eJournals Kodikas/Code 34/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2011
343-4

Geld als virtuelle Praxis

2011
Lars C. Grabbe
Geld als virtuelle Praxis Georg Simmels Beitrag zu einer semiotischen Werttheorie des “Als-Ob” Lars C. Grabbe Georg Simmels transcendental theory of money is closely connected with a sociosemiotic theory of value and the “As-If” as an inherent concept. In this orientation his precise analysis of the condition of the possibility of money is a valid connection of his philosophical and formalsociological theory. Exactly this connection, against the background of a transcendental theory of subjective consciousness, enables him to establish an extensive philosophy of society. His concept of society is a process-related construct of reciprocity and human interaction that develops a systemic-relational “entireness”. These “entireness” turns into a real social “unity” if individual meaning, interests and purposes form a mediatised relationship of “togetherness”. In this perspective the concept of “soul” is a phenomenon of contact and social diffusion and a frontier incident of the inner world and outside world: more precisely the “soul” is defined as flow of imagination that creates inner representations. That forms the background for the ontology of virtual contingency, which is constructed by the flow of imagination, and designates “soul” as a process-driven element of interactive sociality. In his Philosophy of Money (1900) he develops a semiotic relationship of value, exchange and money to combine it with the concept of an aesthetic condition of the modern individual. He elaborates the symbolic dimension of subjective cognition and a modern form of aesthetics as rational principle of comprehension. Because of the complex correlation of transcendental consciousness and phantasmatic-imaginary cognition the function value of money demonstrates a mental and virtual access to reality, allows the modulation of consciousness by a sublime feeling of superiority and the ownership of money constitutes an aesthetic expansion of subjective existence. The obtainment, ownership or use of money, are elements of a virtual practice that is fully realised by an aesthetic form of consciousness. The main parameter of aesthetic consciousness is the synthesis of active cerebration and creative phantasy. With the concept of phantasmatic-imaginary cognition Simmel develops the “As-If” as the main condition of the possibility of social reality, acceptance and feeling of value and the ontology of contingency in the concept of money. 1 Vorbemerkungen Georg Simmels (1858-1918) transzendentale Geldtheorie zeigt sich als eng verknüpft mit einer soziosemiotischen Werttheorie und dem darin enthaltenen Konzept des Als-Ob. In dieser Orientierung präsentieren sich Simmels präzise Analysen der Bedingungen der Möglichkeit des Geldes als valide Verbindung seiner philosophischen wie auch formal-soziologischen Theorie. Es ist genau diese Verbindung soziologischer und philosophischer Theorie, K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 34 (2011) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Lars C. Grabbe 236 vor dem Hintergrund einer transzendentalphilosophischen Theorie subjektiven Bewusstseins, die es Simmel ermöglicht das Konzept einer “[…] Philosophie der Gesellschaft […]” (Simmel 1992: 41) zu etablieren: Das Subjekt ist bei Simmel Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft als Träger des Wissens um die Vergesellschaftung. Aber das Subjekt ist diese intellektuelle Bedingung […] als realontisches Element, als realer Wirkfaktor, und die Gesellschaft ist Wissenstatsache nicht als Erkenntnisgegenstand, sondern als Sein. Damit ist die formalkategoriale Apriorität des subjektiven Bewusstseins zugleich sozialontische Priorität (Lieber; Furth 1958: 45). Der Gesellschaftsbegriff zeigt sich demnach als prozessuales Konstrukt, in welchem “[…] mehrere Individuen in Wechselwirkung treten” (Simmel 1992: 17) und eine systemischrelationale Ganzheit ausbilden. Das Initialmoment von Wechselwirkungen basiert auf individualpsychologischen Trieben und Zwecken, so dass ein Individuum “[…] in ein Zusammensein, ein […] Gegeneinander-Handeln, in eine Korrelation der Zustände mit anderen tritt, d.h. Wirkungen auf sie ausübt und Wirkungen von ihnen empfängt” (Simmel 1992: 18). Damit allerdings Ganzheit als eine gesellschaftliche Einheit ermöglicht wird, müssen sich diese individuellen Sinn- und Zweckhorizonte zu einem medialen Verhältnis des Füreinander ausformen: Die Vergesellschaftung ist also die, in unzähligen verschiedenen Arten sich verwirklichende Form, in der die Individuen auf Grund jener - sinnlichen oder idealen, momentanen oder dauernden, bewussten oder unbewussten, kausal treibenden oder teleologisch ziehenden - Interessen zu einer Einheit zusammenwachsen und innerhalb deren diese Interessen sich verwirklichen (Simmel 1992: 19). Da sich Gesellschaft als eine “[…] objektive Form subjektiver Seelen” (Simmel 1992: 41) konstituiert, kommt dem Begriff des Seelischen eine besondere und keinesfalls mystischtheologische Bedeutung zu: Die Konzeption der Seele bzw. des Seelischen weist sich als ein “[…] Berührungs- und Durchdringungsphänomen” (Mack & Röttgers 2007: 48) aus, welches ein “[…] Grenzphänomen zwischen Innenwelt und Außenwelt” (Mack & Röttgers 2007: 48) darstellt. In dieser Perspektive markiert sie ein spezifisch mediales Feld, welches das Verhältnis von subjektiver Vorstellung und Gesellschaft als ein mediales Verhältnis zu beschreiben ermöglicht. Der Zusammenhang zwischen Gesellschaft, Seele und subjektiver Vorstellung wird von Simmel über eine Symbolfunktion hergestellt. Zuallerst ist das Seelenleben definiert durch die “[…] Bewegung von Vorstellungen […]” (Simmel 1992: 854) die dynamisch verschiedene Kombinationen einnehmen können. Die Kombination von Vorstellungen ist hierbei ein notwendiger mentaler Differenzierungsprozess, durch den “[…] ein kontinuierlich fließender Prozess in hart gegen einander abgesetzte Elemente zerlegt […]” (Simmel 1992: 854) wird. Diese Elemente sind in der Form des subjektiven Bewusstseins gegeben und werden, weil sie in eine mental-kognitive Bedeutungshierarchie überführt werden, zu “[…] gewissermaßen substanziellen, mit Energien ausgestatteten Wesen, die von sich aus wirken und leiden” (Simmel 1992: 854). Da es sich bei den Vorstellungen um interne Repräsentationen handelt, hebt Simmel explizit hervor, dass hier nicht die “[…] unmittelbare Beschreibung des Vorhandenen” (Simmel 1992: 854) gemeint sein kann. Vielmehr wird das Seelenleben, als Bewegung von Vorstellungen, “in ein Symbol und Bild gefasst und unter Kategorien gebracht, die mit ihm selbst noch nicht gegeben sind” (Simmel 1992: 854). Hier zeigt sich bei Simmel eine Ontologie des virtuell Möglichen, die durch die Vorstellungsbedingtheit des Bewusstseins konstituiert wird, und die Seele als prozessuales Element einer interaktiven Sozialität ausweist: Geld als virtuelle Praxis 237 Die Menschen unsrer Umgebung bilden unsere erste und uns im Wesentlichen interessierende Welt: es liegt nahe, dass wir die Form der Umschriebenheit, der Selbständigkeit, der Wechselwirksamkeit, in denen ihre Elemente uns mit überwältigender Bedeutung entgegentreten, zur Organisierung und Veranschaulichung der Welt in uns verwenden, dass wir die in uns gefühlten Bewegungen so einteilen, von so für sich seienden Elementen getragen meinen, wie wir es in dieser äußeren, aber seelisch bestimmten Welt vor uns sehen (Simmel 1992: 854). 2 Werttheorie und Als-Ob Georg Simmel betont explizit die zentrale Rolle des Werts innerhalb seiner soziologischen und philosophischen Theorie, denn “[…] stellt man sich die Gesellschaft als rein objektives Schema vor, so zeigt sie sich als eine Ordnung von Inhalten und Leistungen, die nach Raum, Zeit, Begriffen, Werten aufeinander bezogen sind […]” (Simmel 1992: 57). Das Konstrukt des Werts zeigt sich hier als psychologisches Moment der subjektiven Sphäre und soziales Moment innerhalb der gesellschaftlichen Wechselwirkung und objektiven Einheit: Wertstrukturen und subjektiven Wertgefühlen kommt innerhalb Simmels Philosophie der Gesellschaft ein besonderer Stellenwert zu, denn diese werden als “[…] Praxis den Dingen gegenüber […]” (Simmel 1989: 10) gekennzeichnet. Wertstrukturen werden in Bezug auf eine “[…] Ordnung der Dinge […]” (Simmel 1989: 23) untersucht, die jedem Ding ein äußeres Bild und ein inneres Bild zuerkennt. Das äußere Bild der Dinge entspricht dabei ihrem physikalischen Wesen, durch welches sie innerhalb der Wirklichkeit zu verorten und klassifizierbar werden. Dies bezeichnet er als das “[…] naturwissenschaftliche Bild der Dinge […]” (Simmel 1989: 23), das unter gewissen Umständen durch das Subjekt neu geordnet werden kann. Diese Neuordnung hat dann nicht die Einheit der Gegenstände als mentalen Zielvektor vorgegeben, sondern die “[…] Rangierung nach Werten” (Simmel 1989: 23). Diese kann bei einer Vielzahl von Gegenständen, Gedanken und Geschehnissen (vgl. Simmel 1989: 23) vorgenommen werden, ist prinzipiell ein künstlicher und mentaler Akt des Subjekts und “[…] von einer der tiefstgehenden Zerlegungen unseres Denkens getragen” (Simmel 1989: 25). Dass Objekte demnach als wertvoll empfunden werden können, konstituiert das innere Bild der Dinge: Das ist aus ihrem “[…] bloß natürlichen Dasein und Inhalt niemals abzulesen; und ihre Ordnung, den Werten gemäß vollzogen, weicht von der natürlichen aufs weiteste ab” (Simmel 1989: 23). Eine Wertvorstellung setzt prinzipiell einen mentalen Differenzierungsprozess voraus, durch welchen sich die subjektive Sphäre des Individuums und die objektive Sphäre eines wertvollen Objekts konstituieren: Subjekt und Objekt werden in demselben Akt geboren, logisch, indem der rein begriffliche, ideelle Sachgehalt einmal als Inhalt des Vorstellens, ein anderes Mal als Inhalt der objektiven Wirklichkeit gegeben wird - psychologisch, indem das noch ichlose, Person und im Indifferenzzustande enthaltende Vorstellen in sich auseinandertritt, und zwischen dem Ich und seinem Gegenstand eine Distanz entsteht, durch die jedes von beiden erst sein vom anderen sich abhebendes Wesen erhält (Simmel 1989: 23). Die im Zitat erwähnte Distanz wird demnach einerseits als Modus beschreibbar, in dem durch die Differenzierung von Ich und Vorstellungsinhalt die Sphäre von Subjekt und Objekt konstituiert wird, andererseits führt diese Distanzierung zur psychologischen Bedingung der Wertkategorie. Auf Basis dieser Grundannahme lassen sich vier Charakteristika des Werts bestimmen. Lars C. Grabbe 238 2.1 Die erste Wertcharakteristik Die erste Charakteristik bezieht Georg Simmel auf ein Wert empfindendes bzw. genießendes Subjekt, bei dem sich vom rohen Trieb (vgl. Simmel 1989: 33) bis zum gesteigerten ästhetischen Genuss (vgl. Simmel 1989: 33) differenzierte Wert-Genuss-Momente einstellen können. Für diese Charakteristik ist entscheidend, dass sich eine sehr dominante Empfindung im genießenden Moment des Subjekts einstellt, welche “[…] weder ein Bewusstsein eines uns gegenüberstehenden Objekts als solchen, noch ein Bewusstsein eines Ich enthält, das von seinem momentanen Zustande gesondert wäre” (Simmel 1989: 33). Dies trifft dann auf den gesteigerten Trieb zu, dem es nur um exzessive Befriedigung geht, als auch auf den intellektualistisch-ästhetischen Genuss, bei dem sich das Ich im Modus symbolischer Entäußerung befindet. 