. Für das selbstbezügliche, transmediale Konstrukt About: Kate kann Genettes Kommentar gelten: Das Verwirrendste an der Metalepse liegt sicherlich in dieser inakzeptablen und doch so schwer abweisbaren Hypothese, wonach das Extradiegetische vielleicht immer schon diegetisch ist und der Erzähler und seine narrativen Adressaten, d. h. Sie und ich, vielleicht auch noch zu irgendeiner Erzählung gehören. (Genette 1998: 153) Auch wenn sich Genette auf (literarische) Einzeltexte bezieht, so ist seine Aussage auf plurimediale Konstrukte übertragbar, die - wie About: Kate - metaleptische Strukturen als Prinzip nutzen, um die medialisierte Gesellschaft und die Abhängigkeit der individuellen Identität auch narrativ zu thematisieren. 2 About: Kate als Beispiel für transmediale Konstrukte Das transmediale Projekt About: Kate nutzt verschiedene Medien, um den Identitätsfindungsprozess der Endzwanzigerin Kate Harff zu erzählen. Eine Fernsehserie, eine umfassende Homepage im World Wide Web, eine App für das Smartphone und schließlich Neue Medien - neue Identität? 143 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [143] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL die Präsenz der Figuren im sozialen Netzwerk Facebook formen das von Janna Nandzik erdachte und von der Ulmen Television GmbH in Zusammenarbeit mit der Digitalagentur Netzbewegung produzierte Konstrukt. Die 14-teilige Serie wurde eigens von ARTE in Auftrag gegeben und lief dort von April bis Juli 2013. Die kommunizierte Botschaft: Eine Aufforderung zum Spiel mit Wahrnehmung. Die Serie vermittelt sowohl durch die Histoire als auch über den Discours, dass Fiktionalität und Faktualität nichtunterscheidbare Größen sind und dass das Konzept der Person, das Formieren einer eigenen Identität, untrennbar mit Selbst- und Fremdwahrnehmung und einer bewussten spielerischen Inszenierung des Selbst medial und unmittelbar einhergeht. Zeicheninterpretation, Verweise, Bedeutungen, Bezeichnen und Wiederbezeichnen sind fundamentale Paradigmen des Projekts, die auf der Histoire-Ebene etabliert und gleichzeitig auf der Discours-Ebene gespiegelt und reflektiert werden. Das Konstrukt aus mehreren Kommunikaten verfolgt verschiedene Strategien zur Vermittlung dieser nicht nur für die Hauptfigur Kate geltenden, sondern ebenso auf das Publikum zu übertragenden medialen Rezeptionsanleitung zur Formierung der Person in der heutigen Mediengesellschaft: (1) Zum einen, indem die Themensetzung inhaltlich am Selbstfindungsprozess der Protagonistin beispielhaft vorgeführt wird. (2) Zusätzlich breitet sich die Diegese, die primär über den Kerntext, die Fernsehserie, vermittelt wird, durch die anderen medialen Kommunikate als Hyperdiegese aus. So wird die Allgegenwärtigkeit der Medien und damit der partielle Ursprung für Kates Selbstverlust auf den Rezipienten übertragen, da auch er auf allen Endgeräten und verschiedenen (Medien-)Plattformen mit dem Konstrukt konfrontiert wird. (3) Dieser Effekt wird noch verstärkt, indem der Rezipient direkt angesprochen und vor allem über die Medien App und Webseite die Rolle eines Prosumenten einnehmen kann. (4) Alle drei Stufen der Reflexivität in transmedialen Konstrukten sind erfüllt: Zeichen und deren Referenzcharakter werden auf Discours- und Histoire-Ebene thematisiert und Signifikanten mit Sinifikaten neu verknüpft. Intertextualitätsphänomene werden durch Zitation, Modifikation und Erweiterung anderer, im deutsch-französischen Kulturraum bekannter Kommunikate integriert. Auch über die narrative Struktur des Konstrukts findet durch Aufzeigen der Grenzen einzelner Erzählebenen und ihr partielles Überschreiten eine mediale Selbstreflexion statt. Die funktionalisierte Selbstreflexivität des Textes ist mithin eine der Textstrategien, die im Zusammenhang mit den anderen zu sehen ist, um die Tiefenstruktur des Gesamtkonstrukts nachzeichnen zu können. 2.1 Selbstverlust und Selbstfindung Die Serie About: Kate spielt in Berlin und erzählt die Geschichte von Katherine Sophie Harff. Kate ist 29 Jahre alt, als sie sich in der Nacht vom 31. 12. 2011 in eine Nervenklinik (primärer Raum der Erzählung) einweist, um ihren Vorsatz für das neue Jahr in die Tat umzusetzen: Kate will überleben. Ihre schlechte psychische Verfassung, so erklärt es die Serie im Verlauf der Erzählung, geht zum einen auf einen Autounfall zurück, den sie verschuldet hat und bei dem ihr Bruder, eine der wenigen Figuren, die bedingungslos positiv von Kate bewertet werden, verletzt wurde. Ebenso belastet sie noch immer dieTrennung von ihrem Ex-Freund. Und schließlich empfindet sich Kate als verloren im Umgang mit Medien. Sie hat auch in der Psychiatrie ihr Smartphone und ihren Laptop in ständiger Benutzung und reflektiert 144 Amelie Zimmermann (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [144] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL darüber, was die mediale Darstellung ihrer selbst, die sie partiell selber beeinflussen kann, mit der Person zu tun hat, die sie tatsächlich ist. Kates Heilungsprozess umfasst ein Jahr erzählte Zeit. Mit dem Selbstmord ihres “ Frenemys ” Anne wird die Auferstehung Kates an Silvester 2012/ 13 gleichgesetzt. Das ist konsequent in Bezug auf den Serienbeginn, wo der Selbstverlust Kates bereits mit dem Verwirrspiel zwischen ihr und Anne Vogel korreliert wird. Der “ Frenemy ” , wie Anne von Kate selbst bezeichnet wird, ist Kates Gegenspielerin 12 und nicht nur äußerlich Kates Gegenteil. Die Serie beginnt mit einer Portraitaufnahme von Anne, die direkt in die Kamera die Frage danach stellt, ob “ Du ” Kate irgendwo gesehen hast. Die Stimme von Kate antwortet aus dem Off, dass sie, die