eJournals Kodikas/Code 40/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2017
401-2

Textile Texte

2017
Jan-Oliver Decker
K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Textile Texte Selbstreflexive Thematisierung von Mode im Hollywood-Film als Maske und Identität von Frauen Jan-Oliver Decker (Passau) The essay focusses on the semantics of female fashion in George Cukors TheWomen (USA 1939) and Robert Altmans Prêt-A-Porter (USA 1994). Through self-references both films broach the issue of female fashion to scale female initiations among ‘ masquerade ’ and ‘ identification process ’ and thereby normalize female heteronomy. At the same time they conceal their arbitrary texturing of the sign ‘ woman ’ via the sign ‘ fashion ’ . This camouflage occurs by setting a connotative indexical, quasi-natural relation between the entity of the woman and her physical and sartorial representation. 1 Mode und Frauen Die Mode im Sinne der modischen Kleidung wird seit dem 19. Jahrhundert in der Kultur als besonderer weiblicher Bereich bewertet. Mode ist synonym mit Frauenmode, denn Mode zeigt sich auf der Folie des sich ab 1820 in seinen Grundformen und seiner Farbgebung kaum verändernden, neutralen, diskret zurück tretenden Herrenanzugs als extrem wandelbare, spezifisch weibliche ‘ Verrücktheit ’ . Wo der bürgerliche Straßenanzug des Mannes zum essenziellen, klassisch zeitlosen Kostüm des berufstätigen, arbeitenden, bürgerlichen Mannes wird, da wird die Frauenmode auf der Folie des immer nur weiter als Berufskleidung des Bürgers perfektionierten Männeranzuges zu einer extrem wandelbaren, funktionslosen dekorativen Oberflächlichkeit, und zu einer spezifisch weiblichen Eigenschaft. 1 Männermode gilt mindestens bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als untergeordneter Bereich und als Abweichung; schon sprachlich wird dies markiert: Mode kann ohne geschlechtsspezifische Konkretisierung selbstverständlich mit Frauenmode gleichgesetzt werden; dagegen muss Männermode asymmetrisch mit der Geschlechtsbezeichnung als solche gekennzeichnet werden. Auf dieser dominanten kulturellen Folie ist zu verstehen, dass, wenn Mode als explizite modische Kleidung im Film im 20. Jahrhundert thematisch ist, dies bis heute generell Kleidung betrifft, die für Frauen und mit Frauen als Frauenmode inszeniert wird und die - auch im Film - in der Regel vor allem von Männern gemacht wird. In dieser Hinsicht gibt es 1 Cf. Hollander 1995, deren Hauptthese ich hier referiert habe. Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [53] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL eine semantische Prädisposition der Kultur, (Frauen-) Mode als explizites Thema von Filmen entweder mit Stationen einer sozialen Personwerdung der Frau, ihrer gesellschaftlichen Initiation oder aber umgekehrt mit dem Verlust und der Verdrängung von eigentlichen Persönlichkeitspotenzialen und in dieser Hinsicht als Maskierung der eigentlichen, wahren Person der Frau zu verknüpfen, als Verkleidung ihres natürlichen Wesenskerns. Weibliche Identitäten werden mittels im Film thematischer Mode und den damit verbundenen Kleidungswechseln im wahrsten Sinne des Wortes mit Mode bekleidet oder entkleidet. Wenn sich beispielsweise Greta Garbo als Ninotchka in Ernst Lubitsch ’ gleichnamigem Film (USA 1939) von der linientreuen, disziplinierten Kommunistin zur liebenden (Ehe-) Frau wandelt und sich aus der Fremdbestimmung des stalinistischen Systems in Paris zur Entfaltung ihrer ‘ natürlichen ’ weiblichen Persönlichkeit befreit, dann inszeniert der Film diese weibliche Selbstfindung symbolisch verdichtet durch die Faszination Ninotchkas für einen extravaganten Hut als paradigmatisches Beispiel für den Pariser Chic schlechthin. 2 Wenn Marlene Dietrich als Amy Jolly in Josef von Sternbergs Morocco (USA 1930) Gary Cooper umwirbt, indem sie als Sängerin bei einem Auftritt in einem Männeranzug rauchend und singend zuerst eine andere Frau umwirbt, küsst und danach den eigentlich begehrten Mann als nächstes Liebesobjekt auswählt, dann markiert der Film hier durch das Cross- Dressing eine weibliche Dominanz und erotische Aktivität, die im weiteren Filmverlauf domestiziert und die Frau als liebende Gefährtin schließlich ihrer emotionalen Bestimmung zugeführt wird. Als Requisite im Film generiert oder maskiert Mode als bewusste Wahl und als von den Frauen bewusst wahrgenommene und bewusst gesetzte Abweichung das Wesen der Frau. 2 Das Beispiel Audrey Hepburn Deutlich bringt die Semantik der Maske ein Film auf den Punkt, der Modegeschichte geschrieben hat und mit dem Audrey Hepburn zur Modeikone im Kleinen Schwarzen Etui- Kleid von Hubert de Givenchy geworden ist: 3 Blake Edwards Breakfast at Tiffany ʼ s 2 Bekanntermaßen feiert Hildegard Knef als Hildegarde Neff 1955 am Broadway in Cole Porters Musical- Version von Ninotchka ihren Amerika-Erfolg; hier ist es allerdings nicht mehr der Hut für die Frau, sondern sind es die Titel gebenden Silk Stockings, die Seidenstrümpfe, die jetzt für den liebenden Kapitalisten Erinnerung an die in den Kommunismus zurück gekehrte und verloren geglaubte Ninotchka und damit, als eine Art Fetisch, Surrogat für die fehlende Erotikpartnerin sind. Das Musical wurde 1957 seinerseits in einer Filmfassung vorgelegt: Silk Stockings (USA 1957, Rouben Mamoulian). 3 Bekanntermaßen ist das “ Kleine Schwarze ” als etwas über knielanges, hoch geschlossenes, gerade geschnittenes Hemdkleid aus Crêpe Marocain (ein damals neuartiges, knitterarmes Seiden-Wollgewebe) mit langen Ärmeln und hohem Halsausschnitt eine Erfindung Coco Chanels aus dem Jahr 1926 und bildete innovativ die einheitliche Grundlage ihrer Kollektion zugleich für Tageskleider und Abendkleider (dann bodenlang mit tiefem Rückendekolleté). Mit dem Kleinen Schwarzen schafft Chanel die Garçonne als neuen Frauentyp in der Haute Couture, der sich ungehindert in einer einheitlichen Kleidung sozial und auch faktisch in der nicht einengenden Kleidung frei bewegen kann, cf. Kinzel 1990. Heute ist in der Folge von Audrey Hepburn und Givenchy das “ Kleine Schwarze ” vor allem ein etwa knielanges Etuikleid, das heißt ein Kleid ohne horizontale Taillennaht, dafür mit vertikalen Abnähern zur optimalen Passform mit in der Regel kurzen Ärmeln oder ärmellos mit waagrechtem oder rundem Halsausschnitt. Siehe zur Bedeutung von Coco Chanel für die Damenmode des 20 Jh.s auch mit dem nach ihr benannten Kostüm aus dem Jahr 1955 (cf. Kinzel 1990: 166 - 205). Historischen Ruhm erhielt 1963 das pinkfarbene Chanel-Kostüm von Jaqueline Kennedy mit dem Blut des in Dallas ermordeten John F. darauf; cf. zum ikonischen Status des Chanel-Kostüms für die 54 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [54] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL (Frühstück bei Tiffany, USA 1961). 4 In diesem Film verkörpert Holly Golightly nur eine Maske, nämlich den Selbstentwurf einer ganz anderen Person namens Lula Mae Barnes, die aus einer Ehe mit einem wesentlich älteren Mann aus der Provinz nach New York geflohen ist. Dort schlägt sie sich als Gelegenheitsprostituierte im Jet Set herum und möchte diesem Leben durch die Heirat mit einem reichen Mann entkommen. Ihr ganzer Persönlichkeitsentwurf als Holly Golightly scheitert aber schließlich: Einen reichen Mann findet sie nicht, stattdessen findet sie im Film ihre Liebe mit einem verkrachten Autor, der sich von einer reichen Frau aushalten lässt. Mode wird in Breakfast at Tiffany ʼ s bewusst von Holly als Entwurf eines fiktionalen, eigenen Selbst inszeniert, das die alte Person Lula Mae Barnes camoufliert. Zur Ikone ist vor allem eine Standfoto aus dem Film geworden (vergleiche Abb. 1), auf dem zu sehen ist, wie Holly Golightly im Kleinen Schwarzen Fast Food vor den Auslagen von Tiffanys frühstückt und dabei ihr Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille verbirgt. Sie ist mit Modeschmuck behangen und trägt lange Handschuhe, die den Aspekt der Abendgarderobe betonen. Die berühmte Aufnahme zeigt Holly aus der Perspektive der Auslagen, die sich in der Fensterscheibe spiegeln und ihr Gesicht hinter der großen Sonnenbrille einrahmen, in genau dem Moment, als mit der wegen ihres Lebenswandels gelösten Verlobung durch den reichen Brasilianer alle Träume Hollys zerbrechen und ihre mühsam aufgebaute, autonom gewählte Identität zu scheitern droht. Vorgeführt wird ein weiblicher Autonomieversuch, der scheitert, weil er nicht auf Gefühlen und diese Gefühle und mit ihnen die Frau nicht dem richtigen Mann unter- und beigeordnet sind, sondern die Frau ihren Autonomieversuch rein auf Äußerlichkeiten aufgebaut hat. Diese Äußerlichkeiten umstellen wie die Auslagen von Tiffanys und verhüllen wie die modische Kleidung und die Accessoires als Camouflage eine Person, die eigentlich gelähmt, ausweglos und ohne alternativen Lebensentwurf ist. Heute gilt dagegen der “ Audrey Style ” 5 als Inbegriff einer mondänen und anspruchsvollen Eleganz. Audrey Hepburn scheint besonders geeignet dafür zu sein, sich mit Mode im Film auseinanderzusetzen, weil sie als ‘ femme fragile ’ einerseits einen neuen Frauentyp erfolgreich in den Film der 1950er Jahre einführt, andererseits, weil ihre Filme oftmals mit dem Herstellen eines neuen Looks massiv spielen und ihn inszenieren: Innerhalb der weibliche Kleidung des 20. Jh.s (cf. Kinzel 1990: 217 - 221); vergleiche einführend zum “ Kleinen Schwarzen ” im Film Buovolo 2006. 