eJournals Kodikas/Code 33/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2010
333-4

Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart. Eine philosophisch-semiotische Analyse am Beispiel von John Locke und Charles Peirce

2010
Katharina Perge
Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart. Eine philosophisch-semiotische Analyse am Beispiel von John Locke und Charles Peirce Katharina Perge; Leuphana Universität Lüneburg In the following article, the importance of experience for present day Europe and European integration is systematically explored from a philosophical point of view. Experience is to be understood as the emotional experimental process which is characterized through dynamic interactions and creativity. Furthermore, it argues that the cognitive knowledge of which cannot be mediated through political or comparable parameters but just through the experimental process itself. Europe, according to this proposition, has to be experienced if the European integration process is to be supported and legitimated - and cannot be imposed on the European citizen in a marketing top-down-manner. Europe, on the other hand, is to be understood as an undefined space of experience, while the European Union presents Europe’s dominant political structure. Despite the theoretical distinction, both Europe and the European Union are closely connected and influence each other’s development. Hence, European experience refers to experiencing Europe as well as experiencing the European Union. As experience cannot be understood without the principle of mediation, medial experience plays a central role in the course of this article. In this context, it is shown that Europe and the European Union can only be experienced through common media. The philosophical writings of John Locke (1632-1704) and Charles Peirce (1839-1914) form the theoretical background, as both authors attach central significance to the concept of experience in their respective works. 1 Einleitung Im vorliegenden Beitrag wird aus philosophischer Sicht dargelegt, welche wichtige Rolle Erfahrung für das heutige Europa und die europäische Integration spielt. 1 Erfahrung meint dabei den gefühlsbetonten Erlebnisprozess, der durch Dynamik und Kreativität gekennzeichnet ist und dessen kognitive Erkenntnisse nur durch ebendiesen Erlebnisprozess erworben werden können - sich also auch nicht durch politische oder sonstige Vorgaben vermitteln lassen. Europa, so die These, muss erfahren werden, um Unterstützung und Legitimation der europäischen Integration zu gewährleisten - und kann dem europäischen Bürger nicht einfach in marketingstrategischer Top-Down-Manier aufgedrängt werden. Europa wiederum wird als unbestimmter Erfahrungsraum verstanden, während die Europäische Union die dominierende politische Struktur Europas darstellt. Trotz der theoretischen Differenzierung sind beide eng miteinander verflochten und beeinflussen sich in ihrer Entwicklung gegenseitig. 2 Daher bezieht sich der Begriff der europäischen Erfahrung sowohl auf die Erfahrung Europas als K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 33 (2010) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Katharina Perge 406 auch auf die Erfahrung der EU. Da Erfahrung, wie zu sehen ist, nicht ohne das Prinzip der Medialität gedacht werden kann, wird im weiteren Verlauf vor allem mediale Erfahrung thematisiert und auf ihr Potential europäischer Erfahrbarkeit hin untersucht. Dabei zeigt sich, dass Europa und die EU nur in und durch gemeinsame Medien erfahrbar sind. Theoretische Grundlage hierzu bilden die philosophischen Ausführungen John Lockes (1632-1704) und Charles Peirces (1839-1914), da beide dem Begriff der Erfahrung einen zentralen Stellenwert in ihren philosophischen Systemen einräumen. 2 Erfahrung und Europa: Die Verbindung von John Lockes empiristischer und politischer Philosophie Da Locke zum einen von der außerordentlichen Wichtigkeit der Erfahrung überzeugt war und zum anderen einen prägenden Einfluss auf die europäische Geistesgeschichte - und mit dieser auch auf das politische System der Europäischen Union - ausübte, soll im Folgenden die Bedeutung von Erfahrung für das heutige Europa mit Bezug auf die Philosophie Lockes nachgewiesen werden. 2.1 Erfahrung als Grundlage der komplexen Idee Europa Locke hat mit seiner Erkenntnisphilosophie den modernen Empirismus begründet, der durch die Ablehnung angeborener Ideen, die Betonung individueller Erfahrung und den gleichzeitigen Glauben an die menschliche Vernunft zur Basis der europäischen Aufklärungsphilosophie wurde (vgl. Euchner 2004: 178). Locke definiert Erfahrung in seinem erkenntnisphilosophischen Hauptwerk Essay Concerning Human Understanding (1690) als Sensation, d. h. sinnliche Wahrnehmung, und Reflexion, d. h. innere Wahrnehmung (vgl. Locke 2006a: II.1.3 f.). 3 Alle dem Geist immanenten Ideen sind laut Locke entweder einfache Ideen, die direkt aus der Erfahrung, d. h. aus Sensation und/ oder Reflexion, stammen und sich nicht weiter zerlegen lassen, oder so genannte komplexe Ideen (Modi, Substanzen, Relationen), die der Verstand aus den einfachen Ideen zusammensetzt (vgl. ebd.: II.2.1 f., II.7.10 f.). Somit kommt auch dem Verstand eine wichtige Rolle im Erkenntnisprozess zu. Durch die Reduzibilität aller Ideen auf einfache Ideen zeigt Locke jedoch, dass alle Ideen - ob unmittelbar (einfache Ideen) oder mittelbar (komplexe Ideen, über einfache Ideen) - ursprünglich aus der Erfahrung stammen und weist der Erfahrung damit erkenntnisphilosophische Priorität zu. In diesem Sinne fungiert Erfahrung für Locke als eine Art Schnittstelle, die zwischen der Realität und dem Geist vermittelt. Die Tatsache, dass die einfachen Ideen der Reflexion der zuerst durch die Sensation erfahrenen Ideen bedürfen (vgl. ebd.: II.1.24; II.2.2), zeigt allerdings, dass die Ideen der Reflexion nicht so genuin “einfach” sind, wie Locke behauptet. Daher kann der erkenntnisphilosophische Erfahrungsbegriff Lockes primär als sinnliche Wahrnehmung (Sensation) verstanden werden. 4 Lockes erkenntnisphilosophischer Erfahrungsbegriff ist dabei vor allem als individuelle Erfahrung anzusehen: Die Erfahrungswelt eines jeden unterscheidet sich nach Locke von denen der anderen insofern, als dass jeder genau genommen nur seine eigenen, durch Erfahrung gewonnenen Ideen im Geist hat und nicht hundertprozentig sicher sein kann, dass der andere die Welt genauso wahrnimmt wie er selbst. Folglich sind auch Wörter einzig Zeichen für die Ideen des Sprechers, der wiederum nur annehmen kann, dass sein Kommunikations- Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 407 partner die gleichen oder ähnlichen Ideen besitzt (vgl. Locke 2006b: III.2.2-4). Je komplexere Ideen ein Name vertritt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man nicht die gleichen Ideen besitzt (vgl. ebd.: III.9.6 ff). Dies zeigt sich an der Idee Europa, die aufgrund ihrer hohen Komplexität schwer zu definieren ist und deren Zusammensetzung daher von Person zu Person variiert. Diese Komplexität manifestiert sich vor allem durch die dem Europabegriff immanenten Antagonismen: “Wenn man mir sagt, daß Europa das Land des Rechts ist, so denke ich an Willkür; daß es das Land der Menschenwürde ist, so denke ich an Rassismus; daß es das Land der Vernunft ist, so denke ich an romantische Schwärmerei.” (Jean-Baptiste Duroselle, zit. nach Schulze 2000: 13) Dieser Mangel an Einheitlichkeit, diese Uneinigkeit, begründet die Schwierigkeit, Europa zu begreifen, sich also die “Identität in der Nicht-Identität” (Morin 1988: 29) vorzustellen. Derrida nennt dies die “Differenz mit sich selbst” (Derrida 1992: 13; Hervorh. im Original), die jeder Kultur und jeder kulturellen Identität immanent ist. 5 Zudem hat Europa weder eine natürliche Trennlinie zwischen Asien und seinem Subkontinent, also eine klare geographische Grenze, noch lässt sich Europa als feste historische Größe fassen, haben sich doch politische und kulturelle Grenzen im Laufe der Zeit immer wieder verschoben (vgl. Schluchter 2006: 239 f.; Derrida 1992: 26). 6 Die komplexe Idee Europa gehört damit zu der Lockeschen Ideenklasse der so genannten (gemischten) Modi, die für Locke keine Gegenstände, sondern abstrakte 7 Dinge repräsentieren und die somit eine eindeutige Definition zusätzlich erschweren. Trotzdem basiert nach Locke jede komplexe Idee - und damit auch die Idee Europa - letztendlich auf der Erfahrung, weil wir diese im Geist aus Ideen zusammensetzen, die wir zuvor aus der Erfahrung gewonnen haben. Je mehr Erfahrungen wir machen, die wir mit der Idee Europa verbinden, desto bestimmter wird die Idee, die wir von Europa haben. Die Idee Europa “lebt” also von unseren Erfahrungen. 2.2 Das Erfahrungsdefizit der Europäischen Union Neben der Beschäftigung mit erkenntnisphilosophischen Fragestellungen entwickelte Locke parallel dazu umfassende und innovative Ansichten über Aufbau und Funktion des Staatswesens, die eine radikale Alternative zu der feudal-absolutistischen Herrschaft der damaligen Zeit darstellten. Die in der Literatur oftmals vertretene Position, es gebe keine inhaltliche Verbindung zwischen Lockes Empirismus und seiner politischen Philosophie 8 , erscheint jedoch relativ unwahrscheinlich, da Locke sowohl den Essay als auch das Hauptwerk seiner politischen Philosophie, Two Treatises of Government (1690), über einen längeren Zeitraum gleichzeitig verfasst und sogar im selben Jahr veröffentlicht hat. 9 Zumal ist auch der Essay, insbesondere Lockes leidenschaftliche Ablehnung angeborener Ideen, von politischen und aufklärerischen Gedankengängen beeinflusst (vgl. Specht 1997: 54 f). Da Locke aber durch seine radikale Kritik am Absolutismus, die er in den Treatises übte, politischen Repressalien ausgesetzt, wenn nicht gar zum Tode verurteilt worden wäre, veröffentlichte er die Treatises anonym und unterband jegliche offene Hinweise auf seine Identität. 10 Wie sehr auch Lockes politische Philosophie von seinem empiristischen Denken beeinflusst ist, lässt sich nachweisen, wenn man den Lockeschen Erfahrungsbegriff des Essays erweitert. Ein solches Vorgehen begründet sich darin, dass Locke auch seinen Untersuchungsgegenstand gewissermaßen erweitert: Während er im Essay den einzelnen Menschen und Katharina Perge 408 dessen geistige Welt analysiert, untersucht er in den Treatises die politische Gesellschaft und deren kollektive Welt. Dementsprechend kann Erfahrung in den Treatises als eine Art “kollektive Sensation” verstanden werden, die zwischen den Menschen und ihren individuellen geistigen Welten vermittelt. Erfahrung in diesem Sinne meint also jeglichen zwischenmenschlichen Austausch, der sich über Sinne, Empfindungen, Sprache vollzieht und als Basis jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens fungiert. Nach Locke schließen sich die Menschen freiwillig und in gemeinsamer Übereinkunft zur politischen oder bürgerlichen Gesellschaft zusammen, um den Kriegszustand zu vermeiden und die universalen Grundrechte eines jeden zu schützen (vgl. Locke 1977: II.9.124 ff.). 11 Um Machtmissbrauch zu verhindern, führt Locke zudem das Prinzip der Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive, Föderative) ein (vgl. ebd.: II.12.143-148). 12 Dabei lässt sich sowohl die Bildung des Staates und seiner Institutionen als auch die Legitimität des politischen Systems insgesamt auf die gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesse der bürgerlichen Gesellschaft zurückführen: “Und diese [politische; K. P.] Gewalt hat ihren Ursprung allein in Vertrag und Übereinkunft und in der gegenseitigen Zustimmung derjenigen, die die Gemeinschaft bilden” (ebd.: II.15.171; Hervorh. im Original). Die Gemeinschaft ist zudem Souverän des Staates: “Und so behält die Gemeinschaft beständig eine höchste Gewalt für sich” (ebd.: II.13.149; Hervorh. im Original). Da die Gemeinschaft, die Locke wiederholt als lebendigen, dynamischen “Körper” beschreibt (vgl. ebd.: II.8.96, II.12.145, II.19.211), nur im kollektiven Erfahrungsprozess als Gemeinschaft agieren kann, impliziert Locke, dass sich der Staat primär durch kollektive Erfahrung konstituiert. Zudem betont Locke auch hier die Wichtigkeit sinnlicher Wahrnehmung: “Was Schmeichler auch immer reden mögen, um den Verstand des Volkes zum besten zu halten, es wird die Menschen nicht von ihrem Gefühl abbringen.” (Ebd.: II.7.94) Das empiristische Denken Lockes zeigt sich des Weiteren explizit in der so genannten Prärogative, nach der die Exekutive über die Macht verfügt, ohne Vorschrift des Gesetzes - und notfalls auch gegen den Wortlaut des Gesetzes - nach eigener freier Einschätzung und Erfahrung zu entscheiden, was für das Volk am besten ist (vgl. ebd.: II.14.166). Auch in Zusammenhang der Föderative, die für die Außenbeziehungen des Staates zuständig ist, betont Locke die Wichtigkeit des prärogativen und somit empiristischen Handelns: Gerade im Umgang mit “Fremden” ist es besonders wichtig, sich nicht entsprechend starrer, vorher gefasster Gesetze zu verhalten, sondern nach Klugheit und Gefühl zu handeln (vgl. ebd.: II.12.145-148). Während Lockes Erkenntnisphilosophie im Essay also völlig auf der individuellen (sensualistischen) Erfahrung basiert, ist in den Treatises ein erweiterter, kollektiver Erfahrungsbegriff impliziert, der zur Grundlage seiner politischen Theorie wird. Während die Erfahrung im Essay zwischen Geist und Realität vermittelt, vermittelt die Erfahrung in den Treatises gewissermaßen zwischen den Bürgern und der Regierung sowie zwischen den Bürgern selbst. Angesichts der in seiner Erkenntnisphilosophie betonten Individualität unserer Ideen und Erfahrung zeigen sich jedoch erhebliche Spannungen zu dem impliziten Erfahrungsbegriff der Treatises. Wie sich im Laufe dieses Beitrags zeigen wird, bedarf es zusätzlich der zeichentheoretischen Ausführungen Peirces, um sowohl individuelle als auch kollektive Erfahrung erkenntnisphilosophisch beschreiben zu können. Die Spannung zwischen Lockes individuellem und kollektivem Erfahrungsbegriff verdeutlicht jedoch, dass der Lockesche Volksbegriff nichts mit dem emphatisch überhöhten Volksbegriff, den wir heute mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringen, gemein hat. Locke dachte keineswegs an eine reine, homogene Masse, wenn er von “Volk” oder “Gemeinschaft” sprach, sondern hatte vielmehr die kollektive Erfahrung von Individuen im Sinn, die unterschiedliche, auch Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 409 gegensätzliche Interessen vertreten und trotzdem zu gemeinsamen Entscheidungen finden. Daher soll der Begriff des Volkes im vorliegenden Beitrag auch in diesem Lockeschen Sinne gebraucht werden. Das Prinzip der Volkssouveränität ist eines der innovativen Grundprinzipien der politischen Philosophie Lockes, die die Entwicklung der Französischen Revolution begünstigten und sich in den neuen nationalstaatlichen Konstitutionen in Europa niederschlugen. Insbesondere Lockes Postulate der bürgerlichen Freiheitsbewegung sind in die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution eingegangen (vgl. Euchner 1977: 58). Auch dem epochemachenden Gedanken der staatlichen Gewaltenteilung wird heute in jeder demokratischen Verfassung Rechnung getragen (vgl. Siep 2007: 252; Euchner 1977: 58 f.). Lockes politische Philosophie hat so die Grundlage der liberalen repräsentativen Demokratie - und damit auch des modernen Konzepts der Europäischen Union - gelegt. 13 Die EU lässt sich einerseits auf die politischen Grundprinzipien Lockes zurückführen und ist andererseits ein bislang einzigartiges institutionelles Modell in der Welt. So entstand die EU - wie auch der Lockesche Staat - aus freiwilliger Entscheidung und mit dem vorrangigen Ziel, den Kriegszustand zu vermeiden. 14 Im Unterschied zu der Staatsbildung bei Locke wurde die europäische Integration jedoch von nationalstaatlichen Akteuren - d. h. politischen Eliten - initiiert und bestimmt (vgl. Pfetsch 2001: 68; Schmidt & Schünemann 2009: 242). Der europäische staatliche Zusammenschluss in der heutigen Form der EU ist zudem (vorläufiges) Resultat eines kontinuierlichen Prozesses, der aus vielen verschiedenen Zwischenstufen besteht und bis heute nicht abgeschlossen ist. Dennoch sind die grundlegenden Prinzipien der europäischen Integration und der politischen Philosophie Lockes die gleichen. So übertragen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten freiwillig einen Teil ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten an die Gemeinschaft, bleiben aber trotzdem souveräne Staaten (vgl. Meyer 2004: 228). Auch bekennt man sich in der Präambel des EU-Vertrages explizit zu Freiheit und Menschenrechten (vgl. Pfetsch 2001: 63) - grundlegende Rechte, deren Proklamation auf Lockes Treatises zurückgeht. Des Weiteren stützt sich die EU auf das Prinzip der Gewaltenteilung, das von Locke begründet wurde, um Machtkonzentration und -missbrauch vorzubeugen. Dementsprechend besteht die EU aus einem vielschichtigen Institutionensystem, das die politische Gewalt auf viele verschiedene - staatliche, nichtstaatliche und regionale - Akteure verteilt. Dabei ist es insbesondere die Verbindung von zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und gemeinschaftlichen Politikbereichen, die die EU zum politischen System sui generis macht (vgl. Schmidt & Schünemann 2009: 57 f.; Pfetsch 2001: 119 f.). Eng verknüpft mit dem Prinzip der Gewaltenteilung ist zudem das demokratische Prinzip, auf das sich die EU stützt und das sich ebenfalls bei Locke findet. Bei Locke zeigt sich dieses in der Rolle des mächtigen Volkes, das den eigentlichen Souverän und somit die Quelle der staatlichen Legimitation darstellt. Die EU, als freier Zusammenschluss demokratischer Nationalstaaten, legitimiert sich primär indirekt über die demokratisch gewählten Repräsentanten der einzelnen Mitgliedstaaten. Einzige direkte demokratische Legitimierung erhält die EU durch das von den europäischen Bürgern alle fünf Jahre direkt gewählte Europäische Parlament (vgl. Schmidt & Schünemann 2009: 63 ff.). 15 Dieses verfügt jedoch - trotz wesentlicher Verbesserungen durch den Vertrag von Lissabon (2009) - nach wie vor über eingeschränkte Kompetenzen; so liegt das legislative Initiativrecht weiterhin einzig bei der Europäischen Kommission. Daher wird in der Literatur vielfach ein Demokratiedefizit der EU konstatiert (vgl. z. B. Pfetsch 2001: 255-261; Schmidt & Schünemann 2009: 240 ff.), was zwar nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon deutlich schwächer ausgeprägt ist. Mit Bezug auf Locke, nach dem in einer Demokratie die vom Volk legitimierte Legislative (hier: Katharina Perge 410 Europäisches Parlament) über der Exekutive (hier: Europäische Kommission) steht (vgl. Locke 1977: II.10.132), kann diesem Urteil jedoch weiterhin zugestimmt werden. Natürlich erschwert die besondere und komplexe Beschaffenheit des EU-Systems eine Anwendung nationaler Demokratiekonzeptionen. Dennoch gilt der Lockesche Grundgedanke für jegliche rechtmäßige politische Ausformung, die sich “demokratisch” nennen will: Souverän ist und bleibt das Volk (vgl. ebd.: II.13.149; Schmidt & Schünemann 2009: 243 f.). Die schwache Volkssouveränität zeigt sich jedoch nicht nur in den eingeschränkten institutionellen Voraussetzungen, sondern vielmehr in der mangelnden Partizipation des Bürgers am politischen Leben, d. h. dem verbreiteten Desinteresse an der “weit entfernten” EU und der damit verbundenen niedrigen Wahlbeteiligung bei Europawahlen: War die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen schon bei der ersten Abstimmung 1979 im Vergleich zu nationalen Wahlen relativ niedrig, ist sie bis heute kontinuierlich gesunken. 2009 lag die Wahlbeteiligung gar bei 43%. 16 Zwischen den politischen Ämtern der EU und der erfahrbaren Lebensrealität der Bürger besteht kein zwingender Zusammenhang (vgl. Meyer 2004: 172). So wird aus einer speziellen Eurobarometer-Untersuchung 17 über das Europäische Parlament deutlich, dass den Bürgern das Europäische Parlament - die direkte Volksvertretung auf europäischer Ebene - und dessen funktionelle Eigenschaften mehrheitlich nicht sehr bekannt sind (vgl. Europäische Kommission 2008b: 47-51 sowie 64-66). Zudem hat die EU im Gegensatz zum Lockeschen Staat nicht ein Volk, sondern 27 verschiedene (vgl. Schmidt & Schünemann 2009: 63). Eine wirklich demokratisch legitimierte politische Ordnung im Sinne Lockes wäre erst erreicht, wenn die Bürger der EU ein Kollektiv bilden, sich als ein Volk verstehen und dementsprechend handeln. Dies betont auch Meyer: “Wichtiger als alles andere ist […] die Chance der täglichen Erfahrung politischer Gemeinsamkeit.” (Meyer 2004: 185) Anschließend an das oben diagnostizierte Demokratiedefizit kann somit vielmehr von einem Erfahrungsdefizit der EU gesprochen werden, das sich sowohl auf vertikaler (zwischen EU und Bürgern) als auch auf horizontaler Ebene (zwischen den Bürgern) konstituiert. Nach Locke bedarf es zur Aufrechterhaltung des politischen Systems jedoch der Erfahrung auf beiden Ebenen. Die EU selbst hat offenbar die Bedeutung von Erfahrung - ohne sie als solche zu bezeichnen - seit einiger Zeit erkannt und einige im Lockeschen Sinne empiristische Elemente in ihr institutionelles System implementiert. So hat die EU eine Art prärogatives Verfahren entwikkelt, das seit dem Vertrag von Lissabon (2000) in vielen verschiedenen Bereichen angewandt wird: die Offene Methode der Koordinierung (OMK). 18 Im Rahmen dieser nehmen die EU- Mitgliedstaaten, die dazu bereit sind, an einem flexiblen Koordinierungsprozess teil, in dem ihre Umsetzung politischer Zielsetzungen nach Maßgabe gemeinsamer Leitlinien von Ministerrat und Kommission bewertet wird. Dies ist jedoch nicht mit verbindlichen Verpflichtungen und harten rechtlichen Sanktionen verbunden, sondern gilt als Instrument der weichen Steuerung, d. h. “ihr Medium ist weniger das Recht denn die Debatte” (Schmidt & Schünemann 2009: 267). Wie die Lockesche Prärogative wird auch die OMK fallweise angewandt und setzt auf den kollektiven Lern- und Erfahrungsprozess: laut Kommission “bietet [sie] den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ihre Anstrengungen zu vergleichen und aus den Erfahrungen der anderen zu lernen” (Weißbuch 2001 der Europäischen Kommission, zit. nach: Schmidt & Schünemann 2009: 267). Natürlich muss sich insbesondere die europäische Exekutive (Europäische Kommission und z. T. Ministerrat) an Richtlinien und Gesetzesvorgaben halten. Trotzdem bietet die OMK die Möglichkeit, das Element der Erfahrung auch in das vielschichtige System der EU zu implementieren. Wie bei Locke verbindet die EU hier die Notwendigkeit, sich an Gesetze zu halten, mit der Möglichkeit, frei von diesen zu agieren. Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 411 Laut Meyer trägt die OMK so Entscheidendes zum europäischen Integrationsprozess bei (vgl. Meyer 2004: 204). Des Weiteren hat die EU verschiedene Förderprogramme ins Leben gerufen, die die länderübergreifende Erfahrung in verschiedenen Bereichen unterstützen sollen. Zu diesen Förderprogrammen gehören beispielsweise die Programme “Lebenslanges Lernen”, durch das Schüler-, Studenten- und Wissenschaftleraustausche ermöglicht werden und in das auch das bekannte Erasmus-Programm integriert ist (vgl. Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur 2009c), sowie “Jugend in Aktion”, das vor allem außerschulische Jugendbegegnungen fördert und den Sinn für eine aktive “europäische Staatsbürgerschaft” schärfen will (vgl. Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur 2009b). Letzteres ist auch und vor allem Ziel des Programms “Europa für Bürgerinnen und Bürger”: “Ziel dieses Programms ist es, Europa an seine Bürgerinnen und Bürger anzunähern […]. Mit Hilfe dieses Programms haben die Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit, transnationale Erfahrungen zu machen, zu kooperieren, einen Beitrag zur Entwicklung der Zugehörigkeit zu gemeinsamen europäischen Werten zu leisten und den europäischen Einigungsprozess voranzutreiben.” (Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur 2009a) Die Förderung einer europäischen Staatsbürgerschaft und transnationaler Erfahrungen - bezeichnet als “interkultureller Dialog” - ist ebenso grundlegendes Ziel des EU-Kulturprogramms (vgl. Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur 2009e: 7). Man kann also sagen, dass die EU der Erfahrung zwischen den Menschen in Europa inzwischen eine tendenziell große Bedeutung beimisst, indem sie diese (implizit) zu den Zielen verschiedener Förderprogramme zählt. Die Anzahl der europäischen Bürger, die in die unterstützten Projekte involviert sind, ist jedoch aufgrund der - auch mit Blick auf die von Locke betonte Wichtigkeit der Erfahrung - niedrigen Fördersummen verhältnismäßig gering. So liegt der Anteil derjenigen Studenten, die mit dem bekannten Erasmus-Programm Europa erfahren, mit einer einzigen Ausnahme (Liechtenstein) in keinem europäischen Land über 2%, bei der Hälfte aller in das Erasmus-Programm eingebundenen Länder gar unter 1%. 19 Das größte Hindernis, um im Ausland zu studieren, stellt dabei nach Ansicht der Studenten der Mangel an finanziellen Mitteln dar (vgl. Europäische Kommission 2009a: 28 ff). Auch das Budget des aktuellen EU-Kulturprogramms kann als zu niedrig eingeschätzt werden: So konstatiert der Deutsche Kulturrat, dass sich das EU-Parlament zwar seit Jahren zu einem anzustrebenden Anteil von einem Prozent am Gesamtetat der EU bekenne, die Zielvorgabe des Programms von diesem Anteil jedoch weit entfernt sei (vgl. Deutscher Kulturrat 2004, S. 2 f.). Das Programm “Europa für Bürgerinnen und Bürger”, das explizit auf die Erfahrung und Entwicklung europäischer Staatsbürgerschaft ausgerichtet ist, verfügt dagegen über noch weniger Finanzmittel als das Kulturprogramm (vgl. Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur 2009d: 17; Deutscher Kulturrat 2004: 2). Die EU schafft es also - trotz Bemühen - derzeit kaum, die Mehrheit der Bürger zu erreichen oder den Erfahrungsaustausch unter den Bürgern deutlich zu fördern. 3 Erfahrung und Medialität: Zeichentheoretische Ansätze am Beispiel von Charles Peirce Nachdem dargelegt wurde, dass sowohl unsere Idee von Europa als auch die europäische Integration auf Erfahrung beruht, soll in einem nächsten Schritt der Begriff der Erfahrung Katharina Perge 412 konkretisiert und die enge Verknüpfung von Erfahrung und Medialität erörtert werden. Hierzu werden die zeichentheoretischen Ausführungen Charles Peirces (1839-1914) herangezogen und mit der Lockeschen Erkenntnisphilosophie in Verbindung gesetzt. So kann zum einen die im Kontext Europa wichtige Verschränkung von individueller (subjektiver) und kollektiver (objektiver) Erfahrung erläutert werden - ein Aspekt, der bei Locke nicht zufriedenstellend geklärt werden kann. Zum anderen kann mit Peirce der Begriff der medialen Erfahrung expliziert werden, dem insbesondere im Zusammenhang der europäischen Erfahrung eine wichtige Bedeutung zukommt. 3.1 Objektivität und Common Sense Wie schon Locke begründet auch Peirce seine gesamte Philosophie im Begriff der Erfahrung. Dementsprechend fasst Peirce Philosophie generell als Erfahrungswissenschaft auf: “Philosophie ist jene Wissenschaft, die sich darauf beschränkt, alles ihr mögliche über die gewöhnliche alltägliche Erfahrung herauszufinden, ohne besondere Beobachtungen zu machen” (Peirce 2000b: 193; Hervorh. im Original). Jeglicher Erfahrungsprozess ist bei Peirce durch die universalen Kategorien der Erstheit (rein qualitativ), Zweitheit (unterscheidend) und Drittheit (abstrahierend) strukturiert. Dabei nimmt die Drittheit insofern eine besondere Stellung ein, als dass sie zwischen Erstheit und Zweitheit vermittelt und durch die verständnisorientierte Reflektion der ihr gegebenen Elemente kognitive Prozesse überhaupt erst ermöglicht (vgl. Peirce 1991: 23 ff., 69; Peirce 2000a: 192, 346, 382, 431; Peirce 1983: 58). Da Lockes erkenntnisphilosophischer Erfahrungsbegriff der Peirceschen Erstheit entspricht, stellt die sinnliche Wahrnehmung sowohl bei Peirce als auch bei Locke den ersten Bezugspunkt des Erkenntnisprozesses dar. Peirce baut also auf Locke auf, erweitert dessen Erfahrungsbegriff jedoch. 20 Für Peirce besteht unsere ganze Welt notwendigerweise aus Zeichen: Die rein qualitativ empfangenen Datenmengen müssen im Erfahrungsprozess vom Geist sinnstiftend interpretiert werden, um die alltägliche Orientierung zu gewährleisten. Da kognitive Prozesse erst durch Drittheit ermöglicht werden, konstituiert sich das Zeichen insgesamt auf der Ebene der Drittheit. Das Zeichen selbst wiederum stellt eine triadische Relation aus Zeichenmittel, Objekt und Interpretant dar, welche insofern als inhaltliche Verkörperungen der drei Fundamentalkategorien verstanden werden können, als dass der Interpretant (Drittheit der Drittheit) zwischen Zeichenmittel (Erstheit der Drittheit) und Objekt (Zweitheit der Drittheit) vermittelt (vgl. Peirce 1983: 64; Peirce 2000b: 162). Indem Locke Ideen als Zeichen von Dingen und Wörter als Zeichen von Ideen versteht und sich im Essay der detaillierten Ideen- und Wörteranalyse widmet, kann Locke zwar als Vater der modernen Semiotik gelten (vgl. Eco 1977: 75). Doch Locke entwickelte selbst keine Zeichendoktrin; erst bei Peirce erfährt der Begriff des Zeichens seine volle Ausgestaltung in einer umfassenden Klassifikation. Dabei beruft sich Peirce auf die μ (Simeiotikí), d. h. die Lehre von den Zeichen, bei Locke (vgl. Nöth 2000: 3). Peirce erweitert also nicht nur das Lockesche Konzept der Erfahrung, sondern setzt vor allem den bei Locke aufgeworfenen Begriff des Zeichens ins Zentrum seiner erkenntnistheoretischen Überlegungen. Indem nach Locke jeder nur völlig eigene Ideen von den Dingen hat, auch die Wörter nur mit eigenen Ideen füllt und anhand der individuellen Erfahrung zur Erkenntnis gelangt, betont Locke vor allem die Subjektivität der Erfahrung. Dies ist der Grund dafür, dass der erkenntnisphilosophische Erfahrungsbegriff Lockes sich nur bedingt mit dem in seiner politischen Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 413 Philosophie implizierten Begriff der kollektiven Erfahrung verträgt. Peirce dagegen ging es immer darum, die Philosophie durch eine objektiv gültige Theorie der Erfahrung und des Geistes zu begründen (vgl. Pape 2000: 15). Dementsprechend ist die Objektivität unserer Erfahrung und all unseres Wissens einer der grundlegendsten Aspekte der Peirceschen Zeichentheorie. Nach Peirce sind unsere Gedanken nur scheinbar völlig individuell, da diese in ihrer Abstraktheit immer schon ausgehend von sowie ausgerichtet auf einen objektiv gültigen Verstehens- und Verständigungshorizont sind (vgl. Oehler 1993: 43). Damit Zeichen interpretiert werden können, bedarf es eines Repertoires bekannter Bedeutungsmuster, auf die sich der Interpretant in der Semiose beziehen kann. Den jeder Semiose vorhergehenden allgemeinen Bedeutungshorizont, der nicht ignoriert werden kann, bezeichnet Peirce als Common Sense, d. h. als “das Wissen, das alle Menschen sozusagen bereits besitzen; und tatsächlich ist es so, daß der Anfänger im Studium der Philosophie bereits ein Wissen besitzt, dessen Gewicht weit größer ist als alles, was die Wissenschaft ihn jemals lehren kann.” (Peirce 1983: 163) Zur Verwendung eines Zeichens bedarf es demnach vielfältiger Voraussetzungen; ein Symbol kann z. B. nur erfasst und richtig interpretiert werden, wenn man die dazugehörige Regel und die Stellung des Symbols im Zeichensystem kennt. Der Common Sense bezeichnet also das allgemeine Wissen, das jeder Mensch durch Erfahrung bereits erlernt hat und das damit sowohl Bezugspunkt als auch Produkt jeder neuen Erfahrung bzw. Semiose ist. Der Common Sense ist insofern vor allem gemeinsamer Erfahrungskontext, als dass dieser ein System von gemeinsamen Überzeugungen und Konventionen konstituiert, auf das der Handlungsablauf des alltäglichen Geschehens einer Gemeinschaft angewiesen ist. Insbesondere in der zwischenmenschlichen Kommunikation ist dieser gemeinsame Bezugsrahmen, d. h. das gemeinsame Bewusstsein als ein Wissen um das Wissen des anderen, Voraussetzung für das gegenseitige Verstehen: “Aber wenn eine Person einer anderen irgendwelche Informationen vermitteln will, so muß dies auf der Basis gemeinsamer Erfahrung geschehen. Sie müssen diese Erfahrung nicht nur besitzen, sondern jeder muß wissen, daß der andere weiß, daß er weiß, daß der andere sie hat […]. Kurzum, sie müssen sich vollständig darüber verständigt haben, daß sie über Objekte aus einer Menge sprechen, mit der beide einigermaßen vertraut sind.” (Charles Peirce, zit. nach Pape 1983: 29; Hervorh. im Original) Diese Gedanken finden sich in ähnlicher Weise bei Locke; so schreibt er im dritten Buch seines Essays: “Die Menschen setzen voraus, daß ihre Wörter auch Kennzeichen der Ideen im Geiste anderer sind, mit denen sie sich unterhalten. Denn andernfalls würden sie vergeblich reden und könnten nicht verstanden werden” (Locke 2006a: III.2.4; Hervorh. im Original). Demnach benutzen die Menschen die Wörter “im Sinne des herrschenden Sprachgebrauchs” (ebd.). Der entscheidende Unterschied zwischen Peirce und Locke besteht nun darin, dass Ersterer die Universalität, Letzterer aber die Individualität des Geistes betont. Für Locke bezeichnen Wörter nur die Ideen, die im Geist des Sprechenden vorhanden sind; diese Wörter werden gleichzeitig mit der Annahme verwendet, dass sich ähnliche Ideen im Geiste anderer befinden. Peirce dagegen betrachtet Wörter generell, unabhängig vom Kontext, in dem sie verwendet werden, als Bestimmungen der reinen Idee des “universalen Geistes” (Peirce 2000a: 100), d. h. als Ideen des Common Sense. Dies zeigt sich daran, dass Wörter nicht einfach zerstört werden können: “Sie können das Wort ‘Stern’ schreiben, doch sie werden dadurch nicht der Schöpfer des Wortes, und Sie zerstören es auch nicht, wenn sie es auslöschen. Das Wort lebt im Geist derjenigen, die es verwenden” (ebd.: 200). Für Peirce besteht Katharina Perge 414 daher “zwischen allen intelligenten Wesen eine gewisse Identität im Sinne einer dynamischen Kontinuität” (ebd.: 234). Warum aber betont Peirce die Objektivität und Gemeinsamkeit unserer Erfahrung, obwohl seine Überlegungen auf dem individuellen Erfahrungsbegriff Lockes basieren? Der Grund hierfür liegt in dem unterschiedlichen Zeichenverständnis von Peirce und Locke: Während Peirce das Zeichen als triadische Relation versteht, in der das dritte, vermittelnde Moment - der Interpretant - auf objektiv gültige Bedeutungsmuster des Common Sense zurückgreift, ist das Zeichenmodell Lockes ein dyadisches, indem Ideen Zeichen von Dingen und Wörter Zeichen von Ideen sind. 21 Locke definiert kein zeichenimmanentes Moment, das sich auf objektive Bedeutungsmuster bezieht. Daher kann nicht mit Locke, aber mit Peirce kollektive bzw. objektive Erfahrung erkenntnisphilosophisch beschrieben werden. Diese konstituiert sich mit dem Zeichenprozess auf der Ebene der Drittheit. Erfahrung ist bei Peirce allerdings nicht ausschließlich objektiv. Schließlich stellen auch nach Peirce subjektive Empfindungsqualitäten den Ausgangspunkt jeder Erfahrung dar. Zudem greift der Interpretant im Prozess der Semiose nicht nur auf allgemein gültige Bedeutungsmuster des Common Sense, sondern ebenso auf persönliche Erfahrungen der Vergangenheit zurück, die zusammen “das kognitive Ergebnis unseres bisherigen Lebens” (Peirce 2000a: 380) bilden. Erfahrung und Denken zeigt sich damit als semiotisch strukturierter Prozess, der stets in einen Kontext eingebettet ist und so individuell und allgemein zugleich ist. Der Mensch ist nach Peirce folglich zugleich Subjekt und Objekt der Erfahrung und damit semiotisch-interagierender Teil einer Gemeinschaft von Interpretierenden (vgl. Peirce 2000c: 230; Pape 2000: 12 f.; Pruisken 2007: 107). Die Schnittstelle der Subjektivität und Objektivität unserer Erfahrung bildet die Drittheit, da sich hier das sowohl subjektive als auch objektive Zeichen konstituiert. 3.2 Die Vermittelheit der Erfahrung Da ein Medium seiner etymologischen Bedeutung entsprechend ein Drittes bezeichnet, das in einem Bedeutungszusammenhang zwischen einem Ersten und einem Zweiten vermittelt, kann das sich auf der Drittheit konstituierende Zeichen als Medium verstanden werden. Dementsprechend stellt Peirce 1906 fest: “All my notions are too narrow. Instead of ‘Sign’, ought I not to say Medium? ” (Peirce, zit. nach Nöth 1997: 3; Hervorh. im Original) Zudem schreibt er im gleichen Jahr in einem Briefentwurf an Lady Welby: “I use the word ‘Sign’ in the widest sense for any medium for the communication or extension of a Form (or feature)” (Peirce 1977: 196. Hervorh. im Original). 22 In Anlehnung an das pansemiotische Verständnis Peirces kann somit nicht nur von einer Allgegenwärtigkeit der Zeichen, sondern vielmehr von einer Allgegenwärtigkeit der Medien bzw. Mediasphären 23 gesprochen werden. Da ein medialer Prozess darin besteht, dass ein Drittes zwischen einem Ersten und einem Zweiten vermittelt, kann darüber hinaus auch der gesamte Prozess der Erfahrung als medialer Prozess bezeichnet werden. Der mediale Erfahrungsprozess nimmt seinen Ausgang in unreflektierten, rein ästhetischen Empfindungsqualitäten (Erstheit), die sich zu konkreten, von anderen unterscheidbaren Momenten ausformen (Zweitheit) und schließlich als verstehbare, d. h. zeichenhafte, Sinngehalte bestimmt werden (Drittheit). Erst im mittelbaren Zeichen - der durch den Verstand zur Einheit gebrachten Darstellung der vormals ungeordneten Sinneseindrücke - kann das menschliche Bewusstsein denken, erfahren und die Dinge der Außenwelt erkennen. Das Zeichen als Medium und als Verkörperung der Drittheit vermittelt dabei zwischen der Erstheit und Zweitheit unserer Erfahrung. Da Erstheit diejenige Kategorie Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 415 darstellt, in der zum ersten Mal Sinnesempfindungen in unsere Erfahrung eingeführt werden, und Zweitheit diejenige Kategorie ist, in der zum ersten Mal Verstandestätigkeiten - wenn auch noch sehr rudimentär - erforderlich sind, lässt sich das Zeichen als mediale Schnittstelle zwischen Sinnlichkeit und Verstand bzw. - da die Erstheit unmittelbare Qualitätsmomente umfasst - zwischen Realität und Bewusstsein begreifen. 24 Demnach ist jede Erfahrung mediale, d. h. vermittelte, Erfahrung. Die Realität ist also nur durch die Vermittlung des Zeichens erfahrbar. Durch die sich auf der Drittheit konstituierende Objektivität unserer Erfahrung vermittelt das Zeichen zudem zwischen verschiedenen Drittheiten bzw. Bewusstseinen der Drittheit. Dies entspricht dem vagen Begriff der kollektiven Erfahrung aus Lockes politischer Philosophie, nach dem Erfahrung zwischen den Menschen vermittelt. Indem auf der Ebene des Zeichens der Interpretant zwischen Objekt und Zeichenträger vermittelt und sich durch Rückgriff auf den Common Sense konstituiert, ist Erfahrung also immer auch ein vermittelnder Prozess im Grenzbereich von Subjektivität und Objektivität, von vergangenen und zukünftigen Bedeutungsmustern. Medialität ist damit sinnkonstitutive Bedingung von Erfahrung überhaupt (vgl. Pruisken 2007: 153, 170). Pruisken bezeichnet daher den von Peirce initiierten semiotic turn vielmehr als medial turn (vgl. ebd.: 76). 3.3 Die Realität der Medienwirklichkeit Peirce definiert das Reale als “that whose characters are independent of what anybody may think them to be” (Peirce 1931-35: 5.405), d. h. als die vom Denken unabhängigen Entitäten, während Wirklichkeit das ist, was sich aus den stets vorläufigen medialen Darstellungsmitteln - den Zeichen - über die Realität erschließen lässt: “Was ist Wirklichkeit? Vielleicht gibt es so etwas überhaupt nicht. Ich habe wiederholt darauf bestanden, dass sie nur eine Retroduktion ist, eine Arbeitshypothese, die wir erproben, unsere einzige verzweifelte verlorene Hoffnung, irgendetwas zu wissen.” (Peirce 2002: 217) Wirklichkeit lässt sich also als semiotisches Konstrukt begreifen, das eine antizipierte, von diesem unabhängige Realität repräsentiert, die dem menschlichen Bewusstsein nur durch ebendiese semiotische Vermittlung zugänglich ist. Dieses Konstrukt zeigt uns die Dinge zwar höchst wahrscheinlich so, wie sie tatsächlich sind, ist aber trotzdem so lange “Arbeitshypothese”, bis es in the long run der Realität entspricht, d. h. Erkanntes und Erkennbares sicher identisch sind (vgl. Peirce 1931-35: 5.311; Peirce 2000b: 321; Peirce 2000a: 174). 25 Wesentlicher Bestandteil des Peirceschen Begriffs der Realität ist damit die überindividuelle Gemeinschaft als Träger des unendlichen Forschungsprozesses (vgl. Peirce 1931-35: 5.311). Nur in der Gemeinschaft können wir sicher sein, dass wir “das Wahre”, d. h. das Reale, wahrnehmen: “Meantime, we know that humans are not whole as long as they are single, that they are essentially possible members of society. Especially, our experience is nothing if it stands alone. If we see what others cannot, we call it hallucination. It is not ‘my’ experience, but ‘our’ experience that has to be thought of, and this ‘we’ has indefinite possibilities” (Ebd.: 5.402) 26 Die Realität des Realen besteht damit für den Menschen bis zur finalen Übereinstimmung einzig in der gemeinschaftlichen Erfahrung und der Repräsentation des Realen im Medium des Zeichens. Mediale Wirklichkeit bedeutet also Zugänglichkeit oder Aneignung von Realität (vgl. Oehler 1993: 76 f., 94; Seel 1998: 253). Katharina Perge 416 Medien waren und sind immer schon konstitutiver Bestandteil von Gesellschaft und Wirklichkeit. Indem Medien Bedeutung vermitteln und erzeugen, werden vielmehr die Möglichkeitsbedingungen von Erfahrung überhaupt durch die jeweiligen kulturellen Leitmedien bestimmt (vgl. Pruisken 2007: 20 f). Jede Veränderung kultureller Medien hat in der bisherigen Menschheitsgeschichte allerdings radikal ablehnende Reaktionen ausgelöst, die von dem Vorwurf der Entfremdung und des Realitätsverlusts genährt wurden. So wollte schon Platon in seinem Dialog Phaidros die Gefährlichkeit der Schrift aufzeigen, weil diese den Seelen Vergessenheit einflöße und die Fähigkeit der Erinnerung vernachlässige (vgl. Eco 1989: 37 f.; Hartmann 2003a: 298 f.). Kant wiederum wetterte gegen die vermeintlich aufklärende Verwendung von Bildern, da so dem Menschen die Mühe genommen werde, “seine Seelenkräfte über die Schranken auszudehnen” (Immanuel Kant, zit. nach Hartmann 2003a: 299). Besonders die Vertreter der Kritischen Theorie, allen voran Adorno und Horkheimer, kritisierten in den 1940er Jahren die rein passive Rezeption und das damit verbundene manipulative, demagogische Potential der “Kulturindustrie” und der so genannten Massenmedien (vgl. Adorno/ Horkheimer 1997: 128 ff.; Hartmann 2003a: 307 f.). 27 Enzensberger bezeichnete das Fernsehen gar als “Nullmedium”, da dieses keinerlei Informationen und Bedeutungen vermittele: “Man schaltet das Gerät ein, um abzuschalten.” (Enzensberger 1997: 155) Ein Extrembeispiel der Abwertung medialer Erfahrung stellt aber zweifelsohne die These Baudrillards dar, nach der wir uns im dritten Stadium des durch die elektronischen Medien hervorgebrachten Simulakrum befinden und den Zugang zur Realität vollkommen verloren haben. Eine solche “Hyperrealität” sei demnach bloße Simulation (vgl. Baudrillard 1978: 7 ff., 24 ff.; Pruisken 2007: 31). Gerade mit Blick auf Peirce kann solchen “apokalyptischen” 28 Kulturszenarien jedoch nicht zugestimmt werden. Zwar soll nicht bestritten werden, dass Massenmedien erheblich zur Verbreitung bestimmter Ideologien beitragen können. So kann beispielsweise eine wahrheitswidrige Montage von Bildern oder ein bestimmter Schreibstil durchaus zu Zwecken der Manipulation und bewussten Täuschung verwendet werden, d. h. generell die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Interpretation auf Seiten der Rezipienten durch eine zweckgerichtete Semiotisierung erhöht werden. Insofern sind die Ausführungen eines Adornos oder Baudrillards als Warnungen bezüglich der Möglichkeiten intentionaler Semiotisierungen aufzufassen. Dennoch erfordert der mediale Text zum einen die aktive Interpretationsleistung des Rezipienten, die darin besteht, dass dieser in einem nicht endenden Prozess und unter Rückgriff auf Common Sense und persönliche Erfahrungen Interpretanten produziert, die zwischen den einzelnen Zeichenträgern und Objekten des Textes vermitteln und wiederum neue Zeichen- und damit Interpretationsprozesse initiieren. Auch Locke betont die Aktivität des Interpretationsprozesses, die darin besteht, dass der Verstand die komplexen Ideen aktiv zusammensetzt (vgl. Locke 2006a: II.7.1). 29 Zum anderen ist die in den Medien repräsentierte Welt durch die Allgegenwärtigkeit der Zeichen bzw. Medien immer schon eine vor den Medien semiotisierte bzw. mediatisierte Welt, so dass die Semiotisierungen der medialen Texte nur eine von vielen Stufen der unendlichen Vermittlungsprozesse (Semiosen) darstellen. 30 Die “Hyperrealität” ersetzt daher nicht eine vermeintlich unmittelbare Realität durch künstliche Zeichen, weil diese Realität dem menschlichen Bewusstsein auch schon vor der “hyperrealen” Mediatisierung nur durch Zeichen vermittelt wurde. Dementsprechend schaffen moderne Medien Realität nicht ab, sondern vermitteln uns diese auf neuem Wege. Sie verändern zwar unsere Wirklichkeitswahrnehmung, schaffen damit aber neue, nicht “weniger reale” Erfahrungsorte. Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 417 4 Europäische Erfahrung durch mediale Erfahrung Wie anhand der empiristischen und politischen Philosophie John Lockes dargelegt, beruht sowohl die Idee Europa als auch das politische System der Europäischen Union auf europäischer Erfahrung. Gerade im Zusammenhang des europäischen Integrationsprozesses bedarf es dabei vor allem einer Erfahrung, die sich sowohl zwischen den Bürgern und der EU als auch zwischen den Bürgern selbst konstituiert. Der Begriff der kollektiven Erfahrung lässt sich jedoch weder anhand Lockes empiristischer noch anhand seiner politischen Philosophie konkretisieren. Wie zuvor gezeigt, bedarf es für ein solches Vorhaben vielmehr der zeichentheoretischen Ausführungen Peirces. Das in Lockes politischer Philosophie implizierte Verständnis kollektiver Erfahrung entspricht dem Begriff der objektiven Erfahrung bei Peirce. Objektivität konstituiert sich bei Peirce auf der Ebene der Drittheit, da der Interpretant im Zeichenprozess auf die universalen Ideen des Common Sense zurückgreift, um Bedeutung zu generieren. Die formalen Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit beschreiben nach Peirce aber nicht nur den Prozess der Erfahrung, sondern vielmehr die allgemeinste Struktur der Realität. 31 Die einzelnen Antagonismen und Differenzen innerhalb Europas lassen sich demnach als Manifestationen der Zweitheit begreifen - auch im Erfahrungsprozess, da wir diese Differenzen als dyadische Relationen wahrnehmen. Da sich objektive Erfahrung bei Peirce auf der Ebene der Drittheit konstituiert und damit zum einen zwischen Erstheit (die wahrgenommene Entität) und Zweitheit (das wahrgenommene Andere), zum anderen zwischen den einzelnen, sich auf den Common Sense beziehenden Bewusstseinen (Drittheiten) vermittelt, findet sich die Vermittlungsfunktion kollektiver europäischer Erfahrung auch bei Peirce wieder. 32 Kollektive Erfahrung ist nach Peirce vor allem insofern kollektiv, als dass der Interpretant auf gemeinsame Ideen des Common Sense zurückgreift. Dementsprechend wird kollektive Erfahrung zu europäischer Erfahrung, wenn sich der Interpretant auf europäisch konnotierte Bedeutungsmuster eines gewissermaßen europäischen Common Sense bezieht. Da der Common Sense generell sowohl Bezugspunkt als auch Produkt jeder Erfahrung ist, sich also im kontinuierlichen Erfahrungsprozess aller konstituiert und verändert, entstehen die Bedeutungsmuster eines solchen europäischen Common Sense wiederum nur durch europäische Erfahrung. Europäische Erfahrung und europäischer Common Sense beeinflussen und bedingen sich folglich gegenseitig. Erfahrung wird bei Peirce generell vermittelt durch sich auf der Drittheit konstituierende Zeichen bzw. Medien. Zur Konstituierung europäischer Erfahrung, die einen europäischen Common Sense entstehen lässt und von diesem beeinflusst wird, bedarf es daher vor allem europäischer Medien. Die Kategorie der Drittheit stellt die Ebene dar, auf der europäische Erfahrung medial und kollektiv wird: Erst in der Drittheit europäischer Erfahrung interpretieren wir das in der Zweitheit wahrgenommene Andere unter Bezugnahme auf den sich bildenden europäischen Common Sense; wir abstrahieren, ziehen Verbindungen und generieren neue europäische Bedeutungsmuster. Dabei kann ein Medium (europäische) Bedeutungen und Erfahrungen nur vermitteln, wenn es als gemeinsames Drittes zwischen einem Ersten und einem Zweiten fungiert. Dies zeigt sich bei Peirce durch die Betonung der Objektivität unserer Erfahrung und das Wort “Common” in seinem Begriff des Common Sense. Durch solch ein gemeinsames Medium wird ein medialer Erfahrungsraum, d. h. eine gemeinsame Mediasphäre - ein Raum der Drittheit - geschaffen. Europäische Medien müssen also vor allem gemeinsame, d. h. paneuropäische, Medien darstellen, wenn sie ihre Funktion als Vermittler von Erfahrung zwischen den Bürgern in Europa (sowie zwischen den Bürgern und Katharina Perge 418 der EU) erfüllen wollen. Das zuvor festgestellte Erfahrungsdefizit zeigt, dass es Europa und der EU bisher an solchen gemeinsamen Medien mangelt. Daher soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, wie ein gemeinsames europäisches Medium konkret aussehen kann. Europäische bzw. EU-Symbole wie die EU-Flagge, der Euro oder das EU-Nummernschild stellen als genuine Drittheiten und durch die Vermittlung europäischer Bedeutungsmuster Medien im Peirceschen Sinne dar. Dennoch sind diese Symbole einzeln nur begrenzt fähig, in größerem Ausmaß zur Vermittlung europäischer Erfahrung beizutragen, da der Umfang der vermittelten Bedeutungen, die sich auf einen europäischen Common Sense beziehen, bei einem einzigen Symbol verhältnismäßig gering ist. In diesem Sinne ergab eine 2006 von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie, dass sich 78% der europäischen Bürger, die der Eurozone angehören, seit der Einführung des Euros nicht “europäischer” fühlen, d. h. Europa durch den Euro nicht bewusst mehr erfahren haben (vgl. Europäische Kommission 2006b: 42 f.). Das erfahrungsbezogene Zeichensystem der Sprache ist nach wie vor das leistungsfähigste und umfassendste Medium der Menschheit (vgl. Boeckmann 1994: 210). So versteht Peirce Wörter als Symbole und damit als Drittheiten bzw. Medien. Auch Locke hat die vermittelnde Funktion der Wörter betont. Es gibt in Europa aber nicht eine Sprache, die von allen Menschen Europas gesprochen wird; allein die EU verfügt offiziell über 23 verschiedene Amtssprachen (vgl. Schmidt & Schünemann 2009: 28). Während die EU aufgrund politischer Anerkennung offiziell mehrsprachig ist und gigantische Übersetzungsdienste beschäftigt, haben die Europäer dagegen Englisch als Lingua Franca in ihrer Alltags- und Erfahrungsrealität entdeckt und akzeptiert; unabhängig von sprachpolitischen Beschlüssen setzt sich damit auf der konkreten Erfahrungsebene das gemeinsame Medium durch, auf das sich im Handeln alle am leichtesten einigen können (vgl. Meyer 2004: 176-180). Dennoch sprechen bei weitem nicht alle Menschen in Europa ein Englisch, mit dem sie sich problemlos verständigen können. 33 Die Sprachenvielfalt dagegen sichert die kulturelle Dynamik Europas. Laut Posner gehören polyglotte Individuen, polyglotte Territorien und polyglotte Kommunikationsweisen zu den kulturell fruchtbarsten Erscheinungen (vgl. Posner 1998: 49). Die EU hat daher einen eigenen Kommissar für Mehrsprachigkeit und verfolgt in ihrer Sprachpolitik das Ziel, dass alle Bürger Europas neben ihrer Muttersprache mindestens zwei Fremdsprachen beherrschen (vgl. Europäische Kommission 2009b). Dieses Vorhaben kann mit Peirce (und Locke) befürwortet werden: je mehr Sprachen die Menschen in Europa sprechen, desto mehr verfügen sie über potentielle gemeinsame Medien, die zur Förderung kollektiver Erfahrung und zur Konstituierung eines europäischen Common Sense beitragen - ohne die kulturelle Dynamik Europas zu gefährden. Indem die so genannten Massenmedien zwischen möglichst vielen Menschen vermitteln, entsprechen diese ihrer Intention nach einem im Peirceschen Sinne kollektiven Medium. Der Begriff des Massenmediums ist insofern negativ konnotiert, als dass durch den umstrittenen Begriff “Masse” vor allem die Monodirektionalität und passive Rezeption der Medieninhalte betont (und kritisiert) wird. Mit Peirce konnte jedoch gezeigt werden, dass auch die Rezeption eines durch Massenmedien vermittelten Textes der aktiven Interpretationsleistung des Subjekts bedarf. Der Begriff soll daher im vorliegenden Beitrag neutral verwendet werden. Mit dem Fernsehen, der Zeitung oder dem Radio sind die Erfahrungsmöglichkeiten der Menschen enorm gestiegen, so dass diese in Wahrnehmung und Kommunikation nicht mehr an die Situation ihres leiblichen Aufenthalts gebunden sind, d. h. die “Situation der Erfahrung” nicht mehr zwingend der “erfahrenen Situation” entsprechen muss. 34 Europäische Erfahrung ist für viele Menschen in Europa vielmehr nur durch massenmediale Erfahrung Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 419 möglich, da nicht allen die Möglichkeit interpersonaler Erfahrung gegeben ist. Ein Massenmedium wie das Fernsehen stellt dabei ein komplexes Zeichensystem dar, das verschiedenste Medien und mediale Prozesse in sich vereint, wie z. B. Bild, Sprache, Ton, Mimik, Gestik etc. (vgl. Boeckmann 1994: 58). Das Fernsehbild erscheint uns so als vielschichtiger “Text”, den der Geist in der Drittheit unter Rückgriff auf Common Sense und persönliche Erfahrungen zu “lesen” vermag. Da unsere Erfahrung immer schon mediale Erfahrung ist und die in den Medien repräsentierte Welt immer schon eine vor den Medien semiotisierte Welt ist, kann massenmediale Erfahrung zudem nicht als minderwertige oder sekundäre Erfahrung verurteilt werden. Die massenmediale Erfahrung ist durch die Vielfalt an Medien, die ein Massenmedium integriert, vielmehr im Besonderen fähig, Bezug zu einer Fülle an europäischen Bedeutungsmustern, d. h. zu einem sich konstituierenden europäischen Common Sense, herzustellen. In diesem Sinne hat eine empirische Untersuchung Tenschers und Schmidts, die diese in der deutsch-französischen Grenzregion der Südpfalz durchgeführt haben, gezeigt, dass (zumindest dort) weniger die direkte transnationale, zwischenmenschliche Erfahrung als vielmehr die Erfahrung Europas in und durch Massenmedien ausschlaggebend für eine Unterstützung der europäischen Integration ist (vgl. Tenscher & Schmidt 2004: 234). Derzeit existiert ein gemeinsames europäisches Massenmedium, das einem solchen Anspruch gerecht werden könnte, aber (noch) nicht. Der Mitte der 1950er Jahre von der European Broadcasting Union (EBU) gegründete Fernsehprogrammverbund Eurovision ermöglicht zwar einen konstanten Programm- und Nachrichtenaustausch zwischen den beteiligten nationalen Rundfunkanstalten in Europa (vgl. Beierwaltes 2002: 227 f.). In den 1980er Jahren sind mit Eurikon und Europa-TV jedoch zwei Versuche gescheitert, einen europaweiten Fernsehsender mit mehrsprachigem Vollprogramm einzurichten. 35 Gegenwärtige mehrsprachige Spartenkanäle wie Eurosport, Euronews oder Arte sprechen nur eine bestimmte Zielgruppe an, ebenso einsprachige Spartensender wie CNN International, BBC World, Sky News, CNBC oder National Geographic, die sich zudem nicht an ein genuin europäisches, sondern an ein weltweit internationales Publikum wenden. Sprachraumprogramme wie 3Sat oder TV5 wiederum senden regional sehr begrenzt und einzig in einer Programmsprache (vgl. Domeyer 2008: 21 f.). Ebenso publizieren die einzigen transnationalen Printmedien nur in einer Sprache (Englisch), wie z. B. European Voice, Financial Times, The Economist und E! Sharp, und richten sich außerdem an eine Elite aus Politik, Wirtschaft und Medien (vgl. ebd.: 23). Im Hörfunksektor haben sich 2007 dagegen 16 internationale, nationale, regionale und lokale Radiosender zu dem europäischen Radioprojekt Euranet zusammengeschlossen, im Rahmen dessen die beteiligten Sender täglich europäisch ausgerichtete Gemeinschaftssendungen (in ihrer jeweiligen Sprache) ausstrahlen (vgl. Kohnen 2008). Erklärtes Ziel von Euranet ist es dabei, “durch eine lebensnahe europäische Berichterstattung eine gemeinsame öffentliche Sphäre zu schaffen” (ebd.: 156 f.) und so “die Kommunikationskluft zwischen den EU-Institutionen und den Bürgern” (ebd.) zu überbrücken. Während das Fernsehen nach wie vor das kulturelle Leitmedium der Europäer darstellt (vgl. Europäische Kommission 2009: 133 f.), wird das Internet zunehmend insbesondere von der jüngeren Generation genutzt (vgl. Hauff 2008: 152). 36 Dabei ist das Internet kein genuines “Massenmedium” wie Fernsehen, Zeitung oder Radio, da zwar auch eine möglichst unbegrenzte Zielgruppe an den verbreiteten Informationen teilhaben kann, die mediale Kommunikation des Internets aber vor allem durch außerordentliche Interaktivität gekennzeichnet ist (vgl. Pruisken 2007: 207). Durch die Integration verschiedenster medialer Praktiken wird das Internet nach Pruisken gar zum “Universalmedium”: “Texte, Bilder, Filme, synchrone Katharina Perge 420 Kommunikation via Chat oder Videokonferenzen; nichts widersteht der Einbindung in dieses Universalmedium.” (Ebd.: 45; Hervor. im Original) Die offene semantische Struktur des Internets kann dabei als Manifestation der unendlichen Peirceschen Semiose verstanden werden: Der non-lineare Hypertext ist immer nur in der Produktion gegenwärtig und kann nie zu Ende gelesen werden (vgl. ebd.: 46-49). Durch die so eröffnete Multiperspektivität der Textzugänge kann prinzipiell jeder zum aktiven Teilnehmer einer unbegrenzten Zeichenproduktion werden und zur Konstitution eines kollektiven Wissens, das dem Peirceschen Konzept des Common Sense ähnelt, beitragen. 37 Unsere Welt, in der wir fühlen, handeln und denken, zeigt sich damit im Medium des Internets - ganz im Sinne Peirces - explizit als grenzenlose semiotische Konstruktion. Durch die Interaktivität, die unabhängig von Raum- und Zeitbedingungen ist, und die Möglichkeit der Vernetzung bietet das Internet besonderes Potential für die Schaffung europäischer Erfahrungsräume. Andererseits handelt es sich um ein globales Medium, das durch die “Auflösung der Linearität und der festen Werkeinheit des Textes zugunsten einer labyrinthischen Pluralität der Zugänge und Perspektiven” (ebd.: 49) zum viel beschworenen Zustand des “lost in cyberspace” führen kann. Damit das Internet einen Beitrag zum europäischen Erfahrungsaustausch leisten kann, müssen daher vielmehr gemeinsame europäische Mediasphären in der (globalen) Wirklichkeit des Internets gefunden werden. Derzeit existiert eine Vielzahl europäisch ausgerichteter journalistischer Publikationen im Internet, wie z. B. EurActiv 38 , EUobserver 39 , Newropeans Magazine 40 , Eurotopics 41 , Eurozine 42 oder EU-digest 43 , die ihre Inhalte entweder in mehreren Sprachen oder einzig in Englisch veröffentlichen. Im Gegensatz zu diesen thematisch vor allem auf EU-Politik oder Hochkultur 44 fokussierten Formaten, beleuchtet die Europa-Zeitung Café Babel 45 , die 2001 von Erasmus- Studenten in Straßburg gegründet wurde, verschiedenste Themen aus europäischer Sicht und in sechs Sprachen, ohne sich dabei auf reine Nachrichten zu beschränken. Das Konzept ist dabei auch und vor allem auf die Partizipation möglichst vieler Europäer ausgerichtet; prinzipiell jeder, der über einen Internetanschluss verfügt, kann sich ein eigenes Profil anlegen und durch Kommentare, Artikel, Blogs oder Übersetzungen beteiligen. Ein ähnliches Konzept verfolgt das Projekt Die Euros 46 , das sich aus einem 2005 initiierten Blog heraus gebildet hat und seit 2007 über eine mehrsprachige Internetpräsenz verfügt (vgl. Deter 2006: 39-56). Bisher haben jedoch weder diese Online-Publikationen noch die oben genannten transnationalen Beispiele aus Rundfunk und Printbereich eine größere Nutzungsrate (vgl. Deter 2006: 48, 56; Domeyer 2008: 23 f.; Beierwaltes 2002: 228). Die Zeichen- und Medienanalyse bei Peirce hat jedoch gezeigt, dass ein Medium analog zum Zeichen nur als triadische Relation existiert, die einen Interpretanten - und damit auch einen potentiellen Interpreten - mit einschließt. Ein europäisches Medium kann seine Vermittlungsfunktion bzgl. europäischer Erfahrung also nur erfüllen, wenn es tatsächlich als solches gemeinschaftlich genutzt wird und Medienträger und Objekt in der Interpretation der Interpreten miteinander verbunden werden. 47 Die Differenzierung des gegenwärtigen transnationalen Medianangebots zeigt jedoch, dass kleinere, abgegrenzte europäische Erfahrungsräume bereits vereinzelt existieren. So wird Café Babel beispielsweise vor allem von der jungen gebildeten Generation zwischen 25 und 35 genutzt, die Farano, Gründer von Café Babel, als spezifische “Euro-Generation” bezeichnet, d. h. “junge Leute, die Europa täglich leben. Erasmus, Internet und dem Euro sei Dank” (Farano 2008: 149). Ähnlich spricht Hauff von der “Erasmus-Generation”, die Binnenmarkt, Reisefreiheit, Einheitswährung, Mehrsprachigkeit und Austausch in Europa als Selbstverständlichkeit kennengelernt hat (vgl. Hauff 2008: 150). Auch in der Wirtschaft Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 421 kommuniziert und denkt man transnational; Financial Times und The Economist etwa sind laut Krzeminski “längst zu europäischen Medien der Manager und Wirtschaftsexperten geworden” (Krzeminski 2008: 18). Eine von Domeyer durchgeführte Untersuchung über Erwartungen, die verschiedene Rezipientengruppen 48 europäischen Medien entgegen bringen, hat gezeigt, dass ein großer Teil der Rezipienten “ein großes Bedürfnis nach erlebbareren, authentischeren, lebensnäheren Europabezügen” (Domeyer 2008: 160; Hervorh. im Original), d. h. europäischer Erfahrung nicht nur durch, sondern auch in den Medien, hat. Besonders den - auch von den Rezipienten gewünschten - paneuropäischen Medianangeboten komme dabei eine große Symbolkraft zu (vgl. ebd.: 162). In diesem Sinne fordert auch Meyer die Schaffung eines europaweiten Massenmediums, “das medial und spannend über die wichtigsten europäischen Geschehnisse berichtet, in sich selber eine europäische Spannweite erzeugt und in einer direkteren Weise, als nationale Medienprogramme es können, Standpunkte, Argumente, Interessen, Sichtweise und Erfahrungen der europäischen Länder, Parteien und Bürger miteinander in Bezug setzt.” (Meyer 2004: 175) Dabei betont Meyer hier die Funktion eines potentiellen europäischen Mediums, Bedeutungen und Erfahrungen der Europäer miteinander in Bezug zu setzen, also gemeinsame Sphären der Drittheit durch europäisch konnotierte Bedeutungsmuster zu konstituieren. Nach Meyer gehe es nicht darum, die Bürger über die politische Organisation und die Funktionen der EU- Institutionen besser zu informieren, sondern darum, dass die Bürger selbst ein Interesse am politischen Europa und ihre Partizipation an diesem entwickeln (vgl. ebd.: 170). Die Grundlage für die Entwicklung eines solchen Interesses kann mit Locke und Peirce nur in einem europaweit wahrgenommenen, kollektiven Erfahrungsraum - d. h. einer durch gemeinsame Medien konstituierten Mediasphäre - bestehen, die den Bürger auf emotionale Weise einbezieht und die Kluft zwischen EU und Bürgern sowie zwischen den Bürgern selbst mit Erfahrungen füllt. Mit Bezug auf den Lockeschen Empirismus, auf die Funktion kollektiver Erfahrung in Lockes politischer Philosophie und die Betonung gemeinsamer medialer Erfahrung bei Peirce kann der Ruf nach einem gemeinsamen europäischen (Massen-)Medium also nachdrücklich befürwortet werden. Literatur Adorno, Theodor W. & Horkheimer, Max 1997: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch. Baudrillard, Jean 1978: Agonie des Realen. Berlin: Merve. Beierwaltes, Andreas 2 2002: Demokratie und Medien. Der Begriff der Öffentlichkeit und seine Bedeutung für die Demokratie in Europa. Baden-Baden: Nomos. Bisanz, Elize 2009: “Einleitung. Zur Logik der Interdisziplinarität”. In: Peirce, Charles S.: The Logic of Interdisciplinarity. The Monist-Series [= Deutsche Zeitschrift für Philosophie Sonderband 20]. Hg. von Elize Bisanz. Berlin: Akademie, 12-34. Boeckmann, Klaus 1994: Unser Weltbild aus Zeichen. Zur Theorie der Kommunikationsmedien. Wien: Braumüller. Brague, Rémie 1993: Europa. Eine exzentrische Identität. Frankfurt a. M., New York: Campus. Brandt, Reinhard 1988: “John Locke”. In: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neubearbeitete Ausgabe. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Band 3: England. Hg. von Jean-Pierre Schobinger. Basel: Schwabe & Co. AG, 607-713. Derrida, Jacques 1992: Das andere Kap. Die vertagte Demokratie. Zwei Essays zu Europa. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Katharina Perge 422 Deter, Pascal 2006: Europäische Öffentlichkeit. Online-Medien als mögliche Initialzündung. Saarbrücken: VDM. Deutscher Kulturrat 2004: “Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zum Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Programm Kultur 2007 (2007-2013)”. URL: http: / / www.kulturrat.de/ pdf/ 533.pdf [12.09.2010]. Domeyer, Hanna 2008: Europäische Medien aus Sicht der Bürger. Eine rezipientenorientierte Analyse von Nutzung und Erwartungen. Saarbrücken: VDM. Eco, Umberto 1977: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Eco, Umberto 1989: Apokalyptiker und Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch. Enzensberger, Hans Magnus 1997: “Das Nullmedium oder Warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind”. In: Ders. 1997: Baukasten zu einer Theorie der Medien. Kritische Diskurse zur Pressefreiheit. Hg. von Peter Glotz. München: R. Fischer, 145-157. Euchner, Walter 1977: “Einleitung des Herausgebers”. 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Anmerkungen 1 Dabei beruht der vorliegende Beitrag auf der Annahme, dass der Prozess der europäischen Integration aus verschiedenen Gründen generell zu befürworten ist. 2 Spricht die EU von gemeinsamer Identität, Kultur und Werten, so sind diese europäisch, auch wenn nicht alle Länder Europas der EU angehören. Zudem ist die EU “der Schrittmacher der Entwicklung des Kontinents” (Schmidt/ Schünemann 2009: 218), dessen Einfluss sich selbst europäische Staaten, die nicht EU-Mitglied sind, nicht entziehen können (vgl. ebd.). Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch vor allem, dass EU und Europa auch in den Köpfen der Menschen eng miteinander verbunden sind. Dies zeigt sich z. B. daran, dass die “Krise” der EU meistens gleichzeitig als “Krise Europas” bezeichnet wird (vgl. z. B. Schmidt 1999: 6). Die EU selbst unterstützt diese kognitive Verknüpfung: So heißt das zentrale Webportal der EU, das von der Europäischen Kommission betrieben wird, “EUROPA” (http: / / europa.eu). 3 “II.1.3” steht für: zweites Buch, Kapitel 1, § 3. Im Folgenden wird Locke aus seinem Versuch über den menschlichen Verstand (2006a+b) nach diesem gängigen Muster zitiert. 4 Ein solches Verständnis findet sich auch in der Literatur, so z. B. bei Schnädelbach 2002: 120 f. Zum Begriff der Erfahrung in der philosophischen Tradition insgesamt vgl. ebd.: 109-114. 5 Nach Morin unterliegt diese europäische Gegensätzlichkeit jedoch einer bestimmten Ordnung: den Prinzipien der Dialogik und der Rekursion. Demnach konstituiert sich Europa kontinuierlich durch verschiedenste Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 425 Antagonismen und Konflikte, die wiederum neue Antagonismen und Konflikte - und damit fruchtbare Entwicklungsprozesse - produzieren (vgl. Morin 1988: 29 f.). 6 Die Zugehörigkeit zu Europa wird beispielsweise im Osten, insbesondere in Russland, zwischen slawophilen und westlichen Richtungen seit Jahrhunderten heftig diskutiert (vgl. Brague 1993: 15). 7 “Abstrakt” ist hier im Sinne unseres heutigen Sprachgebrauches zu verstehen. Locke versteht unter “abstrakt” etwas anderes. Für ihn ist auch die Idee “Tisch” eine abstrakte Idee, da diese nicht ein bestimmtes Ding, sondern eine Kategorie darstellt, unter der Gemeinsamkeiten subsumiert werden. Zum Lockeschen Konzept der Modi vgl. Locke 2006a: II.12.4., II.13.1., II.22.1, II.22.9. 8 Dieser Meinung ist z. B. Euchner (vgl. Euchner 2004: 69 f.). Siep nennt weitere Autoren, die Verbindungen zwischen Lockes Staatstheorie und den übrigen Teilen seiner Philosophie stark bezweifeln, so z. B. Strauss und Laslett. Autoren wie Ashraft oder Waldron sehen dagegen Bezüge zu Lockes natürlicher Theologie - jedoch nicht zu seinem Empirismus (vgl. Siep 2007: 318 ff.). Für Brandt zeigt sich eine Verbindung zwischen Lockes Empirismus und seiner politischen Philosophie vor allem auf formaler Ebene: Gesamtstruktur und Beweisverfahren von Essay und Treatises seien auffallend ähnlich konzipiert (vgl. Brandt 1988: 681 f.). 9 Sowohl der Essay als auch die Treatises tragen das Erscheinungsjahr 1690 im Titel, obwohl beide schon im Winter 1689 veröffentlicht wurden (vgl. Siep 2007: 207). 10 Erst in seinem Testament enthüllte Locke seine diesbezügliche Autorschaft (vgl. Specht 1997: 56; Euchner 2004: 69 ff.; Siep 2007: 209, 392). 11 “II.9.124” steht für: zweite Abhandlung, Kapitel 9, § 124. Um - wie schon beim Essay - die Vergleichbarkeit verschiedener Ausgaben zu gewährleisten, wird im Folgenden diese gängige Zitierweise verwendet. 12 Im Gegensatz zur späteren Gewaltenteilungslehre Montesquieus benennt Locke jedoch keine eigene rechtsprechende Gewalt wie die Judikative (vgl. Siep 2007: 203, 252). Locke 1977: II.11.136 lässt vermuten, dass Locke die Rechtsprechung vielmehr zur Legislative zählt. 13 Lockes politische Philosophie nahm zudem Einfluss auf Revolution, Verfassungsdiskussion und politisches Denken in Amerika (vgl. Euchner 2004: 177). 14 Auf die Kriegserfahrungen stützt sich auch die berühmte Rede Churchills über die “Vereinigten Staaten von Europa”, die er am 19. September 1946 in Zürich hielt (vgl. Pfetsch 2001: 22; Gehler 2005: 134). Neben der Friedenssicherung gab es weitere Motive für eine europäische Integration, wie z. B. Schaffung einer Gegenmacht zum sowjetischen Expansionismus und wirtschaftliche Prosperität. Pfetsch macht jedoch darauf aufmerksam, dass erste institutionelle Schritte von der Außen- und Sicherheitspolitik initiiert wurden. Erst danach traten ökonomische Gesichtspunkte hinzu und in den Vordergrund (vgl. Pfetsch 2001: 19 f., 27). 15 Obwohl anfangs vorgesehen, gibt es jedoch bis heute kein einheitliches Wahlsystem. Die Europaabgeordneten werden in den einzelnen Mitgliedstaaten nach jeweils eigenem Verfahren gewählt; die nationalen Vorschriften variieren dabei stark (vgl. Schmidt & Schünemann 2009: 64 f.; Pfetsch 2001: 153). 16 Dabei zeigen sich große nationale Unterschiede: Während in Belgien und Luxemburg - wo Wahlpflicht herrscht - jeweils 90% aller Bürger gewählt haben, lag die Wahlbeteiligung in Polen bei 24,5% und in der Slowakei bei 19% (vgl. Europäisches Parlament 2009; Schmidt & Schünemann 2009: 66). 17 Das Eurobarometer ist eine seit 1973 regelmäßig durchgeführte Meinungsumfrage in den Mitgliedstaaten der EU, die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben wird (vgl. Europäische Kommission 2009c). 18 Diese wird in der Literatur mitunter auch als “Methode der offenen Koordinierung” oder “Offene Methode der Koordination” bezeichnet (vgl. Schmidt & Schünemann 2009: 266; Meyer 2004: 203). 19 In Deutschland gingen im akademischen Jahr 2007/ 2008 1,15% aller Studenten mit dem Erasmus-Programm ins Ausland (vgl. Europäische Kommission 2009d). In das Erasmus-Programm sind auch europäische Staaten, die nicht der EU angehören, integriert (vgl. Europäische Kommission 2009a). Dies verdeutlicht ein ums andere Mal, dass im Zusammenhang europäischer Erfahrung nicht klar zwischen EU und Europa differenziert werden kann, d. h. sowohl die Erfahrung Europas als auch die Erfahrung der EU berücksichtigt werden muss. 20 Im Gegensatz zu Lockes nominalistischer Auffassung vertritt Peirce allerdings einen so genannten Universalienrealismus, nach dem Gesetzmäßigkeiten und Universalien (Drittheit) real sind und nicht einfach reine subjektive Konstruktionen unseres Verstandes darstellen. Vgl. Locke 2006b: III.3.11; Peirce 2000a: 172 f.; Peirce 1931-35: 1.19; Peirce 1958: 8.258. “8.258” steht für: Band 8, § 258. Aus den Collected Papers (Peirce 1931-35, 1958) wird gewöhnlich nach diesem Muster zitiert - daher auch im Folgenden dieses Beitrags. 21 Wörter sind damit bei Locke gewissermaßen “Metazeichen”, d. h. Zeichen von Zeichen. Zum dyadischen Zeichenverständnis Lockes vgl. Nöth 2000: 19 f. 22 Die Nähe von Zeichen und Medium zeigt sich z. B. auch darin, dass in einigen Ländern wie Italien, Frankreich, Spanien und Brasilien die Begriffe “Semiotik” und “Medienwissenschaften” meist synonym verwendet werden. Katharina Perge 426 In Deutschland und den englischsprachigen Ländern dagegen wird die Semiotik eher als Randerscheinung der Medienwissenschaften begriffen (vgl. Nöth 1997: 6 f.). 23 Der Begriff der “Mediasphäre” findet sich in der von Régis Debray begründeten französischen Mediologie, wo Mediasphäre die die Gesellschaft jeweils bestimmende zentrale Kulturtechnik bezeichnet und gemäß dessen in “Mnemosphère”, “Graphosphère”, “Vidéosphère” etc. unterteilt ist (vgl. Hartmann 2003b: 99 f.). In Anlehnung an das mediale Zeichenverständnis Peirces soll der Begriff der Mediasphäre im vorliegenden Beitrag jedoch sehr viel umfassender verstanden werden und meint in diesem Sinne jeglichen Raum, in dem sich mediale Prozesse, d. h. Prozesse der Drittheit, konstituieren. 24 Vgl. hierzu auch Walther 1997: 173. 25 Dagegen ist Locke der Ansicht, das Zeichen könne die Realität niemals adäquat repräsentieren (vgl. hierzu Locke 2006a: II.23.11-13; insbesondere seine Ausführungen über reale und nominale Wesenheit in III.6.2 ff.). 26 Ähnlich konstatiert Peirce: “[K]ein menschlicher Geist kann auch nur einen Schritt machen ohne die Hilfe anderer” (Peirce 1983: 45). 27 Die negative Medienkritik Adornos und Horkheimers ist jedoch verständlich vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrung des Nationalsozialismus und dessen unidirektionaler Medienpraxis. Adorno hat in den 60er Jahren eingeräumt, dass seine Urteile weniger pessimistisch und radikal ausgefallen wären, hätte er nicht den Rundfunk der 1940er Jahre, sondern das Fernsehen im Nachkriegsdeutschland untersucht (vgl. Eco 1989: 11). 28 Eco bezeichnet die Vertreter dieser radikal kulturpessimistischen Auffassungen als “Apokalyptiker”, diejenigen einer im Gegensatz dazu gänzlich medienaffirmativen Sichtweise als “Integrierte” (vgl. Eco 1989: 11 f.). 29 Im Gegensatz zur Kritischen Theorie in der Tradition Adornos und Horkheimers betonen - unter Bezugnahme auf zeichentheoretische Ausführungen - auch die britischen Cultural Studies die Aktivität der (massenmedialen) Rezeption (vgl. Renger 2003: 163 f., 170 f.). 30 Vgl. hierzu auch Nöth 2000: 469 f.; Nöth 1997: 3 ff. 31 Der Erfahrungsprozess besteht nach Peirce aus Erstheit, Zweitheit und Drittheit gerade aufgrund der kategorialen Struktur der Realität (vgl. Bisanz 2009: 17). 32 Diese hier vorgenommene Interpretation der Vermittlung von Erfahrung zwischen den europäischen Antagonismen wird gestützt durch Krausser, der das Zusammenwirken der Universalkategorien beschreibt als den “allgemeine[n] Sachverhalt, daß sich zwischen allen polaren Gegensätzen, deren Pole nach Peirce als Erstes bzw. Zweites aufzufassen sind […], eine Dimension des möglichen kontinuierlichen Übergangs und der Vermittlung ausspannt” (Krausser 1960: 21). 33 Dem 2006 veröffentlichten Eurobarometer Spezial zur Mehrsprachigkeit zufolge geben lediglich 51% der Europäer (inklusive Muttersprachler) an, eine Unterhaltung auf Englisch führen zu können. Insgesamt sind 56% der Europäer fähig, sich in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache unterhalten zu können (vgl. Europäische Kommission 2006a: 3 f.). 34 Nach Seel haben sich menschliche Kulturen schon jeher nicht mit dem leiblich erfahrbaren Raum zufrieden gegeben, sondern Wege gesucht, diesen zu übersteigen, wie z. B. durch Romane, Bilder in der Kirche oder ekstatische Rituale (vgl. Seel 1998: 259 f.). Auch Boeckmann betont, dass Menschen ihr Bild der Wirklichkeit schon immer durch Medien erweitert haben. In diesem Sinne versteht McLuhan Medien als Erweiterung der menschlichen Organe (vgl. Boeckmann 1994: 117). 35 Gründe hierfür lagen in der Finanzierung, den unausgereiften Programmkonzepten sowie dem Aufwand der Sprachübersetzungen (vgl. Domeyer 2008: 20 f.). 36 Insgesamt nutzen laut einer Studie von 2008 51% aller knapp 500 Mio. EU-Bürger das Internet, Tendenz steigend. Die Nutzung des Internets ist in der EU jedoch von Land zu Land noch sehr unterschiedlich. Während beispielsweise 81% aller Niederländer regelmäßig im Internet surfen, sind es in Rumänien gerade mal 22%. In Deutschland nutzen 64% der Einwohner regelmäßig das Internet (vgl. Europäische Kommission 2008a). 37 Ein solches kollektives Wissen, an dessen Produktion prinzipiell jeder beteiligt ist, zeigt sich beispielsweise explizit im Projekt der Online-Enzyklopädie Wikipedia (http: / / www.wikipedia.org). 38 http: / / www.euractiv.com 39 http: / / www.euobserver.com 40 http: / / www.newropeans-magazine.org 41 http: / / www.eurotopics.net 42 http: / / www.eurozine.com 43 http: / / www.eu-digest.com 44 Der Begriff der Hochkultur wird hier in Abgrenzung zur Populärkultur, jedoch ohne Wertung gebraucht. 45 http: / / www.cafebabel.com Perspektiven medialer Erfahrung in der europäischen Gegenwart 427 46 http: / / www.dieeuros.eu 47 Zur Wichtigkeit der tatsächlichen Nutzung europäischer Medien vgl. auch Tenscher & Schmidt 2004: 213. 48 Dabei handelte es sich um Rezipienten, die sich vor allem in Alter und Bildungsgrad deutlich voneinander unterschieden. Gleichzeitig gibt Domeyer zu, diesem Anspruch nicht völlig zufriedenstellend gerecht geworden zu sein. Auch konnten nur deutsche Rezipienten in die Untersuchung einbezogen werden (vgl. Domeyer 2008: 60 f., 69-71, 158 f.).