eJournals Kodikas/Code 34/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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Während semantisierte Körperbewegungen (Gesten) mittlerweile ein etablierter Forschungsbereich sind, wurden semantisierte Körperhaltungen bisher nur randständig erforscht. Im vorliegenden Beitrag werden Grundlagen einer Körperhaltungsforschung vorgestellt. Dazu wird zunächst eine semiotische Klassifikation von Haltungs- und Bewegungstypen eingeführt, die sich auf die Merkmale 'statisch, konventionalisiert, semantisiert und kodiert' stützt. Aufbauend auf der von Roland Posner entwickelten Klassifikation grundlegender Zeichentypen (Posner 1996) wird im Anschluss eine Hierarchie von komplexen Zeichenhandlungen entwickelt, die in der Lage ist, die mit Körperhaltung verbundenen Zeichenprozesse von einfachen Signalen bis hin zur Kommunikation zu erfassen. Schließlich werden die ausdrucks- und inhaltsseitigen Klassifikationssysteme auf zwei Beispielsequenzen, die bekannten DEFA-Filmen entnommen wurden, angewandt. Währen im Alltag oft nur relativ vage Zuschreibungen möglich sind, wird gezeigt, dass Körperhaltungen im Film aufgrund von kinematographischen Mitteln stärker semiotisiert und disambiguiert sind. Unter Bezug auf Darstellungstraditionen in Ikonographie und Alltagskultur wird aufgezeigt, wie es zu Semantisierungen bei Körperhaltungen im Film kommen kann.
2011
343-4

Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm

2011
Doris Schöps
Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm Doris Schöps Während semantisierte Körperbewegungen (Gesten) mittlerweile ein etablierter Forschungsbereich sind, wurden semantisierte Körperhaltungen bisher nur randständig erforscht. Im vorliegenden Beitrag werden Grundlagen einer Körperhaltungsforschung vorgestellt. Dazu wird zunächst eine semiotische Klassifikation von Haltungs- und Bewegungstypen eingeführt, die sich auf die Merkmale statisch, konventionalisiert, semantisiert und kodiert stützt. Aufbauend auf der von Roland Posner entwickelten Klassifikation grundlegender Zeichentypen (Posner 1996) wird im Anschluss eine Hierarchie von komplexen Zeichenhandlungen entwickelt, die in der Lage ist, die mit Körperhaltungen verbundenen Zeichenprozesse von einfachen Signalen bis hin zur Kommunikation zu erfassen. Schließlich werden die ausdrucks- und inhaltsseitigen Klassifikationssysteme auf zwei Beispielsequenzen, die bekannten DEFA-Filmen entnommen wurden, angewandt. Während im Alltag oft nur relativ vage Zuschreibungen möglich sind, wird gezeigt, dass Körperhaltungen im Film aufgrund von kinematographischen Mitteln stärker semiotisiert und disambiguiert sind. Unter Bezug auf Darstellungstraditionen in Ikonographie und Alltagskultur wird aufgezeigt, wie es zu Semantisierungen bei Körperhaltungen im Film kommen kann. 1 Semiotische Klassifikation von Körperhaltungen und Körperbewegungen In diesem Beitrag 1 wird ein semiotischer Ansatz zur Untersuchung von Körperhaltung vorgeschlagen, methodisch ausgearbeitet und in Beispielanalysen angewandt. Ein semiotischer Zugriff auf Körperhaltung ermöglicht insgesamt zu verstehen, (a) was den Zeichencharakter von Haltungszeichen ausmacht; (b) welche Rolle Körperhaltungen als körperliche Zustandsereignisse in einem “Signifikations- und Kommunikationsrahmen” (Eco 1987: 64) einnehmen. Abbildung 1 stellt eine Klassifikation vor, die Körperhaltungen und Körperbewegungen mit Hilfe der Merkmale statisch, konventionalisiert, semantisiert und kodiert einteilt und benennt: 2 K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Doris Schöps 250 Abb. 1: Klassifikation von Körperbewegungen und Körperhaltungen Körperhaltungen und Körperbewegungen werden durch anatomisch-motorisches Verhalten, das im Wachzustand gegen die Schwerkraft gerichtet ist, bewirkt. Während der Vollzug einer Körperbewegung die Folge von unmittelbar ortsverändernder Muskelbewegung und -koordination ist, wird eine Körperhaltung durch örtlich fixiertes Z u s t a n d s v e r h a l t e n - muskuläre Haltetätigkeit durch Wechselwirkung von muskulären Agonisten und Antagonisten sowie Gelenkstellungen als auch Körperspannung (Muskeltonus) - eingenommen. Auf der ersten Ebene der Klassifikation wird das Merkmal +/ -statisch angewandt, um Körperbewegungen (-statisch) von Körperhaltungen (+statisch) zu unterscheiden. Jede Veränderung des körperlichen Zustands durch Veränderung der Gelenkstellungen und/ oder der Positionierung im Raum ist eine Körperbewegung. Als statisch sollen nur solche Körperzustände bezeichnet werden, die mindestens für kurze Zeit bei Ausbalancierung des Körpergleichgewichts gehalten werden können; dies setzt voraus, dass die Körperhaltung anatomisch stabil eingenommen werden kann - auch unter Zuhilfenahme von Abstützungen. Momentane Anordnungen des Körpers im Raum, die nicht “statisch” im definierten Sinn sind, kommen häufig als Ausschnitt einer Körperbewegung vor (sie erscheinen beispielsweise auf Fotos oder im Stroboskoplicht in einer Disko); sie werden hier nicht zu den Körperhaltungen gezählt. Auf der zweiten Ebene der Klassifikation lassen sich im zur Diskussion stehenden Verhaltensbereich über das Merkmal +/ -konventionalisiert Teilmengen an Bewegungs- und Haltungsvorkommnissen bestimmen: Körperbewegungen und Körperhaltungen, die eine prägnante Einheit der Form (eine Gestalt) bilden, werden als “Bewegungsfigur” (-statisch, Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 251 +konventionalisiert) respektive “Haltungsfigur” (+statisch, +konventionalisiert) bezeichnet. 3 Diese sind von “Bewegungskonfiguration” und “Haltungskonfiguration” zu unterscheiden, die nicht konventionalisiert sind. Die fünf bekannten grundlegenden Verhaltenstypen des Verharrens an Ort und Stelle, nämlich Stehen, Liegen, Sitzen, Hocken und Knien, sind wichtige Haltungsfiguren. Sie haben sich im Laufe der Evolution (etwa im Fall der Bipedie) sowie der kulturellen Entwicklung des Menschen (etwa im Fall der Sitzkulturen, die Sitzstellungen auf Stühlen hervorgebracht haben) als die anatomische “Materie” (anatomische Beschränkungen; vgl. Hjelmslev 1974) überformende Praktiken mit unterschiedlichen Zwecken herausgebildet. Die Haltungsfigur des Hockens unterscheidet sich unter anderem vom Knien dadurch, dass der Fuß die Hauptlast trägt (Vogel 2003: 30). Beim Knien trägt sie dementsprechend das Knie. Beide Haltungsfiguren kommen ebenso wie das Sitzen innerhalb eines Haltungssyntagmas vor, bei dem Knie- und Hüftgelenk angewinkelt sind. Hocken wiederum wird auf verschiedene Arten in Kulturen bevorzugt. Die Haltung des “Zehenspitzenhockens” auf dem Ballen (die Füße sind gestreckt und die Fersen haben keinen Bodenkontakt mehr, Hände und Oberarme sind auf den Oberschenkeln abgestützt) vollziehen ausgewachsene Europäerinnen und Europäer. Aufgrund des erhöhten Balanceaufwands ist sie jedoch nur kurzzeitig durchführbar. Die strukturell vergleichbare Haltung des “Fußsohlenhockens” mit Fersen-Boden-Kontakt und eng am Gesäß anliegenden Waden, die sehr lang gehalten werden kann, wird demgegenüber in nicht-westlichen Kulturen bevorzugt und weist dort die Inhaltsform, ‘Ruheposition’ zu sein, auf (Vogel 2003: 31). Auf der dritten Ebene der Klassifikation wird das Merkmal +/ -semantisiert eingeführt, um die Kategorie der “Figur” auf beiden Seiten weiter zu bestimmen. Es wird dabei von einer weiten Auffassung von Semantik ausgegangen, die auch vage und kontextabhängige Zeicheninhalte einschließt. 