eJournals Kodikas/Code 37/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2014
373-4

Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess

2014
Karin Peters
Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess Barthes und die sinnliche Transmigration der Zeichen bei Arcimboldo Karin Peters (Mainz) Roland Barthes has been known for his love-hate-relationship with French classicism and its use of rhetoric. In contrast, his interest in baroque aesthetics seems rather sporadic. However, this paper rediscovers his analysis of Arcimboldo’s 16th century teste composte as an implicit theory of baroque semiotics, the sensual communication between literal rhetoric and pictorial ‘language’, and of the politics of baroque bodies. 1 Einleitung Zeitgleich zu dieser Sonderausgabe über Roland Barthes bereitet die Zeitschrift L’Esprit créateur eine Nummer vor, die 2015 unter dem Titel What’s so great about Roland Barthes? (Qu’importe Roland Barthes ? ) erscheinen soll. Rechtzeitig vor bzw. zum hundertjährigen Jubiläum seiner Geburt mehren sich die Publikationen über den Semiologen und Kulturkritiker wieder, werden unveröffentlicht gebliebene Schriften international zugänglich gemacht und neue Publikationsorgane wie etwa die französische Internetzeitschrift Revue Roland Barthes ins Leben gerufen. Barthes erlebt seit einigen Jahren nachgerade eine Renaissance, die wohl zu Recht dazu veranlasst, sich die Frage zu stellen, was seine Texte uns heute noch zu sagen haben. Eine mögliche Antwort darauf könnte es sein, Barthes’ Denken als eine ‘Semiologie des Körpers’ aus neuer Perspektive zu betrachten, und zwar in mehrfacher Hinsicht: als Semiologie, die Ästhetik ohne ihr körperliches Erleben nicht zu ‘denken’ vermag; als Zeichenlehre über das körperliche Zeichenlesen oder Zeichenspüren; und als Semiologie von figurierten Körpern, die bedeuten oder Bedeutung verweigern, in Frage stellen, aufschieben. Gewinn dieser Fragestellung des ‘Rolandiste’ (cf. Coste 2012: 78ff.) ist es unter Umständen, die heutzutage vielfältig gewordenen kulturwissenschaftlichen Lektüren von Körpern und ihren Figurationen um eine dezidiert zeichenorientierte Blickrichtung zu erweitern und insofern zu vermeiden, die eigene Lektüre ‘blind’ für die Affektqualität von Schrift- und Bild-Zeichen zu machen, die (Un-)Lust der Zeichen. Gerade in diesem Zusammenhang habe ich mich immer wieder gefragt, warum sich Barthes nicht mehr mit dem Barock beschäftigt hat, hat diese Epoche doch an plaisir Einiges zu bieten. Das reglementierte und disziplinierte französische Zeitalter der Klassik und insbesondere das klassische Theater schienen im Denken Barthes’ eine Vorrangstellung einzunehmen, wenn er sich auch durchaus immer wieder ambivalent zu ihnen positionierte (cf. zuletzt Coste 2000 und Forment 2014). Der späte Barthes wiederum, der sich von den K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 37 (2014) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Karin Peters 336 1 “Die Kombinationen des Sichtbaren und des Lesbaren konstituieren die dem Barock teuren ‘Embleme’ oder Allegorien.” (Deleuze 2000: 56) Evidenzeffekten des flüchtigen Sinns und einer Semiologie des Körpers in den Bann schlagen ließ, hat sich eher mit Fotografie, Film oder moderner Kunst auseinandergesetzt. Insofern ist es verwunderlich, dass er im Rahmen eines Ausstellungskataloges zwei Jahre vor seinem Tod dem Mailänder Manieristen Giuseppe Arcimboldo (um 1526-1593) einen kleinen Text widmet. In “Arcimboldo ou Rhétoriqueur et magicien” (1978) wird schnell klar, dass es das rhetorisch inszenierte, jedoch ‘intelligible’ System der barocken Kunst ist, das Barthes Unbehagen bereitet. Die allegorischen teste composte Arcimboldos wurden nicht ohne Grund von Zeitgenossen als caprici, als gelehrte Rätsel und höfisches Amusement bezeichnet: In ihnen wird, so scheint es, einer Kultur des gelehrten Geistes gefrönt, keiner erotischen Materialität der Oberfläche. An einer Stelle hebt Barthes explizit hervor, dass diese Bilder nicht dem künstlerischen Gesetz des alla prima gehorchen (welches ihn u.a. an den Bildern Cy Twomblys so faszinierte), sondern einem strengen Gesetz der Komposition, dem Gegenteil glücklicher ‘Flüchtigkeit’. Barthes’ Essay ‘rettet’ sich deshalb in eine Lektüre der sinnlichen Transmigration von Zeichen bei Arcimboldo, denn was Barthes an Rhetorik fasziniert, ist nicht ihr Katalog von ‘Phrasen’ und Mitteln der Überzeugung, sondern ihre Wirkung als die “dimension amoureuse de l’écriture” (Chassain 2014), sprich: als ein (durchaus widerspenstiges) Mittel, um Affekte ausdrücken. Andernorts hatte Barthes diese Fähigkeit und Energie der barocken Rhetorik bereits durchaus positiv aufgefasst: in einer Rezension zu der Übersetzung von De donde son los cantantes (Écrit en dansant, 1967) des Kubaners Severo Sarduy, welcher ihm in Paris durch die Gruppe Tel Quel und über den Verlag Seuil gut bekannt gewesen sein dürfte. Denn in “La face baroque” (1967) beklagt Barthes, dass französische Kultur im Namen von Stil und Transparenz jedes (barocke) Signifikantenspiel unterdrückt habe, das Barocke jedoch als “l’ubiquité du signifiant” (Barthes 1984 b: 266) gegenüber der moralischen ‘Nützlichkeit’ des