eJournals Kodikas/Code 33/1-2

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2010
331-2

Semiotische Spiele: Schichten des Wahrnehmbaren, Dispositive und Konstellationen der Bildbetrachtung im Fernsehen. Am Beispiel der Schriften

2010
James zu Hüningen
Hans J. Wulff
Semiotische Spiele: Schichten des Wahrnehmbaren, Dispositive und Konstellationen der Bildbetrachtung im Fernsehen. Am Beispiel der Schriften James zu Hüningen / Hans J. Wulff Ausdrucksseitig spielen Schriften gelegentlich eine Rolle in Tätigkeiten, die der Filmrezeption eigentlich äußerlich sind. So werden Schriften meistens zum Scharfstellen verwendet, weil sie - anders als die gestaffelte Tiefenschärfe des Bildes - auf jeden Fall im Schärfenbereich der Projektion liegen. Unschärfe von Schriften ist darum aber auch für den Zuschauer ein Indikator der Qualität der Vorführung. Unschärfen in Schriften sind ungemein wahrnehmungsauffällig: Das Emblem von “Focus Features” hat ein unscharfes “o”, das im Kontrast zu den superscharfen Lettern im Umfeld sich deutlich abhebt. Dieser winzige Firmenvorspann ist übrigens selbst ein winziges Stückchen Reflexivität des Kinos (auf der Ebene des “guten” oder “scharfen Bildes”), weil er die Tatsache der Projektion des Bildes thematisiert. Dispositive und das Doppel von Schrift- und Bildraum Der Begriff des Dispositivs ist sicher einer der Begriffe, die in der Medienwissenschaft am intensivsten diskutiert worden sind. Er steht durchaus nicht fest. Ursprünglich wohl von Foucault vorgeschlagen, versteht man darunter eine sich historisch permanent verändernde Ordnung aus Diskursen, Praktiken und Wissen, die den Gesellschaftsmitgliedern Aufschluß darüber geben kann, was als wirklich angesehen ist, in welchen Blickwinkeln es zu einer jeweiligen Zeit erfahren werden kann, ob und wie ein Gegenstand zweifelhaft ist oder in der Kritik steht. Dispositive sind aber nicht nur schematische Superstrukturen eines nominalistisch-wissenssoziologischen Weltkonzepts, sondern zugleich Maskierungen der Machtverhältnisse (gehören also den Überbau-Phänomenen zu). Angeregt durch diese sehr komplexen Überlegungen schlug Jean-Louis Baudry ein viel weniger umfassendes und statischeres Modell vor, in dem die schon technisch bedingte Konstellation medialer Kommunikation ebenfalls als “Dispositiv” bezeichnet wurde: Den Begriff des Dispositivs als medientheoretische Kategorie zu gebrauchen, geht auf Jean- Louis Baudry (l986a; 1986b) zurück, der ihn für die Beschreibung des Kinos verwendet und darunter die räumlich-technische Anordnung der Apparate und ihre Auswirkung auf die filmische Wahrnehmung versteht. Unabhängig von den je konkreten medial vermittelten Inhalten sind dieser Anordnung “ideologische Effekte” eigen, die auf Realitätseindruck, K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 33 (2010) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen James zu Hüningen / Hans J. Wulff 62 Erlebnisqualität und Teilhabe-Suggestion abzielen und so die filmische Wahrnehmung wesentlich bestimmen (Hickethier 1995, 63). Wahrnehmung wird so in eine Konstellation von Rollen aufgelöst, die durch die Apparatur des Mediums diktiert werden und aus denen man nicht austreten kann, will man die medienbedingte Information rezipieren. “Die ‘Kino-Apparatur’ wird aber so zum ontologischen Konstrukt”, heißt es völlig zu Recht bei Lowry (1992, 119). In Baudrys Modell spielte die Festlegung der Wahrnehmungsrollen im Gegenüber der kommunikativen Elemente eine zentrale Rolle. Um die Wahrnehmung des filmischen resp. des televisionären Bildes wird es in dieser kurzen Skizze gehen. Das besondere Beispiel sollen die Schriften sein, die im Film eingesetzt werden, manchmal als Teil der dargestellten Welt, manchmal als eigenständige Mittel der Kommunikation. Ein einfaches Beispiel, das aber das Problem verdeutlicht, ist die Titelsequenz von Jean Cocteaus La Belle et la Bête (Es war einmal - Die Schöne und die Bestie, Frankreich 1946): Man sieht eine Tafel; jemand, den man nur von hinten sieht, schreibt mit unsicherer Hand “Jean Marais” darauf; Marais, der bis dahin im Vordergrund saß, nur im Anschnitt von hinten erkennbar, tritt an die Tafel, wischt seinen Namen aus, schreibt seinerseits “Josette Day” an, die wiederum “Jean Cocteau”, der seinerseits den Titel “La belle et la bête” anschreibt. Erst nun trennen sich Schrift und Bild. Die Schrift sieht zwar noch aus wie an die Tafel geschrieben. Aber wenn nun einer an die Tafel tritt, um wegzuwischen, was da geschrieben