antwortet, doch Kate sei, was von Anne verneint wird. Die Kamera schwenkt nach links auf eine dunkelhaarige junge Frau, die vermeintlich Kate ist und ebenfalls direkt in die Kamera blickt. Nun zeigt der Arm von Anne direkt auf Kates Nasenspitze, ein Tastenklicken ertönt und rechts neben Kates Kopf erscheint eine kleine weiße Fläche mit der Inschrift “ Anne Vogel ” . Kate schüttelt bestimmt den Kopf, woraufhin der Finger zu der Beschriftung geführt wird und ein erneutes Klick-Geräusch ertönt, was zur Folge hat, dass um Kates Gesicht herum ein weißer Rahmen erscheint, während gleichzeitig die Schrift mit dem Namen verschwindet. Diese Darstellung eines Traums thematisiert zwei zentrale Konflikte Kates: Wer ist sie und ist sie Kate Harff ? Und welche Rolle spielen die Medien im Zusammenhang mit der Identität? Gleichzeitig wird ihre scheinbare Identität als Anne Vogel durch Medien festgestellt: Die Geräusche, der weiße Rahmen um das Gesicht und der Name daneben sind der Verlinkung von Personen auf Fotos im Online-Netzwerk Facebook entlehnt. Es ist kulturelles Wissen zur Entschlüsselung des Dargestellten notwendig. Zu Beginn der Serie wird online und virtuell gesetzt, dass die dunkelhaarige Frau nicht Kate Harff ist, sondern Anne Vogel. Im Kontext der weiteren Szenen wird allerdings deutlich, dass die dunkelhaarige Frau Kate Harff und die blonde Frau Anne Vogel ist. Das Verwirrspiel aus Bezeichnetem und Bezeichnendem steht bewusst direkt am Anfang der Serie und führt den Rezipienten so unmittelbar zu den zentralen Themen des Projekts. 13 So zeigt der Serieneinstieg bereits den zentralen Konflikt der Serie: Wer ist Kate Harff ? 14 Zudem wird durch das Einblenden des Namens und eines Fensters um das Gesicht herum eine Verbindung zwischen Text und Bild geschaffen, die dem Rezipienten vom sozialen 12 Wer Anne Vogel genau ist, erschließt sich dem Rezipienten nicht völlig. Dies ist allerdings intendiert, wie die Figur Erika in Folge 14 Das Feuerwerk erklärt. Nachdem Kate die Nervenklinik verlassen hat, reflektieren die Figuren ihre Rollen innerhalb der Erzählung. Erika liest den anderen vor: “ MacGuffin. Ein MacGuffin ist ein von Alfred Hitchcock geprägter Begriff für an sich vollkommen bedeutungslose Objekte oder Personen, [ … ] die in einem Film meist dazu dienen, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben ohne selbst von besonderem Interesse zu sein. [ … ] Ein anschauliches Beispiel für einen MacGuffin ist etwa der Koffer, der in Pulp Fiction herumgetragen wird. Er ist der Anlass der ganzen Geschichte. Der Zuschauer erfährt jedoch an keiner Stelle des Films, was es mit dem Koffer eigentlich auf sich hat. Andere Beispiele für MacGuffins sind etwa der Spionagering in Die 39 Stufen, die gepfiffene Melodie in Eine Dame verschwindet oder die Figur der Anne Vogel in About: Kate. ” 13 Demgegenüber steht ein Traum in der letzten Folge, in dem alle Figuren der Serie gemeinsam ein Lied singen, dass der Pfleger Ingo auf dem Klavier begleitet. Kate tritt dazu und es wird gemeinsam getanzt. Diese frohe Stimmung steht ebenso diametral dem skizzierten ersten Traum zu Beginn der Serie entgegen, wie die erste Zeile innerhalb des gemeinsam gesungenen Liedes: “ You know who I am ” (Folge 14 Das Feuerwerk). 14 Die Frage wird ebenfalls in den begleitenden Texten, wie beispielsweise der Webseite gestellt. Neue Medien - neue Identität? 145 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [145] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Netzwerk Facebook bekannt ist. Dort lassen sich durch eben dieses Verfahren Freunde auf Bildern verlinken. Die Serie greift also eine bekannte Handlung aus einem sozialen Netzwerk auf und stellt sie infrage, indem sie daran die zentrale Frage veranschaulicht. Medien über das Fernsehen hinaus werden folglich direkt in der ersten Sequenz der Serie miteinander verbunden und der Selbstverlust, den die Protagonistin empfindet, an einer solchen Medienverbindung vorgeführt. Mit dem Selbstmord von Anne Vogel ist der Autonomieprozess der Protagonistin abgeschlossen: In der Darstellungsoptik eines verpixelten Videospiels entsteigt Kate Harff am Schluss der Serie dem Grab von Anne Vogel (und läuft auf eine Tür zu, die mit “ Log Out ” beschriftet ist). Das Verwirrspiel zwischen den beiden, das den Start der Serie markierte, wird nun hin zu einem selbstbewussten Auferstehen der Protagonistin gewandelt. Das Konzept der Person, was die Serie hier durch den Selbstfindungsprozess nachzeichnet, ist ein spätmodernes: Identität ist nicht von Natur gegeben oder angelegt, um sich in bestimmten Handlungen oder Situationen zu entfalten, sondern wird als prozessualisiert und wandelbar inszeniert und an Wahrnehmung geknüpft. Für die Identitätskonstruktion fundamental setzt die Serie zwei Leitdifferenzen, anhand derer sich auch die Genesung Kates entlang bewegt: Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie autonomes Handeln und Fremdbestimmung. Es wird deutlich, dass die Möglichkeit der Inszenierung eines geformten Selbstbildes, wie sie medial in sozialen Netzwerken möglich und anscheinend in Kates sozialem Umfeld notwendig war, bei Kate zum Verlust der eigenen Identität geführt hat. Paradox steht damit das Formen eines eigenen Selbstbildes dem Verlust der eigenen Identität gegenüber. Zumindest solange das Formen des eigenen Selbstbildes unreflektiert und nicht spielerisch erfolgt. Kate und ihre Therapeutin leiten gemeinsam das Selbst als Resultat aus Beziehungen her, aus Spiegelung in und mit der Umwelt. Bekräftigt wird dieses Verständnis von Identität durch die Erzählung hindurch in zahlreichen Szenen, die sich mit Wahrnehmung, Sehen und Erkennen