eJournals Kodikas/Code 40/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2017
401-2

Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz

2017
Hans Krah
K O D I K A S / C O D E Volume 40 (2017) · No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz Der Film der 1980er Jahre und sein Verhältnis zu Identitäts- und Körperkonzeptionen der 1970er Jahre Hans Krah (Passau) A specific reflection of the self seems to be characteristic for films that were produced in the early 1980 s: the former self is turned into the other. This transformation provides a basis for the argumentation that the other is overcome and therefore labeled as never having been a part of the self. The diachronic reflection of self and other coincides with a synchronous one that negotiates the relation between self and other according to the categories ‘ individual ’ and ‘ system/ order ’ . As a consequence of that the positions of the 1970 s are not perpetuated or extended in the 1980 s. On the contrary, the specific reflection of the self comes along with a fundamental paradigm shift that leads to a clear break with the positions of the 1970 s and a withdrawal of such positions. This change correlates with a repositioning of the individual in relation to society. A new construct of identity is favored that also significantly affects the dealings with the body and the judgment of bodies. 1 Die These vom Paradigmenwechsel des Films von den 1970er zu den 1980er Jahren Im Fantasyfilm Krull aus dem Jahr 1983 (UK/ USA, Peter Yates) wird dem Protagonisten, Prinz Colwyn, im Moment der Eheschließung seine ihm aus Bündnisgründen Angetraute, Prinzessin Lyssa, vom “ unbeschreiblichen Ungeheuer ” (im Original “ the Beast ” ) geraubt und in dessen schwarze Festung verschleppt, ein Raum, der seinen Standort täglich wechselt. Um sie zu befreien und damit die titelgebende Welt Krull und das ganze Universum zu retten, schließen sich ihm ein Alter ( “ the Old One ” ), ein blinder Seher ( “ the Emerald Seer ” ) und dessen Lehrling, ein Zyklop, ein komisches Element und eine neunköpfige Räuberbande an. Im finalen Kampf kann Colwyn das Biest besiegen, wozu ihn allerdings nicht sein Fünfklingenzauberschwert in die Lage versetzt, sondern ein gemeinsam mit Lyssa entfachtes “ Feuer der Liebe ” , das durch die Beendigung der Hochzeitzeremonie entsteht. Wie gerade hier deutlich wird, geht es dem Film um eine Re-Normalisierung der Verhältnisse im Sinne der Einbindung in institutionalisierte, überindividuelle, tradierte Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [29] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Konzepte; die füreinander (von ihren Vätern und für die Aufrechterhaltung der Weltordnung) Versprochenen zelebrieren (nicht vollziehen) die Ehe. Dass dieses Ende mit einer Reduzierung der abweichenden, fantastischen Helferfiguren einhergeht, ist einerseits genretypisch, 1 anderseits spezifisch signifikant: Denn nicht nur sterben oder opfern sich im Verlauf der Suche der Seher und der Zyklop und wird die Räuberbande als Männerbund aufgelöst und bis auf den Hauptmann und den jüngsten Räuber dezimiert (wobei der vormalige Räuberhauptmann als zukünftiger Kanzler in das System integriert wird), auch der Alte stirbt. Dessen abweichendes Potential liegt im Alter, dem eine bestimmte ideologische Konzeption inhärent ist. Denn der Alte hat eine Vorgeschichte, wie am Extrempunkt der Suche zu Tage tritt: Um vorab die Information zu erhalten, zu welchem Standort das Raum-Schloss des unbeschreiblichen Ungeheuers das nächste Mal wechselt, begibt sich der Alte zur “ Witwe im Netz ” , einem von einer tödlichen Spinne bewachten riesigen Spinnennetz, in dessen Zentrum eine alte Frau wohnt. Diese, wie die zu rettende Prinzessin Lyssa geheißen, ist die frühere Geliebte des Alten, die dieser verlassen hatte. Er lebte zu sehr für Abenteuer um ihrer und um seiner selbst willen, was aus der Bewertung aus der Distanz heraus auf der Beziehungsebene einen Normverstoß darstellt, den seine Geliebte erwiderte, indem sie schwanger allein gelassen aus Rache für die fehlende Wertschätzung das gemeinsame Kind tötete. Beide verzeihen sich nun einsichtig und opfern zudem für das Gelingen der Paarbildung in der jungen Generation, Colwyn und Lyssa, ihr Leben. Im Verhältnis des Alten und seiner Lyssa spiegelt sich, gerade durch den gleichen Namen forciert, die aktuelle Geschichte von Colwyn und Lyssa wider. Vor dieser Parallelgeschichte des Scheiterns in der vorangegangenen Generation erscheint die geglückte Weltrettung als Wiederholung, die die abweichende Heldengeschichte korrigiert und nicht nur das unbeschreibliche Ungeheuer, sondern auch die Konstellationen der Vergangenheit überwindet. Dabei führt der Film mit dem Kindsmord drastisch vor, dass das frühere Ausrichten der eigenen Existenz/ Identität auf andere Werte als Werteverlust gesetzt wird. Dies scheint mir in gewisser Weise übertragbar zu sein und ist als Statement zu lesen: Der Film selbst artikuliert frühere Wertsetzungen oder das Fehlen solcher und überwindet in seinen Geschichten vergangene Konzepte seiner eigenen (Film-)Geschichte. Dass dies hier im Genre des Fantasyfilms geschieht, ist selbst als Zeichen zu sehen, denn bereits damit werden zum einen die Position der Distanz und zum anderen ein Neuanfang eingenommen: Fantasy ist ein eher absentes Genre der 1970er Jahre, 2 das sich in den 1980er Jahren in neuer Relevanz Bahn bricht, wofür Krull ein frühes Beispiel ist; es dürfte nicht zufällig sein, dass gerade hier neue Konzeptionen verhandelt werden. Generalisiert lässt sich aus diesem Beispiel eine spezifische Konzeption von Selbstthematisierung ableiten: Das vorangegangene, vormalige Eigene wird als Fremdes gesetzt und als dieses ‘ integriert ’ und sich für eine Argumentation zu eigen gemacht, in der dieses Fremde überwunden und damit letztlich als nie dem Selbst zugehörig ausgewiesen wird. 1 Cf. einführend zum Genre Fantasy Krah 2012. Die Reduzierung der fantastischen Qualität der fantastischen Welt und damit eine Annäherung an die normale Welt am Ende der Geschichten sind üblich im Genre, wenngleich dies zumeist nicht durch Tod, sondern durch Verlassen geschieht. 2 Zudem gilt, dass Genres in den 1970er Jahren gerne kombiniert und dabei in ihren typischen Strukturen gebrochen werden, cf. etwa für den Endzeitfilm Krah (2004: 174 - 235). 30 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [30] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Diese (auf der narrativen Ebene situierte) diachrone Reflexion von ‘ selbst ’ und ‘ fremd ’ koinzidiert dabei mit einer synchronen Reflexion, in der das Verhältnis von ‘ selbst ’ und ‘ fremd ’ bezüglich der Kategorien ‘ Individuum ’ und ‘ System ’ / ‘ Ordnung ’ ausgehandelt wird. Diese spezifische Selbstreflexion scheint mir ein Merkmal des Films der frühen 1980er Jahre zu sein und sie geht mit einem grundlegenden Paradigmenwechsel einher: 3 In den 1980er Jahren ist im Mainstream-Kino 4 weniger eine Fortsetzung und Weiterentwicklung als ein deutlicher Bruch mit den Positionen der 1970er Jahre und eine Rücknahme solcher Positionen zu verzeichnen. In den 1970er Jahren dominiert im Spielfilm das Aufzeigen gegebener, problematischer Verhältnisse, gleichsam ein dokumentarischer Blick auf den Alltag. Hier werden nicht Geschichten vorgeführt, die auf ein vorgegebenes Ziel ausgerichtet sind, sondern die als Zustandsbeschreibungen eines Zeitgefühls gedeutet werden können. 5 Der sich von den 1970er zu den 1980er Jahren - anhand der Filmstrukturen zu konstatierende - vollziehendeWandel korreliert grundsätzlich mit einer Neupositionierung des Individuums in Bezug zur Gesellschaft. Favorisiert wird ein neues Konstrukt von Identität, das zudem wesentlich den Umgang mit dem Körper und die Bewertung von Körpern tangiert. Der sich in dieser Übergangszeit abzeichnende Paradigmenwechsel artikuliert sich nicht nur auch im veränderten Umgang mit dem Körper, sondern ist an diesen als konstitutives Zeichen gebunden: Über die propagierte Relevanz des (eigenen) Körpers und dessen Modellierung und Inszenierung - als Arbeit am Körper - werden dem Individuum ideologische Positionen eingeschrieben, die gerade nicht dem Individuum, sondern der kollektiven Ordnung dienen und diese stabilisieren. An diese Körperdisziplinierung sind neue Körperkonzeptionen gebunden, die sich narrativ etwa in der Professionalisierung des Körpers durch Eintrainieren spiegelt und die sich visuell in einer spezifischen Ästhetisierung der Bilder artikuliert. In der neuen Relevanz des Körpers spiegelt sich also eine neue Strategie, anderes Denken zu propagieren, 6 umzusetzen und in dieses einzuüben - und dieses Denken zentriert sich in der Konstituierung einer Identität, wie sie als wünschenswert erscheinen soll und zu gelten hat. Was in den 1980er Jahren damit erreicht wird, ist eine Zurücknahme des gebrochenen Verhältnisses zur Tradition; so etwa, wenn in den Narrationen nun wieder Problemlösungen favorisiert werden. Die filmischen Erzählungen werden sinnstiftend in den Diskurs um Werte- und Normenorientierung eingebunden und dienen der Zuweisung von Sinn und Zielen - als Re-Installierung traditionell-konservativer Ordnungsschemata. Statt eines gleichsam dokumentarischen Blicks werden symbolische Lösungen angeboten, wobei der Körper sowohl als dominanter Träger dieser Strategie als auch als Kondensat fungiert: 7 Die 3 Zu Modellierungen und Aspekten von Wandel an sich siehe grundlegend Decker 2017. 