eJournals Kodikas/Code 33/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2010
333-4

Zwischen Anpassung und Freiheit - Die Europäische Universität auf dem Weg zur Ökonomisierung

2010
Svenja Hehlgans
Zwischen Anpassung und Freiheit - Die Europäische Universität auf dem Weg zur Ökonomisierung Svenja Hehlgans; Leuphana Universität Lüneburg The European University is in a permanent structural evolution under economical conditions since the 19 th century. To show how the development of universities oscillated between the poles of economization and de-economization, the following article starts with a general historical overview of the European universities and the economy since the 19th century. The relationship between the states, universities and the economy as well as the connection between the scientific supply and economical demand will be analyzed to show when and in what form education was exploited (respectively economized) for other functional areas in society. These results are respectively applied as a basis for an adequate evaluation of regulative concepts and developments such as the Bologna Process which currently remodels the European university landscape. 1 Einleitung Ist die Diskussion um die Ökonomisierung der Europäischen Universität tatsächlich eine Frage der Moderne? Welche Bedeutung wird Bildung für Gesellschaft und Ökonomie zugeschrieben und wie definiert sich ihr Verhältnis? Bildet die Europäische Universität ihre Absolventen für den bestehenden Arbeitsmarkt mit seinen Qualifikationsanforderungen aus und passt sich somit der Ökonomie an, oder besteht der ihr ureigene Anspruch weiter, den Studierenden das Denken zu lehren und ihnen die Freiheit zu geben, ihre Fähigkeiten zu entfalten? Die Betrachtung der letzten 200 Jahre zeigt, dass auf diese Art von Sinnfragen zeitlich und an verschiedenen Orten Europas immer wieder neue und unterschiedliche Antworten gefunden wurden. Grundlegende Veränderungen und Reformen von Systemen wie der Europäischen Universität benötigen einen längeren Zeitraum, bis ihre Wirkungen vollumfänglich einschätzbar sind. Aus diesem Grund sollte für eine sinnvolle Beurteilung, Planung und Durchführung von ordnungspolitischen Diskussionen wie dem Bologna-Prozess, welcher die europäische Hochschullandschaft gegenwärtig enorm verändert, ein Blick in die Vergangenheit geworfen werden. Für eine Ausrichtung der Europäischen Universität auf die Wirtschaft, wie sie durch die Reformen angestrebt wird, kann hierzu zunächst die Entwicklung der Ökonomie und ihrer Bedürfnisse mithilfe der Kondratieffzyklen untersucht werden. Nachfolgend wird die Geschichte der Universität anhand von drei unterschiedlichen Modellen beleuchtet, welche sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa manifestierten. Mittels dieser Erkenntnisse werden K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 33 (2010) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Svenja Hehlgans 274 in Abschnitt 4 die verschiedenen Aspekte der Ökonomisierung der Europäischen Universitäten von 1800 bis heute analysiert sowie kritisch betrachtet. Dieser Beitrag soll also als Orientierung für eine wissenschaftlich und historisch fundierte Beurteilung der Ökonomisierung der Europäischen Universität dienen und aufzeigen, wie sie sich zwischen den Polen der Anpassung an die und der Freiheit von der Ökonomie bewegt hat. 2 Das Modell der Kondratieffzyklen und die Darstellung der Kompetenzformen Die Kondratieffzyklen beschreiben sechs jeweils 45 bis 60 Jahre andauernde sinusförmige Konjunkturwellen (vgl. Nefiodow 1997: 2) seit etwa 1780. 1 Sie beginnen jeweils mit einem Aufschwung, der durch die Implementierung einer Basisinnovation am Markt begründet ist, welche wiederum “aus einer ökonomischen Notwendigkeit […] heraus […]” stattfindet (vgl. Händeler 2007b: 47). Basisinnovationen zeichnen sich v. a. durch enorme Produktivitätssteigerungen aus und erschöpfen sich nach etwa 20 bis 30 Jahren (vgl. ebd.): Die Produktivität stagniert, es kommt zunächst zur Rezession und später zur Depression, wenn sich nicht rechtzeitig eine neue Basisinnovation durchsetzt (vgl. Nefiodow 1997: 15). Nach Kondratieff werden im Verlauf des Abschwungs eines Zyklus viele Entdeckungen und Erfindungen gemacht, welche jedoch erst zu Beginn einer neuen langen Welle Anwendung finden (vgl. Kondratieff 1926: 591). Ein Rückstand in der Beherrschung der je aktuellen Basisinnovationen wirkt sich auf die gesamte Kompetenz und Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft bzw. eines Landes aus (vgl. Nefiodow 1997: 16), womit auch die wechselnden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorreiterrollen der verschiedenen Länder erklärt werden können. Menschliche Kompetenz ist die Kraft, die Basisinnovationen möglich macht und trägt. Im Folgenden wird dargestellt, welche Kompetenzen für die Implementierung der Basisinnovationen in den jeweiligen Kondratieffzyklen zentral waren, sind und sein werden. In Abschnitt 4.2 werden durch Universitäten ermöglichte wissenschaftliche Kenntnisse spezifischer mit den für die Kondratieffzyklen benötigten Kompetenzen verglichen. Durch den Übergang von der Agrarin die Industriegesellschaft im ersten Kondratieff entstand die Klasse der Industriearbeiter. Diese waren in der langsam entstehenden Massenproduktion in den Fabriken tätig, wobei die dort anfallenden Arbeiten weitgehend durch Anlerntätigkeiten ausführbar waren (vgl. Hagemeister 2001: 22; vgl. Stiller 2005: 79). Schon ab diesem Zeitpunkt setzt die Arbeitsteilung ein, die den Menschen bis zum Übergang in das Informationszeitalter hinter die Maschine zurücktreten ließ, er arbeitete als “[…] Anhängsel der ihn umgebenden Maschinerie […]” (vgl. Hagemeister 2001: 23). England hatte die Innovationen des ersten Kondratieffs am besten und vollständigsten angewendet, womit seine Vormachtstellung innerhalb Europas erklärbar wird (vgl. Händeler 2007b: 52 f.). Im nachfolgenden Zyklus zog Deutschland v. a. durch die enorme Produktivitätssteigerung im Transport von Waren und Menschen durch die Eisenbahn gleich (vgl. Schumpeter 1961: 358 ff.). Ab dem dritten Kondratieff gab es wieder neue Aufgabenfelder: Der höhere Verwaltungsaufwand, welcher aus der Entstehung von Großfabriken resultierte, erforderte eine ergänzende Gesellschaftsschicht: Die Angestellten. Es bildeten sich langsam komplexere Organisationsstrukturen heraus und die Verantwortung wurde weg von der operativen, hin zur Management-Ebene verlagert. Dies kann als einer der ersten Schritte in Richtung informationsbasiertem Arbeiten gesehen werden. Die Fabrikarbeiter arbeiteten weiter als Teil der Maschinerie, während die Angestellten Informationen und Arbeitsabläufe koordinierten. Zwischen Anpassung und Freiheit 275 Weiterhin kann ab dem dritten Kondratieff eine engere Verzahnung von Ökonomie und wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Forschung und Entwicklung aufgezeigt werden (vgl. Nefiodow 1997: 6), deren Bedeutung sich im Zuge der nachfolgenden Zyklen stetig erhöhte und somit als Entwicklungsmotor betrachtet werden kann. Auch der Charakter des Unternehmertums veränderte sich in dieser Zeit: der neue “halbwissenschaftliche Unternehmertyp” begann die wissenschaftliche Betriebsführung nach Taylor sowie seine eigenen durch Ausbildung erworbenen technischen Kenntnisse für sein Unternehmen zu nutzen (vgl. Schumpeter 1961: 451 ff.). In England wurden die neuen Entwicklungen nicht adäquat umgesetzt, was dazu führte, dass das Land in seiner wirtschaftlichen Bedeutsamkeit vergleichsweise zurücktrat (vgl. ebd.: 411 ff.). Im letzten Zyklus der Industriegesellschaft, dem vierten Kondratieff, entstanden Ideen zu einem gesamteuropäischen Wirtschaftsraum, welcher zwar erst 1957 im Rahmen der EWG verwirklicht wurde, aber auch neue Anforderungen an den arbeitenden Menschen stellte (vgl. Händeler 2007a: 140, 151). Gemeinsam mit der langsam einsetzenden Globalisierung verlangte die Ökonomie dem Menschen zusätzliche Fähigkeiten ab, z. B. im Bereich der Sprachen oder der interkulturellen Zusammenarbeit. Die Durchsetzung der Basisinnovation der individuellen Mobilität durch das Auto sowie die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Wirtschaft gelang wiederum Deutschland am besten, wodurch es seinen wirtschaftlichen Vorsprung vor England und Frankreich weiterhin behielt (vgl. ebd.: 126 ff.). Der Übergang vom vierten zum fünften Kondratieff bedeutete einen grundsätzlichen Wandel in Ökonomie und Gesellschaft: Erst jetzt traten die massiven Umweltprobleme zutage, welche sich durch das bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten energieintensiven Wirtschaften ergeben hatten (vgl. Nefiodow 1997: 9 f.). Der Bericht des Club of Rome (1972) forderte ein Umdenken und warnte vor den Grenzen des bisher direkt proportional an den Energieverbrauch gekoppelten Wirtschaftswachstums (vgl. ebd.; vgl. Händeler 2007a: 145). Für das weitere Wirtschaftswachstum nach dem Ende des auf Energie basierenden Entwicklungsparadigmas wurde zu Beginn des fünften Kondratieffs ein substituierender Faktor gefunden: Die Information (vgl. Nefiodow 1997: 8, 27). Hiermit rückte der Mensch mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen in den Mittelpunkt des Strukturwandels: Nur durch seine Befähigungen konnten und können Fortschritte in der Produktivität erreicht werden (vgl. ebd.: 13, 128). Das veränderte Entwicklungsparadigma beendete die Ära des leicht austauschbaren Industriearbeiters (vgl. Händeler 2007a: 236) und verlangte wieder mehr Verantwortung auf der operativen Ebene. Problemlösungsstrategien setzten immer mehr Teamarbeit voraus, sowohl unternehmensintern als auch -übergreifend. Insgesamt lässt sich ein Wandel beobachten, der weg von der energieintensiven Massenproduktion und hin zur informationsintensiven Individualproduktion führt (vgl. ebd.: 168). Europa fiel innerhalb des fünften Kondratieffs gegenüber anderen Staaten wie den USA oder China in seiner ökonomischen Stellung zurück, da zum einen ein großes Misstrauen gegenüber der Basisinnovation, dem Computer, herrschte und zum anderen zu sehr in die Trägerbranchen der vorangegangenen Zyklen investiert wurde (vgl. ebd.: 160 ff.). Bereits im fünften Kondratieff hat sich ein Wissens- und Kompetenzwettbewerb herausgebildet, der sich im sechsten Zyklus weiter verschärfen wird (vgl. Stiller 2005: 103). Denn durch die Ausweitung und weitere Differenzierung der Qualifikationen wird der einzelne Spezialist immer wichtiger und zur bedeutendsten Wertschöpfungsquelle der Wirtschaft werden (vgl. Stehr 2004: 46). Dieser rasche Wandel weg von körperlicher, hin zu geistiger Arbeit innerhalb kürzester Zeit hat sowohl Probleme als auch Chancen hervorgebracht. Eine Herausforderung wird in Zukunft die umfassende Gesundheit des Menschen darstellen, die Svenja Hehlgans 276 ihn zu produktiver Informationsarbeit befähigt (vgl. Nefiodow 1997: 118; vgl. Händeler 2007a: 276). Um diese zu gewährleisten, werden - wie in allen anderen Bereichen auch - kooperative und interdisziplinäre Zusammenarbeit von höchster Wichtigkeit sein (vgl. Nefiodow 1997: 127). Der Mensch wird mehr Zeit und Aufwand in seine Bildung (und Weiterbildung) investieren müssen, um mit der Wirtschaft Schritt zu halten. Aber diese längere Phase des Kompetenzaufbaus und der Investition wird sich auch durch die Anwendung in einer - zumindest potentiell - verlängerten Lebensarbeitszeit rentieren (vgl. Händeler 2007a: 316). Der sechste Kondratieff wird vom Menschen Selbstständigkeit, die Übernahme von Verantwortung, das Ausführen strukturierter Arbeiten, aber auch Kreativität, Motivation, Kooperation, Reflexivität und Effizienz erfordern (vgl. ebd.: 366). Es wird zu einer weiteren Spezialisierung des Einzelnen kommen, welche, um eine hohe Produktivität zu gewährleisten, gleichzeitig ein hohes Maß an kognitiven und sozialen Fähigkeiten erfordern wird (vgl. Händeler 2007b: 74). 3 Die Europäische Universität Um Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie sehr sich die Europäische Universität seit 1800 an den Anforderungen der Arbeitswelt orientierte, und v. a. ob und wie sie die Herausforderung des Überganges vom energiebasierten hin zum wissensbasierten Entwicklungsparadigma gemeistert hat, wird zunächst die Geschichte der Europäischen Universität seit 1800 dargestellt. Die Auswahl des Beginns der untersuchten Epoche lässt sich damit begründen, dass im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert grundlegende Umwälzungen im europäischen Universitätssystem stattfanden. Zum einen dezimierte sich die Zahl von 143 Universitäten in Europa im Jahr 1789 durch die Folgen der Französischen Revolution und die Eroberungen Napoleons auf nur noch 83 Universitäten im Jahr 1815 (vgl. Rüegg 2004: 17). Zum anderen waren institutionelle Veränderungen von großer Bedeutung: Auf der einen Seite wurde das bis dahin einheitliche europäische Universitätswesen durch verschiedene Hochschulmodelle abgelöst. Auf der anderen Seite wurden die verschiedenen Lehrfächer verwissenschaftlicht und spezialisiert, was auch aufgrund der einsetzenden Säkularisierung und Bürokratisierung geschah. Die Verweltlichung bewirkte eine Abwendung von der theologischen Deutungshoheit und eine Zuwendung zu einem anthropozentrischen Verständnis der Weltzusammenhänge (vgl. Habermas 2008), was sich darin widerspiegelte, dass die kirchlich geprägten Universitäten im 19. Jahrhundert überall zu weltlichen wurden (vgl. Rüegg 2004: 20). Auch die Wende vom philosophischen zum naturwissenschaftlichen Zeitalter lässt sich vor diesem Hintergrund betrachten (vgl. ebd.: 28 ff.). 