beschäftigen. Vor allem bildhafte Darstellungen dienen Kate oder Dr. Desmarin als Projektionen des Selbst und werden als solche in Zusammenhang mit dem eigenen Selbstverständnis analysiert. Fotos, wie im Online-Netzwerk, Spiegel oder eine Puppe, die Kate innerhalb ihrer Therapiesitzungen so verändern soll, dass sie sich damit identifiziert, stellen Hilfsmittel dar, um Kates Krankheit zu illustrieren, aber auch ihre Genesung voranzubringen. Dabei wird die Ähnlichkeit des Bildes zu dem Abgebildeten ebenso wie die Diskrepanz dazwischen verhandelt. Der Verweischarakter von Zeichen - insbesondere ikonischer Zeichen - und dessen fundamentaler Einfluss auf die eigene Identität wird damit auf inhaltlicher Ebene eingehend thematisiert. Ein Selbst in Balance zwischen Identität und Umwelt wird durch Wahrnehmen des Zeichencharakters medialer (Selbst-)Repräsentation und bewusster Setzung eigener medialer Zeichen als mediale Zeichen herstellbar. Im Raum der neuen Medien wird somit die mediale Selbstdarstellung im Medienverbund zum Merkmal moderner Identität, wie sie für Digital Natives gelten kann. Allerdings nur “ als Spiel, als bewusstes Spiel kann es uns helfen, uns von außen zu betrachten ” , wie Dr. Desmarin feststellt (Folge 14 Das Feuerwerk). Dieses zeichenhafte Selbst ist zudem eine Zusammensetzung verschiedener, fragmentarischer Merkmale. Ebenso wie die Serie selbst auf der Ebene des Discours: Denn die Serie spielt mit den verschiedenen Darstellungspraktiken, die das audiovisuelle Medium Film 146 Amelie Zimmermann (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [146] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL bieten kann. Die Filmaufnahmen sind durchsetzt von Comicdarstellungen, Zeichnungen, Collagen, Fotos etc. und unterstützen damit medial die Darstellung des Selbst auch hier als Mosaik aus unterschiedlichsten Fragmenten. 2.2 Selbstreflexivität in den einzelnen Kommunikaten Die Fernsehserie About: Kate kann durch ihre geschlossene narrative Struktur, die Erzählung des Selbstfindungsbzw. Genesungsprozesses der Protagonistin, als narrativer Kerntext allein stehen, wird aber im transmedialen Konstrukt von verschiedenen Paratexten begleitet, die durch ihr verwendetes Medium andere Funktionen erfüllen. Es ergibt sich eine sekundäre Semiotisierung der Paratexte: Ihre Bedeutung konstituiert sich umfassend nur in Verbindung mit dem Haupttext Serie. Das Momentum des Bruchs, das Verwirrung- Stiften, das Fokussieren der Wahrnehmung, der Fragmentcharakter und die Mosaikstruktur finden sich in allen beteiligten Kommunikaten. Im Folgenden wird das selbstbezügliche Moment in den einzelnen Teilen des transmedialen Konstrukts betrachtet. 2.2.1 Der Kerntext Serie Die in einer chronologischen Zeitfolge erzählten Erlebnisse Kates in der Klinik werden insbesondere von eingeschobenen Filmen, Zeichnungen und Fotos begleitet, deren Darstellungsmodi und meist auch das Dargestellte sich nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber der Rahmenerzählung unterscheiden. So besteht die Serie aus eingeschobenen Bildern und Filmen, Comics, Collagen aus Filmsequenzen, Ausschnitten aus einem Tele-Englischkurs, Schwarz-weiß-Zeichnungen etc. Diese formulieren ihren eigentlichen Sinn nur in Verbindung mit anderen Zeichen, meist der Rahmenhandlung. Die wichtigere Konnotation im Gegensatz zur Denotation dieser Fragmente entsteht für die eingeschobenen Filme aus deren Relevantsetzung innerhalb der Rahmenhandlung. 15 Die Fernsehserie des Projekts About: Kate setzt sich auch aus Szenen zusammen, die eindeutig als Träume zu identifizieren sind. Inhaltlich wird in der Therapie ein Schwerpunkt auf die Arbeit mit Träumen gelegt, was auf das verbreitete kulturelle Wissen über Sigmund Freuds Tiefenpsychologie verweist. Kate schreibt ein Traumtagebuch, das in der Therapie 15 Beispielsweise konfisziert der Pfleger Ingo in Folge 6 Das Tribunal wegen Kates Fehlverhalten erst ihren Laptop und später ebenfalls ihr Smartphone. Ein eingeschobener Trickfilm illustriert, wie Kate den Eingriff in ihre Privatsphäre wahrnimmt: Der Zeichentrickfilm zeigt eine Krake, die einen Laptop davonträgt, und ein Buch, das erst versucht, ein Handy zu zerstören und es schließlich ebenso wie einen Laptop anzündet. Auf gelbem Grund sind grüne Zeichnungen und violette Flammen zu erkennen. Begleitet wird die Bildfolge auditiv zuerst von Trippelschritten und schließlich von zunehmendem Gekicher und Gelächter. Der Trickfilm wird nicht in einem Stück gezeigt, sondern ist durchbrochen von der Rahmenhandlung. Im Kontext der vorhergehenden Szene wird Ingo aufgrund des eingefügten Films sekundär als Krake semantisiert. Diese zeichnet sich durch ihre acht Gliedmaßen aus. Die Verbindung zum Kontext der Rahmenhandlung attribuiert Ingo als jemanden, der sich ungefragt einmischt, der überall ‘ seine Finger im Spiel hat ’ . Ebenso zeigt der Zeichentrickfilm die intendierte Zerstörung der neuen durch die alten Medien. Ob dies gelingt, ist irrelevant. Vielmehr ist in dieser Sequenz wichtiger, dass es Bücher sind, die versuchen, die neuen Technologien zu zerstören. Dies zeigt eine konservative Einstellung zu Kommunikationsmitteln, welche das Medium Buch diametral den elektronischen Medien gegenüberstellt, anstatt sie als Ergänzung aufzufassen. Mithilfe des eingeschobenen Zeichentrickfilms werden die Regeln zum Ausdruck gebracht, die in der dargestellten Welt in der Klinik gelten und die sich in der Konfiszierung der Kommunikationsmittel manifestieren. Diese Regeln werden als ebenso veraltet erachtet wie die Ansicht, dass neue Medien eine Gefahr darstellen. Neue Medien - neue Identität? 