4 Bei den Körperbewegungen wird zwischen “Adaptor” 5 (-statisch, +konventionalisiert, -semantisiert) und “Geste” (-statisch, +konventionalisiert, +semantisiert) unterschieden. Ein Beispiele für einen Adaptor wäre das Berühren des eigenen Kinns im Gespräch, das einen rein physiologischen Zweck erfüllt. Beispiel einer Geste ist das Öffnen beider Hände 6 im Gesprächsverlauf. Für uns relevanter ist jedoch die Unterscheidung in “Pose” (+statisch, +konventionalisiert, +semantisiert) und “Position” (+statisch, +konventionalisiert, -semantisiert) im Bereich der Haltungsfigur. Als Beispiel für eine Pose sei das Strammstehen eines Rekruten der Armee genannt, dem die Zeicheninhalte ‘Disziplin’ und ‘Konzentration’ zugeordnet werden können. Beispiele für Positionen sind etwa das Sitzen mit verschränkten Beinen oder das Liegen mit ausgestreckten Armen. Auf der vierten Ebene der Klassifikation wird das Merkmal +/ -kodiert eingeführt. Kodierte Zeichen weisen stabile Form-Inhaltsbezüge auf, die sich in einer Zeichenbenutzergemeinschaft herausgebildet haben; sie haben eine feste (= kontextunabhängige) Bedeutung oder eine begrenzte Zahl alternativer Bedeutungen (Polysemie). Nicht-kodierte Gesten werden als “Bewegungssymptome”, kodierte Gesten als “Gestenembleme” 7 bezeichnet. Ein Beispiel für ersteres ist das Sich- Durch-die-Haare-Fahren, das im entsprechenden Kontext ein Anzeichen für ‘Nervosität’ ist; ein Beispiel für letzteres ist die Daumen-hoch-Geste, mit der man seinem Gegenüber ‘Alles bestens’ anzeigt. Parallel zu den Gestenemblemen haben im Bereich des Zustandsverhaltens “Posituren” (= Haltungsembleme) feste Bedeutungen, nicht-kodierte Posen werden dagegen als “Haltungssymptome” bezeichnet. Ein Beispiel für ersteres ist das starke Abspreizen des gestreckten rechten Arms durch einen Fahrradfahrer, das ‘rechts abbiegen wollen’ anzeigt, ein Beispiel für ein Haltungssymptom ist das Sitzen mit aufgestütztem Ellbogen und in die Hand gelegtem Kinn, das ‘Nachdenken’ ausdrückt. Doris Schöps 252 2 Unterschiedliche Zeichentypen Für eine pragmatische Analyse von Zustands- und Bewegungsverhalten kann das Modell von Posner (1996) zugrunde gelegt werden. Es definiert ein großes Spektrum von Zeichenprozessen und erfasst diese in ihren Zusammenhängen systematisch. Es reicht von den grundlegenden Zeichenprozess-Typen bis hin zu den Kommunikationsakten (illokutionären Akten), wie sie von Searle (1982) definiert wurden. Es ermöglicht daher die Analyse des gesamten Spektrums von Zeichenvorkommnissen und ist für die Analyse nicht-sprachlicher Zeichen im Bereich von Bewegungs- und Zustandsverhalten geeignet. 2.1 Glauben, Tun, Intendieren Seiner Struktur nach bindet das Modell den Gebrauch von Zeichen in unterschiedlich komplexe kognitive Prozesse ein, die auf Glauben, Bewirken und Beabsichtigen 8 beruhen. Das Prädikat G(b,p) beschreibt einen Glauben (Wissen, Annehmen) der Person b mit dem Inhalt p; das Prädikat T(b,f) beschreibt das Herbeiführen (Tun) des Sachverhalts f durch b; das Prädikat I(b,f) beschreibt das Beabsichtigen (Intendieren) des Sachverhalts f durch b. In der resultierenden Schreibweise lassen sich die Intentionalitätsgrade von Verhaltensweisen und Handlungen beschreiben: (1) etwas tun (Verhalten) T (b,f) Der Ausführende b tut f (im hier untersuchten Bereich handelt es sich bei f um Körperbewegungen bzw. Körperhaltungen) (2) etwas bewusst tun (bewusstes Verhalten) T (b,f) & G(b, T(b,f)) b tut f und ist sich bewusst, dass er es tut (3) etwas absichtlich tun (Handlung) T (b,f) & I(b, T(b,f)) b tut f und hat die Absicht, es zu tun (4) etwas absichtlich bewusst tun (bewusste Handlung) T (b,f) & G(b, I(b,T(b,f)) b tut f und weiß um die Absicht es zu tun (5) ostentativ: Jemanden (eine Handlung) glauben machen wollen T (b,f) & I(b, G(a, I(b,T (b,f)))) b tut f im Beisein einer Person a und beabsichtigt, dass die adressierte Person a an die Absicht von b, f zu tun, glaubt. Abb. 2: Intentionalitätsgrade von Verhaltensweisen und Handlungen. Während die kognitiven Zustände (1) bis (4) nicht notwendigerweise zeichenhaft sind, aber Interpretanten im Zeichenempfänger bilden können, indem sie Anzeichen für etwas sind, spielt sich (5) in einem Bereich ab, der die Operation des Anzeigens umfasst. Man will die adressierte Person glauben machen, dass man an einen bestimmten Sachverhalt glaubt, in einem bestimmten Zustand ist oder dass man im Begriff ist, etwas Bestimmtes zu tun. Dabei spielt es keine Rolle, ob man selbst an den Sachverhalt glaubt, sich wirklich in dem angezeigten Zustand befindet oder das Angezeigte tatsächlich tun will. Nur ein Zustands- und Bewegungsverhalten, das Anzeige-Handlungen umfasst, wird als ostentativ (lat. ostentare: ‘hinweisen’; ostentativ: ‘gewollt zur Schau gestellt’) definiert. Es bildet den Ausgangspunkt Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 253 für weitere reflektierte Zeichenhandlungen eines Senders gegenüber einem Adressaten mittels Posen und/ oder Gesten. 2.2 Vier elementare Zeichentypen Das Posner’sche Modell postuliert vier elementare Zeichentypen: Signal, Anzeichen 9 , Ausdruck, Intentionsausdruck. Ausgehend vom Signal ist jeder Zeichentyp nun ein Spezialfall des vorherigen. Die sich aus dieser Einteilung ergebenden elementaren Zeichenprozesse unterscheiden sich dabei in der Komplexität ihrer Reaktionsstruktur gemäß Wissen, Bewirken und Beabsichtigen. So sind beispielsweise Anzeichen-Prozesse nach dem Muster “E(f) G(a,p)” 10 , die zu einem Glauben im Empfänger führen, Spezialfälle von Signalprozessen nach dem Muster “E(f) T(a,r)” 11 (Posner 1996: 1663), die einfache Verhaltensreaktionen (die keines Glaubens an p bedürfen) umfassen. Insgesamt bewegen wir uns mit der erwähnten Unterscheidung noch immer im nicht-ostentativen Bereich. Ein Körperzustand kann also zum Signal, zum Anzeichen, zum Ausdruck und zum Intentionsausdruck für einen Zeichenempfänger a werden, der den Interpretanten bildet. Abbildung 3 veranschaulicht dies: Signal Ein Ereignis f verursacht ein Reaktionsverhalten r im Empfänger a E(f) T(a,r) Anzeichen Ein Ereignis verursacht den Glauben des Empfängers a an einen bestimmten Sachverhalt p. E(f) G(a,p) Ausdruck Ein Ereignis verursacht im Empfänger a einen Glauben an einen bestimmten Zustand Z des Senders b. E(f) G(a,(Z(b))) Intentionsausdruck Ein Ereignis verursacht im Empfänger einen Glauben daran, dass der Sender b beabsichtigt etwas Bestimmtes f zu tun. E(f) G(a,(I (b,T(b,f)))) Abb. 3: Elementare Zeichentypen (nach Posner 1996). 2.3 Reflektierter Zeichengebrauch durch ostentatives Verhalten Die vier elementaren Zeichentypen können ostentativ durch einen Sender ausgeführt werden, um dem Empfänger etwas zu signalisieren (Signal), um einen Sachverhalt anzuzeigen (Anzeichen), um einen inneren Zustand auszudrücken (Ausdruck) oder um sich auf ein beabsichtigtes Verhalten selbstfestzulegen (Intentionsausdruck). Es ergeben sich insgesamt Anzeige-Handlungen unterschiedlichen propositionalen Gehalts. Diese sind wiederum selbst aufeinander projizierbar: Anzeige-Prozesse können durch Einbettungen in Prozesse des Glaubens, Bewirkens, Beabsichtigens an Komplexität zunehmen. So lässt sich beispielsweise dem Empfänger gegenüber etwas signalisieren durch die Anzeige des Signalisierens selbst. Posner führt für diese Einbettungen den Terminus “Reflexionsstufen” ein und unterscheidet drei Ebenen, auf denen sich Anzeige-Handlungen bewegen können. Sie können von “Manipulationen” über “Simulationen” bis hin zu kommunikativen Akten reichen. Abbildung 4 verdeutlicht die Einbettung der Zeichentypen in verschiedene Grade ostentativen Anzeigens, wobei in der untersten Zeile die elementaren Zeichentypen und in der obersten die daraus resultierenden Typen an Kommunikationsakten stehen. Doris Schöps 254 Direktiv Assertiv Expressiv Kommissiv 2b com Kommunikation zum Rückzug auffordern (Rückzugs-verhalten durch Signalisieren, dass man den Rückzug verlangt, bewirken wollen) Gefahr besteht mitteilen (den Glauben, dass eine bestehende Gefahr angezeigt wird, bewirken wollen) traurig sein offenbaren (den Glauben, dass der Zustand von Traurigkeit beabsichtigt ist, bewirken wollen) gehen wollen zusichern (den Glauben, dass die Absicht zu gehen besteht, bewirken wollen) 2b Simulation Rückzug bewirken wollen anzeigen Gefahr-Anzeige anzeigen Traurigkeit ausdrücken anzeigen gehen wollen selbstfestlegen anzeigen 1b Manipulation Rückzug bewirken wollen (= signalisieren) Gefahr besteht anzeigen traurig sein ausdrücken gehen wollen selbstfestlegen Signal (I) Anzeichen (II) Ausdruck (III) Intentionsausdruck (IV) Abb. 4: Vier Posen, die jeweils die Zeicheninhalte ‘Rückzug’, ‘Gefahr’, ‘Traurigkeit’ sowie ‘gehen wollen’ anzeigen, eingebettet in verschiedene Grade des Glaubens, Bewirkens und Beabsichtigens seitens eines Senders. Die oberste Zeile der Tabelle in Abbildung 4 entspricht den von Searle (1982) postulierten Sprechakten “Direktiv”, “Assertiv”, “Expressiv” und “Kommissiv” (vgl. Abbildung 5), die sich damit als komplexere Spezialfälle der einfachen Zeichentypen “Signal”, “Anzeichen”, “Ausdruck” und “Intentionsausdruck” erweisen. 