stand, steht er hinter der Schrift, die zum Filmtitel gehört. Das, was auf der Tafel steht und ausgewischt wird, nimmt man nicht mehr war. Offensichtlich gibt es ein verborgenes Prinzip der Relevanz, die dem Zuschauer signalisiert, dass das, was im “Vorderbild” der Schrift zu sehen ist, im Rahmen der Titelsequenz wichtiger ist, als das, was im “Hinterbild” geschieht. In aller Regel sind Schriften im Film in der Fläche arrangiert (wie sie es auf dem Blatt Papier auch sind). Die Fläche der Schrift und die Tiefe des Bildes treten wie in La Belle et la Bête in Konkurrenz, wenn sie gleichzeitig im Bildfeld auftreten. Ein wenig blumig heißt es bei Paech: Jede nicht-diegetische Schrift muß notwendig wie ein Schatten auf das Bild fallen und die Illusion der räumlichen Tiefe durch die Fläche, auf der die Schrift erscheint, bedrohen. Jeder Film ist dieser Bedrohung von Anfang an ausgesetzt durch den Titelvorspann (1994, 224). Offenbar bildet die Schrift-Bild-Kombination ein Doppel-Display, das miteinander nicht unbedingt kompatible Wahrnehmungsakte erfordert. Nochmals zum erwähnten Beispiel: Ist das Bild am Beginn noch opak, kompakt und einheitlich, zerlegt es sich in dem Augenblick, als die Schrift selbständig gemacht wird, in zwei Bildschichten: die der Schrift und die der dargestellten Szene. Bildschichten und Wahrnehmungsdispositiv “Fernsehen” In aller Regel steht die Fläche der Schrift “vor” der Bildfläche. Sie ist transparent, wogegen das dahinterstehende Bild immer opak ist. Es schließt den Raum des Bildes nach hinten ab. Gehört die Schrift zur dargestellten Welt, hat man es mit einer Art “Nullstufe” der semiotischen Beziehungen zwischen “Schriftraum” und “Bildraum” zu tun. Manchmal gar beginnen die Schriften zu rotieren, zeigen so einen eigenen dreidimensionalen Raum an, in dem die Schrift als materiales Objekt behandelt werden oder selbst agieren kann. Semiotische Spiele 63 Treten sie auseinander, können sich eine ganze Reihe von Subtypen herauskristallieren. Michael Schaudig (2002, 173 ff) unterscheidet: (1) das Typogramm - dann wird der Titel auf den Film als Fläche geblendet -, (2) das Typokinetogramm - zweidimensionale Titel in Bewegung wie z.B. Rolltitel -, (3) das Ikonogramm - dann wird ein eigener dreidimensionaler Schriftraum etabliert - und (4) das Ikonokinetogramm - darunter versteht er dreidimensionale Titel in Bewegung. Basieren alle diese Formen auf der Dualität von Schrift- und Bildraum, komplexieren sich die Verhältnisse im Fernsehen weiter, hier tritt zumindest die Materialität des Fernsehapparates zum Doppel von Schrift und Bild hinzu. So scheinen die Senderlogos zum Bereich der vorderen Glasscheibe der Röhre zu gehören. Sie bewegen sich ebensowenig wie die Rahmen der Bildröhre oder die Spiegelungen auf der Scheibe, die Lichter im Umgebungs-Raum wiedergeben. Beide erscheinen statisch und flach. Das Bild dagegen zeigt Bewegung und Tiefe. Hier entsteht nun ein gewisser Widerspruch: Die Glasfläche der Bildröhre gehört zum Fernsehapparat, ein Objekt im Raum, das Tiefe und Rückseite hat. Die Glasfläche ist die flache Vorderseite, dem Betrachter zugewandt, die Fläche, “auf” der (oder vielmehr “hinter” der) das Bild erscheint. Fernsehen als reines Wahrnehmungsdispositiv scheint sich darum in sechs Ebenen darzubieten: (1) Umgebungsraum = z.B. Wohnzimmer ENTHÄLT (2) Fernsehapparat = Objekt, dreidimensional, anzufassen TEIL VON (3) Glasfläche = flach, transparent, spiegelnd BILDTRÄGER VON (4) Schriftfläche = zweidimensional (optional: zwei- und dreidimensional), teil-transparent UND (5) Fernsehbild = zwei- und dreidimensional, opak UND (6) Fernseh-Raum = dreidimensional TEIL VON Was genau ist der Fernsehraum? Inwiefern unterscheidet er sich vom Fernsehbild? Ist er eine Kombination aus Glasfläche, Apparat und Bild? Darauf wird zurückzukommen sein. Wollte man den Ton als eine eigene modale Qualität der Fernsehwahrnehmung in das Modell integrieren, würden sich zwei weitere Raumschichten zur Vielfalt der visuellen Bildschichten dazugesellen: (7) apparativer Ton = Lautsprecher als Teil des Fernsehers oder als Teil eines komplizierteren Arrangements von Fernseher und Tonquellen (etwa als Boxenset für 5.1-Surround-Ton, Nutzung der Stereoanalge etc.); James zu Hüningen / Hans J. Wulff 64 (8) diegetischer Ton-Raum der jeweiligen Sendung. Von diesen Ton-Räumen wird im folgenden aber abgesehen. Betrachte ich ein Fernsehprogramm, bilde ich eine komplexe Synthese aus den verschiedenen Schichten des Gesamtenvironments: Umgebungsraum (1) und Fernsehapparat (2) treten in ein allgemeines Hintergrund- oder Horizontbewußtsein ein, dem auch das betrachtende Ich zugehört, in dem gewisse Umgebungsreize (Geräusche, Telefonklingeln usw.) auftreten können und das als Rahmen für die eigentliche Fernsehwahrnehmung dient. Das Fernsehbild (5) bildet die Kernzone des eigentlichen Interesses. Ich betrachte einen Film, verfolge einen Bericht, gucke Nachrichten. All die Informationen, die ich brauche, um den Film zu genießen, das Neueste zu erfahren oder etwas zu lernen, entstammen dem Fernsehbild. Glasfläche (3) und Schriftraum (4) - was wird aus diesen beiden Schichten? Das Bild (5) kann nicht ohne Bildträger erscheinen, darum muß ich die Glasfläche (3) des Apparats in Kauf nehmen. In Informationswechsel kann ich nur treten, wenn ich mich auf die Glasfläche einstelle, sie in Kauf nehme (und mich nicht etwa der Rückseite des Apparates zuwende). Für die Aufnahme von Information ist allerdings die Tatsache, dass ich sie nur vermittels der Glasfläche wahr- und aufnehmen kann, ohne Belang. Sie bildet eine hintergründige Bedingung, die aber - wenn ich über die Sendung sprechen will, die ich gesehen habe - von keinerlei Belang ist. In der Wahrnehmung spielt sie aber durchaus eine Rolle: Wenn eine Fliege auf der Glasscheibe sitzt, rechne ich sie nicht dem Bild (5), sondern dem Umgebungsraum (1) zu. Sind Schlieren oder Fettflecke auf der Scheibe, trüben sie vielleicht die Klarheit des Bildes, werden aber nicht ihm zugeschlagen. Wie eine Scheibe, die verschmutzt sein kann oder über die das Regenwasser strömt, zwischen mir und dem Draußen steht, ist die Glasfläche (3) eine Bedingung des Sehens. Wollte man kalauern, könnte man sagen: Fernsehen als “Fenster zur Welt” meint also eigentlich: die Glasscheibe ist wie ein Fensterglas zwischen mich und das Bild gestellt. Gewisse Elemente der Scheibe (3) bleiben in allen Akten des Fernsehguckens stabil: ihre Größe, ihr Verhältnis zum umgebenden Rahmen oder Apparat, manche Spiegelungen. Das meiste davon ist unbeweglich, unveränderlich, legt sich “über” das Bild. Manches mag sich auch bewegen - wie z.B. eine schwache Spiegelung spielender Kinder -, ist aber als Spiegelung “auf” der Glasfläche leicht vom Bild “hinter” der Glasfläche zu trennen. Im Kino fehlt die Scheibe. Aber manche Störungen der Projektion - Fusseln, Kratzstreifen auf dem Film, Bildzittern, der sichtbare Bildstrich - sind einem ähnlichen “Zwischen” der Kinowahrnehmung zugeordnet. Auch dieses ist eine Hintergrundwahrnehmung, die im Allgemeinen nicht thematisch wird. Erst in der Fehlerkorrektur wird es aktiviert. Niemand käme darauf, Fusseln im Bildfenster dem Bild und damit der dargestellten Welt zuzuschlagen. Und auch Kasch-Fehler, die Mikrophone im oberen Bildbereich sichtbar machen, induzieren nicht die Annahme, dass die dargestellte Welt mit Mikrophonen zugehängt ist - das wäre absurd und ein klarer Hinweis auf Inkompetenz im Umgang mit dem Kino-Bild. Doch sei zum Fernsehen zurückgekehrt: Die Bildwahrnehmung im Fernsehen ist konfrontiert mit mehreren Bildern - den Bildern des Programms und den Bildern, die die Glasscheibe als Spiegelungen wiedergeben kann. Meist ist das Fernsehbild (5) das dominierende Bild, es hat größere Leuchtkraft und überstrahlt die anderen Bilder. Erst wenn die Spiegelungen zu stark werden (oder das Fernsehbild zu dunkel), wird die Spiegelung als ernsthafte Störung empfunden, dann muß das Umgebungslicht verändert werden. Semiotische Spiele 65 Das alles ändert sich mit Flachbildschirmen, die praktisch spiegelfrei sind. Der Apparat (2) spielt manchmal eine Rolle, aus Hintergrundwird dann Vordergrundwissen. Wenn das Bild “läuft” oder wenn der Zeilengleichrichter nicht mehr richtig funktioniert, wenn Farbstörungen auftreten oder ähnliches, wird die Tatsache bewusst, dass das Bild apparativ vermittelt ist. Hintergründig weiß der Zuschauer, dass das Bild nicht natürlich ist, sondern dass es einer Technik bedarf, die es erst erscheinen macht. Für die normale Bildwahrnehmung ist diese Tatsache aber ohne Belang. Das Schriftbild legt sich als weitere Fläche resp. als weiterer Raum zwischen die Glasscheibe und ihre Bilder (3) und das eigentliche Bild (5). Es entsteht ein gestaffelter Raum, der zwei transparente und eine opake Bildfläche umfaßt. Das ist im Kino anders, der Bildraum (3) entfällt hier. Sicherlich könnte die Leinwand in der Wahrnehmung thematisch werden, wenn sie z.B. defekt ist (Risse oder Löcher enthält, in Teilen nicht