4 Die Zusammenarbeit von Hubert de Givenchy und Audrey Hepburn begann bereits 1954 beim Film Sabrina (USA, Billy Wilder), für den Edith Head, lange Zeit die einzige führende Kostümbildnerin in Hollywood, 1955 ihren sechsten von acht Oscars für das beste Kostümdesign gewonnen hat. Kolportiert wird dabei, dass Hepburn ihre eigenen Kleider getragen habe (cf. Clarke Keogh 2000); was aus einer übergeordneten Perspektive ex negativo vor allem zielgerichtet der Imagebildung der Hepburn und der Herausbildung eines ganz speziellen, so genannten “ Audrey-Styles ” dient. Person und Rolle gehen hier eine untrennbare Verbindung ein, was vielleicht durch das Vorbild der ersten modernen Stilikone schlechthin begründet ist: George Bryan Brummell, genannt Beau Brummell, der um 1800 den Dandy-Stil erfand, bei dem äußere Erscheinung (als Signifikant) und Persönlichkeit (als Signifikat) auf dem Fundament allgemein menschlicher Werte (Referent) eine Einheit bilden und historischen sozialen Zwängen eine visuelle und soziale Alternative sichtbar und damit denkbar und subversiv gegenüberstellen sollen. 5 So eben der gleich lautende Titel des unreflektiert apologetischen Fan-Buches über den Kleidungs- und Lebensstil von Audrey Hepburn und seine praktische Anwendung für die Leserinnen von heute, cf. Pamela Clarke Keogh 2000. Textile Texte 55 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [55] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Filme Audrey Hepburns wird oft ein Wechsel des Äußeren der von Hepburn verkörperten Figur inszeniert. 6 Dieses neue Äußere der von Hepburn verkörperten fiktionalen Figur überträgt sich dann im Laufe der Zeit als innerfiktionales Image auf Hepburn selbst und wird aus der heutigen Perspektive zu einem Bestandteil ihres außerfilmischen Images, nämlich der Mode- und Stilikone Audrey Hepburn. Beispielsweise inszeniert schon Roman Holiday (Ein Herz und eine Krone, USA 1953, William Wyler) die Personwerdung der Frau vor allem durch einen Kleidungsals Modewechsel. In der Ausgangssituation kann die junge Kronprinzessin Anne nur heimlich dem strengen Hofprotokoll entfliehen: Sie streift bei einem Empfang unter ihrem langen Reifrock die sie schmerzenden Schuhe ab, lässt sich äußerlich aber nichts anmerken. Die Kamera zeigt hier im Blick unter den Rock die wahre Person, die sich mit der Rolle als Prinzessin noch nicht identifiziert, sondern diese nur gehorsam spielt. Erst durch den Ausbruch aus dem goldenen Käfig und das partielle Ausleben individueller Persönlichkeitsanteile gelangt Anne schließlich zu einer neuen Rollensicherheit als Prinzessin und verzichtet zu Gunsten ihrer nationalen Aufgabe als künftiges Staatsoberhaupt ganz bewusst auf eine nicht standesgemäße Liebesromanze mit dem Reporter Joe Bradley (Gregory Peck). 7 Die römischen Ferien sind also eine Heterotopie im Foucaultschen Abb. 1: Mode-Film-Ikone(n): Audrey Hepburn als Holly Golightly im ‘ Kleinen Schwarzen ’ von Hubert de Givenchy vor Tiffanys in Breakfast at Tiffany ’ s (USA 1961, eigener Screenshot) 6 Vergleiche Hepburn beispielhaft in Billy Wilders Sabrina (USA 1954) als Aschenputtel und später als Pygmalion dann in George Cukors My Fair Lady (USA 1964). 7 Der Film ist auf der Folie des Regentschaftsantritts der 26-jährigen Elisabeth II. 1952 und ihrer Krönung 1953 als Versicherung einer domestizierten weiblichen Geschlechterrolle zu lesen: Auch wenn eine Frau Königin, also Herrscherin, wird, bleibt sie dabei eine typische Frau, das heißt ihren von außen an sie heran getragenen Verpflichtungen untergeordnet. 56 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [56] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Sinne, das heißt, sie ermöglichen als Raum einerAbweichung, als partieller Gegenraum zum Hofleben, schließlich den Reifungsprozess der Prinzessin. Dabei inszeniert der Film durchgehend, dass die Personen nur Rollen spielen, also eine Nicht-Identität des äußerlich Sichtbaren mit der eigentlichen Person vorliegt: Joe weiß, dass er sich mit Prinzessin Anne in Rom vergnügt und verschweigt ihr dieses Wissen über ihre wahre Identität, um einen Sensationsbericht über sie zu verfassen. Anne verschweigt Joe ihrerseits ihre wahre Identität, um ihre Freiheit genießen zu können und trägt die typische Kleidung eines jungen, unerfahrenen Mädchens. Diese Rollen halten beide auch aufrecht, als sie schließlich am Ende des Films einander schon durchschaut haben. Soziale Rollen zu übernehmen und dafür egoistische Wünsche nach Autonomie aufzugeben, ist dann der zentrale Wert, den der Film abschließend vermittelt: Genau so, wie Joe aus Liebe zu Anne schließlich darauf verzichtet, auf ihre Kosten mit einem Sensationsbericht über sie seine Karriere voranzutreiben und mit dem erwartbar hohen Honorar seine Schulden zu begleichen, genau so opfert Anne ihre Liebe zu Joe für das nationale Kollektiv. Durch das Selbstopfer reifen beide als Personen, was sich wechselseitig am Filmende beim Pressempfang in einer neuen Rollensicherheit im Umgang miteinander als Reporter und Prinzessin ausdrückt. Bemerkenswert ist nun, dass der Film die weibliche Selbstfindung als Person, die sich mit der vorgefertigten weiblichen Rolle identifiziert, durch einen Kleidungswechsel markiert, der nur die eine Prinzessinnenrolle mit der anderen des Backfischs austauscht. 8 Dabei ist es dann besonders Annes Wahl einer neuen Frisur, die als erste eigene Tat jenseits der Palastmauern einen eigenständigen Persönlichkeitsausdruck und damit eine weibliche Emanzipation kodiert: Zum Backfisch-Outfit passen die langen Haare nicht; die neue Kurzhaarfrisur wird der nur gespielten Rolle des wohlerzogenen Twens aus bürgerlichem Haus angepasst. Das Abschneiden der langen Prinzessinnenhaare und die Wahl einer sehr kurzen Frisur mit frechen Löckchen - die zunächst gegen den Willen des ausführenden italienischen Friseurs aus dem Straßengeschäft, dann schließlich von diesem wohlwollend als perfekt zu Annes Person passender Look onduliert wird - wird vom Filmende aus, in der Differenz von neuer Kurzhaarfrisur und alten Prinzessinnen-Outfits, dann nicht mehr als Ausdruck eines alternativen Looks und Anpassung an die neue, nur gespielte Rolle des Backfischs lesbar, sondern als Ausdruck der eigenen, inzwischen herangereiften Persönlichkeit als Prinzessin. 9 Annes bewusste Wahl einer modischen, stilistischen Alternative wird als Markierung von Identitätsgewinn im Film entwickelt, die Synthese zweier Stilvarianten am Schluss dann als gelungene Initiation und Vereinigung von Person und sozialer Rolle bewertet. 8 Für die Kostüme in Roman Holiday bekam Edith Head 1954 ihren fünften Oscar; danach für die Kostüme im Film Sabrina (USA 1954, Billy Wilder), wiederum mit Hepburn in der weiblichen Hauptrolle, 1955 ihren sechsten Oscar für das beste Kostümdesign. 9 Dass das Abschneiden langer Haare nicht nur redensartlich das Abschneiden alter Zöpfe und damit eine radikalen Neubeginn kodieren kann, sondern für Frauen gar zum existenziellen Topos gerät, mit dem die Frau sich gewissermaßen selbst gebärt und als Person radikal neu entwirft, verdeutlicht vielleicht am Eindrucksvollsten Mia Farrows Wechsel zur modisch-geometrischen Kurzhaarfrisur von Vidal Sassoon in Rosemary ’ s Baby (USA 1968, Roman Polanski). Textile Texte 57 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [57] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL 3 Comeback der 1950er Jahre In Stanley Donens Musical Funny Face (Ein süßer Fratz, USA 1957) verkörpert Audrey Hepburn die an Mode zunächst völlig uninteressierte, dafür in der philosophischen Theorie des “ Empathiekalismus ” - eine Parodie auf den Existenzialismus als innerer, geistiger Ebene - aufgehende Buchhändlerin Jo Stockton. Als “ Empathiekalistin ” trägt sie Kleidung, die vom “ existenzialistischen Stil ” beeinflusst ist: schwarz, Hosen, Baskenmütze, rotes Halstuch und als solches im Ganzen als unweibliche Nicht-Mode, als Anti-Mode, gesetzt. Den Standard für die weibliche Kleidung inszeniert der Film im Gegensatz zu Jo mit der Herausgeberin des Frauenmagazins Quality, Maggie Prescott, die mit der Eröffnungsnummer Think Pink normativ ein neues weibliches Modeideal setzt, das sich an der Farbe Pink als Inbegriff von Weiblichkeit orientiert. 