4 Wenn es im Folgenden um das Verhältnis von neuem Denken/ neuer Identität und neuen Körpern und dabei um Re-Definitionen von Körperkonzeptionen im Film der frühen 1980er Jahre geht, dann ist unter Film primär der Spielfilm und sind hier letztlich die Produktionen amerikanischer Provenienz - Hollywood - gemeint. Diese scheinbare Selektivität rechtfertigt sich pragmatisch durch deren Verbreitung und ideologisch durch deren Status als (in unseren westlichen Kulturen) Träger populärer Diskurse und kulturellen Allgemeinwissens, cf. hierzu auch Krah 2017 a. 5 Cf. zum Film der 1970er Jahre grundlegend und ausführlich Krah & Struck 2001, vgl. auch Anm. 2. 6 Der Begriff des ‘ Denkens ’ und das damit verbundene Konzept sind im Sinne Titzmann 2017 zu verstehen. 7 Cf. auch Gräf et al. (2017: 184) und am Beispiel Krah 2008. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 31 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [31] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL visuelle Evidenz des Körpers semiotisiert diesen zum Beweismittel und Bürgen der Gültigkeit der filmischen Argumentation. Im Folgenden sollen nun zentrale, mit dem Körper korrelierte Kennzeichen der Umbruchphase der späten 1970er und frühen 1980er Jahre modelliert und dabei Schritte und Varianten aufgezeigt werden. Als Beispiele werden primär Filme gewählt, in denen der Körper im Fokus des Plots steht (Tanzfilm, Boxerfilm sowie Filme, die Militär, Sexualität, Training/ Sport, Bodybuilding fokussieren) und dies mit Schauspielern einher geht, bei denen die zentralen Diskursformationen besonders prägnant zu erkennen sind. 2 Conan the Barbarian (1982): der Körper als evidenter Mehrwert Der Film Conan the Barbarian (USA 1982, John Milius), einer der ersten der neuen Flut von Fantasyfilmen, die in den 1980er Jahren ein dominantes Genre darstellen werden, mag als Beispiel dienen, die im Fokus stehenden Diskursformationen um den Körper zu illustrieren. Hier wird (dem Genre entsprechend) ein geradezu hyperbolischer Körper in Szene gesetzt. Bereits ohne die Narration einzubeziehen, wertet sich der Film schon auf der Ebene der Attraktionswerte auf, ist es doch der ExtremkörperArnold Schwarzeneggers, der mit für die visuelle Faszination des Films sorgt. Schwarzenegger, einer der erfolgreichsten Bodybuilder aller Zeiten (Zwischen 1967 und 1975 holte er fünfmal den Titel des Mr. Universum und sechsmal den Titel des Mr. Olympia. 8 ), sorgte mit Conan the Barbarian in seiner ersten Hauptrolle für seinen ersten großen Erfolg und damit internationale Beachtung im Filmgeschäft. 9 Als titelgebender Conan spielt Schwarzenegger einen ‘ Superhelden ’ , der, dem Genre entsprechend, die Welt rettet. Diese Welt, beziehungsweise die von ihr repräsentierte Weltvorstellung mit Werten und Normen, verkörpert Conan als Superheld selber in seiner eigenen Person. Diese Weltvorstellung ist also an ihn und damit in augenfälliger Weise an seinen Körper gebunden. Conan the Barbarian ist dabei insbesondere deshalb interessant, weil der Film die Genese des Superhelden an seinem Körper vorführt. Der Held ist als solcher nicht bereits sujetlos zu Beginn des Discours in der dargestellten Welt vorhanden, sondern entsteht erst am Ende der Narration und durch diese. Dies korreliert in einem ersten Schritt mit der Entstehung des Körpers selbst: Gezeigt wird, wie der Körper zu diesem Körper gemacht wird. Die 8 1980 holte er nach fünf Jahren Wettkampfpause einen weiteren Mr. Olympia-Titel. 9 Unter dem Pseudonym Arnold Strong debütierte Schwarzenegger 1970 in Hercules in New York und spielte 1973 in The Long Goodbye, cf. Abschnitt 3 zu seinem Film Stay Hungry von 1976. Schwarzenegger ist selbstverständlich nicht der erste, der aus dem Sport in das Filmgeschäft wechselt. Zu nennen sind hier vor allem Jonny Weissmüller, der 1924 und 1928 fünf olympische Goldmedaillen im Schwimmen errang und von 1932 bis 1948 in zwölf Tarzan-Filmen als Tarzan zu sehen war, und - etwas weniger erfolgreich - der Hammerwerfer Uwe Beyer, der 1964 Bronze holte und 1966 in Harald Reinls Nibelungen-Remake den Siegfried spielte. Auch bei diesen Rollen ist der Körper zentral und die Darstellung einer mehr oder weniger unverhüllten Körperlichkeit durch diese Herkunft legitimiert - denn schließlich ist man gerade als Schwimmer ähnlich spärlich bekleidet wie mit einem Lendenschurz. Wie diese Ausführungen bereits andeuten mögen, geht es hier aber vor allem um Attraktionswerte, und diese sind nicht (wesentlich) in die Strategien eingebunden, die im Folgenden anhand Arnold Schwarzenegger dargelegt werden sollen. Ähnliches ließe sich auch für einen Vergleich mit den Sandalenfilmen italienischer Provenienz der 1950er und 1960er Jahren postulieren. 32 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [32] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Modalitäten dieser Körpererzeugung sind dabei bemerkenswert: So ist auffällig, dass zwar eine Motivation für die Ausbildung des Kriegerkörpers gegeben wird, diese aber gerade nicht darin besteht, dass Conan als Kämpfer ausgebildet wird. 10 Der Film setzt mit dem etwa zwölfjährigen Conan (der natürlich nicht von Schwarzenegger gespielt wird) ein, der in eine Familie und ein alltägliches dörfliches Leben integriert ist - ein Leben, aus dem er gewaltsam herausgerissen wird. Wie zu Beginn des Discours in einer eigenen Sequenz visualisiert wird, muss Conan als Junge mit ansehen, wie eine Horde übermächtiger und bestens ausgerüsteter Krieger sein Dorf zerstört, sein Vater dabei von Hunden zerfleischt und seine Mutter von dem Anführer eigenhändig vor Conans Augen geköpft wird; er selbst wird verschleppt und als Sklave verkauft. Seine Arbeit, die er dann als Sklave zu verrichten hat, besteht darin, zunächst gemeinsam mit anderen, dann alleine, angekettet an eine der Speichen ein riesiges Mühlrad zu drehen (siehe Abb. 2 a bis 2 e). Quasi magisch (dem Genre entsprechend) bildet sich dabei der Körper des Helden aus. Ohne Zwischenstufen, sondern durch filmische Überblendung vermittelt und einer Transsubstantiation gleich, mutiert der kleine Junge Conan zu dem erwachsenen Conan, der durch den Körper Arnold Schwarzeneggers definiert ist. In einem Match Cut werden, ohne das Gesicht zu zeigen, in einer ersten Einstellung die Beine des Jungen fokussiert, dann in der darauf folgenden die ausgebildeten, muskulösen Beine Schwarzeneggers, wobei wiederum das Gesicht zunächst nicht zu sehen ist. Hervorgehoben wird die Veränderung des Körpers. Abb. 1: Arnold Schwarzenegger als Bodybuilder (Quelle https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Arnold_Schwarzenegger_1974.jpg, gemeinfreie Lizenz) 10 Eine solche zusätzliche Ausbildung setzt erst ein, nachdem Conan bereits Kämpfer ist und seinen Körper hat, der sich durch diese Ausbildung dann auch nicht mehr verändert; über einen Vergleich zu Robert Erwin Howards Vorlage, die von 1932 ff. in Weird Tales erschienenen Geschichten um Conan, könnten im Übrigen signifikante Veränderungen zur filmischen Konzeption verdeutlicht werden. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 33 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [33] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Abb. 2 a − e: Conan the Barbarian: die Ausbildung des Körpers (eigene Screenshots) Conan ist zwar ein Gefangener und damit fremdbestimmt, allerdings kann er sich gerade dadurch selber entfalten: Vorgeführt wird ein Prozess der Individuation, der tatsächlich zur Ausbildung von Individualität und Exzeptionalität führt. Conan bleibt bei der implizierten Selektion, das Rad drehen zu können, allein übrig, wobei nicht ersichtlich wird, ob die anderen angesichts dieser Anstrengung im Laufe der Jahre wegsterben oder ob es angesichts der Muskelkraft Conans nicht mehr notwendig ist, zusätzliche Kräfte zu bemühen. Jedenfalls führt die Gefangenschaft nicht zu Vermassung und Anpassung, sondern zu einer individuellen Formung der Anlagen, so ist zu schließen. Der muskulöse Körper entfaltet sich im Freien, auf eine fast natürliche Weise, und die Arbeit am Körper ist eine Arbeit mit dem Körper, ist ins Leben eingebunden (denn das Rad ist ein Mühlrad, kein Folterinstrument) und macht das ganze Leben, Sommer wieWinter, aus. 11 Damit kann dieser Prozess letztlich als nicht fremd, nicht von außen bestimmt angesehen werden, sondern als Trainingsprogramm, das, dem Ergebnis zufolge, genau auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt ist. Präsupponiert wird also, dass (i) der dabei entstandene Körper ein natürlich 11 Eine solche Ideologisierung des Trainings wird sich dann in Extremform in Rocky IV zeigen, cf. Abschnitt 7. 