12 Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 255 Sprechakt Ausrichtung Illokutionärer Akt Direktiv Welt-auf-Wort/ Geist: ! W (H tut h) - Aufrichtigkeitsbedingung: Wollen W - der Hörer H vollzieht eine künftige Handlung h Beabsichtigung eines Verhaltens des Adressaten (z.B. Bitte, Befehl, Frage) Assertiv Wort/ Geist-auf-Welt: G (p) ‘Glauben, (dass p)’ Mitteilung über den Zustand der Welt (z.B. Behauptung) Expressiv keine Ausrichtung, die zum Ausdruck gebrachte Proposition wird als wahr vorausgesetzt Mitteilung über einen Zustand des Senders (z.B. Einstellungen, Gefühle mitteilen) Kommissiv Welt-auf-Wort/ Geist: K A (S tut h) - Aufrichtigkeitsbedingung: Absicht A - der Sender S vollzieht eine künftige Handlung h Festlegung des Senders auf ein zukünftiges Verhalten (z.B. Versprechen, Drohung) Abb. 5: Vier Sprechakttypen (nach Searle 1982: 31ff). Das Modell von Posner (1996: 1666) in der hier dargestellten, vereinfachten Form kann auch als Analyseinstrument verwendet werden, um Posen (semantisierte Körperhaltungen) und deren Zeichengebrauch in direkter Interaktion genauer zu analysieren. Dies wird im folgenden Abschnitt anhand von zwei Beispielen aus Filmen gezeigt. Mit Hilfe der Zeichenklassifikation wird dort gezeigt, dass Körperhaltungen nicht nur Zeicheninhalte haben, sondern sogar einem ganzen Spektrum unterschiedlicher Zeichentypen zugeordnet werden können. 3 Darstellung und Inszenierung von Posen im Film 3.1 Ebenen der Semiotisierung im Film Im Folgenden werden Posen in ihrer filmischen Darstellung untersucht. Es lassen sich zwei Ebenen bestimmen, entlang derer die Semiotisierung von Körperhaltungen verläuft. Die erste besteht in der Inszenierungsebene. Sie speist sich aus den jeweils vorherrschenden theatralischen Kodes (Fischer-Lichte 2007) und deren überzeitliche notwendige Bestandteile - Bühnenraum, Requisite, Ausleuchtung, Kostüme und Maske sowie der stimmlichen und sprachlichen, körperlichen und räumlichen Präsenz der agierenden Darsteller. Die bei der Umsetzung des Drehbuchs von den Schauspielern produzierten kinesischen Zeichen - Mimik, Gestik, Haltung, Proxemik - sind ein wichtiger Teil der Choreografie vor der Kamera zur Erzeugung einer fiktiven Realität. Die gespielten Körperbewegungen, Haltungen und Gesichtszüge werden durch den inszenatorischen situativen Rahmen in ihrem Zeichengehalt verstärkt und disambiguiert. Der situative Kontext einer Sequenz, insbesondere Kostüm und mithin verkörperte Rolle, tragen entscheidend zur Semantisierung bei. Die Verkörperung von sowohl individuellen als auch typisierten Charakteren greift zudem auf stereotypes Wissen um außerfilmisch semantisierte Bewegungs- und Haltungsfiguren zurück. Auf der zweiten Semiotisierungsebene tragen die filmischen Mittel, also diejenigen Elemente, die den Film zum Film machen, zur Konstituierung von Haltungsfiguren bei. Sequentialität, Blicklenkung und Rahmung mittels Kameraführung, Kamerafahrt, Kamera- Doris Schöps 256 perspektive, Be-/ Entschleunigung, Zoom, (Un-)Schärfe in den Einstellungen, Montagetechniken sowie Mittel zur Herstellung einer akustischen Atmosphäre sind an der Konstruktion szenischer, bildrhetorischer und klanglicher Verfahren beteiligt (Kanzog 2001: 88ff). Diese haben Einfluss auf die Dekodierung des vor der Kamera angezeigten Körperverhaltens. Anschnitte, Ausschnitte rücken etwa vereinzelte Haltungskonfigurationen oder Gesichtsfelder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So kann beispielsweise die extreme Draufsicht in einer Kameraeinstellung dafür sorgen, dass eine gebückte Haltung, die eine Filmfigur ihrem Vorgesetzten gegenüber einnimmt, in ihrem Ausdruck verstärkt wird, so dass die betreffende Person uns ‘duckmäuserisch’ erscheint. Überdies gilt: “Kinese oder Körpersprache ist grundsätzlich ein metonymisches Index- System der Bedeutung” (Monaco 2001: 174) im Film, bei dem Teile für das Ganze oder einzelne Exemplare (Token) für eine Klasse (Typ) stehen. Filmische und theatralische kinesische Zeichen wie “ein Gesicht, ein Nacken, eine Auge, ein Mund [können für] eine ganze Menschengruppe, einen Stand, eine Klasse” 13 stehen. Insbesondere die genuin filmischen Verfahren semantisieren situative Körperzeichen dort, wo es im alltäglichen Kontext an semantischem Gehalt mangelt oder wo die Zeicheninhalte vage bleiben. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Präsenz einer Kamera und die vielfältigen Regieanweisungen zum Rollenverhalten ein Sich-betont-Gebärden verstärken, was Verhaltensänderungen zum unbeobachteten Verhalten bewirkt, und seien sie noch so minimal. (Schauspieler wissen um dieses Problem und haben die Fähigkeit, ‘Natürlichkeit im Auftreten’ vor der Kamera zu spielen, professionalisiert). Das Wissen um den permanenten Blick der Anderen wirkt jedoch auch bereits im Alltag und trägt entscheidend zum Aufbau von Fremd- und Selbstbildern bei. Goffman (2011) hat das Phänomen der Selbstdarstellung (‘impression management’) eingehend untersucht. Die bisher dargestellten theoretischen Unterscheidungen werden im Folgenden anhand von zwei Beispielanalysen demonstriert. Dafür werden zwei kurze Filmsequenzen untersucht, die den Filmen Berlin - Ecke Schönhauser (Regie: Klein/ Kohlhaase 1957) sowie Paul und Paula (Regie: Carow 1973) entnommen sind. In den Analysen wird zunächst eine formseitige Analyse der Körperhaltung vorgenommen. Dabei wird demonstriert, dass die ostentative Durchführung einer Haltung der Schlüssel für die Zuschreibung von intentionalen Zuständen (Annahmen und Absichten) beim Haltungsausführenden ist. Die inhaltsseitige Analyse stützt sich auf die semiotische Zeichenklassifikation, die oben entwickelt wurde, und stellt die Analyse der intentionalen Prozesse in den Vordergrund: Dabei soll gezeigt werden, dass die Zuschreibung von komplexen intentionalen Zuständen für das Verständnis der jeweiligen Szenen eine wichtige Rolle spielt. 3.2 Beispielanalyse 1: Berlin Ecke Schönhauser Hauptschauplatz des Films Berlin Ecke Schönhauser aus dem Jahre 1957, in der Zeit nach dem Volksaufstand und vor dem Bau der Mauer, ist das damalige Arbeiterviertel Prenzlauer Berg im sowjetischen Sektor von Berlin. Der Film “bewegt sich durchweg im staatspolitischen Kanon und bedient bewährte Ost-West-Gut-Schlecht-Schemata” (Löser 2006: 21). Seine Stärke liegt aber für damalige Verhältnisse in seinem neorealistisch anmutenden ästhetischen Stil (etwa die Drehorte auf den Straßen Berlins statt im Studio) und in der Darstellung unangepasster ‘Halbstarker’, die der Forderung nach sozialistischen Vorzeigejugendlichen nicht entgegenkommen. So treffen sich die Protagonisten allabendlich unter der U-Bahnbrücke, um hier ihre Clique zu treffen und für öffentliche Erregung zu sorgen. Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 257 Insgesamt werden neben Tanzvergnügen, Flirt, Rangeleien und familiären Problemen auch Ausflüge mancher der Jugendlichen in die Westberliner Sektoren thematisiert. Dort kommt es zu Verwicklungen in kleinkriminelle Unternehmungen wie dem Diebstahl von Ausweisen, um über deren Verkauf an Zwischenhändler an die begehrte D-Mark zu kommen. Konflikte mit den Gesetzeshütern lassen daher nicht lange auf sich warten. Eine Filmszene zeigt nun eine Situation, in der ein Kommissar der Volkspolizei einem jungen Arbeiter namens Dieter Fragen stellt (siehe Abbildung 6). Die Situation spielt sich auf der Polizeiwache ab. Eine junge Frau hatte Dieter der Mittäterschaft beim Stehlen von Ausweisen in einer Diskothek beschuldigt. Dieters Freund Karl-Heinz, der eigentliche Schuldige, ist allerdings entkommen. 