10 Zur Umsetzung dieses neuen Frauenideals sucht Maggie Prescott nun einen neuen Frauentyp, den ihr Fotograf Dick Avery (Fred Astaire) bei Modeaufnahmen in Jos Buchhandlung in dieser zu entdecken glaubt. Die Liebeshandlung zwischen Jo und Dick dient dabei im Film vor allem dazu, Jo vom Empathiekalismus als einem verirrten Wunsch nach weiblicher Autonomie zu befreien. Avery muss dagegen erkennen, dass ihm als Mann zum ultimativen Glück statt all der künstlich entworfenen und auf wechselnde Models projizierten idealen Vorstellungen von Frauen die eine echte Frau fehlt: die Ehefrau. Der neue Frauentyp, den Avery und Maggie Prescott schaffen möchten, gut aussehend und zugleich klug dabei, ist also substanziell in keiner Weise ein neuer oder gar intellektueller Frauentypus, der sich am Existenzialismus und damit auch an einer geistigen Eigenständigkeit der Frau orientiert, sondern einfach eine neue, schlanke Silhouette, die von Audrey Hepburn verkörpert wird. Der Star Hepburn ist als Jo im eigentlichen Sinn das junge und frische Gesicht, das Avery nach den ersten Zufallsfotos von ihr im Bild, im Foto, zu sehen glaubt. Ein Frauentyp also, der zwar in der Realität der Diegese schon da ist, aber nicht unmittelbar gesehen und wahrgenommen wird, sondern ein nur visuell neuer Frauentyp, der erst mittels einer medialen Inszenierung und eben der Fotografie im Film und des Films Funny Face selbst medial inszeniert und als solcher hervorgebracht werden muss. Das Modell einer weiblichen Initiation, bei der die Modebranche als Domestikations- und Übergangsraum der Frau zur Hervorbringung einer als natürlich postulierten weiblichen Identität funktionalisiert wird, wie es in Funny Face anhand Audrey Hepburn verkörpert wird, ist auch heute noch - in Varianz - für die US-Filmkomödie bestimmend, wie David Frankels The Devil Wears Prada (Der Teufel trägt Prada, USA 2006) zeigt: Die junge, etwas linkische Andrea Sachs (Anne Hathaway) 11 - von allen “ Andy ” genannt, frisch in 10 Cf. zu Rosa als Farbe weißer Weiblichkeit Kaiser/ Flury 2005, die allerdings das von Elsa Schiappirelli 1936 für Mae West als Provokation “ erfundene ” Shocking Pink völlig unerwähnt lassen, mit dem West auf die sportliche Frau als damals modisch dominierendem Gegentyp reagierte und ihren Status als autonome Frau mit extremen weiblichen Rundungen und einer aggressiven und selbst bestimmten weiblichen Sexualität provokativ gegen den Modetrend der Zeit behauptet hat. Shocking Pink war die Farbe einer hyperbolisch übertriebenen weißen Weiblichkeit und subvertierte das Pink der reinen weißen Weiblichkeit, wie diese eben auch in Jackie Kennedys Pinkfarbenem Chanelkostüm 1963 kulminiert, das sie trug als John F. erschossen wurde. 11 In Anne Hathaways fiktionalem Image, in ihrem Rollenfach, ist die Initiationsgeschichte und damit verbunden ein radikaler Kleidungswechsel schon in ihrem ersten internationalen Durchbruch angelegt: The Princess Diaries (Plötzlich Prinzessin, USA 2001, Garry Marshall). Die filminterne Inszenierung eines neu 58 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [58] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Journalismus absolvierte Abgängerin der Northwestern University (also aus der Provinz Illinois), mit kleinen Auszeichnungen für ihre sozialkritische Berichterstattung - versucht ihren ersten Job in der Metropole New York zu ergattern und damit ihre Karriere als Journalistin zu starten. Trotzdem Andy sich - auch äußerlich sichtbar - weder für Mode interessiert, noch das Magazin Runway (als Parodie auf die US-Vogue) und seine Chefredakteurin Miranda Priestly (Meryl Streep als Parodie von Anna Wintour) kennt, wird sie von Miranda als deren zweite Assistentin eingestellt, weil sie sich im Gegensatz zu den bisherigen Assistentinnen, als Person mit einer besonderen Arbeitsmoral präsentiert: Sie sei klug, lerne schnell und gebe immer ihr Bestes. Der Film führt nun Andys fortschreitenden Assimilationsprozess in die Welt des Modemagazins Runway vor: Zunächst scheitert Andy, weil sie sich zwar Mühe gibt, für Andy der erfolgreiche Abschluss einer Arbeit aber noch nicht als sich selbst genügender Lohn erkannt wird. Die Person soll als erwachsene Person vollständig in ihrer Berufsrolle aufgehen. Weder für das Privatleben, noch für moralische Skrupel bleibt Raum. Dementsprechend schreitet die Handlung des Films vorhersagbar voran: Andy vernachlässigt ihren Freund und ihre Freunde, stattdessen integriert sie sich vollständig in die Welt der Mode und lässt sich nach einer ersten persönlichen Krise vom Art Director des Magazins komplett aus dem Bestand von Runway neu in Prêt-á-porter bekannter Modeschöpfer einkleiden. Andy verwandelt sich unter dem Modediktat von Runway in kurzer Zeit von der in legere Kaufhausmode gekleideten College-Absolventin hin zur perfekt und in allen Accessoires in sich stimmigen Chanel-Schönheit. Mit diesem Wechsel von Kleidung zu Mode wird Andy auch zu einer neuen Person, die von ihrem Freund und ihren Freunden nicht nur äußerlich nicht mehr er- und gekannt wird. Weil Andy alles ihrer Arbeit für Runway und Miranda unterordnet, entfremdet sie sich zunehmend von ihrer sozialemotionalen Bezugsgruppe aus gleichaltrigen Freunden und von ihrem Erotikpartner. Andy wird dabei nicht nur zur perfekten Kopie eines durchgestylten Models, sondern sie ersetzt auch zunehmend Mirandas erste Assistentin Emily, der sie, Emily ausbootend, den Rang bei Miranda abläuft. Andy ist auf dem besten Weg so zu werden wie Miranda: Skrupellos alle Kollegen hintergehend, bloß am eigenen Machterhalt interessiert, despotisch über den Stab der eigenen Mitarbeiter herrschend, die Mode diktierend und ohne glückliches Privatleben oder eine gelingende erotische Beziehung. Die ultra-modische Fassade in The Devil Wears Prada maskiert nur das egoistische Streben nach unumschränkter Macht um ihrer Selbst willen, dahinter steht der Verlust aller Werte, die der Person eigentlich wichtig sind. Als Andy dies begreift, erkennt sie, dass sie nicht wie Miranda sein will, dass sie keine Karriere in der Modebranche machen, sondern ernsthafte Journalistin werden möchte - und dass sie ein Privatleben haben möchte. Am Ende des Films bekommt Andrea eine Anstellung beim fiktiven “ New York Mirror ” , einer sozialkritisch berichtenden Tageszeitung, für die Andy mit ihrem Studium und ihren Auszeichnungen genau die richtige ist; auch ihrem Freund nähert sie sich wieder an. Am Ende glückt also Andys Initiation vom Außenraum des provinziellen College in den Beruf in der Metropole New York und als Abschluss der Reifung zur jungen erwachsenen Frau doch noch, obwohl sie den Umweg hergestellten Looks verbindet Hepburn und Hathaway. Pointiert formuliert lässt sich die These wagen, dass Hathaway die Hepburn des neuen Jahrtausends ist, wie Meg Ryan die Doris Day der 1990er war. Textile Texte 59 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [59] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL über die Modebranche gemacht, gerade aber noch rechtzeitig den Absprung geschafft hat. Ihre ganzen ultra-modischen Outfits schenkt sie Emily, die wieder unangefochten Mirandas erste Assistentin ist. Am Ende des Films ist Andrea aber eine der modischen jungen Frauen, die auch die Anfangstitel des Films als die paradigmatische, junge New Yorkerin vorgeführt haben: Junge Frauen, die modisch, aber nicht zu modisch angezogen sind, sich schminken und auf ihre Figur und ihre Ernährung achten - und einen gut aussehenden Partner haben, den sie in einer schicken New Yorker Innenstadt-Wohnung zurück lassen. Junge Frauen also, die selbst der Welt eines Modemagazins entsprungen sein könnten, die implizit die Leserschaft von Runway bilden und für die Miranda und ihr Stab das Magazin herausbringen. 12 Die Anfangstitel des Films geben damit das optische Ziel vor, dass Andy am Filmende schließlich erreicht: Sie ist eine der - in der Logik des Films - normalen, durchschnittlichen jungen Frauen in New York. Sie ist endgültig in der Metropole und in einer gefestigten sozialen und sich wieder festigenden privaten Rolle angekommen und vom Mädchen zur Frau mit “ normalem ” Modebewusstsein gereift, die weiß, was sie will. Miranda Priestly ist auf der Folie von Andys Entwicklung in der an sich schon extremen Modewelt, die unter der Fassade des schönen Scheins durch rücksichtslosen Egoismus und Ausbeutung aller Mitarbeiter gekennzeichnet ist, das extreme Negativ-Beispiel einer Frau, wie sie der Film abwertet. Von ihr überträgt sich das Merkmal der Maskierung der Person durch Mode auf die High-Fashion, die Miranda und ihre Mitarbeiterinnen tragen und die Gegenstand von “ Runway ” ist: High-Fashion ist nicht Ausdruck der Identität der Person und schlimmstenfalls eine verstellende Maskerade. Auf aktuelle, gemäßigte Mode überträgt sich durch Andy am Schluss dagegen (sie trägt Stiefel, Jeans, taillierte Lederjacke, Rollkragenpullover, die ähnlich auch die Frauen der Anfangstitel präsentiert haben) das Merkmal der authentisch die junge erfolgreiche berufstätige Frau kennzeichnenden Kleidung. Die Kleidung, die die Frauen der Anfangstitel und Andy am Schluss tragen ist zwar keine High-Fashion, als Mode aber Gegenstand des Magazins Runway, dass ja für genau diese implizierten Leserinnen setzt, was Mode ist und was nicht. Wenn nun der Film am Ende die modisch veränderte Andy als die natürliche, zur Frau gereifte Andrea präsentiert, dann dienen die Spielfilmcodes hier, ganz im Sinne von Barthes rhetorischem System über Mode (cf. Barthes 1985), dazu, die Konnotationen, die mit einem mittleren Maß an Mode und eben mit jungen berufstätigen Frauen in New York verbunden werden, zu naturalisieren und die weibliche Geschlechterrolle im Akt der vorgeführten Domestikation zum idealisierten Mittelmaß zu anthropologisieren. The Devil Wears Prada und Funny Face mögen zwar aus unterschiedlichen Jahrzehnten, ja gar Jahrtausenden stammen, trotzdem zeigen sie damit eine gruselige Kontinuität. 