34 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [34] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL gewordener ist und dass (ii), auch wenn das Individuum eingebettet in Zwänge ist, diese dem eigenen Ich nicht schaden, weder psychisch noch physisch. Die fehlende Freiwilligkeit ist deutlich ambivalent semantisiert, weniger als negative Gefangenschaft, sondern als notwendige Voraussetzung für die Zukunft. Dass etwas nicht freiwillig und unter Zwang geschieht, muss also nichts an sich Negatives sein. Dieser Körper, der Conan zum unbezwingbaren Kämpfer macht und ihm in der Gefangenschaft eine bevorzugte Behandlung und privilegierte Stellung verschafft, reicht nun aber nicht aus, Superheld zu sein, wie der Film im weiteren Verlauf zeigt. Sich aus der Gefangenschaft zu befreien, dabei in einerArt Geburtshöhle ein eigenes Schwert zu finden - während bei dem Überfall auf sein Dorf das Schwert seines Vaters zerbrochen wurde - und seine Sklavenketten zu zerreißen, macht ihn, der Logik des Films zu Folge, zwar zum Mann, der autonom und selbstbestimmt über sich und sein Leben entscheiden kann, es macht ihn aber nicht automatisch zum Helden (im semantischen Sinne eines Trägers von als wünschenswert gesetzten Werten und Normen). Signifikanter Weise bestreitet Conan seinen Lebensunterhalt zunächst als Dieb und lebt damit, rein auf sich selbst bezogen, parasitär von der Gesellschaft. Die Ausbildung des Körpers ist also nur ein erster Schritt auf dem Weg zum Helden, eine Voraussetzung und notwendige Bedingung, aber sie reicht noch nicht aus, die Welt zu retten. Sie ist dementsprechend auch nicht erzählenswert, nicht sujethaft, im Gegensatz zum zweiten und zentralen Schritt, der nun narrativ 90 Minuten den Film bestimmt: Der Körper ist an eine bestimmte Einstellung zu binden. Vorgeführt wird im Verlauf des Discours, wie dem Körper diese richtige Einstellung ‘ eingeschrieben ’ wird. Es geht dabei um eine Disziplinierung und um die Reduzierung des bisher gelebten Lebens, das vom filmischen Point of View insgesamt als pseudoautonom interpretiert wird, da es sich, unbewusst, seinem Kindheitstrauma verdankt. Conan ist nicht im Reinen mit sich. Sein Leben ist bestimmt durch etwas, was er momentan entbehrt, auf was er aber unbewusst sein Leben ausrichtet: Rache für seine Eltern - und vor allem für sich. Was strukturell fehlt, ist in diesem Leben (und durch dieses) Erfüllung. Der Filmverlauf setzt dann, dass sich Conan der Vergangenheit stellen muss, dies aber auf die ideologisch richtige Weise zu geschehen hat. Demonstriert wird diese richtige Weise, indem sie mit einer ‘ falschen ’ Weise kontrastiert wird. Die Gelegenheit zur Rache bietet sich, als Conan als Dieb den Auftrag erhält, die Tochter des Königs Osric aus den Fängen von Thulsa Doom zu retten, der seinen Sitz im Berg der Macht hat. 12 Wie sich zeigt, ist der grausame Weltbeherrscher Thulsa Doom genau derjenige, der den Tod seiner Eltern zu verantworten hatte. Ein erster Versuch, die Herrschaft von Thulsa Doom zu beenden, scheitert. Im Vergleich mit dem sich anschließenden zweiten Versuch, der unter anderen Modalitäten verläuft, sind die abstrahierbaren Gründe für dieses Scheitern zu rekonstruieren. 12 Die Semantisierung dieses Raums lehnt sich deutlich an die einer Hippiekommune, in einer Art Poona, an. Esoterisch ausgerichtet, sind die Mitglieder ‘ freiwillig ’ dem Meister verfallen, nicht die Gefahr sehend. Denn Thulsa Doom ist eine riesige Schlange, die Menschen verschlingt (der Kessel, dessen Ingredienzien aus Händen und Füßen bestehen, visualisiert die kannibalische Dimension dieses Schlangenkults mehr als deutlich). Zudem wird dies wenig subtil mit einer Sexualsymbolik/ -metaphorik verbunden. Thulsa Doom ist nicht nur selber eine Schlange, sondern er schießt, als Mensch, mit Schlangen als Pfeilen, benutzt dafür immer nur eine Schlange, die als Pfeil steif wird, und zielt immer nur auf Frauen, wobei dieser Schuss immer tödlich ist. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 35 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [35] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL So geht es Conan beim ersten Versuch weniger um die Befreiung der Prinzessin, geschweige denn um eine allgemeine Beendigung der Herrschaft und des Einflusses von Thulsa Doom, sondern um seine eigene individuelle Rache. Diese ist zwar durchaus legitim, wie aus dem filmischen Verlauf letztendlich zu schließen ist, aber, wie ebenso zu sehen ist, darf sie nicht auf eine traumatisierte, emotional involvierte Weise geschehen, die zu einer Vergeudung von Ressourcen führt. So lässt sich Conan nicht von seinen Freunden, Subutai, Valeria und dem Zauberer, helfen, verzichtet auf deren Unterstützungsangebot und isoliert sich selbst, anstatt Anführer einer Truppe solidarischer (und kampferprobter) Mitstreiter zu sein, die seinen Anordnungen (bedingungslos) folgen. Er trägt kein Schwert bei sich, verkleidet sich stattdessen und verhüllt seinen Körper - in der Logik des Filmes Zeichen dafür, dass er nicht als Mann und damit als er selbst handelt, sondern sich der Mittel der Gegenpartei, Verstellung und Täuschung, bedient. Dass sein Versuch, in den Machtbereich von Thulsa Doom zu gelangen, dabei über das simulierte Interesse an einem ‘ schwulen ’ Priester läuft, ist in dieser Logik nur kohärent. Auf diese Weise scheitert Conan: Er kann Thulsa Doom bei einer direkten Gegenüberstellung nicht überwinden (wenngleich auch dieser ihn nicht brechen kann). Dieses Scheitern wird aber als funktional gesetzt, da aus diesem Scheitern Einsicht und Einstellungsveränderung bei Conan resultieren. Diese Läuterung ist (dem Genre entsprechend) dramaturgisch eindringlich in Szene gesetzt: hyperbolisch als Kreuzigung (Christi) und Wiedergeburt zum Superhelden. In dieser Kreuzigung und dem sich anschließenden indianisch-schamanischen Ritual des Zauberers, das die Geister, die von der Seele des scheinbar leblosen Körpers Besitz ergreifen wollen, fern und Conan damit am Leben hält, amalgamieren Bestrafung, Körperdisziplinierung und magischsakrale Transformation - wobei im Unterschied zu Christus hierbei ein Tribut zu zahlen ist: Valeria, Conans Geliebte und als starke, kämpfende Frau eingeführt, bietet sich selber als Opfer an, was sich am Ende des Films auch erfüllt, sie stirbt, (immerhin) nachdem sie ihren Beitrag zur Befreiung der Prinzessin geleistet hat. Beim zweiten Versuch, Thulsa Doom zu überwinden, nimmt Conan die Hilfe seiner Mitstreiter in Anspruch. Zudem korreliert dies mit einem anderen Umgang mit seinem Körper. Nun wird dieser nicht durch Kleidung verdeckt, sondern gerade als Körper herausgestellt. So, wie Conan diegetisch seinen Körper mit Zeichen bemalt und damit diesen zum Träger von Bedeutung erhebt, so ist auch in Bezug zum Point of View sein nichtverkleideter Körper sichtbares Zeichen der durch ihn transportierten Botschaft. Am Ende ist nicht nur die Ideologie untrennbar an ihn gebunden, sondern auch als die richtige vermittelt. Diese artikuliert sich darin, dass er geradlinig und offen der schwammigen, nicht-fassbaren Körperlichkeit der Schlange Thulsa Doom entgegen tritt, mit den Waffen des Mannes, dem Schwert. Nun glückt nicht nur die Rettung der Prinzessin Yasimina, erreicht wird auch die Zerstörung der Ordnung von Thulsa Doom und damit implizit die Rettung aller. 13 Diese Rettung ist gleichzeitig seine Rache, nur dass diese nun nicht mehr als individuell motivierte Rache erscheint, sondern mit einer kollektiven Erlösung einher geht und durch den Tod Valerias jetzt erst als gerechtfertigt und möglich, ja notwendig erscheint. 13 Die Rettung der Prinzessin Yasimina erfolgt zwar zunächst gegen deren Willen (vgl. Anm. 12), aber im Sinne der als richtig gesetzten väterlichen Ordnung. 36 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [36] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Gerächt werden darf nicht dieVergangenheit, diese ist hinzunehmen, zu ertragen und durch sich selber zu überwinden. Das Erreichen des Ziels fordert zwar das Leben Valerias, was als schmerzlich gesetzt ist, dadurch entsteht aber kein neues Trauma, da sich dieser Tod als Opfer sinnvoll und konstruktiv, für seine Existenz, deuten lässt. Die Genese des Superhelden Conan wird filmisch also eingebunden und getragen von einer Ideologie, die auf spezifische Weise das Verhältnis des Einzelnen zum Kollektiv regelt. Sie rechtfertigt zunächst die Selbstverwirklichung des Individuums durch Formen von Pseudoautonomie und reduziert sich dann deutlich durch Einsicht in moralische Werte und Normen, die sich, da als natürlich gesetzt, einer Diskussion entziehen. Diese Reduktion erscheint nicht gesellschaftlich, sozial oder politisch bedingt, sondern anthropologisch (aus einer westlich-amerikanischen, konservativen Perspektive). Im Fantasygenre, wie anhand Conan zu sehen, ist diese Strategie, ihre Bindung an den Körper und ihre Kaschierung einfach zu realisieren, ist es doch durch die Verlagerung seiner Geschichten in enthistorisierte Räume und archaische Zeiten bereits als Genre prädestiniert für solche Ausblendungen einerseits, Inszenierungen andererseits. Doch diese Paradigmen, Strategien und Argumentationen sind nicht auf dieses Genre beschränkt, sondern durchziehen die Filmstrukturen des Zeitraums im Ganzen. 3 Stay Hungry (1976): Das Universum von Mr. Universum im Wandel Ein Blick zurück in die 1970er Jahre soll die Ausgangspunkte wie die Anfänge dieser Konstellation illustrieren. Hierzu kann ein weiterer Film mit Arnold Schwarzenegger dienen: Stay Hungry von 1976 (USA, Bob Rafelson, deutscher Titel: Mr. Universum) zeigt ihn vor Conan the Barbarian in einer Rolle, die mit seinem Körper und seinen vorschauspielerischen Wurzeln in enger Beziehung steht. Schwarzenegger spielt die Rolle des Joe Santo, eines Bodybuilders, der an dem Wettbewerb zum Mr. Universum teilnehmen möchte, den Thor Erikson, der Leiter eines Fitness-Studios, ausrichtet. Dieses Fitness-Studio ist im Film ein ambivalenter Raum, was anhand seines Besitzers, des bereits ergrauten Thor, demonstriert wird. So hat sich Thor gegen die Übernahmepläne eines Konsortiums unlauterer Geschäftsmänner zu erwehren, die auch vor unsauberen Geschäftsmethoden nicht zurückschrecken und das Studio demolieren lassen. Bei diesem Konflikt liegen die filmischen Sympathien eindeutig auf Seiten von Thor. Gleichzeitig veruntreut Thor aber selber Gelder, die Einnahmen zum Wettbewerb, und er erscheint als drogenkonsumierender, sexbesessener Voyeur, der letztlich in die Umwandlung des Fitness- Studios in einen Massagesalon, als besseres Bordell, einwilligt. Thor ist grundlegend mit ungebändigter Gewalt und Sexualität/ Potenz korreliert, aber dies und seine Unmoral an sich erscheinen im Film zunächst noch als ambivalent und sind nicht genuin verantwortlich dafür, dass er gegen Ende des filmischen Discours die Sympathien des Point of View verliert. Erst hier wandelt sich sein Image und dominiert nun ein deutlich negatives Bild, eine Veränderung, die ursächlich mit der (versuchten) Vergewaltigung der Protagonistin Mary Tate Farnsworth einhergeht. Bodybuilding selbst