eJournals Kodikas/Code 39/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2016
391-2

Bernhard Pörksen/Friedemann Schulz von Thun 2014: Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens, Heidelberg: Carl Auer, 217 pp.

2016
Achim Eschbach
zu einer Kenntnisnahme der deskriptiven Psychologie führen können, wofür der vorliegende Band ein leuchtendes Beispiel abgibt und auf diesem Wege wäre wohl auch eine Wiederannäherung von Phaneroskopie (Peirce) und Phänomenologie (Husserl) unter dem Banner der Semiotik möglich. Achim Eschbach (Essen) Bernhard Pörksen/ Friedemann Schulz von Thun 2014: Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens, Heidelberg: Carl Auer, 217 pp. Die beiden Autoren haben in sehr eingängiger und überzeugender Weise beleuchtet, was Friedemann Schulz von Thun im Laufe der Jahre als Berater entwickelt hat: ein sehr beeindruckendes Werk, das jeder Kommunikationswissenschaftler aufmerksam studieren sollte. In drei Abschnitten werden erstens die theoretischen Grundpfeiler des kommunikationspsychologischen Ansatzes, den Schulz von Thun in zahlreichen Aufsätzen, Erfolgsbüchern, Vorträgen usw. entwickelt und ausgebaut hat, vorgestellt, so daß sich dieser erste Teil des Buches wie eine komprimierte Einführung in die Kommunikationspsychologie lesen läßt. Der zweite Abschnitt liefert Anwendungsbeispiele aus der Unternehmenskommunikation, der schulischen Praxis und der interkulturellen Kommunikation. Der kurze abschließende Abschnitt versucht, eine Art von Resümee zu ziehen, bei dem klar werden soll, was die Kommunikationspsychologie für eine ars vivendi bringen soll. Friedemann Schulz von Thun hat sich verschiedentlich - und so auch in dem vorliegenden Buch - darüber beklagt, daß im Unterschied zu seinen außerordentlich erfolgreichen Publikationen und Lehrveranstaltungen die sog. Fachöffentlichkeit kaum Notiz von ihm genommen habe, ein Schicksal, das er nebenbei bemerkt in verblüffendem Maße mit Georg Simmel teilt. Wenn also nicht mangelnde Verständlichkeit Ursache der kollegialen Skepsis und Zurückhaltung ist, müßte es doch spannend sein, den Gründen für die Ablehnung nachzuforschen. Beginnend in Bernhard Pörksens Vorwort und dann durchgängig durch das gesamte Buch wird der Schulz von Thunsche Ansatz mal als Kommunikationspsychologie, mal als Kommunikationsphilosophie, mal als Kommunikationslehre bezeichnet, ohne daß auch nur der Versuch einer Begriffsklärung unternommen würde. Für einen wissenschaftlichen Text wäre es einigermaßen erstaunlich, wenn die drei Ausdrücke synonym gebraucht werden dürften, wie man hoffentlich ausschließen darf, daß aus stilistischen Gründen - variatio delectat - mal so oder eben anders formuliert wird. In diesem Zusammenhang wäre im übrigen danach zu fragen, weshalb eigentlich nicht von Kommunikationstheorie oder Kommunikationswissenschaft die Rede ist, die sich seit geraumer Zeit breiter internationaler akademischer Anerkennung erfreuen. Man darf darüber spekulieren, ob „ das klassische, archaische Kommunikationsmodell “ (p. 23) Auslöser des oben angeführten Begriffssalats war, der leider bis heute in vielen Köpfen und Lehrbüchern herumspukt und nur Unheil angerichtet hat; zur Klärung verweise ich auf Jens Loenhoff (), der sich kritisch mit Shannon/ Weaver und den sich daran 182 Reviews anschließenden Verwechslungen auseinandergesetzt hat. Darüberhinaus wäre es angebracht, bei der Kritik der Transportmetapher der Kommunikation Bezug auf Gerold Ungeheuer, den ehemaligen Direktor des Bonner Instituts für Phonetik und Kommunikationsforschung zu nehmen, der dieses Bild in die kommunikationswissenschaftliche Diskussion eingeführt hat. Auf p. 20 lesen wird, daß es „ zumindest im deutschsprachigen Raum kein Modell der Kommunikation [gäbe] , das derart eingeschlagen hätte “ wie das Kommunikationsquadrat; man könnte sich bloß wünschen, Schulz von Thun hätte sich damals ein bißchen mehr Zeit genommen, weil ihm dann aufgefallen wäre, daß er es mit Bühlers Sprachtheorie und eigentlich bereits mit verschiedenen älteren Schriften (cf. Bühler, 2012 und 2015) mit den bis heute gültigen Fundamenten einer genuinen Kommunikationstheorie zu tun hatte. Um es noch einmal unmißverständlich auszudrücken: Lange bevor die Kommunikationstheorie in die babylonische Gefangenschaft von Shannon und Weaver fiel, hat Bühler in seiner Arbeit über den Satz (1918) betont: „ Dreifach ist die Leistung der menschlichen Sprache, Kundgabe, Auslösung und Darstellung. Heute bevorzuge ich die Termini: Ausdruck, Appell und Darstellung “ (Bühler, 1934: 28). Seit 1918 bzw. 1934 sind alle möglichen Versuche unternommen worden, Bühlers Funktionsmodell zu erweitern und zu verbessern; zu den Erweiterungsversuchen zählen u. a. diejenigen von Jürgen Habermas, Karl Popper, Jan Muka ř ovský, Roman Jakobson und eben Friedemann Schulz von Thun (cf. Fónagy, 1984). All diesen Explikationsbemühungen ist gemeinsam, daß ihnen Bühlers Pointe bedauerlicher Weise entgeht: Kommunikation als soziale Verständigungshandlung findet zwischen dem Einen und dem Anderen über die Dinge statt. Bei dem Organon, das dabei genutzt wird, handelt es sich um keine vierte, fünfte oder sechste Funktion, sondern um Sprechakte, von denen es bekanntlich eine ganze Menge gibt. Es wäre langsam an der Zeit, diesen schwerwiegenden Irrtum zu korrigieren. In dem ersten Hauptkapitel des vorliegenden Buches beschreibt Friedemann Schulz von Thun seinen Weg zur Formulierung des Kommunikationsquadrats, wobei er expressis verbis auf die von Paul Watzlawick getroffene „ Unterscheidung von Inhalts- und Beziehungsaspekt in der Kommunikation “ (p. 29) verweist; Schulz von Thun schreibt dann wörtlich: „ Aber es fehlt bei Bühler genau das, was mein Lehrer Reinhard Tausch bei den Pädagogen thematisiert und skandalisiert hatte: dass sie in dem Ton, den sie gegenüber Kindern und Jugendlichen anschlugen, Wertschätzung und Respekt vermissen ließen “ (ibid.). Ich habe weiter oben bereits beklagt, daß Friedemann Schulz von Thun Bühlers Sprachtheorie nicht besonders aufmerksam studiert haben kann, weil ihm ansonsten unmöglich die folgende Passage hätte entgehen können, die ihn vor einem so gravierenden Fehlurteil bewahrt hätte: „ Das deutsche Wort ‚ es regnet ‘ trifft aus jeder konkreten Situation gesprochen das uns allen bekannte meteorologische Ereignis; trifft es kraft seiner phonematischen Prägung, die musikalische Modulation ist irrelevant. Darum kann der Sprecher im Musikalischen seiner Seele die Zügel schießen lassen, kann den Ärger oder die Freude, wenn es