12 Erwähnt werden sollte hier, dass der Regisseur David Frankel vor The Devil Wears Prada vor allem als Regisseur der selbst mode- und stilprägenden Serie Sex & the City (USA, HBO 1998 - 2004) in Erscheinung getreten ist. 60 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [60] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL 4 Mode als weibliche Narrheit: das Beispiel The Women George Cukors Komödie The Women (Die Frauen, USA 1939) 13 vermittelt beispielhaft die semantischen Dimensionen von Frauenmode im Film: (i) Semiotisierung von Kleidung als Kode für andere Bedeutungszusammenhänge, (ii) Indizierung von Geschlecht und sozialem Status und (iii) Markieren weiblicher Initiationsverläufe. Auf dieser Basis entwickelt der Film darüber hinaus (iv) eine filminterne Reflexion über Mode als auf sich selbst bezogenes Nichts. Diese Semantik der Mode als Nichts kaschiert einerseits, dass Kleidung im Filmganzen semiotisiert wird und trägt damit zur Naturalisierung von ja eigentlich konstruierten Konnotationen und Werten und Normen durch das Filmganze bei. Andererseits wird mit der Semantik der Mode als Nichts eine relevante negative Wertung von Mode greifbar, die für die Kultur bestimmend ist. 4.1 Handlung und Moral Der Film beginnt damit, dass die Kamera in einen, eigentlich abgeschirmten, rein weiblichen Raum eindringt: Den Schönheitssalon Sidney ’ s in der Fifth Avenue, der von den (Ehe-) Frauen der New Yorker Oberschicht aufgesucht wird. Hier führt der Film einen weiblichen Mikrokosmos vor, in dem sich alles darum dreht, sich selbst zu verschönern, um 1. einen (neuen) Ehemann zu bekommen und/ oder 2. (s)einen Ehemann zu behalten und 3. alle anderen Frauen als Rivalinnen um Geld und Stellung der Ehefrau, die sich allein aus dem Status des Ehemannes heraus definiert, zu übertrumpfen. Dabei sind vor allem Indiskretionen und Verbalinjurien der Frauen untereinander Mittel des femininen Machtkampfes um die soziale Stellung - sei es im privaten Raum von Boudoir oder Bad, in der eigenen Wohnung, in der Stadt oder auf dem Land; sei es im halböffentlichen Raum des Schönheits- und Modesalons; sei es im öffentlichen Raum der Parfümerie und der Nachtclubs; alles im Übrigen keine Berufswelten. Dass der Status der Ehefrau mit Kindern der einzige, der Frau als solcher angemessene Status ist, vermittelt der Film auf allen seinen Ebenen, sei es direkt verbal, wenn eine Autorin sagt “ Ich bin das, was die Natur verabscheut, eine alte Jungfer, ein eingefrorenes Guthaben ” ; sei es auf der Ebene der Handlung, die mehrfach weibliche Domestikationen vorführt: In der Haupthandlung erfährt Mrs. Stephen Haines (Norma Shearer) durch ihre Freundinnen, dass ihr Mann, ein erfolgreicher Bauingenieur, eine Affäre mit der Parfümverkäuferin Crystal Allen ( Joan Crawford) hat. 14 Mary Haines beharrt nun auf ihrem Stolz und stellt ihren Mann gegen den Rat ihrer eigenen Mutter, zur Rede, was zur Scheidung führt. Der Film setzt hierbei in der vom Filmverlauf bestätigten Konfrontation von Mutter und Tochter, dass (i) es in der Natur des Mannes liegt, 13 Ein erstes Remake erlebte der Film schon 1956 unter der Regie von David Miller als The Opposite Sex (Das schwache Geschlecht, USA); ein zweites Remake des Films unter der Regie von Diane English mit Meg Ryan als Mary Haines entstand 2008. Dieses Remake behält weitgehend die weiblichen Hauptcharaktere bei, verlagert aber die ganze Handlung insgesamt in die New Yorker Modeszene. Mary Haines ist nun eine Modedesignerin und Annette Benning als Sylvia Fowler Herausgeberin eines führenden Modemagazins; nur Eva Mendes als Crystal Allen bleibt eine Parfümverkäuferin bei Saks, Fifth Avenue. 14 Diese Konkurrenz der beiden Figuren mit den beiden damals auch im Starsystem so inszeniert miteinander konkurrierenden Diven Shearer und Crawford zu besetzen, zeigt einmal mehr, wie sehr das Starsystem in Hollywood und die Filmproduktionen ein einheitliches Vermarktungssystem bildeten, cf. einführend zum Zusammenhang von Mode und Starsystem Mosley 2005. Textile Texte 61 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [61] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL sexuell untreu zu sein, um sich wieder jung zu fühlen, die Frauen, mit denen die Ehemänner eine Affäre haben, aber nicht zu lieben, und dass (ii) es einer Mutter aufgrund eines gemeinsamen Kindes und der eigenen Liebe zum Ehemann nicht zukommt, sich scheiden zu lassen. Eine Frau, die Mutter ist und liebt, die kann sich, so die von Mary Haines formulierte Schlussmoral, ihren Stolz nicht leisten. Mary erkämpft sich dementsprechend ihren Ehemann zurück. Mit der Aufhebung der Störung der ehelichen Ordnung, der vorübergehend geschiedenen Ehe von Mr. und Mrs. Stephen Haines, endet auch das für den Film erzählenswerte Ereignis. Da der Mann seiner erotischen Natur nach polygam handelt, muss auf dieser Folie dann vor allem die Geliebte für ihren sozialen Aufstiegswillen sanktioniert werden: Nach ihrer Hochzeit mit Stephen provoziert Crystal die Scheidung, weil sie eine Affäre mit dem Cowboy-Sänger Buck Winston aufnimmt, einem Mann, der seinerseits von seiner reichen Ehefrau aus dem Nichts zu einem Radiostar gemacht wurde und ein “ Zimmermädchenidol ” , also ein Star für die Unterschichten ist. Am Ende haben Buck und Crystal sich nur kurzfristig über ihre jeweiligen Ehepartner in der Oberschicht aufhalten dürfen, am Ende wird die soziale Schranke wieder errichtet: Die Oberschichtfrauen bleiben unter sich, die sozialen Aufsteiger durch Eheschließung, Buck und Crystal, werden aus der Oberschicht entfernt. Die Moral des Films ist also eindeutig: (i) Frauen, die ihre Männer lieben und für die selber sexuelle Affären mit anderen Männern nicht einmal denkbar sind, müssen die sexuellen Eskapaden ihrer Ehemänner um der Kinder Willen stillschweigend durchstehen und um jeden Preis an ihrem Status als ihrem Ehemann untergebene Ehefrau festhalten, denn ein anderer Status ist in der vorgeführten Welt für Frauen nicht denkbar. (ii) Die vor allem von Mary Haines formulierten weiblichen Ansprüche auf eine autonome weibliche Selbstverwirklichung und eine Identität jenseits der Ehefrauenrolle werden von der Handlung zurückgewiesen. 4.2 Kleidung und Stereotyp Kleidung spielt innerhalb des Films eine ganz elementare Rolle bei der bewussten Selbstinszenierung der Frauen und damit für ihre Charakterisierung: Die Protagonistinnen werden durch die Anfangstitel alle mit Tieren emblematisch in Beziehung gesetzt: Es erscheint im Bild zunächst in einer Vignette das Porträt eines Tieres, dann wird in der Vignette mit dem Kopf der weiblichen Figur überblendet und in der Schrift darunter der Name der Schauspielerin und der Figur, die sie verkörpert, eingeblendet, so dass die stereotypen, aus dem kulturellen Wissen bekannten, emblematischen Eigenschaften der jeweiligen Tiere mit den Schauspielerinnen und den Figuren verbunden werden sollen; die Filmmusik trägt das ihre dazu bei, durch Klangfarbe und Orchestrierung diese Konnotationsräume zu bilden: Mrs. Stephen Haines ist unschuldig wie ein Reh, Crystal Allen (ohne Höflichkeitstitel der Oberschicht) ist ein Raubtier auf Beutezug wie ein Leopard, Mrs. Sylvia Fowler ist verschlagen und kratzbürstig wie eine Katze, Mrs. John Day ist dumm und naiv wie ein Schaf usf. Sylvia, die Intrigantin der Geschichte, trägt beispielsweise durchgehend hyperbolisch modische Outfits, die durch Gestik, Mimik und Accessoires gebrochen werden. Sylvia trägt High-Fashion, die sie substanziell als Person nicht ausfüllt und einen Stilbruch nach dem 62 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [62] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL anderen begeht. Beispielsweise strickt sie während einer Modenschau; sie trägt eine überdimensionale Schleife (als Ersatz für einen Hut oder Fascinator Bestandteil der Abendgarderobe) auf dem Kopf zu einem Nachmittagskostüm; sie trägt eine Bluse mit mehreren plastisch gestalteten Augen auf der Brust, die den Eindruck erwecken, das Gegenüber von Sylvia würde von ihr vielfach beobachtet werden. Gerade das letzte Beispiel zeigt dabei, dass Sylvias modische Outfits sie zur Karikatur ihrer Selbst im Film werden lassen, denn sie ist die Frau, die alles über das Privatleben ihrer Freundinnen herausfinden möchte, um sich an den Klatschgeschichten zu erfreuen und sie zu verbreiten und damit ursächlich Mary zur Scheidung zu treiben. Sylvia hat dabei nicht nur keine Kinder, sondern auch einen hysterischen Anfall, nachdem ihr Mann sie verlassen hat und nach ihrer Scheidung einen verdächtigen Hang zur Psychoanalyse. Sylvia kompensiert mit ihren hypermodischen Outfits und ihrer Klatschsucht ein unbefriedigtes Sexualleben, dem mit den Kindern auch die Erfüllung der eigenen Rolle als (Ehe-) Frau fehlt. Sylvia ist - pointiert formuliert - modisch die sich selbst travestierende Ehefrau der Oberschicht. 