eJournals Kodikas/Code 30/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Ein Maler hat die Gelegenheit, auf einem Forschungsschiff die wissenschaftlichen Arbeiten auf seine Weise zu dokumentieren. Seine Bilder sind keine Abbilder der Wirklichkeit, sondern Transformationen aus seine Eindrücken während der Fahrt. Das gemalte Sujet ist nur Mittel zum Zweck, nur Metapher. Die beiden dargestellten Themenkreise – Forscher und Landschaft – verbindet das Meta-Thema der Distanz, des Sich-Entziehens: Die Verhüllung der Landschaft mit Eis und die Vermummung der Menschen funktionieren als Schutzmechanismus. Den Bildern werden Texte vom Maler selbst und über den Maler gegenübergestellt.
2007
303-4

Der Blick des Forschers

2007
Gerhard Rießbeck
Abb. 1: Das Eismeer (Gerhard Rießbeck, 2001, Öl auf Holz, 40 x 100 cm) Der Blick des Forschers Gerhard Rießbeck (Bad Windsheim) A painter has the opportunity to attend the scientific work on a research vessel and document it on his own view. His pictures are not copies of the real nature but transformations of his impressions during the cruise. The painted subject is only means to an end, only a metaphor. Both represented themes - scientists and landscape - are bound by the meta-theme of distance by shrinking: The wrapping of the landscape by ice and the muffling up of the scientists work as a defence mechanism. The pictures are complemented by texts from the painter itself and about the painter. Ein Maler hat die Gelegenheit, auf einem Forschungsschiff die wissenschaftlichen Arbeiten auf seine Weise zu dokumentieren. Seine Bilder sind keine Abbilder der Wirklichkeit, sondern Transformationen aus seinen Eindrücken während der Fahrt. Das gemalte Sujet ist nur Mittel zum Zweck, nur Metapher. Die beiden dargestellten Themenkreise - Forscher und Landschaft - verbindet das Meta-Thema der Distanz, des Sich-Entziehens: Die Verhüllung der Landschaft mit Eis und die Vermummung der Menschen funktionieren als Schutzmechanismus. Den Bildern werden Texte vom Maler selbst und über den Maler gegenübergestellt. 1 Heute scheint mir, dass ich allmählich etwas begreife von diesem Meer Es war heute wieder ganz windstill, und grau-geschichtete Nebelbänke zogen langsam vorbei. Alles war hell, die Wellen weich, “verschwommen”, kaum strukturiert. … Der Nebeltraum geht weiter. … möchte am liebsten die ganze Zeit auf dem Peildeck stehen und in den weißen K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 30 (2007) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Gerhard Rießbeck 352 Abb. 2: Ein Forscher im Eis (Gerhard Rießbeck, 2001, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm) Wahnsinn schauen, der sich unter mir ausbreitet. … Sonne und Nebel haben sich wieder zu einem atemberaubenden Theater verbündet. … Den ganzen Tag über fahren wir durch dicken Nebel und ebensolches Eis. Jetzt plötzlich wird der Nebel zu einzelnen Schleiern, goldfarbenes Licht bricht durch. Eisschollen im kältesten Hellstblau stehen im vom goldenen zum caput-mortuum-farbenen changierenden Wasser. Dann bricht die Sonne ganz durch. Fernste Eisregionen werden messerscharf golden konturiert, der sonst oft eintönige Himmel zerspringt in Fetzen farbigen Lichts. (Gerhard Rießbeck, aus dem Tagebuch eines Expeditionsmalers, geschrieben während der Arktisexpedition XVII/ 1 mit dem Schiff POLARSTERN des Alfred-Wegener-Instituts vom 19. Juni bis zum 29. Juli 2001) Zusammenstellung: Monika Huch, Adelheidsdorf 2 Ein Maler im Polarmeer Er malte schon Bilder vom Eismeer, bevor er auch nur die Aussicht hatte, es selbst zu sehen. … Bei ihm tauchen wirkliche Eisberge aus dem Meer, werden von Nebel in Blau-Grau-Stufen getaucht oder spiegeln, wenn auch nur selten, das leuchtende Orange der Sonne. … Wenn man genau hinguckt, fällt auf: So direkt ist sie (die Natur) nun auch wieder nicht gesehen. Oft sind die gezeigten Blickwinkel vom Schiff aus gar nicht möglich. Irritierende räumliche Wirkungen und künstliche Schattenschärfen entlarven Felsen, Eisberge oder Wolken als dramatisch aufgebaute Kulissen. Die Realität ist bewusst übersteigert und gestört. Fotorealismus liegt Rießbeck fern. Nicht einmal die Skizzen, die er an Bord fertigte, haben dokumentarischen Charakter. Rießbeck hat keine präzisen Details aufgenommen, obwohl er hervorragend zeichnen kann. Er hat die Acryl-Skizze gewählt, und diese Skizzen sind malerischer und weniger detailliert als die später im Atelier gestalteten Bilder. … Rießbeck gestaltete schließlich mehrere Bildserien mit von Serie zu Serie wechselnden, ähnlich proportionierten aber verschieden großen querrechteckigen Gemälden. Wenn ein Maler nach einer Reise im Atelier Bildserien malt, könnte man vermuten, dass er das Erlebte in seinem Ablauf gestaltet. … Der Maler zieht vielmehr die Bilanz möglicher