sein muß, Jubel oder Verzweiflung erklingen lassen, ohne den reinen Darstellungssinn des Wortes im mindesten zu tangieren. Und wenn die umsichtige Gattin zum aus dem Haus gehenden Professor sagt ‚ es regnet ‘ , dann mag sie jene aufrüttelnde Appell-Melodie hineinlegen, welche das Benehmen des Zerstreuten erfolgreich derart steuert, daß er das sonst Reviews 183 vergessene Schutzdach gegen den Regen mitnimmt. C ’ est le ton qui fait la musique; dies gilt in den indogermanischen Sprachen weitgehend (aber nicht restlos) in dem Sinne, daß der Ton dem Ausdruck und Appell frei steht und irrelevant ist für die Darstellung. Ist ferner die Wortstellung so frei wie im Lateinischen, dann wird sie Cicero kunstvoll rhetorisch verwerten usw. “ (Bühler, 1934: 46). Ob man dann allerdings den Anspruch weiterhin verfechten sollte, mit dem Kommunikationsquadrat irgendeine Neuerung, ja, die absolut entscheidende Werkidee (cf. P. 27), erscheint mir mehr als zweifelhaft. In dem vorliegenden Buch ist wiederholt die Rede von der humanistischen Psychologie und deren Einfluß auf die Entwicklung von Friedemann Schulz von Thun; in diesem Zusammenhang werden einige führende Persönlichkeiten dieser „ Dritten Kraft “ der Psychologie (e. g. Abraham Maslow, Carl Rogers etc.) genannt; ich halte es für einigermaßen befremdlich, daß Charlotte Bühler nicht erwähnt wird, obwohl sie gemeinsam mit Melanie Allen eine Einführung in die humanistische Psychologie (Bühler/ Allen, 1987) verfaßt hat. Man könnte fast auf die Idee kommen, daß es sich hierbei um ein systematisch verfolgtes Prinzip handelt (vgl. weiter oben das Beispiel Gerold Ungeheuers); ein ähnliches Schicksal widerfährt dem „ dialogischen Prinzip “ (p. 8), ist denn einem jeden zumal jüngeren Leser bewußt, daß es sich hierbei um den Titel von Martin Bubers Hauptwerk handelt? Zur Nachahmung möchte ich dieses Prinzip keinesfalls empfehlen. Literatur Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena: Fischer 1934. Bühler, Karl: Schriften zur Sprachtheorie. Hrsg. von Achim Eschbach. Tübingen: Mohr Siebeck 2012. Bühler, Karl: Sprache und Denken. Hrsg. von Achim Eschbach. Köln: von Halem 2015. Bühler, Charlotte und Allen, Melanie: Einführung in die humanistische Psychologie. Berlin: Ullstein 1987. Buber, Martin: Das dialogische Prinzip. Heidelberg: Schneider 1973. Fónagy, Iván: Sprachfunktionen und Sprachentwicklung. Variationen über Karl Bühlers Funktionsmodell. In: Eschbach, Achim (Hrsg.): Bühler-Studien. Band 1. Frankfurt: Suhrkamp 1984. 224 - 260. Loenhoff, Jens: „‘ Nur dem, der das Glück verachtet, wird Erkenntnis ‘ . The Mathematical Theory of Communication von Claude E. Shannon und Warren Weaver (1949). In: r: k: m Ungeheuer, Gerold: Kommunikationstheoretische Schriften I: Sprechen, Mitteilen, Verstehen. Aachen: Alano 1987. Achim Eschbach (Essen) Ulrich Raulff 2015: Das letzte Jahrhundert der Pferde, München: Beck, 461 pp., geb. 29,95 € , ISBN 978 - 3-406 - 68244 - 5 1. Die Rolle von Tieren in der menschlichen Geschichte Die Geschichte des Menschen lässt sich nur verstehen, wenn man seine Interaktionen mit der natürlichen Umwelt einbezieht. Diese reichen von der Anpassung an klimatische Verhältnissen über die Nutzung von Bodenschätzen bis zum Kampf gegen Parasiten und 184 Reviews