147 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [147] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL helfen soll, ihren Gesundheitszustand zu bessern. Träume werden folglich nicht als unwirklich und damit unwichtig abgetan. Ihnen wird vielmehr eine semantische Funktion zugeordnet, da sie - so setzt die Serie - Unbewusstes zu Tage fördern. 16 Die Traumszenen stellen als solche bereits Brüche der Rahmenhandlung dar, ebenso wie dies für die eingeschobenen Kurzfilme und Bilder konstatiert werden konnte. Zudem werden sie als weitere Erzählebene genutzt, um logikwidrige Brüche zwischen den Erzählebenen aufzubauen. Besonders eine Szene soll im Rahmen der hier vorgestellten Traumsequenzen noch erläutert werden, da sie im Besonderen das Vermischen der Erzählebenen verdeutlicht. Die Folge Nicht im Traum beginnt mit einem Bildausschnitt, in dem ein junger Mann vor einer weißen Wand zu sehen ist. Der Mann hält ein großes Mikrofon über den Kopf, wie es beim Film verwendet wird. Mehr als eine Minute wird nichts anderes gezeigt. Das Entscheidende in dieser Szene ist die Unterhaltung, die zu hören ist, welche die Gemachtheit der Serie herausstellt. Die Szene suggeriert ein Gespräch zwischen der extradiegetischen Regie der Serie und der Protagonistin: Person 1 : Kamera ab. / Person 2 : Läuft. / Person 1 : Und bitte. [Pause] Und bitte. [Pause] Hallo, können wir jetzt loslegen? / Person 3 : Es ist niemand da. / Person 1 : Abbruch. Was zur Hölle heißt das? Irgendjemand muss doch da sein. Mama, Papa, dieser Franzacke - die soll mir da jetzt irgendjemand hinstellen. / Person 3 : Ich befürchte, sie hat die REM-Schlafphase bereits verlassen. / Person 1 : Ich befürchte, sie hat die REM-Schlafphase schon verlassen. Schwachsinn. Außerdem kann man auch außerhalb der REM-Schlafphase träumen. / Person 3 : Kate, kannst du mich hören? / Kate: Ja, was gibt ’ s? / Person 3 : Wir sind jetzt alle da. Du könntest jetzt loslegen. / Kate: Ah, ich weiß auch nicht. / Person 3 : Schmeiß einfach ein bisschen Stammpersonal rein. Wir kümmern uns dann um den groben Rest. / Kate: Ich glaube, ich habe heute keine Lust zu träumen. / Person 3 : Sie hat keine Lust zu träumen. / Person 1 : Oh mein Gott. Wir sind hier nicht in einem verschissenen luziden Traum. Die Trulla kommt doch schon im Wachzustand nicht klar. Jetzt will sie das hier auch noch dirigieren, oder was? / Person 3 : Ich red noch mal mit ihr. Kate? / Kate: He? / Person 3 : Kate? [Pause] Ah, Mann, wir sehen die ganze Zeit nur weiß. Die Zuschauer schalten gleich ab. Du spuckst jetzt irgendeinen Lackaffen, mit dem du heimlich vögeln willst, hier hin. [Pause] Kommt da jetzt was? [Pause] / Person 1 : Ruhe bitte, wir drehen. / Person 2 : Kamera set. (About: Kate, Folge 5: Nicht im Traum) Die Sequenz stiftet Verwirrung, indem mehrere Erzählebenen logikwidrig miteinander verknüpft werden. Wie sich aus dem Gespräch ergibt, soll ein Traum gezeigt werden, der selbst als Inszenierung dargestellt wird: Er verweist selbstreflexiv auf seine Gemachtheit als mediales Konstrukt. Dabei stellt er die zweite Erzählebene neben der ersten, den Erlebnissen von Kate in der Klinik, dar. Es sind Kates Träume, die sich in dem weißen Raum abspielen und deren Inhalte als fiktiv semantisiert werden. Und Kate ist als alleinige Verantwortliche für das Gezeigte zu ermitteln. Aus dem Gespräch geht hervor, dass das Filmteam nur zum Aufzeichnen dessen da ist, was Kate ihnen präsentiert. Alles, was die Regie tun kann, ist Kate an ihreVerantwortung gegenüber dem Zuschauer zu erinnern, der nur weiß sähe - was faktisch nicht der Fall ist. Damit wird dem Traum an sich nicht nur gegenüber Kate, sondern auch gegenüber den Erzählern der Serie der Status des Unbewussten attestiert, auf den niemand - weder Kate noch die Erzählenden - Einfluss hat. Trotzdem liegt die Verantwortung dafür bei der träumenden Protagonistin. 16 Dies wird ebenfalls von Dr. Desmarin so kommuniziert., cf. Folge 3 Paranoia. 148 Amelie Zimmermann (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [148] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Abb. 2: Vermischen der Erzählebenen über den Traum-Diskurs. Eigene Darstellung. Der eigentlich extradiegetische Erzähler - das Filmteam - tritt in eine Kommunikationssituation mit der Figur Kate ein. Es handelt sich dabei nicht um die Schauspielerin Natalia Belitzki, wodurch die Szene logisch rein textextern anzusiedeln gewesen wäre, sondern um die Figur Kate der ersten Erzählebene innerhalb der Diegese. Die metaleptische Struktur wird noch weiter ausgereizt, wenn sich die Regie zu einem späteren Zeitpunkt in der gleichen Episode an die Figuren Frederic von Eden und Léon d ’ Hervey de Saint-Denys innerhalb des Traums wendet und deren Tätigkeit als Komparsen für beendet erklärt. Diese rechtfertigen sich: “ Wir können doch gar nichts dafür, das hat sie sich doch alles nur … [ausgedacht, Anm. A. Zimmermann] ” (cf. About: Kate, Folge 5: Nicht im Traum). Mit der Aussage, dass Kate für den Inhalt ihrer Träume verantwortlich sei, werden auch die Figuren der zweiten Erzählebene mit in das metaleptischeVerwirrspiel einbezogen. Indem sie direkt in die Kamera sprechen und fragen “ Hattet ihr eine gute Zeit oder hattet ihr keine gute Zeit? ” (cf. About: Kate, Folge 5: Nicht im Traum) treten sie mit der textexternen Ebene, mit den Rezipienten, in Kontakt, so muss der Zuschauer vermuten. Jedoch antwortet erst Kates Minime 17 und schließlich die Regie. Sie kommunizieren folglich mit der extradiegetischen Ebene außerhalb des Traums, die jedoch innerhalb der Diegese anzusiedeln ist. Somit werden sie als fiktive Figuren entlarvt. 