unterliegt in der Diegese einer spezifischen Konnotation. Mit der ersten Frage, die Joe zu beantworten hat, hat er sich dem Vorurteil zu stellen, das in der dargestellten Welt vorherrschende Meinung ist: Alle Bodybuilder sind schwul. Damit ist Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 37 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [37] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL vorgegeben, dass Arbeit am Körper - für Männer - in der Diegese den Stellenwert des Nicht-Normalen, des Abweichenden, des Andersartigen, des Fremden hat. Normale, heterosexuelle Männer müssen sich nicht um ihren Körper kümmern - und tun es auch nicht. Deutlich werden die Muskelmänner im Film als Freaks, als Monster, als unnatürlich bewertet, und dementsprechend als etwas in Szene Gesetztes, was einen Sensationseffekt hat, mit dem man sich auf Partys schmücken und was dort als Objekt des Bestaunens herumgereicht werden kann. Wenn gegen Ende des Films die Teilnehmer des Wettbewerbs den Bühnenraum verlassen - der Ausgang des Wettbewerbs bleibt dabei offen - und auf der Suche nach Thor und den veruntreuten Geldern in ihren Tangas, also nahezu unbekleidet, durch die Straßen laufen, dann ist dies deutlich als ‘ Ausbruch ’ fremdartiger Wesen und Eindringen in den bekannten, vertrauten Alltag inszeniert. Es handelt sich um Fremdkörper, die die Straßen (einer Schar Affen gleich) bevölkern, wobei das massenhafte Auftreten zudem den Aspekt des Paradigmatischen hervorhebt, gerade nicht den des Individuell-Exzeptionellen. Eine gewisse Faszination auszuüben wird ihnen zugestanden, aber nur als distanzierter, voyeuristischer Blick auf das Fremde, ohne die Möglichkeit eine Auflösung dieser Grenze auch nur im Mindesten anzudeuten. Diese Konzeption, die bewusste, künstliche Veränderung des eigenen Körpers, und damit die Relevanzsetzung des Körpers als etwas Äußerliches, wie sie sich hier in Stay Hungry artikuliert, korrespondiert durchaus mit kulturellem Allgemeinwissen, wie etwa auch der Film Partners (Zwei irre Typen auf heißer Spur, USA 1982, James Burrows) demonstriert: Bodybuilding ist gleichzusetzen mit Schwul-Sein und verweist auf einen Mangel: Erstens, da der heterosexuelle Mann von Natur aus attraktiv ist. “ Er sieht unwahrscheinlich aus ” urteilt ein Schwuler über den heterosexuellen Protagonisten Benson, der als Schwuler undercover ermittelt. Zweitens, da der von Natur aus hässliche Schwule, weil er dem attraktiven Heterosexuellen nacheifert, sich einen attraktiven Körper erst aneignen muss. Hautenge Jeans und damit eine Körperbetontheit bereits auf der Ebene der Kleidung konnotiert im Film schwul zu sein - so wird es in der Diegese präsupponiert. 14 Stay Hungry argumentiert nun vor der Folie dieses Denkens, das hier allerdings nur den Hintergrund bildet und gerade für die Figur des Joe Santo, also für Arnold Schwarzenegger, umsemantisiert wird. Denn Joe ist (natürlich) nicht schwul, so dass sich das Vorurteil als Vorurteil erweist, und zudem wird für ihn, im Unterschied zu den anderen Bodybuildern, die das Label ‘ nicht-normal ’ , ‘ künstlich ’ , transportieren, eine dazu gegensätzliche Merkmalsbelegung etabliert: Er ist echt, authentisch, im Einklang mit der Natur, wie sich etwa an seinem Musizieren dokumentiert (Er spielt auf der Geige Countrymusik.). Dementsprechend wird auch nie gezeigt, dass und wie Joe (im Studio, an Geräten) trainiert - er ist, was er ist. Diese Echtheit von Joe ist funktional für den Gang der Handlung und zentral für die filmische Argumentation. Denn eigentlicher Protagonist des Films ist nicht Joe, sondern Craig Blake. Craig ist ein reicher Dandy, der ein Leben ohne Ziel führt. In diesem Kontext führt der Film die Oberschicht als semantischen Raum ein, der sich durch Dekadenz, Leere, ein Leben auf Partys auszeichnet. Wiederum, wie schon bei der Figurenzeichnung von Thor, dokumentiert der Film, als Film der 1970er Jahre, in seinem Discours diesen Zustand als 14 Siehe hierzu ausführlich Krah 1997. 38 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [38] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Zustandsbeschreibung, ohne ideologische Bewertungen damit zu verbinden. Erst am Ende des Discours stellt sich eine Veränderung ein - und wird damit auch implizit gesetzt, dass dieser Zustand selbst ein defizienter und auf Dauer unbefriedigender ist. Craig ist auf der Suche nach dem Echten, Authentischen, das es in seiner Schicht nicht gibt. Er findet es durch Joe, der als Katalysator fungiert. Craig findet am Ende sein Ziel, wobei das Ziel nicht grundsätzlich inhaltlich definiert wird. Es besteht darin, überhaupt etwas zu machen, sich mit dem gegenwärtigen Zustand nicht zufrieden zu geben - also in einer konstruktiven Unruhe, wie der Titel “ Stay Hungry ” expliziert. Zielorientiertes Handeln, die Ausrichtung auf etwas, was dem zukünftigen Leben einen Sinn gibt, darin liegt die ideologische Aussage des Films. In Stay Hungry liegt diese Zukunft konkret im Sport. Craig übernimmt das Studio und setzt den projektierten Bordellplänen ein eigenes Projekt entgegen. Wenn Craig am Ende das Studio übernimmt, dann ist diese Übernahme deutlich als Neuanfang gesetzt. Das Studio wird als semantischer Raum transformiert, die Demolierung verdeutlicht dies auf der rein räumlichen Ebene, und von den Aspekten der Unmoral und Ambivalenz befreit. Das Studio wird zum Raum des Sports, der nun aber nicht mehr die eingangs durch die Bodybuilder kondensierte Bedeutung der rein individuell-egoistischen Körperinszenierung um ihrer selbst willen hat (was aus der Perspektive des Adressaten einer voyeuristischen Zurschaustellung entsprach), sondern, wie anhand der Beziehung von Craig und Mary Tate gezeigt wird, eine Semantik implementiert, die sich durch ‘ echte Gefühle ’ , ‘ Stehen zu solchen Gefühlen ’ und ‘ Verantwortung für andere ’ auszeichnet. Dieser neue Raum des Sports wird zudem gezielt als schichtübergreifend gesetzt - wiederum anhand des Paares Craig und Mary Tate zu sehen - , womit ein Ausbruch aus der gegebenen sozialen Ordnung, wenn nicht gar eine Veränderung dieser Ordnung, impliziert wird. Eine tatsächliche soziale Dimension und eine Auseinandersetzung mit hier situierten Problemen werden durch diese Überlagerung durch die nun relevanten semantischen Räumen Sport versus Nicht-Sport (statt Oberschicht versus Nicht-Oberschicht) aber letztlich zurückgenommen und kaschiert. Stay Hungry ist insgesamt ein Film der 1970er Jahre, in dem sich Konzeptionen der 1980er anbahnen, was sich gerade auf der Ebene des Discours artikuliert. Über die Umwertung des Körperkults wird hier zum einen die Indienstnahme des Körpers für das Normale vorgeführt - das Normale 15 , das zum anderen ebenfalls neu ‘ eingestellt ’ wird und nun dadurch gekennzeichnet ist, dass es ideologisch ausgerichtet ist, auf die teleologische Aufgabe, dem Leben einen Sinn zu geben. 4 Innerfilmische Bilanzierung: An Officer and Gentleman (1982) War es in Stay Hungry noch eine Katalysatorfigur, durch die und deren Körper Einstellungen vermittelt werden, so wird in der Folge diese Vermittlungsebene eliminiert. Die Einübung in bestimmte Einstellungen wird unmittelbar am eigenen Körper ( ‘ Eigen ’ meint den Körper des fokussierten Protagonisten, dessen Geschichte erzählt wird.) zelebriert, wie 15 Als diskursgeschichtlicher Terminus im Sinne von Link 1996 verwendet., cf. einführend Hennig & Krah (2017: 465 f.). Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 39 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [39] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL dies exemplarisch in An Officer and Gentleman (Ein Offizier und Gentleman, USA 1982, Taylor Hackford) in Szene gesetzt wird. Hier wird zudem in einer Art Bilanzierung auf die Vergangenheit der 1970er Jahre und deren ideologisches Programm von einem Standpunkt aus reagiert, von dem aus diese Vergangenheit nicht nur als abgeschlossen betrachtet, sondern auch im eigenen Tun als überwindbar gesetzt wird. Im Vorspann des Films wird die Vorgeschichte visuell rekapituliert. Ausgangspunkt ist eine kollektive Vergangenheit, Vietnam, die im Film zwar auch als Trauma gesetzt ist, allerdings auf eine Weise, wodurch sich der Film von den Vietnamfilmen der 1970er Jahre und deren Verarbeitung signifikant unterscheidet: Hier im Film werden, bedingt durch Vietnam, die Jungen durch die Elterngeneration traumatisiert, da diese ihrer ideologischen (Vorbild-)Funktion nicht nachgekommen ist. Zack Mayo lebt nach dem Tod seiner Mutter entwurzelt und verwahrlost in sexuell freizügiger Atmosphäre bei seinem Vater, Gunnery Sergant Emil Foley Mayo, und dessen zwei asiatischen Freundinnen in der Fremde - und nimmt so selbst dieses Leben auf. Es kennzeichnet sich durch unmoralisches Verhalten, durch die Absenz von Heimat und Familie, aber auch durch die Absenz schöner Körper und Ästhetik, denn solches weisen der bierbäuchige Vater Mayo und seine Beziehungen gerade nicht auf. Der Film konstatiert nun nicht nur diese Problemlage, sondern bietet eine eindeutige Lösung an. Inszeniert wird zunächst ein Bruch mit diesem Leben: Zack geht, sobald er alt genug ist, zur Marine (und wiederholt dadurch das Leben seines Vaters, wie es hätte sein können - er nimmt also die ‘ Schuld ’ des Vaters auf sich). Doch dieser Bruch allein reicht für ein heiles Leben nicht aus, so ist präsupponiert. Zack wählt zwar freiwillig die Marineausbildung, er verhält sich zunächst aber egoistisch, unkameradschaftlich und unterläuft die Ordnung. Verhaltensweisen, die er sich, so setzt es der Film, aus dem Leben mit seinem Vater angeeignet hat - und durch die sich seine Traumatisierung artikuliert. Diese, so ist gesetzt, kann nicht aus eigenen Kräften bewältigt werden, dazu ist die Hilfe von Fremdinstanzen nötig. Fremdinstanzen, genauer: Institutionen, die auf den Körper einwirken und dadurch Selbstverwirklichung und Einsicht (beim Körperträger) zu katalysieren vermögen. Durch die falsche Orientierung ist das eigene und eigentliche Selbst - das eines der Normadäquatheit wäre - verschüttet. Am Ende des Films und der Ausbildung ist Zack gewandelt, er erhält Format. Dies verdankt er den Schikanen seines Ausbilders, die, wie rückblickend interpretiert wird, keine waren, sondern im Gegenteil Wohltaten, für die man sich bedanken darf. “ Ohne Sie hätte ich es nicht geschafft ” , so die Einsicht Zacks. Gewalt darf sein und ist funktional notwendig. 