4.3 Modenschau als Mise-en-abyme In der Mitte des Films, wo alle Handlungen zum entscheidenden Wendepunkt zusammenlaufen, an dem Mary und Crystal direkt miteinander um Stephen Haines konkurrieren, inszeniert der Film nun diesen ersten Showdown, den Crystal noch für sich entscheidet, im Rahmen einer Modenschau in einem Modesalon. Diese Modenschau wird filmisch dabei als besonderer Höhepunkt des Filmes markiert, ist sie doch im Vergleich zum sonstigen Schwarz/ Weiß des Films und seiner perfekten Modulation von Grautönen in gleißendem Technicolor gedreht. Vorgeführt werden dabei Modelle des Modeschöpfers Adrian, der alle Kostüme für den Film entworfen hat. 15 Die Kleider der Modenschau zeigen dabei zwei Linien, die miteinander konkurrieren: Zum einen eine Linie, in der breite Schultern und weite Röcke miteinander kombiniert werden und Anleihen in der Folklore und bei historischen Kostümen gemacht werden, und zum anderen eine sehr körperbetonte, den ganzen Körper von Kopf bis Fuß in lange faltenreiche Stoffbahnen eng ein- und verhüllende Linie. Während die Kleider der ersten Linie als eher konventionelle Alltags- und Festkleidung der Oberschichtfrau präsentiert werden, wird die zweite Linie dazu im Gegensatz als ‘ femme fatale ’ inszeniert. Diese Kleider werden dann im weiteren Verlauf des Films entweder von Crystal getragen, nachdem sie die vorläufig zweite Mrs. Stephen Haines ist, oder aber von Sylvia nach ihrer Scheidung. Bemerkenswert ist die Ankündigung der Modenschau durch die Directrice des Salons als “ kleiner Blick auf die kommende Saison und auch ein Blick in die nahe Zukunft ” . Wenn hier keine Tautologie vorliegen soll, dann bezieht sich die Aussage einerseits im ersten Halbsatz auf die Diegese und die Kleidermode im Film und andererseits im zweiten Halbsatz auf die Präsentation der Mode in einer Farbfilmsequenz und damit auf die Zukunft des Films als Farbfilm, der sich im gleichen Jahr mit The Wizard of Oz (Das zauberhafte Land) und Gone 15 Adrian (1903 - 1959), eigentlich Adrian Adolph Greenberg, war von 1927 - 1941 für MGM einer der bedeutendsten Designer des US-amerikanischen Films der 1930er und 1940er Jahre. Am bekanntesten sind sicher seine Kostüme, inklusive der roten Schuhe von Dorothy, für Victor Flemings TheWizard of Oz (USA 1939), cf. Gutner 2001. Auf ihn gehen auch die Schulterpolster in der Inszenierung des Stars Joan Crawford zurück, die seitdem unausrottbar entweder mal wieder in oder aus der Modes sind. Textile Texte 63 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [63] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL With the Wind (Vom Winde verweht), beide USA 1939 unter der Regie von Victor Fleming, durchsetzt. Schon die Ankündigung der Directrice des Modesalons impliziert also eine selbstreflexive Ebene, die in der Folge in der ganzen farbigen Modenschausequenz mit bestimmend ist. Oberflächlich folgt dabei die Abfolge der einzelnen Modelle dem Tagesablauf: Zuerst sind aus dem Sportbereich, also für den Vormittag, Tennis- und Bademoden, dann aus dem Freizeitbereich für den Nachmittag der Zoobesuch und das ländliche Picknick gewählt, um Abendmode bei einem Theaterbesuch und schließlich extravagante Abendmode wie aus einem Theaterstück oder einem Stummfilm zu präsentieren. Es werden also pro Tageszeit (Vormittag, Nachmittag und Abend) je zwei situative Kontexte vorgeführt, die Frauen beim Müßiggang in Freizeitbeschäftigungen ansiedeln. Als einzige arbeitet hier die Farbige in Dienerinnenlivree, die nach dem Theater die Cocktails für die weißen Mannequins kredenzt. 16 Im Verlauf der Modenschau nimmt die Ebene der Selbstreflexion mise-en-abyme zu: Die Modenschau beginnt und endet mit einer Vignette, die den Vorhang des Laufstegs in der Mise-en-scène genau nachbildet und sich dann in die Bildfüllende Farbsequenz wandelt, wenn der Vorhang aufgeht, ebenso schließt die Farbsequenz. Dem Zuschauer wird also in Farbe nichts Reales, sondern innerhalb der filmischen Diegese selbst eine Inszenierung präsentiert; Farbe ist hier nicht Mittel des Realismus, sondern der Fiktionalisierung. 17 Schon bei den Bademoden fällt dabei auf, das einige der vorgeführten Modelle Details aufweisen, die so kaum tragbar zu sein scheinen: Beispielsweise dient eine skulpturale, plastisch-dreidimensionale Hand in Lebensgröße mit Diamantring und nachgebildeter Rose als frontal dominierender Verschluss eines schwingenden, Hüftlangen Badecapes (vgl. Abb. 2) oder es korrigiert eine Frau ihre Frisur mit überdimensionierten Fäustlingen aus Pelz. Die vorgeführte Mode wird damit insgesamt als hyperbolisch und übertrieben, als nicht ganz real und potenziell auch lächerlich präsentiert. Vor allem aber dienen diese einzelnen Fiktionalisierungssignale dazu, die selbstreflexive Ebene auszubauen. Dementsprechend wiederholt sich zum Beispiel die plastische Hand des Badecapes als Druck auf dem Innenfutter des Capes und als Druck auf dem Badeanzug selbst: das in seinem medialen Variationen redundante Kleidungsdetail dominiert über die Kleidung und wird in seiner seriellen Reproduktion in unterschiedlichen vestimentären Medien in der Mise-en-scène (die Hand als Skulptur und als Textilaufdruck) zum eigentlich dominierenden Hauptmerkmal. Ein sandfarbenes Cape, das bodenlang in übereinander gelegten Schichten weit ausschwingend von einer Kappe aus Plexiglas (! ) ausgeht und über einem gewagt viel Haut zeigenden gleichfarbigen Bikini 18 (! ) getragen wird, erinnert an die Uniform französischer Fremdenlegionäre und wird in einer Überblendung mit einem kleinen Äffchen in einer Miniaturausgabe des gleichen Kostüms montiert. Genau so, wie in den Anfangstiteln Tier 16 Cf. zu diesem typisch unsichtbaren Auftritt einer Farbigen im Hollywoodfilm Dyers 1993 brillantes Essay White. 17 Cf. einen ähnlichen Befund für den deutschen Farbfilm der 1940er Jahre Krah 2004. 18 Cf. zur Geschichte des zweiteiligen Badeanzugs vor 1946 und zum Durchbruch des Bikinis nach 1946 Berger 2004. 64 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [64] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL und Figur gegen geschnitten wurden, genau so wird hier im Film in der Modenschau dieser Motivkomplex aus den Anfangstiteln aufgegriffen und in den Film selber hinein verlegt. Hier, so die Bedeutung, kommentiert eine höhere Erzählebene mise-en-abyme das filmische Geschehen. Gezeigt wird dann nach einer Aufblende von der Ganzgroßaufnahme des Affen zur Halbtotalen des Laufstegs, dass noch andere Affen im Käfig in ähnlichen Kostümen hocken, wie sie die Damen vor dem Käfig in ihrer menschlichen Ausführung tragen. Affen im Käfig und Mannequins davor sind also prinzipiell als gleichwertig gedacht und kommentieren ihrerseits die Figuren der Filmhandlung. Dass damit insgesamt die Mode und Frauen, die modisch angezogen sind, der Lächerlichkeit preisgegeben werden sollen, zeigt sich im weiteren Verlauf der Modenschau daran, dass die Käfiggrenze zwischen Mannequins und Affen nur visuell, nicht aber paradigmatisch eine Grenze ist. Die Mannequins, die trotz des schriftlichen Verbotes ( “ Don ’ t feed the monkeys! ” ) am Käfig kleine Bröckchen aus Tütchen in den Käfig werfen, drehen sich vom Käfig weg und werfen Bröckchen in Richtung Publikum der Modenschau, das die ganze Farbsequenz über visuell ausgeblendet wird. An die Stelle der Figuren in der filmischen Diegese tritt der Zuschauer des Films in der Farbsequenz; ihm werfen die Mannequins die Bröckchen zu. Die Frauen in der Modenschau des Films, beziehungsweise die filmexternen Zuschauer, die an ihre Stelle rücken, werden in den Rang der den Modenarrheiten verfallenen, lächerlichen Äffchen gesetzt. Wer als Zuschauer über die Modenarrheiten im Filmbild lacht, soll - so der ironische Unterton - auch über sich und seinen eigenen, womöglich lächerlichen Kleidungsstil lachen. Abb. 2: Modenschau in The Women (USA 1939, George Cukor): Skulpturale Hand mit Rose und Ring als Schließe eines Badecapes (eigener Screenshot) Textile Texte 65 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [65] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Diese Mise-en-abyme der Zuschauer wird in der ersten Abendgarderobenszene noch gesteigert. Zu sehen sind zunächst aus der Sicht einer Sitzreihe in einem Theaterparkett als Kulisse gemalte Theaterränge, also Zuschauer von hinten. Eine simulierte Vorstellung ist zu Ende und aus den Kulissen treten die Mannequins in ihrer Abendmode in den Bühnenvorderraum um Cocktails zu sich zu nehmen. Die Szenerie der Modenschau steigert sich also zur Inszenierung eines Theaterstückes in der Inszenierung der Modenschau in der Inszenierung des Films. Die zweite Szene der Abendmode versetzt die Mannequins dann ganz in eine fiktionale Welt, Sie treten durch eine Drehtür auf eine Bühne, die aus gemalten, überdimensionierten Erlenmeierkolben und Destillen besteht und ein alchemistisches Labor wie das des Rotwang in Metropolis oder eine Art Hexenküche vorstellt. Dabei bewegen sich die Mannequins statuenhaft und mit einem unnatürlichen, stark choreografieren, schleppenden, zeitversetzten Gang und in gespreizten Posen mit in die Hüften gestemmten oder über der Brust gekreuzten Armen, wie dieser Gang aus etwa zeitgleichen Horrorfilmen, beispielsweise der Dracula untergebenen drei weiblichen Vampire in Tod Brownings Dracula (USA 1931), oder aber als Auftritt der Garbo in Mata Hari (USA 1931, George Fitzmaurice) bekannt ist. Dazu wird gedämpfter Saxophon-Jazz in orchestrierte Radio-City-Hall-Sounds montiert und verstärkt die Konnotation lasziver, mondäner Abendmode. Vom Sport und einer nicht unmöglichen, im Rahmen des Konventionellen bleibenden Mode in der ersten Sequenz der Modenschau bis hierher zur in Codes gerade vergangener Spielfilmdiven inszenierten Abendrobe am Ende der Modenschau nimmt also die Fiktionalisierung mit der steigenden Inszenierung mise-en-abyme zu: Zum letzten Kleid trägt das Mannequin Handschuhe mit überdimensionalen Kleiderhaken in Gold mit Kristallknauf auf dem Handrücken. Sinn der ganzen Farbsequenz der Modenschau ist damit, die Mode immer weiter in einen imaginären - positiv gewendet surrealen, negativ gewendet absurden - Vorstellungsraum hin auszuweiten. Die Mode wird damit insgesamt im Film als eine realitätsferne Projektion, als eine Hülle greifbar, zu der das Leben der Oberschichtfrauen in eine reziproke Distanz tritt: Einerseits ist die Mode inhaltsleer, absurd und lächerlich, Frauen in Mode sind nichts weiter als animalische Wesen, dressierte Äffchen, die sich auf Unwichtiges und Äußerliches richten. Allerdings führt der Film ja andererseits umgekehrt auch vor, dass Frauen sich ausschließlich durch ihren Status als Ehefrau, durch Verzichtbereitschaft auf eigene Autonomie und Kompromissbereitschaft hinsichtlich männlicher erotischer Untreue definieren, also nur als den Status des Mannes kennzeichnendes Beiwerk, als seine erweiterte Hülle. Funktional zeigt der Film keinen einzigen Mann im Bild. Am Filmende, als Mary ihrem Stephen in die Arme läuft, blendet der Film schließlich ab, als Stephen ins Bild kommen müsste. Dort, wo der Mann in der Uniform des bürgerlichen Anzugs in der Welt jenseits des Films die Welt gestaltet und bestimmt, da trägt die Garderobe seiner Frau (en) im Film seinen sozialen und ökonomischen Status zur Schau. 