3.1 Universitätsmodelle und ihr europäischer Wirkungsgrad Wie bereits angedeutet, entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts neue Universitätsmodelle, die sich in ihrem Aufbau und ihrem Selbstverständnis unterschieden. Hier sollen zunächst das französische und das Humboldtsche Modell dargestellt werden, welche als Vorlagen für die Universitätsentwicklung in anderen europäischen Staaten dienten. In England gab es zwar kein eigenes Modell im engeren Sinn, aber der Weg, der im Universitätssystem dieses Landes beschritten wurde, soll ebenfalls dargestellt werden, da er eine Besonderheit darstellt. Zwischen Anpassung und Freiheit 277 3.1.1 Das Napoleonische Modell Das so genannte Napoleonische Universitätsmodell, das in Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt wurde, war eigentlich eher ein Fachhochschulmodell. Die Universitäten wurden in Frankreich im Jahr 1793 vollständig abgeschafft (vgl. Weber 2002: 154), da sie mit ihrem scholastischen Lehrbetrieb und mit ihrer antiaufklärerischen Haltung das Ancien Régime unterstützten, welches überwunden werden sollte (vgl. Jäger 2003: 107). Stattdessen wurde 1794 beschlossen, Spezialhochschulen, die so genannten ‘grandes écoles’, zur Ausbildung “staatlicher kontrollierter wissenschaftlicher Berufe” (Rüegg 2004: 18) zu gründen (vgl. Jäger 2003: 107 f.). Diese Hochschulen konnten nur durch einen Leistungswettbewerb, den concours 2 , erreicht werden (vgl. Lundgreen 2007). Die ersten grandes écoles, welche für die Ausbildung der Elite von technischen Staatsbeamten (vom militärischen über den volkswirtschaftlichen bis hin zum Ingenieurberuf) zuständig waren (vgl. Jäger 2003: 108), wurden zum Teil bereits unter dem Ancien Régime gegründet, da der Staat die Universitäten für nicht in der Lage befand, die notwendigen Führungskräfte auszubilden (vgl. Kempf 2007: 406). Die staatliche Kontrolle bei der Ausbildung an den grandes écoles ging bis ins kleinste Detail: Nicht nur Studienplan- und Prüfungsmodalitäten, sondern auch das persönliche Verhalten wurde vorgeschrieben und streng überprüft (vgl. Rüegg 2004: 18). Weiterhin bestand ein Staatsmonopol bei der Verleihung akademischer Grade (vgl. Lundgreen 2007). Diese Reglementierung und das System der Elite-Fachhochschulen sollten dem französischen Staat erstens die Ausgebildeten garantieren, die für die politische und soziale Stabilisierung nach der Revolution nötig waren, zweitens stellten sie eine Überwachungsfunktion dar, mit der die Berufe in Einklang mit den Interessen des Staates gehalten werden sollten und drittens wurde somit die Unterdrückung des freien Geistes intendiert, der dem Staat gefährlich hätte werden können (vgl. Charle 2004: 52; vgl. Jäger 2003: 108 f.). Somit war das Hochschulsystem nicht auf Forschung und Innovation ausgerichtet, sondern auf die Ausbildung der staatlichen “Funktionselite” (ebd.: 113) Frankreichs (vgl. Geremek 2003). Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts fiel den grandes écoles die zusätzliche Rolle der Ausbildung für außerstaatliche akademische Berufe zu. Mit der Gründung dieser Hochschulen und der Existenz ehemaliger Universitätsfakultäten, die nun fachlich selbstständig agierten, wurde die Schaffung eines umfassenden Spezialhochschulnetzes beabsichtigt (vgl. Deutscher Hochschulverband 1989: 23). Die Fakultäten waren allerdings nicht in der Lage, auf demselben Niveau wie die grandes écoles zu arbeiten und verloren deshalb an Renommee und Bedeutung (vgl. ebd.). Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Frankreich so ein duales System: Während an den Universitäten Rechtswissenschaften, Medizin, Natur- und Geisteswissenschaften gelehrt wurden, waren die grandes écoles für Ingenieurs-, Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaften zuständig (vgl. ebd.). Hervorzuheben ist, dass Paris eindeutig das Zentrum des französischen Hochschulwesens war; Christophe Charle (2004: 53) bezeichnet die Situation außerhalb der Hauptstadt sogar als “wissenschaftliche Wüste”. Das französische Hochschulmodell stellte somit nie die Wissenschaftlichkeit, die Forschung 3 oder die Innovation in den Mittelpunkt, sondern diente als Ausbildungsanstalt für staatliche Zwecke (vgl. Geremek 2003). Durch die starke Spezialisierung entstanden in Frankreich viele Hochschulvarianten (vgl. Charle 2004: 44). Betrachtet man die Auswirkungen des französischen Hochschulmodells auf seine Adaption in anderen europäischen Staaten, so kann ein bereits seit dem 18. Jahrhundert vorhandener Einfluss auf die Systeme in Österreich, Spanien und den italienischen Teilstaaten Svenja Hehlgans 278 beobachtet werden (vgl. Rüegg 2004: 23). In den beiden letztgenannten spielte die Rolle der Staatsverwaltung eine dominierende Rolle (vgl. ebd.: 20). In Bukarest/ Rumänien wurde in Anlehnung an das französische Modell der Verknüpfung der akademischen Laufbahn mit der staatlichen Verwaltung eine zentrale Universität gegründet, die ebenfalls die Ausbildung der intellektuellen und politischen Elite zur Aufgabe hatte (vgl. ebd.: 23). Auch Portugal entschloss sich zu einer “Selbst-Französisierung” (vgl. Weber 2002: 155). 3.1.2 Das Humboldtsche Modell Zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt die Institution Universität in Preußen als Auslaufmodell (vgl. vom Bruch 1999: 258). Um hier Neuerungen durchzuführen, gab König Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1807 den Auftrag, in Berlin eine höhere wissenschaftliche Lehranstalt einzurichten, welche ursprünglich eine Variante des französischen Spezialschulmodells darstellen sollte (vgl. ebd.: 258 ff.; vgl. Rüegg 1994: 156). Dies wurde durch Wilhelm von Humboldt, der 1809 zum Leiter des preußischen Unterrichtswesens ernannt wurde, abgewendet. Humboldt griff stattdessen die Schriften Friedrich Schleiermachers, Friedrich Wilhelm Schellings und Johann Gottlieb Fichtes auf und schuf mit der Berliner Neugründung 1810 das Universitätsmodell, das für viele Länder Europas prägend werden sollte. Diese Entwürfe waren inspiriert durch Vorläufer wie Immanuel Kant, der 1798 mit seinem “Streit der Fakultäten” bereits kritisch herausgestellt hatte, dass bei Einteilung und Hierarchie der klassischen vier Fakultäten die Interessen des Staates wichtiger seien als die Wissenschaft und dass die Hierarchie umgedreht werden müsste (vgl. Kant 1798: 11, 21). 4 Mit diesen Ansichten und den Ideen Schleiermachers, die jener in seinen “Gelegentlichen Gedanken” entwickelt hatte, legte Humboldt (1810) in “Über die innere und äußere Organisation der wissenschaftlichen Anstalten in Berlin” 5 die Grundzüge der neuen Universitätsidee fest. Das Oberziel Humboldts war eine forschungsorientierte Universität, die im Gegensatz zum französischen Spezialschulmodell stehen sollte. Prägnant formuliert Jürgen Mittelstrass den Bezug auf Kant: “Damit wird die Philosophische Fakultät zur institutionellen Mitte und zum eigentlichen Motor der Universität; sie bestimmt im Selbstverständnis der deutschen Universität des 19. Jahrhunderts das Wesen und die Zukunft der Universität.” (Mittelstrass 1994: 219) Außerdem sollte die Universität im Gegensatz zur Schule Wissenschaft als ein Problem behandeln, dass niemals aufgelöst, sondern immer nur weiter erforscht werden könne. Hierzu seien Freiheit und Einsamkeit nötig, welche erst das wissenschaftliche Arbeiten ermöglichen. Freiheit meint, dass bei Forschung und Lehre weder Inhalte noch Zwecke vorgegeben werden dürften und nur der Wissenschaftler selbst über diese entscheide (vgl. Hügli 2007: 56). 6 Das Einsamkeitskonzept zielte darauf ab, die Forschergemeinschaft an der Universität nach außen abzugrenzen und abzuschließen, was wiederum die Freiheit ermöglichen sollte (vgl. Möller 2001: 46). Die Abgrenzung in Einsamkeit sollte die Studierenden und Forschenden außerdem dazu bewegen, sich vollkommen auf ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten zu konzentrieren, wobei die angestrebte Selbstbildung bei den Studierenden durch die Freiheit der Veranstaltungswahl gestärkt werden sollte (vgl. ebd.). Außerdem hielt Humboldt die Gemeinschaft für wichtig, welche indirekt auch die Relevanz des Dialoges hervorhebt, durch den die Wahrheitssuche vorangetrieben werden kann (vgl. Hügli 2007: 57). Eine ebenso wichtige Rolle spielte die Gleichrangigkeit von Lehrendem und Lernendem: Im Gegensatz zum hierarchischen Verhältnis in der Schule sollten an der Universität beide für die Wissenschaft da sein (vgl. ebd.). Zwischen Anpassung und Freiheit 279 Betrachtet man diese Konzeptanteile, so wird ersichtlich, dass alle auf das Bildungsideal Humboldts hinzielen, nämlich auf folgenden zentralen Satz: “Der wahre Zweck des Menschen - nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt - ist die höchste und proportioni[e]rlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.” (Humboldt 1792: 106) Bildung zielt in Humboldts Verständnis demnach nicht in erster Linie auf Ausbildung für einen Beruf, sondern hat die umfassende und gleichmäßige Entfaltung der menschlichen Potentiale zur Aufgabe (vgl. Koller 2005: 80). Aber auch zu der von ihm so genannte “äußeren Organisation der Universitäten” formulierte Humboldt (1810) Vorgaben: Die bereits angesprochene Freiheit bezog sich nicht nur auf Forschung und Lehre innerhalb der Universität, sondern auch auf den Einfluss des Staates auf dieselbe. Humboldts Ausführungen zufolge hatte dieser nämlich nur zwei Aufgaben: Zum einen war er zuständig für die Auswahl der Professoren, zum anderen sollte er die Unabhängigkeit der Universitäten sichern (vgl. Rüegg 2004: 19). Somit stand in Deutschland die Gelehrtenbildung an Universitäten im Vordergrund, welche durch die Integration von Forschung und Lehre erreicht werden und als Selbstzweck bestehen sollte. Betrachtet man die Auswirkungen des Humboldtschen Modells auf andere europäische Staaten, so wird deutlich, wie groß der Rahmen wirklich war, in dem sie sich an ihm orientierten. Nicht nur in Italien wurde es nach der Einigung des Landes und v. a. nach dem Deutsch-Französischen Krieg zum Ideal der Bildung an der Universität (vgl. ebd.: 26), sondern auch beim Aufkommen der neuen Nationalstaaten Griechenland und Bulgarien sowie in Belgien spielte das deutsche Modell eine Rolle bei der Ausgestaltung der Hochschulen (vgl. Charle 2004: 51). Auch an den Universitäten Österreich-Ungarns wurden Teile des Modells adaptiert, andere Teile jedoch stark abgewandelt. Durch die hohe Funktionalität der Bildungsanstalt für den Staat wurde auf die Festlegung der Lehre hoher Wert gelegt und außerdem waren die Fakultäten, die für die Ausbildung für einen Beruf zuständig waren, bis zum zweiten Weltkrieg von größerer Bedeutung als die philosophische (vgl. ebd.: 58). In der Schweiz, in Skandinavien sowie in Russland wurde dieses Modell ebenfalls übernommen oder diente als Vorlage, um das englische oder französische Modell zu verändern oder zu ergänzen (vgl. Rüegg 1994: 158). Gründe für die weltweit dominierende Rolle des Humboldtschen Universitätsmodells waren v. a. die “staatlich geförderte selbstverantwortliche Ausrichtung auf wissenschaftliche Erkenntnis und der im Vergleich zu anderen Universitätssystemen bedeutend größere Freiraum” (ebd.: 157 f.). 3.1.3 Der englische Weg In Großbritannien gab es kein neues Universitätsmodell i. e. S., sondern ein Konstrukt aus mittelalterlicher Tradition und Teilreformen (vgl. Charle 2004: 59). Der Zugang zu Universitäten wie Oxford und Cambridge war durch das Erfordernis des anglikanischen Glaubensbekenntnisses sowie die hohen Kosten für ein Studium beschränkt, was die vorwiegend elitäre soziale Herkunft der Studierenden erklärt (vgl. ebd.: 60 u. 67). Das College-System, das sich in Großbritannien seit dem zwölften Jahrhundert herausgebildet hatte, zeichnet sich bis heute durch das Zusammenleben von Dozenten und Studierenden in den Studienhäusern, also den ‘Colleges’, aus (vgl. Ahrens 1998: 535), in denen auch eine Residenzpflicht bestand (vgl. Charle 2004: 60). Bis zur Etablierung der neuen Universitäten setzten Oxford und Svenja Hehlgans 280 Cambridge die akademischen Standards fest und bildeten die englische Elite aus (vgl. ebd.: 67 f.). Allerdings wurde diese Elite nicht im Hinblick auf den Staatsdienst als Oberzweck ausgebildet, sondern auf die Rolle als ‘gentleman’, was v. a. durch die allem anderen übergeordnete literarische sowie humanistische Allgemeinbildung und die pädagogische Betreuung der Studierenden erreicht werden sollte (vgl. ebd.: 68; vgl. Ahrens 1998: 534; vgl. Lundgreen 2007). Dass diese Art von Bildung an den englischen Colleges vorherrschte, lag zum einen daran, dass in England, im Gegensatz zum übrigen Europa, ein geringeres staatliches Interesse an der Beamtenausbildung existierte und zum anderen auch auf andere Berufe (wie den des Juristen oder Mediziners) ausgerichtete Bildung nicht Aufgabe der Universitäten war (vgl. ebd.). 7 Des Weiteren bestand - wiederum im Vergleich zu anderen europäischen Ländern - eine große Unabhängigkeit vom Staat, da das englische System v. a. durch den “[…] Reichtum an Grundbesitz und […] [die] engen Beziehungen zur anglikanischen Kirche” geprägt war (vgl. Charle 2004: 60). Zusätzlich zu den klassischen ‘College-Universitäten’ kam mit den ‘civic universities’, auch ‘brickstone’ bzw. ‘redbrick universities’ oder Backstein-Universitäten genannt, im 19. Jahrhundert ein weiterer Universitätstypus zum britischen Hochschulwesen hinzu. Diese Universitäten entstanden in den großen Industriestädten wie Birmingham, Liverpool oder Manchester (vgl. Ahrens 1998: 535). Im Vergleich zu den Colleges, in denen v. a. durch Tutorien mit wenigen Studierenden gelehrt wurde, spielten in den civic universities Vorlesungen und Seminare eine größere Rolle (vgl. Deutscher Hochschulverband 1989: 45). Laut Michael Sanderson (1988: 103, zit. n. Anderson 2004: 201) waren die civics “a prime expression of the industrial spirit, closely linked with industry, drawing their life-blood finance from it, and pumping back research and students to it”. Dies betont die enge Verbindung zwischen civic university und der Wirtschaft, die auch John Henry (2009) hervorhebt, indem er behauptet, dass diese Art von höherer Bildung genau der speziellen wissenschaftlichen und technischen Ausbildung genüge, die das industrialisierte Land erforderte. 8 Das 1828 gegründete ‘University College’ in London muss als Besonderheit herausgestellt werden, da es die oben genannte Verpflichtung auf das anglikanische Glaubensbekenntnis, welches in Oxford und Cambridge obligatorisch war, als erstes umging (vgl. Charle 2004: 60). Als Reaktion darauf gründeten die Anglikaner 1831 das ‘King’s College’. Diese beiden Institutionen wurden durch eine königliche Charter 1836 zur ‘University of London’ zusammengelegt (vgl. Ahrens 1998: 535), welcher eine wichtige Rolle als Prüfungsinstanz akademischer Grade zukam (vgl. Deutscher Hochschulverband 1989: 45). Insgesamt bleibt aber über das englische Hochschulsystem zu sagen, dass es, ebenso wie in Frankreich, mehr um die moralische und humanistische Bildung ging als darum, die Wissenschaftlichkeit in den Mittelpunkt zu rücken (vgl. Geremek 2003). Die schottischen Universitäten waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Bezug auf Finanzierung, Lehrformen und soziale Herkunft der Studenten mehr mit denen Kontinentaleuropas als mit denen Englands vergleichbar (vgl. Charle 2004: 60). 