2.2 Die zweite Wertcharakteristik Die zweite Charakteristik beschreibt den neu einsetzenden Bewusstseinsprozess, der die Distanzierung und Differenzierung von Subjekt und Objekt ermöglicht. Zentrales Moment ist hier das Begehren, wobei das Begehren eine mentale Spannung stabilisiert, “[…] die die naivpraktische Einheit von Subjekt und Objekt auseinandertreibt und beides - eines am anderen - erst für das Bewusstsein erzeugt […]” (Simmel 1989: 33). Das Begehren impliziert zwei Bedingungen, so darf das begehrte Objekt noch nicht in unserem Besitz für uns sein und wir dürfen es nicht bereits durch Genuss oder rohen Trieb verwerten. Es muss eine “[…] Distanz des Nochnichtgenießens […]” (Simmel 1989: 34) erhalten bleiben: “Das so zustande gekommene Objekt, charakterisiert durch den Abstand vom Subjekt, den dessen Begehrung ebenso feststellt wie zu überwinden sucht - heißt uns ein Wert” (Simmel 1989: 34). 2.3 Die dritte Wertcharakteristik Die dritte Charakteristik bezieht sich auf ein wertendes Subjekt, wobei der zentrale Aspekt des Werts hier zwar in Korrelation zum Differenzierungsprozess des Begehrens steht, dennoch aber über das Begehren hinausführt. Die Dichotomie von Begehren und Genuss bildet eine erste basale Dimension, in der sich ein intentionaler Vektor zwischen Subjekt und Objekt manifestiert. Um den Wert aus dem Spannungsfeld von Begehren und Genuss zu lösen und in eine höherstufige Bedeutungsstruktur zu überführen, integriert Georg Simmel das an Immanuel Kant (1724-1804) entlehnte Konzept des Als-Ob: Simmel nutzt dieses und richtet sich gegen die Auffassung, welche die Kategorie des Als-Ob als Fiktion bzw. bewussten Selbstbetrug klassifiziert. Vielmehr hebt er explizit den Vorteil des Als-Ob hervor, als ein “[…] “heuristisches” oder “regulatives” Prinzip […]” (Simmel 1997: 25) zu fungieren, da eine subjektive Idee einen ähnlichen Wirkungshorizont aufweist, wie eine objektive Realität. Die Kategorie des Als-Ob ist damit nicht ausschließlich der subjektiven oder objektiven Wirklichkeit zuzuordnen: Das Als-Ob gehört zu einer “[…] dritten, in diese beiden nicht aufteilbaren Schicht an, es ist eine selbständige synthetische Einheit beider […]” (Simmel 1997: 25). Die Kriterien, nach denen sich das Als-Ob als richtig oder falsch zeigt, “[…] erwachsen aus seinem eignen, unvergleichlichen Wesen und Zweck, nicht aber aus dem des Subjektiven für sich oder des Objektiven für sich” (Simmel 1997: 25). Das Als-Ob manifestiert gewissermaßen die Annerkennung des Werts innerhalb der Philosophie des Geldes: Der Wert verfügt über eine “[…] Form […] als Forderung oder Anspruch” (Simmel 1989: Geld als virtuelle Praxis 239 37), d.h. der Wert, um überhaupt generiert werden zu können und zu existieren, “[…] verlangt es, anerkannt zu werden” (Simmel 1989: 37). Diese Anerkennung modifiziert den Wert in den Modus einer komplexen und autonomen Selbständigkeit die nicht länger nur der subjektiven oder objektiven Sphäre zuzuordnen ist: “[…] in Wirklichkeit ist es eine dritte, aus jenen nicht zusammensetzbare Kategorie, gleichsam etwas zwischen uns und den Dingen” (Simmel 1989: 37). Der Wert fungiert durchaus als heuristisches und regulatives Prinzip (durch seine enthaltene subjektive Idee) und hat die “[…] praktische Wirkung auf uns, die er als objektive Realität haben würde” (Simmel 1997: 25). Die Anerkennung des Werts im Modus des Als-Ob impliziert zwei bewusstseinstheoretische Aspekte, die ihrerseits in Wechselwirkung stehen. Zuerst ist hier die Wert-Vorstellung zu nennen, die prinzipiell autonom verlaufen kann, so dass der Wert autonom und unabhängig vom subjektiven Vorstellen - als existent - zu denken ist. Diese Wertvorstellung involviert dann zusätzlich eine Wert-Empfindung: “[…] so empfinden wir Dingen, Menschen, Ereignissen gegenüber, dass sie nicht nur von uns als wertvoll empfunden werden, sondern wertvoll wären, auch wenn niemand sie schätzte” (Simmel 1989: 35). Jeder Wert ist demnach abhängig von einer differenzierten Wert-Vorstellung und kann geprägt sein durch Gefühle, “[…] allein, was wir mit diesem Gefühl meinen, ist ein an und für sich bedeutsamer Inhalt […]” (Simmel 1989: 35). Wert-Vorstellung und Wert-Empfindung prägen damit eine Rangierung nach Werten durch das Subjekt, die sich immer am offenen Maßstab möglicher Bedeutungen orientiert. Die äußerst bedeutsame Wertstruktur, die gerade in der Perspektive des Als-Ob “[…] jenseits des Dualismus von Subjekt und Objekt steht […]” (Simmel 1989: 38), wird von Simmel als eine metaphysische Kategorie (vgl. Simmel 1989: 38) beschrieben. Innerhalb dieser Kategorie erfährt der Wertbegriff gerade deshalb eine “[…] metaphysische Sublimierung […]” (Simmel 1989: 38), da der Wert in diesem Sinn nicht als objektives Element gedacht werden kann: So ist dieser für sich seiende, an sich geltende Wert nichts Objektives, weil er gerade von dem Subjekt, das ihn denkt, unabhängig gedacht wird, innerhalb des Subjekts zwar als Forderung des Anerkanntwerdens auftritt, aber auch durch die Nichterfüllung dieser Forderung nichts von seinem Wesen einbüßt (Simmel 1989: 38). In dieser sublimierten Wertvorstellung verkörpert sich ein hoch komplexes System von Sinndeutungen und Sinnzuschreibungen. Als Beispiele für diese komplexen Werte führt Simmel Symbole an, die ihren Wertmaßstab durch die Erweckung religiöser Gefühle entfalten, erwähnt das System sittlicher Forderungen und Normen, dass “ […] zu revolutionieren oder bestehen zu lassen, […] weiterzuentwickeln oder zurückzubilden […]” (Simmel 1989: 37), eine jeweilige Wertintensität bestimmt. Auch nennt er pflichtartige Empfindungen bezüglich bevorstehender Ereignisse, durch die ein Wert durch rein innerliche Reaktionen im Vorhinein geweckt wird, und ästhetische Würdigungen, durch die ein Wert entsteht, indem das sinnlich Anschauliche durch Gefühle und Gedanken ergänzt und eben “[…] nicht einfach hingenommen […]” (Simmel 1987: 37) wird. 2.3.1 Das Als-Ob als formal-soziologisches Apriori In formal-soziologischer Bestimmung entwickelt Simmel ein Klassifikationsschema, bestehend aus drei soziologischen Apriori, um “das Bewusstsein, Gesellschaft zu bilden […]” (Simmel 1992: 41) präzise beschreiben zu können. Die Apriori beinhalten eine dualistische Bedeutungsstruktur: Sie bestimmen einerseits die Vergesellschaftungsprozesse “[…] als Funktionen oder Energien des seelischen Verlaufs […]” (Simmel 1992: 46), und andererseits Lars C. Grabbe 240 bilden sie die Grundvoraussetzung der “ […] perfekten, wenngleich in dieser Perfektion vielleicht niemals realisierten Gesellschaft […]” (Simmel 1992: 46). Obwohl sie praktisch orientierte Seinszustände charakterisieren, lassen sie sich ebenfalls in erkenntnistheoretischer Perspektive fassen. Die formal-soziologisch und philosophisch relevanten Apriori werden zur notwendigen Beschreibungskategorie einer Erkenntnistheorie der Gesellschaft (vgl. Simmel 1992: 47), die explizit die “[…] apriorisch wirkenden Bedingungen oder Formen der Vergesellschaftung […]” (Simmel 1992: 47) in den Blick nimmt. Das erste Apriori thematisiert die Möglichkeit intersubjektiven Verstehens innerhalb sozialer Interaktion. Das zweite Apriori beinhaltet die Verhältnisbestimmung des Vergesellschaftet-Seins und des Nicht-Vergesellschaftet-Seins und dessen charakterologischer Konstitution einer Privatperson. Das dritte, und an dieser Stelle relevante Apriori, konstatiert das Als-Ob als notwendige Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft. Es kennzeichnet die konkrete “[…] “Möglichkeit”, einer Gesellschaft zuzugehören […]” (Simmel 1992: 59) und geht von der Annahme aus, “[…] das jeder seinen Platz in der Gesellschaft finden kann” (Helle 1988: 127). Da Gesellschaft als eine dynamische und auf Wechselwirkung basierende “[…] Verwebung qualitativ bestimmter Erscheinungen” (Simmel 1992: 58) zu bezeichnen ist, ist das Integrieren in diese Gesellschaft von der Prämisse des Als-Ob abhängig: Es strukturiert gewissermaßen einen mentalen Platz innerhalb der Gesellschaft, als virtuell vorhandene Möglichkeit, “[…] sozusagen in einer - nur vorgestellten - prästabilierten Harmonie zwischen dem Individuum und dem Ganzen” (Aulinger 1999: 77). Das Als-Ob ist Voraussetzung des subjektiven Erkenntnislebens und damit des gesellschaftlichen Lebens. In dieser Perspektive ist es als Apriori der sozialen Existenz eines Individuums zu bezeichnen, als “[…] durchgehende Korrelation seines individuellen Seins mit den umgebenden Kreisen […], - so weit es dieses Apriori nicht realisiert oder realisiert findet, ist es eben nicht vergesellschaftet […]” (Simmel 1992: 59). Ohne dieses Apriori wäre die Gesellschaft dann nicht die “[…] lückenlose Wechselwirksamkeit, die ihr Begriff aussagt” (Simmel 1992: 59). Die zentrale Konsequenz des Als-Ob, für das mentale Potential des Subjekts, liegt in der individuellen Bewusstseinstätigkeit begründet. Es gibt “[…] dem Bewusstsein des Individuums die Form, die es zu einem sozialen Element designiert” (Simmel 1992: 61). 2.4 Die vierte Wertcharakteristik Die vierte Charakteristik bezieht sich auf das Objekt eines Wertprozesses (vgl. Simmel 1989: 32), wobei hier zwischen alltäglichem Nützlichkeitswert von Sachdingen (zweckrational eingebunden in das ökonomische Tausch- und Geldsystem) und ästhetischem Wert unterschieden wird. An dieser Stelle wird ausschließlich die ästhetische Wertbestimmung fokussiert, da diese für die folgenden Überlegungen zur transzendentalen Geldlogik von Bedeutung ist. Der ästhetische Wert entwickelt sich im Modus einer rezeptiv-ästhetischen Betrachtung, die für Simmel “[…] am gründlichsten die Schranke zwischen dem Ich und den Objekten […]” (Simmel 1989: 441) beseitigt. Die Form des Wert-Genusses modifiziert sich zum spezifisch ästhetischen Genuss: Dieser lässt “[…] dem Bewusstsein eben jenen freien Spielraum […], ohne Vergewaltigungen und Dementierungen durch die Wirklichkeit - wie es alles dem ästhetischen Genießen eigen ist” (Simmel 1989: 442). In Bezug auf den ästhetischen Wert findet sich eine Anlehnung an die Ausführungen zur zweiten Charakteristik des Werts, da sich das Objekt hier aus seinem konkreten Verhältnis zum Subjekt löst und “[…] erst Geld als virtuelle Praxis 241 durch eine gewisse Distanzierung, Abstraktion, Sublimierung die Metamorphose […]” (Simmel 1989: 47) zu einem ästhetischen Objekt erfährt. Simmel erklärt, dass der ästhetische Wert, “[…] der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion des Gefühles in sie hinein […]” (Simmel 1989: 45) ist. Dieser Tatbestand evoziert jedoch eine paradoxe Situation, da diese Projektion vollkommen in das Objekt eingeht und eine Modifikation an diesem vollzieht. Der Gefühlsinhalt modifiziert das Objekt und generiert “[…] eine dem Subjekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit […], als etwas, was der Gegenstand ist” (Simmel 1989: 45). Die Modifikation des Objekts, mittels Attribuierung des ästhetischen Werts, hebt es aus einem zweckorientierten Nützlichkeitsverhältnis hinaus. Für Simmel erklärt sich hier die ästhetische Freude bzw. der Schönheitswert, den man an ästhetisch modifizierten Objekten erfährt. Denn es geht nun eben nicht länger um eine konkrete Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, sondern um dessen “[…] bloßes Anschauungsbild” (Simmel 1989: 46) in thematischer Orientierung an Arthur Schopenhauers Konzeption der Welt als Wille und Vorstellung: Diese echoartig anklingende Freude trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch bestimmt ist, dass wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstand wollen; an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm verband, tritt jetzt das bloße Anschauen seiner als Ursache der angenehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt, so dass sich unser Gefühl nur an seiner Erscheinung, nicht aber an das knüpft, was von ihm in irgendeinem Sinne konsumierbar ist (Simmel 1989: 45). Die ästhetische Freude dient Simmel einerseits als Element um den “Kern der ästhetischen Verfassung” (Simmel 1993: 88) eines Individuums nachzuweisen, andererseits liegt darin die spezifisch ästhetische Modifikation eines Objekts begründet. 