17 Eine 11-jährige Kate, die immer wieder in Szenen - teilweise auch mit der erwachsenen Kate zusammen - auftritt. Neue Medien - neue Identität? 149 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [149] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Abb. 3: Erweiterte Vermischung der Erzählebenen im Traum-Diskurs. Eigene Darstellung. Die Serie verbleibt nicht in der Logik der Erzählebenen, sondern verbindet diese auf unkonventionelle Weise. Dafür nutzt sie die in der Serie als zweite Erzählebene etablierten Träume Kates als Grund für die Kommunikation sowie zum Grenzübertritt der Erzählebenen selbst. Die Szenen befinden sich durch die metaleptische Struktur in einem Status zwischen den Erzählebenen. Das Prinzip des Bruchs lässt sich nicht nur für die eingeschobenen Bilder und Bildfolgen oder die Szenen, die als Träume zu identifizieren sind, feststellen, sondern auch vielfältig innerhalb der Rahmenhandlung selbst. Obwohl die Welt von Kate an die mimetische extradiegetische Außenwelt angelehnt ist, wird dieser Eindruck häufig bewusst gebrochen. Deutlich wird dies beispielsweise in der Szene, in welcher der Pfleger Ingo Kate ihre Kommunikationsmittel abnimmt. Nachdem er sich ihres Laptops bemächtigt hat, verlässt er das Zimmer durch die Tür, taucht dann aber durch eine Schranktür wieder auf, um ihr auch das Smartphone zu entwenden. In der dargestellten Welt scheint es folglich möglich, Zimmer auch durch Schränke betreten zu können. 18 In Anbetracht der Tatsache, dass Kate generell ihrer Wahrnehmung nicht traut, ist es aber auch möglich, dass sich das Konfiszieren des Laptops und des Smartphones nicht so abspielt, wie es gezeigt wird, sondern nur in dieser Form von Kate wahrgenommen wird. Die häufig gewählte Perspektive der internen Fokalisierung unterstützt diese Annahme. Somit wären die gezeigten Bewegungsmöglichkeiten innerhalb der Diegese nicht möglich, die Darstellungsweise dient jedoch der Übermittlung von Kates Problem der Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion an den Rezipienten. Ebenfalls werden Brüche dadurch aufgeworfen, dass Requisiten logikwidrig auf verschiedenen Erzählebenen zu finden sind. Auf der ersten Erzählebene spielt beispielsweise 18 Diese Bewegungsfreiheit gilt nicht nur für Ingo. Auch einer der Mitpatienten kommuniziert partiell aus dem Schrank heraus (cf. About: Kate, Folge 12: Mama ex machina). 150 Amelie Zimmermann (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [150] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL das Körbeflechten als Aktivität der Patienten der Nervenklinik eine große Rolle. In der Folge 2: Tot oder lebendig erzählt eine vermeintliche Rückblende von Kate als Kind, die von Zuhause ausreißt. In ihrem Rucksack hat die kleine Kate allerdings einen jener geflochtenen Körbe, die in der Klinik hergestellt werden. Ein Vermischen von Vergangenheit und dem Status quo wäre an sich nicht möglich; in der Häufigkeit des Auftretens solcher Verflechtungen muss dies allerdings als ein konstituierendes Kriterium für die Diegese angesehen werden. Kate imaginiert sich als Zusammensetzung aus ihrer kindlichen und erwachsenen Version. Sie verarbeitet ihre Realität als Verflechtung von Vergangenheit, Gegenwart und teilweise möglicher Zukunft. Innerhalb der Diegese ist es außerdem möglich und vor allem von den gesunden wie verwirrten Figuren akzeptiert und geschätzt, wenn Dinge geschehen, die in der textexternen Welt als unmöglich oder unwahrscheinlich gelten würden. Das Café, welches die Mini-Kate im Gestrüpp um die Klinik herum in Miniformat eröffnet, hat weder handlungskatalysatorische Funktion noch gibt es einen inhaltlich etablierten Kaffeemangel, der es nötig gemacht hätte. Es ist überflüssig und irreal - müssen wir doch annehmen, dass Kates Minime nur eine Projektionsfläche ihrer selbst ist, die ihre Verwirrtheit illustriert - und genau aus diesem Grund konsistent zur etablierten dargestellten Welt. Es lassen sich noch weitere Beispiele für Brüche in der Rahmenhandlung finden, das zentrale Prinzip dürfte jedoch bereits deutlich geworden sein: Die Diegese von About: Kate, wie sie durch die Serie kommuniziert wird, ist nur konsistent in ihrer Inkonsistenz. Sie ist gekennzeichnet durch das Zusammensetzen unterschiedlichster Texte und das Widerlegen etablierter Sinnstrukturen. So kommuniziert die Serie auch über ihren Discours, dass die Identität an das Spiel aus zeichenhafter Wahrnehmung und Inszenierung gekoppelt ist. 2.2.2 Das Smartphone als Second Screen Die Fernsehserie wurde von einer ebenfalls aus 14 Folgen bestehenden App für iOs und Android begleitet, die das Smartphone in einen Second Screen neben dem Fernsehbildschirm verwandelte. 15.000 Downloads der Applikation gab es insgesamt. 19 Die Folgen der App waren durch die Technik synchron an die Serienfolgen gebunden und somit in hohem Maße abhängig vom Kerntext. Der Textaufbau der App ist schlicht gehalten: Auf der Startseite wird Kate dargestellt, die damit vom ersten Moment an präsent ist. Der Bereich ‘ Sitzung ’ enthält eine Hauptseite, die einen leeren Raum zeigt. Im Verlauf jeder Sendung fallen einzelne Bildausschnitte, die Teile von Kates Gesicht zeigen, von oben herab und bieten Verlinkungen, die durch Antippen darauf aktiviert werden. Semiotisch ist die Darstellung besonders interessant: Ein vollständiges Bild Kates ergibt sich auch hier nur aus einem Zusammensetzen der gelieferten Fragmente. So, wie sich die App aus Verweisen formiert, so fügt sich auch die Identität Kates und das transmediale Konstrukt als solches zusammen. Das inhaltliche Thema der Serie wird also mit den Darstellungsmöglichkeiten der App auf Ebene des Discours gespiegelt. Ein Verweis auf die ‘ psychische Verfassung ’ wird schriftlich auf der Startseite der App gegeben, wodurch die Nähe zum Spielplatz der Serie, der Psychatrie, hergestellt und die primäre Aufgabe des Second Screen herausgestellt wird: Die Applikation präsentiert sich als 19 Die Information stammt aus einer Korrespondenz mit ARTE-Mitarbeitern. Neue Medien - neue Identität? 