weiß ist etc.). Aber sie ist nur äußerst selten eine eigene Bildfläche. Das kann aber durchaus geschehen. Wenn jemand aufsteht, das Kino verläßt, oder wenn jemand zu spät kommt und schon während der Projektion seinen Platz aufsucht, wirft das Licht des Projektors manchmal einen Schatten auf die Leinwand. Dann wird auch die Leinwand zu einer Bildfläche, ist eigener Bildträger. Das ist aber nur äußerst selten der Fall. Werden Schriften dreidimensionalisiert, ist der Schriftraum (4) nicht flächig, sondern besitzt eigene Tiefe. Es ist eine Tiefe, die nicht mit der Tiefe des eigentlichen Bildes (5) übereinstimmt, sondern eigenständig ist. Das Senderlogo im Fernsehen gehört zum Schriftraum. Das Logo selbst ist nicht durchsichtig, es überdeckt das darunterliegende Bild. Und es ist fest in der Fläche des Gesamtdisplays verortet, bewegt sich nicht mit den Fernsehbildern (5). Man könnte meinen, es gehörte zur Glasfläche (3), könnte es selbst nicht wiederum von Spieglbildern überlagert werden. Der Schriftraum (4) ist transitorisch. Er entsteht mit dem Aufscheinen der Schriften. Verschwindet die Schrift, verschwindet auch die ganze Ebene (4). Sie verschwindet. Oder genauer: Sie tritt in den Zustand der Latenz über. In manchen Titel-Sequenzen liegen Pausen zwischen den verschiedenen Phasen, in denen Schriften den Titel, die Mitarbeitenden etc. ausweisen. Dann oszilliert die Wahrnehmung zwischen den beiden Ebenen (4) und (5). Will man schon am Anfang sich auf das Bild konzentrieren, fällt es äußerst schwer, gleichzeitig die Schriften zu lesen. Und sucht man die Titel zu verfolgen, wird man immer wieder in die Lektüre des Bildes (5) hineingezogen. Nur dann kommt es nicht zur Konkurrenz der Ebenen (4/ 5), wenn die Schrift allein das Bildfeld dominiert. In allen Woody-Allen-Filmen wird der Titel äußerst spartanisch als Folge von Schrittafeln (mit der immer gleichen Windsor-Type) gegeben. Hier kann es keine Ablenkung durch das Bild geben, einzig die Musik deutet schon auf die folgende Geschichte und deren mood voraus. Dass Allen damit auf eine Konvention des japanischen Regisseurs Yasujuri Ozu verweist, ist dem nicht-cineastischen Publikum ebenso verborgen wie die Tatsache, dass die Angewohnheit, die Akteure im Alphabet ihrer Namen und nicht nach ihrem Gewicht als Stars oder Protagonisten zu nennen, auf eine sehr alte Konvention aus Zeiten des Stummfilms zurückgeht. James zu Hüningen / Hans J. Wulff 66 Die sechste Schicht Gehören die schwarzen Balken bei Scope-Formaten zum Raum (6) oder werden sie als Teilabdeckungen des Bildraumes (5) wahrgenommen? Wenn in einer Split-Screen die Grundfläche des Displays nur in einigen Bild-Sektoren mit Bildern besetzt ist, kommt darunter manchmal eine schwarze Fläche zum Vorschein, die nicht zum Bild (5) gehört, sondern offenbar anderer Herkunft ist. Es ist das Schwarz des sechsten Raums, der sich hinter allem verbirgt, normalerweise aber unsichtbar ist. Das Bild (5) deckt ihn vollständig ab. Erst dann, wenn das Bild selbst material bearbeitet wird - dass es zur Seite wegklappt, es wird weggezogen, es löst sich aus der starren Position und beginnt zu wirbeln, es wird zusammengerollt etc. -, kommt er zum Vorschein. Die Bilder gehören für den Wahrnehmenden nicht zur Glasscheibe (auch wenn sie technisch an der Scheibe realisiert werden), sondern führen ein semiotisches und ontologisches Eigenleben. An anderer Stelle wurde dieser sechste Raum als Bildträger resp. als Trägerraum terminologisiert (Wulff 1988). Wird er überhaupt sichtbar, ist entweder das Gerät defekt oder die Ausstrahlung fehlerhaft. Es bedarf aber eines analytischen Prozesses, in dem die normalerweise in eins gesetzten Bildkomponenten Bild und Träger (bei Siegler 1968, 16, ist von “screen as opposed to image” die Rede) getrennt werden, die solidarische Beziehung zwischen beiden aufgegeben wird. Was geschieht, wenn das Bild schwarz wird? Dann wird zuallererst vermutet, die Schwärze gehöre zum Film, den ich gerade sehe. Es ist ein “Bild-Schwarz”, Teil eines signifikativen Prozesse, basiert auf einer Zeigehandlung. Es kann eine Bild-Verweigerung sein. Aber es ist noch nicht ein Schwarz, das dem sechsten Raum zugehört. Manche experimentelle Filme bieten das Schwarz, unterbrechen es durch blitzlichtartige Bildeinbrüche, kehren zum Schwarz zurück. Das Schwarz ist Teil dieser Filme. Alejandro González Iñárritus Mexiko- Episode aus dem Omnibus-Film 11’09’‘01 - September 11 (Großbritannien [...] 