3 Die transzendentalphilosophische Geldtheorie Geld zeigt sich in einer ersten und ökonomisch relevanten Annäherung als abstrakter Vermögenswert, der über einen materialen Träger verfügt (z.B. Münzen, Goldstücke, Banknoten, Muschelwährung etc.) und seine “[…] ganze Bedeutung für uns aber nur in der inneren Vorstellung hat, die er trägt oder symbolisiert” (Simmel 1989: 122). Die Symbolik des Geldes liegt in einem selbständigen Ausdruck des Tauschverhältnisses von Objekten, so dass Geld die “[…] Tatsache dieses Verhältnisses herausdifferenziert […] und jenen Gegenständen gegenüber eine begriffliche - und ihrerseits an ein sichtbares Symbol geknüpfte - Existenz gewinnt” (Simmel 1989: 122). Der individuelle Wert des Geldes (z.B. 10$) strukturiert dann das Maß der Tauschbarkeit. Geld unterscheidet sich allerdings von Alltagsdingen die deswegen gelten, weil sie einen Inhalt haben, denn Geld bezieht seinen Inhalt aus dem reinen Gelten an sich. Es wird in dieser Perspektive beschreibbar als das zur “[…] Substanz erstarrte Gelten, das Gelten der Dinge ohne die Dinge selbst” (Simmel 1989: 124). Da es demnach das Symbol des Tauschverhältnisses der Objekte darstellt, wird es von Simmel als “[…] Sublimat der Relativität der Dinge […]” (Simmel 1989: 124) beschrieben, welches gleichzeitig “[…] als der ruhende Pol den ewigen Bewegungen, Schwankungen, Ausgleichungen derselben gegenübersteht” (Simmel 1989: 124f.). Innerhalb einer Ordnung von alltäglichen Nutz- und Sachdingen und ästhetischen Objekten bekleidet Geld einen komplexen symbolischen Platz: Einerseits besitzt Geld einen konkreten sichtbaren und ökonomisch-institutionellen Wert (z.B. 5-Cent-Münze, Lars C. Grabbe 242 1-Dollar-Schein). Andererseits drückt Geld die Wertrelation von Objekten untereinander aus, obwohl es diesen dennoch gegenübersteht, und ermöglicht als Generalnenner aller Werte eine universelle Funktion, losgelöst von einem eigenen Substanzwert. Diese Universalität entbindet das Geld von einer eigenen Individualform des Werts, da es als “[…] Träger und Ausdruck der Tauschbarkeit als solcher, das unindividuellste Gebilde unserer praktischen Welt ist” (Simmel 1989: 128). Geld ist rein fungibel, da es jeden sich im Tauschprozess befindlichen Gegenstand ersetzen kann, aber nicht individuell, da man den charakteristischen “[…] Mangel jenes spezifischen Wertes an einem Ding nicht schärfer ausdrücken [kann LCG], als dass man seine Stelle durch sein Geldäquivalent ausfüllen lässt, ohne eine Lücke zu empfinden” (Simmel 1989: 128). Dennoch liegt in dieser Funktionalität die spezifische Fähigkeit des Geldes begründet die “[…] Kontinuität der wirtschaftlichen Ereignisreihe” (Simmel 1989: 129) zu gewährleisten. Dieses Kontinuitätspotential kommt ihm aufgrund einer Doppelrolle zu. Einerseits ist es innerhalb der wirtschaftlichen Reihe ein realer Faktor und institutionell garantierter Funktionsträger, andererseits steht es außerhalb der wirtschaftlichen Reihe, bedingt durch eine mental-ideelle Struktur: Denn es könnte doch wohl nicht jedes einzelne Objekt aufwiegen und zwischen beliebig diskrepanten die Brücke sein, wenn es selbst ein “einzelnes” Objekt wäre; in die Relation, in deren Gestalt sich die Kontinuität der Wirtschaft vollzieht, kann es mit absoluter Zulänglichkeit ergänzend und ersetzend nur eintreten, weil es, als konkreter Wert, nichts ist als die zu einer greifbaren Substanz verkörperte Relation der Wirtschaftswerte selbst (Simmel 1989: 130). Die Doppelrolle des Geldes manifestiert sich ebenfalls in Bezug auf das oben erwähnte Distanzparadigma. Geld verkörpert demnach Distanz, weil es als Mittel eingesetzt wird, um Objekte zu erlangen. Diese Mittelstellung rückt nun erstens die Objekte in Distanz zum Subjekt, weil diese erst im Umweg über das Geld erlangt werden können, und zweitens das Geld in Distanz zum Subjekt, weil dieses wiederum nur als Mittel zum Zweck der Beschaffung von Objekten eingesetzt wird. Werden die Objekte schließlich erhalten, so nur unter der Bedingung, dass das Geld die Objekte gleichsam aus der ökonomischen Sphäre abzieht. Die “[…] reinste Wechselwirkung hat in ihm die reinste Darstellung gefunden […]” (Simmel 1989: 137). Am Geld zeigt sich demnach die “[…] Greifbarkeit des Abstraktesten […]” (Simmel 1989: 137), weil Geld seinen Sinn aus der Übereinzelheit (vgl. Simmel 1989: 137) bezieht. Geld ist für Simmel präziser Ausdruck der produktiven Entwicklung des menschlichen Geistes und damit direkt bezogen auf die Entwicklung der Kulturgeschichte. Zeigt sich in den Anfängen des Geldverkehrs noch ein Primat des Substanzwerts, z.B. die Substanz Gold als Wertmaßstab der Goldmünze, so entwickelt sich aus dieser unmittelbaren Wertbeziehung eine für die Moderne typische ideelle Wertbeziehung. In der modernen Ökonomie ist Geld als solches dann kein wertvoller Gegenstand, denn: “[…] aus der Form der Unmittelbarkeit und Substanzialität, in der es diese Obliegenheiten zuerst erfüllt, geht es in die ideelle über, d.h. es übt seine Wirkungen als bloße Idee, welche sich an irgend ein vertretendes Symbol knüpft” (Simmel 1989: 165). Da es sich demnach in eine “[…] tiefgelegene Kulturtendenz […]” (Simmel 1989: 165) einordnet, ist es direkt abhängig von der “[…] Fähigkeit des ausgebildeten Geistes […]” (Simmel 1989: 164). Dieser vergeistigten Kulturtendenz ist eine