Signifikats zu bevorzugen sei. Während das durch transparenten Stil propagierte Signifikat die Energie und Lust der écriture verschatte und diese zu einer “marchandise utile à l’économie de l’‘humain’” (ebd.: 267) mache, entlasse der Barock die Signifikanten aus ihrer Pflicht zu kommunizieren. Auf dessen Seite schlägt sich dann auch Barthes, wenn er in seinem eigenen Schreiben konsequent den “obtusen Sinn” (cf. Haverkamp 2012: 94) dem transparenten Zeichen vorzieht. Ich will im Folgenden zeigen, inwiefern Barthes sich also dennoch für die Lektüre barocker Ästhetik, der Sinn und Sinnlichkeit des barocken Bildes, eignet. Denn versteht man mit Gilles Deleuze Barock als eine Faltung des Materiell-Sinnlichen, Ästhetischen und Lesbaren 1 und spürt man dieser Einfaltung des Materiellen im Zeichen bei Barthes’ Analyse nach, lässt sich schließlich auch eine Hypothese zum Gebrauch von (Körper-)Zeichen im Barock aufstellen, die semiologisch argumentiert. In einem letzten Schritt möchte ich dazu eine Erweiterung der Thesen Barthes’ vorschlagen, um die politische Dimension des barocken Körperexzesses noch über Barthes hinaus zu konturieren. 2 ‘Dérèglement’ der Bild-Sprache bei Arcimboldo Barthes zufolge sind in der westlichen Kunst Bild und Text nur außerhalb des Klassizismus eine produktive Wechselwirkung eingegangen: “la lettre et l’image n’ont communiqué entre Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess 337 2 “Buchstabe und Bild haben miteinander nur innerhalb der ein wenig verrückten Ränder der Kreation kommuniziert, außerhalb des Klassizismus.” (Übers. v. mir, KP) 3 “Man könnte sagen, dass Arcimboldo als barocker Poet die Kuriositäten der Sprache erforscht, mit Synonymie und Homonymie spielt. Seine Malerei hat einen sprachlichen Grund, seine Imagination ist wahrhaft poetisch: sie erschafft keine Zeichen, sie kombiniert sie, tauscht sie aus, entblößt sie - genau was ein Spracharbeiter/ handwerker tut.” (Übers. v. mir, KP) 4 “Man kann den Diskurs des Bildes sehr wohl in Formen zerlegen (Linien und Punkte), aber diese Formen bedeuten nichts, bevor sie nicht zusammengesetzt wurden; die Malerei kennt nur eine Artikulation.” (Übers. v. mir, KP) elles que dans les marges un peu folles de la création, hors du classicisme” 2 (Barthes 2002 d: 497). Die teste composte Arcimboldos gelten ihm in dieser Hinsicht nicht nur als manieristischer Reflex auf die humanistisch-klassische Porträtmalerei, sondern als mediale “friction” (ebd.: 498). Die Bild-Sprache Arcimboldos sei als emblematische Schrift lesbar (“écriture emblématique” [ebd.]), in der Bildlichkeit und Schriftlichkeit gegenseitig in Bann geschlagen scheinen (“écriture et peinture sont fascinées, happées l’une par l’autre” [ebd.]). Um dies zu erläutern, greift Barthes zunächst auf Linguistik und Rhetorik zurück. On dirait que, tel un poète baroque, Arcimboldo explore les ‘curiosités’ de la langue, joue de la synonymie et de l’homonymie. Sa peinture a un fond langagier, son imagination est proprement poétique: elle ne crée pas les signes, elle les combine, les permute, les dévoile - ce que fait exactement l’ouvrier de la langue. 3 (Ebd.: 493ff.) Arcimboldo nimmt in den Rosenwangen die Bilder der Sprache ‘buchstäblich’ und bringt eine verrückt gewordene Analogie auf die Leinwand, “l’analogie devient folle” (ebd.: 495): Der Vergleich verwandelt sich in Metapher, die Wangen, die wie Rosen erscheinen, sind in der Tat Rosen geworden (cf. den Frühling aus dem Vier-Jahreszeiten-Zyklus, erstmals ca. 1555-60). Diese Dynamik zwischen verschiedenen Tropen nennt Barthes eine zentrifugale Bewegung, in der sich die Metapher über sich selbst stülpt und unendliche Sinnspritzer versprüht: “la métaphore tourne sur elle-même, mais selon un mouvement centrifuge : il y a des éclaboussures de sens à l’infini” (Barthes 2002 d: 495). Die Leinwand gehorcht demzufolge nicht nur dem rhetorischen System einer Bild-Sprache, die sich am Lexikon gebräuchlicher Tropen oder habitualisierter Metaphern bedient, sondern die Leinwand wird “laboratoire de tropes” (ebd.: 498) oder: Sinnküche. Barthes sieht darin eine Ähnlichkeit zur wunderbaren Welt des Märchens, weil die Sprache sich hier wie dort in konkrete Materie verwandelt: der Maler tritt als Zauberer auf, der eine magische Sprache ‘spricht’ bzw. zeichnet (cf. ebd.: 496f.). Arcimboldo ist in seinen Augen also: “Rhétoriqueur et magicien”. Wie deutet nun Barthes diese Bild-Sprache genauer? Hier läuft alles auf den Begriff des dérèglement hinaus: Barthes unterscheidet Sprache und Malerei, indem er Folgendes behauptet: Die Sprache als Sinnsystem kann auf einer ersten Ebene in kleinere Einheiten zerlegt werden: zuerst in Worte, die Teilelemente des Discours und sinntragende Einheiten bilden. Danach ist es wiederum möglich, diese zu teilen, wodurch man Phoneme oder Buchstaben als “unités insignifiantes” (ebd.: 497) erhalte. Sprache artikuliert also zweimal Sinn: auf der Ebene der Worte und auf Ebene des Discours. Die Malerei dagegen kenne nur eine “articulation”: “il est bien possible de décomposer le ‘discours’ du tableau en formes (lignes et points), mais ces formes ne signifient rien avant d’être assemblées ; la peinture ne connaît qu’une articulation” 