2002) zeigt Schwarz; im Ton hört man ein kaum verständliches Stimmengewirr, eine Ton-Montage aus den Telefonaten, die vor dem Zusammenbruch der New Yorker Doppeltürme geführt wurden; wenige Flash-Bilder von Menschen, die vor den Türmen in die Tiefe stürzen, unterbrechen das Schwarz. Das Schwarz ist signifikativ aufgeladen, es wird befragt als Hinweis auf die Unzeigbarkeit des Geschehens, vielleicht auch als Weigerung, das Attentat zu dramatisieren (und damit zu fiktionalisieren). Das Schwarz des sechsten Raumes ist es nicht. Dieses tritt erst ins Wahrnehmungsbewußtsein, wenn das Bild dauerhaft ausbleibt, wenn es interpretativ nicht mehr ausgearbeitet werden kann. Dann stellt sich nicht mehr die Frage: Was bedeutet das? Sondern es stellt sich die Einsicht ein: Die Bildröhre ist kaputt! Bild-Schwarz kann sogar subjektiv aufgeladen werden (als Subjektive eines Blinden, als Ausdruck der Wahrnehmung einer Figur nach einer Erblindung etc.). Manchmal dient der Wechsel von Schwarz zu bildlicher Darstellung als Anlaß einer Reflexion über die Figuren; wenn also in Robert Bentons Places in the Heart (Ein Platz im Herzen, USA 1984) eine Figur in die Küche geht, das Licht anmacht - und zur eigenen Überraschung ebenso wie der des Zuschauers feststellt, dass ein blindes Familienmitglied in der stockfinsteren Küche gesessen und Bohnen gebrochen hat: Dann ist Anlaß für einen kurzen irritierten Lacher gegeben wie aber auch zu einem kurzen Nachden darüber, dass ein Blinder kein Licht braucht, um arbeiten zu können. Auch derartige Formen sind eindeutig Bild-Schwarz. Die sechste Schicht des Bildes ist das aber nicht. Diese wird erst greifbar, wenn das Film- oder Fernsehbild im engeren Sinne (5) als materielles Bild exponiert wird. Wenn also im Fernsehen ein Film im falschen Seitenverhältnis wiedergegeben wird, dann wird die sechste Semiotische Spiele 67 Schicht greifbar: weil der Zuschauer ein Bild sieht, von dem er weiß, daß es nur ein Ausschnitt aus einem ursprünglichen Bild ist. Die Irritation dieser Wahrnehmung beruht vor allem auf zwei formalen Tatsachen - zum einen resultiert aus der Trennung von Sehen und Wissen ein Bewußtsein, daß der Film “im Fernsehen” läuft; zum anderen gibt es einen Rekurs auf eine “eigentliche” Darbietungsform. Nun ist das Fernsehen ein Medium, das die Tatsache, daß eine Sendung “im Fernsehen” ist, massiv indiziert. Insofern wäre die eigentlich defekte Darbietung eines Teilbildes des ursprünglichen Bildes nicht einmal problematisch. Jedenfalls wird das Bild in der defekten Darbietung reflexiv, sein Status als Bild wird thematisch. Die Veränderung des semiotischen Status von Bildern, vor allem die zunehmende Präsenz der materialen Bildsupposition ist uns heute vertrauter als zu den Zeiten, als mit Split Screens experimentiert wurde. Die wesentliche Implikation daraus ist die anschauliche Bewußtheit eines Trägerraums, der genau vom Bildraum getrennt werden sollte. Die Rede vom Bildraum betrifft die räumlichen Verhältnisse, die im Bild repräsentiert sind; dagegen ist der Trägerraum ein Raum, in dem das Bild als Objekt lokalisiert ist und in dem es entsprechend manipuliert werden kann: Insbesondere die elektronischen Möglichkeiten der Bildbearbeitung führen dazu, daß Bilder vom Träger separiert werden und so besonderer Manipulation zugänglich sind: Bilder werden in einem Bildträger als gegenständliche Objekte behandelt, werden gerollt, geklappt, verschwinden im Raum, werden mit anderen Bildern gemischt etc. Das Bild wird so zu einem Gegenstand, der dem Bildträger gegenübersteht, nicht mehr mit ihm verschmolzen ist (Wulff 1988, 3). Das Bild (5) löst sich so aus einem “naiven” Modus (zeigen, was vor der Kamera gewesen ist) und wird selbstreferentiell (es zeigt, was vor der Kamera gewesen ist, macht aber auch aufmerksam auf die Tatsache, daß es Bild in einem projektiven Verhältnis ist, selbst ein Objekt). Wie oben schon gesagt: Der Trägerraum bekommt insbesondere in den Bildformen des Fernsehens Eigenständigkeit und wird zunehmend dynamisiert: Zum einen sei erinnert an die Techniken der Bildbearbeitung wie Rollen, Rotieren und Wegklappen, die oft als Sequenzmarkierungen eingesetzt werden und darin an Interpunktionsfunktionen anknüpfen (Jung 1989); zum anderen finden sich insbesondere in den Nachrichtensendungen solche Formen, daß das Bild des Studiosprechers in den Trägerraum hinein schräggestellt wird, ein zweites Bild mit einem Korrespondenten erscheint in komplementärer Schräglage (meist um die horizontale Mittelachse des Bildes symmetrisch angeordnet), so daß