Ansichten, besser Wirkungen der Polarlandschaft. (Nicola Borger-Keweloh, Kunsthistorikerin, im Katalog “Einundvierzig Tage in der Grönlandsee” mit Bildern von Gerhard Rießbeck, Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven und Alfred- Wegener-Institut Bremerhaven o.J.) Der Blick des Forschers 353 Kopf (Gerhard Rießbeck, 2003, Kohle/ Öl auf Papier, 30 x 20 cm) 3 Wissenschaft und Kunst treffen sich im Europäischen Nordmeer Als Polarforscher sind wir daran gewöhnt, dass uns Journalisten, Fotografen, Filmteams und Fachautoren auf unseren Reisen begleiten. Sie leiten die Ergebnisse unserer Arbeiten in verständlicher Form an die Öffentlichkeit weiter und stellen so das Expertenwissen der Allgemeinheit zur Verfügung. Doch auf dieser Reise begleitete uns ein Maler. Ihm ging es nicht darum, unser Wissen umzusetzen, sondern den Gegenstand unserer Forschung, das eisbedeckte Nordmeer, aus seiner Sicht darzustellen. Im Gegensatz zum Wissenschaftler, dessen oberstes Gebot darin besteht, den Gegenstand seiner Forschung so objektiv wie möglich zu erfassen und darzustellen, stehen für den Künstler gerade seine subjektive Darstellung und Interpretation im Mittelpunkt der schöpferischen Arbeit. Trotz dieser gegensätzlichen Ansätze verbindet uns als Wissenschaftler einiges mit Gerhard Rießbeck. Als empfindender Mensch ist auch der Wissenschaftler trotz seines Anspruchs der objektiven Messung auf See dem Objekt seiner Forschung ausgeliefert. Meer, Meereis mit seinen Formen und Farben, der Seegang mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen und das Wechselspiel von Wind und Wetter sprechen auch die Sinne der Wissenschaftler an. Die dabei geweckten Emotionen findet er dann in der Sprache der Kunst in den Arbeiten von Gerhard Rießbeck wieder. (Eberhard Fahrbach, Ozeanograph, im Katalog “Einundvierzig Tage in der Grönlandsee” mit Bildern von Gerhard Rießbeck, Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven und Alfred- Wegener-Institut Bremerhaven o.J.) 4 Der Blick des Forschers Ich bezeichne diese Figuren als “Forscher”, obwohl eigentlich nichts an ihrem Tun direkt auf eine spezielle Tätigkeit hinweist. Weder ihr Handeln noch ihre Psychologie wird ersichtlich, es bleibt offen, ob sie scheitern oder Erfolg haben. Nur ihre Ausgesetztheit in der Natur wird deutlich, … Es ist ein durch die verhüllende Kleidung anonymisierter Heldentypus, der in einer prekären Balance aus Ohnmacht und Eroberungsdrang verweilt. Und obwohl die Malerei in ihrem scheinbaren Realismus alle Fragen zu beantworten scheint, bleibt doch Entscheidendes rätselhaft und fragwürdig im Wortsinn. Gerade ihre Verhüllung macht diese Gestalten für mich zu idealen, weil vieldeutigen Protagonisten auf der Bühne der gemalten Natur. Dem Forscherblick schreibt man ja Nüchternheit zu, eine kühl gliedernde Distanziertheit, die mit Interesse, aber ohne Emition die Welt der Erscheinungen zu verstehen versucht und sie dabei den Kategorien menschlicher Logik unterwirft. Normalerweise ist es der Blick des Forschers, der eine Sache prüft. Er ist das Werkzeug der visuellen Kontrolle, einer intellektuellen Aneignung und somit letztendlich ein Instrument der Machtausübung des Menschen über seine Umwelt. Gerhard Rießbeck 354 Abb. 3-9: Forscherköpfe (Gerhard Rießbeck, 2002-2004, Kohle/ Öl auf Papier, 30 x 20 cm) In einer weiteren Reihe von Bildern schließlich ist dann nur noch der verhüllte Kopf des “Forschers” zum Thema geworden. Die Natur, die eigentlich diese Verhüllung bedingt, ist ausgeblendet. In den Bildern der “Forscherköpfe” habe ich dieses Verhältnis umgedreht: Nun sind die Forscher und sein Blick selber Gegenstand der Betrachtung. Dick vermummt, sogar die Augen noch mit Brillen geschützt und daher überindividuell, schaut er aus dem Bild heraus, scheint den Betrachter zu fixieren und wird selbst geprüft. Das sind, wohlgemerkt, trotz allen Realismusses keine Portraits. Es liegt nicht in meiner Absicht, tatsächliche Forscher zu malen, oder gar deren wirkliche Motivation darstellen zu wollen. Genauso wenig wie es mir in meinen reinen Landschaftsbildern um die bloße Wiedergabe des Gesehenen geht. Beide Male ist mir das gemalte Sujet nur Mittel zum Zweck, nur Metapher. Beide Themenkreise, Forscher und Landschaft, verbindet das Meta-Thema der Distanz, des Sich- Entziehens: Die Verhüllung der Landschaft mit Eis und die Vermummung der Menschen funktionieren als Schutzmechanismus, bieten Schutz vor Vereinnahmung und Manipulation; Schutz vor der Lösung des Rätsels. Und damit das genaue Gegenteil von Forschung. (Gerhard Rießbeck, Der Blick des Forschers - Expeditionsmalerei in Arktis und Antarktis, Beitrag in Polarforschung 73 (2/ 3), S. 135-137 (2006); EISTAGE, Expeditionsmalerei in der Antarktis, Hauschild-Verlag Bremen) Zusammenstellung: Monika Huch, Adelheidsdorf