4 (ebd.). Arcimboldo nun entregelt das System der Malerei und erzeuge, so Barthes, als echter Rhetoriker zwei Artikulationen, die sich aus drei Zeichenebenen zusammensetzen: Zum einen aus gemalten Zeichen (unités insignifiantes), zum zweiten aus Karin Peters 338 5 “Diesen eigentlich allegorischen Sinn kann ich nur wahrnehmen, indem ich mich auf die Bedeutung der ersten Einheiten beziehe: es sind die Früchte, die den Sommer machen.” (Übers. v. mir, KP) Abb. 1: Giuseppe Arcimboldo: Der Sommer, im Internet unter http: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ 9/ 9a/ Giusep pe_Arcimboldo_-_Summer%2C_1573.jpg [19.09.2014] Denotationen mit einer entsprechenden Lexik (der ersten bedeutungstragenden Einheit) - Barthes nennt sie das Ergebnis der “Wahrnehmungsarbeit”; und schließlich zum dritten aus allegorischen Konnotationen einer culture métonymique (vergleichbar dem Konnotations- und Code-System, das er bereits 1970 in S/ Z entwickelt hatte). Als Rhetoriker faltet Arcimboldo in seiner Bild-Sprache Sinn und Sinn ‘übereinander’. Betrachtet man etwa die Darstellung des Sommers genauer, so könnte man den Deutungsprozess folglich in drei Einzelschritte untergliedern: Erstens sehe ich ein gemaltes Zeichen (gemäß des bekannten Spiels “ich sehe was, was Du nicht siehst”): es ist länglich, hat eine grüne Farbe mit helleren Einschlüssen, ist schräg platziert und leicht gewölbt. Es folgt zweitens: Ich sehe eine Gurke (das ist die ‘Arbeit’ meiner Wahrnehmung), dieses Gemüse bildet folglich eine sinnvolle Einheit. Drittens schließlich sehe ich, dass die Gurke im Bild Teil eines Ganzen geworden ist, das ein Paradigma von Feldfrüchten bildet, sprich: durch die Kombination von Objekten wird neuer Sinn gestiftet, die Konnotation ‘Sommer’ erzeugt - Ausdruck einer metonymischen Kultur. So funktioniert laut Barthes die Lektürerichtung der Bilder Arcimboldos. Jedoch formuliert Barthes, nachdem er diese mythologische Bild-Sprache analysiert hat, wie ihn ein Unbehagen beschleicht, das der glücklichen intellektuellen Operation der Lektüre zuwiderläuft. Denn der Sinn dieses Bildes “se dédouble” (Barthes 2002 d: 507), verdoppelt sich, als sähe man zwei Bilder gleichzeitig: man ‘liest’ einerseits einen ‘menschlichen Kopf’, indem man erfolgreich das Wahrgenommene auf die Kontur einer globalen Form reduziert; liest und versteht aber andererseits auch zugleich den allegorischen Sinn ‘Der Sommer’. Eine Besonderheit dieser Verdoppelung liegt darin, dass man durch die Allegorie hindurch auch noch auf die Tiefe der Denotation sehen können muss, will man nicht den Sinn des Paradigmas und damit den Sinn der Allegorie aus dem Auge verlieren: “ce sens proprement allégorique, je ne puis le concevoir qu’en me référant au sens des premières unités : ce sont les fruits qui font l’Eté” 5 (ebd.: 507). Beide Artikulationen der Bild-Sprache sind hier also ästhetisch kopräsent, müssen gemeinsam ‘gelesen’ werden und erzeugen einen fast körperlichen Schwindel. Es ist aber nicht minder bemerkenswert, dass Barthes nur in Rückgriff auf den Augensinn das rhetorische System Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess 339 6 “Jenseits der Wahrnehmung und der Bedeutung (die selbst lexikalisch oder kulturell ist) entwickelt sich eine ganze Welt des Wertes: vor einem Kompositkopf Arcimboldos komme ich nicht nur dazu zu sagen: ich lese, ich errate, ich verstehe, sondern auch: ich liebe, ich liebe nicht. Das Unwohlsein, das Entsetzen, das Lachen, das Begehren halten Einzug in die Feier.” (Übers. v. mir, KP) einer doppelten Bedeutung oder mythologischen Konnotation so recht ‘ins Bild rücken’ kann. 3 “Les marges un peu folles de la création”: Dargestellte Körper als “monstres structurales” Zur Erinnerung: Barthes hatte die Kombination aus Wort und Schrift die “marges un peu folles de la création” genannt. Was ist an diesen dargestellten Körpern folglich “fou” und was ist monströs? Barthes’ erster Schritt bestand darin, eine semiologische Beschreibung dieser Bild- Sprache zu leisten; darin stößt er jedoch an eine Grenze, die auch er nur mit Bezug auf die Wahrnehmung und deren affektiven Übersprung im Betrachter überwinden kann. Er geht also auf die Verbindung von Sinn und Sinnlichkeit in der Wahrnehmung über und erläutert: Au-delà de la perception et de la signification (elle-même lexicale ou culturelle), se développe tout un monde de la valeur : devant une tête composée d’Arcimboldo, j’en viens à dire, non seulement : je lis, je devine, je trouve, je comprends, mais aussi : j’aime, je n’aime pas. Le malaise, l’effroi, le rire, le désir entrent dans la fête. 6 (Barthes 2002 d: 508; Hervorh. im Original) Hier ist mit der Entscheidung darüber, ob man etwas liebe oder nicht, der plaisir aber auch das Unbehagen in die Lektüre eingelassen. Man könne demzufolge eine testa composta von Arcimboldo nicht rein intellektuell lesen, und schlussfolgern: ‘ich verstehe das, ich habe das Rätsel gelöst, ich lese: Sommer’. Man wird auch zur Wertung angehalten: welche sinnlichen Effekte löst die Wahrnehmung der Zeichen beim Betrachter aus usw.; das gehört unweigerlich mit zur Sprache dieser Bilder. Dennoch ist Zurückhaltung geboten: Binäre Terminologien und binäre Dialektiken wie das ‘j’aime / je n’aime pas’ muss man in Barthes’ Sinnküche immer mit Vorsicht genießen. Es ist zumeist die Gegenüberstellung selbst oder der dritte Sinn, die ihn interessieren. So verhält es sich auch hier: Es ist eben genau das Wesen der doppelten Artikulation und die Herausforderung des ‘Doppel-Sehens’, die Barthes zufolge den Betrachter in das dérèglement der Zeichen stürzen: einerseits ist zwar das rhetorische Paradigma, aus denen ein solches Bild gebaut ist, konventionell und kulturell durchaus ‘geregelt’. Andererseits zerstört die Durchlässigkeit der Konnotation zur Ebene der Denotationen die Darstellungskonventionen des menschlichen Körpers, der ja auch immer mitgesehen sein will. Denn eine Gurke mag im Bildlexikon Arcimboldos eine Nase sein, aber eine Nase ist keine Gurke. Wenn sie es doch ist, kann der Betrachter der Arcimboldesken Bilder nicht umhin, sich innerlich erschrocken ins Gesicht zu fassen. So sprengt Arcimboldo die kulturell gezogene Grenze zwischen dem Menschlichen und dem Unbelebten und erzeugt eine affektive Reaktion; Barthes nennt sie eine malaise der hypertrophen Bedeutungsvirtualität. Barthes spricht also insofern von der langue der Malerei, als er ihr eine doppelte Artikulation zuspricht und die Fähigkeit, dereglementierend eine Hypertrophie des (möglichen) Bedeutens hervorzurufen: Die Bilder Arcimboldos erzeugen auf der Leinwand ein “monstre Karin Peters 340 7 “Arcimboldo macht aus der Malerei eine veritable Sprache, er gibt ihr eine doppelte Artikulation […]. Alles geschieht, als ob Arcimboldo das pikturale System dereglementiere, es missbrauchend verdoppele, in ihm eine analoge Bedeutungsvirtualität hypertrophiere, und so eine Art strukturales Monster erzeugt, Quelle einer subtilen Malaise (weil eine intellektuelle), noch durchdringender, als wenn der Schrecken von einer einfachen Übertreibung herrührte oder einer einfachen Vermischung von Elementen: Weil alles auf zwei Ebenen bedeutet, funktioniert die Malerei von Arcimboldo wie eine etwas erschreckende Verweigerung der Bildsprache.” (Übersetzung v. mir, KP) structural” und im Betrachter eine “malaise intellectuel”, weil alles bedeutet, ja doppelt bedeutet, “à deux niveaux”: Arcimboldo fait de la peinture une véritable langue, il lui donne une double articulation […]. Tout se passe comme si Arcimboldo déréglait le système pictural, le dédoublait abusivement, hypertrophiait en lui la virtualité signifiante, analogique, produisant ainsi une sorte de monstre structural, source d’un malaise subtil (parce que intellectuel), encore plus pénétrant que si l’horreur venait d’une simple exagération ou d’un simple mélange des éléments : c’est parce que tout signifie, à deux niveaux, que la peinture d’Arcimboldo fonctionne comme un déni quelque peu terrifiant de la langue picturale. 7 (Barthes 2002 d: 497; Hervorh. im Original) Malaise erzeugt unter Anderem, dass der Mund des Winters nicht nur Pilz ist, sondern wie ein Krebsgeschwür aussieht, Sterblichkeit in den teste composte als Kompost-Memento mori und als exuberant exzessive Leiblichkeit vorgeführt wird. Das Unbehagen des eigenen Körpers an der Darstellung eines schier unwirklich wirklichen - toten - Körpers entzündet sich aber auch daran, dass diese körperliche Form komponiert und zusammengesetzt wurde, der Darstellung die glückliche Einheit des Entwurfs alla prima also abgeht: “C’est donc le procédé même de la ‘composition’ qui vient troubler, désagréger, détraquer le surgissement unitaire de la forme” (ebd.: 509). Mit der sorgfältigen Komposition exzessiver Leiblichkeit steht Arcimboldo nicht alleine. Er greift bekanntermaßen auf eine Formensprache des grotesken Körpers zurück, die dem Barock durchaus geläufig war. Schon in den 1550er-Jahren waren in Mailand groteske Literatur und Malerei groß in Mode. Sie stellen den in der Renaissance noch mehrheitlich gefeierten, geschlossenen Körpern einen karnevalesk offenen und sterblichen Körper gegenüber (cf. zur Unterscheidung Bachtin 1969). Ihren Ursprung haben dessen bildliche Darstellungen in volkstümlichen Jahreszeitenfesten, die Genealogie der inventio Arcimboldos ist hier also recht gut verbürgt. Literarisch lehnen sich die teste composte an die aus der Antike überlieferte Tradition der vituperatio an, an die Form des parodistischen Porträts (cf. Porzio 2011: 235). Es gibt diese auch in der Malerei, so etwa in karikierenden Darstellungen wie jener des erotischen Autors Pietro Aretino als Phallus-Gesicht. Das groteske Porträt, und insbesondere solcher Art, wie sie uns bei Arcimboldo begegnet, gilt schließlich als das, was die Grenzen einer taxonomischen Ordnung überschreitet (der “séparation des règnes” [Barthes 2002 d: 510], des “savoir” und “ordre classificateur” [ebd.: 511]). Die titelgebende transmigration ist semiologisch verstanden eine monströse Signifikation, die keine Grenzen kennt (“la Nature ne s’arrête pas” [ebd.: 510; Hervorh. im Original]). Arcimboldo arbeitet also gegen die habitualisierten Klassifikationen des Wissens seiner Zeit, wenn er belebte und unbelebte, tierische und menschliche, hässliche und schöne Materie magisch austauscht (“ce qui subvertit les classifications aux-quelles nous sommes habitués” [ebd.: 511]). Es ist gerade die ‘virtualité signifiante’ und ‘monstruosité structurale’ einer enthemmten Analogie, die jene von Barthes beschworene ‘malaise intellectuel’ hervorruft: Alles beginnt Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess 341 8 Cf. Christine Buci-Glucksmann zur “Dialektik des Sehens und des Blicks” (zitiert nach Deleuze 2000: 59) als optische Falte (ebd.: 60). Abb. 2: Giuseppe Arcimboldo: Das Wasser, im Internet unter http: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ 7/ 77/ Arcim boldowater.jpg [19.09.2014] zu bedeuten - auch außerhalb eines ihm möglicherweise zugeordneten taxonomischen Ortes - und verweigert den beruhigenden Komfort einer reinen Denotationssprache. Besonders erschreckend wird dies in der Allegorie des Wassers. Wenn man sich die konventionelle Bildsprache eines rinascimentalen Frauen-Porträts vors innere Auge ruft, - immerhin künden davon noch die Perlen um den Hals und an der Ohr-‘Muschel’ - löst diese Darstellung Unbehagen aus: Selbst der geliebte Mund der Geliebten verwandelt sich darin in den bedrohlich wirkenden Schlund eines nassen Fisches. Hier wird nicht nur die Bildkultur des Porträts sondern auch der literarische Schönheitskatalog der Petrarkisten parodiert und der weibliche Körper verwandelt sich in natura morta. Wir haben es in der Tat mit einem ‘Monster’ zu tun, bei dem die Zeichen des Belebten/ Unbelebten, Schönen/ Hässlichen, Wertvollen/ Alltäglichen hin- und herwandern. 4 L’œil (terrible): Die Ästhetik des Abstands Die ‘verrückt gewordene’ Analogie - von der Ohr-Muschel zur Muschel, oder auch: von der petrarkistischen Dame zum ‘Fischkopp’ - nennt Barthes ein “mouvement centrifuge”, der unendliche Sinnspritzer versprüht (Barthes 2002 d: 495). In dieser Zentrifuge des Sinns gerät das Bild im wahrsten Sinne in Bewegung, denn Barthes konstatiert, das Doppel-Sehen und die Monstrosität des Gesehenen seien zu guter Letzt mit einer bewegten Wahrnehmung, einem Schwindel in der Perzeption verbunden. Die Bilder Arcimboldos erzeugten demnach keine Identität von Objekten, die einer Simultaneität in der Wahrnehmung geschuldet sind, sondern eine Rotation des Bildes (cf. ebd.). Der Rotationspunkt, um den das sehende Auge in engerem oder weiterem Abstand kreist, ist das Detail. Barthes zeigt dies exemplarisch, und nachgerade poetologisch, an der Darstellung eines Auges, das nicht nur für das destabilisierte Sehen sondern auch für das monströse Gesehene steht. 8 Er nennt es: “L’œil (terrible)” (ebd.: 493). Motiviert wird die Darstellung dieses Auges über die Homonymie von prunelle, ein Karin Peters 342 9 “Mittels einer Distanzanstrengung, indem ich die Ebene der Wahrnehmung ändere, empfange ich eine andere Botschaft, ein Apparat der Übersichtigkeit/ Weitsichtigkeit der, nach Art eines Entschlüsselungsrasters, mir erlaubt, plötzlich den globalen, den ‘wahren’ Sinn wahrzunehmen.” (Übers. v. mir, KP) 10 “Wenn Sie das Bild von nahem betrachten, sehen Sie nichts außer Früchten und Gemüse; wenn Sie sich entfernen, sehen Sie nichts mehr außer einem Mann mit einem schrecklichen Auge, in geripptem Wams, mit struppigem Kragen/ borstiger Erdbeere (Der Sommer): die Entfernung, die Nähe sind Gründer/ Verursacher von Sinn.” (Übers. v. mir, KP) Abb. 3: Giuseppe Arcimboldo: Der Herbst (Detail), im Internet unter http: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ b/ bf/ Giuseppe_Arcimboldo_-_Autumn%2C_1573.jpg [19.09.2014] Wort, das im Französischen sowohl Schlehbeere als auch Pupille bedeutet. Besonders eindrücklich ist dies in der Darstellung des Herbstes. Das schreckliche Auge ist sowohl abstoßend (“répulsif[…]” [Barthes 2002 d: 508]) als auch anziehend, hält den Betrachter zunächst auf Abstand, um ihn mit der Rotation des Bildes in die Nähe einer anderweitigen Bedeutung zu holen. Kann man es fast anfassen, wird es grauenhaft. Es ist dies ein Phänomen jener Vektorizität, ohne die man bei Barthes das Zeichendeuten schlicht nicht denken kann. Bei Barthes’ Arcimboldo-Interpretation tritt sie in einer Form auf, die ich die Ästhetik des Abstands nennen möchte. An die Stelle einer blinden Taktilität des nahen Nach-Spürens treten hierbei allerdings bemerkenswerterweise Augensinn und Übersichtigkeit (hypermétropie) als “efforts de distance”, als Distanzeffekte: “c’est par un effort de distance, en changeant le niveau de perception, que je reçois un autre message, un appareil hypermétrope qui, à la façon d’une grille de décryptage, me permet de percevoir tout à coup le sens global, le sens ‘vrai’” 9 (ebd.: 499). Barthes entwickelt dabei ein Modell ästhetischer Wahrnehmung in Bewegung und plädiert dafür, weil die teste composte selbst ‘mobil’ seien: sie zwängen uns zur Annäherung oder Entfernung, so dass der Betrachter in einen “rapport vivant avec l’image” (ebd.: 506) gerate. Der Blick des Betrachters oder Lesers relativiert also den “espace du sens” (ebd.), und die Kunst Arcimboldos, so Barthes, lässt den Blick des ‘Lesers’ in die Struktur der Leinwand ein. Betrachtung und Affekt sind so quasi sinnstiftende parole im Sprachsystem der teste composte und ihrer vektoriellen Aisthesis, aus der Weite sieht man den Globalsinn, aber aus der Nähe das Detail: Si vous regardez l’image de près, vous ne voyez que des fruits et des légumes ; si vous vous éloignez, vous ne voyez plus qu’un homme à l’œil terrible, au pourpoint côtelé, à la fraise hérissé (L’Eté) : l’éloignement, la proximité sont fondateurs de sens. 10 (Ebd.: 505) Diese vektorielle Aisthesis ist von Entfernung und Distanz bestimmt, jener rotierenden Abstoßung, die von der schrecklichen Nähe - dem terrible in der Materialität - heimgesucht wird. Hier ist es wie so viele Male bei Barthes die gesetzte Klammer (“L’œil (terrible)” [ebd.: 493]), in der sich ein zweiter Sinn verbirgt: Das Auge ist und ist nicht terrible, man sieht den Schrecken, und man sieht ihn nicht, man sieht doppelt. Was Barthes für die Bildlektüre als Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess 343 Operation des Abstands beschreibt, realisiert er somit als visuellen Einschub auch im Schriftmedium. Barthes geht also im Zuge seines Essays, ähnlich wie dann in La chambre claire, in einer doppelten Artikulation ans Werk: Im ersten Durchlauf bedient er sich noch des Simulakrums eines semiologisch-strukturalistischen Vokabulars, um seinen Gegenstand zu beschreiben, nur um dann im zweiten Durchlauf der Sinnlichkeit des Sinns und den Prozessen der Semiose den Vorrang zu geben. In der Figur des “œil (terrible)” materialisiert er die so ‘gedeutete’ ästhetische Erfahrung als Schrift-Bild, als deutende Geste. 5 La porte étroite: Kunst, Politik und eine mögliche Semiologie des Barock Damit komme ich zu meinem letzten Punkt. Während bisher die Funktionsweise der Zentrifuge im Mittelpunkt stand, sei noch die Frage erlaubt, welcher Sinn hier vielleicht - und wie - verspritzt wird? Woher rührt die malaise intellectuel, die von den Arcimboldesken Kreationen ausgelöst wird? Barthes betont, dass der Affekt, der beim Betrachten von Bildern ausgelöst werde, einem sozialen Pathos gehorcht, also dem Innersten einer Kultur entstammt: “c’est à l’intérieur de notre propre culture qu’elles suscitent le sens affectif” (Barthes 2002 d: 508). Eine - aus der Sicht Barthes’ - ‘rhetorische’ Analyse fragt im Übrigen immer nach dem kulturell abgesteckten Weg der Konnotation, der zwischen den Zeichen beschritten wird. In “L’analyse rhétorique” (1967) wie auch andernorts spricht Barthes von rhetorischen Signifikanten deshalb als “connotateurs” (Barthes 2002 b: 1273). In literarischen Texten erzeugen diese ein System konnotativer Semiotik, sprich: eine “second message” durch “décrochage” oder “amplification” auf Ebene der Signifikanten oder der Signifikate (ebd.: 1272). Für Barthes handelt es sich dabei um ein kostspieliges Informationssystem (“système d’information coûteux” [ebd.: 1274; Hervorh. im Original]). Es steht immer im Verhältnis zur geschichtlichen Situation einer Gesellschaft, die ihren jeweils spezifischen rhetorischen Code produziert hat. Die klassische Rhetorik mit ihrer Vorliebe für formale Tropen zum Beispiel sei so als Ausdruck eines elitären gesellschaftlichen Systems zu deuten. Der Barock bildet wohl dessen formale - und zentrifugierende - Rückseite. Tatsächlich sind auch die teste composte in ihre Zeit eingebettet. Arcimboldo war Hofmaler beim Habsburger Maximilian II. in Wien und u.a. verantwortlich für die Gestaltung mythologischer Festumzüge in Prag. Seine Allegorien standen wie die Kostümentwürfe für höfische Lustbarkeiten im Dienste der Verherrlichung des Kaisers. Daher gehorchen die teste composte zunächst nicht einer rein karnevalesken Körperlichkeit, sondern dem Gesetz der concordia discors, also der Übereinstimmung des Mannigfaltigen. Das Harmonieprinzip des Ganzen sollte die allumfassende Macht des Kaisers zum Ausdruck bringen. So zumindest die Oberflächenlektüre aus der Distanz des Bild-Lesers, der sich nicht vom “œil (terrible)” einer zwischen Nähe und Distanz schwindelig gewordenen Betrachtung affizieren lässt. Wie Barthes betont, stellen die Kompositköpfe jedoch unweigerlich die Ordnung der Dinge regelrecht auf den Kopf, weil sie die Klassifikationslinien zwischen dem Lebendigem und Leblosen, dem Schönen und Hässlichen, dem Wertvollen und Alltäglichen rhetorisch durchlässig machen. Im Zentrum dieser Ordnung rotiert die Darstellung des menschlichen Körpers: Erst das 17. Jhd. wird Bewegungen des Körpers in ein explizit taxonomisches System einspannen (z.B. in den Tanznotationen am Hofe Ludwigs XIV.), aber bereits die höfische Kultur des 16. Jhds. kennt eine regelhafte Körperkultur. Dazu gehört schließlich auch die Inszenierung Karin Peters 344 11 Cf. etwa auch die vergoldete Rüstung des Grafen Francesco d’Adda aus dem Jahr 1606, auf der die inszenierte Jagd deutlich als Adels-Privileg zur Schau gestellt wird (cf. Leydi 2011: 257). der aristokratischen Körper, wie sie in den Spektakeln der mascherate zum Ausdruck kommt. Die Maskenumzüge und -feste sind eine Praxis sozialer Zurschaustellung. 11 Nachgespielte Kriegszenen, mythische Götterdarstellungen oder die Darstellung allegorischer Figuren wie der Kardinaltugenden und artes liberales feiern den humanistischen Geist der Stunde. Sie verwandeln darüber hinaus aristokratische Körper und ihre Objekt-Attribute in Gegenstände des Staunens und rücken sie innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung an eine privilegierte Stelle. Die überaus kostspieligen Kostüme und der auffällige Masken- und Haarschmuck, den Arcimboldo entwarf, hatten mithin den Zweck, “di stupire e primeggiare” (Leydi 2011: 270), zu verblüffen und hervorzustechen. Über eine kulturell kodifizierte Klassifikation von Objekten, die mit der Darstellung symbolischer Körper einherging, wurden diese zu genuin sozialen Körpern innerhalb einer streng hierarchischen Gesellschaft. Qualität und Quantität von Objekten bestimmten dort den sozialen Stand. Körper wurden demzufolge in einer sozialen ‘Taxonomie’ verortet über die Objekte, die ihnen anhaften - man denke nur an die besondere symbolische Rolle von rarefizierter Materie im Petrarkismus, die metaphorische Bedeutung von Gold und Perlen, deren ökonomischer Wert in Schönheit und poetisches Prestige übersetzt werden kann. Arcimboldo hingegen entnimmt in den Kompositköpfen den literarischen und bildlichen Vorbildern der bereits erwähnten vituperatio gerade Elemente des alltäglichen Gebrauchs, die zu diesen rarefizierten Objekten im Kontrast stehen. Besonders eindrücklich kommt dieser Schock des Unvereinbaren in der Abbildung des Wassers zum Tragen, wo die wertvolle Perle noch als Trope zitiert, aber durch Rekontextualisierung enthabitualisiert und unheimlich wird. Es sind also kollektives Wissen und soziales Pathos, die die Schichtung von Sinn im Kunstwerk konstituieren. Fredric Jameson hat zu dieser Verbindung des Ästhetischen mit dem kollektiven Wissen, oder wie er sagt: dem ‘politischen Unbewussten’, Folgendes festgehalten: We may suggest that from this perspective, ideology is not something which informs or invests symbolic production; rather the aesthetic act is itself ideological, and the production of aesthetic or narrative form is to be seen as an ideological act in its own right, with the function of inventing imaginary or formal ‘solutions’ to unresolvable social contradictions. (Jameson 2009: 64; Hervorh. im Original) Jameson betont, dass die kleinste bedeutungstragende Einheit eines Klassendiskurses, das Ideologem, sich auch in Formen der Kunst finden lasse. Allerdings scheint er mir dabei auf ähnliche Weise produktiv zu schielen wie Barthes, wenn dieser Arcimboldo interpretiert. Die imaginäre Lösung unlösbarer sozialer Widersprüche im Sinne der strategy of containment (cf. ebd.: 104), wie Jameson es nennt, bleibt nämlich ästhetischer Akt. So ist die ästhetische Form keinesfalls als bloßes Behältnis ideologischen Inhalts misszuverstehen. Den Begriff der strategy of containment erläutert Jameson anhand einer Passage in Lévi-Strauss’ Tristes tropiques. Dort schildert Lévi-Strauss die Gesichtbemalungen von Frauen der Caduveo- Indianer. Jameson denkt sie weiter als “symbolic enactment of the social within the formal and the aesthetic” (ebd.: 63), weil in den Zeichnungen die sozialen Macht-Asymmetrien zwischen Klassen, Kasten, Geschlechtern und Altersstufen in formale Symmetrien verwandelt werden. Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess 345 12 “Es scheint mir, dass im Allgemeinen einem Schriftsteller zwei Arten zur Verfügung stehen, in die Politik einzutreten […]. Erstens kann er dort durch die große Tür der Konzepte und Ideologien eintreten, indem er sein Werk einer profunden politischen Wahl unterwirft, zum Beispiel vom Typus des Marxismus oder, im Gegenteil, des liberalen Humanismus. Zweitens kann er dort durch eine viel schmalere Tür eintreten, die sich aber auf einen Weg hin öffnet, der viel weiter führt. Es handelt sich für ihn also darum, in der Art und Weise, wie die Menschen von der Politik sprechen, sie ausüben, dabei oft von ihr entfremdet werden, ein Ensemble von Bedeutungen zu erfassen, das zur Nahrung des Werkes wird.” (Übers. v. mir, KP) 13 Ähnlich argumentiert auch Jacques Rancière zum politischen bruit im Stil und der Sprache: “Un régime d’identification d’un art est un système de rapports entre des pratiques, des formes de visibilité de ces pratiques, et des modes d’intelligibilité. […] C’est à partir de là qu’il est possible de penser la politique de la littérature ‘comme telle’, son mode d’intervention dans le découpage des objets qui forme un monde commun, des sujets qui le peuplent et des pouvoirs qu’ils ont de le voir, de le nommer et d’agir sur lui.” (Rancière 2007: 15) Zur politischen Bedeutung des Bildes bei Roland Barthes cf. u.a. Farqzaid 2010. Ganz ähnlich äußert sich Barthes zur Rolle der Politik in der Kunst, wenn er in “Réponse à une question sur les artistes et la politique” (1965) schreibt: Il me semble que, en général, pour un écrivain, il y a deux manières d’entrer en politique […]. Premièrement, il peut y entrer par la grande porte des concepts et des idéologies en soumettant son œuvre à un choix politique profond, par exemple de type marxiste ou, au contraire, libéral, humaniste. Deuxièmement, il peut y entrer par une porte beaucoup plus étroite, mais qui ouvre sur un chemin conduisant plus loin. Il s’agit alors pour lui de saisir dans la façon dont les hommes parlent de la politique, en font, sont souvent aliénés par elle, un ensemble de significations qui devient l’aliment de l’œuvre. 12 (Barthes 2002 e: 1025) Zur Politik in der Form führt also ein schmaler Pfad, der nur über den Weg der Sprache selbst und nicht über den des Ausgesagten beschritten werden kann. 13 In der Auseinandersetzung mit den Kippphänomenen des Barock lohnt meines Erachtens der Rückgriff auf Barthes deshalb, weil man damit die Sinnlichkeit ästhetischer Erfahrung und deren politischen ‘Weg’ neu in den Blick nehmen kann. An die Stelle einer deutenden Festschreibung dessen, was denn nun der Sinn - oder: die Ideologie - dieser Bilder sei, tritt bei Barthes das Konzept einer Transmigration der Zeichen in zweierlei Hinsicht: Die Transmigration im Bedeuten unterstreicht, dass die Semiosis der Kunst, auch wenn sie mit kulturell oder politisch festgelegten Codes arbeitet, nicht einfach stehen bleibt. Und die Vektorizität der Wahrnehmung unterstreicht, wie man schließlich vor dem Bild Distanz von und Annäherung an die Ideologie gleichzeitig - doppelt - sehen bzw. erleben kann. Denn die Bilder Arcimboldos funktionieren in der Tat wie die Gesichtsmalerei der Caduveo-Indianer, sie sind die barocke Variante einer “politico-historical pensée sauvage” (Jameson 2009: 65): Wenn im Barock der schöne Körper die mythologische Materie bildet für Körperdarstellungen, die eine elitäre Klasse und insbesondere die imperiale Macht verherrlicht, so wird diese soziale Asymmetrie bildsprachlich bei Arcimboldo in Bewegung gebracht. Das Soziale, um im Bilde Barthes’ zu bleiben, ‘ernährt’ das Ästhetische. Daraus kann man folgern, dass die Ideologie, wenn sie in Form einer ästhetischen strategy of containment begegnet, nicht das sein muss, was Barthes den verdickten oder angebrannten Sinn genannt hat (cf. Dünne 2012: 118), sondern eher kippt, ja im Aggregatszustand des Flüssigen auftritt. Karin Peters 346 14 “Man muss diesen banalen Dingen ihren übersinnlichen, fantasmagorischen Charakter zurückgeben, um dort die chiffrierte Schrift des sozialen Funktionssystems erscheinen zu sehen […]. [Man muss] die Wahrheit der Oberfläche sagen, indem man in die Tiefen reist und indem man den unbewussten sozialen Text artikuliert, der sich dort dechiffriert.” (Übers. v. mir, KP) Abb. 4: Giuseppe Arcimboldo: König Herodes, im Internet unter http: / / images.zeno.org/ Kunstwerke/ I/ big/ 72l051a.jpg [19.09.2014] Wie in Arcimboldo’s “Herodes” wird die politische Macht mittels der Körper und an den Körpern, die Arcimboldo zu verherrlichen offiziell aufgerufen war, als eine Macht über Körper inkorporiert - und dennoch un-heimlich. Ein ästhetisches Ideologem, oder ‘das Politische’, wirkt in diesem Sinne als unheimliches Signifikat, das unter habitualisierten Formen, deren Wahrnehmung und Deutung, aufscheinen kann. Oder, wie Jacques Rancière dies im Jahr 2007 über das Politische der Literatur formuliert: “il faut rendre à ces choses banales leur aspect suprasensible, fantasmagorique, pour y voire apparaître l’écriture chiffrée du fonctionnement social […]. [Il faut] dire la vérité de la surface en voyageant dans les profondeurs et en énonçant le texte social insconscient qui s’y déchiffre” 14 (Rancière 2007: 31f.) So erscheint es wieder aus der Rotation zwischen Nähe und Distanz, diesmal aber als blinder Hinterkopf eines toten Kindes: “L’œil (terrible)”. Bibliographie Bachtin, Michail M. 1969: Literatur und Karneval: zur Romantheorie und Lachkultur, München: Hanser Barthes, Roland 1984 a: Le bruissement de la langue. Essais critiques IV, Paris: Seuil Barthes, Roland 1984 b: “La face baroque”, in: Barthes 1984 a: 265-267 Barthes, Roland 2002 a: Œuvres complètes, Bd. II: 1962-1967, hg. v. Éric Marty, Paris: Seuil Barthes, Roland 2002 b: “L’analyse rhétorique” (1967), in: Barthes 2002 a: 1271-1276 Barthes, Roland 2002 c: Œuvres complètes, Bd. V: 1977-1980, hg. v. Éric Marty, Paris: Seuil Barthes, Roland 2002 d: “Arcimboldo ou Rhétoriqueur et magicien” (1978), in: Barthes 2002 c: 493-511 Barthes, Roland 2002 e: “Réponse à une question sur les artistes et la politique” (1965), in: Barthes 2002 c: 1025 Chassain, Adrien 2014: “‘La rhétorique est la dimension amoureuse de l’écriture’: communication ordinaire et conversion théorique des affects chez Roland Barthes”, in: Revue Roland Barthes 1 (2014), im Internet unter http: / / www.roland-barthes.org/ article_chassain.html [12.08.2014] Coste, Claude 2000: “Roland Barthes ou la hantise du XVIIe siècle”, in: Elseneur 15-16 (2000): 379-394 Coste, Claude 2012: “Actualité française de Barthes (1980-2011)”, in: Oster & Peters (eds.) 2012: 71-85 Deleuze, Gilles 2000: Die Falte. Leibniz und der Barock (1988), Frankfurt/ Main: Suhrkamp Der Strukturalismus entdeckt den barocken Exzess 347 Dünne, Jörg 2012: “Roland Barthes und die Dummheit. Eine Buchstabensuppe”, in: Oster & Peters (eds.) 2012: 115-132 Ferino-Pagden, Sylvia (ed.) 2011: Arcimboldo, Mailand: Skira (= Ausstellungskatalog Palazzo Reale) Forment, Lise 2014: “Roland Barthes et l’actualité du théâtre ‘classique’. La transhistoricité de la littérature mise en spectacle”, in: Revue Roland Barthes 1 (2014), im Internet unter http: / / www.roland-barthes.org/ article_ forment.html [12.08.2014] Farqzaid, Bouchta 2010: L’image chez Roland Barthes, Paris: Harmattan Haverkamp, Anselm 2012: “Die vergessene Pointe. 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