19 19 Cf. Hollander (1995: 105 - 183). 66 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [66] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL 4.4 Mode als Kampfanzug der Selbstinszenierung: Crystal versus Mary Genau in diesem semantischen Rahmen der Mode präsentiert der Film im Anschluss an die Modenschau die Konfrontation von Ehefrau und Geliebter. Vor der Modenschau war Mrs. Stephen Haines mit ihren stichelnden Freundinnen zusammen, die unter der Anführung von Sylvia versuchten, Mary ein Eingeständnis um das Wissen der Untreue ihres Mannes zu entlocken. Nach der Modenschau taucht plötzlich Crystal Allen im Salon auf und schnappt Mary Haines vor der Nase ein sündhaft teures Nachthemd weg. Deutlich fungiert das Nachthemd hier als metonymisch gemeintes Zeichen für das eigentlich Gemeinte: Sex mit Stephen Haines. Als Nachthemd - und sei es noch so ein luxuriöses Negligé - ist es eine eher legere Bekleidung, eher ein Weniger an weiblicher Kleidung und vor allem ohne weitere Unterwäsche unmittelbar auf dem Körper zu tragen. Eine Kleidung, die man im Bett trägt, das stellvertretend für den Ort der ehelichen, der legitimen Sexualität steht. Wenn die Geliebte der Ehefrau das Nachthemd im Modesalon streitig macht, dann macht sie ihr auch ihren Status als Ehefrau und damit als Frau mit Sinn streitig. Während Mary, als sie erfährt, wer Crystal ist, noch versucht die Fassung zu wahren, und Crystal, als sie erfährt, dass Mrs. Stephen Haines auch anwesend ist, zumindest verbal versucht das Gesicht zu wahren und sich als alte Freundin von Stephens für sie fürsorgender Familie auszugeben (also im Topos des 19. Jh.s von der Mätresse als Mündel), stachelt Sylvia Mary schließlich zur direkten Konfrontation an: Sylvia erzählt Mary, dass sie einen Kontakt von Crystal und Stephen mit Marys Tochter beobachtet hätte; Mary sieht sich durch das von Sylvia an dieWand gemalte Bild der Stiefmutter Crystal in ihrer Mutterrolle angegriffen und will Crystal den Umgang mit ihrer Tochter Klein-Mary verbieten. Bemerkenswerterweise findet die Konfrontation der Rivalinnen in einem der luxuriösen Umkleideräume des Modesalons statt. Mätresse und Hausfrau treffen an dem Ort aufeinander, wo sie sich mittels Kleidung als ehrbare Frauen überhaupt erst zu entwerfen versuchen. Beide Frauen tragen dabei Kleider aus der Schau zur Anprobe (vgl. Abb. 3), also noch nicht ganz fertige Entwürfe ihrer Person als Frau und vor allem als Abendgarderobe eben gerade auf einen imaginären und irrealen weiblichen Raum ausgerichtet und zunächst nicht als Kampfkleidung um die soziale Stellung als Frau gedacht. Mary, die Hausfrau, trägt dabei ein schwarzes Tüllkleid, das ihren Oberkörper und ihre Schultern relativ frei lässt, ihren Unterleib allerdings die Kontur auflösend und raumgreifend als konischen Kegel negiert. Die kleinen Brüste Abb. 3: Crystal Allen ( Joan Crawford) und Mrs. Stephen Haines (Norma Shearer) in der Garderobe des Modesalons in The Women (USA 1939, George Cukor, eigener Screenshot) Textile Texte 67 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [67] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL von Norma Shearer werden dabei eher grafisch als Rundung nach oben, denn als kugeliges Volumen inszeniert. Mary trägt das Kleid ohne Hut und damit in den Kleiderkonventionen der damaligen Zeit unvollständig. In der Schau wurde dieses Kleid im Übrigen von einem deutlich älteren Mannequin mit grauen Haaren, dem ältesten Mannequin in der Modenschau überhaupt, vorgeführt. Das Kleid gilt also eher als Kleid für eine - im besten Sinne - Matrone. Damit steht es als Kleid im kulturellen Kontext der Produktionszeit des Films für eine Phase in der eine Frau eher weniger, bis gar keine Erotik mehr hat. 20 Der fehlende Hut und die freien Schultern akzentuieren nun dagegen Marys relative Jugend im Verhältnis zum Kleid der älteren Frau. Crystal Allen, die im Gegensatz zu Mary Haines Sex mit Stephen Haines hat, trägt dagegen ein aufwendiges Ensemble aus Goldlamé, im Gegensatz zu Mary komplett mit Turban (! ), das ebenfalls die kleinen Brüste von Crawford vernachlässigt und den Oberkörper eher flach mit zwei vertikal übereinander geordneten großen Schleifen akzentuiert, deren überdimensionale Größe noch durch die Betonung extrem breiter Schultern die Gesamtkomposition nach oben ziehen. Crystal ist nach oben hin zunehmender ein schillernder, Oberfläche und äußeren Glanz betonender, effekthascherischer goldener (Kleider-) Schrank; sie ist schon rein äußerlich die Verkörperung des weiblichen “ Gold Diggers ” , der Goldgräberin auf dem Beutezug nach einem reichen Mann. 21 Crystal steht damit in totalem Gegensatz zu Mary Haines und ihrem die Kontur auflösenden schwarzen Kleid, das nach unten voluminöser wird und die Nacktheit ihrer Schultern und ihres Kopfes im Gegensatz zum goldenen Kampfanzug Crystals akzentuiert. In ihrem Schlagabtausch erweisen sich Crystal und Mary zunächst als gleichberechtigt. Beide werfen einander jeweils vor, die stereotype Ausgabe einerseits der langweiligen Ehefrau zu sein, die alles hat, worauf es ankommt, “ Namen, Geld und Status ” , und die mit moralischem Dünkel von oben herab alle aus niederen Schichten verachtet, und andererseits die materiell gierige Hure aus der Unterschicht zu sein, die nur auf ihre sexuellen Reize baut, aber keinen Zugang zu echten und erhabenen Gefühlen hat. Allerdings gewinnt Crystal schließlich nach Punkten. Weil Mary nun (halb-) öffentlich zugegeben hat, dass sie von Stephens Verhältnis weiß, ist die Beziehung von Crystal und Stephen ein anerkanntes Faktum in der Oberschicht geworden. Vom latenten Wissen, über das man hinter vorgehaltener Hand geredet hat, ist es durch Mary als betroffene Ehefrau zu einem öffentlich verhandelbaren Faktum und damit zur unleugbaren Realität geworden. Die öffentliche Faktizität des außerehelichen Verhältnisses zwingt in der Konsequenz Stephen auf der Basis von Marys Stolz und Unnachgiebigkeit zur Scheidung von Mary und zur Ehe 20 Am Ende wird dieses Kleid von Flora, der Countess de Lave (! ), getragen, einer alten Frau, die sich mit Buck Winston erfolglos versucht einen jungen Ehemann zu kaufen. Flora wird durchgehend von ihren Ehemännern verraten und ist konstant von deren Ermordungsversuchen bedroht: Eine so alte Frau wie Flora heiratet man nur wegen des Geldes. 21 Vgl. zum Typ des weiblichen Gold Diggers die Filme The Gold Diggers (USA 1923, Harry Beaumont), Gold Diggers of Broadway (USA 1929, Roy del Ruth) und Gold Diggers of 1933 (USA 1933, Mervyn LeRoy). Die weibliche Goldgräberin ist in der Regel das Showgirl, jedenfalls eine Frau, die ihre körperlichen Reize inszeniert und als Quasi-Prostituierte auf der Jagd nach einem reichen (Ehe-) Mann ist. Dieser Frauentyp entsteht relativ früh im US-Film, erfährt einen Höhepunkt um und nach der Weltwirtschaftskrise 1929 und hat auch noch bis in die 1950er Jahre Relevanz, wie Marilyn Monroe als Lorelei Lee in Gentlemen Prefer Blondes (Blondinen bevorzugt, USA 1953, Howard Hawks) demonstriert. 