1 Kommissar “Wer war der Junge [Karl-Heinz] mit dem du [Dieter] die Mädchen abgeklatscht 14 hast? ” 2 [Schweigen, Stille] 3 Dieter: “Den könn’ Se in Frieden lassen. Der hat damit nichts zu tun.” 4 [Dieter schweigt] Kommissar im Off: “Womit hat er nichts zu tun? Na, sag schon! ” 5 [Dieter schweigt; Haltungswechsel] 6 [Dieter schweigt] Kommissar im Off: “Du musst nicht glauben, … 7 … dass ich dich für einen Verbrecher halte.” [Dieter schweigt] 8 [Schweigen, Stille] 9 [Schweigen, Stille] Abb. 6: Screenshots des Polizeiverhörs aus Berlin Ecker Schönhauser 1957 (0: 30: 52-0: 30: 59) Doris Schöps 258 Die Sequenzen (Screenshot 1-9) in Abbildung 6 sind Teil eines Verhörs. Dieses ist getragen von der prototypischen Figurenkonstellation Verhörte(r)-Ermittelnde(r). Frage und Antwort werden hier im Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren (vgl. Hickethier 1996: 59) miteinander kombiniert. Die Kameraeinstellung präsentiert Dieter in Halbnah 15 von der Hüfte an aufwärts, seine Beinhaltung sehen wir nicht, sein Oberkörper steht daher pars pro toto für das Körperganze. Dieses Stilmittel der Bildrhetorik kann als Synekdoche bezeichnet werden (Monaco 2001: 173f). Dadurch kommt Dieters Haltung als Ausdrucksmittel zur Geltung. Die leichte Draufsicht auf seine Person kann als Point-of-View-Shot des stehenden Polizisten, der die Gesprächsführung inne hat, gedeutet werden. Darüber hinaus verstärkt sie die Wahrnehmung des ‘Gekrümmt-Seins’ in Dieters Haltung. 3.2.1 Eine Pose des Sich-Abwendens Wie lässt sich der Zustand, in dem Dieter während des ganzen Verhörs bis auf wenige Ausnahmen verharrt, beschreiben? Er sitzt auf einem Stuhl bei unveränderter Körperausrichtung, Brust-, Bauch- und Hüft-Bereich sind der Kamera (und damit wohl auch dem Kommissar) zugewendet. Wie man in Screenshot 2 sieht, sind Kopf und Rumpf leicht gebeugt und nach links hinten gedreht. Der linke angewinkelte Arm ist auf dem Arbeitstisch aufgelegt und trägt hauptsächlich Dieters Gewicht, das linke Handgelenk ist leicht gebeugt und hängt über der Tischkante ohne Spannung, zum Boden hin orientiert, so dass der Zuschauer (der Polizist) Dieters Handrücken zu sehen bekommt. Sein rechter, im Ellbogen nur minimal gebeugter Arm, ist leicht angezogen und verharrt zunächst ohne Spannung parallel zum Rumpf. Innerhalb des situativen Rahmens Verhör haben schräge Körperhaltung und Kopf-und-Rumpf-Orientierung des jungen Mannes die Funktion, den Blickkontakt zum Kommissar zu meiden. Nur einmal (vgl. Screenshot Nr.3) wendet Dieter den Kopf zum Kommissar, um ihm zu antworten. 16 Prägnant sind in dieser Szene jedoch Dieters Blickvermeidung und das Verharren in einer fast stoisch anmutenden Haltungsfigur über mehrere Sekunden (Screenshot 6-9). Die Komponenten dieser Figur (die unter semiotischem Gesichtspunkt den Zeichenausdruck bildet) können über die Kombination von mehreren Prädikaten wie folgt paraphrasiert werden: 17 - SITZEN + ANGELEHNT (Stuhl) - GEBEUGT zum Tisch (Rumpf) - GESENKT + GEDREHT hinten (Kopf), - ABGESPREIZT hinten + ANGEWINKELT (linker Arm) - AUFGESTÜTZT (linker Arm, Tischplatte) - GEBEUGT (linke Hand) - AUFLIEGEND (linkes Handgelenk, Tischkante) - ANGEZOGEN + GEBEUGT leicht (rechter Arm) - DEFAULT (Beine) Abb. 7: Kombinatorik des Zeichenausdrucks 3.2.2 Die inhaltlichen Deutungsmöglichkeiten der Pose im Kontext des Verhörs Die dargestellte Zustandsfigur ist für den Kommissar bzw. für uns Filmschauende als die Zeichenempfänger zunächst einmal ein Anzeichen. Eine Rezipientenbefragung 18 legt die Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 259 Annahme nahe, dass die von Dieter ausgeführte Haltungskonfiguration im Zusammenhang mit seinem Schweigen eine Pose ist. Für deren semantische und pragmatische Einordung ergeben sich unterschiedliche Konstellationen: Die Pose verweist (a) auf Dieters Schweigen (Index). Sie kann daher metonymisch als ein Symptom der ‘Verweigerung’ gedeutet werden, was wiederum (b) auf Dieters unkooperatives Verhalten (Signal) der Polizei gegenüber schließen lässt. Ferner verweist sie für manche Befragte (c) auf Dieters Einstellung, nämlich dass er sich für unschuldig hält und damit (d) auf die Absicht Dieters (Intentionsausdruck), gar nichts weiter mehr zu sagen, um seinen Freund zu decken. Die folgende Tabelle enthält eine Übersicht, wie Dieters Pose und die ihr zugeschriebenen kognitiven Zustände und Verhaltensmuster in den Begriffen des Glaubens, Beabsichtigens und Bewirkens systematisiert werden kann. Für den Kommissar (den Empfänger a) nimmt Dieters Pose dabei jeweils den in der linken Spalte stehenden Zeicheninhalt an. Die freien Nennungen in der Rezipientenbefragung lassen sich sieben unterschiedlichen Zeichentypen zuordnen: Aufgrund der Körperhaltung von Dieter (f) glaubt der Kommissar (a), dass Dieter E(f) 1 - schweigt. G(a, T(b,f)) (Anzeichen eines Verhaltens) 2 - absichtlich so lange schweigt. G(a, I(b, T(b,f))) (Anzeichen einer Handlung) 3 - geflissentlich schweigt. G(a, I(b, T(b,f)) & G(b, T(b,f)))) (Anzeichen einer bewussten Handlung) 4 - sich zurückzieht. - die Zusammenarbeit verweigert. - in Ruhe gelassen werden möchte. G(a, T(b,r)) (Signal) 5 - dem Kommissar nichts weiter sagen wird. - nicht vorhat, mit ihm zu kooperieren. - seinen Freund schützen will. G(a, I(b, T(b,g))) (Intentionsausdruck) 6 - unschuldig ist. - schuldig ist. - stur wirkt. G(a, Z(b)) (Ausdruck) 7 - will, dass der Kommissar versteht, dass er unschuldig ist. - mitschuldig ist, aber will, dass der Kommissar ihn für unschuldig hält. G(a, T(b,f) & I(b, G(a, I(b,T (b,f))))) (Anzeichen einer Ausdrucks-Handlung) Um die Darstellung mit Hilfe der vorgeschlagenen formalen Notation zu ermöglichen, müssen die Feinheiten des sprachlichen Ausdrucks ignoriert und die beschriebenen Zeicheninhalte vereinfacht werden. Der jeweilige propositionale Gehalt spielt zudem in der Klassifikation keine Rolle: Nennungen, die einen unterschiedlichen propositionalem Gehalt postulieren (etwa Z(b): “Dieter ist schuldig” versus Z(b): “Dieter ist unschuldig” in Zeile 6), werden bei struktureller Gleichheit demselben Zeichentyp zugeordnet (Ausdruck). In Abschnitt 2 war ausgeführt worden, dass sich Zeichentypen auf unterschiedlichen Reflexionsstufen befinden können: Interpretiert beispielsweise der Empfänger eine Pose als Doris Schöps 260 Ausdruck eines propositionalen Gehalts Z(b) (“Dieter ist unschuldig”), wie in Zeile 6, ist dies etwas anderes, als wenn er sie als Anzeichen einer Ausdrucks-Handlung desselben propositionalen Gehalts empfindet, wie in Zeile 7: In letzterem Fall nimmt der Zeichenempfänger an, dass der Ausführende seine Unschuld mit der Pose ausdrücken will, während er sie im ersteren Fall (Zeile 6) als Anzeichen für Dieters Unschuld interpretiert. Solche Annahmen erfolgen im Normalfall nur dann, wenn subtile Anzeichen in der Ausführungsweise der Pose erkannt werden, die auf ein Zeichenhandeln hinweisen: Beispielsweise wenn die Pose besonders auffällig ausgeführt wird, wenn sie langsam und betont eingenommen wird oder wenn sie in betonter Hinwendung zum Empfänger erfolgt. Wenn solche Anzeichen für eine höhere Reflexionsstufe vorliegen, sprechen wir von einer ostentativen Ausführungsweise der Pose. Die Bezeichnung “ostentativ” wird also für jene Aspekte von Posen höherer Reflexionsstufen verwendet, die diese auf der Ausdrucksseite kennzeichnen. In der Tabelle liegt nur bei dem in Zeile 7 dargestellten Zeichentyp eine höhere Reflexionsstufe vor: Man kann daher annehmen, dass die Befragten, die sich entsprechend geäußert haben, die Ausführungsweise der Pose Dieters als “ostentativ” gegenüber dem Kommissar empfunden haben. Ein Vergleich der Formeln in Zeile 6 und 7 zeigt einen wichtigen Unterschied, der sich durch die Interpretation einer Pose als ostentativ ergibt: Nun wird durch den Empfänger nicht mehr angenommen, dass die Pose ein bestimmter elementarer Zeichentyp (hier ein Ausdruck) ist, sondern vielmehr, dass durch den Ausführenden (Dieter) beabsichtigt ist, dass sie vom Empfänger (Polizist) als dieser Zeichentyp (hier also als Ausdruck) interpretiert wird. Die Ausführung einer Pose mit dieser Absicht entspricht der Formel: T(b,f) & I(b, G(a, I(b,T (b,f)))), die auch als “Manipulation” bezeichnet wird (P OSNER 1996: 1666). Der Kommissar nimmt jetzt also die Haltung Dieters nicht mehr als Ausdruck der Unschuld des Ausführenden wahr, sondern als Anzeichen für eine Manipulation durch diesen, der ihn von seiner Unschuld überzeugen möchte. Es lässt sich zusammenfassen, dass mit dem Beispiel aus dem Film Berlin Ecke Schönhauser eine semantisierte Haltungsfigur, also eine Pose, vorliegt, diese aber überwiegend nicht auf höheren Reflexionsstufen angesiedelt wird: Die Pose wird als Anzeichen, Signal, Ausdruck oder Intentionsausdruck gewertet, es wird jedoch in der Mehrzahl der Nennungen nicht ausgedrückt, dass der Empfänger a (der Kommissar) an ein Zeichenhandeln des Senders (b) glaubt. Im letzten Fall der Übersicht nimmt der Kommissar eine ostentative Ausführungsweise der Pose an, die er als Anzeichen für eine nonverbale Ausdrucks-Handlung interpretiert: Er nimmt an, dass Dieter durch seine widerständige, entschlossene und doch ihm zugewandte Pose ihn glauben machen will, dass er unschuldig sei. Dies führt zu einer anderen Interpretation des Verhältnisses zwischen den beiden Figuren. 