151 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [151] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL psychotherapeutische Sitzung, die dem Rezipienten in jeder Episode mehrere Fragen zu einem Thema stellt und diese im Anschluss auswertet. Zu Episode 3: Paranoia beispielsweise konzentrieren sich die Fragen der Applikation auf die Beziehungsfähigkeit. In der Episode der Fernsehserie stellt dies ebenfalls den Schwerpunkt der Sitzungen zwischen Dr. Desmarin und Kate dar. Unter anderem erstellen die beiden ein Diagramm zu Kates sozialen Kontakten. Mit der Inszenierung einer psychotherapeutischen Sitzung, in welcher der Rezipient die Rolle des Patienten einnimmt, ist die Funktion der Applikation noch nicht erschöpft. Die App hält neben den Tests Zusatzinformationen und Verlinkungen zu anderen Internetseiten bereit, erklärt Verweise innerhalb des Textes Serie oder verweist selber weiter und dient entsprechend der medientypischen Kommunikation als Telefon zur Inszenierung einer faktualen Gesprächssituation mit Kate. Vielfältige Informationen zu Inhalten und intertextuellen Verweisen innerhalb der Serie werden dem Rezipienten mit der App übermittelt. Einige dienen dazu, die Diegese mit der extradiegetischen Welt zu verbinden, wie etwa durch Verweise auf Bücher, die es nicht nur in der diegetischen Welt gibt. Ähnlich verhält es sich mit dem Hinweis in der App, dass die beiden Figuren Frederic von Eden und Léon d ’ Hervey de Saint-Denys, die wegen ihrer Hinwendung zum Zuschauer schon thematisiert wurden, wirklich gelebt haben. Ihre Fiktivität wird damit als Rückgriff auf die Realität und ihre Verarbeitung dargelegt. Die beiden “ Klartraumpioniere ” (Folge 5: Nicht im Traum) verbinden die verschiedenen Erzählebenen außerdem dadurch, dass sich Kate auf der ersten Erzählebene im Wachzustand mit ihren Aussagen beschäftigt, hat sie doch ein Buch von Frederic von Eden neben sich im Gras liegen. Die Applikation dient auch dazu, Verweise innerhalb der Serie zu erklären. Als das Minime von Kate im Gebüsch der Klinik ein Café eröffnet und die Kioskbesitzerin dazukommt, um gemeinsam mit dem Minime Kaffee zu trinken, informiert die App darüber, dass die Serie hier auf Alice in Wonderland rekurriert. Gleichzeitig wird dadurch metareflexiv auf die Medienspezifität in transmedialen Konstrukten verwiesen, da sich in der Forschung ein Terminus etabliert hat, der seinen Ursprung in Alice in Wonderland hat: Jeder Text eines transmedialen Konstrukts führt in die übergreifende Diegese hinein und fungiert somit als “ rabbit hole ” . Solche “ rabbit holes ” sind Schlupflöcher aus der Realität hinein in die fiktive diegetische Welt und rekurrieren damit auf die Geschichte von Alice im Wunderland und die Bewegung der Protagonistin zwischen den Welten (cf. Rampazzo Gambarato o. J.). Herauszustellen ist in Bezug auf Selbstreflexivität auch eine weitere Funktion der App, die dem Kommunikationsmittel Handy entspricht: Die Inszenierung einer faktualen Kommunikationssituation. In den 14 Folgen der App klingelt einige Male das genutzte Smartphone, um einen Anruf von Kate anzuzeigen. Wie bei jedem anderen Anruf kann abgehoben werden oder nicht. Kate spricht den Empfänger in der zweiten Person Singular 20 oder mit “ Mama ” 21 an. In ihren Anrufen bittet sie den Empfänger um Unterstützung, da sie sich Vorkommnisse nicht erklären kann oder meint, dass ihr mediale Möglichkeiten 20 “ Weißt du, was da passiert ist? ” Kate in der App zu Folge 3 Paranoia. 21 “ Hallo, Mama. ” Kate in der App zu Folge 5: Nicht im Traum. Kate ist hier allerdings betrunken. 152 Amelie Zimmermann (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [152] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL versperrt bleiben, die “ Dir ” jedoch möglich sein müssten. Logikwidrige Übertritte der Erzählebenen, narrative Metalepsen, lassen sich also nicht nur innerhalb der Serie feststellen, sondern kommen ebenfalls in der App vor. Gerade durch die Imitation einer faktischen Kommunikationssituation mithilfe der App wird die ‘ vierte Wand ’ zum Zuschauer eingerissen und Kate deutet mithilfe der medialen Möglichkeiten an, die textexterne Wirklichkeit zu verlassen. 22 2.2.3 Positionierung der Figuren im sozialen Netzwerk Ähnlich wie in der App die Grenze zum Rezipienten und damit die Grenze des Mediums als Mittler eines fiktionalen Erzähltextes durch die inszenierten Anrufe der Protagonistin thematisiert werden, nimmt auch der Paratext der Facebook-Kommunikation das selbstbezügliche Moment in ähnlicher Weise auf. Während derAusstrahlung der Serie waren fünf Figuren, die in der Serie auftauchen, als Figuren auf Facebook aktiv. 23 Auf einen Facebook-Post Kates soll eingegangen werden, da er in besonderem Maße für das Thema Selbstbezüglichkeit interessant ist. Einen Tag nach Ausstrahlung der letzten Folge der Serie postete Kate ein weißes Bild, auf dem nur “ 2. Start over ” zu lesen war. Mit der Aussage, noch einmal von vorne anzufangen, nimmt Kate online Bezug auf das Ende der Fernsehserie. Dies deutet inhaltlich auf ihre Heilung hin, die in der letzten Episode der Serie festgehalten wurde, und die ihr einen Neuanfang möglich macht. Ebenso deutet die Aussage auf einen Neuanfang des Projekts an sich hin. Während die letzte Folge der Serie den Neuanfang für Kate auf die bereits so bedeutungstragende Silvesternacht legt, wird dieser online auf den 28. 07. 2013 gelegt. Die erzählte Zeit der virtuellen Kommunikation orientiert sich an der Erzählzeit, während die erzählte Zeit der Serie das Jahr 2012 umfasst. Dieser Bruch ist zwar einerseits der Etablierung einer kohärenten Hyperdiegese zwischen den verschiedenen Texten abträglich, stärkt sie andererseits jedoch dadurch, dass das primäre Merkmal der Hyperdiegese, der Mosaikcharakter durch das Prinzip des Bruchs, strukturell gespiegelt wird. Der “ 2. Start over ” verweist dabei auch selbstreflexiv auf die virtuelle Kommunikation als Teil des Gesamtkonstrukts, die nun einen Neustart erlebt, da die Serie oder zumindest die Staffel zu Ende erzählt ist und die Profile nun gelöscht werden. Kates Beiträge auf Facebook unterscheiden sich insgesamt stark voneinander. Ebenso wie die Rahmenhandlung der Serie von eingeschobenen Filmen und Fotos verschiedenster Art begleitet wird, differieren auch die Kommentare Kates im sozialen Netzwerk in Stil, Inhalt und Aussage. Der aus Fragmenten zusammengesetzte Charakter, der so zentral für die Erzählweise der Serie ist, wird somit in der Online-Kommunikation wieder aufgegriffen. Stilistisch ist die Verbindung zur Serie damit besonders hoch, indes verweisen die Kommentare nicht ständig auf Vorkommnisse innerhalb der Serie, weswegen die Bindung der Online-Kommunikation an den Haupttext der Serie zwar gegeben, aber nicht besonders ausgeprägt ist. Facebook ermöglicht auch die Kommunikation zwischen Personen über einen Chat. Es war in diesem sozialen Netzwerk damit möglich, mit Kate und den anderen Figuren in 22 Sofern ihr dies möglich ist. Natürlich ist ein Gespräch, verstanden als Frage-Antwort-Kommunikation aufgrund der Produktion im Vorhinein nicht möglich, es wird jedoch als solches angedeutet. 23 Bereits einen Monat vor Ausstrahlungstermin wurden die Figuren angelegt. Neue Medien - neue Identität? 153 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [153] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Kontakt zu treten und sich mit ihnen zu unterhalten. Wie auch für die App wird hier die metaleptische Struktur genutzt, um Kates Welt mit der extradiegetischen Welt zu vermischen und die Suggestion zu fördern, dass es sich dabei um eine Welt handle. 2.2.4 Der Rezipient als Prosument Selbstreflexive Elemente auf Kommunikatsebene finden sich auch für die Webseite des transmedialen Konstrukts About: Kate. So zeigte die Webseite unter den einzelnen auszuwählenden Reitern beispielsweise Kate mit ihrem selbstgeflochtenen Korb über dem Kopf in ihrem Zimmer. Im Gegensatz zum Original des Bildausschnittes in der Serie suggerieren hier einige Striche, dass das Foto Schaden genommen hat und sich nun aus Scherben zusammensetzt. Die Homepage übernimmt damit einen Teil aus der Serie und kommentiert ihn gleichzeitig metareflexiv: Was wir sehen, ist eine gebrochene Kate, deren verschiedene Bruchstücke zu einem Ganzen zusammengesetzt werden müssen. Kate ist - ebenso wie die Serie und wie das gesamte Projekt - eine mediale Darstellung, die nur in verschiedenen Einzelteilen vorliegt. Ebenso wie sich die Identität der Protagonistin aus einzelnen Fragmenten zusammensetzt. Über die Homepage konnte der Rezipient dabei die Ergebnisse des Psychotests einsehen, den er über die App absolviert hat, und die Folgen anschauen - so war er nicht mehr an die Ausstrahlungszeiten der Serie im Fernsehen gebunden - oder Einfluss auf die Serie nehmen: Während des Ausstrahlungszeitraums der Serie wurden Aufgaben für die Rezipienten gestellt, die sie erfüllen und einsenden konnten. In der Produktion der Serie wurden ab der dritten Folge Slots freigelassen, die noch im Zeitraum der Ausstrahlung mit Zuschauerbeiträgen gefüllt wurden. Dabei handelte es sich um Fotos oder Videos mit bestimmter Länge zu vorgegeben Themen wie “ Betrunkene dekorieren! ” 24 , “ Food Prank! ” 25 oder “ Aber wie stellt ihr euch das Ende vor? ! ” 26 . 3 Plurimediale Strategien der Selbstbezüglichkeit: Identitätsstiftung mit, in und durch Medien Die Paratexte im transmedialen Konstrukt About: Kate sorgen für eine umfassende mediale Ausbreitung der Welt von Kate. Der Rezipient wird nicht nur beim Fernsehen mit der fiktionalen Welt von Kate konfrontiert, sondern bei vielerlei Mediennutzung über seinen Tag hinweg. So verschwimmen die Grenzen zwischen intradiegetischer und extratextueller Welt bereits dadurch, dass das Konstrukt über sehr viele mediale Kanäle präsent ist. Das Konstrukt begleitet den Rezipienten also fortlaufend, ebenso wie sich Kate als Protagonistin der Serie nicht der Mediennutzung entziehen kann, es aber eben auch nicht will. Sie lernt den richtigen, nämlich spielerischen Umgang mit Inszenierung und Wahrnehmung in der Nervenklinik - ebenso wie der Rezipient dies lernen soll: Frau Dr. Desmarin zeigt bezeichnend auf die Beschilderung “ Rezeption ” am Eingang der Psychatrie und resümiert: 24 Zu Folge 10 Striptease. 25 Zu Folge 3 Paranoia. 26 Zu Folge 14 Das Feuerwerk. 