68 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [68] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL mit Crystal, obwohl er Mary liebt und nicht Crystal, gerade weil er moralische Grundsätze hat: Mary als betrogene Ehefrau ist so verletzt, dass er die Scheidung von ihr als sein Verschulden und seine Strafe akzeptiert. Crystal ist durch die sexuelle Beziehung nur dann nicht entehrt, wenn er sie nach seiner Scheidung von Mary seinerseits durch eine Ehe legalisiert. Am Ende des Wortgefechtes in der Anprobe des Modesalons gewinnt zunächst noch Crystal den Kampf zwischen Mätresse und Ehefrau. Mary versucht, Crystals Kleidergeschmack in Frage zu stellen: Stephen möge solche auffallenden Effekte nicht. Crystal kontert, dass das kein Problem sei, denn wenn Stephen etwas nicht gefalle, dann ziehe sie es aus. Wie die Handlung jedoch zeigt, bestätigt sich Marys Position: Sex allein macht Crystal nicht dauerhaft zu einer Dame der Oberschicht. Die Geschmacksunterschiede zwischen Ober- und Unterschicht erweisen sich rückwirkend als dominant (wie es eine Mode- Verkäuferin erkennt und ausspricht: “ Diese Allen kauft alles, was sie sieht, ohne zu überlegen ” ). In der Schlusssequenz setzt dann auch Mary Haines auf die Effekte der Crystal Allen: Nicht nur, dass sie ihre Nägel in dem aggressiven Dschungelrot, der aktuellen Modefarbe, lackiert hat, sie trägt außerdem ein aufwändig glitzerndes, die Oberfläche betonendes funkelndes Cape über einem weißen weiten Rock. Um den Ehemann zurück zu bekommen, muss und kann die Ehefrau temporär auch mit den Mitteln der Verführerin, der Hure, arbeiten und temporär ihre äußerlichen Effekte adaptieren. Während also die Frau aus der Oberschicht nur äußerlich in ihrer modischen Inszenierung wandelbarer wird, in der Tiefenstruktur aber ihre Heteronomie durch die Handlung befestigt wird, wird die Frau aus der Unterschicht zurück an ihren Platz verwiesen: “ Dann heißt es jetzt wohl für mich zurück an den Parfümstand und für Euch Ladies, gibt es ein Wort, das man hier auf der Park- Avenue-Seite nicht benutzt ” . 5 Abwertung von Mode: Das Beispiel Prêt-à-Porter Wo Cukors The Women mit Hilfe selbstreflexiver Verfahren letztlich ein negatives Bild der Frau als dekoratives Nichts auf der Folie der Bedeutung von der Mode als dekoratives Nichts aufbaut, da vermittelt Robert Altmans Prêt-à-Porter (USA 1994) im Short-Cuts-Erzählmodell 22 in verschiedenen, alternierenden Handlungssträngen, die lose durch situationelles Geschehen miteinander verbunden sind, vor allem drei Paradigmen, die in der dargestellten Welt mit Mode verknüpft werden: (i) In der Modewelt ist alles nur oberflächlicher Schein, unter der Oberfläche ist immer alles ganz anders, meist genau oppositionell. Mode hat hier keine Bedeutung mit eigenem Wert, sondern immer nur die Bedeutung der Verschleierung und Maskierung. (ii) Männer und Frauen können mit- und untereinander nur rein sexuelle Beziehungen führen, eine dauerhafte Bindung zwischen den voneinander isolierten Menschen gibt es weder im erotischen, noch im familiären oder in einem freundschaftlichen oder beruflichen Verbund. (iii) Medien können - bis auf eine signifikante Ausnahme am Ende des Films unter bestimmten Bedingungen - nur vorgegebene Bildwelten immer wieder kopieren und recyceln. Die Behauptung der Reporterin Kitty Potter (Kim Basinger) - die im losen Handlungsrahmen des Films von den mit Filmeinsatz beginnenden Pariser 22 Vgl. dazu Nies 2007. Textile Texte 69 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [69] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Prêt-à-porter-Schauen für den fiktiven Sender Fad-TV im Einzelnen berichtet - , dass die einzige Regel der Mode sei, dass es keine gäbe, stimmt damit nur insofern, als das dass alle Handlungsfäden in groteske oder absurde Situationen überführt werden. 23 Es gilt aber die Regel der sukzessiven (Selbst-) Entlarvung der Scheinwelt der Mode, welche die Filmkamera zunächst für den Zuschauer nur scheinbar und assoziativ dokumentiert; in die fiktionalen Spielhandlungen sind Aufnahmen authentischer Prêt-à-porter-Schauen von Parier Modeschöpfern aus dem Jahr 1993 einmontiert worden. Die zahlreichen ineinander verwobenen Handlungsfäden des Films gipfeln am Schluss in folgendem Geschehen: Die Modeschöpferin Simone Lowenthal (Anouk Aimée), die von ihrem eigenen Sohn (Rupert Everett) an die geschmacklose amerikanische Modebranche ausverkauft wurde, rebelliert symbolisch gegen den Verkauf ihrer Marke “ Simone Lo! ” und das drohende Diktat des neuen Besitzers (Lyle Lovett). Dieser verlangt, dass die Models bei der Schau von Simone Lo! s Kollektion buntfarbige Westernstiefel zu ihrer elegantfemininen Mode in gedeckten Tönen auf der Bühne tragen sollen. Simone wehrt sich, indem sie in ihrer Prêt-à-porter-Schau die Models nackt auftreten lässt, ohne Stiefel und ohne Mode. Dabei schreiten die Models extrem langsam den Laufsteg entlang und zwar in einem perfekten Laufsteg-Gang, so als würden sie Kleider präsentieren. Krönung dieser Schau ist dann das nackte Top-Model Albertine (Ute Lemper) als Braut mit Schleier und Blumenstrauß, das aufgrund seiner weit fortgeschrittenen Schwangerschaft vorher kein Booking bekommen hatte (Wie ein - selbstverständlich heimlich schwuler - Modeschöpfer es ausdrückt: “ Meine Silhouette ist diese Saison so gar nicht schwanger! ” ). Deutlich erkennbar referiert der Film hier intertextuell zunächst auf Hans Christian Andersens Märchen von Des Kaisers neue Kleider: Zunächst wagt keiner diesen Look zu kommentieren. Als Mode erscheint ihr Fehlen, die absolute Nicht-Mode, die Negation von Mode, die allen an der Mode-Branche beteiligten Personen spiegelbildlich zeigt, wie - in der Logik des Films - eitel, verlogen und falsch, wie marginal Mode ist. Als neuer Look wird außerdem, wie Kitty das verwirrt kommentiert, der “ älteste Look ” der Welt präsentiert, der nackte (weibliche) Mensch als solches, die Frau, die in der Funktion der Reproduktion des Menschengeschlechtes gipfelt. Der Mensch in seiner anthropologischen, natürlichen Dimension, der die Kleidermode überwindet, der kommt in der Logik des Films niemals aus der Mode und muss manchmal wieder ins Gedächtnis gebracht werden. Damit etabliert der Film also eine Abwertung der Mode als Kulturprodukt zu Gunsten einer Naturalisierung und Aufwertung des Menschen in seiner biologischen, natürlich-anthropologischen Reproduktionsfunktion. In diesem Sinne kündigt Simone Lo! ihre Schau auch folgendermaßen an: “ Die Kollektion, die Sie gleich sehen werden, entspricht zwei Jahrzehnten einer aufstrebenden Vision: Für mich schließt sich ein Kreis: Etwas Neues beginnt! Etwas Neues … Neues … Neues …” Der Kreis, der geschlossen wird, ist die Rückkehr des Menschen zu einer Welt vor der Mode, die hier zirkulär-paradox als Neuanfang der Mode gesetzt wird. Dementsprechend scheitert dann Kitty als Modereporterin schließlich auch daran, diesen Look zu Ende zu kommentieren und gibt auf. Sie verlässt die Fernsehproduktion und drückt ihrer 23 Vgl. zur Groteske bei Altman June Werrett: Making the Old New Again: Robert Altman ’ s Pret-a-porter. unter http: / / www.thefilmjournal.com/ issue7/ altman.html. 70 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [70] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Assistentin, die immer ihre Texte geschrieben und diese auf Papptafeln hoch gehalten hat, das Mikrofon in die Hand. Auch Kitty plagiiert also etwas, was ihr von jemand anderen medial vorproduziert wurde, wie alle Figuren im Film, zumal die vorgeführten Journalisten. Kittys Assistentin ergreift nun ihre Chance und kommentiert ungefiltert und nicht vorproduziert vor laufender Kamera, 24 dass Simone Lo! ’ s Schau eine Aussage macht, die die Mode für Jahrzehnte beeinflussen wird, weil sie in erster Linie die Frauen in der ganzen Welt angesprochen hat, um “ Ihnen nicht zu erzählen, was sie tragen sollen, sondern wie sie darüber nachdenken sollen, was sie von der Mode erwarten und brauchen. ” Dieser Kommentar wird direkt in die Kamera des Fernsehsenders von Fad-TV gesprochen, aber diesmal nicht wie sonst als Videobild mit der üblichen Rasterung oder aber aus einer achsenverschobenen Perspektive gezeigt. Vielmehr schaut hier die Filmkamera direkt an Stelle der Fernesehkamera in der Diegese auf die kommentierende Assistentin und dann mit der Fernsehkamera direkt auf das als Gruppenbild inszenierte Schlusstableau der nackten Models und der nackten Modeschöpferin hinter einer Glaswand, das durch einen aufgezogenen Vorhang enthüllt wird (vgl. Abb. 4). Abb. 4: Schlusstableau der Modenschau von Simone Lo! in Robert Altmans Prêt-A-Porter (USA 1994) (eigener Screenshot) Hier formuliert die Assistentin also eine Position, die die ansonsten scheinbar neutrale Erzählinstanz direkt an uns Zuschauer weiter vermittelt. Durch die direkte Adressierung des Filmzuschauers durch die Fernsehkamera wird der Filmzuschauer als Figur in die Diegese inkorporiert. Der so in das Filmgeschehen inkorporierte Zuschauer schaut innerhalb der Diegese wieder nur auf ein verdichtetes, inszeniertes Bild, das enthüllte Gruppenbild der Models hinter der Glaswand. Es liegt nahe, hier eine Spiegelung des Gesamtfilms Mise-en-abyme in die Diegese des Films und damit in dieser Sequenz die 24 Ihr “ On y va? ” im Sinne der Frage “ Kamera läuft? ” ist auch ein deiktischer Index, dass das, was jetzt kommt, live aufgezeichnet und authentisch im Hier und Jetzt spontan und gerade nicht vorproduziert präsentiert und dokumentiert wird. Textile Texte 71 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [71] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL explizit verbalisierte Position des Films zur Mode, die Moral des bisher emblematisch verschlungenen visualisierten Filmganzen zu sehen: Nacktheit soll in der Besinnung auf den menschlichen weiblichen Körper in seiner biologischen Reproduktionsfunktion der Modus sein, in dem die Frauen über Mode reflektieren sollen und dieser Modus der Reflexion auf einer als anthropologisch-natürlich postulierten Basis ist auch der Modus der filmischen Reflexion Altmans über Mode: Von Mode soll als unwichtig abgesehen werden. Und damit schließt sich