gleichzeitige und parallel verlaufende Entwicklung symbolischer Prozesse inhärent. Simmel zufolge wächst die Symbolisierung der Realitäten (vgl. Simmel 1989: 166) innerhalb der Moderne, bedingt durch eine Steigerung und Intensivierung der Lebensmomente. Um dieser Reizsteigerung adäquat begegnen zu können, denn eine unmittelbare Beziehung zur komplex Geld als virtuelle Praxis 243 gewordenen Objektwelt erscheint erschwert, wird es nötig, “[…] mit Zusammenfassungen, Verdichtungen und Vertretungen ihrer in symbolischer Form” (Simmel 1989: 167) zu operieren. Demnach impliziert das Primat lebensweltlicher Idealität notwendigerweise eine Symbolik, “[…] die auf den niederen Lebensstufen so oft Umweg und Kraftvergeudung ist, […] auf den höheren gerade einer die Dinge beherrschenden Zweckmäßigkeit und Kraftersparnis” (Simmel 1989: 167) dient. Diese Symbolik ist durch eine Form der symbolischen Quantifizierung geprägt, die eine “[…] symbolische Behandlung der Dinge” (Simmel 1989: 169) erleichtert. Geld wird beispielsweise nicht länger, bedingt durch die Entsubstanzialisierung, auf die Qualität des eigenen Werts bezogen, sondern auf ein reines Wertquantum in numerischer Form. Durch diese Quantifizierungstendenz lassen sich dann Tauschrelationen, Abstraktionen, Durchschnitte und Zusammenfassungen einsetzen, um eine Kraftersparnis des modernen Subjekts zu erreichen. Die Entwicklung des Geistes zeichnet die Bedingung vor, durch die das Geld seinem Eigenwert gegenüber gleichgültig und zum reinen Symbol (vgl. Simmel 1989: 175) wird. In dieser Wechselbestimmung liegen die kulturphilosophischen und anthropologischen Zusammenhänge begründet, die das Geld “[…] auf seinen reinen Begriff zu und von seiner Fesselung an bestimmte Substanzen abführen” (Simmel 1989: 199). Geld zeigt sich als Bestandteil der Entwicklung des menschlichen Geistes, ist ein Symbol für die abstrakte Wertrelation, fungiert als Teilaspekt der Kulturströmungen und wird Initial kulturell-ökonomischer Entwicklungsprozesse. In dieser Perspektive bezeichnet Simmel die Geldtheorie als eine transzendentalphilosophische Geldtheorie, da es ihm explizit um die Erkenntnis geht, dass “[…] jegliches Objekt, körperhafter oder geistiger Art, für uns nur besteht, insofern es von der Seele in ihrem Lebensprozess erzeugt wird, oder genauer: insofern es eine Funktion der Seele ist” (Simmel 1989: 208). Die transzendentalphilosophische Implikation wird dem Tatbestand gerecht, dass das “[…] Wesentliche des Geldes Vorstellungen sind, die, weit über die eigene Bedeutung seines Trägers hinaus, in ihm investiert sind” (Simmel 1989: 245). Die kulturelle Entwicklung führt notwendigerweise zu einer Vergeistigung des Geldes (vgl. Simmel 1989: 246), da sich die Substanzkategorie als völlig ungeeignet für eine mentale Entwicklungsdynamik zeigt. Simmel betont, dass Geld erst dann wirklich zu Geld werden kann, wenn die Substanz zurücktritt und sich die reine Symbolik des Geldes offenbart (vgl. Simmel 1989: 246f.). Nur dann wird es “[…] zu jenem wirklichen Ineinander und Einheitspunkt wechselwirkender Wertelemente, der nur die Tat des Geistes sein kann” (Simmel 1989: 246). Seinen spezifischen Sinn bezieht das Geld in der “[…] völligen Auflösung in Bewegung und Funktion […]” (Simmel 1989: 212), d.h. in der Verkörperung des Tauschs unter sozial interagierenden Individuen. Da sich die ökonomische Kultivierung bis in internationale Kreise ausdehnt und die sozialen Kreise immer komplexere Verbindungen annehmen, schlussfolgert Simmel, dass in diesem Tatbestand eine weitere Grundlage dafür zu finden ist, dass “[…] der Substanzwert des Geldes immer geringer [wird LCG] und immer vollständiger durch seinen Funktionswert ersetzt werden kann” (Simmel 1989: 221). Da die heutige Geldform nicht länger dadurch gekennzeichnet ist “[…] was das Geld ist, sondern wozu es ist […]” (Simmel 1989: 251), gewinnt es auf der Ebene der semiotischen Funktionsbedeutung auf höherer Stufe etwas zurück, was es auf der Stufe des Substanzwerts aufgegeben hat. Durch die ontosemiotische Verschiebung der Substanzbedeutung hin zur Funktionsbedeutung entwickelt sich die Ontologie der Vorhandenheit zu einer Ontologie des Möglichen im Funktionswert des Geldes. Da sich das Geld als absolutes Mittel stabilisiert, verkörpert es, wie Simmel explizit hervorhebt, die “[…] praktische Stellung des Menschen […] zu seinen Willensinhalten” Lars C. Grabbe 244 (Simmel 1989: 265). Daher ist die Form des Geldes geeignet, um den Kern der Grundmotive des Lebens aufzudecken und diese durch die eigene Form des absoluten Mittels zu repräsentieren. Gleich dem Leben lässt sich Geld nicht auf einen alleinigen Zweck reduzieren, sondern es steht vielmehr in Beziehung “[…] zu der Gesamtheit der Zwecke” (Simmel 1989: 267). In ihm manifestiert sich die komplexe “[…] Möglichkeit der nicht vorausgesehenen Verwendung auf ihr Maximum […]” (Simmel 1989: 267) und stabilisiert das Potential einer prinzipiell unbegrenzten Einsetzbarkeit. Das Geld hat demnach nicht nur die Möglichkeit, sondern ist die Möglichkeit als virtuelle Funktion. Diese Virtualität führt zu einer Entscheidungsfreiheit der Geldverwendung für die es “[…] innerhalb des Waren- und Arbeitskreises kaum annähernde Analogien gibt” (Simmel 1989: 268). Zu dem Wert einer gegebenen Geldsumme, die gleich dem Wert des erlangten Objekts ist, tritt dann zusätzlich das Plus der Wahlfreiheit: Die virtuelle Funktion konstituiert einen Zusatzwert, das Wertplus des Geldes (vgl. Simmel 1989: 268). Dieses Wertplus konstituiert eine unbegrenzte Sphäre zwischen Subjekt und Objekt, so dass sich das Geld weit über das Subjekt hinaus erstrecken kann. In dieser Sichtweise ist das finanzielle Vermögen von einem “[…] Umkreis zahlloser Verwendungsmöglichkeiten umgeben, wie von einem Astralleib, der