16 Gerade der buchstäblicheTritt in die Eier, mit dem sich derAusbilder in einem ‘ fairen ’ Kampf Mann gegen Mann, außerhalb des Dienstes, als der Überlegene erweist, wird etwa nicht als unfair und unter der Gürtellinie gewertet, sondern hat indexikalische Funktion: Genau durch diesen Kampf erhält Zack das Einsehen, seine Beziehung zu Paula, die er während seiner Ausbildung begonnen hat, nicht zu beenden, sondern der Sexualmoral entsprechend aufrechtzuerhalten und zu legitimieren. Damit wird auch auf dieser Ebene eine Über- 16 Dass die Körperlichkeit notwendig hierfür ist, zeigt sich an dem Mitanwärter, der sich, da körperlich schwächer, der Gewalt des Ausbilders nicht aussetzen kann und scheitert - wie sein Aufgeben im Film bewertet wird. Zimperlich darf man nicht sein, so die Botschaft, der stählerne Körper hält es aus. 40 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [40] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL windung der Vergangenheit erreicht, denn die hypothetische Beendigung der Beziehung würde genau nachzeichnen, wie es Paulas Mutter in der Elterngeneration ergangen war. Aus dem Handlungsverlauf und seiner filmischen Semantisierung kann gefolgert werden: (1) Der Bruch mit der Vergangenheit ist spezifisch kodiert: Da diese Vergangenheit selbst als defizitär gesetzt ist, entspricht die neue Lösung, also die Überwindung dieses Zustands, einer Re-Installierung einer eigentlich schon immer gültigen Ordnung, die nur durch diese Vergangenheit außer Kraft gesetzt war. Das Neue ist das tatsächlich und bewahrenswerte Alte, in dessen Normen und Werte von neuem eingeübt werden muss, da es abhandengekommen ist. Die Institution für diese Einübung ist die Marine, die nicht nur als militärische Organisation erscheint, sondern als Charakterschmiede. Die Ausbildung zum Offizier wird nicht zentral als eine des Rangs und des Dienstgrads gesetzt, als Beruf und Lebensunterhalt, sondern ist eine der inneren Einstellung, die den Menschen selber, sein gesamtes Leben betrifft. Die Ausbildung zum Offizier ist gleichgesetzt mit der Ausbildung zum “ Offizier und Gentleman ” , wobei sich ‘ Gentleman ’ nicht auf Äußerliches bezieht, auf Manieren und Verhalten, sondern auf eine innere Einstellung: auf Tugenden, Werte und Normen, Moral, Verantwortungsübernahme. (2) Die Strategie, dieses Innere wieder zu re-installieren, ist nicht eine psychologische oder basiert auf einer rationalen, expliziten Vermittlung dieses fehlenden Wissens, sie ist keine im engeren Sinne kommunikative. 17 Sie geht über den Körper, der durch Schleifen, letztlich durch organisierte Gewalt, diszipliniert wird, 18 wodurch zugleich dem Ich eine Einstellungsveränderung widerfährt, die der Bewältigung des individuellen Traumas und der Repräsentation der Ordnung dient. (3) Wiederum, wie bei Conan, ist der dazu geeignete Körper als Ausgangsmaterial vorhanden und oszilliert eine paradoxe (und selbstverständlich nicht thematische) Konstruktion. Impliziert wird, dass der athletisch-schöne Körper erst durch die Auseinandersetzung mit dem früheren, harten Leben entstanden ist - um sich in diesem durchsetzen zu können. Der Körper wäre also Ergebnis des negativen Zustandes. Zugleich ist aber die Sichtweise gegeben, dass er als eine Gabe der Natur zu sehen ist, an dem kein Vater, keine negative Kultur an sich etwas ändern können. Damit lässt sich etwas anfangen, auch wenn man sozial sonst noch so heruntergekommen ist. Die Reduktion auf den Körper ist also auch im Sinne einer Chancengleichheit funktionalisiert, eines Besinnens auf das Wesentliche. Für beide Sichtweisen gilt aber: Nun und deshalb muss diesem Körper die richtige Einstellung eingebläut werden. (4) Dass es die Beziehung mit Paula wert ist, aufrechterhalten zu werden, liegt nicht an Beziehungen an sich, sondern zentral an Paulas Verhalten. Dies wird im Film durch die Strategie der Gegenüberstellung verdeutlicht - ein Verfahren, dem sich die Filme des Zeitraums in besonderem Maße bedienen, um durch Grenzziehung die Bedeutsamkeit 17 Gefolgert werden kann, dass dies dann zu sehr als Indoktrinierung aufgefasst werden würde und neben dem Vermittlungsaspekt auch ein Heilungsaspekt, und damit die Konnotation von Krankheit und pathologischem Verhalten, zu sehr betont wäre - was der propagierten Ideologie negative Implikationen verleihen würde. 18 Je mehr der Körper freiwillig trainiert wird, desto mehr wird dies in den Filmen als an individuellen und egoistischen Interessen ausgerichtet inszeniert und dementsprechend mehr oder weniger sanktioniert, wie in American Gigolo zu sehen ist. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 41 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [41] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL bestimmter Merkmalen hervorzuheben. Die Filme der frühen 1980er Jahre operieren mit dem Aufbau vergleichbarer Parallelgeschichten, wobei die Abgrenzung von diesen stets scheiternden Varianten gerade die Qualitäten betont, die das eigene Scheitern verhindern. In An Officer and Gentleman ist es der Gegensatz von Zack und Paula zu Sid, ein mit Zack befreundeter Offiziersanwärter, und Lynette, die wie Paula Fabrikarbeiterin ist. 19 Gerade unter Funktionalisierung dieses sozialen Unterschieds wird vorgeführt, dass es nicht solche sozialen Ursachen sind, woran Beziehungen scheitern, sondern dass ein Scheitern an der Einstellung der Frau liegt - die damit die Verantwortung trägt. Lynette ist es, die keine ernsthaften Gefühle für Sid als Person hat, sondern diesen nur benutzen möchte um aufzusteigen. Als Sid den Dienst quittiert, um die nicht standesgemäße Beziehung eingehen zu können, ist gerade dies der Grund für Lynette, ihm den Laufpass zu geben (woraufhin sich Sid umbringt). (5) Deutlich lässt sich zeigen, dass Körper und Sexualität eine neue Verbindung eingehen. Durch eine Ästhetisierung des Sexualaktes wird dieser zum Bedeutungsträger für Liebe oder Leidenschaft, jedenfalls für ernsthafte, intensive Gefühle, wobei der Akt Zeichenfunktion übernimmt, also über sich hinaus verweist: Zentral ist nicht, dass solche Gefühle während des Sexualaktes vorhanden sein müssen, signalisiert wird durch eine Visualisierung vielmehr, dass sich solche Gefühle einstellen werden und der Akt nicht einfach nur Episode ist. Das rekurrente Zeigen des Aktes und die sich darin dokumentierende neue Relevanz sind nicht wirklich als progressiv im Sinne neuer Freiheiten oder Freizügigkeiten zu deuten. Denn nicht eine Selbstverständlichkeit des Aktes an sich, als etwas Alltägliches, wird dadurch indiziert, als Eigenwert, an dem man Vergnügen haben könnte, sondern er ist als Besonderheit inszeniert und selbst ein Zeigeakt. Einmal visualisiert, dient er als Index dafür, dass das Paar zusammenbleibt, dauerhaft zusammenkommt. Wird derAkt gezeigt, wie der zwischen Zack und Paula, dann kommt es auch zur Heirat. Dagegen korreliert die Negativgeschichte von Sid und Lynette auf der Discoursebene damit, dass der Sexualakt zwischen den beiden nie gezeigt wird, Lynette auch nicht schwanger ist und (im Gespräch unter Männern) zudem thematisiert wird, dass diese beiden eine Sexualpraktik favorisieren, Fellatio, die dem auch nicht gerade förderlich ist. 5 Saturday Night Fever (1977) und Staying Alive (1983): Das Sequel als Überschreibung Veränderungen bezüglich der Körperkonzeptionen und der damit einhergehenden ideologischen Ausrichtung dessen, was als Identität propagiert werden soll, sind dort deutlich zu sehen und nachzuvollziehen, wo Filme selbst eine Vergangenheitsdimension installieren. Dies muss nicht, wie in An Officer and Gentleman, filmintern in der eigenen Diegese sein, es kann sich auch filmübergreifend konstituieren, als Bezug auf einen ‘ Prätext ’ , der dem Film vorausgeht. Führen Filme, die innerhalb ihrer Diegese eine Vergangenheitsdimension etablieren, ein ‘ Sukzessionsmodell ’ vor, so folgen Sequels einem ‘ Substitutionsmodell ’ , bei 19 In Flashdance (1983, Adrian Lyne) werden als solche Alternativverläufe die Lebensentwürfe von Jeanie und Richie vorgeführt, die beide scheitern, im Unterschied zur fokussierten Alex, die sich selbst das Motto gibt: “ Wenn du einmal einen Traum aufgibst, stirbst du. ” 42 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [42] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL dem die Diegese nicht fortgeführt, sondern diese Vergangenheit insgesamt überschrieben wird. Für den hier behandelten Zeitraum weisen Sequels diese Zusammenhänge generell/ tendenziell auf und organisieren ihre Bedeutung nach den konstatierten Prinzipien. Dies soll am Beispiel Saturday Night Fever von 1977 (USA, John Badham) und seinem Sequel Staying Alive von 1983 (USA, Sylvester Stallone) illustriert werden. 20 Tony Manero ( John Travolta) weist als Protagonist von Saturday Night Fever keinen durchtrainierten, gestählten Körper auf, ebenso wenig wie die anderen fokussierten Jugendlichen. Der Film führt zwar dominant die Relevanz einer Körperinszenierung vor, insbesondere über die Kleidung und die Frisur, 21 dies wird aber ebenso eindeutig als Selbst-Inszenierung ausgestellt. Wenn sich Tony für die Disco umzieht (siehe Abb. 3 a bis 3 f ), dann wird durch die Kameraperspektive, durch die Ausführlichkeit, mit der der Discours daran teilnimmt, und durch die Kontrastierung von Tonys Körper mit dem Körper von Bruce Lee, der als Poster die Zimmerwand schmückt, deutlich, dass dies als metadiegetische Kommentierung zu verstehen ist. Insbesondere durch die Bilder in Tonys Zimmer, neben Bruce Lee ein Porträt von Sylvester Stallone als Rocky, wird gerade die Differenz von Realität und Medialität gezeigt und damit ein Bruch und eine Distanz markiert: Diese Bilder fungieren zwar als Vorbilder, haben diesen Anspruch aber nur medial; nur filmisch sind solche Körper möglich, nicht real. Die Realität ist im Film dagegen durch die Familie und die Arbeit als Verkäufer repräsentiert, jeweils Bereiche, die sich als äußere Zwänge zeigen, in die das Individuum eingebunden und von denen es mehr oder weniger abhängig ist. Gerade der Körper als das, was das Individuum auszeichnet und dessen Wünschen zugrunde liegt, zählt hier nichts - im Gegensatz zum sonnabendlichen Tanz in der Disco. Hier kann sich das Individuum verwirklichen und sich selbst zu dem machen, was es gern sein möchte. Allerdings wird bei dieser bewussten Inszenierung nicht der eigene Körper verändert, sondern rein das äußerliche Bild: Die Kleidung bringt nicht den Körper zur Geltung, sondern ist ‘ Verkleidung ’ , diese ist aber nicht negativ konnotiert. Stattdessen ist sie das Image, das man sich selbst für den heterotopen Freiraum der Disco gibt, 22 und das nur hier an diesen Raum gebunden funktioniert. Dominant vorgeführt wird in Saturday Night Fever daneben der Alltag mit seinen Zufälligkeiten und Irrelevanzen, nicht sekundär überhöht und ohne Zusammenhang zum Tanzen. Die Disco ist in dieses Umfeld der sozialen Probleme - Arbeitslosigkeit, Familienleben, alles, was Probleme im Zusammenhang mit derAdoleszenz im Allgemeinen bereitet - eingebettet. Der Tanz ist Reaktion auf den Alltag, aber nicht auf die Weise, ihn, den Alltag, zu verändern, sondern ihm temporär (und räumlich) zu entkommen. Der Tanz zeichnet sich denn auch nicht durch akrobatische Elemente oder durch Leistungsorientiertheit aus - die ihn dann in den Tanzfilmen der 1980er kennzeichnen werden (paradigmatisch etwa in Flashdance). 20 Am deutlichsten zu sehen ist dies in Sequels von Genres, bei denen der Körper und seine spezifische Ideologisierung eine besondere Rolle spielen, wie etwa in den Rocky- oder Rambo-Filmen. Zur Sequel- Konzeption der Blaue Lagune-Filme cf. Krah 1999, allgemein zu seriellen Formaten cf. Krah 2017 b. 21 Generell wären Frisuren, Haare und deren semiotische Verwertung eine eigene Untersuchung wert. 22 ‘ Heterotop ’ wird hier im Sinne von Foucault 1990 verstanden; zum Tanzfilm und seinen historisch unterschiedlichen Konzeptionen cf. Krah 2003. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 43 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [43] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Abb 3 a − f: Saturday Night Fever: Tony zieht sich für die Disco um (eigene Screenshots) Während Saturday Night Fever eine Momentaufnahme darstellt, die einen nicht zielorientierten und offenen Plot abbildet und so eine paradigmatische Adoleszenzgeschichte erzählt - in der der Umgang mit dem Körper (nur) einen Teil dieser Geschichte ausmacht, ist die narrative Konzeption des Sequels Staying Alive dem gegenüber geradezu als konträr zu bezeichnen. Geboten wird eine stringente Aufstiegsgeschichte, die nicht da einsetzt, wo Saturday Night Fever endet, sondern die diesen Film letztlich vollkommen überschreibt: 44 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [44] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Erzählt wird die gleiche Geschichte noch einmal, als andere Geschichte. Bereits die Audition zu Beginn des Discours zeigt, dass es darum geht, das Leben durch den Tanz zu meistern; es geht um Professionalisierung und Kompetition, um Wettbewerb und Konkurrenz. Letztlich geht es darum, der Beste zu sein, Star der Show zu werden. Von vornherein ist hier ein Ziel vor Augen, eine Aufgabe, die Karriere. Der Tanz ist funktional, da sich durch ihn, durch die Leistung, die in diesem Bereich erbracht werden kann, das gesamte zukünftige Leben bestimmen lässt. Dies korreliert mit einem deutlich anderen Tanzstil und einer anderen Körperlichkeit, als sie in Saturday Night Fever angelegt waren - auch Tony ist nun ein anderer (auch wenn er nach wie vor von John Travolta gespielt wird). Dies dokumentiert sich in der Kleidung, am Stirnband und am Muskelshirt, aber auch im Körper, wie das Muskelshirt zeigt, mit dem die Kleidung nun den Körper betont. Es geht tatsächlich darum, selbst so zu sein, wie dieVorbilder in Saturday Night Fever waren. Dabei wird aber gerade die mediale Verfasstheit als eigentliche Grundvoraussetzung für dieses Vermögen ausgeblendet: Eine Simulation von Unmittelbarkeit dominiert den filmischen Diskurs (und damit auch Discours). Auswahl und Leistung als die zentralen Kategorien, die in der filmischen Welt gelten und die bereits in der expositorischen Audition hervorgehoben werden, sind nicht solche, die sich rein auf das körperliche, athletische Vermögen beziehen. Star zu werden verlangt mehr, so die filmische Argumentation. Dies ist verbunden mit einer Selbstüberwindung im Sinne der Selbstbeschränkung, einer Rücknahme des Selbst, der egoistischen Interessen. Nur durch diese Reduktion ist das Ziel erreichbar, wie vorgeführt wird: Tony ist zu Beginn zu individualistisch, er tanzt buchstäblich aus der Reihe und inszeniert sich als Star, macht auf Show. Genau dieses Verhalten führt dazu, nicht genommen zu werden. Er muss erst lernen und zur Einsicht gelangen, dass die Show selbst, das Ganze wichtig ist, und der Einzelne, auch der Star, sich dieser Gemeinschaftsaufgabe unterzuordnen hat. Sein Körpereinsatz muss funktional hierfür sein. Er darf die Show nicht gefährden, sondern muss mithelfen für das Ganze, Größere, Höhere - hier die Show, deren Gelingen sich das einzelne Individuum unterzuordnen hat. Gerade dadurch kann sich dieser Einzelne als Star konturieren. Als Belohnung, innerdiegetisch wie für den Rezipienten, fungiert am Ende dann eine zehnminütige Wiedergabe der Show - Attraktionswerte pur (zumindest aus der Logik des Films heraus; ob diese Schlusschoreografie wirklich vom Rezipienten goutiert wird, ist eine andere Sache) - , mit der sich der Film von seiner ideologischen Infiltration ‘ erholen ’ , die darin geleistete Paradigmenvermittlung auf einer expliziten Ebene ausblenden und so anscheinend frei von einer solchen ‘ unterhaltsam ’ auslaufen kann. Bestehen bleibt implizit dennoch, dass gerade dafür, für diese Attraktion, eine Integration und eine Unterordnung unter als gegeben und gültig gesetzte Werte und Normen erforderlich ist, wobei diese Unterordnung als bewusste, freie Entscheidung, als Wahlmöglichkeit inszeniert wird: “ Ein Mann hat immer die Wahl ” , wie es An Officer and Gentleman formuliert. 6 Von den 1970er zu den 1980er Jahren - ideologische Formationen von Körper und Identität Im Folgenden sollen die zentralen, aus den Analysen konstatierten Beobachtungen zusammengefasst, Ergebnisse expliziert und in ihrem Diskurskontext verortet werden. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 45 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [45] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL (1) Die sich in den 1980er Jahren etablierende Konzeption von Körper und Identität greift selbstreflexiv Strukturen auf und bezieht sich auf solche, die es schon zuvor gegeben hat; als Gesamtkonzeption ist sie aber gerade nicht für die 1970er Jahre konstitutiv. Stattdessen markiert sie eine deutliche Zäsur. Was sich bei dieser Bezugnahme vollzieht, ist inhaltlichideologisch als restaurativ zu interpretieren. Die Notwendigkeit einer solchen Reaktion verweist zum einen darauf, dass sie tendenziell nicht als normal und unhinterfragt gültig erachtet wird, und gerade deshalb zum anderen ihr Programm kaschieren muss, um sich einer argumentativen Auseinandersetzung entziehen zu können. Vereinzelt mögen dabei solche Körperkonzeptionen bereits in Filmen der 1970er Jahre auftreten - umso mehr, als der Film der 1970er Jahre tendenziell ambivalent und offen ist, und in diesem Spektrum auch konservative und restaurative Lösungen, neben anderen, propagiert sein können. 23 In den 1980er Jahren werden gerade diese aufgegriffen und systematisch institutionalisiert, und, da sie an den Körper gebunden werden, über diesen Umweg ‘ offen ’ propagiert. So sehr in den frühen 1980er Jahren noch vereinzelt Konzeptionen der 1970er Jahre vorhanden sein mögen, so dominiert immer mehr die neue Ästhetik und damit auch die neue Ideologie, die dann ab etwa Mitte der 1980er nicht mehr thematisch ist, sondern den selbstverständlichen Hintergrund der filmischen Strukturen bildet. Dieser mediale Wandel wird durch einen generellen kulturellen Wandel von Körperästhetik und Schönheitsidealen gestützt, an dem er partizipiert. Betrachtet man die Filme in diesem Kontext, kommt ihnen eine Verweisfunktion zu; sie dienen, neben anderen Dokumenten, 24 als kulturelles Archiv. Dass sie zusätzlich in ihren Argumentationen ein ideologisches Programm hieran anbinden, scheint der Mehrwert des Films zu sein. (2) Über den eigenen Körper und die Arbeit daran kann etwas erreicht werden, ein Ziel, so die Argumentation, und daran wird die Identität der Person bzw. eine geglückte Identitätsfindung wesentlich gebunden. Dies impliziert, dass sich die Gesellschaft, der Staat, als verantwortliche Größe entzieht. Denn keine sozialen Faktoren bestimmen das Leben, so wird propagiert, zumindest nicht wesentlich und definitiv, sondern man selber. Die Indienstnahme des Körpers - als zentrale Größe des Individuums - ist zum einen die zentrale Strategie, diesen Rückzug zu kaschieren. Am Körper können Paradigmen wie Leistung, Gewinn, Konkurrenz/ Wettbewerb, 25 Sich-Messen, Nicht-Aufgeben, Anstrengung, Weitermachen verhandelt werden, der eigene Körper kann in den Dienst der Gemeinschaft gestellt werden. Dort, wo bei dieser Körperorientierung die Gefahr des Egoismus und der Selbstbezüglichkeit droht, kann dies durch narrative Sanktion eingedämmt werden. 