tatsächlich auch formal ein Kreis, nämlich der des filmischen Syntagmas selbst: Die allererste Modenschau, die der Film zeigt, ist eine Schau für Hundemoden, wo Besitzer ihre Hunde vermenschlichen und in Kleidung gezwängt haben. Vom Ende des Films aus erscheint diese Hundemodenschau damit nicht nur als Perversion von Mode, sondern Mode und die Modeindustrie, die sie hervorbringt, erscheinen als Perversion von Kleidung, die sich an den natürlichen Bedürfnissen des Menschen orientieren soll. 25 Aus dieser Perspektive erstaunt es nicht, dass Altmans Prêt-à-Porter wegen seiner Konzentration auf die Scheinwelt der Mode hier dominant nur mehr oder weniger scheiternde Lebensläufe von Frauen vorführt, sieht man einmal von Albertine ab, die als schwangeres Model einen Widerspruch im System darstellt, der nur in der subversiven Rebellion Simone Lo! ’ s auf den Laufsteg gelangt und damit als Ausnahme die Regel bestätigt, dass Frauen in der Modebranche unglücklich werden: Die Journalistin Anne ( Julia Roberts) streitet ab, eine emotionale Beziehung mit ihrem Kollegen Flynn (Tim Robbins) führen zu wollen, ihre emotionalen Reaktionen indizieren aber das genaue Gegenteil; Isabella (Sophia Loren) ist zwar eine Stil-bewusste Diva in Dior, aber einsam und erotisch unbefriedigt und unglücklich; Kitty wirft verzweifelt ihren Job hin, weil sie öffentlich eingesteht, die Mode nicht zu verstehen. Die Schlussbilder des Films verstärken und verbinden dabei metaphorisch die zentralen Botschaften des Films: Während Olivier de La Fontaine, Isabellas zu Beginn des Films verstorbener Mann, zu Grabe getragen wird, fotografiert Milo O ’ Brannigan (Stephen Rea), der führende Modefotograf, nackte Babys auf einer Wolldecke bei Sonnenschein in einem Park vor eine schwarz/ weißen Trussardi-Reklame, auf der die Oberkörper eines Mannes und einer Frau scheinbar ganz unbekleidet unter dem Slogan “ Get Real! ” zu sehen sind. Zwischen Geburt und Tod, so die emblematische Bedeutung des Schlusstableaus an dieser Stelle, sollen sich die Menschen auf das Wesentliche und damit gerade nicht auf Mode besinnen. 26 25 Damit semantisiert die Hundemodenschau am Anfang in Altmans Film 1993 Mode als Narrheit, die den Menschen ins tierisch Lächerliche zieht. Eine Semantik, die vergleichbar mit der Semantik der Mode in The Women 1939 ist, wo der Film mit der Karikierung der Figuren durch emblematische Tiereigenschaften beginnt. 26 Damit immunisiert Altman seine filmisch konstruierte Abwertung der Mode nach außen hin, denn die in der Diegese parallel zur Spielfilmhandlung dokumentierte reale Werbekampgange vermittelt ja, dass mit Trussardi ein Vertreter der Modebranche selbst Altmans Position der Abwertung von Mode zu Gunsten eines Aufrufes zu menschlicher Authentizität jenseits von Kleidung vertritt. 72 Jan-Oliver Decker (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [72] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL 6 Resümee: Funktionen selbstreflexiv thematisierter Frauenmode im Film Altmans Prêt-à-Porter markiert systemisch eine extreme Abwertung von Mode, die auf einer Opposition beruht, die auf alle hier untersuchten Beispiele zutrifft: Kleidung dient wie jedes andere filmische Zeichen in der Mise-en-scène dem filmspezifischen Bedeutungsaufbau. Mode ist dagegen filmintern immer mehr oder weniger explizit ein substanzielles Nichts, die Vorgaukelung von Substanz, wo keine vorhanden ist. Modische Kleidung im Film weist damit funktional eine Paradoxie auf, denn sie vermag einerseits eine Naturalisierung weiblicher Initiationsverläufe vorzunehmen und damit gleichzeitig soziale (Rollen-) Zeichen als Zeichen personaler Identität zu kodieren. Zugleich dient explizit thematische Mode immer als vom Film inszeniertes ästhetisches Zeichen dazu, Weiblichkeitsvorstellungen symbolisch zu formatieren. Diese Weiblichkeitsvorstellung kann dann im einen Extremfall wie in Cukors The Women so aussehen, dass die Frau als substanzielles Nichts, das keinen eigenen Wert außerhalb ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter hat, im substanziellen Nichts der Mode aufgehen kann: Die Frau ist dekorativ heraus geputzte Oberfläche für den Mann und auf ihn als Sinn gebendes Zentrum bezogen. Die Verkleidung der Heteronomie der Frau durch Mode entspricht ihrer Natur als den Mann kleidendes Schmuckstück. Die Irrealität, der Schein, der artifizielle Imaginationsraum der Mode wird von der Frau selbst als ihr eigenes Wesen inszeniert. Im anderen Extremfall kann dann so wie in Altmans Prêt-à-Porter eine anthropologische, natürlich auf biologische Reproduktion ausgerichtete Weiblichkeit als ästhetisches Gegenmodell zur Mode entworfen werden: Die entkleidete Frau bekleidet keine rein modische Rolle mehr, sondern hebt die unnatürliche Entfremdung der Frau durch Mode auf, indem sie sich auf ihre natürliche Rolle als Mutter besinnt. Beide Positionen eint jedoch, dass sie bei ganz unterschiedlichen ästhetischen Formatierungen von Weiblichkeit mittels Mode eine ähnliche ideale Rollenvorstellung der Frau und das auch noch durch die Filmgeschichte hindurch mit immerhin knapp unter 60 Jahren Distanz formatieren. Oberflächlich mögen sich die Moden visuell geändert und auch maximal gewandelt haben, unter der Oberfläche erweist sich dagegen Mode als fest gefügter, abstrakter Konnotationsraum, wie gerade die unter Abschnitt 3 behandelten Beispiele zeigen: Mode ist in ihrer extremen Form als Industrie, Haute Couture oder in ihrer Vermarktung immer Maskerade. Wer sich an die Mode als High-Fashion und um ihrer selbst Willen verliert, dem droht der Selbstverlust. Eine solche normative Abgrenzung von Mode kann dabei mehrere Funktionen haben: Die Filme orientieren sich modisch und ideologisch auf ein kulturelles Mittelmaß, um durch die Ausgrenzung extremer modischer und ideologischer Ränder den kulturell gewünschten Normalfall der weiblichen Rolle vorzuführen: (i) Die Frau als hübsche aber nicht hypermodische Gefährtin des Mannes. (ii) Auf diese Weise geben die Filme auch visuell Orientierungshilfe. Sie ermöglichen das ideologisch und modisch Fremde und Abweichende sichtbar zu machen, es zu erkennen, zu markieren und abzuwehren. (iii) Damit wehren die Filme eine Konzeption von Mode als Wert um ihrer selbst willen ab und legen nahe, dass es gerade das potenziell Unfunktionale der Mode ist, was kulturell als Bedrohung empfunden wird. Modische Kleidung ist, mit Barthes 1985 gesprochen, semantisch gesehen Textile Texte 73 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [73] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL bis auf die Bedeutung leer, dass sie modisch ist. Dass sie modisch ist, ist wiederum eine willkürliche Setzung und nicht aus der Mode als solcher heraus wesensmäßig ableitbar. Indem die Filme visuell und ideologisch klare Orientierungen vorgeben, können sie der Mode über diese minimale Bedeutung hinaus auf der Folie des kulturellen Normalfalles als Abweichung ex negativo Bedeutung und Sinn geben. Auf diese Weise wird die Komplexität der sich saisonal jedes Jahr ändernden Mode sinnhaft in den Filmen reduziert, denn Mode ist gerade nicht in ihrer oberflächlichen visuellen Varianz, sondern ihrer konstanten abstrakten Funktion als Maskerade von Bedeutung, von der sich die Frau verführen lässt, um sich dann in der Abgrenzung von der Mode als Person selbst zu finden und als Frau zu definieren. Bibliographie Barthes, Roland 1985: Die Sprache der Mode, Frankfurt a. Main: Suhrkamp [zuerst als: Système de la Mode, Paris: Edition Seuil 1967] Berger, Beate 2004: Bikini - eine Enthüllungsgeschichte, Hamburg: marebuchverlag Buovolo, Marisa 2006: “ Untrennbare Einheit? - Die Femme Fatale und das ‘ Kleine Schwarze ’” , in: Film- Dienst 3 (2006): 24 - 26 Clarke Keogh, Pamela 2000: Audrey Style, München: Schirmer und Mosel Decker, Jan-Oliver (ed.) 2007: Erzählstile in Literatur und Film (= KODIKAS/ Code Ars Semeiotica, 30.1 - 2 (2007)), Tübingen: Narr Dyer, Richard 1993 a: “ White ” . 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SL Filmografie Breakfast at Tiffany ’ s (Frühstück bei Tiffany, USA 1961, Blake Edwards) The Devil Wears Prada (Der Teufel trägt Prada, USA 2006, David Frankel) Funny Face (Ein süßer Fratz, USA 1957, Stanley Donen) Gentlemen Prefer Blondes (Blondinen bevorzugt, USA 1953, Howard Hawks) The Gold Diggers (USA 1923, Harry Beaumont), Gold Diggers of Broadway (USA 1929, Roy del Ruth) Gold Diggers of 1933 (USA 1933, Mervyn LeRoy) Gone With the Wind (USA 1939, Victor Fleming) Metropolis (D 1925/ 26, Fritz Lang) Morocco (USA 1930, Josef von Sternberg) Ninotchka (USA 1939, Ernst Lubitsch) The Opposite Sex (Das schwache Geschlecht, USA 1956, David Miller) Prêt-à-Porter (USA 1994, Robert Altman) The Princess Diaries (Plötzlich Prinzessin, USA 2001, Garry Marshall) Roman Holiday (Ein Herz und eine Krone, USA 1953, William Wyler) Rosemary ’ s Baby (USA 1968, Roman Polanski) Sabrina (USA 1954, Billy Wilder) Sex & the City (USA, HBO 1998 - 2004, David Frankel) Silk Stockings (USA 1957, Rouben Mamoulian) The Wizard of Oz (USA 1939, Victor Fleming) The Women (Die Frauen, USA 1939, George Cukor) The Women (Die Frauen, USA 2008, Diane English) Textile Texte 75 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [75] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL