eJournals Kodikas/Code 34/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2011
343-4

Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung

2011
Dagmar Schmauks
Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung Die zunehmende Virtualisierung tierischer Lebenspraxis Dagmar Schmauks Many human beings like to immerse into simulated worlds that are either material such as leisure worlds or virtual such as computer games. Unknown or overlooked by most people, also our livestock, pets, and zoo animals live in environments with virtual elements. Examples range from toy mice for cats to highly sophisticated simulations of daily and seasonal cycles in chicken farming. The latest invention is virtual spawning migrations. During decades, all attempts to breed the southern blue fin tuna - highly prized for sushi - in captivity failed. In 2009, a pilot project produced the first tank-bred tuna by simulating a 5-month-trip from Australia to Guinea. Although being inside a tank, the fishes “experienced” the gradual changes of temperature, currents, and salinity, and even moon phases and constellations (simulated by overhead lights in the tank). When “arriving” in their ancestral spawning ground, they produced the expected new generation. Whereas such simulations mostly serve humans, other techniques are able to help endangered species in a rapidly changing world. Austrian scientists, e.g., imprint hand-reared bald ibises to humans. As the birds will follow their foster parents everywhere, even if they are flying in a ultra-light plane, one can teach them a safe migration route to their winter quarter in Tuscany. 1 Einleitung “Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe keine Tiere misshandelt” Ägyptisches Totenbuch, Spruch 125 Das Ägyptische Totenbuch enthält ein negatives Sündenbekenntnis, mit dessen vorgefertigten Sätzen der Verstorbene in der “Halle der vollständigen Wahrheit” vor 42 strengen Totenrichtern ausführliche Rechenschaft über seine Taten auf der Erde ablegen muss. Der vorliegende Beitrag wirft einige Schlaglichter auf unseren heutigen Umgang mit Tieren unter den beiden eng verflochtenen Leitfragen, inwieweit wir tierisches Leben inszenieren und welche Folgen dies für die Tiere hat. Viele Menschen verbringen immer mehr Zeit in künstlichen Umgebungen, seien diese nun materiell wie ein Freizeitpark oder virtuell wie ein Computerspiel. Während die Auswirkungen dieses Verhaltens in Psychologie, Soziologie und Medienwissenschaft gründlich untersucht werden, bleibt demgegenüber wenig beachtet, dass auch das Leben vieler Tiere immer mehr von virtuellen Elementen durchsetzt ist. Die folgenden Abschnitte untersuchen einschlägige Attrappen und Inszenierungen, die von Aufziehmäusen als Katzenspielzeug bis zur Simulation ganzer Laichwanderungen in Aquafarmen reichen. Bei Haustieren geht es über- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Dagmar Schmauks 386 wiegend darum, deren menschengeprägte Umwelt so anzureichern, dass artspezifische Verhaltensweisen möglich werden. In der Nutztierhaltung führen kommerzielle Erwägungen zu immer umfangreicheren Simulationen, so optimiert man die Legeleistung von Hennen durch künstliche Tages- und Jahresrhythmen. Der flugzeuggeführte Vogelzug schließlich ist ein Beispiel dafür, dass moderne Technik auch so eingesetzt werden kann, dass sie Wildtieren außerhalb von Zoos nützt. Semiotische Einteilungskriterien wie Sinnesmodalität, Dynamik und Komplexität der Attrappen erlauben eine differenzierte Typologie für die anschließenden Detailanalysen. Einleitend illustriert Abschnitt 2 den Unterschied zwischen Urbild und Abbild und belegt an Beispielen, dass die Gestaltung von Abbildern immer art- und zweckbedingt ist. Abschnitt 3 untersucht die eingesetzten Attrappen und Inszenierungen in grundlegenden Kontexten wie der Jagd sowie im Umgang mit Nutz-, Haus- und Wildtieren. Abschnitt 4 skizziert die modernsten technischen Inszenierungen, nämlich Projekte zum Einsatz von Robotertieren sowie komplexe Simulationen von Lebensrhythmen. Hier nicht behandelt wird die umgekehrte Simulation, nämlich die Vielzahl künstlicher Tiere, die bestimmte Bedürfnisse des Menschen befriedigen (Schmauks 2001). Die Geschichte materieller Tierfiguren reicht von ägyptischen Grabbeigaben über Schaukelpferde und Teddybären bis zu Robotertieren wie dem Saurierbaby Pleo von Ugobe. Virtuelle Tierdarstellungen findet man in Computerspielen wie Wolf Quest, dessen Spieler die Rolle eines Wolfs übernimmt, der Beutetiere jagt, sein Revier verteidigt, um ein Weibchen kämpft und Junge aufzieht (s. Website). 2 Semiotische Grundlagen: Die Unterscheidung von Urbild und Abbild “Wenn ich den Mops meiner Geliebten zum Verwechseln ähnlich abzeichne, habe ich zwei Möpse, aber kein Bild.” Johann Wolfgang v. Goethe In vielen Lebensbereichen gehen wir nicht mit den Objekten selbst um - hier der Einfachheit halber “Urbilder” genannt -, sondern mit deren unterschiedlich detaillierten Abbildern. Ein bekanntes Beispiel ist der schulische Wissenserwerb: Erdkundelehrer unternehmen selten Schulausflüge in entfernte Länder, sondern benutzen Landkarten, Bilder und Filme der besprochenen Regionen. Vergangene Zeiten lassen sich sogar prinzipiell nur anhand noch vorhandener Spuren und Dokumente erkennen. Eine andere Zeichensorte sind Nachahmungen, die das Urbild in bestimmten Handlungskontexten ersetzen. Meist sind sie als solche erkennbar und kaum jemand würde annehmen, dass er im Museumsladen für 9,80 die echte Nofretete erwirbt. Redensarten wie “Das ist kein Ersatz” oder abgeschwächter “Das ist nur ein billiger Ersatz” betonen den Abstand zwischen Abbild und Urbild. Wird hingegen die Tatsache der Nachahmung verheimlicht, so gleiten wir ins umfangreiche Gebiet der Täuschungen hinüber - von Kunstfälschungen über nachgemachte Gucci-Taschen bis zum Analogkäse. - Die folgenden Abschnitte skizzieren anhand konkreter Beispiele, wie unterschiedlich Mensch und Tier die von Menschen gemachten Attrappen wahrnehmen. Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 387 2.1 Voraussetzungen und Grenzen einer Wahrnehmung “Als-Ob” Die Ausschreibung zu dieser Sektion betonte, dass schon kleine Kinder die Fähigkeit zu einer Wahrnehmung Als-ob besitzen, wenn sie einen Bauklotz als Auto benutzen und dabei die Fahrbewegungen und Geräusche simulieren. Insbesondere behandeln Kinder ihre Spielzeugtiere wie deren Urbilder, füttern also ihren Plüschhund und führen ihn spazieren. Erwachsene sind sehr geübt im Eintauchen in vielfältige virtuelle Welten. Während jedoch nur phantasievolle Leser in einem Roman “versinken”, begünstigen Computerspiele als multisensorische Medien diese sog. “immersion” viel stärker. Weil das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten eine grundlegende kognitive Fähigkeit ist, fällen wir Urteile der Form “X sieht aus wie Y” beim müßigen Betrachten von Sommerwolken ebenso wie im psychologischen Rorschachtest. Der fruchtbare Analogieschluss, also das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten zwischen weit entfernten Sachgebieten, ist eine der kreativsten geistigen Leistungen überhaupt. Man erinnere sich hier an Gottlob Frege, der die Theorie der chemischen Bindung auf die Sprache übertrug, um zu erklären, wie sich Ausdrücke zu Sätzen zusammenfügen lassen. Der ungesättigte Junktor “schreibt” etwa benötigt zwei gesättigte Ausdrücke als Argumente, um Sätze wie “Der Semiotiker schreibt einen Tagungsbeitrag” zu ergeben. Zwei Beispiele aus der Literatur sollen belegen, dass sich von einfachsten Vergleichen die ganze Vielfalt rhetorischer Tropen ableitet, die alle Textsorten durchzieht. Robert Gernhardt und F.W. Bernstein verraten dem Leser im Vorwort zu ihrem Gedichtband Besternte Ernte (1976), sie hätten zur Dichtung durch einen Vers gefunden, der auf einem Rummelplatz zum Schiffschaukeln einlud: Wie ein Pfeil fliegt man daher, als ob man selber einer wär’. Dieselbe Suche nach Vergleichen hat Joseph von Eichendorff zu seinem Gedicht Mondnacht inspiriert, aus dem man die folgenden Zeilen gerne als Sinnspruch für Todesanzeigen zitiert: Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus. Während Gernhardt und Bernstein gezielt die unsinnige Verdopplung des Vergleichs verspotten, nimmt Eichendorff durch den Konjunktiv Irrealis das erhoffte Heimkommen bei der Auferstehung vorweg. Dieser Beitrag untersucht, inwieweit Tiere zu einem Wahrnehmen und Handeln Als-ob fähig sind. Zu beachten ist, dass es in der Natur zahlreiche Als-ob-Phänomene gibt, die nicht von einem Sender absichtlich gestaltet wurden, sondern im evolutionären Rüstungswettlauf zwischen Jäger und Beute entstanden sind (vgl. die Fallbeispiele in Lunau 2011). Zwei bekannte Beispiele für ein angeborenes oder erlerntes Wahrnehmen Als-ob sind: - Mimikry: ein Vogel verschmäht eine Schwebfliege als Beute, weil er auf ihre schwarzgelbe Warntracht so reagiert, als-ob sie eine Wespe sei, und - Mimese: ein Vogel übersieht eine Stabheuschrecke als Beute, wie er auf ihre Gestalt so reagiert, als-ob sie ein uninteressantes Ästchen sei. Dagmar Schmauks 388 Auch komplexere Verhaltensweisen lassen sich durch diese Begrifflichkeit erfassen, etwa die Tatsache, dass sich manche Vogelküken und junge Säugetiere in ihrer sensiblen Phase auf den Menschen prägen lassen und ihn fortan so behandeln, als-ob er ein Elterntier sei (vgl. den flugzeuggeführten Vogelzug in 3.4.1). Falls man zusätzlich fordert, ein Als-Ob läge nur dann vor, wenn der Adressat die Simulation als solche erkennt, wird eine Beurteilung sehr viel schwieriger. Zum einen zählten junge Säuglinge dann nicht mehr zum Kreis der Wissenden, denn sie lächeln die rudimentäre Zeichnung eines menschlichen Gesichtes instinktiv an, eben weil sie diese für einen lächelnden Menschen halten. Sogar Erwachsene halten zumindest zeitweise die Simulation für die Sache selbst, wenn sie auf einen Scherzartikel hereinfallen oder in eine Trompe-l’oeil-Tür hineinlaufen. Umgekehrt muss man Menschenaffen zugestehen, dass sie das Als-Ob bewegter Bilder fraglos durchschauen, denn sie sehen zwar gerne Filme, versuchen aber nicht - wie etwa Katzen! - die gezeigten Lebewesen zu berühren (vgl. die Affen-Pornos in 3.4.1). Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich auf Simulationen, die der Mensch gezielt für Tiere gestaltet, um bestimmte Zwecke zu erreichen. In jedem Einzelfall ist zunächst festzustellen, welche Merkmale des Urbildes simuliert werden müssen, um das gewünschte Verhalten auszulösen (aus wirtschaftlichen Erwägungen wird man meist eine Minimalversion bevorzugen). Wie muss ein Köder gestaltet werden, damit der Fisch darauf so reagiert, als-ob dieser ein Beutetier sei? Wie muss eine künstliche Kuh gestaltet werden, damit der Deckstier sie bespringt, als-ob sie lebendig sei? Die Feststellung der jeweiligen Auslösereize ist ein sehr komplexer Zeichenprozess, insbesondere falls der Mensch sie - wie im Fall von tierischen Pheromonen - gar nicht ohne Hilfsmittel wahrnimmt. Es liegt nahe, dass Simulationen umso wirksamer sind, je besser der Mensch die jeweiligen Auslösereize kennt und imitiert. So befriedigt Spielzeug für Katzen am besten deren Jagdtrieb, wenn es kleinen Beutetieren ähnelt. Ein Federbällchen, das der Mensch an einer Schnur unvorhersehbar bewegt, ist daher viel attraktiver als eine Aufziehmaus aus Hartplastik, die geradeaus läuft und schnell den Schwung verliert. Wichtig ist die Einsicht, dass in vielen Kontexten die Abbildfunktion von Objekten für das Tier belanglos ist. So bedienen pittoreske Dekorationen für Aquarien vor allem ästhetische Vorstellungen des Menschen. Zierfische hingegen haben lediglich das Bedürfnis nach einem Unterschlupf und erkennen all die Schiffswracks, Burgruinen und Dinosaurier-Skelette keineswegs als Abbilder bestimmter Objekte. Dass unterschiedliche Attrappen desselben Urbilds auch unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen, belegen eindrucksvoll die umstrittenen Experimente des Primatenforschers Harry Harlow aus den 1950er Jahren. Junge Rhesusaffen, die von ihrer Mutter getrennt wurden, suchten eine Milch spendende Affenattrappe immer nur zum Trinken auf, kuschelten sich aber die ganze restliche Zeit an eine weiche mit Stoff bespannte Attrappe. 2.2 Fallstudie Greifvogelsilhouetten: Nett gemeint und falsch gedacht Handelsübliche Greifvogelsilhouetten an Glasscheiben belegen instruktiv, wie leicht wohlmeinende Maßnahmen zum Tierschutz ohne ethologisches Wissen in die Irre gehen. Fensterglas ist eine menschliche Erfindung, die erhebliche Auswirkungen auf die Vogelwelt hat. Es fand erst seit dem Mittelalter weite Verbreitung, und noch Jahrhunderte lang blieben die einzelnen Flächen klein (Butzenscheiben, Sprossenfenster), farbig oder von Bläschen getrübt. Die riesigen senkrechten Fensterfronten moderner Hochhäuser sind also für Vögel eine ganz neue Art von Hindernis. Dass die Evolution noch keine Strategie entwickeln konnte, unsicht- Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 389 bare Hindernisse wahrzunehmen, weiß jeder, der schon einmal mit einer allzu sauberen Glastür kollidiert ist. Während aber der langsame Mensch meist nur den Umstehenden eine köstliche Slapsticknummer bietet, werden viele Vögel beim Aufprall schwer oder tödlich verletzt. Statistiken nennen 250.000 tote Vögel täglich in Europa, als Faustregel rechnet man mit jährlich einem toten Vogel pro Gebäude. Dabei führen die beiden gebräuchlichen Glasarten aus unterschiedlichen Gründen zu Kollisionen: Durch transparente Scheiben wollen Vögel in die dahinter sichtbare Landschaft fliegen, bei getöntem Glas sehen sie in den gespiegelten Bäumen und Büschen einen Unterschlupf. Zur Vermeidung solcher Unfälle hat man seit den 1970er Jahren bevorzugt Greifvogelsilhouetten aus schwarzer Plastikfolie auf Scheiben geklebt. Diese Methode beruht auf der Vorstellung, kleinere Vögel würden die Silhouette als Beutegreifer erkennen und ihr darum ausweichen. Verhaltensforscher haben jedoch schon viel früher festgestellt, dass die Form von Attrappen nicht ausschlaggebend ist. So lösen Attrappen beliebiger Form bei Puten eine Fluchtreaktion aus, insofern sie sich mit bestimmter Geschwindigkeit bewegen und noch keine Gewöhnung eingetreten ist (Eibl-Eibesfeldt 1962: 13). Eine Gewöhnung tritt schnell ein, weil häufig auftretende Objekte am Himmel (Wasservögel, Flugzeuge, Wolken) in der Regel harmlos sind, während gefährliche Greifvögel selten sind und daher weiterhin Angst auslösen. Statische Silhouetten hingegen werden von Vögeln gar nicht als Beutegreifer wahrgenommen, sondern nur als Hindernisse, die es zu umfliegen gilt. Folglich erfüllen geometrische und beliebige andere Formen denselben Zweck, insofern sie hinreichend dicht angeordnet sind. Eine lehrreiche Studie hierzu ist Maurits C. Eschers Graphik Drei Welten: Die Teichoberfläche als Grenze zwischen Luft und Wasser wird erst sichtbar, weil abgefallene Blätter der Bäume auf ihr treiben, die selbst nur in Spiegelungen zu sehen sind. Ornithologen überprüften, wie sich Glasscheiben durch eine engmaschige flächendeckende Musterung am besten entschärfen lassen. Wirksam ist etwa eine Beklebung von außen (da man sie sonst der Reflexion wegen schlechter sieht) durch senkrechte halbtransparente Streifen von 2cm Breite im Abstand von 4-10 cm. Um die Raumhelligkeit weniger zu mindern, nutzen alternative Maßnahmen die Fähigkeit vieler Vogelarten, auch das für Menschen unsichtbare Ultraviolett zu sehen (Buer und Regner 2002). Mit Filzstiften wie “Birdpen” lassen sich dichte UV-Muster aufmalen, und das seit 2005 erhältliche Vogelschutzglas reflektiert UV-Licht durch eine spezielle Beschichtung. Solche Missverständnisse zwischen Mensch und Tier verschärfen sich, wenn unterschiedliche Sinnesmodalitäten führend sind. Manche Besitzer lassen ihren Rüden nach der Kastration Hodenprothesen aus Silikon einpflanzen, damit sie von hinten weiterhin “männlich” aussehen. Dies dient jedoch lediglich dem Prestige des Besitzers, denn andere Hunde erkennen Geschlecht und Hormonstatus ihrer Artgenossen aufgrund von Pheromonen (also Gerüchen) und nicht visuell. 3 Attrappen und Inszenierungen in verschiedenen Kontexten Bei Jagd und Fischfang will der Mensch mögliche Beutetiere anlocken und dabei selbst unentdeckt bleiben. Die eingesetzten Attrappen nutzen immer auch die aktuellste verfügbare Technik. Der Umgang mit Nutz-, Haus- und Zootieren ist umso erfolgreicher, je besser man deren Bedürfnisse kennt. Sie alle benötigen Nahrung sowie einen Unterschlupf, der sie vor Feinden und Witterung schützt. Je höher die Entwicklungsstufe, desto mehr artspezifische Bedürfnisse kommen hinzu, etwa nach ausreichender Bewegung, nach Sozial- und Sexual- Dagmar Schmauks 390 kontakten sowie nach Gelegenheit zu Komfortverhalten wie Baden, Suhlen oder Schubbern. Da kognitiv leistungsfähige Tiere immer auch neugierig und verspielt sind, langweilen sie sich in einer reizarmen Umgebung schnell. 3.1 Jagd, Fischfang und Vergrämung In Jagd und Fischfang, die zu den ältesten Tätigkeiten des Menschen zählen, werden auf beiden Seiten in allen vorhandenen Sinnesmodalitäten vielerlei Täuschungsstrategien eingesetzt (Schmauks 2007 und 2009b). Ebenso wie viele Tiere eine Tarnfärbung besitzen, versucht auch der Jäger, hinsichtlich aller Sinnesmodalitäten unbemerkt zu bleiben. Er trägt Tarnkleidung, verblendet seinen Ansitz durch Netze oder frische Zweige, vermeidet Geräusche und pirscht sich gegen den Wind an. Beim Anlocken sozialer Tiere nutzt man gezielt deren Bedürfnis nach Geselligkeit. So verwendet man gefangene Singvögel zum Anlocken von Artgenossen und legt bei der Krähenjagd Fuchskadaver aus, damit Krähen sich versammeln und gemeinsam auf ihren Erzfeind hassen. Eine Alternative sind unterschiedlich aufwändige Tierattrappen. Manche mechanischen Lockvögel haben rotierende Schwingen, während das Modell “verwundeter Specht” laut Aussage des Herstellers am besten wirkt, wenn es mit nur einem Flügel auf dem Boden zappelt (http: / / www.floba-jagd.de/ Aktionen/ Verwundeter-Specht: : 113.html). Zu den nachgeahmten hörbaren Zeichen gehören die Lockrufe von Artgenossen. Der Krähenlocker ruft alle Krähen in Hörweite, während der Rehblatter die Fieplaute einer Ricke nachahmt und damit den Rehbock anlocken soll. Bei der Fuchsjagd ahmt der Jäger oft die Stimmen der Beutetiere nach, indem er selbst “mäuselt” oder eine Wildlocke wie die Hasenquäke benutzt. Eine olfaktorische Methode sind künstlich ausgebrachte Duftstoffe. Um etwa Schwarzwild im Revier zu halten, reicht die Produktpalette vom Spray mit Trüffelaroma zur Vorspiegelung attraktiver Nahrung bis zum “Duftstoff Keiler Sperma” (http: / / www.uckermark-jagd.de/ ). Dieselbe Methodenvielfalt dient dem umgekehrten Ziel, als schädlich geltende Tiere zu vergrämen. Herkömmliche Schreckreize sind Vogelscheuchen in Menschenform, blitzende Folienstreifen oder Schüsse. Attrappen von Greifvögeln oder deren Schreie vom Tonband sollen Stadttauben vertreiben oder Starenschwärme von Obstplantagen fernhalten. Im Gegensatz zum bloßen Vergrämen will man besonders schädliche Tiere ganz ausrotten. Jahrzehntelang waren Insektizide wie DDT das Mittel der Wahl, bis man erkannte, dass sie auch für andere Lebewesen schädlich sind und sich in der Nahrungskette anreichern. Eine weniger gefährliche Alternative ist die logistisch aufwändige “Sterile Insect Technique”. Sie bekämpft Fruchtfliegen und andere Schadinsekten, indem man massenhaft sterilisierte Männchen mit Flugzeugen im Zielgebiet ausbringt. Eine derartige Geburtenkontrolle über mehrere Generationen soll unter anderem die Überträger von Malaria (Anopheles-Mücke) und Schlafkrankheit (Tsetse-Fliege) ausrotten. Obwohl Anlocken und Vergrämen gegenläufige Ziele sind, leisten manche Attrappen beides. Eine Graureiherattrappe etwa vergrämt Artgenossen, da Reiher territoriale Einzelgänger sind, lockt aber zugleich Wasservögel und Krähen an, da Reiher besonders wachsam sind und daher anderen Arten Sicherheit vermitteln (vgl. das Abhören von Warnrufen anderer Arten bei Bouissac 1993: 9). Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 391 3.2 Umgang mit Nutztieren Viele Menschen in Ballungsräumen kennen das Leben von Nutztieren nur noch bruchstückhaft. Einerseits sehen sie in inszenierten Umgebungen wie dem Kinderbauernhof ein vergleichsweise idyllisches Tierleben, andererseits prangern Filme die Massentierhaltung oder lange Tiertransporte an. Der Alltag unserer vielen Millionen Nutztiere findet weitab vom Blick des Verbrauchers statt und enthält viele virtuelle Elemente, von denen die folgenden Abschnitte einige skizzieren. Ein linguistisch interessantes Thema, das hier nicht vertieft wird, sind tendenziöse sprachliche Bezeichnungen. So wird der umstrittene Kastenstand, der trächtigen und säugenden Zuchtsauen fast keinen Bewegungsspielraum lässt, von Züchtern gerne “Ferkelschutzkorb” genannt und von Gegnern in Anlehnung an ein mittelalterliches Foltergerät “Eiserne Jungfrau”. Und “Qualitätsfleischgewinnungsanlage” klingt natürlich viel harmloser als “Schlachthaus”. 3.2.1 Tierdesign. Vom Nutzen zum Gestalten Seit der Jungsteinzeit züchtet der Mensch zahlreiche Pflanzen- und Tierarten auf seine Ziele hin. Während er als Jäger und Sammler lediglich das Vorgefundene nutzte, setzte nun eine künstliche Steigerung und schließlich gezielte Gestaltung ein. Hierbei eignen sich nur solche Tierarten zur Domestikation, die leicht zu ernähren sind, schnell wachsen, sich in Gefangenschaft vermehren, nicht an ein Territorium gebunden sind, keine Anlagen zu Aggressivität und panischer Flucht besitzen, und vor allem: die als soziale Art den Menschen als Alphatier akzeptieren (Diamond 1998: Kap. 9). Diese Bedingungen erklären umgekehrt, warum so viele Arten niemals domestiziert wurden, nämlich insbesondere Nahrungsspezialisten (Pandas, die nur Bambussprossen fressen), Einzelgänger (Tiger), sehr aggressive Tiere (Zebras) und panisch reagierende Tiere (Gazellen). Die domestizierten Arten wurden durch weitere Züchtung in spezialisierte Arten aufgefächert, so dass etwa aus früheren Dreinutzungsrindern (Milch, Fleisch, Arbeitskraft) leistungsstarke Milch- und Fleischrassen hervorgingen, während die Zugkraft gar keine Rolle mehr spielt. Das jeweilige Zuchtziel wechselt mit den Rahmenbedingungen, so bevorzugt man in Notzeiten robuste Schweine mit viel Speck und in Überflusszeiten magere Schweine. Zugleich gingen Genügsamkeit und Anpassungsfähigkeit verloren, denn in der Intensivhaltung ist es belanglos, ob die Tiere vielerlei Futter und raue Witterung vertragen - sie sollen lediglich schnell schlachtreif werden. Sehr umstritten sind Bestrebungen, die Tiere durch Züchtung von Eigenschaften wie “stressresistent” und “spaltentauglich” an die Massentierhaltung anzupassen, anstatt umgekehrt die Haltungsbedingungen an die Bedürfnisse der Tiere. Dasselbe “Design im Medium des Organischen” gibt es auch bei weniger bekannten Tierarten. Wenn Perlenaustern verletzt werden, bilden sich Zysten, die Kalziumkarbonat abscheiden und so schichtweise Perlen aufbauen. Naturperlen waren seit der Antike von China über Indien und Arabien bis zum Mittelmeerraum begehrt. Heute lässt man Zuchtperlen auf Farmen entstehen, indem man Mantelgewebe von getöteten Spendermuscheln in die Empfängermuscheln transplantiert. Ein aktueller Designerfolg sind Seidenraupen, die durch Farbstoffe im Futter gleich farbige Fäden für ihre Kokons spinnen. Dagmar Schmauks 392 3.2.2 Nutztierhaltung und Technik Auch unsere Nutztiere haben artspezifische Bedürfnisse, deren Erfüllung zu mehr Wohlbefinden führt und damit letztlich zu mehr Profit für ihren Besitzer. Wo Bäume oder Pfosten fehlen, sind angeschraubte Scheuerbürsten für alle Weidetiere ein preiswertes Gerät zur Fellpflege. Eine technische Weiterentwicklung sind Putzmaschinen wie “Happycow” (Firma Siloking), deren Bewegungsmelder rotierende Bürsten einschaltet. Solche Maschinen nutzen dem Tier, indem sie artspezifisches Komfortverhalten ermöglichen. Die schon viel länger existierende Melkmaschine hingegen sollte vor allem dem Menschen die Arbeit erleichtern (die ersten Geräte im späten 19. Jahrhundert wurden von Hand betrieben, seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es elektrische). Für Schweine mit ihrem ausgeprägten Beschäftigungsdrang und Neugierverhalten ist Beschäftigungsmaterial im Stall heute gesetzlich vorgeschrieben, wobei die entsprechende EU-Richtlinie (2001/ 93/ EG vom 9. November 2001) jedoch nur Beispiele für Wühlmaterialien wie Stroh, Heu oder Torf nennt. Der Fachhandel bietet weiteres Spielzeug wie Ketten, Sisaltaue, Bälle und Beißringe an. Interessant ist ein Blick darauf, wie sehr sich die Rollen von Tier und Maschine in den letzten 200 Jahren gewandelt haben. Alle Hochkulturen konnten nur entstehen, weil der Mensch geeignete Tiere domestizierte, welche die Ernährung der wachsenden Bevölkerung sicherten, als Reittiere die Fortbewegung beschleunigten, in Landwirtschaft und Städtebau als Zug- und Tragtiere arbeiteten und mit dem Menschen in dessen zahllose Kriege zogen (Diamond 1998). Seit der industriellen Revolution wurde die tierische Arbeitskraft zumindest in den Industrieländern immer mehr durch Maschinen ersetzt. Während jedoch Ochsen als Arbeitstiere ganz verschwanden, avancierte das Pferd zum Freizeitpartner. Falls allerdings sein Besitzer wenig Zeit hat, ist Bewegungsmangel vorprogrammiert, was durch neue Technik verhindert werden soll. Freiführanlagen oder “Pferde-Karussells” sind kreisförmige Anlagen mit Außenzaun, die mehreren Pferden Platz bieten (vgl. Schmauks 2006). Wenn ihre innere Struktur in Kreisbewegung gesetzt wird, zwingen die Anbindung oder die radialen Trennwände die Pferde zu einer “kontrollierten Bewegung in einer vorgegebenen Geschwindigkeit”. Vor allem junge Pferde “lernen hier Rhythmus, Disziplin und ein geordnetes, gleichmäßiges Gehen im Schritt” (Morawetz 2002: 37). Das Pferd, dessen unermüdliches Trotten im Kreis ursprünglich Mühlen und Hammerwerke antrieb, wird also heute umgekehrt durch eine ganz ähnliche Technik selbst “in Gang gesetzt” (vgl. die Animation durch Robotertiere in Abschnitt 4.1). Oft ist das Lebensende von Nutztieren besonders stressig, falls sie eng zusammen gepfercht lange Strecken zum Schlachthof gefahren werden und dort das Sterben ihrer Artgenossen miterleben. Dieser Stress ist nicht nur aus Tierschutzsicht abzulehnen, sondern mindert auch die Fleischqualität. Verbesserungsvorschläge nennen die Begrenzung der Transportstrecken, die Vermeidung von Zeitdruck an der Schlachtstraße sowie als Alternative den Kugelschuss auf der Weide. Bahnbrechend bei der Gestaltung von artgerechten Anlagen zur Haltung und zum Transport von Vieh ist die US-amerikanische Verhaltensbiologin Temple Grandin (2009). Da sie als Autistin sehr bildhaft denkt, kann sie sich in die verschiedenen Tierarten einfühlen und viele unauffällige Details als Stressauslöser ausmachen. Manche davon wie rutschige Fußböden, flirrende Reflexe und ungleichmäßige Geräusche lassen sich mit wenig Aufwand beseitigen. Andere erfordern eine Umgestaltung, so wirken geschwungene Gänge, in denen die Tiere immer nur bis zur nächsten Kurve sehen, weniger bedrohlich als lange gerade Strecken. Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 393 Eine eher in Richtung bewusster Täuschung zielende Methode stellte Helmut Stein vor (Willmann 2005). Er baute im Burgenland eine Schlachthofattrappe, in der die Rinder jedes Mal Futter erhalten, wenn sie die Schlachtbox betreten. Nach einigem Training sollen sie darum auch auf ihrer letzten Reise ohne Furcht den echten Schlachthof betreten, weil sie ihn für die bereits bekannte Wellness-Oase halten. 3.2.3 Sexualverhalten und Zucht Die meisten Nutztiere leben heute nicht mehr in natürlichen Sozialgemeinschaften, in denen es durch spontane Deckakte während der Brunst zu Trächtigkeiten kommt. Die instrumentelle Besamung, die ursprünglich die Verbreitung von Viehseuchen verhindern sollte, ist heute ein Standardverfahren, um kostengünstig Jungtiere mit erwünschten Eigenschaften zu erzeugen (Busch und Waberski 2007). Sogar Bienenköniginnen werden oft unter dem Mikroskop und in Narkose instrumentell besamt. Ferner machen bestimmte Zuchtziele eine natürliche Paarung unmöglich, so hat man in den USA Putern eine so fleischige Brust herangezüchtet, dass sie keine Hennen mehr decken können (Grandin und Johnson 2009: 220). Instrumentelle Besamung ist umso erfolgreicher, je genauer der Mensch die jeweiligen Auslösereize simuliert. Bei der Samengewinnung von Rindern und Schweinen setzt man Attrappen des weiblichen Tieres ein. Diese sog. “Phantome” sind keine detailreichen Abbilder, sondern entsprechen lediglich dem “Torbogenschema”, also dem visuellen Eindruck der Hinterseite eines Weibchens. Während man für Stiere eine künstliche Vagina benutzt, werden Eber vom Menschen masturbiert. Förderlich sind Geruchsspuren früherer Samengewinnungen sowie die Möglichkeit, die Handlungen anderer Vatertiere mit allen Sinnen mitzuerleben. Bei der Samenübertragung wird zunächst festgestellt, ob das Weibchen in der Brunst ist. Sucheber stellen dies nicht nur treffsicherer fest als der Mensch, sondern animieren auch die zu besamenden Sauen durch Grunzen und Ebergeruch. Alternativ kann ein Spray mit Eberduftstoff die Sauen in Deckstimmung versetzen und sogar die Brunst mehrerer Sauen so synchronisieren, dass man sie gleichzeitig und folglich preisgünstig besamen kann. Um die erforderliche Duldungsstarre zu prüfen, klemmt sich der Mensch die Sau zwischen die Beine. Als semiotisch interessante Inszenierung imitiert also hier der Mensch die motorischen Prüfprozeduren einer anderen Art. Wie bei der Jagd gibt es auch bei der Reproduktion wieder Attrappen, die gegenläufige Ziele bedienen. Gipseier werden bei Hühnern eingesetzt, um sie zum Legen anzuregen oder um ihnen einen Platz für das Nest vorzugeben. Umgekehrt tauscht man die Eier von Stadttauben gegen Gipseier aus, damit die Tiere ihre Zeit mit Brüten verbringen, ohne den Bestand weiter zu vermehren. Als historische Abschweifung soll schließlich noch erwähnt werden, dass das erste erwähnte Phantom nicht der Tierzucht, sondern einem sexuellen Kontakt zwischen Mensch und Tier diente (vgl. Ranke-Graves 1960, I: 265f). Einer Legende zufolge hatte König Minos von Kreta einen prachtvollen Opferstier unterschlagen, den er Poseidon versprochen hatte. Der Meergott rächte sich und ließ Pasiphaë, die Gattin des Minos, in Liebe zu diesem Stier entbrennen. Da der Stier Pasiphaë als Frau verschmähte, bat sie den Tüftler Dädalus um Rat. Er baute eine hohle hölzerne Kuh, überzog sie mit Kuhhaut und rollte sie auf die Weide. So verkleidet konnte Pasiphaë den Stier verführen und gebar den Minotaurus. Für dieses Mischwesen mit dem Kopf eines Stieres auf dem Körper eines Mannes baute Dädalus später das Labyrinth von Knossos. Dagmar Schmauks 394 3.2.4 Süße Leiharbeit. Von der Wanderimkerei zur globalisierten Bienenvermietung Wer den Nutzen von Tieren bewertet, denkt zunächst an Grundnahrungsmittel wie Milch und Fleisch. Folglich nehmen in Deutschland Rind und Schwein die beiden ersten Plätze der Rangordnung ein. Auf Platz drei hingegen steht die oft übersehene Honigbiene. Zwar war Bienenhonig seit der Steinzeit das einzige ergiebige Süßungsmittel, bevor man lernte, den begehrten Zucker aus Rüben oder Zuckerrohr zu gewinnen. Ungleich wichtiger hingegen ist die Leistung der Bienen für die Pflanzenwelt, da sie bis zu 85% unserer Nutzpflanzen sowie zahlreiche Wildpflanzen bestäuben. Anders als viele andere Insekten sind Bienen “blütentreu”, suchen also immer dieselbe Pflanzenart auf. Als Gegenleistung für diese effiziente Verbreitung der Pollen erhalten sie Nektar als Futter für sich und ihre Brut. Das Verschwinden der Bienen würde ein Pflanzensterben unabsehbaren Ausmaßes bewirken, während man auf Fleisch und Milch ohne schwerwiegende Folgen verzichten könnte. Heute beschäftigt sich eine ganze Industrie mit dem “Bestäubungsmanagement”, also der Züchtung und Bereitstellung von Bestäubungsinsekten für Nutzpflanzen. Interessenten können unbegattete und begattete Bienenköniginnen, ganze Hummelvölker sowie Zubehör bestellen. Ein einprägsames Beispiel für die zunehmende Industrialisierung ist die Wanderimkerei. Traditionelle Wanderimker folgen dem Frühling, indem sie mit ihren Völkern innerhalb einer Region nacheinander die gerade blühenden Pflanzen besuchen. Durch die bereits erwähnte Blütentreue entstehen hierbei “Trachthonige” wie Klee- oder Tannenhonig. In den USA wird die Wanderimkerei mittlerweile industriell betrieben. Imker mit Hunderten von Bienenvölkern je Lastwagen ziehen über große Strecken von Plantage zu Plantage. Die Gewinnung von Honig ist dabei nebensächlich, auch weil dieser oft durch Antibiotika und Pestizide belastet ist. Tierschützer wenden ein, die ständige Ortsveränderung könne die Bienen stressen, und vor allem, dass manche Völker gar nicht mehr überwintert, sondern am Ende der Saison vernichtet werden (Schuh 2007). Neben Bienen werden auch Schwebfliegen und Hummeln als Bestäuber vermarktet, wobei Gewächshäuser und Folientunnel ganz neue Umwelten sind. Da das Kunstlicht in Gewächshäusern wegen seines zu geringen UV-Anteils die Orientierung und Bestäubungsleistung der Tiere mindert, braucht man wieder technische Abhilfe. So wird das “Wireless Beehome” (Firma Koppert) über Zeitschaltuhr und Klimacomputer gesteuert und lässt sein Hummelvolk nur bei günstigen Lichtverhältnissen aus dem Kasten. Auch in Folientunneln etwa für Erdbeeren und Frühtomaten werden - neben Gebläsen zur mechanischen Bestäubung - Bienen und Hummeln eingesetzt. 3.3 Umgang mit Haustieren Einer Statistik des Industrieverbandes Heimtiere (IVH) zufolge lebten 2009 in Deutschland 8,2 Millionen Katzen und 5,4 Millionen Hunde. Beide Tierarten sind erst in den letzten Jahrzehnten zu wirklichen “Haustieren” und Freizeitpartnern geworden, wohingegen ihre Vorfahren - man denke an Kettenhunde und Stallkatzen - überwiegend Nutztiere waren, die man nicht ins Haus ließ und zu denen keine emotionale Bindung bestand. Bei nicht-exotischen Haustieren ist es recht einfach, sie artgerecht zu ernähren und ihnen einen behaglichen Schlafplatz zu bieten. Das artspezifische Bewegungsbedürfnis wird durch Aufziehmäuse, Kletterbäume, Laufräder und Vogelschaukeln gefördert, während Kratzbäume und Badehäuschen dem Komfortverhalten dienen. Zu den aufwändigeren modernen Attrappen zählen Laufbänder für bewegungsarme Hunde sowie das ausgeklügelte Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 395 “CAT SPA” mit Akupressur-Polster, Zahnfleisch-Stimulator und Wellen-Massage (www.futterhaus.de). Für sozial lebende Tiere können einfache Attrappen niemals einen Artgenossen ersetzen. Spiegel oder Plastikvögel im Käfig von Sittichen oder Papageien verhindern keine Verhaltensstörungen, sondern beschwichtigen lediglich das schlechte Gewissen ihres Besitzers. Wie sehr sich die Rolle von Tieren gewandelt hat, sieht man am besten im medizinischen Bereich. Hunde und Katzen haben an vielen Errungenschaften des Menschen teil, von Massagen und Akupunktur über künstliche Hüftgelenke bis zur Verhaltenstherapie. Für gelähmte Hunde werden Rollstühle angeboten, und auch für Haustiere gibt es bei Bedarf Bluttransfusionen oder Spenderorgane von einem anderen Tier. Der Haustierbedarf vom Futter bis zur Hundeleine ist ein wichtiges Marktsegment, das 2009 über 3,6 Milliarden Euro Umsatz machte (IVH). Da liegt es nahe, dass auch Objekte und Dienstleistungen angeboten werden, die überwiegend oder ausschließlich dem Menschen dienen. Wie sehr Haustiere den oft ungesunden Lebensstil seiner Besitzer teilen, belegen Kataloge und Websites, die Appetitzügler und Psychopharmaka anbieten. Insgesamt ist die Teilhabe von Tieren am modernen Leben also durchaus zwiespältig zu bewerten, und eine Vernachlässigung ist ebenso wenig artgerecht wie Designermode oder Geburtstagspartys für Hunde. 3.4 Wildtiere Für Wildtiere in Zoos gelten grundsätzlich dieselben Forderungen wie für Nutz- und Haustiere: Da ihr ganzes Leben unter Einfluss des Menschen stattfindet, sollte dieser ihre artspezifischen Bedürfnisse so weit wie möglich kennen und erfüllen. Nachrichten über Tiere in freier Wildbahn sind meistens deprimierend und berichten darüber, dass die verbliebenen Lebensräume durch den Menschen immer stärker verkleinert, verschmutzt, beschallt oder anderweitig beeinträchtigt werden. Um die auch vorhandenen Gegenbewegungen in das ihnen zustehende Licht zu rücken, beschreibt der letzte Teilabschnitt einige Projekte, die moderne Technik zum Nutzen von Wildtieren einsetzen. 3.4.1 Zoos Moderne Zoos versuchen auf vielfältige Weise, die artspezifischen Bedürfnisse ihrer Tiere zu befriedigen (Grandin und Johnson 2009: 263ff). Da Tiere in der freien Natur den größten Teil des Tages mit Futtersuche und Fressen verbringen, fordert man sie zunehmend bei der Fütterung. So lässt man Schimpansen ihr Futter aus angebohrten Holzstücken stochern, Erdnüsse aus Strohballen pulen oder Quark aus Schlauchstücken saugen. Für kletterfähige Tiere hängt man Futter in die Bäume, während Eisbären ihre Fische aus Eisblöcken lutschen. Eine stärker technische Lösung sind komplizierte Futterautomaten. Tägliches Training verhindert Langeweile und fördert eine enge Vertrautheit zwischen Tieren und Pflegern. Vielerlei einfache Objekte wie Papierrollen, Fahrradreifen, Bälle und alte Besen werden gern erkundet und als Spielzeug benutzt, bis sie ihren Reiz verlieren. Während Tiere in freier Wildbahn auch sexuelle Verhaltensweisen durch Beobachtung Erwachsener lernen, kann bei Handaufzuchten im Zoo dieses Lernen am Modell fehlen. Um Orang-Utans “aufzuklären”, hat man schon erfolgreich Softpornos mit Menschen eingesetzt, die den Koitus von hinten ausführen (Etzold 2003). Affen verstehen also nicht nur den Film Dagmar Schmauks 396 als Medium hinreichend gut, sondern sehen auch durchaus Ähnlichkeiten in Körperbau und Verhalten zwischen sich und den Menschen. 3.4.2 Technik für Wildtiere Die Zerschneidung von Wildwechseln durch Autobahnen, zahlreiche Todesfälle von Vögeln an Stromleitungen und die Verseuchung von Gewässern durch Pestizide sind nur einige der vielen Belege dafür, wie stark wir das Leben von Wildtieren beeinträchtigen. Dieser Abschnitt soll zeigen, dass Technik aber auch dabei helfen kann, um gefährdeten Arten neue Verhaltensweisen in einer schnell sich wandelnden Welt beizubringen. Wenn bedrohte Zugvogelarten nachgezüchtet werden, kennen die Jungvögel oft die Route zu ihren Winterquartieren nicht. Darum prägt man sie auf einen Menschen, der ihnen bei der ersten Reise als simulierter “Elternvogel” mit einem Ultraleichtflugzeug voraus fliegt. So kann man den Jungvögeln abseits von Ballungsräumen und anderen Gefahrenstellen eine sichere Route zeigen, die sie fortan alleine beibehalten. Begründet wurde diese Methode von William Lishman, der im Herbst 1993 erstmals Kanadagänse von Ontario ins Winterquartier nach North Carolina führte. Auf seinem Buch Father Goose (1996) beruht auch der Film Amy und die Wildgänse (Caroll Ballard 1996). Ähnlich werden Handaufzuchten des bedrohten Waldrapps ausgewildert, indem man sie von der Aufzuchtstation in Österreich in die südliche Toskana führt (Böhm 2011). Einige dieser Tiere fanden selbstständig den Rückweg, und 2008 führte ein vom Menschen “ausgebildeter” Waldrapp erstmals selbst Handaufzuchten ins Winterquartier. Im August 2011 startete bereits die achte Migrationsgruppe und ist mit 14 Waldrappen am 22. September gut angekommen (http: / / www.waldrappteam.at/ waldrappteam/ indexl.htm). 4 Komplexe technische Attrappen und Inszenierungen Dieser Abschnitt stellt zwei der modernsten Ansätze vor, nämlich Einsatzbereiche für Robotertiere und technische Simulationen natürlicher Lebensrhythmen. 4.1 Robotertiere als simulierte Artgenossen oder Feinde Derzeit vorhandene Robotertiere dienen entweder der menschlichen Unterhaltung wie der Hund Aibo von Sony oder das Saurierbaby Pleo von Ugobe, oder sie übernehmen bestimmte Serviceaufgaben wie das Seehundbaby Paro in der Altenbetreuung (http: / / www.parorobots. com/ und Schmauks 2009a). Die hier vorgestellten Robotertiere hingegen sollen echte Tiere beeinflussen. Das EU-Großprojekt “Leurre” (= Köder) hat das Ziel, “gemischte Gesellschaften” von Tieren und Robotern zu gründen (http: / / leurre.ulb.ac.be/ index2.html). Als Prototyp wurde der Insekten-Roboter InsBot geschaffen. Er ist zwar nur ein kleiner Quader auf Rädchen, riecht und bewegt sich aber wie eine Kakerlake. Anders als echte Schaben jedoch bevorzugt er Helligkeit und soll seine Urbilder aus ihren dämmrigen Schlupfwinkeln locken, so dass man sie leichter vernichten kann. Da die geselligen Insekten ihn als Artgenossen anerkennen, bleiben sie arglos auch dann in seiner Nähe, wenn er an einer schabenfeindlich hellen Stelle verharrt. Dasselbe Projekt hat noch mehr Robotertiere auf seiner Agenda. So soll ein Robo- Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 397 Schaf als Leittier seine Herde von Klippen und anderen Gefahren fernhalten, und ein Robo- Huhn die Hühner im Massenstall zu mehr gesunder Bewegung animieren. Im Bereich Vergrämung wurde der ferngesteuerte Falco Robot entwickelt, der kleinere Vögel von Flughäfen vertreiben soll, um die Gefahr des Vogelschlags zu vermindern. 4.2 Tierwelt am Draht. Komplexe Simulationen von Lebensrhythmen Jedes Lebewesen ist an natürliche periodische Änderungen seines Lebensraumes angepasst, vor allem an den Wechsel von Tag und Nacht sowie den Ablauf der Jahreszeiten. Hierbei wird die angeborene innere Uhr ständig durch äußere Faktoren neu “geeicht”, etwa durch Tageslänge, Höhe des Sonnenstandes, Temperatur und Nahrungsangebot. Vom Verbraucher wenig beachtet werden diese Rhythmen heute immer umfangreicher simuliert, um den Nutzen der Tiere zu steigern. 4.2.1 Die Simulation von Tages- und Jahreszeiten Bauern haben immer schon die Tatsache genutzt, dass Dunkelheit die Tiere ruhigstellt und schneller fett werden lässt. Während Bilderbücher oft die vorindustrielle Landwirtschaft nostalgisch verklären, wurden Nutztiere in Wirklichkeit oft in engen dunklen Verschlägen gehalten (eine Zeichnung von Heinrich Zille zeigt einen Berliner Hinterhof mit einer nur tischgroßen Holzkiste, aus deren Klappe sich ein Schweinerüssel reckt). Die Zusammenhänge zwischen Beleuchtung und Verhalten sind heute gut erforscht und werden gezielt kommerziell genutzt. So wird die Umwelt konventionell gehaltener Legehennen bis in kleinste Details vom Menschen gestaltet. In Ställen ohne Tageslicht variieren Lichtprogramme die Dauer und Intensität der Beleuchtung, um den Ablauf der Jahreszeiten zu simulieren und so die Legetätigkeit zu maximieren. Von den zahlreichen unterschiedlichen Strategien kann hier nur ein Beispiel skizziert werden. Unter natürlichen Bedingungen würde eine Henne im Frühling etwa 10-12 Eier legen, das Gelege ausbrüten, ihre Küken aufziehen, sich im Herbst mausern und Reserven für den futterarmen Winter anlegen. Durch jahrtausendelange Züchtung und optimierte Ernährung liefern Legehennen heute jedoch bis zu 300 Eier im Jahr. Ihr Bruttrieb wurde zum Teil weggezüchtet, und da in einem Legebetrieb die Eier ständig über ein Transportband entfernt werden, wird aus Sicht der Henne ihr Gelege ohnehin nie vollständig. Erst die Simulation natürlicher Jahresrhythmen stellt sicher, dass es zu jeder Jahreszeit frische Eier gibt (Sudhop). Die Eintagsküken kommen im simulierten Frühsommer mit einer Tageslänge von rund 16 Stunden in den Aufzuchtsstall. In den ersten 8-10 Lebenswochen verringert man die Tageslänge allmählich auf 8-9 Stunden und füttert energiereich, damit die Tiere für den bevorstehenden “Winter” Reserven anlegen. Wenn die Junghennen mit 17-19 Wochen zu legen beginnen, verlängert man den Tag wieder allmählich auf 14-16 Stunden und behält diese Tageslänge bei, um die Legeleistung konstant zu halten. Ähnlich manipuliert wird auch die normalerweise im Herbst eintretende Mauser, während der die Tiere ihr Gefieder erneuern und 2-3 Monate lang keine Eier legen. Hennen, die sich jährlich in dieser Ruhepause allgemein erholen können, werden bis zu 10 Jahre alt, legen aber immer weniger. Wird hingegen durch konstante Beleuchtung die natürliche Mauser vermieden, so erschöpft das die Hennen so schnell, dass ihre Legeleistung nach rund 15 Monaten erheblich nachlässt und man sie schlachtet. Dagmar Schmauks 398 Alternativ kann man durch Verkürzung der Tageslänge auf wenige Stunden und Verringerung des Futters eine künstliche Mauser auslösen. Sie ist kürzer als die natürliche und ihr Zeitpunkt kann frei gewählt werden. Kleine Betriebe wählen für diese Legepause die Sommerferien oder die Zeit direkt nach Weihnachten, wenn die meisten Kunden in Urlaub sind (Halsdorf 2001: 8f). Die Vor- und Nachteile dieser Zwangsmauser werden unterschiedlich bewertet. Die Hennen leben länger und werden für den Züchter besser “amortisiert” (Zeltner 2004). Andererseits produzieren sie je Tierplatz weniger Eier und nach der Mauser mehr “Großeier”, die sich schlechter absetzen lassen (Halsdorf 2001: 10). Eine andere künstliche Auslösung der Mauser hat rein ästhetische Gründe. Züchter von Rassegeflügel, die ihre Tiere auf Schauen präsentieren wollen, können die normalerweise im Spätsommer und Herbst stattfindende Hauptmauser vorverlegen, indem sie kurzfristig die Tageslänge durch Verdunkelung des Schlages verkürzen und weniger füttern. Anschließend dient ein besonders nährstoffreiches Futter zum Wiederaufbau eines üppigen Federkleides. 4.2.2 Die Simulation von Laichwanderungen Ein globales Problem ist der weltweit steigende Bedarf nach Seefisch trotz bereits deutlicher Überfischung vieler Meeresgebiete und Fischarten. So sind die Bestände des Südlichen Blauflossen-Tunfischs, dessen Bauchfleisch vor allem in Japan für Sushi und Sashimi begehrt ist, seit den 1990er Jahren deutlich geschrumpft. Fischfarmen sind ein Ausweg, haben aber manchmal unerwünschte Nebenwirkungen wie Überdüngung der Gewässer, Krankheiten aufgrund zu hoher Bestandsdichte sowie schwer abschätzbare Folgen durch entkommene Fische. Das Hauptproblem aber war, dass sich der nomadisch lebende Tuna in Gefangenschaft überhaupt nicht fortpflanzt. Daher hatte man bisher junge Tunfische gefangen und in Aquakulturen bis zur Schlachtreife gefüttert. Folglich galt es im März 2009 als Sensation, als die Firma Clean Seas in Port Lincoln (Australien) erstmals einige Dutzend Tuna-Wildfänge erfolgreich in ihrer Fischfarm zum Laichen brachte. Das Time Magazine positionierte diesen “tank-bred tuna” in seiner Liste der 50 wichtigsten Erfindungen von 2009 an zweiter Stelle. Die benutzte Methode, in einem Bassin computergesteuert die gesamte fünf Monate dauernde Laichwanderung von Australien bis Papua-Neuguinea zu simulieren, stammt vom deutschen Züchter Hagen Stehr (Biggs and Pearson 2009, Bierach 2010). Während man in der Legehennenhaltung nur saisonale Lichtveränderungen (also Tageslänge und Helligkeit) an einem bestimmten Ort simuliert, müssen hier zusätzlich alle wichtigen Faktoren der natürlichen Ortsveränderungen einbezogen werden, also regionale Meeresströmungen sowie die allmähliche Änderung von Wassertemperatur und Salzgehalt. Sogar die Mondphasen und Sternbilder, die für tagaktive Hennen unwichtig sind, wurden durch Deckenlichter simuliert. Obwohl also die Fische immerzu in einem riesigen Becken von 25 Meter Durchmesser und 7 Meter Tiefe schwimmen, “erleben” sie eine vollständige Laichwanderung. 5 Fazit Vom durchschnittlichen Verbraucher wenig beachtet hat sich das Leben vieler Tierarten erheblich gewandelt. Der Großteil unserer Fleischtiere lebt von der Zeugung bis zur Schlachtung unter Bedingungen, die wir in allen Details so gestalten, dass die Tiere schnell und kostengünstig ihr Schlachtgewicht erreichen. Von der Aufziehmaus zur simulierten Laichwanderung 399 Beim komplexesten Beispiel der simulierten Laichwanderung ist die Inszenierung so umfassend, dass sie schon an Fassbinders Film Welt am Draht (1973) erinnert, in dem eine Gruppe von Forschern nicht nur simulierte Menschen erschafft, sondern schließlich erkennt, dass auch sie selbst nur “Simulationseinheiten” in einem “Simulakrum” sind. Jedoch bestehen im Hinblick auf Virtualität zwischen Menschen und Nutztieren mehrere grundlegende Unterschiede: 1. Menschen treiben sich freiwillig in virtuellen Welten herum, Tiere haben keine Wahl. 2. Menschen verfolgen mit dem Eintauchen in virtuelle Welten eigene Ziele, Inszenierungen für Nutztiere dienen ausschließlich den Zielen ihrer Besitzer. 3. Bei Menschen ist jede virtuelle Welt in die reale eingebettet, für Nutztiere gibt es keinen realen Rahmen. Da so viele Nutztiere inmitten von immer mehr und immer umfangreicheren Inszenierungen leben, fallen kleine Meldungen umso stärker auf, die auf die weiterhin wichtige Rolle der Realität hinweisen. Abschließend sei daher ein Ratschlag des Verbandes “Hülsenberger Zuchtschweine” (s. Website) zitiert, der die besonders frustrierte Gruppe der Sucheber betrifft. Diese Eber sind zwar ständig in Gegenwart vieler betörend duftender deckbereiter Sauen, dürfen diese aber nie bespringen, sondern sie nur für die instrumentelle Besamung aufgeilen (vgl. Abschnitt 3.2.3). Zwar wurde der Ratschlag von Menschen für Menschen formuliert, seine Beherzigung erfreut aber hoffentlich auch beide Tiere - die Sau, weil sie so (als Äquivalent einer Henkersmahlzeit) kurz vor dem Tod zum ersten Mal einen Eber kennenlernt, und den Eber, der ja nicht weiß, dass er ausschließlich mit Todgeweihten verkehrt: “Lassen Sie die Sucheber hin und wieder brünstige Schlachtsauen decken, damit sie aktiv bleiben.” Literatur (bei allen Websites war der letzte Zugriff am 3.11.2011) Bierach, Barbara 2010: “Der furchtlose Retter des Sushi”. Welt am Sonntag vom 28.2.2010. http: / / www.welt.de/ diewelt/ wirtschaft/ article6594014/ Der-furchtlose-Retter-des-Sushi.html Biggs, Stuart und Madelene Pearson 2009: “Breeding breakthrough helps sushi baron create sustainable tuna”. http: / / www.bloomberg.com/ apps/ news? pid=newsarchive&sid=amANLM42LmeY Böhm, Christiane 2011: Der Waldrapp - Geronticus eremita. Ein Glatzkopf in Turbulenzen, Hohenwarsleben: Westarp Wissenschaften Bouissac, Paul 1993: “Semiotisches Wettrüsten: Zur Evolution artübergreifender Kommunikation”, in: Zeitschrift für Semiotik 15: 3-21 Buer, Friedrich und Martin Regner 2002: “Mit “Spinnennetz-Effekt” und UV-Absorbern gegen den Vogeltod an transparenten und spiegelnden Scheiben”, in: Vogel und Umwelt 13.1: 31-41 Busch, Walter und Dagmar Waberski 2007: Künstliche Besamung bei Haus- und Nutztieren, Stuttgart: Schattauer Diamond, Jared M. 1997: Guns, germs and steel. The fates of human societies. London: Cape. Deutsch: Arm und reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, Frankfurt a.M.: Fischer 1998 Eibl-Eibesfeldt, Irenäus 1962: “Technik der vergleichenden Verhaltensforschung”, in: Johann-Gerhard Helmcke u.a. (eds.): Handbuch der Zoologie, 8. Band, 31. Lieferung, Berlin: de Gruyter, 1-34 Etzold, Sabine 2003: “Porno im Affenkäfig”, in: DIE ZEIT 12/ 2003; http: / / www.zeit.de/ 2003/ 12/ N-Affenpornos Gernhardt, Robert und F.W. Bernstein 1976: Besternte Ernte. Gedichte aus fünfzehn Jahren, Frankfurt a.M.: Zweitausendeins Grandin, Temple and Catherine Johnson 2009: Animals make us human. Creating the best life for animals, Boston: Houghton Mifflin Dagmar Schmauks 400 Halsdorf, Stephanie 2001: Aktuelle Situation der Anwendung von Mauser bei Legehennen in der Schweiz, Zürich: Semesterarbeit am Forschungsinstitut für biologischen Landbau; http: / / n.ethz.ch/ student/ shalsdor/ Mauser.pdf Hülsenberger Zuchtschweine (ed.): “Halten Sie den Sucheber aktiv”. http: / / www.huelsenberger-zuchtschweine.de/ pdf/ Halten_Sie_den_Sucheber_aktiv.pdf Lishman, William 1996: Father goose. The adventures of a wildlife hero, London: Orion; Deutsch: Vater der Gänse. 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Von 2005 bis 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFT-Nord (Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung) in Kiel. Seit 2010 Lehrbeauftragter am Institut für Design, Kunst und Medienwissenschaft (IDKM) der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel. Oktober 2011 bis März 2012 Freisemestervertretung von Prof. Dr. Norbert M. Schmitz am Fachbereich Ästhetik der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel. Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Ernest W. B. Hess-Lüttich ist Ordinarius für Germanistik (Sprach- und Literaturwissenschaft) an der Universität Bern (Schweiz) und Extraordinarius an der University of Stellenbosch (Südafrika). Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Dialog- und Diskursforschung sowie der Text- und Kommunikationswissenschaft. Er hat bislang ca. 40 Bücher geschrieben oder herausgegeben und über 320 Aufsätze publiziert. Er war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) und ist Präsident der internationalen Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GiG), zudem Mitglied diverser Herausgebergremien und wissenschaftlicher Beiräte internationaler Zeitschriften sowie Ehrenmitglied der Gesellschaft ungarischer Germanisten (GuG). Als Gastprofessor lehrte er an renommierten Universitäten auf allen Kontinenten. Prof. Dr. Klaus H. Kiefer studierte Germanistik und Romanistik in Heidelberg, Paris und München; nach Staatsexamina und Promotion in Neuerer deutscher Literaturwissenschaft (1977 bei Walter Müller-Seidel) war er zunächst als DAAD-Lektor in Westafrika (1980-1981) und dann als Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Deutschdidaktik (Walter Gebhard) an der Universität Bayreuth tätig; 1989 habilitierte er sich und unterrichtete nach drei Jahren Schulpraxis zunächst an der Leibniz-Universität Hannover und von 1996 bis 2012 als Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München; er ist auch Gründer (und war langjähriger Vorsitzender) der Carl-Einstein-Gesellschaft / Société-Carl-Einstein und war Fellow am Center for the Humanities der Northwestern University in Evanston, Illinois. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Die Autoren / The Authors 402 Dr. Simone Neuber, Studium der Philosophie und Neueren Englischen Literatur in Tübingen und New York. Promotion in Philosophie an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit einer Arbeit über Scheingefühle. Seit September 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Ab April 2012: Thyssen-Projekt über Husserls Neutralitätsmodifikation. Mara Persello, M.A., Studium der Fächer Kunstkritik und Semiotik, 2003 Abschluss mit einer Magisterarbeit in Semiotik über die Subkulturen an der Universität Bologna. 2006-2009 Kursleiterin am Italienischen Kultur Institut Hamburg. Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Kulturen romanischer Länder an der Universität Potsdam, Doktorandin mit dem Promotionsprojekt: Systeme der Bedeutungsschöpfung der Subkultur. Forschungsinteressen: Sub- und Jugendkultur, Ikonographie, Pop-Kultur. Dr. Daniel H. Rellstab studierte Germanistik, Linguistik und ev. Theologie in Bern. Nach einem durch ein Stipendium des Schweizer Nationalfonds finanzierten Forschungsaufenthalts an der Indiana University, Bloomington und der Purdue-University, Indianapolis, USA, promovierte er 2006 mit einer Arbeit über Peirce bei Ernest Hess-Lüttich, an dessen Lehrstuhl er zuletzt als Oberassistent tätig war, bevor er als Lecturer of Intercultural Studies an die Universität Vaasa in Finnland berufen wurde; gleichzeitig arbeitet er am Abschluss seiner Habilitation in Bern. Prof. Dr. Dagmar Schmauks studierte in München, Salzburg und Saarbrücken und promovierte 1990 mit einer Arbeit über Deixis in der Mensch-Maschine-Interaktion (ersch. 1991 bei Niemeyer); 1995 habilitierte sie sich an der TU Berlin mit einer Arbeit über “Multimediale Informationspräsentation am Beispiel von Wetterberichten” (ersch. 1996 bei Academia) und unterrichtet seit 2007 als Professorin (a.p.l.) Semiotik an der TU Berlin; sie war in zahlreichen Forschungsprojekten engagiert, interessiert sich vor allem für visuelle Zeichensysteme, Kultur- und Körpersemiotik, Orientierung im Raum, Semiotik von Landkarten, multimediale Kommunikation; neben zahlreichen Aufsätzen, Berichten, Rezensionen, Übersetzungen etc. hat sie bislang sieben Bücher veröffentlicht; von 1998 bis 2004 hat sie überdies (gemeinsam mit Roland Posner) die Zeitschrift für Semiotik herausgegeben. Doris Schöps studierte Kunstpädagogik, Germanistik und Italienisch in Dresden, Rom und Berlin. 2009 bis 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Innovationszentrum Wissensforschung der TU Berlin. Derzeit Arbeit an der Dissertation zum Thema Konstruktion sozialistischer Rollenbilder im DEFA-Film bei Prof. Roland Posner (TU Berlin). Seit 2012 Stipendiatin der Bundesstiftung Aufarbeitung. Dr. Martin Siefkes studierte Musik, Deutsche Philologie und Allgemeine Linguistik; 2006 schloss er das Studium mit einer M.A.-Arbeit über die Rolle der deutschen Missionare in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika während des Nama-Herero-Aufstands 1904-1907 ab und nahm dann bis 2009 Lehraufträge zur Kulturtheorie und Linguistik an der TU Berlin wahr; 2010 promovierte er ebendort mit einer Arbeit zur semiotischen Stiltheorie; seit 2011 hat er ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung für einen zweijährigen Forschungsaufenthalt am Designinstitut der Università IUAV di Venezia; seine derzeitigen Forschungsinteressen umfassen Stiltheorie, Kulturtheorie, Artefakt- und Designforschung sowie Experimentelle Ästhetik. Peirce’s NonReduction and Relational Completeness Claims 403 Ursula Stalder, lic. phil. I, forscht und lehrt an der Hochschule Luzern im Bereich Online- Kommunikation; seit 2006 führt sie den interdisziplinären Forschungsschwerpunkt “Out-of- Home-Displays”, der sich mit der zunehmenden Durchdringung des öffentlichen Raums mit digitalen Medieninfrastrukturen beschäftigt. Ursula Stalder hat Medienwissenschaft und Germanistik an der Universität Zürich studiert und danach als Founding Partner/ CEO während rund 10 Jahren eine auf Online-Branding und -Kommunikation spezialisierte Beratungsagentur in Zürich geführt. Christian Trautsch, StR, studierte Deutsch und Philosophie (Lehramt) an der TU Berlin und unterrichtete nach den Staatsexamina in Berlin als Gymnasiallehrer; seit 2010 promoviert er nebenbei in Semiotik an der TU Berlin. Yixin Wu, M.A. studierte Visuelle Kommunikation in Hangzhou (B.A. 2003) und ‘Art in Context’ an der Universität der Künste zu Berlin (M.A. 2007).