3.2 Ausdifferenzierung der modernen europäischen Hochschulsysteme Die zweite Phase der hier dargestellten Entwicklung umfasst die Ausdifferenzierung der Hochschulen, die sich im Anschluss an den Beginn der Implementierung der neuen, zuvor beschriebenen Systeme abspielte. Wie bereits angedeutet, beeinflusste das Humboldtsche Universitätsmodell immer mehr auch die Systeme der anderen Länder. So war bis 1880 die Zwischen Anpassung und Freiheit 281 neuhumanistisch-idealistische Bildung weit verbreitet und auch die Notwendigkeit der erhöhten “Produktion” von industriellem Wissen gestiegen (vgl. Weber 2002: 157). Die Universitäten waren zu einer Funktionseinheit des Staates geworden, indem sie neben der Ausbildung von hohen Beamten und kulturellen Eliten nun auch zuständig wurden für die Ausbildung von Lehrpersonal für die mittleren Schulen sowie für viele weitere Berufe (vgl. ebd.). Allerdings wurde der Bedarf an Arbeitskräften für die industrialisierten Länder nicht nur von den Universitäten, sondern auch von Spezialhochschulen gedeckt, welche nach und nach begannen, sich universitäre Rechte zu erstreiten (vgl. ebd.). 9 Damit wurde die Universität für die Wirtschaft instrumentalisiert, was wiederum Änderungen im System erforderte (vgl. ebd.: 157 f.). Somit entstanden neue Anforderungen: Die Studenten sollten möglichst gezielt und möglichst schnell ausgebildet werden. Die bevorzugten Mittel, um dieser Maxime gerecht zu werden, waren Formalisierung und Reglementierung des Studiums. So entstanden allmählich geregelte Studiengänge, welche zu bestimmten Berufen führen sollten, was im Gegensatz zu dem von Humboldt propagierten freien Studium stand (vgl. ebd.: 158). Auch das Angebot von Veranstaltungen musste sich diesem Zweck beugen: Die Professoren konnten nicht mehr auf alleinige Verantwortung Themen festlegen, sondern mussten ihre Veranstaltungen der Erwartung unterordnen, in Politik, Technik und Ökonomie Nützliches bzw. Prestigeträchtiges hervorzubringen (vgl. ebd.). Außerdem wurde die Autonomie der Universitäten in ganz Europa immer weiter durch die Berufungsbefugnisse des Staates sowie durch die wachsende finanzielle Abhängigkeit - v. a. im Bereich der naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschung sowie beim Ausbau der geisteswissenschaftlichen Bibliotheken - von selbigem untergraben (vgl. Charle 2004: 65). Eine weitere wichtige Entwicklung in dem in diesem Kapitel dargestellten Zeitraum war die steigende Relevanz der Naturwissenschaften. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Frankreich durch seine Spezialschulen führend, was auch schon Humboldt in seiner Zeit in Paris beeindruckte (vgl. Rüegg 2004: 29). Diese Vormachtstellung wurde aber schon seit den 1830ern von Deutschland übernommen (vgl. ebd.). Die deutschen Universitäten genossen ab etwa 1860 höchstes Ansehen im Bereich der Naturwissenschaften und brachten Pionierleistungen hervor, welche auch in der Anzahl der deutschen Nobelpreisträger erkennbar sind (vgl. Kiesewetter 1996: 185). 10 3.2.1 Entwicklung der Universitäten des Napoleonischen Modells Bereits ab 1830 erwies sich das französische Universitätsmodell als unzulänglich und wurde von mehreren Seiten kritisiert. Man versuchte, in den Fakultäten die Forschung nach deutschem Modell zu etablieren, wozu u. a. die Vorlesungen nicht mehr wie zuvor breit angelegt, sondern spezialisiertere Seminare geschaffen wurden (vgl. Charle 2004: 61). Der zweite Kritikpunkt am französischen Modell stellte das mangelnde Gleichgewicht des zentralistisch organisierten Bildungswesens dar. Um einen Ausgleich zu schaffen, wurde die Zahl der Lehrenden zwischen 1865 und 1919 verdreifacht, der Aufwand für die Fakultäten verdreifachte sich zwischen 1875 und 1913 ebenfalls (vgl. ebd.). Die Ausdifferenzierung des Systems spiegelte sich auch in einer Diversifikation der Fächer wider, in deren Verlauf an den Rechtsfakultäten im späten 19. Jahrhundert volkswirtschaftliche, politik- und sozialwissenschaftliche Studien eingeführt wurden, um die Ausbildung für Berufe im öffentlichen Dienst noch zu erweitern (vgl. Ringer 2004: 212). Dabei hatten die unterschiedlichen Fakultäten verschiedene Zugangsvoraussetzungen, was das Einheitsgefühl innerhalb der Universitäten unterband, welches so prägend für Hochschulen deutschen Typs war (vgl. Charle 2004: 62). Svenja Hehlgans 282 Die Verwaltungsreform von 1896 regelte, dass die Fakultäten wieder in Universitäten zusammengefasst wurden und von sich aus Reformen einleiten konnten (vgl. ebd.; vgl. Weber 2002: 162). Somit war zwar auf dem Papier die Dezentralisierung des französischen Universitätssystems beschlossen worden, welche faktisch allerdings langsam geschah, da Paris seine Vormachtstellung behielt und auch zwischen 1876 und 1934/ 35 etwa die Hälfte der in Frankreich eingeschriebenen Studierenden aufnahm (vgl. Charle 2004: 62). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Reform nur eine Teilreform darstellte und die staatliche Aufsicht über das Universitätssystem weiterhin bestand (vgl. ebd.: 62). Als ein weiteres Hindernis für eine erfolgreiche Reform stellten sich die grandes écoles heraus, welche den Zugang zu technischen und administrativen Berufen reglementierten. Zu den älteren ‘écoles normales’ kamen nach 1881 Handelshochschulen, ab 1894 technische Hochschulen und Verwaltungshochschulen hinzu (vgl. ebd.: 62 f.). Insgesamt verlor das Napoleonische Universitätsmodell im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Es gab jedoch wichtige Impulse für die Ausgestaltung der von den anderen Modellen vernachlässigten modernen technischen Zweigen selbst in den Ländern, die sich dem Humboldtschen Modell verpflichtet hatten (vgl. ebd.: 77). 3.2.2 Entwicklung der Universitäten des Humboldtschen Modells Wie bereits dargestellt, orientierten sich die Universitäten bereits nach 1840 im gesamten europäischen Raum zunehmend am Humboldtschen Modell (vgl. Weber 2002: 157). 11 Allerdings standen die Prinzipien dieses Modells über die Jahrhundertwende hinaus in zunehmend größerem Widerspruch zu dem ansteigenden Bedarf an technisch geschulten Arbeitskräften für die industrialisierte Gesellschaft. Das Modell zeigte seine Schwächen v. a. in der Integration der modernen technischen Fächer und der mangelnden Professionalisierung der einzelnen Studienrichtungen (vgl. Charle 2004: 63). Auch die Ausrichtung des Studiums veränderte sich um die Jahrhundertwende stark: Zum ersten Mal seit Jahrhunderten gab es im Jahr 1914 mehr Studenten, die an der philosophischen Fakultät eingeschrieben waren als an der juristischen (vgl. ebd.). Dies verdeutlicht, dass moderne Berufe wie die des Technikers, Ingenieurs oder Forschers im Vergleich zu den klassischen des Verwaltungsbeamten und Geistlichen viel stärker nachgefragt waren. Aufgrund ihrer pragmatischeren Einstellung wurden die häufiger auch aus sozial schwächeren Schichten stammenden Studenten dieser Fachgruppen auch als Brotstudenten 12 bezeichnet, da sie auf den Broterwerb aus waren und nicht in erster Linie nach dem Humboldtschen Bildungsideal strebten. Dies führte zu einer ideellen Krise der Universität deutschen Modells: Die praktische Orientierung des Studiums auf der einen Seite, eingefordert von den Studenten neueren Typs, und die Überzeugung der Professoren auf der anderen Seite, einem zweckfreien Bildungsideal verpflichtet zu sein, waren miteinander nicht vereinbar (vgl. ebd.: 64). Die Differenzen wurden auch dadurch verstärkt, dass ein Großteil der neuen Studenten kein humanistisches Gymnasium besucht hatte und demnach mit dieser Art von Bildung kaum in Kontakt gekommen war (vgl. ebd.). Um den Bedürfnissen der Studenten, aber auch der Industriegesellschaft gerecht werden zu können, richteten die Regierungen neue Studiengänge an den bestehenden Instituten ein und intensivierten die Beziehungen zu Forschung und Wirtschaft (vgl. ebd.), was augenscheinlich dem Humboldtschen Ideal widersprach. In den Universitäten erhielt sich zwar die Verbindung von Forschung und Lehre, allerdings wurde das deutsche Modell dem Napoleonischen immer ähnlicher, was verwunderlich erscheint (vgl. ebd.: 66), wenn man sich die Berliner Neugründung als Gegenmodell zum französischen Bildungssystem in Erinnerung ruft. Zwischen Anpassung und Freiheit 283 Eine weitere Episode der deutschen Universitätsgeschichte, die hier nicht unbetrachtet bleiben soll, ist das nach Friedrich Althoff (1839-1908) benannte System. Dieser war von 1882 bis 1907 preußischer Ministerialdirektor und betrieb eine eigene Personalpolitik, die nicht unumstritten 13 , aber insgesamt weitblickend war (vgl. Klinge 2004: 122). Durch seine Berufungen, bei denen er auf höchste Qualität der Professoren achtete, konnte Althoff die liberale Ausrichtung der Reichsuniversität entschieden beeinflussen (vgl. Koch 2008: 159). Durch sein Wirken wurde das Hochschulwesen weiter bürokratisiert und stärker unter staatliche Leitung gestellt (vgl. ebd.). Auch Schwachstellen wurden von ihm aufgedeckt, wie zum einen die mögliche wissenschaftliche Isolierung Deutschlands und zum anderen die fehlende Erlaubnis des Frauen-Studiums. Es gelang ihm, den ersten Schwachpunkt durch einen ständigen Professorenaustausch zwischen Preußen und den Vereinigten Staaten zu beheben, durch den die Forschung beider Länder ab 1905 profitierte; Auch die Einführung der Zulassung von Frauen zum Studium gelang ihm kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt. Die Gründung der naturwissenschaftlichen Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft konnte nur durch seine Vorarbeit geschehen, die er aus der Erkenntnis heraus entwickelte, dass die Forschung auf diesem Gebiet immer mehr Aufwand und Personal erfordern würde; Diesen steigenden Aufwand für die Grundlagenforschung traute er den Universitäten allein nicht zu (vgl. ebd.: 161 f.). Es lässt sich sagen, dass Althoff sowohl die wissenschaftliche Forschung und Lehre, als auch das Universitätssystem mit seinen Professoren für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt instrumentalisiert hat (vgl. Klinge 2004: 122 f.). Die Betrachtung der Entwicklung der Universitäten in den Ländern, die das Humboldtsche Modell grundsätzlich übernommen hatten, lässt folgende Schlüsse zu: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts orientierte sich auch das Hochschulwesen in Österreich-Ungarn sowie den neu entstandenen Staaten des Balkans am Humboldtschen Universitätsmodell. Im Vordergrund dieser Entwicklungen standen einerseits Modernisierungen und durch Professoren- und Studentenaustausch hervorgerufene enge Beziehungen zu Deutschland und andererseits die Konzentration der akademischen Berufe auf Staatsverwaltung, Rechts- und Gesundheitswesen sowie den geistlichen Bereich. Durch die Erlaubnis, die Lehre in den landeseigenen Sprachen durchzuführen, entfernten sich die Universitäten dieser Regionen jedoch vom deutschen Modell und dem “internationalen Geistesleben” (Charle 2004: 69). In Ungarn zog das Rechtsstudium zunächst die meisten Studenten an, was sich in der Zwischenkriegszeit änderte, in der die naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Studiengänge an Bedeutung gewannen (vgl. ebd.: 69 f.). Auch in Belgien und Holland wurden Teile des Humboldtschen Systems adaptiert, unter anderem die Verbindung von Lehre und Forschung sowie die Lehrform der Seminare. Die belgischen Universitäten zeichneten sich durch ihre Offenheit aus, welche es ermöglichte, dass fähige Studenten in Frankreich, England oder Deutschland studierten und Professoren aus eben jenen Ländern nach Belgien und Holland kamen. In Holland wurden die zwar weiterhin vorbereitenden Fakultäten für Philosophie und Literatur sowie für Mathematik und Physik durch das Recht, Diplome und Doktorate zu verleihen, den anderen Fakultäten gleichgestellt (vgl. ebd.: 70). Im Norden Europas blieb das Humboldtsche Modell ebenfalls nicht ohne Nachahmer. In Oslo diente es bereits 1811 für eine Neugründung und auch bei Modernisierungen in Kopenhagen, Lund, Uppsala und Turku war es von Bedeutung. Die Einwirkungen des Humboldtschen Modells verstärkten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Fächern der Theologie, der Jurisprudenz, den Geisteswissenschaften, aber auch in Chemie und Physik, und spiegelten sich ebenso in der Verfassung von Dissertationen in deutscher Sprache und der Nutzung deutschsprachiger Lehrbücher wider (vgl. ebd.). Ein Svenja Hehlgans 284 Land, das das Humboldtsche Modell problemlos übernommen und an die eigenen Bedürfnisse angepasst hat, stellt die Schweiz dar. Hier gab es aufgrund der Zuordnung der Universitäten zu Hochschulkantonen behördliche Eingriffe und somit politische Einflüsse; Außerdem förderte die geografische Nähe der Hochschulen den Wettbewerb untereinander. Die geringe Größe und die vorher genannten Aspekte ermöglichten eine innovative Auslegung des deutschen Modells. Die Forschung wurde - wie beim deutschen Vorbild - groß geschrieben, was auch an der Ausbreitung der naturwissenschaftlichen Fächer zu erkennen ist (vgl. ebd.: 72 f.). 3.2.3 Entwicklung der Universitäten des englischen Modells Die Phase um das Ende des 19. Jahrhunderts war für die britischen Universitäten eine der wichtigsten, da das Universitätswesen erstmals seit der Entstehung im 13. Jahrhundert grundlegend reformiert wurde (vgl. ebd.: 66). Hierzu gehörten zum einen die Aufhebung des anglikanischen Glaubenbekenntnisses als Eintrittsschranke für die Universitäten Oxford und Cambridge, aber auch eine Ausweitung des Lehrprogramms über den bis zur Jahrhundertmitte herrschenden klassischen und mathematischen Betrieb hinaus (vgl. ebd.). In Oxford und Cambridge wurden v. a. nach 1870 neue Prüfungsfächer eingeführt, welche in Oxford den Prinzipien der klassischen, sprachlichen und philosophischen Bildung treu blieben. Cambridge räumte der Mathematik und den Naturwissenschaften einen größeren Raum ein und auch in London gab es durch eine Ausdehnung in Folge der formalen Zusammenlegung zahlreicher Spezialinstitutionen die Möglichkeit, naturwissenschaftliche, technische und medizinische Spezialfächer zu studieren (vgl. Ringer 2004: 212; vgl. Charle 2004: 67). Außerdem kamen zum Fächerspektrum Recht, Geschichte und Fremdsprachen hinzu, was auch zum deutlichen Steigen der Studentenzahlen beitrug, welche vorher stagniert hatten (vgl. ebd.: 66). Auch im Bereich der Forschung, der vorher eher vernachlässigt wurde, ergaben sich Fortschritte, z. B. durch die Gründung des ‘Cavendish Laboratoriums’ im Jahr 1871, welches später einen Großteil der technischen Elite Englands ausbildete (vgl. ebd.). Allerdings war der Ausbau der in Kapitel 3.1.3 beschriebenen civic universities für die Entwicklung des britischen Hochschulwesens in dieser Epoche von größerer Bedeutung als die Veränderungen in Cambridge und Oxford, da sie “zur Ausbildung der neuen Träger einer industriellen, städtischen Gesellschaft” (ebd.) beitrugen. Eine weitere Neuerung war die Einführung der staatlichen (Mit-)Finanzierung der Universitäten im Jahr 1889, wie sie in vielen europäischen Ländern schon früher üblich, in Großbritannien jedoch bisher durch Vermögenserträge (Oxford und Cambridge) oder private und städtische Stiftungen (Provinzuniversitäten) unnötig gewesen war (vgl. ebd.: 67). Allerdings hatte die Staatshilfe im Vergleich zu Ländern des kontinentalen Europas ein geringeres Ausmaß (vgl. ebd.). Oxford und Cambridge bildeten weiterhin die akademische Elite des Landes aus und bestimmten den akademischen Standard durch ihre Studentenselektion und Reformierung der Lehrpläne, bis sich die anderen Universitäten durchsetzten (vgl. ebd.: 67 f.). Resümierend lässt sich sagen, dass die Universitäten des Inselstaates einige Aspekte des Humboldtschen Modells übernahmen, aber ihre Strukturen nicht grundsätzlich veränderten (vgl. ebd.: 68). In Schottland wurden durch Reformen, die - früher als in England - in den Jahren 1858 und 1889 durchgesetzt wurden, neue Wissenschaftszweige in den Lehrplan eingeführt (vgl. ebd.: 60). Als ein weiterer Unterschied zu den englischen Universitäten kann in dem hier dargestellten Zeitraum die in Schottland inneruniversitäre Kombination humanistischer Zwischen Anpassung und Freiheit 285 Bildung und beruflicher Ausbildung genannt werden, während in Oxford und Cambridge ausschließlich erstere gelehrt wurde (vgl. ebd.). Durch die Einführung von Neuerungen im Jahr 1889 wurden die schottischen Universitäten den englischen immer ähnlicher, was ebenfalls bedeutete, dass auch sie Elemente des Humboldtschen Modells aufnahmen, ohne aber die grundlegenden britischen Systemstrukturen anzutasten (vgl. ebd.: 68). 