3.3 Beispielanalyse 2: Paul und Paula Das zweite Beispiel ist dem Film Die Legende von Paul und Paula (1973) entnommen, einer Liebesgeschichte mit romantischen und tragikomischen Zügen, die in Ostberlin in den 1970er Jahren spielt. Bevor die beiden Protagonisten sich begegnen, durchleben beide Charaktere Episoden, die zunächst in eine ‘falsche’ PartnerInnenwahl münden. Abbildung 8 zeigt das Sequenzprotokoll einer Szene, worin der eher schüchterne Protagonist, Paul, sich von Ines, der Tochter eines Schießbudenbesitzers, und ihrer nicht gerade raffinierten Verführungskunst in den Bann ziehen lässt. Im Laufe der Einstellungen 1 bis 23 (Abbildung 8) spricht Paul nur ein einziges Mal, und zwar vor sich hin. Auch die Frau äußert Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 261 Abb. 8: Screenshots aus Paul und Paula 1973 (0: 11: 47-0: 12: 20) Doris Schöps 262 nur ein Wort. Ansonsten verläuft die Flirtsituation der beiden, die auf einer Parkbank nebeneinander sitzen, über Blicke, Augenaufschlag, Körperhaltung und Körperbewegung von Ines. Bewährte theatralische und filmische Mittel inszenieren auf einer ersten semiotischen Stufe das Auftreten der Frau gemäß des traditionellen Rollenbildes, demzufolge Frauen ihr Interesse bei der Werbung nicht direkt ausdrücken dürfen, sondern den Mann zur Annäherung bringen müssen. Daran beteiligt sind unter anderem: Kostüm, Ausleuchtung und Kontrast des weißen Kleides von Ines zur der sie umgebenden dunklen Kulisse. Hinzu kommt die relativ geschlossen wirkende Bildkomposition, die durch die parallele Anordnung der Figuren auf einer Bank erreicht wird, was den statischen Gesamteindruck verstärkt. Kleinste Bewegungen sowie Bewegungslosigkeit im Sitzen werden durch verschiedene Verfahren hervorgehoben: sich abwechselnden Einzeleinstellungen bei den Figuren, Fragmentierung des Körpers der Frau durch Halbnah- und Naheinstellung, eine Kamerafahrt aus der Sicht Pauls (die zugleich die Zuschauer/ innen eingenommen haben) in Detaileinstellung entlang der Beine, Rumpf, Busen bis zum Gesicht der Frau (12-20). Von Paul sehen wir, im Kontrast zum Körper von Ines, die meiste Zeit nur den Kopf und dessen Drehungen bei der Zu- und Abwendung sowie sein fast regungsloses Gesicht in Großaufnahme. 3.3.1 Der körperliche Ausdruck der Frau (Ines) in der Filmszene Maske und Kostüm der Frau - lange blondierte Haare, roter Lippenstift, figurbetontes Kleid mit Schnürcoursage, kniehohe rote Lackstiefel - kennt man als modische Attribute, die teilweise bereits einen erotischen Fetischcharakter haben, zusammengenommen die Schablone eines bestimmten Bildes von Weiblichkeit in der Vorstellung generieren und dadurch indexikalisch auf die Situation der sexuellen Annäherung verweisen. Die genannten modischen Attribute beeinflussen die Haltung direkt, zum Beispiel indem das Sitzen im Kleid nur einen geringen Radius an Beinöffnung ermöglicht (vgl. Morris 2002); darüber hinaus rahmen sie das körperliche Verhalten. Die Haltungskonfiguration, die Ines vollzieht, soll nun näher ins Auge gefasst werden. Der Zeichenausdruck, auf den es hier ankommt, umfasst folgende Komponenten: Abb. 9: Kombinatorik des Zeichenausdrucks - SITZEN + ANGELEHNT (Bank) - AUSGEDREHT leicht (linke Schulter) - ABGESPREIZT + ANGEWINKELT (linker Arm) - AUFGESTÜTZT (linker Ellbogen, Banklehne) - BERÜHRT (linke Zeigefinger, Wange/ Haar) - GEBEUGT leicht (rechter Arm) - GEBEUGT leicht (rechte Hand) - BERÜHRT leicht (rechte Fingerkuppen, rechtes Knie) - GESTRECKT + GEDREHT leicht (Rumpf) - VERSCHRÄNKT (Oberschenkel) Konsultiert man Standardwerke von Verhaltensforschern, beispielsweise Desmond Morris (2002), und die sie zum Teil rezipierenden populärwissenschaftlich und kommerziell ausgerichteten Ratgeber zur ‘Körpersprache’ wie zum Beispiel Pease und Pease (2004), dann erfährt man, dass die aufgelisteten nonverbalen Verhaltensmodi anscheinend zu einem ganzen Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 263 Katalog an erotischen Triggersignalen gehören, die im Kontext einer Flirtsituation oder eines Rendezvous der Frau zugeordnet werden. Hier einige Beispiele: - Berührung im Halsbereich: “When a woman slowly and sensually strokes her […] neck or throat it infers that, if a man plays his cards right, he may be able to touch her in these same ways.” (Pease und Pease 2004: 297) - Verschränkte Oberschenkel: “Durch Verschränken der gestreckten Beine wird deren Länge und Schlankheit besonders betont. Ein solches Verhalten lässt sich in der Mehrzahl der Fälle bei Frauen beobachten, die eine ebenfalls anwesende männliche Person ins Visier genommen haben.” (Quilliam 1995: 142) - Haltungswechsel der Beine: “Wenn eine Frau zum Beispiel in Gegenwart eines Mannes wiederholt die Beine so oder anders übereinander schlägt, tut sie mehr als nur zwischen zwei geschlossenen Haltungen abzuwechseln - in Wahrheit [zieht] sie damit die Aufmerksamkeit auf ihre Beine. Ihr Motiv ist ihr meist gar nicht bewusst.” (Collett 2004: 266) - Umfassen des Oberschenkels: “Sitting with the hands clamped to the thighs is far less obvious as an ‘infantile comforter’, and yet, for some reason, males also keep away from this form of self-contact. There may be an erotic element here that can explain the difference. During fondling, in courtship sequences, it is the male who is more likely to move his hand to the female’s thighs, and so, during moments of Self intimacy, it is the female who is more likely to recreate this form of body contact.” (Morris 2002: 146) - durchgestreckter Rücken: “[D]urch verführerische Signale [werden] in erster Linie die sekundären Geschlechtsmerkmale betont. […] Wenn eine Frau […] den Rücken durchdrückt […] betont sie damit die physischen Attribute ihres Geschlechts.” (Collett 2004: 254) - Abspreizen eines oder beider angewinkelter Arme: “This is usually the first display a woman will use when she’s around a man she fancies. […] This also lets her expose her armpit, which allows the ‘sex perfume’ known as pheromone to waft across to the target man.” (Pease und Pease 2004: 295) - Reduzierte Körperbewegung: “Um feminin zu erscheinen, bewegt [die Frau] sich gern langsam, ihre Gestik ist gebremst, die Beine bleiben geschlossen und sie kultiviert den Eindruck, nicht mehr, sondern weniger Raum für ihren Körper zu brauchen. (…) Viele der Illuminationen im […] Verhalten - wie […] Berühren des Gesichts [sind] zugleich auch Unterwerfungssignale.” (Collett 2004: 255) Doris Schöps 264 Der vorliegende Beitrag beabsichtigt nicht, diese und ähnliche Aussagen über nonverbale weibliche Verführungssignale auf ihre empirische Gültigkeit zu überprüfen. Die genannten Werke reflektieren das Vorhandensein kulturell reproduzierter Genderstereotypen meist wenig und verzichten auf den empirischen Nachweis dafür, dass die beschriebenen Verhaltensweisen nur in den genannten Kontexten vorkommen und dass die behaupteten Zeicheninhalte tatsächlich im Alltag wahrgenommen werden. Zugleich findet durch die Breitenwirkung gerade der populärwissenschaftlichen Literatur (etwa Pease und Pease 2004), die oft in hohen Auflagen verkauft werden, eine Rückwirkung auf die kulturelle Wahrnehmung von Körperhaltungen statt. Unabhängig von der Nachweisbarkeit in Alltagskontexten gilt jedenfalls, dass in bildmedialen Inszenierungen kulturell präsentes stereotypes Wissen über Körperverhalten verwendet wird, und gerade dieses Wissen ist es, das in der zitierten Literatur beschrieben wird. Die oben skizzierten Haltungskonfigurationen gehören somit zum Repertoire von Posen, die in Film, Fernsehen, Werbefotografie und Magazinen inszeniert werden. 