der Dialog der beiden Sprecher in einem Raumverhältnis der beiden Bilder wiedergegeben zu sein scheint. Bild im Bild, Bildbild im Filmbild Das kann sich weiter komplizieren. Wenn man auf einem Fernseher einen Film ansieht, der von der Leinwand abgefilmt wurde, sieht man im Bild manchmal die Köpfe des Publikums der originären Projektion. Dann entsteht ein “Bild-im-Bild-Effekt” - zwischen die Glasfläche (3) und die beiden Bildflächen Schrift (4) und Filmbild (5) schiebt sich eine weitere Ebene, die das Doppel von (4/ 5) als eigene Bildbetrachtungssituation in weitere epistemische Distanz verschiebt. Man kann natürlich argumentieren, dass die Köpfe des imaginären Publikums das eigentliche Bild (5) der Bildkonstellation darstellen. Auch über sie könnten sich Schriften (4) legen. James zu Hüningen / Hans J. Wulff 68 In diesem Bildraum wird eine zweite Bild-Konstellation entfaltet, in der es eine Leinwand, eine Schrift- und eine Bildebene (4’/ 5’) gibt. Das würde bedeutet, dass es möglich ist, die Bildkonstellation einzubetten. Einbettungen sind sogar iterierbar. Man kann also Bildkonstellationen u.U. mehrfach rahmen. Das geschieht selten. Aber warum sollte es nicht möglich sein, ein szenisches Arrangement zu inszenieren und abzufilmen, in dem man ein Publikum vor einer Leinwand sieht, das einen Film sieht, in dem ein Publikum im Kino einen Film betrachtet? Ein Beispiel entstammt der amerikanischen Musical-Groteske Hellzapoppin’ (1941, H.C. Potter): Nachdem eine dem Zuschauer unbekannte “Stinky Miller” mehrfach per Schrifttafel aufgefordert wurde, nach Hause zu kommen, wird eine Liebesszene rabiat unterbrochen, in einer Art Cutaway wird auf einen Sprecher umgeschnitten, der den Befehl nachdrücklich und zum letzten Mal ausspricht, als auf die eigentliche Szene zurückgeschnitten wird, die Akteure stehen ratlos inihrem Szenario - und man sieht einen Zuschauerkopf, der sich in das Bild schiebt, das Bildfeld zur Seite verläßt. Erst dann kann die ursprüngliche Szene weitergehen. Die Bild-im-Bild-Konstellation evoziert im Film manchmal ein eigenartiges Oszillieren zwischen den verschiedenen Bildschichten. Die Autoren haben an anderer Stelle zwischen Filmbild und Bildbild unterschieden (2001). Dem statischen Bild an der Wand steht das Bewegtbild auf der Leinwand gegenüber. Sehe ich nun im Kino eine Szene, in der ein Bild an der Wand hängt, kann ich verschiedenes zum Gegenstand meiner Wahrnehmung machen: - Ich kann sehen, dass das Bild zum zeitgenössischen Repertoire der jeweils modernen Bildnerei gehört; in François Truffauts Jules et Jim (Frankreich 1961), der einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren übergreift, hängen die zu den jeweiligen Zeitpunkten die zeitgenössisch aktuellen Bilder in den Räumen der Protagonisten. - Ich kann vom Was des Bildes schließen, welche Wertgegenstände für die Figuren von Bedeutung sind. Manchmal kann ich sogar auf Tiefenbindungen der Figuren schließen - wenn etwa in Alfred Hitchcocks Rebecca (USA 1940) ein Bild der toten Mrs. Winter an der Wand hängt, deutet das schon auf die fatale Entwicklung der Geschichte und auf die geheime Konkurrenz der alten und der neuen Frau des Schloßbesitzers hin. - Ich kann verleitet werden, zwischen den beiden Bildformen zu oszillieren. In Comes a Horseman (USA 1978, Alan J. Pakula) etwa spielt eine Szene im Haus des Antagonisten (ca. 0: 11); im Zentrum des Bildes hängt ein Ölbild, das eine Westernlandschaft zeigt; eine schnelle Überblendung wechselt in das Vorbild-Szenario, nun zeigt das Filmbild eine reale Landschaft. Sofort schaltet man um, das Bild - als Objekt - gehört zum dargestellten Environment, die Landschaft dagegen zum Handlungsraum; das Bildbild ist unbewegt, das Filmbild dagegen bewegt (oder es harrt der Bewegung). Filmbilder tragen eine Art von “Epiphanie” in sich, sie kündigen Bewegung und Handlung an, auch wenn sie eine starre Landschaft zeigen. Stand bis dahin der Objektcharakter des Ölbildes im Zentrum, wird nun das Gezeigte zentral. Schriften liegen nun über Filmbildern. Selbst wenn ein Film ein Bildbild zeigt, dem z.B. eine Titelschrift überlagert ist, wird das Bildbild als Filmbild genommen, als Objekt in einem mehr oder weniger schon im Bild selbst gezeigten Bewegungs- und Handlungsraum. Wenn die Beobachtung stimmt, tritt der Bild-Charakter in einem Bildbild-im-Filmbild-Szenario zurück, der Objektcharakter des abgebildeten Bildes wird in der Wahrnehmung vordergründig. Daß die Objektwelt nicht neutral belassen wird, sondern eingespannt wird in den Diskurs des Stücks oder des Films, in seine Strategien, Bedeutungen aufzubauen, ist eine der vielleicht Semiotische Spiele 69 elementarsten Grundlagen der theatralen und filmischen Signifikation und Kommunikation. Keine Landschaft ist gleichmütig, möchte man mit Eisenstein hier einsetzen, sie verliert im filmischen Erzählen ihre Unschuld ebenso wie in der Entfaltung des Konflikts auf der Bühne, erweist sich als angefüllt mit Bedrohung und gewichtigem Sinn, wird mit Bedeutung gefüllt, weil Personen mit Bezug auf die Environments handeln. Auch wenn es sich um signifikative und für die Handlung oder die Figuren bedeutungsvolle Objekte handelt, sind es doch zuallererst Objekte; ihre signifikative Potenz entfaltet sich erst in einem zweiten Schritt, als Indikator für Stil-Wahlen, subjektive Bedeutungen etc. Insofern hätte die Vorrangigkeit des Objekt-Charakters ihren Grund darin, dass der Aufbau eines diegetischen Universums in der Aneignung von Filmen eine erste Tätigkeit ist, der die Ausforschung der Bedeutungs-Potentiale signifikativer Objekte nachgeordnet ist (als Funktion der Zeit der Handlung, der Figuren usw.). Darum auch ist die Frage, ob extradiegetische Schriften im Film eine Kamera bräuchten, irreführend - selbst wenn sie technisch unmittelbar auf Film aufgebracht sind, bedarf die zweite Bildschicht oder Bild-Art einer kommunikativen Herkunft. Darum auch scheint mir Cubitts Vorschlag, von einem on-screen writing zu sprechen, um die Kamera-Größe zu umgehen, ganz irreführend zu sein, zumal hier eine Verwirrung auftritt, die die technische Kamera und die semiotische Kamera (die kommunikative Instanz, die die Schriften auf den Bildschirm bringt, sie möglicherweise sogar schreibend hervorbringt) als bild- und kommunikationsbezogenes Konstrukt des Zuschauers miteinander vermengt (vgl. dazu Cubitt 1999, bes. 61 f; vgl. außerdem Böhnke 2006, 173). Manchmal nimmt die Schrift die Qualität eines eigenen Bildträgers resp. Bild-Objekts an. Ist das Bild immer eine semiotische Enklave im Kontext, ist es Objekt der Wahrnehmung ebenso wie eine semiotische Tatsache, die “etwas anderes” zeigt. Ein Bild hängt an der Wand, es kann Schatten werfen, man kann es anfassen. Das ist beim Film komplizierter, weil die Leinwand in der Wahrnehmung des Bildes zu verschwinden scheint. Wird aber ein Bild in einem imaginären Objektraum des Bildes “gedreht”, so dass hinter ihm ein anderes Bild zum Vorschein kommt, so wird die Doppelgesichtigkeit des Bildes greifbar: Das erste Bild zeigt seine Flachheit, und man fühlt sich an die Situation erinnert, dass man einen Stapel Photos in der Hand hält, von dem man nur das oberste sehen kann; nimmt man es vom Stapel, zeigt sich das darunterliegende Bild-Objekt, dessen Bild selbst so sichtbar wird. Es gibt Beispiele, in denen auch Schriften in dieses irisierende Spiel von Bild-Objekt und Bild einbezogen sind. Dazu zählt der Schrift-Bild-Übergang am Anfang von Bullitt (USA 1968, Peter Yates): Das beginnt mit einer weißen Schrift auf monochromem Grund; sie kippt in das komplementäre Schwarz, scheint sich aus der Tiefe des Bild-Raums auf die Kamera zuzubewegen - und man sieht: die Buchschaben sind nicht schwarz, sondern durchsichtig. Durch die Lettern hindurch ist das “Bild hinter dem Bild”, das Bild hinter der “Schrift-als-Maske” sichtbar; wenn die Buchstaben ganz vorn angekommen sind, selbst keine Kontur mehr haben, weil sie sich zu weit auf die Kamera zubewergt haben, ist auch das neue Bild “da”. Dimensionalität, Flachheit und Tiefe Ein ganz anderer Wahrnehmungseindruck entsteht, wenn Schrift auf ein Objekt im Bildraum projiziert wird. Ein Beispiel ist Theo van Goghs 12minütiger Kurzfilm Submission (Niederlande 2004), in dem in arabischer Schrift Koranverse auf nackte Körperteile der Protagonistin (insbesondere den Rücken) projiziert werden, die die Frau als solche zur Unterwerfung unter James zu Hüningen / Hans J. Wulff 70 ihren Ehemann auffordern sollen. Bild, Schrift und Stimme werden zu einer emblematischen Ganzheit verschmolzen, die Trennung der beiden Ebenen erscheint aufgehoben. Gelegentlich wird Schriften eine eigene räumliche Tiefe zugewiesen - durch Schattierung der Schrift, durch tatsächlichen Schattenwurf und ähnliches. Manchmal werden die Buchstaben als materiale Objekte genommen, die in einem imaginären Bildraum stehen, möglicherweise selbst agieren können. Werden also Buchstaben, ganze Wörter oder Zeilen rotiert, scheinen Schriftzeichen in den Bildraum hineinzuwirbeln, bevor sie zur Ruhe kommen. Die graphischen Elemente werden dabei dreidimensionalisiert, erweisen einen Doppelcharakter als dreidimensionale Objekte und als zweidimensionale Schriftzeichen. Ein extremer Fall ist die amerikanische Serie Fringe (Grenzfälle des FBI, USA 2008, J.J. Abrams [...]), in der die Ortsangaben von Tatorten oder Schauplätzengrundsätzlich als dreidimensionale Strukturen dargestellt werden. Vor dieser Schrift können sich Bäume, Personen oder Gebäude befinden und die Schrift erhält so einen pseudo-diegetischen “Platz”; so können z.B. Figuren im Auto unter einer Ortsangabe hindurchfahren und sie hinter sich lassen; mit dem Begleitschwenk verschwindet sie aus dem Blick der Kamera. Die Orts- Indikatoren werden so zu Quasi-Bildobjekten. Das 3D-Layout der Schrift verspricht zwar gerade der Räumlichkeit und Filmbild-Zugehörigkeit, löst dieses Versprechen aber nicht konsequent ein, da die Schriftfarbe grundsätzlich extrem artifiziell bleibt und sich kein Bildobjekt-Status realisieren läßt, der die Schriften vollständig in das Environment der natürlichen Umgebung des Handlungsraums integrieren wirde - sie wirken immer irritierend und künstlich, zeigen ihren Fremdcharakter deutlich an. Ein Sonderfall ist das seit jüngstem verwendete Firmenloge von Pathé, bei dem die Buchstaben als Figuren in einem Mobile hängen; sowohl Mobile als auch Buchstaben rotieren langsam, nehmen gelegentlich eine kurze Stillstellung ein, in der sich die Buchstaben wie in einer Schrift auf einer Ebene anordnen; aber selbst dann bleibt der Eindruck der Dreidimensionalität des Mobiles erhalten, auch wenn der Tifeneindruck kurzfristig zurückzutreten scheint. Manchmal wird mit der semiotischen Einheitlichkeit der Schrift gespielt. Wenn also im Firmenlogo der “Tobis” das “i” zunächst fehlt und erst durch den dazukommenden Hahn in das Schriftbild “eingeschissen” wird, dann ist auch der semiotische Modus angesprochen - nicht das Schriftliche, sondern das filmische Bild wird das folgende dominieren. Zugleich wird in dem Tobis-Logo aber die Schrift in die Dreidimensionalität erweitert, auf denen der Hahn bis zur fehlenden Stelle des “I” voranschreiten kann. Diese Grenze zwischen dem Schriftlichen und dem Bildlichen ist im Regelfall nicht selbst thematisch. Da liegt der Titel / die Schrift “über” dem Bild. In den Beschreibungen von Schrift-Bild-Kombinationen kann man feststellen, dass das Bild fast immer als das Primäre angesehen wird. Das Bild ist das Primäre, die Schrift tritt dazu. Allerdings ist das Verhältnis nicht einfach summativ. Vor allem im Fernseh-Design haben sich eine ganze Reihe von Formen eingebürgert, die die Schriften material behandeln, Buchstaben oder Buchstaben- Ketten scheinen in das Display hineinzufliegen, nehmen erst danach eine Ruhestellung ein. Dabei entsteht der Eindruck eines Doppelraums: Das Bild hat eigene Tiefe, es zeigt z.B. einen Studiosaal, in dem eine Quishow stattfinden wird; von “vorne” scheint die Zeile “Montags- Show” an den Ort zu gleiten, an dem sie als Titel stehenbleibt. Der Bildraum des eigentlichen Bildes (das Studio) tritt “hinter” den Schrift-Raum zurück, der - wenn die Schrift verblaßt ist - wieder verschwindet. Manchmal verschwinden die Schriften, gehen in das Setting ein, das das Bild zeigt. Handelt es sich um Schriften, die nicht eigentlich zum Setting gehören, ist es nötig, die Semiotische Spiele 71 Schriften aus dem Bild herauszulösen, ihren textuellen Eigenwert zurückgewinnend. In My Man Godfrey (1937, Gregory LaCava) verschwindet die Bild-Schrift-Differenz des Titels fast ganz, weil die Schriften als Neon-Reklamen an New Yorker Hochhäusern erschienen, also nicht mehr eigenständig sind, sondern vielmehr Teil des diegetischen Universums zu sein scheinen. Schon hier wird deutlich, dass das Schrift-Bild-Verhältnis immer wieder Teil eines semiotischen Spiels ist und zum Gegenstand und Anlaß einer analytischen Tätigkeit wird, die so zutiefst reflexiv den Modus des Films zwischen Zeigen und Sagen thematisiert. Danksagung Dank an Rebecca Borschtschow und Lars Grabbe für diverse Formulierungen, Anmerkungen und Hinweise. Literatur Baudry, Jean Louis (1986a) Ideological Effects of the Basic Cinematographic Apparatus. In: Rosen, Philip (Hrsg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory Reader. New York: Columbia University Press, S. 286-298 - (1986b) The Apparatus: Metapsychological Approaches to the Impression of Reality in Cinema. 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