sich über seinen konkreten Umfang hinausstreckt” (Simmel 1989: 276). Um dieses Argument zu legitimieren begreift Simmel das ökonomische Vermögen als “[…] das Können, das Imstandesein schlechthin” (Simmel 1989: 276), welches sich grundsätzlich innerhalb der subjektiven Wirklichkeit manifestiert. Alle im Wertplus des Geldes enthaltenen Möglichkeiten werden durch das Subjekt psychologisch reflektiert (vgl. Simmel 1989: 276) und stabilisieren eine mentale Handlungsoption. Diese Option wird beschreibbar als einheitliche “[…] Macht- und Bedeutungsvorstellung […]” (Simmel 1989: 276) die durch eine “[…] reine Potentialität, die das Geld darstellt […] verdichtet […]” (Simmel 1989: 276) wird. Demgemäß sind diese Vorstellungstypen psychologisch wirksam und werden in ein konkretes Empfinden transponiert, welches “[…] zugunsten des Geldbesitzers wirksam wird” (Simmel 1989: 276). Simmel vergleicht diesen psychologischen Effekt mit dem ausgelösten Reiz eines Kunstwerks, welcher ebenfalls weit mehr beinhaltet als die sachlich notwendigen Reaktionen des ersten Eindrucks, sondern auf ein komplexes System von “[…] zufälligen, individuellen, indirekten Gefühlskombinationen […]” (Simmel 1989: 277) angewiesen ist. Strukturiert die Wahlfreiheit des Geldes die virtuelle Funktion des Wertplus’, so konstituiert die psychologisch wirksame Macht- und Bedeutungsvorstellung ein “[…] Superadditum des Geldbesitzes […]” (Simmel 1989: 281). Dieses wird als Form des metaphysischen Wesens des Geldes klassifiziert, welches explizit die “[…] Möglichkeit aller Werte als den Wert aller Möglichkeiten zur Geltung bringt” (Simmel 1989: 281). Die reine Potentialität, die das Superadditum in der subjektiven Sphäre verankert, ist ein Fundament für eine mögliche psychologisch-ästhetische Expansion (vgl. Simmel 1989: 293) des Subjekts. Aus diesem Grund vergleicht Simmel die Möglichkeits-Form bzw. virtuelle Form des Geldes mit der ideellen Gottesvorstellung und attestiert diesen Konzepten eine bedeutsame Beziehung. Die Gottesvorstellung manifestiert eine psychologisch wirksame Idee in der “[…] alle Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins […] ihre Einheit und Ausgleichung finden” (Simmel 1989: 305). Der Effekt dieser Idee wird durch das Subjekt empfunden und als Seelenfrieden oder Sicherheit reflektiert. Die durch Geldbesitz evozierten Empfindungen sind mit denen durch die Gottesvorstellung nun vergleichbar, weil die Form des Superadditums ebenfalls zu einer “[…] Erhebung über das Einzelne […]” (Simmel 1989: 305) führt. In dieser Weise konstituiert es ein “[…] Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips […]” (Simmel 1989: 305) und führt zu einem sublimierten Machtgefühl. Simmel denkt die Konzepte Macht und Geld als Modi des Geld als virtuelle Praxis 245 Könnens, in denen sich mögliche Elemente der Zukunft in der “[…] Form einer objektiv vorhandenen Gegenwart […]” (Simmel 1989: 313f.) sammeln. Können bedeutet hier allerdings nicht ein bloßes zeitliches Vorwegnehmen einer möglichen Zukunft, sondern einen sich einstellenden modifizierten Zustand der Wirklichkeit, in welchem Spannkräfte und physisch-psychische Koordinationen, als zielgerichtete Elemente, bereits vorhanden sind. Da sich die reine Form des Geldes nun explizit durch die virtuelle Funktion des unbeschränkten Zugriffs auf mögliche Objekte realisiert, ist die Einheit des Subjekts die notwendige Kategorie um die quantitative Möglichkeitsform des Geldes in Qualität der Wertempfindung zu überführen: “[…] die Beziehung auf die Einheit einer Person verwirklicht die Quantität des Geldes als Qualität, seine Extensität als Intensität, die aus dem bloß summierenden nebeneinander seiner Bestandteile nicht erzielbar wäre” (Simmel 1989: 360). 4 Geldform und Besitzform Geld löst gewissermaßen die Verbindung von Sein und Haben, weil seine Funktion als absolutes Mittel auf keine reale Sachnutzung der eigenen Geldsubstanz angewiesen bleibt, sondern gerade auf die Erlangung verschiedener Objekte abzielt. In dieser Perspektive bietet Geld eine Form der Erweiterung innerhalb der Ordnung der Dinge, denn das bloße Eigentum des Geldes ist die “[…] sozial garantierte Potenzialität der vollständigen Nutznießungen eines Objekts” (Simmel 1989: 413), wobei Geld dann die “[…] Möglichkeit der Nutznießung unbestimmt vieler Sachen” (Simmel 1989: 413) verkörpert. Die Möglichkeitsform des Geldes führt dann in aller Konsequenz zu einer “[…] Potenz des allgemeinen Eigentumsbegriffes” (Simmel 1989: 413). Beispielsweise ermöglicht ein agrarökonomischer Landbesitz neben Nutzungsrecht oder Nutzungspflicht der Bewirtschaftung auch den Genuss des erwirtschafteten Ertrags. Das Geld hingegen garantiert dem Besitzer, dass er für sein “[…] Geld Getreide, Holz, Wild usw. sich aneignen kann. […] Es legt also von sich aus nicht seine weitere Ausnutzung und Fruktifizierung fest, wie einseitig bestimmte Objekte es tun” (Simmel 1989: 413f.). Die zweckorientierten Besitzformen von Sachgegenständen, die eben nicht über den Funktionswert des Geldes verfügen, stellen demnach spezifischere Forderungen an das Subjekt und implizieren statische Wirkungsweisen als “[…] Determination oder Fesselung […]” (Simmel 1989: 415). Geldbesitz hingegen evoziert, im Kontext von Forderung und Wirkung, “[…] wenigstens unterhalb einer sehr hoch gesteckten und sehr selten erreichten Grenze, nach beiden Seiten hin volle Freiheit” (Simmel 1989: 415) und damit Potential für die dynamische Entwicklung der Persönlichkeit. Durch den Funktionswert des Geldes kann sich das moderne Individuum von der Determination des Sachbesitzes lösen und die Greifbarkeit und quantitative Bestimmtheit des Geldes nutzen, um “[…] einen gewissen Halt und psychische Erlösung gegenüber dem Schwanken und Fließen qualitativer Lebenswerte” (Simmel 1989: 417) zu generieren. Geld fehlt demnach eine Beschaffenheit, die dem Subjekt Grenzen zu setzen vermag, denn es fügt sich jedem Zweck als ein absolutes Mittel und reine Funktion. Es gewährt dem Subjekt die “[…] entschiedenste und restloseste Art, sich in ein Objekt hinein auszuleben” (Simmel 1989: 437) und mögliche Grenzen oder Hemmnisse entstammen “[…] nur aus den Dingen, die hinter ihm stehen […]” (Simmel 1989: 436). Die virtuelle Funktion des Geldes manifestiert eine scheinbar paradoxe Struktur die am deutlichsten im Vergleich mit Sachgegenständen zu Tage tritt. Simmel hebt hervor, dass ein Objekt nur etwas sein kann, wenn es selbst etwas für sich ist, “[…] nur also, indem es unserer Freiheit eine Grenze setzt, gibt es Lars C. Grabbe 246 ihr Raum” (Simmel 1989: 437). Geld hingegen ist formal nachgiebig, da es durch absolute Leerheit (vgl. Simmel 1989: 437) gekennzeichnet ist, und zugleich formal unnachgiebig, da wir es durch dessen Leerheit bereits absolut besitzen und ihm “[…] sozusagen nichts weiter entlocken” (Simmel 1989: 437) können: […] es ist mehr für uns, als irgend ein Besitzstück, weil es uns ohne Reserve gehorcht - und es ist weniger für uns, als irgend eines, weil ihm jeglicher Inhalt fehlt, der über die bloße Form des Besitzes hinaus aneigenbar wäre. Wir haben es mehr als alles andere, aber wir haben weniger an ihm, als an allem anderen (Simmel 1989: 437). Die psychologische Expansion am Konstrukt Geld ist ebenfalls paradox, da es einerseits die vollständigste Ausdehnung bis in den Bereich des nur Möglichen erlaubt, und andererseits die beschränkteste Ausdehnung zum Ausdruck bringt, weil es “[…] jegliche Form annimmt, keine aber sozusagen in sich selbst ausprägt, sondern jede Bestimmtheit derselben erst von dem umschließenden Körper erhält” (Simmel 1989: 439). In der virtuellen Funktion und psychologischen Expansion liegt das sublimierte Machtgefühl des Geldbesitzes begründet, denn es baut eine: “[…] Brücke zwischen dem so empfindenden Menschen und den Dingen, über die hinschreitend die Seele den Reiz ihres Besitzes auch dann empfindet, wenn sie zu diesem selbst gar nicht gelangt” (Simmel 1989: 440). Da es folglich direkt in der Funktion aufgeht, attestiert Simmel der Freude am Geldbesitz eine Ähnlichkeit mit der ästhetischen Freude (ästhetischer Wert), da in beiden Aspekten am gründlichsten die “[…] Schranke zwischen dem Ich und den Objekten […]” (Simmel 1989: 441) beseitigt wird. Durch den reinen Funktionswert stabilisiert es die von der sinnlichen Unmittelbarkeit entfernteste Sphäre des Möglichen, so dass die Freude am Geldbesitz ausschließlich durch einen “[…] Prozess des Denkens und der Phantasie […]” (Simmel 1989: 443) realisiert werden kann. Die Freude am Geldbesitz zeigt sich dann in Korrelation zur Möglichkeitsform des Geldes, so dass der Prozess von Denken und Phantasie die Expansionsfähigkeit des Subjekts erweitert. Sachobjekte bilden selbst die Grenze aus, an der die ästhetische bzw. psychologische Expansion des Ich nicht mehr weiterreichen kann, das Geld hingegen unterstützt eine komplexe Ich- Expansion: Durch die Fernwirkung des Geldes kann das Ich seine Macht, seinen Genuss, seinen Willen an entferntesten Objekten ausleben, indem es die nächstgelegenen Schichten vernachlässigt und übergeht […]. Die Expansionsfähigkeit des Subjekts, die durch seine Natur selbst beschränkt ist, zeigt dem bloßen Gelde gegenüber eine größere Weite und Freiheit als an jedem anderen Besitz (Simmel 1989: 445). 5 Schlussbemerkung Georg Simmel erarbeitet in seiner Philosophie des Geldes (1900) ein zeichentheoretisch orientiertes Relationsgefüge aus Wert, Tausch und Geld, um dieses mit dem Konzept einer ästhetischen Verfassung des neuzeitlichen Individuums zu kombinieren. Es gelingen ihm präzise Analysen der symbolischen Dimension subjektiver Erkenntnisfähigkeit und eine als rationales Prinzip des Verstehens fungierende Konzeption des Ästhetischen. Durch die komplexe Korrelation von transzendentalphilosophischer Bewusstseinform und phantasmatisch-imaginärem Erkenntnispotential manifestiert der Funktionswert des Geldes eine Form des virtuell-mentalen Zugriffs auf die Realität, ermöglicht die Modulation des Bewusstseins durch ein sublimiertes Machtgefühl und funktionaler Geldbesitz konstituiert Geld als virtuelle Praxis 247 sich als ästhetische Erweiterung der subjektiven Seins-Sphäre. Gelderlangung, Geldbesitz und Geldnutzung zeigen sich als Funktionselemente einer virtuellen Praxis, die sich erst durch eine ästhetische Bewusstseinsform vollständig realisiert. Zentrale Bestimmungsgröße der ästhetischen Bewusstseinsform, die gleichsam apriorische Voraussetzung der spezifisch symbolischen Erkenntnisfähigkeit des Menschen, bildet die Synthese aus produktivem Denken und schöpferischer Phantasie. Durch diese konstituiert Simmel das mentale Prinzip des Als-Ob als eine Bedingung der Möglichkeit sozialer Wirklichkeit, Wertanerkennung und Wertempfindung und einer Ontologie des Möglichen im Konstrukt des Geldes. Literatur Aulinger, Barbara 1999: Die Gesellschaft als Kunstwerk. Fiktion und Methode bei Georg Simmel, Wien: Passagen Bauer, Isidora 1961: Die Tragik in der Existenz des modernen Menschen bei Georg Simmel, Dissertation, München: Universität Blumenberg, Hans 1976: “Geld oder Leben. Eine metaphorologische Studie zur Konsistenz der Philosophie Georg Simmels”, in: Hannes Böhringer & Karlfried Gründer (eds.) 1976: Ästhetik und Soziologie um die Jahrhundertwende: Georg Simmel (= Studien zur Philosophie und Literatur des 19. Jahrhunderts 27), Frankfurt/ Main: Vittorio Klostermann, S. 121-134 Cassirer, Ernst 1989: “Dingwahrnehmung und Ausdruckswahrnehmung”, in: id. 1989: Zur Logik der Kulturwissenschaften. 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