154 Amelie Zimmermann (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [154] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL “ Das was wir sehen, ist nicht, was wir sehen, sondern, was wir sind. ” (Folge 14: Das Feuerwerk). Als Folge ist die fiktionale Erzählung über Kate in den Paratexten als solche nicht durchgängig zu erkennen. Vielmehr führt die mediale Ausbreitung dazu, dass die Grenzen zwischen fiktionaler und faktualer Welt zunehmend verschwimmen. Die Diegese der TV- Serie wird durch die Paratexte aufgegriffen und erweitert und der Rezipient partiell direkt angesprochen. Die vierte Wand, die diegetische Grenze, wird so sichtbar gemacht und bewusst eingerissen. Die Beispiele für Intertextualität in der Serie sind dementsprechend zahlreich. About: Kate präsentiert eine Mosaikstruktur, die sich aus verschiedensten Teilstücken zusammensetzt. Es kann als ein großes Palimpsest (Genette 1993), als ein mehrfach beschriebenes Pergamentstück, angesehen werden - ein Text, der aus der Überlagerung verschiedener Sinnebenen durch Zitierung, Nachahmung und Transformation anderer Texte den Leser fordert. Selbstverständlich wird die Forderung des Lesers durch die Erklärungsfunktion der Applikation wiederum in geringem Maße eingeschränkt. Die App verdeutlicht, dass das Spiel mit Zeichen zentral ist und sich auch der Rezipient darauf einlassen und selbst auf die Suche gehen soll. Ein fundamentales Beispiel für die Selbstreferenzialität und Intertextualität des Textes sei noch gegeben. Die Konstruktion von Bedeutung durch Verweise auf bestehende Zeichen und andere Zeichenkonstrukte wird in der Serie in einer Szene besonders deutlich hervorgehoben. In Folge 6: Das Tribunal wird Kate von der Klinikleitung wegen ihrer Verstöße gegen die geltenden Bestimmungen gerügt. Der Leiter der Klinik schnippt eine Pappierkugel an Kate vorbei auf den Boden, während er betont, sie nicht bestrafen, sondern ihr helfen zu wollen. Sie folgt der Kugel mit den Augen und ein eingeschobener Kurzfilm kommentiert die Situation. In dem Kurzfilm wird eine Fußfessel mit einer Eisenkugel auf einen Tisch gelegt. Die intradiegetischen Geräusche verstärken die Annahme, dass es sich dabei um einen schweren Gegenstand handelt. Die Unterschrift “ Dies ist keine Kugel ” entspricht damit nicht dem, was visuell und auditiv kommuniziert wird. (1.) Innerhalb der Diegese liegt eine Eisenkugel auf einem Tisch vor. Für den Zuschauer allerdings zeigt sich nur die mediale Abbildung einer Kugel. Insofern trifft die schriftliche Aussage aus der Perspektive des Rezipienten vor dem Fernseher zu. Der Widerspruch, der durch die mediale Vermittlung der Szene entsteht, verdeutlicht erneut die filmische Gemachtheit der Serie. Reale Dinge in einem dreidimensionalen Raum werden medial eben nur abgebildet. (2) Im Kontext der vorher geschnippten Papierkugel trifft die Bezeichnung wiederum zu: Die Papierkugel ( “ boule ” ) ist keine Eisenkugel ( “ boulet ” ). Sprachlich wird von der Klinikleitung aus ebenso argumentiert: Für sie ist der Entzug der Kommunikationsmittel keine Bestrafung - für Kate schon. Je nachdem, ob die Kugel also als Eisenkugel oder als harmlose Papierkugel wahrgenommen wird, hängt von der kontextuellen Perspektive ab. Zudem verweist dieser Ausschnitt auf René Magrittes La Trahison des Images. Das Bild des französischen Künstlers, das eine Pfeife mit dem Untertext “ Ceci n ’ est pas une pipe ” zeigt, macht seine eigene Gemachtheit zum Thema. Das, was gezeigt wird, ist eben nur die Abbildung einer Pfeife, aber keine wirkliche Pfeife. Das Bild der Pfeife verweist ikonisch auf seinen realen Referenten, die Pfeife. Darunter findet sich außerdem der Signifikant Pipe. Ebenso verhält es sich mit dem Ausschnitt aus About: Kate, wobei hier der Unterschied zum Neue Medien - neue Identität? 155 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [155] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Film deutlich wird, der - wie die Serie - Dreidimensionalität abbilden kann. 27 Auch durch dieses Beispiel zeigt About: Kates Zeichenspielcharakter und das Herausstellen der eigenen medialen Gemachtheit. Geltende Realitätskonstrukte und Sinnetablierungen werden hier erneut in Frage gestellt. Das transmediale Konstrukt About: Kate macht mit den verschiedenen Kommunikaten und deren jeweiligen medialen Eigenheiten aufmerksam auf seinen Status als fiktionales Konstrukt. Wahrnehmung und der Verweischarakter von Zeichen sind die zentralen Themen des Projekts. Die Protagonistin Kate weiß nicht mehr, wer sie ist. Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, sich medial darzustellen, kann sie nicht mehr definieren, was sie als Person ausmacht. Diese inhaltliche Ausrichtung wird durch die Art des Erzählens gestützt: Der Discours der Serie ist geprägt von zahlreichen Einschüben und Verweisen in Form von Fotos, Bildern, Filmen, Comics und Zeichnungen. Mit seiner Schwerpunktsetzung auf Zeichen und deren Semantiken macht das Projekt About: Kate sich selbst als mediales und transmediales Konstrukt transparent. Selbst- und metareflexiv wird Medialität inszeniert und analysiert und der Umgang mit ihr - der zumindest partiell für Kates Krankheit verantwortlich ist - verhandelt. Als Lösung für eine Identitätsstiftung in der medialisierten Gesellschaft präsentiert das transmediale Konstrukt selbstreflexiv den bewussten und spielerischen Umgang mit Medien. Victor, Kates Ex-Freund, macht Medien sowohl für Kates Krankheit als auch für ihren Heilungsprozess verantwortlich, indem er in der letzte Folge der Serie Wagners Parzival resümierend zitiert: “ Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schuf ” (Folge 14 Das Feuerwerk). Bibliographie Decker, Jan-Oliver 2016: “ Transmediales Erzählen. Phänomen − Struktur − Funktion ” , in: Hennig & Krah (eds.): 137 - 169 Evans, Elisabeth 2011: Transmedia Television. Audiences, New Media and Daily Life, New York: Routledge Fricke, Harald 2003: “ Potenzierung ” , in: Müller, Jan-Dirk et al. (eds.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, Berlin/ New York: de Gruyter: 144 - 147 Genette, Gérard 1992: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Studienausgabe, Frankfurt/ New York: Campus Genette, Gérard 1993: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt a. 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