3.3.2 Die Abspreizung der Arme und ihre Darstellungstradition Das weite Abspreizen eines Arms oder beider Arme beinhaltet anatomisch, dass die Oberarme in eine waagrechte Stellung gebracht und dadurch die Achselhöhlen freigelegt werden. Das Ellbogengelenk kann wiederum stark gebeugt sein, so dass sich die charakteristische Gestalt eines zur Seite ausgestellten spitzen Winkels zwischen Ober- und Unterarm ergibt. Das Schulterblatt wird nach hinten bewegt und die Brustmuskeln gedehnt. Die skizzierte Armhaltung wird in der Filmszene von Paul und Paula in einer abgeschwächten Variante von Ines vollzogen, bei der der Arm abgespreizt und abgewinkelt, aber nicht über den Kopf gehoben wird. Dennoch kann sie als eine Formvariante des Typs derjenigen Armhaltung gelten, die in der Humanethologie als “Axilla-Präsentation” (Grammer 2004) bekannt ist. Für diese nehmen Verhaltensforscher einen geschlechtsbedingten Unterschied an. Das Haltungsmerkmal wird zum einen dem Kontext des “Werbeverhaltens” der Frau und damit den “sexuellen Signalen” zugeordnet, weil “das Signal als solches Körperformen zur Schau stellen [würde], die mit dem Reproduktionserfolg zu tun haben” (Grammer 2004: 3469). Wird dieselbe Pose allerdings von einem Mann artikuliert, dann sei sie ein Anzeichen für “Dominanz” (Scheflen 1972). Grammer hat demgegenüber differenzierter belegen können - auch wenn Faktoren wie Alter, Homosexualität oder Transgender nicht berücksichtigt wurden -, dass Frauen “beide Bedeutungen benutzen: sie zeigen dieses Signal, wenn sie völlig uninteressiert an einem Mann sind […] und ebenso im anderen Extremfall, wenn sie hohes Interesse an einem Mann haben” (Grammer 2004: 3469). Fest steht jedenfalls, dass die “Axilla- Präsentation” Bestandteil einer langen ikonographischen Tradition ist, wie die Abbildungen 10 bis 14 verdeutlichen. Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 265 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13 Abbildung 14 Abb. 10-14: Verschiedene Darstellungen des Haltungstyps “Axilla-Präsentation”. Abb. 10: Ausschnitt aus dem Gemälde Liegende Quellnymphe, Lukas Cranach d. Ä., 1518, Museum der Bildenden Künste Leipzig. Abb. 11: Barockskulptur, Nymphenbad, Dresdner Zwinger, Plastik aus der Werkstatt von Balthasar Permoser, 18. Jahrhundert. Abb. 12: Gemälde Die Nymphe der Düssel, Eduard Steinbrück, Düsseldorf, 1837. Abb. 13: Aktfoto (Fotograf unbekannt). Abb. 14: Filmszene aus A Serious Man, Joel & Ethan Coen, 2009. Ströter-Bender (1994) arbeitet in ihrer kunsthistorisch ausgerichteten Abhandlung “Liebesgöttinnen. Von der Großen Mutter zum Hollywoodstar” heraus, dass das “erotische Motiv der gehobenen Arme” und die damit verbundene Öffnung des weiblichen Körpers inklusive Darbietung der entblößten Brust auf das 5. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht. Sie weist nach, dass das Bild dieser Haltungsfigur im Zusammenhang mit der mythologischen Darstellung der aus dem Meer steigenden Aphrodite erstmals belegt ist. Trimborn (1997) demonstriert in seiner filmwissenschaftlichen Untersuchung mit umfangreichem Material, dass die an- Doris Schöps 266 gehobene, angewinkelte Armkonfiguration eine der vielen Posen ist, die als Inszenierungsmittel der Sexbombe im amerikanischen Film der fünfziger und sechziger Jahre dienen. Er nimmt zudem auf die Integration der kunstgeschichtlichen Tradition in die Filmwerke Hollywoods Bezug. Zum Beispiel führt Marilyn Monroe in dem Film The Seven Year Itch von 1955 diese Pose aus, wobei diese dadurch funktional motiviert wird, dass die durch Monroe verkörperte Figur einen Fön hält und sich die Haare trocknet. Die Abbildung 15 zeigt Varianten des Zeichenausdrucks des Achseln-Präsentierens mit der Bedeutung ‘verführerisch sein’. Wie man sieht, gibt es viele Varianten: wenig oder hoch über Kopf gehobene Arme oder nur ein Arm, der gehoben wird. Die Hände sind im Nacken verschränkt (vgl. die Pose Marylin-Monroes, Abbildung 15 links), spielen mit den Locken, mit Haarsträhnen oder kehren diese aus dem Gesicht. Das lange Haar wird am Hinterkopf hochgehalten (vgl. die Pose Brigitte Bardots, Abbildung 15 Mitte). Die Hand streift die Wange, berührt den Hals, der Kopf ist leicht geneigt oder nach hinten gestreckt, so dass der Hals präsentiert wird. Der gehobene Arm hält Gegenstände (zum Beispiel einen Drink, siehe Abbildung 14). Die Arm-über-Kopf-Haltung kann im Liegen ausgeführt werden (wie auf dem Gemälde von Cranach in Abbildung 10). Die Bedeutung der Pose wird durch Mimik und Blickverhalten verstärkt, eingeschränkt oder verschoben: Während die Nymphe in Abbildung 12 selbstvergessen vor sich hin blickt, schaut die Frau auf dem Pin-up rechts in Abbildung 15 den Betrachter direkt an, wodurch der erotische Gehalt der Pose - neben Dessous, Nylonstrümpfen und Beinhaltung - verstärkt wird. Im Stehen wird die Pose mit nach oben angewinkelten Armes in Illustrierten auch gern mit der Standbein-Spielbein-Haltung der Beine kombiniert, was ein für Ausgewogenheit sorgendes “chiastisches Kompositionsschema” ergibt (T RIMBORN 1997: 83). Arme über Kopf gehoben, Arme abgespreizt und angewinkelt, Ellbogen nach vorn oder seitwärts orientiert / Hände im Nacken oder Hinterkopf verschränkt beziehungsweise zusammengehalten. Ein Arm über Kopf gehoben, abgespreizt und (leicht) angewinkelt, Handteller bedeckt Kopf bzw. deutet ‘sich durchs Haar fahren’ an oder umfasst den Nacken. Ein Arm waagerecht abgespreizt in Höhe von Schulter oder Gesicht, Ellbogen ist angewinkelt, Unterarm ist aufgestellt / aufgelegt oder über eine Lehne geneigt, Hand berührt Gesicht / Haar oder Dekolleté. Abb. 15: Formvarianten der Pose “Axilla-Präsentation”. Links: Marilyn Monroe. Mitte: Brigitte Bardot (in dem Film: Et Dieu … créa la femme, 1956, Regie: Roger Vadim). Rechts: Pin up. 19 Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 267 3.3.3 Inhaltliche Deutungsmöglichkeiten der Pose im Kontext von Paul und Paula Das Werbeverhalten der Frau gegenüber dem Mann wird in der zitierten verhaltensbiologischen Literatur in der Regel als unwillkürlich und unbewusst eingestuft, also als einfaches Verhalten, das seitens eines aufmerksamen (männlichen) Beobachters dekodiert werden kann. Bei den im Film inszenierten Posen von Ines könnte man also annehmen, dass es sich um elementare Zeichentypen (Signale, Anzeichen, Ausdrücke) handelt. Doch ist dies eine angemessene Beschreibung unserer Filmszene? Wie oben bereits erwähnt, sind vor allem die Posen, die die Frau (Ines) absichtlich ausführt, um den Mann (Paul) zu verführen, in der filmischen Situation handlungsbestimmend. In der folgenden Tabelle werden verschiedene mögliche Zeichentypen aufgeführt, um die es sich dabei handeln könnte: Die Pose von Ines (b) bewirkt, dass E(f) A Paul (a) auf Ines aufmerksam wird (f). T(a,f) Signal Die Pose von Ines (b) bewirkt, dass E(f) B 1 - Paul (a) glaubt, dass sie mit ihm flirtet (r). - Paul glaubt, dass sie ihn verführt (r). G(a, T(b,r)) Anzeichen eines Verhaltens B 2 - Paul glaubt, dass sie begehrenswert / attraktiv / sexy ist. G(a, Z(b)) Ausdruck C 1 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er sich ihr annähert / mit ihr flirtet / sie anspricht. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) T(a,r))) Signalisieren C 2 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er glaubt, dass sie an ihm interessiert ist. G(a, T(b, f) & I(b, E(f) G(a,Z(b)))) Anzeichen eines Ausdrückens Ines (b) führt eine Pose (f) mit der Absicht aus, dass T(b,f) & I(b, E(f) D 1 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er sie anschaut. - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er sie anspricht / mit ihr flirtet. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) T(a,r)))) Anzeige eines Signalisierens D 2 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er glaubt, dass sie ihn mag / an ihm interessiert ist. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) G(a,Z(b))))) Anzeige eines Ausdrückens D 3 - Paul glaubt, dass sie mit ihrer Pose erreichen will, dass er glaubt, dass sie beabsichtigt, ihn zu verführen. G(a, T(b,f) & I(b, E(f) G(a,I(b(T(b,g)))))) Anzeige des Ausdrückens einer Intention Doris Schöps 268 Im Fall A liegt die einfachste denkbare Zeichenrelation im Zusammenhang mit einer Pose vor: Die Körperhaltung von Ines bewirkt, dass Paul auf diese aufmerksam wird; sie wird zu einem Signal. Im möglichen Fall B 1 dagegen glaubt Paul an ein bestimmtes Handeln von Ines, etwa dass sie gerade mit ihm flirtet. In B 2 hält Paul Ines aufgrund ihrer Pose für begehrenswert oder sexy. Während die Fälle A und B einfache Anzeichenprozesse beschreiben, mit dem Unterschied, dass mit dem Eintreten von B 1 und B 2 spezifische Verhaltensreaktionen und Zuschreibungen innerer Zustände verbunden sind, nimmt in den Fällen C und D Paul die Pose von Ines als ostentativ wahr: Er nimmt an, dass sie mit der Absicht ausgeführt wurde, ihm ein Zeichen zu geben. Im Fall C 2 handelt es sich bei diesem Zeichen um ein Signal: Er nimmt an, dass sie erreichen möchte, dass er sich ihr annähert oder sie anspricht. In C 2 handelt es sich um einen Ausdruck: Er nimmt an, dass sie ausdrücken möchte, dass sie an ihm interessiert ist. Noch komplizierter wird der Sachverhalt in D: Hier wird nun angenommen, dass es sich um ein Senderzeichen handelt. Der stattfindende Zeichenprozess wird also ausgehend von Ines interpretiert. Sie führt eine Pose mit der Absicht aus, dass diese Paul dazu bringt, etwas zu glauben, dessen Inhalt unterschiedlich sein kann: In D 1 glaubt er, dass sie ihm mit ihrer Pose ein Signal gibt (etwa sie anzuschauen oder anzusprechen), in D 2 glaubt er, dass sie etwas ausdrückt (etwa dass sie ihn mag), und in D 3 glaubt er, dass sie ihm eine Intention zu verstehen gibt (etwa dass sie beabsichtigt, ihn zu verführen). Dies sind jedoch nicht alle Möglichkeiten; es können durchaus noch komplexere angenommen werden, bis hin zu nonverbalen Kommunikationsakten. Die obige Tabelle beschränkte sich auf einige Fälle, die besonders plausibel erscheinen. 20 Empirische Untersuchungen sind notwendig, um genau sagen zu können, welche dieser Zeichentypen von Betrachtern des Films tatsächlich wahrgenommen werden. 5 Fazit: Posen als virtuelle Praxis Zu Beginn dieses Beitrags wurde eine merkmalsbasierte Klassifikation vorgestellt, die verschiedene Typen körperbezogenen Verhaltens voneinander abgrenzt (Abb. 1). Körperhaltungen wurden dort mittels des Merkmals +/ -statisch von Körperbewegungen getrennt. Im vorliegenden Beitrag wurde überwiegend das Vorliegen der Merkmale konventionalisiert und semantisiert für verschiedene Körperhaltungen diskutiert; liegen beide Merkmale vor, handelt es sich um eine “Pose”. Im Anschluss wurde eine auf dem Modell von Posner (1996) basierende Notation vorgestellt, die für die Analyse der pragmatischen Seite von Körperbewegungen und Körperhaltungen verwendet werden kann. Mit ihrer Hilfe wurden zunächst Intentionalitätsgrade grundlegender Verhaltens- und Handlungstypen unterschieden (Abb. 2), elementare Zeichentypen (Abb. 3) und schließlich komplexere Zeichentypen mit verschiedenen Reflexionsstufen (Abb. 4) dargestellt. Diese theoretischen Grundlagen wurden schließlich anhand zweier ausführlicher Beispielanalysen angewandt (Abschnitt 3), die zeigen, wie unterschiedlich eine gegebene Pose als Zeichen angewandt und gedeutet werden kann. Der Bezug auf Filmmaterial und Ikonographie in den Beispielanalysen beruht auf der Hypothese, dass Körperhaltungen im bildmedialen Bereich eine stärkere und oft eindeutigere Semantisierung erfahren als im Alltag. Während sich Semantisierungen im alltäglichen Körperverhalten nur bei relativ wenigen Körperhaltungen feststellen lassen, haben sich bildliche und filmische Konventionen herausgebildet, die die semantischen Zuschreibungen Körperhaltungen als virtuelle Praxis im Spielfilm 269 Abb. 16: Ein Foto aus der Serie Red Light, White Sands, Black palms (2002-2007), in der Stefan Panhaus Film- und Werbeklischees im realen Leben aufgreift. 21 alltäglicher Haltungskonventionen aufgreifen, verstärken oder modifizieren. So ist das Präsentieren der Achseln bei gehobener Armhaltung über Kopf bei einer Filmfigur nicht nur ein ikonographischer Rückgriff auf die Bildtradition einer erotischen Pose der Nymphen, Sirenen und Liebesgöttinnen. Eine solche Pose kann innerhalb der filmischen Realität auch unterschiedliche Funktionen erfüllen: ‘verlokkend sein’ ausdrücken oder ‘Begehren’ vortäuschen, einen direktiven oder indirekten Sprechakt (z.B. ‘jemanden zu einer erotischen Handlung auffordern’ bzw. ‘jemanden verführen’) durchführen oder simulieren oder auf das kulturelle Schema ‘Weiblichkeit’ Bezug nehmen. Der These zufolge gibt es also mehr und eindeutigere Posen innerhalb von Bildern und Filmen als außerhalb. Das bildmedial vermittelte Körperverhalten wirkt dabei wieder in den Alltag zurück, wenn Menschen sich nach Konventionen, die in der Ikonographie und Fotografie entstanden sind und über Filme, Modefotografie und Werbung popularisiert werden, selbst inszenieren. Ein Beispiel dieser Rückwirkung sind die Fotografien des zeitgenössischen Künstlers Stefan Panhans (geboren 1967). Die von ihm ohne Mitwissen der Fotografierten gemachten Aufnahmen von Menschen in der urbanen Öffentlichkeit - im Supermarkt, auf der Rolltreppe, in Cafés und Geschäften - wirken auf den ersten Blick wie gestellte Fotos, auf denen die unbekannten jungen Frauen und Männer sich wie vor einer unsichtbaren Kamera ostentativ zu Schau stellen (vgl. Abbildung 16). Seine Protagonisten haben offensichtlich nicht nur die Kleidung, sondern auch die Gestik und Mimik [und Posen; D.S.] ihrer medialen Vorbilder übernommen […]. Sie bewegen sich auf den Bühnen kommerzialisierter Großstädte und agieren, als wäre das Leben ein Film, in dem sie die Hauptrolle spielen (Berns et al 2005: 116). Speziell für den Film ist zusammenfassen: Körperhaltungen als Teil des kinesischen Zeichenrepertoires können hier eine eigenständige signifikative und kommunikative Funktion erlangen. Sie bilden eine virtuelle Zeichenpraxis. Sequenzanalysen des nonverbalen Auftretens in Spielfilmszenen konnten zeigen, dass Körperhaltungen kontextabhängig zum Zeichen werden, die eine oder mehrere Zeicheninhalte aufweisen (und somit Posen sind). Die ausgewählten Filmszenen machen deutlich, inwiefern Posen über ihren Anzeichen-Charakter hinaus auf der Figurenebene handlungsbestimmend sind. Denn ebenso wie mit der Produktion sprachlicher und gestischer Äußerungen können mit der Einnahme von Körperhaltungen und mit dem Vollzug von Haltungswechseln verschiedene Intentionen einhergehen. In filmwissenschaftlichen Untersuchungen können durch die Analyse der Zeichenfunktionen des Doris Schöps 270 Zustands- und Bewegungsverhaltens der fiktiven Akteure Einsichten in deren Annahmen, Absichten und Erwartungen gewonnen werden, die bei der Konzentration auf die sprachlichen Dialoge allein nicht erkennbar werden. Die Zeichenprozesse, die sich auf nonverbaler Ebene zwischen Akteuren in Filmen abspielen, sind schwer eindeutig zu erfassen; dennoch ergeben sich durch ihre Berücksichtigung zusätzliche Deutungsmöglichkeiten für die Figurenkonstellationen innerhalb des filmischen Geschehens. Literatur Berns, Jochen Jörg, Lutz Ellrich & Fritz Emslander 2005: Film. Ist und Als-ob in der Kunst, Nürnberg: Verlag für moderne Kunst Bundeszentrale für politische Bildung (ed.) 2006: Parallelwelt Film. Ein Einblick in die DEFA, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung Collett, Peter 2004: Ich sehe was, was du nicht sagst. So deuten Sie die Gesten der anderen - und wissen, was diese wirklich denken, Bergisch Gladbach: Lübbe Dascal, Marcelo et al. (eds.) 1996: Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 2. Halbband, Berlin etc.: de Gruyter Eco, Umberto 1987: Entwurf einer Theorie der Zeichen, München: Fink Ekman, Paul & Wallace V. Friesen 1969: “The repertoire of nonverbal Behavior: Categories, origins, usage and coding”, in: Semiotica 1.1 (1969): 49-98 Fischer-Lichte, Erika 5 2007: Semiotik des Theaters, vol. 1: Das System der theatralischen Zeichen, Tübingen: Narr Goffman, Erving 9 2011: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München: Piper Grammer, Karl 2004: “Körpersignale in menschlicher Interaktion”, in: Posner, Robering & Sebeok (eds) 2004: 3448-3487 Hickethier, Knut 1996: Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart: Metzler Hjelmslev, Louis 1974: Prolegomena zu einer Sprachtheorie, Stuttgart: Hueber Kanzog, Klaus 2001, Grundkurs Filmrhetorik, München: diskurs film Löser, Claus 2006: “Arbeit und Alltag, Berlin Ecke Schönhauser”, in: Bundeszentrale für politische Bildung (ed.) 2006: 18-21 Monaco, James 3 2001: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien, Hamburg: Rowohlt Morris, Desmond 2002: People Watching. 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Themenheft zu Image 16 (2012). 2 Die Einteilung in Abbildung 1 ist in Zusammenarbeit mit Roland Posner im semiotischen Forschungskolloquium an der TU Berlin entwickelt worden. 3 Die Verwendung des Terminus “Figur” in der vorgeschlagenen Klassifikation ist lose an Hjelmslevs Zeichenmodell angelehnt (1974; vgl. auch Eco 1987: 79ff). Bei Hjelmslev heißen abstrakte Einheiten der Form “Ausdrucksfiguren” oder auch “Keneme”; dies sind abgrenzbare Einheiten der Ausdrucksform, denen noch kein Inhalt zugeordnet ist. Demgegenüber sind Inhaltsfiguren (Plereme) abgrenzbare Einheiten der Inhaltsform. Im Gegensatz zu Hjelmslevs Verwendungsweise wird hier der Terminus “Figur” als Überkategorie eingesetzt, die als Unterkategorien sowohl semantisierte als auch nicht semantisierte Körperhaltungen und -bewegungen umfasst; daraus ergibt sich zugleich, dass es sich (wiederum im Gegensatz zu Hjelmslev) nicht notwendig um elementare (d.h. kleinste abgrenzbare) Einheiten der Ausdrucksebene handelt. Gemeinsam mit Hjelmslev haben die hier definierten ‘Figuren’, dass sie unabhängig von eventuellen Inhalten konventionalisiert sind. Diese nur formseitige Konventionalisierung lässt sich auch auf Umberto Ecos “S-Codes” beziehen: “S-Codes sind Systeme oder ‘Strukturen’, die auch unabhängig von jeglicher Signifikations- und Kommunikationsabsicht bestehen können […]. Sie bestehen aus einer endlichen Zahl von Elementen, die oppositionell strukturiert sind und von Kombinationsregeln beherrscht werden, die sowohl endliche als auch unendliche Ketten dieser Elemente generieren können.” (Eco 1987: 64). Die hohe Anzahl denkbarer (Bewegungs- oder Haltungs-)Konfigurationen, die aufgrund einer Kombinatorik aller anatomisch-motorisch veränderbaren Parameter des menschlichen Skelett- und Muskelapparates möglich ist, zeigt sich in der Empirie als eingeschränkt auf bestimmte Varianten, die (für eine bestimmte Kultur) zuverlässig in bestimmten Kontexten auftreten, ohne dass sich damit immer schon Bedeutungen verbinden ließen. In diesem Sinn ist “konventionalisiert” hier zu verstehen. 4 “Semantisiert” und “bedeutungstragend” werden hier nicht synonym verwendet. Mit “semantisiert” beziehe ich mich auf das, was Ausdruckspsychologen gemeinhin als den informativen Gehalt bestimmen, den ein nonverbales Signal (Verhaltensdisplay) für den Zeichenempfänger im gegebenen Kontext hat (vgl. etwa Morris 2002). Eine “Bedeutung” haben dagegen nur kodierte Zeichen; im vorliegenden Schema also Gestenembleme und Posituren. 5 Die Bezeichnung geht auf Paul Ekmans und Wallace V. Friesens (1969) einflussreiche Klassifikation nonverbalenVerhaltens zurück. Deren typologische Bestimmung richtet sich nach semiotischen (coding), sozialpsychologischen (usage) und ethologischen (origin) Gesichtspunkten. Neben den Adaptoren unterscheiden Ekman/ Friesen (1969) Illustratoren, Regulatoren, Affekt-Displays sowie Gestenembleme. 6 Die redebegleitende Geste und ihre formseitigen Varianten haben einen semantischen Kern, und zwar “ein (Gesprächs)Angebot zur Übereinstimmung intensivieren” (Müller 2004: 254). 7 Der Emblem-Begriff geht auf Ekman und Friesen (1969) zurück. 8 Posner bestimmt sie als die zentralen Begriffe, die innerhalb des Axiomensystems intensionaler Logik aufeinander beziehbar sind. (Posner 1996: 1659) 9 Posner (1996: 1664) weist darauf hin, dass der Terminus ‘Anzeichen’ innerhalb seiner Theorie nicht mit Indexzeichen im Sinne von Peirce verwechselt werden darf. Bei Anzeichen besteht eine Kausalbeziehung zwischen dem Auftreten des Zeichenträgers und dem Interpretanten (also dem Glauben an die Botschaft), wobei offen bleibt, wie dieser Glauben zustande kommt. Bei Indexzeichen besteht dagegen eine Kausalbeziehung zwischen dem Auftreten des Zeichenträgers und der Botschaft selbst. 10 Lies: Das Eintreten des Verhaltensereignisses f bewirkt, dass a (der Empfänger) die Proposition p glaubt. E ist dabei ein einstelliger Prädikator, der die Eigenschaft bezeichnet, dass das von Argumentterm f bezeichnete Ereignis (zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort) vorkommt (Posner 1996: 1660). Der Pfeil ‘ ’ ist ein zweistelliger Satzoperator, der ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis bezeichnet. 11 Lies: Das Eintreten des Verhaltensereignisses f bewirkt, dass a (der Empfänger) r tut. ‘T(a,r)’ ist dabei eine Reaktion (= Interpretant), die sich im Empfänger vollzieht. 12 Auf eine Veränderung gegenüber der in Posner (1996) vorgenommenen Klassifikation von Zeichentypen sei hingewiesen: Dort wird eine weitere Spalte (auf der linken Seite) angenommen, die auf dem grundlegenden Ursache-Wirkungsverhältnis E(f) E(e) in der untersten Zeile aufbaut und den fünften Searleschen Sprechakt, die Deklaration, in der obersten Zeile enthält. Diese kann weggelassen werden, da es bei Körperhaltungen wohl keine Deklarationen gibt. Doris Schöps 272 13 Herbert Iherings Rezension in der Berliner Zeitung vom 4. September 1951 zur Premiere des DEFA-Films Der Untertan (Regie: Wolfgang Staudte), zitiert nach Jacobson (2004: 366). 14 ‘Abklatschen’ bedeutet die Aufforderung zum Tanz, wobei man dem vorigen Tanzpartner die Hand auf die Schulter legt. Hier steht sie im Kontext einer Taktik des Beklauens: Während der eine Junge ein Mädchen zum Tanzen auffordert, entwendet der andere Junge ihren Ausweis aus ihrer Jacken- oder Handtasche, die am Platz zurückgelassen wurde. Im vorliegenden Fall lehnte Dieter jedoch die Komplizenschaft im Vorfeld des Tanzabends ab. 15 Eine Halbnah-Einstellung “ermöglicht noch eine Aussage über die unmittelbare Umgebung, stellt das Situative in den Vordergrund, zeigt vom Menschen zumeist auf den Oberkörper und das Gesicht bezogenen Handlungsraum” (Hickethier 1996: 59). 16 Hier dienen zudem Dieters aggressive Intonation, der von ihm geäußerte Direktiv (‘Den könn’ Se in Ruhe lassen …’) und sein angespannter Gesichtsausdruck als Anzeichen für seine Verweigerung gegenüber den Forderungen des Kommissars. 17 Die Prädikatenschreibweise umfasst einstellige und mehrstellige Prädikate, die Teilaspekte von Körperhaltungen (etwa Grundhaltungen wie ‘Sitzen’, Gelenkstellungs-Konfigurationen wie ‘abgespreizt’ oder Kontakt-Konfigurationen wie ‘angelehnt’) beschreiben. Zur einfacheren Notation können Prädikate, die sich auf dieselben Argumente beziehen, durch ‘+’ kombiniert werden: P + Q(x) = def P(x) & Q(x). Die zweistelligen Prädikate A UFGESTÜTZT (x, y) und A UFLIEGEND (x, y) fordern jeweils als erstes Argument ein Körperteil und als zweites Argument einen Artefakttyp. Hochgestellte Ergänzungen der Prädikate spezifizieren Untertypen des Prädikats (etwa Ausführungsweisen wie ‘leicht’ oder räumliche Orientierungen wie ‘hinten’). 18 Eine informelle Befragung wurde in einem Kolloquium im Mai 2011 an der TU Berlin durchgeführt. Die freien Nennungen wurden zunächst danach klassifiziert, inwieweit sie Zuschreibungen von Annahmen und Absichten enthalten (linke Spalte). Soweit dies der Fall war, wurden sie mit der in Abschnitt 2 skizzierten Formelschreibweise vereinfacht ausgedrückt (rechte Spalte). Da es hierbei nur um die Zuordnung zu unterschiedlichen Zeichentypen und Reflexionsstufen geht, konnten weitere Aspekte der Nennungen (etwa Qualifikationen wie ‘so lange’ in Zeile 2) unberücksichtigt bleiben. 19 Internetquellen der Abbildungen: http: / / thisisshangrila.files.wordpress.com/ 2011/ 08/ marilyn-monroe-1277.jpg (Bild links), http: / / www.gala.de/ asset/ Image/ 2011/ bilderstrecken/ kw05/ star-frisuren-bardot-pa.jpg (Bild Mitte), http: / / www.turistamalemolente.com.br/ wp-content/ uploads/ 2011/ 08/ estilo-pin-up-fotos-roupas4.jpg (Zugriff am 3.02. 2012). 20 Sie ergaben sich in Diskussionen in einem Kolloquium im Mai 2011 an der TU Berlin; eine Überprüfung durch Rezipientenbefragung ist geplant. 21 Internetquelle: http: / / www.stefanpanhans.com/ photo3.html. (Zugriff am 3.2.2012).