3.2.4 Entwicklung der Universitäten Südeuropas Wie bereits in den vorherigen Kapiteln dargestellt, wurden die Universitäten Spaniens und Italiens vom französischen und im letzteren Fall auch vom Humboldtschen Modell beeinflusst. Im Verlauf der Epoche zwischen 1860 bis 1920 entwickelten sich ihre Hochschulsysteme weiter. In Italien wurde unter anderem 1859 versucht, die Hochschulen nach französischem Modell zu zentralisieren und die gerade in diesem Land so bedeutende Kirche durch die Abschaffung der Theologiefakultäten auszuschließen (vgl. ebd.: 73 f.). Das Projekt der Zentralisierung konnte sich allerdings nicht vollständig durchsetzen, da die lokalen Interessen an den vergleichsweise zahlreich vorhandenen Universitäten nicht gebrochen werden konnten (vgl. ebd.: 74). Die Lehrstuhlvergabe fand nach dem französischen Modell des concours statt und durch die Zuordnung zum Ministerium des öffentlichen Unterrichts wurde den Universitäten der größte Teil der Selbstverwaltung verwehrt (vgl. ebd.). Ab 1870 nahm die deutsche Wissenschaft zwar immer mehr Einfluss auf Italien, aber die alten Strukturen wurden trotzdem kaum durchbrochen. Dies bedeutete, dass die Universitäten weiterhin vorwiegend für den öffentlichen Dienst und kaum für moderne, auf die Wirtschaft ausgerichtete Felder ausbildeten (vgl. ebd.). Diese Bereiche wurden erst durch private Initiativen erschlossen, wobei unter anderem öffentliche und private Handelshochschulen sowie Ingenieurschulen eine Rolle spielten (vgl. ebd.). Insgesamt sind Einwirkungen aller drei Hauptmodelle auf das italienische Hochschulwesen festzustellen: Vom französischen Modell wurde die zentralistische Staatsleitung, vom Humboldtschen Modell die Orientierung an der Forschung und vom englischen die lokale korporative Organisation übernommen (vgl. ebd.). Betrachtet man die Entwicklung der Universitäten Spaniens, ergibt sich ein ähnliches Bild. Auch hier wurden die alten Strukturen erst ab 1898 durch Reformen mit dem Ziel überwunden, den Rückstand hinter den nordeuropäischen Universitäten aufzuholen (vgl. ebd.: 75). Dieser war eine Folge der Übernahme der auf dem französischen Modell beruhenden Zentralisierung, welche ebenso wie in Frankreich Paris, in Spanien Madrid zur Stellung einer Zentraluniversität verhalf (vgl. ebd.: 46, 75). Ebenfalls überwog die Ausbildung im Bereich des Rechts, welches gemeinsam mit den professionellen Fakultäten die geistes- und naturwissenschaftlichen Fakultäten mit ihren modernen Disziplinen weit an Bedeutung übertraf. Erst ab 1900 wurden neue Fächer in den Geistes- und Naturwissenschaften sowie Sozialwissenschaften im Rahmen der juristischen Fakultäten eingeführt (vgl. ebd.: 75). 3.3 Bildungsexpansion und Universitätstransformation zu einer Einrichtung der Massenausbildung Aufgrund der gesteigerten Selbstreflexion und den Ansprüchen, die an die Institution Universität herangetragen wurden, fanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Reformen statt. Der verlangten Demokratisierung der Universität wurde mit Hochschulgesetzen Rechnung getragen, die die Ersetzung der Professorendurch die Gruppenuniversität zum Inhalt hatten Svenja Hehlgans 286 (vgl. Koch 2008: 238). Dies bedeutete, dass universitäre Entscheidungsbefugnisse von der professoralen auf die demokratische Gremienebene verschoben wurden und allgemein ein größeres Mitbestimmungsrecht der Universitätsmitglieder angestrebt wurde (vgl. ebd.: 238 f.). 14 Die anvisierte höhere Demokratisierung durch die Universität ließ den Wunsch nach der Funktion derselben als Agentur des sozialen Aufstiegs gedeihen (vgl. Papadopoulos 1996: 84 f.): Menschen aus unteren und mittleren Schichten sollte im Rahmen der Chancengleichheit 15 das Studium ermöglicht werden, was wiederum auch die “Erschließung aller Begabungsreserven” (Weber 2002: 164) garantierte, die in der Folge des Sputnik-Schocks als Ziel ausgegeben wurde (vgl. Papadopoulos 1996: 124 ff.). Durch die Öffnung der Hochschulen für alle sozialen Schichten kam es zu einer enormen Ausweitung der universitären Einrichtungen sowie der Studenten- und Absolventenzahlen: Die Bildungsexpansion begann bereits in den 1950er Jahren in den west- und nordeuropäischen Ländern (außer in Spanien und Portugal, wo sie erst etwa 1972 einsetzte) und setzte sich ab den 1960ern breiter fort (vgl. Hartmann 2007: 61 f.). Sie ging einher mit einer rasant anwachsenden Studentenzahl, welche um das Zweibis Dreifache stieg (vgl. ebd.: 63). An der Spitze lagen dabei Italien, Frankreich und die skandinavischen Länder, während die Studierquote 16 in Ländern wie den Niederlanden, Großbritannien sowie Österreich und der Schweiz nur unterdurchschnittlich stieg (vgl. ebd.). Deshalb mussten auch die Hochschulsysteme Europas ihre Kapazitäten verdoppeln oder sogar verdreifachen (vgl. Papadopoulos 1996: 117). Sowohl die Wege als auch das Ausmaß der Bildungsexpansion in den europäischen Ländern unterschieden sich voneinander. In den meisten westeuropäischen Staaten waren alle Universitäten daran beteiligt, während z. B. die Elitehochschulen Frankreichs diesen Schritt nicht mitgingen und die Aufnahmezahl von Studenten seit 1960 bis heute nicht erhöhten sowie ihre soziale Selektivität beibehielten (vgl. Hartmann 2007: 67 ff.). Eine Expansion auf Seiten der Spezialhochschulen fand trotzdem statt, was die Gründung weiterer grandes écoles nach dem Zweiten Weltkrieg verdeutlicht (vgl. Deutscher Hochschulverband 1989: 23). In England und Schottland entstand im Zuge der Bildungsexpansion ein neuer Zweig des Hochschulsystems: Die so genannten ‘new universities’ wurden durch staatliche Initiativen gegründet und orientierten sich an den amerikanischen Campus-Universitäten, wobei sie das gemeinschaftliche Leben sowie das Tutorensystem beibehielten (vgl. Ahrens 1998: 536; vgl. Deutscher Hochschulverband 1989: 45). Inhaltlich umfassten sie meistens Ingenieurwissenschaften und v. a. angewandte Forschung und pflegten Kontakte zur Industrie (vgl. Rüegg 1985: 46). Auch in anderen Ländern kam es zur Ausdifferenzierung des Hochschulwesens. So wurde z. B. in Luxemburg, wo bisher auf eine eigene Universität verzichtet worden war, das ‘Centre Universitaire de Luxembourg’ gegründet (vgl. Deutscher Hochschulverband 1989: 75 f.). Mit der starken Bildungsexpansion gingen allerdings auch Befürchtungen einher: Erstens hielt man es für möglich, dass das Niveau der universitären Lehre nicht gehalten werden könne, da einerseits eine höhere Studentenzahl auch eine heterogenere Vorbildung bedeutete, auf die eingegangen werden musste. Andererseits verschlechterten sich die Betreuungsrelationen zwischen Lehrenden und Studierenden, was auch nicht durch das institutionelle Wachstum aufgefangen werden konnte und ebenfalls negative Folgen für die universitäre Bildungsqualität mit sich zu bringen schien. Die zweite Angst, die sich manifestierte, war die vor dem “akademischen Proletariat”: Man befürchtete in den 70er Jahren, dass nicht ausreichend viele Arbeitsplätze für die zahlreicher werdenden Akademiker zur Verfügung stehen könnten, was sich jedoch ein Jahrzehnt später als unbegründet herausstellen sollte (vgl. Schomburg & Teichler 2006: 3; vgl. Teichler 1990: 11 f.). Zwischen Anpassung und Freiheit 287 Die Bildungsexpansion hält in Europa bis heute an, was den Anforderungen der modernen Wissensgesellschaft entspricht (vgl. Hradil 2008: 107). Die Anzahl der Hochschulabschlüsse wurden seit Beginn der Bildungsexpansion besonders stark in Belgien, Irland, Spanien und Frankreich ausgeweitet; In den Ländern Dänemark, Schweiz, Österreich, Ungarn, Slowakei und Tschechien stagniert die Rate (vgl. OECD 2006: 34 u. 36, zit. n. Hradil 2008: 107). Deutschland ist heute das einzige Land Europas mit einer sinkenden Quote, was durch die um europäischen Vergleich unterdurchschnittliche Finanzierung des Bildungswesens erklärt wird (vgl. Hradil 2008: 107). 3.4 Osteuropäische Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg Als nach dem Zweiten Weltkrieg in allen Ländern Ostmitteleuropas “volksdemokratische” Regime errichtet und nach 1947 sowjetisiert wurden (vgl. Bachmaier 1996: 3, 8), hatte dies zur Folge, dass die Universitäten “[…] aus der europäischen Tradition herausgerissen [wurden], mit der sie so lange verbunden waren […]” (Beneš 1992: 139). Zuvor kam es in den Jahren zwischen 1945 und 1948 zur “Demokratisierung” der Hochschulen, welche zum einen die Öffnung für breitere Bevölkerungsschichten durch Hochschulexpansion und zum anderen die “Säuberung” von allen Gegnern des Kommunismus (sowohl unter den Hochschullehrern als auch unter den Studierenden) beinhaltete (vgl. Bachmaier 1996: 3 f.). 17 Mit dem Beginn der sozialistischen Phase wurden alle Kontakte zur westlichen Wissenschaft unterbrochen (vgl. ebd.: 4). Das Ziel der Machthaber, unter deren Kontrolle die Hochschulen nun standen, war es, Spezialistenkader für leitende Funktionen in der neuen Gesellschaft auszubilden, die gleichzeitig politisch zuverlässig, d. h. der sozialistischen Ideologie treu waren (vgl. ebd.: 10). Zu diesem Zweck wurde der Marxismus-Leninismus zur einzig zugelassenen Ideologie erhoben und als Pflichtfach für alle Studenten und Hochschullehrer eingeführt (vgl. ebd.: 9). Die Wissenschaft wurde also der Ideologie unterworfen (vgl. Gerbod 2004: 89). Um dies zu gewährleisten, wurde die universitäre Autonomie gebrochen, strenge Überprüfungen durch den Staatssicherheitsdienst eingeführt sowie Einstellungsentscheidungen an das Zentralkomitee übertragen (vgl. Bachmaier 1996: 9). Da in Osteuropa eine Industrialisierung “von oben” stattfinden sollte, legte man in den Hochschulen besonderen Wert auf naturwissenschaftliche, technische und militärisch relevante Fächer, wobei ein hoher Spezialisierungsgrad der Allgemeinbildung übergeordnet wurde (vgl. ebd.). Dies erklärt auch den Vorsprung der osteuropäischen Länder in der Raumfahrt. Durch die Ausgliederung der Forschung aus den Universitäten 18 sowie der eher an Ausbildung orientierten Lehre, welche sich an regionalen oder nationalen Bedürfnissen ausrichtete, kann von einer vollständigen Negation des Humboldtschen Universitätskonzeptes in Osteuropa unter dem Kommunismus gesprochen werden (vgl. ebd.: 8 f.; vgl. Meske 1998: 267). Eine langsame Öffnung des Hochschulwesens Osteuropas nach Westen begann bereits 1956, als durch bilaterale Abkommen zwischen ost- und westeuropäischen Ländern der Wissenschaftleraustausch organisiert wurde. Verstärkt wurde die Vernetzung durch gemeinsame Forschungsprojekte nach 1972 (vgl. Bachmaier 1996: 10 f.). Zwar kam es seit den 60ern in allen Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zu einer teilweisen Verselbstständigung der Hochschulsysteme, v. a. in Polen und Ungarn. Allerdings setzten sich in der Breschnew-Ära (1964-1982) wieder eine erhöhte Kontrolle und Lenkung der Hochschulen sowie Maßnahmen zur Unterstützung der Ideologie - unter anderem mithilfe der Svenja Hehlgans 288 Verstärkung der ideologischen Erziehung und weiteren “Säuberungen” - durch (vgl. ebd.: 10 f., 19). Kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs kam es 1987 unter Gorbatschow zu einem neuen Hochschulgesetz, welches zum Ziel hatte, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu beschleunigen und das Verhältnis zwischen Hochschule und Wirtschaft zu verbessern (vgl. ebd.: 11). Außerdem ermöglichte es eine gewisse Individualisierung, sowohl hinsichtlich neuer Wahlmöglichkeiten im zuvor festen Curriculum, als auch im Unterricht sowie in Form von Selbstverwaltung und Dezentralisierung der Universitäten. Die strengen Aufnahmeprüfungen und die Ausrichtung der Hochschulen auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse blieben jedoch noch bestehen (vgl. ebd.). Resümierend können die Auswirkungen der sowjetischen Zeit auf das osteuropäische Bildungswesen folgendermaßen zusammengefasst werden: Es kam zu einem gravierenden Rückgang der Standards, zur Verschlechterung oder gar zur Abschaffung von Lehre und Forschung, zu sinkender Qualität und Kompetenz der Lehrkräfte, zum völligen Ausbleiben von Innovation sowie nach 1970 zu stagnierenden oder sogar sinkenden Studentenzahlen (vgl. Kallen 1992: 156). Nach dem Ende der sowjetischen Vorherrschaft kam es ab 1989 zur Entpolitisierung des Hochschulwesens sowie zur Wiedererlangung der Autonomie und Freiheit von Forschung und Lehre (vgl. Bachmaier 1996: 23). Das Wiedererlangen der Hochschulautonomie sowie Tendenzen zur Selbstregulierung und Dezentralisierung der Hochschulsysteme müssen jedoch relativiert betrachtet werden, da die direkte Steuerung durch eine indirekte abgelöst wurde, welche sich unter anderem durch Leistungskontrolle, Festsetzung nationaler Prioritäten oder Budgetkürzungen ausdrückte (vgl. ebd.: 24). Durch Diversifizierung und die damit einhergehende Einrichtung von Fachhochschulen sollten das homogene Hochschulsystem aufgelöst und die Studentenzahlen erhöht werden. Die marxistisch-leninistische Ideologie sollte durch die Einführung von Liberalismus und Pluralismus ersetzt werden (vgl. ebd.: 25). Auch die Öffnung nach Westen konnte sich erst nach 1989 durchsetzen. Um die Entpolitisierung weiter voranzutreiben und einen Mentalitätswandel zu erzeugen, welcher nicht durch bloße strukturell-organisatorische Änderungen hervorgerufen werden konnte (vgl. Anweiler 1992: 12), wurden die alten ideologisierten “Gesellschaftswissenschaften” durch die neuen Sozialwissenschaften ersetzt (vgl. Mitter 1992a: 19; vgl. Bachmaier 1996: 39). 19 Auf die Phase der Befreiung des osteuropäischen Hochschulwesens von der Ideologie folgte direkt die Periode der Implementierung von Marktmechanismen: Die Einführung von Studiengebühren versetzte die Studenten in die Rolle als “Konsumenten”, die eine gewisse Leistung von Hochschule und Hochschullehrern als “Produzenten” von Bildung verlangten (vgl. ebd.: 38). Ein weiterer Aspekt des Marktmechanismus ist die Ersetzung des zuvor durch Gleichschaltung geprägten Verhältnisses zwischen Hochschule und Wirtschaft durch eine offene Beziehung, in der Rationalitäts- und Effizienzkriterien die hochschulische Autonomie wiederum einschränkten (vgl. ebd.: 24, 38; vgl. Mitter 1992b: 126). Diese Entwicklung des Hochschulwesens scheint eher dem amerikanischen Modell zuzuordnen zu sein, was auch damit erklärbar ist, dass die staatliche Prägung des mitteleuropäischen Systems in Ländern, die sich erst der Übermacht des Staates im Hochschulwesen entledigt hatten, Misstrauen hervorrief (vgl. Bachmaier 1996: 26, 37). Aber nicht nur die Einführung von Studiengebühren unterwarf das Hochschulwesen Marktmechanismen, sondern auch die Anpassung von Studiengängen, Forschung und Weiterbildung an regionale Bedürfnisse eröffnete eine neue Verschränkung zwischen universitärer Bildung und wirtschaftlichen Interessen (vgl. Beneš 1992: 149). In Polen scheint die Implementierung von ökonomischen Prinzipien am schnellsten und Zwischen Anpassung und Freiheit 289 drastischsten umgesetzt worden zu sein: Man strebt nach einem “Markt für Dienstleistungen im Bildungswesen” (Bachmaier 1996: 30). 3.5 Der Bologna-Prozess Um den Bologna-Prozess im Ganzen begreifbar und analysierbar zu machen, muss zunächst seine Vorgeschichte dargestellt werden. Diese begann mit der 1988 von der Europäischen Rektorenkonferenz verabschiedeten “Magna Charta Universitatum”, welche sich einerseits den Europäischen Traditionen der Universitäten aus dem 19. Jahrhundert verpflichtete (Autonomie, Freiheit von Forschung und Lehre sowie dem Idealbild einer modernen Forschungsuniversität) und andererseits eine verstärkte Mobilität forderte, die durch Anerkennungs- und Äquivalenzregeln gestützt werden sollte (vgl. Schriewer 2006; vgl. Portal der Europäischen Union 1988). Drei Jahre später wurde mit dem Vertrag von Maastricht die Europäische Union gegründet, welche die Rahmenzuständigkeit der Union auf das allgemeine Bildungswesen ausweitete (vgl. Schriewer 2006). Dieser Vertrag ist insofern von Bedeutung, da er in den Artikeln 126 und 127 eine Harmonisierung von Hochschulgesetzen und -Regelungen in den Mitgliedsstaaten ausdrücklich ausschließt (vgl. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 1992; vgl. Reinschke 2008: 10). Die Lissabon-Konvention (“Convention on the Recognition of Qualifications Concerning Higher Education in the European Region”/ Europarat 1997), die 1997 von den europäischen Mitgliedsstaaten der UNESCO sowie von den Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet wurde, hatte als Zielvorgabe die wechselseitige Anerkennung von Hochschulqualifikationen (vgl. Walter 2006: 115). Um die hierfür nötige Transparenz zu gewährleisten, wurde im Rahmen der Konvention das “Diploma Supplement” eingeführt, welches als ein erklärender Zeugniszusatz beschrieben werden kann (vgl. Schriewer 2006). Die Sorbonne-Erklärung, welche 1998 von den Bildungsbzw. Hochschulministern von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien unterzeichnet wurde, kann bereits als der Beginn des Bologna-Prozesses angesehen werden (vgl. Walter 2006: 123). Das Ziel der “Sorbonne Joint Declaration on harmonisation of the architecture of the European higher education system” 20 war die Schaffung einer “European area of higher education”, welche die Mobilität von Studierenden, Lehrenden und Forschenden stärken sollte (vgl. ebd.: 124). Um die internationale Anerkennung und Vergleichbarkeit von Abschlüssen gewährleisten zu können, sprachen sich die Minister für ein zweistufiges Studiensystem (“undergraduate” und “graduate”) aus, dessen erste Stufe eine Berufsqualifizierung und dessen zweite die Grundlage für eine wissenschaftliche Qualifikation bilden sollte (vgl. ebd.: 124 f.). Weitere Notwendigkeiten, um das angestrebte Ziel zu erreichen, stellten für die Minister ein europäisches Leistungspunktesystem sowie eine einheitliche europaweite Semesteraufteilung dar (vgl. ebd.: 125). Der Sorbonne-Deklaration schlossen sich in der Folgezeit weitere europäische Staaten an, es wurde ein weiteres gemeinsames Vorgehen im Rahmen einer Konferenz in Bologna beschlossen (vgl. ebd.: 128). Im Jahr 1999 wurde dann die “Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister” von 29 Staaten mit der Absicht unterzeichnet, bis zum Jahr 2010 einen europäischen Hochschulraum zu kreieren und ihm im globalen Wettbewerb eine gute Position zu verschaffen (vgl. Schriewer 2006; vgl. Reinschke 2008: 12). Mittlerweile nehmen 46 Staaten an diesem Prozess teil, der aufbauend auf den zuvor beschriebenen Beschlüssen und Erklärungen die folgenden Zielsetzungen beinhaltet: Svenja Hehlgans 290 • Die Einführung eines koordinierten Systems vergleichbarer und transparenter Abschlüsse, unter anderem aufgrund der Anfügung erläuternder Diploma Supplements; • Die Durchsetzung eines gestuften Studiensystems, dessen erster Zyklus mindestens drei Jahre umfassen und mit einer “arbeitsmarktrelevanten” Qualifizierung abgeschlossen werden soll; • Die Einführung eines dem European Credit Transfer System (ECTS) analogen Leistungspunktesystems; • Die intensive Förderung der Mobilität von Studierenden und Lehrenden; • Die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Qualitätssicherung; • Die Förderung der “europäischen Dimension” auch in inhaltlicher Hinsicht (im Bereich der Hochschul-Curricula etwa oder der Forschungskooperationen) (Schriewer 2006, Hervorh. im Original) Im Rahmen von Folgekonferenzen, die im zweijährigen Turnus stattfanden, wurden Fortschritte evaluiert und Prioritäten für die zukünftigen Etappen gesetzt (vgl. Reinschke 2008: 12). Letztere lagen zunächst besonders auf der Mobilität, danach auf der internationalen Anziehungskraft des europäischen Hochschulsystems und nun rückt immer mehr die Qualitätssicherung in den Vordergrund der Aktivitäten (vgl. Schriewer 2006). Die Qualitätssicherung hat zum Ziel, die Hochschulen an die neue Wissensgesellschaft anzupassen, in der es nötig sein wird, “[…] ein deutlich höheres Maß an Grund- und Spezialwissen […]” zu vermitteln, da sich alle Lebensverhältnisse beim Übergang von der Industriezur Wissensgesellschaft verkompliziert hätten (vgl. Weber 2002: 236). “Wissensinstitutionen, die dieser neuartigen Situation gerecht werden wollen, müssen also möglichst kostengünstig mehr Wissen, das zudem schneller ausgewechselt werden muß, zielgerichteter und effizienter als bisher für unterschiedliche und gegebenenfalls wechselnde Nachfragegruppen erzeugen und an diese vermitteln.” (Ebd.) Um diese Kriterien zu erfüllen, also die Qualität der Hochschulen zu sichern, bedient man sich im Rahmen des Bologna-Prozesses zweier Wege: Erstens sollen die inneruniversitären Strukturen reformiert werden, zweitens die Lehre und Forschung. 4. Aspekte der Ökonomisierung der Europäischen Universität Der Begriff der Ökonomisierung impliziert zunächst nur eine ökonomischere Gestaltung von Prozessen, welche sich durch die Einführung von Maximen der Rationalisierung, Effizienzsteigerung und Leistungsorientierung realisieren lässt (vgl. Dries 2006). Nach Andreas Novy (2007) beruht die Ökonomisierung der Universität auf drei Säulen: Erstens der Wahl von Management als Organisationsform, zweitens der Implementierung des Wettbewerbsgedankens und drittens äußert sie sich darin, dass Bildung zur Ware wird. Die Einführung von Management als Organisationsform drückt sich unter anderem als Klassifizierung einer Universität als Unternehmen aus. Die Implikationen die sich aus dieser Kategorisierung ergeben, sind unter anderem die Übertragung der ökonomischen Rationalität auf die Institution Universität sowie die Anforderung, beschäftigungsfähige Absolventen zu “produzieren”. Bei der zweiten Säule lassen sich - insbesondere verstärkt durch den Bologna-Prozess - drei Zwischen Anpassung und Freiheit 291 Ausprägungen erkennen: Wettbewerb besteht zunächst bei der Finanzierung von Lehre und Forschung, weiterhin tritt er in Form der Konkurrenz verschiedener Bildungsinstitutionen auf und drittens kommt die angestrebte Beschäftigungsfähigkeit von Universitätsabsolventen ebenfalls darin zum Ausdruck, dass sie für den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig gemacht werden sollen. Der dritte Aspekt der Ökonomisierung der Europäischen Universität, das Zur-Ware-Werden von Bildung, wird ebenso analysiert. Sowohl das Verhältnis zwischen Staat, Universität und Ökonomie als auch jenes zwischen universitärem Angebot und wirtschaftlicher Nachfrage nach bestimmten wissenschaftlichen Kenntnissen werden untersucht, um festzustellen, ob, wann und in welcher Form Bildung für Rationalisierung und Effizienzsteigerung anderer Funktionsbereiche der Gesellschaft bereits instrumentalisiert, also ökonomisiert, wurde. 4.1 Zum Verhältnis zwischen Universität, Staat und Ökonomie Seit etwa 1800 wurden die bisher unter dem Einfluss der Kirche stehenden Universitäten zu staatlichen Bildungsinstitutionen. Im Rahmen der Bürokratisierung im 19. Jahrhundert wurden sie deshalb immer mehr von der jeweiligen nationalen Bildungspolitik beeinflusst: Die Regierungen hatten die Entscheidung zu treffen, welche Rolle sie den Universitäten im Staatsbetrieb zuerkannten. In Frankreich wurden Hochschulen als Funktionseinheiten verstanden, welche die (neue) staatliche Macht sichern und stärken sollten. Das Humboldtsche Modell beruhte dagegen von Anfang des 19. Jahrhunderts an auf einer relativen Autonomie vom Staat, welcher ausschließlich für die Sicherstellung des Universitätsbetriebs zuständig war. Beim englischen Universitätsmodell hatte der Staat zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch weniger Einfluss, da den Hochschulen nicht die Aufgabe der Staatsbeamtenausbildung zugeordnet wurde. Die große finanzielle Unabhängigkeit der beiden bedeutendsten englischen Universitäten trug ebenfalls zur geringen staatlichen Lenkung bei, welche sich erst während der Epoche der Ausdifferenzierung erweiterte. Die europäischen Universitäten hatten schon seit Beginn ihres Bestehens die Aufgabe inne, die Ausbildung für bestimmte vorwiegend staatliche Berufe zu übernehmen. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts kann in allen Ländern Europas eine Zunahme der Berufsgruppen beobachtet werden, für die die Universität die nötige Bildung bereitstellte, auch wenn diese Entwicklung nicht immer gleichförmig und im selben Ausmaß erfolgte. Dies verdeutlicht, dass schon immer eine wechselseitige Beziehung zwischen Arbeitsmarkt und Universität bestand. Das Verhältnis beruhte bis zur Phase der Bildungsexpansion in großen Teilen Europas auf volkswirtschaftlicher Logik. Einerseits wurde von einer Abhängigkeit des wirtschaftlichen Erfolges und mit ihm des gesellschaftlichen Wohlstandes von der Produktion und Reproduktion von Bildung ausgegangen, andererseits erschien Bildung als wichtige Grundlage für die persönliche Entwicklung des Einzelnen (vgl. Hoffmann & Maack-Rheinländer 2001: 9). Dieser beidseitige Vorteil durch Bildung für Wirtschaft und Gesellschaft einerseits und dem Einzelnen andererseits könnte mit ökonomischem Vokabular als Win- Win-Situation bezeichnet werden. In Ländern, die das Napoleonische Modell zur Grundlage ihrer Universitätsgestaltung heranzogen, war die Ökonomisierung der Hochschulen bereits seit dem 19. Jahrhundert stärker vorangeschritten. Die Instrumentalisierung von Forschung und Lehre für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt unter Althoff zu Beginn des 20. Jahrhunderts Svenja Hehlgans 292 deutet außerdem bereits einen Schritt zur Ökonomisierung auch des Humboldtschen Universitätsmodells an, welche sich in Osteuropa ebenfalls seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts manifestierte. Bereits seit den 1950er Jahren veränderte sich das Bild der europäischen Hochschullandschaft. Die Universität “[…] sollte endgültig zum Motor […] der [wirtschaftlichen] Reproduktion und der unablässigen Steigerung des materiellen Wohlstands werden” (Weber 2002: 166). Hierzu wurde die “Produktion” industriell-ökonomisch verwertbaren naturwissenschaftlichen und technischen Wissens sowie wirtschaftswissenschaftlicher Kenntnisse gezielt gefördert (vgl. ebd.). Den bildungspolitisch induzierten Entwicklungen lagen also ökonomische Motive zugrunde, die nun eher der betriebswirtschaftlichen Logik folgten. Dass die Ökonomisierung der europäischen Universitäten zunahm, lässt sich ebenfalls an der steigenden Relevanz der Humankapitaltheorie sowie der Bildungsökonomie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachweisen (vgl. Pechar 2006: 13). 21 Der Instrumentalisierung der universitären Bildung für den wirtschaftlichen Erfolg - also der Ökonomisierung der Universität - widerfuhr bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Kritik. Dies geschah vorwiegend in den Ländern, deren Universitätssysteme auf dem Humboldtschen Modell beruhten, da man ein Zurücktreten des Selbstzweckes von Bildung hinter ihre Instrumentalisierung befürchtete (vgl. ebd.). Die Annahmen der Humankapitaltheorie, der Bildungsökonomie und der jeweils vorherrschenden wirtschaft(swissenschaft)lichen Paradigmen wirkten sich ebenso auf die finanzielle Seite der Bildungspolitik aus. Seit den 1960er Jahren verlagerte sich die Finanzierung der Universitäten immer mehr vom Staat auf die Wirtschaft, wodurch Kosten reduziert sowie die Institution Universität privatisiert und kommerzialisiert werden sollten (vgl. Hoffmann 2001: 25). Bildung und Weiterbildung wird heute die Funktion zugeschrieben, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten (vgl. Hendrich & Niemeyer 2005: 12). Hier lässt sich ein qualitativer Unterschied der Ökonomisierung der Universitäten zwischen den Tendenzen der 1960er und 1970er Jahre im Vergleich zu den aktuellen Entwicklungen ausmachen. In der ersten Phase fiel die Ökonomisierung der Universitäten mit einem Demokratisierungsschub zusammen, welcher allen sozialen Schichten den Zugang zu höherer Bildung ermöglichen sollte. Durch die heutigen Trends zur Deregulierung und Privatisierung zieht sich der Staat mit der Bildungspolitik in seinem Engagement für die Universitäten noch weiter zurück (vgl. Hoffmann 2001: 26 f.). Diese rückläufige Verantwortung des Staates für die Bildung kann sich negativ auf die Chancengleichheit auswirken (vgl. Neuner 2001: 59 f.). Hermann Giesecke (2001: 16), Alfred Hoffmann (2001: 32) und Gerhart Neuner (2001: 59) vertreten die Auffassung, dass eine Ökonomisierung der Universität letztlich soziale und ökonomische Ungleichheit rechtfertigt und somit keine Chancengleichheit mehr gegeben sein kann. Eine weitere Entwicklung, die die Privatisierung von höheren Bildungsinstitutionen mit sich bringt, ist die Wiederherstellung des Zustandes vor den Demokratisierungstendenzen. Es bildet sich wieder eine Situation heraus, in der Eliteinstitutionen Eliten (aus)bilden, wobei diese Eliten nun nicht mehr ständischer oder funktionaler, sondern ökonomischer Art sind (vgl. Hoffmann 2001: 33). Diese Entwicklung ist als sehr problematisch zu betrachten: Walter Rüegg (1994: 154) legt dar, dass die Herausforderungen, welche an die Universitäten, Gesellschaft und Wirtschaft in der modernen Gesellschaft herangetragen werden, nur durch ein Offenbleiben der Hochschulen für Studierende jeglicher Herkunft entsprochen werden könne. Das einzige Zulassungskriterium dürfe seiner Ansicht nach die jeweilige intellektuelle Leistungsfähigkeit sein. In Zukunft ist eine weiter steigende Relevanz der universitären Bildung für die wissensbasierte Ökonomie zu erwarten (vgl. Pechar 2006: 13). Diese Annahme und die Zielsetzungen des Bologna-Prozesses lassen eine weitere Ökonomisierung der Zwischen Anpassung und Freiheit 293 europäischen Universitäten erwarten. Es lässt sich also folgender Bogen spannen: Die Universität stand bis etwa 1900 unter dem Einfluss der Kirche und bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unter der Beeinflussung des Staates. Seit der Bildungsexpansion verringerte sich der Anteil der staatlichen Mitgestaltung der Universitäten zugunsten der zunehmenden Einwirkung der Wirtschaft, welche sich bis heute ständig ausweitete. Mit dieser Ökonomisierung der europäischen Universitäten veränderte sich auch die Rolle der Universitäten: Von Bildungswurden sie zu reinen Ausbildungsinstitutionen, welche die für das Wirtschaftswachstum notwendigen Arbeitskräfte “produzieren” sollten. 4.2 Zum Verhältnis zwischen angebotenen und nachgefragten wissenschaftlichen Kenntnissen Betrachtet man die Entwicklung der auf dem Arbeitsmarkt erforderlichen Kompetenzen und die an den europäischen Hochschulen angebotenen Kenntnisse im Rahmen ausgewählter für die jeweiligen Kondratieffzyklen bedeutsamer Fächer, so lassen sich diese Schlussfolgerungen ziehen: Im ersten Kondratieff gab es hauptsächlich Bedarf an solchen Arbeitskräften, welche durch Anlernen unselbstständige Tätigkeiten ausführten, die keine höhere Bildung voraussetzten. Einige wenige Personen mussten dagegen technische und naturwissenschaftliche Kenntnisse besitzen, um die Dampfmaschinen - die Basisinnovation des ersten Kondratieff - zu bauen und zu warten. Dass der Bedarf an diesen Kenntnissen relativ gering war, lässt sich auch daran zeigen, dass technische Bildung in der Zeit des ersten Kondratieffs in Europa nicht an Universitäten gelehrt wurde. Allerdings muss konstatiert werden, dass das an fast allen europäischen Institutionen der technischen Bildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angebotene Lehrgebiet Bergbau indirekt - durch die Bereitstellung der für die Dampfmaschinen nötigen Energie - auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet war. Im zweiten Kondratieff gab es Arbeitskräftebedarf v. a. in den Sektoren des Eisenbahn- Streckenbaus, der Bauindustrie, den stahlverarbeitenden Industrien sowie in zunehmendem Maße im Rahmen der Fabrikarbeit. Auch für diese Tätigkeiten waren nur wenige wissenschaftliche Kenntnisse notwendig. Die für die wirtschaftlichen Bedürfnisse notwendige Kenntnisvermittlung realisierte sich statt an Universitäten meist in Form einer Lehre oder in der reinen Praxis. Die Ausbildungsinhalte beschäftigten sich jeweils mit sehr aktuellen Problemen. Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts lässt sich dies an der Vermittlung spezifischer Grundlagen für Maschinen und für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts an der Beschäftigung mit der angewandten Mechanik belegen. In England gab es eine Tradition der Techniker-Ausbildung (vgl. Lundgreen 1973: 146), welche unter den Fabrikanten sehr geschätzt wurde (vgl. Guagnini 2004: 497). Deshalb lässt sich der Vorsprung dieses Landes in den ersten beiden Kondratieffs leicht erklären. Gelegentliche Kontakte zwischen Wissenschaftlern und industrieller Technik lassen sich dennoch konstatieren. Diese fanden im Rahmen von Auftragsarbeiten statt und hatten meist die Entwicklung “[…] zuverlässige[r] experimentelle[r] Methoden zur Lösung technischer Probleme wie der Wirksamkeit und Sicherheit von Dampf- und anderen Maschinen, der Festigkeit und Elastizität von Werkstoffen und der Klassifizierung kinematischer Prozesse […]” (ebd.: 496) zum Inhalt. Diese Form der Auftragsforschung wurde in Frankreich am stärksten praktiziert (vgl. ebd.). Es kann also festgestellt werden, dass universitäre Bildung im technischen Bereich Svenja Hehlgans 294 im frühen Stadium der Industrialisierung in Europa kaum eine Rolle spielte (vgl. Lundgreen 1973: 133; vgl. Guagnini 2004: 496). Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts jedoch immer deutlicher wurde, dass die in der Ausbildung vermittelte technische Bildung ein zu geringes wissenschaftliches Niveau besaß und man die Relevanz wissenschaftlich fundierter Kenntnisse für den Industrialisierungsprozess erkannte 22 , wurden in ganz Europa die Institutionen technischer Bildung - v. a. auf höherem Niveau - ausgebaut. Außerdem achtete man darauf, dass die technische Bildung auf eine wissenschaftlichere Grundlage gestellt wurde. Deutschland nahm bei diesem Ausbau eine Vorbildposition ein. Bemerkenswert ist, dass diese Verwissenschaftlichung der Technik mit der Industrialisierung des Landes einherging. Später herrschte sogar die Überzeugung, dass der industrielle Aufschwung Deutschlands nur auf Grundlage der Wissenschaft gedeihen konnte (vgl. Manegold 1989: 231). Auch den relativen Abstieg der englischen Industrie gegen Ende des zweiten Kondratieffs kann man mit der Art der angebotenen technischen Bildung in Verbindung bringen. Es gab zwar bereits ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts universitäre Lehrveranstaltungen, diese wurden aber erst ab etwa 1890 verstärkt nachgefragt. Hieraus resultierte ein Mangel an wissenschaftlich ausgebildeten Technikern gegenüber anderen europäischen Ländern. An dieser Stelle lässt sich - ebenso wie bei den Schwierigkeiten bei der Einführung und Etablierung neuer Basisinnovationen - ein Festhalten am Bewährten, nämlich der englischen Ausbildungstradition, als Grund des Rückstandes verzeichnen. Vergleicht man das nun gestiegene Interesse an universitärer technischer Bildung mit den Kondratieffzyklen, so lässt sich folgendes Bild zeichnen: Während des Überganges vom zweiten zum dritten Kondratieff, also während einer wirtschaftlichen Engpassphase, gab es in der technikwissenschaftlichen Entwicklung eine Hochphase. Die theoretischen Fortschritte konzentrierten sich v. a. auf die Bereiche der Elektro- und der frühen Informationstechnik, welche in der Praxis erst im dritten Kondratieff relevant wurden. Weiterhin wurde im Rahmen des etwa ab 1880 entstehenden Laborunterrichtes danach gestrebt, bereits bekannte Prozesse zu verbessern. Man kann also davon ausgehen, dass die wissenschaftliche Entwicklung die wirtschaftliche in diesem Zeitraum unterstützte. Eine engere Wechselwirkung zwischen universitär vermittelter Theorie und praktischer Umsetzung in der Industrie bestätigen auch Anna Guagnini (2004: 504 f.), Nefiodow (1997: 6) sowie Händeler (2007a: 87). Die Elektroindustrie profitierte stark von den Technikkenntnissen der Absolventen der Technischen Hochschulen. Diese wiederum griffen Erkenntnisse sowie Fragestellungen aus der Praxis auf und optimierten auf diese Weise die Lehre und Forschung. Dass die nun für die weitere industrielle Entwicklung notwendig gewordenen theoretischen Grundlagen vorhanden waren, war auch die Folge der offiziellen Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten, welche sich in ganz Europa bis Anfang des 20. Jahrhunderts vollzogen hatte. Auch die Forschung konnte ab diesem Zeitpunkt zum Wachsen der Produktivität beitragen. Auch im Bereich der Wirtschaftswissenschaften bzw. der Betriebsführung mit Technik arbeitender Betriebe wurde die Verbindung zwischen Universität und Ökonomie ab dem dritten Kondratieff enger. Die Anzahl der Angestellten im Führungsbereich mit Hochschulabschluss stieg und führte zu einem besseren gegenseitigen Verständnis der Mitarbeiter eines Unternehmens. Diese verbesserte Kommunikation trug zu Zuwächsen der Produktivitätsraten und somit zum Kondratieffaufschwung bei. Das bessere Verständnis zwischen operativer und Managementebene war umso wichtiger, da die Größe der Betriebe (v. a. der Fabriken) bereits im zweiten Kondratieff immer weiter zunahm. Eine Folge dieser Vergrößerung war der Zwischen Anpassung und Freiheit 295 Bedarf an Verwaltungs- und Führungspersonal mit wirtschaftswissenschaftlichen Fachkenntnissen. An den Universitäten und Handelsschulen hatte sich im Rahmen der neoklassisch geprägten Wirtschaftswissenschaften bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit auf das Effizienzbzw. Maximierungsproblem gerichtet. Derartige Kenntnisse konnten der Wirtschaft nun Nutzen bringen. Parallel mit dem steigenden Arbeitskräftebedarf mit wirtschaftswissenschaftlicher Bildung hatte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Zahl der Lehrstühle an den Universitäten in Europa erhöht. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fand die wirtschaftswissenschaftliche Bildung allerdings weiterhin meist an Handels(hoch)schulen statt. Als jedoch um die Jahrhundertwende in der Praxis immer mehr Bedarf an wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Kenntnissen entstand, wurde die Kenntnisvermittlung zunehmend akademisiert. Auch Peter Lundgreen (1988: 119) legt dar, dass erst die Entstehung der Betriebswirtschaft als eigenständige Wissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts wissenschaftliche ökonomische Kenntnisse in großem Rahmen in die Praxis einfließen zu lassen vermochte. Es fällt auf, dass die Entwicklungen der Professionalisierung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Betriebsführung in die Übergangsphase zwischen dem zweiten und dem dritten Kondratieff fielen. Diese Feststellung legt nahe, dass die wissenschaftlichen Entwicklungen zum wirtschaftlichen Aufstieg beitrugen. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts - also im Übergang vom dritten zum vierten Kondratieff - kam es zu einer stärkeren Systematisierung, zu einer Erhöhung des Niveaus der wissenschaftlich vermittelten Kenntnisse sowie zur Ausweitung der Bildungsinstitutionen auf Universitätsebene. Seit dem fünften Kondratieff wurde der Mensch selbst immer mehr zur Produktivitätsquelle. Die Wirtschaftswissenschaften nahmen ihn bereits in den 1950er Jahren in den Blick: Personalpolitik und die Beschäftigung mit den Bedingungen am Arbeitsplatz wurden zu Themen der Wirtschaftswissenschaften, da man sich davon Produktivitätszuwächse erhoffte. Der vierte Kondratieff wurde besonders durch die komplexer werdende Massenproduktion, v. a. des Autos als Basisinnovation, geprägt. Diese Komplexität erforderte vertiefte Betriebsführungskenntnisse. Deshalb ist die Implementierung von Management- und Marketingdenken in die Vermittlung von wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnissen an den Universitäten ab den 1950er Jahren ebenfalls für den Aufschwung des Kondratieffs mit verantwortlich zu machen. Beim Übergang vom vierten zum fünften Kondratieff lässt sich ein grundlegender Wandel feststellen, welcher sich durch den Übergang vom rohstoffzum wissensbasierten Entwicklungsparadigma ausdrückte. Hierdurch wurden zwei wichtige neue Felder sowohl im ökonomischen als auch im wissenschaftlichen Bereich erschlossen: Einerseits erhöhte sich die Relevanz des effizienten Umgangs mit Informationen, andererseits wurden die durch die Industrialisierung verursachten Umweltprobleme offenbar, deren Lösung für Wirtschaft und Gesellschaft immer wichtiger zu werden begannen. Außerdem wurde seit Ende des 20. Jahrhunderts das Voranschreiten wissenschaftlicher Kenntnisse von der Wirtschaft explizit genutzt und gefordert. Es kann also von einer auf die Wirtschaft ausgerichteten wissenschaftlichen Entwicklung ausgegangen werden. Im Bereich der Informationstechnik war es die Wissenschaft, die die Grundlage für den erst später einsetzenden Kondratieffzyklus legte. Allerdings ist anzunehmen, dass die Entwicklung ohne das wirtschaftliche Interesse (ausgelöst v. a. durch den Sputnik-Schock) und die damit zusammenhängende Förderung dieses Wissenschaftsbereiches nicht so schnell hätte ablaufen können. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Umweltthemen begann zwar schon Ende des 18. Jahrhunderts, entwickelte sich aber erst durch die gesellschaftliche Relevanz, die sie unter anderem durch den Bericht des Club of Rome erhielt, zu einer ökono- Svenja Hehlgans 296 misch bedeutenden Disziplin. Aber nicht nur das aufkommende gesellschaftliche Interesse an der Lösung von ökologischen Problemen förderte die Umweltwissenschaften, sondern auch die durch neue Techniken ermöglichten besseren Beobachtungs-, Dokumentations- und Informationsperspektiven. Somit kann das Zusammenwirken von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft als Grundlage der modernen Umweltwissenschaften angesehen werden. Die notwendigen ganzheitlichen Problemlösungsstrategien erst zu Beginn der 1980er Jahre auf Grundlage der Integration des sozialwissenschaftlichen Fächerkreises in die umweltwissenschaftlichen Betrachtungen möglich. Dies unterstreicht, dass die von der Gesellschaft geforderten Handlungsstrategien nur auf der Grundlage der wissenschaftlichen Interdisziplinarität entwickelt werden konnten. Der relativ schnelle Ausbau der umweltwissenschaftlichen Bildungsangebote in den 1980er Jahren kann als Reaktion auf die höhere Relevanz von Umweltfragen für Wirtschaft und Gesellschaft eingestuft werden. Seit den 1990er Jahren wird dieses Fachgebiet der Universität von Politik und Gesellschaft in die Pflicht genommen, es soll dem Leitgedanken der nachhaltigen Entwicklung zuträgliche Handlungskonzeptionen entwickeln. Ähnliches kann für sein Verhältnis zur Wirtschaft konstatiert werden: Da der politische und v. a. der gesellschaftliche Druck auf Unternehmen immer größer wird, ihr Wirken umweltgerecht zu gestalten (vgl. O’Riordan 1996: 17 f.), profitieren sie ebenso von den wissenschaftlich fundierten Umweltwissenschaften. Die Gesundheit, welche als eine der Zukunftsbranchen mit den höchsten zu erwartenden Produktivitätsraten für den sechsten Kondratieff eingeschätzt wird, war schon seit dem 18. Jahrhundert ein häufig betrachtetes Thema. Zu dieser Zeit war die Gesundheit der Bevölkerung ein Mittel zur Machtsicherung des Staates. Dies kann bereits als Indienstnahme der Vorläufer der Gesundheitswissenschaften betrachtet werden. Der Auslöser der Entwicklung, die Mitte des 19. Jahrhunderts zur Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit Gesundheitsproblemen führte, war v. a. der durch Epidemien induzierte Bedarf an einem wissenschaftlichen Behandlungs- und Analysefundament. Schon früh wurde erkannt, dass diese Instrumente nur mit interdisziplinärem Charakter ganzheitliche Problemlösungen bieten können, weshalb die Zusammenarbeit verschiedener gesundheitsbezogener Fächer an den Universitäten unterstützt wurde. Die Gesundheitswissenschaften wurden jedoch nicht nur zu gesellschaftlichem Nutzen eingesetzt, sondern dienten den Nationalsozialisten als Argumentationsgrundlage für ihre Gewaltverbrechen. Folgen der Industrialisierung zeigten sich in der Gesundheit der Menschen im Vergleich zur Umweltproblematik bereits früher: Im Übergang vom dritten zum vierten Kondratieff waren chronisch-degenerative Krankheiten zum größten gesundheitlichen Problem geworden. Je nach dem, ob die Gesellschaft den Gesundheitswissenschaften im Zeitverlauf eine hohe oder niedrige Relevanz zuschrieb, wirkte sich dies auf ihre finanzielle Unterstützung aus staatlichen Mitteln aus. Nach einer Phase geringer Zuwendungen wurden die öffentlichen Zuschüsse erst gemeinsam mit dem häufigeren Auftreten psychischer Krankheiten in den 1980er Jahren wieder erhöht. Besonders seit den 90er Jahren wurden gesundheitswissenschaftliche Angebote an Hochschulen ausgebaut und modernisiert. Hier erfolgte also ein gemeinsamer Aufschwung auf wirtschaftlicher wie auch auf wissenschaftlicher Seite. Allerdings geschah dies zu Beginn des fünften Kondratieffs, als Gesundheit noch nicht für eine der größten Produktivitätsreserven gehalten wurde. Möglichkeiten zur Weiterbildung und dem lebenslangen Lernen, welchen in der Wissensgesellschaft zunehmende Bedeutung erwachsen wird, sind bereits an vielen europäischen Universitäten vorhanden und werden kontinuierlich ausgebaut (vgl. Hanft & Knust 2007: 8). Es lässt sich also feststellen, dass (fast) all diejenigen Wissenschaftszweige, welche zu einem bestimmten Zeitpunkt ökonomisch wichtig wurden, d. h. zur Produktivität der Kon- Zwischen Anpassung und Freiheit 297 Abb. 1: Relatives 23 Angebot an akademisch gebildeten Arbeitskräften in Relation zu den Kondratieffzyklen (Eigene Darstellung unter Verwendung der von Fritz Ringer (2004: 199 ff.) sowie von Joachim Mohr (2000) aufgeführten Daten) dratieffzyklen beitrugen, bereits zuvor Bestandteil der universitären Lehre und Forschung waren. Die einzige Ausnahme bilden die Technikwissenschaften, welche erst Ende des 19. Jahrhunderts akademisiert wurden, also im Übergang vom zweiten zum dritten Kondratieff. Allerdings zog das jeweilige Angebot - entweder weil es in zu geringem Ausmaß vorhanden war, oder weil zu geringes Interesse bestand - nicht rechtzeitig ausreichend Studierende an, weshalb wissenschaftliche Erkenntnisse nur in geringem Ausmaß zum wirtschaftlichen Aufschwung beitragen konnten. Erst in der jeweiligen Phase des Kondratieffabschwungs, welcher durch inkrementelle Weiterentwicklungen gekennzeichnet ist, diversifizierten sich die jeweiligen Fächer, so dass ihre Absolventen zu den Verbesserungen der Basisinnovationen beitragen konnten. Dies kommt einer Verspätung der ökonomisch nutzbaren Wissenschaften im Vergleich zu ihrem ökonomischen Bedarf gleich. In Abbildung 1 wird schematisch [sic! ] dargestellt, wie sich das relative Angebot an Universitätsabsolventen in Relation zu den Kondratieffzyklen entwickelt hat. Die Abbildung 1 umfasst die Arbeitslosigkeit aller Akademiker, nicht nur derjenigen, welche die für den jeweiligen Kondratieffzyklus notwendigen Kenntnisse erwarben. Die Betrachtung der einzelnen Wissenschaftszweige mit ihren jeweiligen Arbeitslosenraten kann jedoch im Rahmen dieses Beitrags nicht ausgeführt werden. An dieser Stelle soll als allgemeine Trendanalyse aufgezeigt und dargestellt werden, dass die universitäre Kenntnisvermittlung den wirtschaftlichen Bedürfnissen nicht vorausgeht, sondern eher als Reaktion auf die ökonomischen Ansprüche anzusehen ist. Diese These unterstützt Ringer (2004: 200 f.), welcher darlegt, dass erst mehr Studierende an die Universität kämen, wenn es eine erhöhte wirtschaftliche Nachfrage nach bestimmten Berufsgruppen gäbe. 24 Auch die Äußerungen von Mohr (2000) bestätigen, dass das Angebot von akademisch gebildeten Arbeitskräften der Nachfrage eine Periode “hinterherhinkt”. Die Existenz eines wissenschaftlichen Fundamentes für die Kondratieffzyklen, welches erst um den Höhepunkt der jeweiligen Zyklen einen Ausbau erfuhr, als wissenschaftliche Kenntnisse großflächig notwendig wurden, begründet die These der Ökonomisierung der europäischen Universität. Die Annahme, dass wissenschaftliche Kenntnisse für den wirtschaftlichen Aufschwung notwendig sind, lässt sich im Svenja Hehlgans 298 Gegenzug daran belegen, dass während der wirtschaftlichen Tiefphasen die akademische Arbeitslosigkeit steigt. 4.3 Die Europäische Universität als Unternehmen und Bildung als Ware Mit der zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche (vgl. Gäbler 2005: 154) geriet auch die Institution Universität unter immer stärker werdenden Effizienzdruck. Aus diesem Grund wurden seit Mitte der 1980er und v. a. in den 1990er Jahren verstärkt Leistungsmessungen eingeführt, was die Übertragung der ökonomischen Rationalität auf die Universitäten ausdrückt (vgl. Wimmer 2005: 20). Es wird also davon ausgegangen, dass die Einführung ökonomischer Prinzipien in universitäre Strukturen ein effizienteres Funktionieren ermögliche (vgl. ebd.: 30 f.). Da der Staat sich zudem immer mehr aus der Verantwortung für die Finanzierung der Bildungsinstitutionen zieht, steht die Universität zunehmend unter dem Druck, selbst für die notwendigen Ressourcen Sorge zu tragen. Deshalb sollen Universitäten wie Unternehmen geführt werden und Forschung sowie Lehre an der Nachfragesituation ausrichten (vgl. ebd.: 31). Verstärkt finanziert werden deshalb v. a. Fächer, welche in Forschung und Lehre Kenntnisse “produzieren”, die direkt vermarktet werden können. Dies führt dazu, dass sich Fächer, welche weder unmittelbar verwertbare und nützliche Kenntnisse bereitstellen, noch eine berufsqualifizierende Ausbildung anbieten, ständig selbst legitimieren müssen (vgl. ebd.: 19). Besonders den Geistes- und Sozialwissenschaften wird unterstellt, nur unproduktive Kosten zu verursachen (vgl. ebd.; vgl. Sieg 2005: 10). Das Primat der Ökonomie kann in der Universität so zu geringerer Finanzierung der vermeintlich eher unnützen Fächer, und im äußersten Fall zu Schließungen einzelner Fachbereiche führen (vgl. Schmoll 2008: 6; vgl. Lege 2009: 62). Bildung und Wissen werden also vorwiegend als Produktionsfaktoren betrachtet, was Michael Wimmer folgendermaßen pointiert: “Der Bildungswert des Wissens verschiebt sich von der inhaltlichen Seite auf seine funktionale Brauchbarkeit, von dem individuellen Gebrauchswert hin zum gesellschaftlich fungiblen Tauschwert auf dem Arbeitsmarkt.” (Wimmer 2005: 35) Diese Form der Ökonomisierung von Universität und Bildung hat auch Auswirkungen auf ihr Ansehen in der Gesellschaft. Dadurch, dass Hochschul- und Wirtschaftssystem systemisch kompatibel gemacht wurden (Hoffacker 2001, zit. n. Liesner 2005: 46), nimmt die Universität den Status eines unter vielen anderen Dienstleistungsunternehmen für die Wirtschaft ein (vgl. Liesner 2005: 58). Eine solche einseitige, auf ökonomischen Kriterien beruhende Rollenzuweisung führt zu der Auffassung, Universitäten müssten ihren Absolventen die größtmögliche Beschäftigungsfähigkeit übertragen, welche auch im Bologna-Prozess als eines der Hauptziele definiert wurde. Dies forciert eine Verfach(hoch)schulung der europäischen Universitäten, die sich besonders durch das sinkende wissenschaftliche Niveau auszeichnet (vgl. ebd.: 58 f.). Einer ähnlichen Entwicklung war bereits etwa ein Jahrhundert zuvor v. a. in den Ländern, die das Humboldtsche Universitätsmodell adaptiert hatten, Kritik widerfahren: Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts äußerten unter anderem Werner Sombart und Friedrich Paulsen die Befürchtung, dass aus den Universitäten Institutionen auf der Ebene von Fachschulen geworden waren (vgl. Wimmer 2005: 28 f.). Ihre Bedenken sind vor dem Hintergrund der Akademisierung des technischen Unterrichtes zu sehen, welche für viele die Zweckfreiheit der universitären Bildung infrage zu stellen schien. Zwischen Anpassung und Freiheit 299 Dass die Ökonomisierung der Europäischen Universität unter der Zielsetzung der Beschäftigungsfähigkeit als problematisch einzustufen ist, belegen auch Einschätzungen von Absolventen sowie Studenten: In einer Umfrage aus dem Jahr 2000 unter Absolventen der alten Magister- und Diplomstudiengänge gaben im Mittel der vorliegenden Daten 58,6 % der Befragten an, dass ihr Studium für ihre jetzigen beruflichen Aufgaben nützlich gewesen sei (vgl. Mohr 2000). 2001 stimmten nur ein Viertel der Befragten in einer Studie des BMBF der Behauptung zu, dass Bachelor-Absolventen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten (vgl. Grigat 2009: 26). Diese Zahl nahm bis 2007 sogar auf 12 % ab (vgl. ebd.). Auch wenn diese Befragungen - aufgrund des unterschiedlichen geografischen Raumes sowie den unterschiedlichen Zeitpunkten in Bezug auf das Studium - nur bedingt miteinander vergleichbar sind, so lassen sie doch die aktuellen Reformen als fragwürdig erscheinen. Wimmer (ebd.: 25) spricht im Hinblick auf die angestrebte Beschäftigungsfähigkeit der Absolventen von einer “Analogisierung von […] Universitäten mit Fabriken”. Dies verdeutlicht nicht nur, dass die Universität als Unternehmen mit ökonomischer Zwecksetzung betrachtet wird, sondern legt auch die Auslegung von Bildung als Ware nahe. Die Universitäten bieten als Dienstleistungsunternehmen das Produkt Bildung an, die Benutzer, also die Studenten, stellen “ihren Warenkorb nach Gutdünken und Marktlage zusammen […]” (Brandt 2005). Hierin spiegelt sich das veränderte Verhältnis zwischen Universität und Student wider: In der Moderne des Kapitalismus wurden die Universitätsabsolventen vor allem als produzierende Arbeitskräfte betrachtet, in der heutigen Postmoderne werden Studenten als konsumierende Kunden eingeschätzt, welche sich selbst mit dem Produkt Bildung versorgen (vgl. Hoffmann 2001: 35). Aus diesem Grund wird auch der Wettbewerbsgedanke verstärkt, da die Universitäten nun um die Studenten konkurrieren und ihre Produkte bewerben müssen (vgl. Pazzini 2005: 143). Außerdem scheint ein Anstieg der Konkurrenz zwischen den Hochschulen bessere Bildung zu versprechen und wird deshalb unter anderem durch den Bologna-Prozess gefördert (vgl. Wimmer 2005: 31). Auch der Wechsel von der Inputzur Outputorientierung (vgl. Weber 2002: 166), welcher durch das bei Bachelor- und Master-Studiengängen neu eingeführte Kreditpunktesystem intensiviert wird, unterstützt die Rolle der Universität als Unternehmen, welches seine Produkte vermarkten muss. Die zuvor dargestellten verschiedenen Facetten der Ökonomisierung der Europäischen Universität können auf zwei Ebenen beurteilt werden: Zunächst erscheint eine gewisse Orientierung an ökonomischen Prinzipien wie Effektivität und Effizienz bei dem Umgang mit Ressourcen sinnvoll zu sein, um deren Vergeudung zu vermeiden (vgl. Wimmer 2005: 31). Problematisch ist allerdings, dass die Eigenlogik des Systems Universität bei diesem Streben nach Effizienz kaum berücksichtigt wird. Die Aufgaben der Universität sind nämlich nicht ausschließlich ökonomisch definiert (vgl. ebd.) und orientieren sich an Werten, “die sich der kalkülgerechten Quantifizierung entziehen” (Zabeck 2003: 55, zit. n. Wimmer 2005: 31). Julian Nida-Rümelin hält es für gefährlich, die Universität ökonomisch und politisch zu instrumentalisieren, da sie sich nur aus sich selbst heraus entwickeln könne (vgl. Nida- Rümelin 2005: 27). Mit der ausschließlichen Ausrichtung der Hochschulen und ihrer Bildungsangebote auf die Bedürfnisse des Marktes würde nämlich das innovative Potential der Wissenschaft beschädigt (vgl. ebd.: 21). Dies lässt sich anhand der Gegenwartsbezogenheit der Ökonomisierung erläutern: Wie bereits beschrieben, werden vor allem Fächer unterstützt, welche aktuell den größten betriebswirtschaftlich messbaren Nutzen versprechen, während andere Fächer, die diesem Kriterium nicht entsprechen, sich um ihr Bestehen bemühen müssen. Svenja Hehlgans 300 Nicht nur das relativ aktuelle Beispiel der seit den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001 für Gesellschaft und Wirtschaft relevant gewordenen Islamwissenschaften, welche bis dahin als “Orchideenfach” - also nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben als unproduktiv - galten, verdeutlicht das Problem der Ausrichtung an aktuellen Bedürfnissen. Ein Blick in die Universitätsgeschichte illustriert ebenfalls, dass Fächer, welche für Gesellschaft und Wirtschaft zu Relevanz gelangten, oft schon zuvor an den Universitäten - zumindest in Grundzügen - existierten. Es zeigt sich vielmehr, dass zukünftige Bedürfnisse nicht allein mit betriebswirtschaftlicher Logik vorhersehbar sind. Es könnten zwar - unter Zuhilfenahme der Kondratieffzyklen - künftige Bedürfnisse akademischer Bildung für die Ökonomie antizipiert und infolge dessen auch gefördert werden. Allerdings wäre es sinnvoll, andere Wissenschaftsgebiete nicht zu vernachlässigen oder als unproduktiv - also “schlecht” - darzustellen, da sonst verschiedene Risiken bestünden. Eine dieser Gefahren kann ebenso am Beispiel der Islamwissenschaften veranschaulicht werden: Durch den Terroranschlag hat das Fach schlagartig eine enorme Bedeutung erlangt, welche mit betriebswirtschaftlichen Mitteln allein nicht abzuschätzen war. Hätte man ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten gehandelt, so hätte die zunehmende Ökonomisierung der Universität möglicherweise zu einem Verschwinden dieses Faches geführt. Das Risiko, welches aus der Schlechterstellung von Fächern erwachsen kann, stellt Giesecke (2001: 19) am Beispiel der Informatik dar: Mitte der 90er Jahre habe es in der Wirtschaft eine großflächige Entlassung von Informatikern gegeben, was dazu geführt habe, dass sich Studienanfänger seltener für dieses Fach entschieden hätten. Dies war insofern problematisch, als dass genau dieses akademische Wissen zu Beginn des dritten Jahrtausends notwendig wurde. Beschränkte man die Ökonomisierung auf den Verwaltungsapparat und ließe man die akademische Freiheit unangetastet, so wäre - in Umkehrung der These Nida-Rümelins - das innovative Potential der Wissenschaft größer. Denn auf diese Weise würde das Lehr- und Forschungsspektrum nicht von vornherein eingeschränkt und es könnten Kenntnisse vermittelt und Inventionen ermöglicht werden, welche erst viel später eine ökonomische Wirksamkeit entfalten könnten. Unter den dominierenden ökonomischen Gesichtspunkten wird hier nämlich die Eigenlogik des Wissenschaftssystems nicht ausreichend berücksichtigt: Erkenntnisse sind weder vorhersehbar, noch aus dem bereits Bekannten ableitbar oder gar “aus einer Zielvorgabe deduzierbar” (Koller 2005: 90). Auch Wimmer schließt sich dieser Annahme an, indem er darlegt, dass sich der Glaube durchsetze, dass man “durch die kerncurriculare Verschulung und Modularisierung des Studiums […] Kompetenzen und einen Habitus forschenden Lernens herstellen [könne]” (Wimmer 2005: 25). Diese Ausführungen zeigen, dass eine Betrachtung von Bildung als Ware - also eine Ökonomisierung - in einem gewissen Grad die Zukunftsfähigkeit der Universitäten einschränkt. 5 Fazit Die Ausführungen zeigen, dass sich das Verhältnis zwischen Kirche, Staat, Ökonomie und Universität im Lauf der letzten 200 Jahre stark verändert hat. Die jeweiligen Beziehungen ließen im Humboldtschen sowie im englischen Universitätsmodell die akademische Freiheit - zumindest bis zur Zeit der Bildungsexpansion - relativ unangetastet. Im Napoleonischen Universitätsmodell war die weitgreifende Instrumentalisierung der Universität integraler Bestandteil, weshalb auch die akademische Freiheit eingeschränkter als bei den anderen beiden Systemen war. Die Übertragung der ökonomischen Logik auf die Bildungsinstitutio- Zwischen Anpassung und Freiheit 301 nen erfolgte erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und wurde vor allem durch den Bologna-Prozess verstärkt. Besonders die Darstellungen im vierten Abschnitt machen hingegen deutlich, dass eine gezielte Ökonomisierung nicht unbedingt zu den erwünschten Erfolgen führt, sondern oft Nachteile - nicht nur für die Universitäten, sondern auch für die Volkswirtschaft - zur Folge haben kann. Dies bedeutet aber nicht, dass es keine sinnvolle und für beide Seiten nutzenbringende Beziehung zwischen Bildungsinstitutionen und Wirtschaft geben kann. Dazu müsste allerdings der Unterschied der Eigenlogiken beider Systeme beachtet sowie zukunftsstatt gegenwartsbezogen gedacht und gehandelt werden. Unter Zuhilfenahme der Kondratieffzyklen und dem ihnen inhärenten Potential, Zukunftsmärkte und somit auch den zukünftigen Bedarf an wissenschaftlichen Kenntnissen zu erkennen, wäre ein marktgerechtes Studium theoretisch möglich. Bisher wurde jedoch das universitäre Angebot bestimmter Fächer jeweils erst ausgeweitet, als der Kondratieffzyklus, für den diese spezifischen Kenntnisse notwendig waren, seinen Höhepunkt erreicht hatte. Würde man die Fächer, welche für die Zukunft als besonders relevant erscheinen, frühzeitig ausbauen, so könnten wissenschaftliche Kenntnisse zeitgerechter den wirtschaftlichen Aufstieg unterstützen. Diese Unterstützung dürfte sich allerdings nicht nur auf finanzielle Art ausdrücken, sondern müsste darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Studierenden frühzeitig auf Zukunftsmärkte und mit ihnen zusammenhängende Studienangebote zu lenken. Eine Ökonomisierung der europäischen Universität darf deshalb nicht durch eine Überstülpung wirtschaftlicher Logik auf die Bildungsinstitution, also eine unreflektierte vollständige Anpassung der Universität an die Bedürfnisse der Ökonomie, umgesetzt werden. Sie kann nur erfolgreich sein, wenn ökonomische Konzepte - wie das der Kondratieffzyklen - genutzt werden, um die universitäre Bildung unter Berücksichtigung ihrer eigenen Charakteristika zu verbessern und so Nutzen für die Ökonomie zu generieren. Zieht man noch einmal Wimmers These der Analogisierung von Universitäten mit Fabriken heran, so wird deutlich, dass sich jene auch durch eine “Produktion von Absolventen als Standardware” ausdrückt (Wimmer 2005: 25). Dies meint, dass es den Studenten kaum möglich ist, ihr Studium individuell zu gestalten. Es lässt sich also festhalten, dass sich an den europäischen Universitäten heute eine Standardbildung mit relativ festen Studienplänen und wenig Zeit im Ausland gegenüber der vor dem Bologna-Prozess vorherrschenden individuellen Bildung mit relativ freier Veranstaltungsauswahl und häufigeren Auslandsaufenthalten durchgesetzt hat. Vergleicht man diese Entwicklung mit derjenigen in der Arbeitswelt, so lässt sich eine gegenläufige Tendenz erkennen: Bereits im fünften Kondratieff wurden individuelle Lösungen gegenüber der Standard-Massenproduktion bedeutender. Geht man deshalb davon aus, dass auf dem Arbeitsmarkt individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig sind, kann die These aufgestellt werden, dass das heutige Studium nicht marktgerecht ist und noch weniger langfristige Beschäftigungsfähigkeit vermitteln kann. Für eine erfolgreiche Ökonomisierung der Europäischen Universität müsste also v. a. der Freiheit von Forschung und Lehre wieder ein größerer Raum zugestanden werden, um Innovationspotentiale zu unterstützen. Dies würde viel eher den ökonomischen Bedürfnissen entsprechen, da sie sich seit der Phase des fünften Kondratieffs stark individualisiert haben. Die Problematik der aktuellen Reformen beruht insgesamt v. a. auf der mangelnden Beachtung von Vergangenheit und Zukunft: Wie dargestellt, scheinen die Reformen des Bologna-Prozesses nur auf den ersten Blick zukunftsbezogen zu sein, tatsächlich realisiert sich jedoch ausschließlich eine Ausrichtung der Europäischen Universität auf aktuelle wirtschaftliche Bedürfnisse. Für langfristig wirksame und sinnvolle Veränderungen der Europäischen Universität - auch Svenja Hehlgans 302 zugunsten der Ökonomie - sollte stattdessen der Blick für Vergangenheit und Zukunft weiter geschärft werden. 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Charle 2004: 53). 4 Die Philosophische Fakultät, der nicht vom Staat vorgeschrieben werden könne, was hier gedacht und gelernt werde, solle - da es einzig um die Wahrheitssuche gehe - an oberster Stelle stehen und die (für den Staat) “nützlichen” drei (Jurisprudenz, Medizin und Theologie) “überflügeln” (vgl. Kant 1798: 20f.). 5 Diese Schrift stammt aus dem Winter 1809/ 10 und blieb zunächst unpubliziert. Durch die Wiederentdeckung im Archiv im Jahr 1900 wurde der Mythos der so genannten Humboldt-Universität begründet (vgl. vom Bruch 1999: 262), mit dem in der heutigen Diskussion um die Universitätsentwicklung oft argumentiert wird. Die Fixierung auf Humboldt war auch nicht von Anfang an gegeben, denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das neue Konzept eher Schleiermacher als Humboldt zugeschrieben (vgl. Rüegg 2007: 37). 6 Diese Freiheit wurde zwar durch die Karlsbader Beschlüsse im Jahr 1819 wieder aufgehoben, konnte sich jedoch ab 1848 durchsetzen (vgl. Rüegg 1994: 157). 7 Die einzige berufliche Bildung, welche man in Oxford und Cambridge erlangen konnte, war die an das anglikanische Glaubensbekenntnis geknüpfte klerikale (vgl. Lundgreen 2007). 8 Andererseits muss dem Eindruck der “civics” als der perfekten Bildungsinstitution für die Industrie entgegengestellt werden, dass selbst im Jahr 1914 in England nur 15.000 ausgebildete Ingenieure zur Verfügung standen, während es in Frankreich 40.000 und in Deutschland sogar 60.000 waren (vgl. Anderson 2004: 201). 9 Ein gutes Beispiel dafür liefern neben den Handelshochschulen v. a. die Technischen Hochschulen, welche das Recht zur Promotion europaweit Ende des 19. Jahrhunderts erlangten (vgl. Charle 2004: 63; vgl. Guagnini 2004: 506 ff.). 10 Allerdings wurden wichtige Entdeckungen und Erfindungen auch in anderen Ländern gemacht, was darauf hindeutet, dass nicht nur diese Faktoren Deutschlands Vorsprung beeinflussten (vgl. Rüegg 2004: 29). 11 Das Humboldtsche Universitätsmodell wurde sogar über die Grenzen Europas hinaus bis nach Amerika und in den asiatischen Raum transferiert (vgl. Weber 2002: 157). 12 Dieser Begriff geht auf Schiller zurück, der bereits 1789 den Brot-Studenten und -Gelehrten dem s. g. philosophischen Kopf entgegenstellte. (vgl. Hügli 2007: 58). 13 Zur Opposition des “Systems Althoff” gehörten unter anderem Werner Sombart (1863-1941), Lujo Brentano (1844-1931) sowie Max Weber (1864-1920), deren Hauptkritikpunkt derjenige war, dass Althoff in Berufungsfragen nicht unbedingt den Vorschlägen der Fakultäten folgte, sondern seine Entscheidungen auf Grundlage von Gesprächen mit Vertrauten traf (vgl. Klinge 2004: 123; vgl. Koch 2008: 159). 14 An dieser Stelle ist anzumerken, dass somit zum ersten Mal der Staat in die inneren Angelegenheiten der Universitäten eingriff, welche zuvor autonom gehandhabt wurden. Diese staatlichen Eingriffe vermehrten sich im Laufe der Zeit und wurden immer weitgreifender (vgl. Koch 2008: 239). 15 Diese Chancengleichheit ist allerdings bis heute ein nicht vollständig erreichtes Ziel und regt immer wieder Diskussionen an, v. a. im Bereich der Studiengebühren. Dieses Thema soll aufgrund seiner Fülle an dieser Stelle nicht erörtert werden, sondern es kann nur darauf hingewiesen werden, dass zur Zeit der Bildungsexpansion soziale Verhältnisse eher reproduziert statt verändert und die gesellschaftlichen Bildungsdiskrepanzen eher vergrößert als verringert wurden (vgl. Papadopoulos 1996: 117). 16 Die Studierquote beschreibt laut dem Hochschul-Informations-System (2002: 8) den Anteil von Schulabgängern mit Hochschulzugangsberechtigung, die entweder direkt nach dem Abschluss ein Studium beginnen oder Studienabsichten bekunden. 17 Zwar gab es auch Vertreter einer “nationalen” Richtung in der Hochschulpolitik, welche die akademische Tradition berücksichtigen und die Säuberungen gering halten wollten. Diese konnten sich jedoch gegenüber der stalinistischen Richtung, welche die Übernahme des sowjetischen Modells befürwortete, nach 1947/ 48 nicht durchsetzen (vgl. Bachmaier 1996: 3 f.). 18 An Hochschulen wurden stattdessen “gewinnorientierte Abeilungen” eingerichtet, welche sich darauf konzentrieren sollten, anwendungsbezogene Forschung zu betreiben (vgl. Beneš 1992: 142). 19 Zu ersteren können unter anderem der Marxismus-Leninismus, der wissenschaftliche Kommunismus, die Politische Ökonomie sowie die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gezählt werden. Die neueren Sozialwissenschaften umfassen die Politikwissenschaft, die Ökonomie, Rechtswissenschaften sowie die Soziologie (vgl. Bachmaier 1996: 39). Zwischen Anpassung und Freiheit 307 20 Der Titel der Deklaration löste Irritationen aus, da er einen Widerspruch zu der im Vertrag von Maastricht ausgeschlossenen Harmonisierung zu implizieren schien (so z. B. bei Schriewer 2006). Der Begriff der Harmonisierung ist tatsächlich als terminus technicus der Europäischen Gemeinschaft zu verstehen, welcher sich nicht auf Inhalte oder Curricula, sondern auf die Schaffung eines gemeinsamen strukturellen Bezugsrahmens (“architecture”) bezog (vgl. Walter 2006: 126). 21 Die Humankapitaltheorie beruht auf der Annahme, dass sich Bildung als ökonomische Investition denken lässt. Bereits Adam Smith ging davon aus, dass sich ein höherer Bildungsgrad positiv auf die wirtschaftliche Produktivität auswirken kann (vgl. Maier 1994: 5). Bildung wurde somit als Ressource für den Wirtschaftsprozess gedacht, deren Ertrag sich quantitativ bestimmen lässt. Hierzu beschäftigte sich die Humankapitaltheorie v. a. mit dem Vergleich von Kosten und Nutzen von Bildungsausgaben. Die Humankapitaltheorie bildet die theoretische Grundlage für die Bildungsökonomie, welche sich insbesondere mit dem privaten monetären Nutzen von Bildung beschäftigt (vgl. Pechar 2006: 38). Bildung wird im Rahmen dieser beiden Denkansätze also als “[…] unternehmerische Tätigkeit nach dem Muster wirtschaftlicher Prozesse interpretiert […]” (ebd.: 29). Da beide Theorien an dieser Stelle nicht differenziert betrachtet werden können, sei beispielhaft auf die Ausführungen von Harry Maier (1994) sowie Rolf Becker und Anna Hecken (2008) verwiesen. 22 Dies drückte sich unter anderem darin aus, dass auch auf Seiten der Industrie ab etwa 1875 das Interesse an wissenschaftlich ausgebildeten Fachkräften stieg (vgl. Guagnini 2004: 504 f.). 23 Sinnvollerweise kann hier nur von einem relativen Angebot von akademisch gebildeten Arbeitskräften gesprochen werden, da sich die absoluten Zahlen in vollkommen unterschiedlichen Größenordnungen entwickelten. Ein Beispiel: Der prozentuale Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung Deutschlands stieg zwischen 1820/ 21 und 1920/ 21 nur um 1,1 Punkte von 0,3 auf 1,4 % (vgl. Ringer 2004: 202). Beim Jahreswechsel von 1995/ 96 lag der prozentuale Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung in Deutschland bereits bei 2,6 % (vgl. Europäische Kommission 1999: 20). 24 Das Absinken der Arbeitslosigkeit unter Universitätsabsolventen hängt stark mit der verminderten Studienaufnahme zusammen. Diese wurde aber nicht nur durch abnehmendes Interesse am Besuch einer Universität, sondern jeweils durch staatlich initiierte Maßnahmen gesenkt. Aus Angst vor einem akademischen Proletariat wurden unter anderem das Abitur oder der Numerus Clausus als Erschwerung des Universitätszugangs eingeführt (vgl. Ringer 2004: 203 f.). Auch die Akademisierung vieler Berufe, v. a. im Zeitalter der Bildungsexpansion, wirkt sich auf das Sinken der akademischen Arbeitslosigkeit aus (vgl. Maier 1994: 224).