26 Zum anderen fungiert der Körper als evidentes Argument; er ist gefordert, er ist veräußerlichtes Zeichen für das Innere, die innere Einstellung. 23 So etwa deutlich in Logan ’ s Run, cf. Krah (2004: 219 - 226). 24 Im Kontext der Körperorientierung wäre etwa die Publikation von Charles Hix und Ken Haak, Working out. Das Körperprogramm für Männer von 1983 nennen; gemäß dem Titel “ Working out ” wird das, was als Material vorhanden ist und zur Verfügung steht, ausgearbeitet; zum kultursemiotischen Ansatz im Allgemeinen und zu seiner Modellierung von Wandel cf. Nies 2017. 25 In den 1970er Jahren ist das Paradigma Wettbewerb irrelevant, wie nicht nur Stay Hungry, sondern auch Saturday Night Fever oder Man Friday illustrieren; They Shoot Horses, Don ’ t They demonstriert dies ex negativo, da hier Wettbewerb gerade im Kontext von Ausbeutung zum zentralen Thema wird. 26 Wie etwa in American Gigolo. 46 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [46] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL (3) Körperdisziplinierung, wie sie vorgestellt wurde und für die 1980er Jahre vorherrscht, wird zwar dominant am männlichen Körper demonstriert, es geht allerdings nicht primär um eine geschlechtsspezifische Semantisierung. 27 Es geht nicht primär um eine Semantik des männlichen Körpers, sondern um eine Ordnungsstiftung. Vorgeführt wird sie zwar am männlichen Körper, damit ist aber immer eine allgemeine Paradigmenvermittlung verbunden, die für alle Geschlechter gilt. Dass dominant der männliche Körper fokussiert ist, liegt an der männlichen Ausrichtung dieser Ordnung; die Verantwortung ihrer Restitution wird dementsprechend dem Mann übertragen. Dies bedeutet nicht, dass bei diesem Prozess nicht auch weibliches Verhalten einbezogen wäre. Das geschieht selten anhand einer eigenständigen Thematisierung durch Protagonistinnen (wie etwa in Flashdance). 28 Stattdessen wird eine weibliche Disziplinierung durch die Disziplinierung des männlichen Protagonisten mitverhandelt, wobei dies nicht als tatsächlicher Konflikt und Grundlage eines Transformationsprozesses in Szene gesetzt wird: Zumeist ist diese Einsicht von vornherein vorhanden und von der weiblichen Seite selbst an den männlichen Part als ‘ Entscheidungsträger ’ übertragen (wie bei Paula in An Officer and Gentleman). So sehr es in den Filmen der 1980er Jahre zunehmend ‘ starke ’ Frauen gibt, so ist doch zu konstatieren, dass zur Re-Definition auch gehört, sich dieser dominanten Frauen zu erwehren: (i) im freiwilligen Frauenopfer (á la Fantasy wie Valeria in Conan the Barbarian), (ii) durch freiwillige Rücknahme und Unterordnung (wie in Rocky IV), (iii) durch Sanktionierung (Lynette in An Officer and Gentleman) oder (iv) dadurch, dass sich diese Dominanz hyperbolisch verselbständigt (gerade dann, wenn Frauen ihre Stärke auch über einen starken Körper definieren) und sie damit selbst einer Symbolisierung unterzogen ist (etwa im Modell der Übermutter, wie bei Ripley in Aliens, oder in ‘ fantastischen ’ Nischen wie bei Grace Jones in Conan the Destroyer). 29 (4) In den 1970er Jahren erscheint Körperkult im Film auf eine spezielle Konnotation eingeengt, wobei gerade der Aspekt der intendierten Veränderung und Formung sowie die explizite Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper zu zentralen Aspekten einer Semiotisierung werden: Die explizite Beschäftigung mit dem Körper und seine bewusste Formung sind für Freaks und Andersartige reserviert, gerade im Fokus der sexuellen ‘ Abweichung ’ . 27 Auch wenn eine solche Genderperspektive selbstverständlich eine wichtige Rolle spielen kann. Für den männlichen Körper mag dies, insbesondere im Untersuchungszeitraum, eine noch markiertere Relevanz haben als für den weiblichen, da Konzepte von Männlichkeit zunächst mit einem spezifischen Status von Körperlichkeit einhergehen: Der Mann muss keinen besonderen Körper haben, da er diesen (ideologisch) per se hat und sich somit die Thematisierung dieser Dimension zu erübrigen hat. Gerade das explizite Epitheton ‘ ein schöner Mann zu sein ’ - zumeist bereits angeboren, ohne darauf Einfluss durch Training oder Pflege zu nehmen - verweist mindestens seit den 1950er Jahren in ästhetischen Texten, deutlich in denen der Populärkultur, in einem einerseits auf Ausgleichsdenken, andererseits auf Projektionsdenken basierenden Körperkode darauf, dass Defizite im Inneren (und damit im ideologisch Wesentlichen) vorhanden sind: ein Verräter zu sein, schwach zu sein. Rekurrent findet sich dies etwa in den (Technik-)Utopien gerade der 1950er Jahre, Oskar Maria Grafs Die Erben des Untergangs (1959) sei als prominenteres Beispiel genannt (cf. Krah 2004: 54 - 60). Seinen Ursprung hat dieses Denken schon im Realismus, wie etwa an Fontanes Schach von Wuthenow oder Unwiederbringlich deutlich wird. 28 Erwähnenswert mag in diesem Zusammenhang durchaus das produktionstechnische Detail sein, dass gerade die akrobatischen Tanzszenen von Jennifer Beals von einem männlichen Double ausgeführt wurden. 29 Zudem ist zu konstatieren, dass diese starken Frauen dann in den Filmen per se über die ‘ richtige ’ Einstellung verfügen. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 47 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [47] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL The Rocky Horror Picture Show (GB 1974, Jim Sharman) mag als Beispiel in Erinnerung gerufen werden: Rocky Horror, das Monster, das Frank N. Furter, der Außerirdische, kreiert, ist kein Monster im traditionellen Sinne des Horrorfilms (mit körperlichen Defekten), sondern seine Andersartigkeit wird gerade durch seine körperliche Perfektion demonstriert. Er hat einen muskulösen, ästhetisch-perfekten Körper, der als dieser zur Schau gestellt wird und der als dieser auch weiterhin gepflegt werden soll: Zum Geburtstag bekommt er Hanteln geschenkt. Die Grenzen der 1970er Jahre-Konzeptionen zeigen sich letztlich bereits im Thema - im Film der 1970er Jahre sind Sport und körperliche Ertüchtigung nicht forciert. 30 In den 1970er Jahren spielen trainierte Körper keine Rolle, tun sie es doch, dann immer im Kontext von Abweichungssemantiken, wobei diese Abweichungen nicht notwendig bewertet werden, sondern zumeist nur dokumentiert sind. Ein trainierter Körper und eine bewusste Relevantsetzung verweisen jedenfalls auf Künstlichkeit, Unnatürlichkeit - und damit auf Abweichung, gleichwie die jeweilige Ordnung auch konkret gefüllt sein mag. (5) Deutliche Unterschiede zwischen den 1970er Jahren und den 1980er Jahren lassen sich bezüglich der Kontextualisierung von Nacktheit und Sexualakten zeigen. Die Abbildung nackter Körper ist in den 1970er Jahren Teil des Konzepts der Abbildung von Alltäglichkeit und ist insofern weder nach einem Körperideal ausgerichtet, normiert und überhöht, noch in besonderem Maße im Kontext narrativer Plotpoints situiert oder mit semiotischer Verweisfunktion ausgestattet. In den 1980er Jahren ändert sich dies. Zu konstatieren ist eine zunehmende Quantität an fokussierter Nacktheit, wobei diese oberflächliche Freizügigkeit gewissen Regeln unterworfen und damit in einen Ordnungsdiskurs eingebunden ist. Den nackten Körper sehen, oder, noch schlimmer, ihn voyeuristisch zeigen, ist ein Datum, das letztlich immer konkomitantes Zeichen für Unmoral ist und/ oder einer Sanktionierung unterliegt. 31 Ebenso sind in den 1970er Jahren Bettszenen dem Programm der Alltäglichkeit subsumiert, ohne narrative Konsequenzen. Im Unterschied hierzu etabliert sich in den 1980er Jahren die Verweisfunktion visualisierter Sexualität: Sie ist ein Index für gegenseitige Liebe und Treue und dauernde Zusammengehörigkeit in der Ehe (auch wenn dies dem Paar während des Akts selbst nicht bewusst sein muss). In diesem Zusammenhang ändert sich auch die Visualisierung an sich. Der Sexualakt wird nur mehr von schönen, jungen Menschen, von ästhetischen Körpern in ästhetischen Posen in gestylter Umgebung vollzogen, immer wie für Glanzbildaufnahmen vorbereitet und damit eher aseptisch und klinisch sauber. Von einer realen Körperlichkeit scheinen diese Körper gelöst zu sein, sowohl, was die körperliche Verfasstheit selbst anbelangt, Körperbehaarung, Falten, Speckwülste sind nicht vorhanden, als auch, was durch den Körper hervorgerufene Begleitumstände betrifft; Schmutz, Geruch, Schweiß existieren nicht. Geräusche sind nicht zu hören, wenn es Gestöhne gibt, dann rhythmisch überhöht und funktional. Gerade 30 Beispiele, die diesen Umgang illustrieren können, wären etwa Grease oder Man Friday. 31 Die Visualisierung des nackten Körpers enthält also eine semiotische Dimension, wie etwa immer wieder in den Folgen der 1980er Jahre der Reihe Tatort zu sehen ist: Wer sich hier als Mann ohne Not nackt präsentiert, wird zumeist mit dem Tod sanktioniert, da dieses nur der moralisch (und damit juristisch) Abweichende vorführt (Erregung öffentlichen Ärgernisses); cf. Krah 2000. Davon zu unterscheiden ist die Inszenierung einer ‘ Haut-Dramaturgie ’ , wie sie Seeßlen 2002 für Filme der 1990er Jahre untersucht. 48 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [48] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL diese ‘ Entkörperlichung ’ erleichtert die semiotische Funktionalisierung des Aktes, lenkt sie doch von den körperlich-somatischen, eigentlichen Aspekten ab. Dass sich die Liebespartner im Bett über eine entdeckte Filzlaus am Glied des Partners eher belanglos mit den Worten, “ ein Matrose am Mast ” unterhalten würden, wie es Bennie und Elita in Bring me the Head of Alfredo Garcia tun, ist nun undenkbar. Diese beiden mögen zudem paradigmatisch für ein ‘ Liebespaar ’ stehen, das den neuen Normen von Körperlichkeit nicht entspricht. (6) Ab Mitte der 1980er Jahre scheint der Prozess der Körperdisziplinierung abgeschlossen zu sein und es zur Verschmelzung der beiden Schritte beziehungsweise der beiden Faktoren Körper und Disziplinierung zu kommen. Dies soll bedeuten, dass nun, wie dies noch bei Conan oder paradigmatisch bei An Officer and Gentleman der Fall war, keine Hilfe von außen mehr benötigt wird, den Prozess der Einstellungsveränderung zu katalysieren. Die Disziplin/ Ideologie ist in den Körper als wesenhaft, alternativlos eingeschrieben, sie muss nicht mehr erzwungen werden, sondern ‘ zwingt ’ sich selbst, ohne (äußeren) Grund auf. 32 Dementsprechend ist hierfür letztlich auch kein Prozess mehr nötig - der jeweilige Protagonist weiß aufgrund seines Körpers selber, was zu tun ist. Dies korreliert damit, dass Körperdisziplinierung/ Arbeit am Körper zum einen stets im Sinne einer Ganzheitlichkeit semantisiert ist, sie ist nie Hobby, sondern das Leben selbst. Zum anderen ist diese Arbeit am Körper nie als Inszenierung semantisiert, sondern als Naturalisierung; das Konzept wird als Natur, als natürlicher Umgang mit dem Körper gesetzt. 7 Ausblick: der selbst disziplinierte Körper - Rocky IV Mit dieser Formation kann einsetzen, was als Sekundärsymbolisierung zu begreifen ist: Sobald diese Konzeption dergestalt als naturalisiert gilt, kann sie selbst wiederum ideologisch verwertet und Grundlage von Mythisierung werden, 33 wie dies paradigmatisch anhand Rocky IV (1985, Sylvester Stallone - auch hier gilt das zu Sequels Gesagte) zu sehen ist. Hier wird mit dem selbst disziplinierten Körper operiert und argumentiert. In Rocky IV wird zunächst in der untergeordneten Differenz zwischen Rocky und Apollo Creed der Aspekt der Inszenierung verhandelt. Die Show, die Apollo unter Einsatz amerikanischer Symbole vor seinem Boxkampf mit dem Sowjetrussen Drago abzieht, ist als deren Veräußerlichung anzusehen und dadurch als Sakrileg zu interpretieren, weshalb Apollos anschließender Tod im Kampf gegen Drago als ideologische Sanktionierung durchaus legitimiert erscheint. Gleichzeitig ist dieser Tod auf einer höheren Ebene, bei der es nicht mehr um Individuelles, sondern um das Kollektivinteresse US-Amerikas geht, Ausgangspunkt der Verhandlung der eigentlichen Differenz USA versus UdSSR - und muss (und darf) dementsprechend ‘ gerächt ’ werden. Aber, und in der Logik des Modells kohärent, als ‘ Rache ’ , die nicht als Rache semantisiert ist (vergleiche die Konzeption in Conan the Barbarian). Dramaturgischer Höhepunkt ist dabei weniger der Schlusskampf zwischen Rocky Balboa und Ivan Drago - Rocky besiegt den übermächtig erscheinenden russischen Boxer; dieser Kampf bildet durch die an den jeweiligen Körper gebundenen Werte den 32 Richard Geres visualisierter Akt mit der Prostituierten Julia Roberts in Pretty Woman (1990) und seine Folgen mögen hier nur als ein Extrempunkt der Konkretisierung dieser Konzeption stehen. 33 Zu den Begriffen und ihrer Verwendung sei auf Krah 2008 verwiesen. Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 49 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [49] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Kampf der Ideologien ab - , sondern die filmische Vermittlung dieser Bindung: Vor dem Kampf werden in einer fast zehnminütigen Parallelmontage die Trainingsmethoden von Rocky und Ivan gegengeschnitten. Diese Methoden kennzeichnen und unterscheiden sich in etwa durch die Merkmale ‘ in freier Natur ’ , ‘ ohne technische Hilfsmittel ’ , ‘ nur mit sich selbst ’ , ‘ in die Lebenswelt integriert ’ , ‘ von Frau geduldet ’ 34 für Rockys Training und im Gegensatz dazu durch ‘ nur im künstlichen Innenraum ’ , ‘ unter exzessiver Nutzung von Apparatetechnik ’ , ‘ gedopt ’ , ‘ unter ständiger Kontrolle ’ , ‘ abgeschottet ’ , ‘ von Frau dominiert ’ für Ivan, lassen sich in der filmischen Argumentationsstruktur unter die Paradigmen ‘ Freiheit, Individualismus, Natürlichkeit ’ versus ‘ Unfreiheit, Abhängigkeit, Unnatur ’ zusammenfassen und können wiederum den Ideologien US-Amerikas und der Sowjetunion zugeordnet werden. Die amerikanischen Werte setzen sich durch, bereits die Trainingssequenz endet mit der rein durch den Körper evozierten Bezwingung des höchsten Gipfels der Umgebung - und nimmt damit, da sich Rocky in ‘ Feindesland ’ befindet, symbolisch die Aneignung und Überlegenheit vorweg. 35 Damit setzt sich der Körper durch, denn so außergewöhnlich Drago erscheint, einen exzeptionellen Körper im emphatischen, ideologisch konzipierten Sinne der 1980er repräsentiert er gerade nicht. Drago selbst, so die filmische Inszenierung, geht in der oben skizzierten Trainingssemantik auf, sein Körper ist demnach nicht als menschlicher Körper zu sehen, sondern als rein instrumentelle (Tötungs-)Maschine; dementsprechend ist er vom Modell der Körperdisziplinierung wesentlich ausgeschlossen. Einer Nationalisierung im Sinne einer Mythisierung von Nation - diesem Zwecke kann nur ein Körper dienen und nur eine Nation kann auf diese Weise semantisiert sein. Dass damit dann das Konstrukt, es gehe um individuelle Identität, in sich zusammenbricht und sich auflöst, wird für diese Zwecke in Kauf genommen. Bibliographie Barck, Karlheinz (ed.) 1990: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam Decker, Jan-Oliver 2017: “ Medienwandel ” , in: Krah & Titzmann (eds.) 2017: 423 - 446 Foucault, Michel 1990: “ Andere Räume ” , in: Barck (ed.) 1990: 34 - 46 Frölich, Margrit et al. (eds.) 2002: No Body is Perfect. Körperbilder im Kino, Marburg: Schüren Gräf, Dennis et al. 2017: Filmsemiotik. Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate, Marburg: Schüren Hennig, Martin & Hans Krah 2017: “ Medientheorien ” , in: Krah & Titzmann (eds.) 2017: 447 - 468 Inan, Alev (ed.) 2012: Jugendliche Lebenswelten in der Mediengesellschaft. Mediale Inszenierung von Jugend und Mediennutzung Jugendlicher, Bad Heilbrunn: Klinkhardt Krah, Hans 1997: “ Sexualität, Homosexualität, Geschlechterrollen. Mediale Konstruktionen und Strategien des Umgangs mit Homosexualität in Film und Fernsehen ” , in: Forum Homosexualität und Literatur 29 (1997): 5 - 46 34 So kommt seine Frau, die ihn zunächst nicht nach Russland begleitet hat, zur Einsicht, ihn vorbehaltlos zu unterstützen, und reist ihm nach, um ihr Leben voll und ganz auf ihn auszurichten. 35 Cf. hierzu und zu dem zugrundeliegenden Konzept eines ‘ Destinationspunkts ’ auch Gräf (2017: 219 - 211). 50 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [50] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Krah, Hans 1999: “ Raum, Sexualität, sequel. ‘ Natur ’ als bürgerlicher Projektionsraum am Beispiel von The Blue Lagoon (1980) und Return to the Blue Lagoon (1991) ” , in: Kodikas/ Code Ars Semeiotica 22.1 − 2 (1999): 57 - 83 Krah, Hans 2000: “‘ Sex & Crime ’ . Ein etwas anderer Blick auf 30 Jahre deutscher Kriminalgeschichte ” , in: Wenzel (ed.) 2000: 50 - 70 Hans Krah (ed.) 2001: All-Gemeinwissen. Kulturelle Kommunikation in populären Medien, Kiel: Ludwig Krah, Hans 2003: “ Tanz-Einstellungen. Ein Blick auf die Geschichte des Tanzes im Film ” , in: Kodikas/ Code Ars Semeiotica 26.3 − 4 (2003): 251 - 271 Krah, Hans 2004: Weltuntergangsszenarien und Zukunftsentwürfe. Narrationen vom ‘ Ende ’ in Literatur und Film 1945 - 1990, Kiel: Ludwig Krah, Hans 2008: “ Der Hitlerjunge Quex - Erzählstrategien 1932/ 1933: vom Großstadtroman der Weimarer Republik zum ‘ mythischen Erzählen ’ im NS-Film ” , in: Spedicato und Hanuschek (eds.) 2008: 11 - 38 Krah, Hans & Wolfgang Struck 2001: “ Gebrochene Helden / gebrochene Traditionen / gebrochene Mythen: der Film der 70er Jahre ” , in: Krah (ed.) 2001: 117 - 137 Krah, Hans 2012: “ Das Fantasy-Genre und South Park. 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Perspektiven und Analysen, Würzburg: Königshausen und Neumann Titzmann, Michael 2017: “ Propositionale Analyse und kulturelles Wissen ” , in: Krah & Titzmann (eds.) 2017: 81 - 108 Wenzel, Eike (ed.) 2000: Ermittlungen in Sachen TATORT. Recherchen und Verhöre, Protokolle und Beweisfotos, Berlin: Bertz Filmographie Aliens (USA/ UK 1986, James Cameron) American Gigolo (USA 1980, Paul Schrader) Bring Me the Head of Alfredo Garcia (USA/ Mexiko 1974, Sam Peckinpah) Conan, the Barbarian (USA 1982, John Milius) Conan, the Destroyer (USA 1984, Richard Fleischer) Flashdance (USA 1983, Adrian Lyne) Grease (USA 1978, Randal Kleiser) Krull (UK/ USA 1983, Peter Yates) Logan ’ s Run (USA 1976, Michael Anderson) Man Friday (USA/ UK 1975, Jack Gold) An Officer and Gentleman (USA 1982, Taylor Hackford) Partners (USA 1982, James Burrows) Selbstreferenz als ideologische Fremdreferenz 51 Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [51] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL Pretty Woman (USA 1990, Garry Marshall) Rocky IV (USA 1985, Sylvester Stallone) The Rocky Horror Picture Show (UK 1974, Jim Sharman) Saturday Night Fever (USA 1977, John Badham) Schöner Gigolo, armer Gigolo (BRD 1979, David Hemmings) Staying Alive (USA 1983, Sylvester Stallone) Stay Hungry (USA 1976, Bob Rafelson) They Shoot Horses, Don ’ t They (USA 1969, Sidney Pollack) 52 Hans Krah (Passau) Kodikas_40_2017_No_1-2_SL_3 / TYPOSCRIPT[FP] Seite 1 [52] 217 , 2018/ 10/ 31, 9: 04 Uhr · 11.0.3352/ W Unicode-x64 (Feb 23 2015) 3. SL