eJournals Kodikas/Code 31/3-4

Kodikas/Code
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2008
313-4

HimmelHerrgottSakrament! Gopfridstutz! und Sacklzement!

2008
Ernest W. B. Hess-Lüttich
HimmelHerrgottSakrament! Gopfridstutz! und Sacklzement! Vom Fluchen und Schimpfen - Malediktologische Beobachtungen Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universitäten Bern und Stellenbosch) This paper is on Swearing - with special reference to swearing in the German speaking part of Switzerland as a to date barely examined way of expression of a very special Swiss sense of humour. It allows spontaneous anger to turn into laughter, which is both relaxing and face keeping. The medium is the dialect. While swearing in standard language may be potentially face threatening, the dialect may ease emotional stress and lead into verbal play. This diminishes the verbal aggression and leaves room for communicative repair strategies. Among the questions dealt with are: Which forms and functions of swearing can be differentiated? Are there classand gender-specific ways of swearing? Which are the lexical repertoires and phraseological traditions made use of by someone who is swearing? What is the difference between swearing, reviling, and insult? How can the meanest effects be achieved? But before these questions are answered, philological examination proper asks for some terminological clarification and historical background to be filled. Therefore, the paper follows the outline given above: (i) maledictology - on swearing and reviling, (ii) from the history of swearing, (iii) the setting of swearing, (iv) linguistics of swearing, (v) Swiss German ways of swearing. 0 Vorbemerkung In einem so zivilisierten Land wie der Schweiz flucht man nicht. Und wenn doch, versteht es niemand. Was die Eingeborenen besonders amüsiert. Es handelt sich um eine eigenartige und noch kaum systematisch untersuchte Facette des speziell schweizerischen Humors, der spontanen Ingrimm ins Lachen münden läßt und damit zugleich spannungslösend und beziehungspflegend wirkt. Das Medium ist der Dialekt; wo Standardsprache den Adressaten potentiell verletzt, löst der Dialekt emotionalen Druck im Fluche auf und gleitet über ins Spiel. Das lindert die Bosheit und wahrt das Gesicht, das mildert die verbale Aggression und läßt kommunikative Spielräume offen. Welche Formen und Funktionen des Fluchens lassen sich unterscheiden? Gibt es schicht- und genderspezifische Arten des Fluchens? Aus welchen lexikalischen Repertoires und phraseologischen Traditionen schöpft der Fluchende? Wie sichert er die Grenze zu Beschimpfung und Beleidigung? Wie erzielt er im Falle ihrer gewollten Überschreitung die gemeinsten Wirkungen? Der Suche nach vorläufigen Antworten auf solche Fragen gelten die folgenden Beobachtungen. Dies bedarf freilich gemäß gehöriger philologischer Übung der begriffssystematischen und historischen Einbettung. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 31 (2008) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Ernest W.B. Hess-Lüttich 328 1 Malediktologie - vom Fluchen und Schimpfen Fluchen, Schimpfen, Lästern, Schmähen, Beleidigen, Beschimpfen, Verleumden, Verwünschen, Verspotten, Klatschen und weitere Abarten ‘bösen Redens’ sind Gegenstand der Malediktologie, eines noch jüngeren Zweiges der Psycholinguistik, der sich im Spannungsfeld von Sprachgebrauch und Emotion besonders den gemeinen (‘fiesen’) Formen ‘gemeiner Rede’ (i.S.v. Alltagssprache) zugewandt hat. Ein solches Interesse galt in der Zunft lange als verpönt, vermutlich weil die Zucht der Disziplin wohlerzogene Forscher nicht in den Mund nehmen ließ, was zwischen einander übelwollenden Menschen (sprachlich) so alles ausgetauscht zu werden pflegt. Mit dem zunehmenden Interesse an der empirischen Wirklichkeit alltäglicher Rede gerieten jedoch auch manche ihrer weniger irenischen Sonderformen vor die Linse der Linguisten, und seit sich ihnen mit der vor drei Dekaden (1977 von Reinhold Aman) begründeten Fachzeitschrift Maledicta dafür gar ein eigenes Forum bietet, brechen die Dämme des Anstands und geben den Blick frei auf vermintes Terrain. Es hier angemessen auszumessen ist das Feld zu weit und sind die Abgründe zu tief. Begrenzen wir unser Sichtfeld also auf einen kleinen Ausschnitt, die Phänomenologie des profanen Fluchens, und sehen schon ab von dessen Unterarten, wie dem Verfluchen, jenem Rudiment “magischer Vorstellungen” (Ermen 1996: 29), nach denen man dereinst den anderen verwünschen zu können hoffte durchs bloße Wort, aber auch vom (religiös inspirierten) Fluche im engeren Sinne, der Sakrilegien mißachtet und Blasphemien nicht scheut, der Tabus bricht und sprachliche Ächtungen exekutiert und dabei auf aktive Mitwirkung von Göttern und Dämonen setzt. Das Wortfeld Fluch ist im Wandel der Zeit vielfältig parzelliert bis zur Unübersichtlichkeit. Merkwürdigerweise wurde die differenzierte Vielfalt des davon Bezeichneten aber von der Forschung weitgehend ignoriert (im Unterschied zu zensierenden Institutionen wie Kirche und Staat, die sich dem Gegenstand, natürlich in bester erzieherischer Absicht, jahrhundertelang mit Hingabe widmeten, wenn auch vergeblich). Erst seit man vor einigen Jahren das Verhältnis von Sprache und Emotion empirisch genauer zu betrachten begann, galt auch das ‘böse Reden’ wie das Fluchen als legitimes Forschungsobjekt im Interferenzfeld von Linguistik und Psychologie. 1 Zwar gab es schon lange regionale Schimpfwortsammlungen, die aber meist als Kuriosa abgelegt wurden. Erst nach einigen gründlicheren Studien im angelsächsischen Raum (cf. Hughes 1991; Jay 1992; Montagu 2001) gewinnt das neue malediktologische Feld schnell Kontur - vor allem durch die einschlägig Interessierte vernetzenden Initiativen des unermüdlichen Sammlers Reinhold Aman ([15.02.09]: http: / / www.sonic.net/ maledicta/ ). Im engeren Bezirk der Germanistik dagegen vermag Ilse Ermen (1996) nach kurzem Rundblick allenfalls einige ältere Arbeiten zu nah verwandten Themen wie Beschimpfen und Beleidigen auszumachen, die freilich ihrem Interesse am Fluchen nicht gerecht würden. 2 Die Frage, wie der Deutsche oder hier vor allem der Deutschschweizer als solcher fluchend sich äußert, lag bislang außerhalb des Horizonts wissenschaftlichen Interesses. Lüften wir also kurz den Mantel des Schweigens in der Zunft und werfen zunächst einen Blick zurück. 2 Aus der Geschichte des Fluchens Eine Sprachgeschichte des Fluchens liegt für den deutschen Sprachraum bislang nicht vor. Die Ursprünge liegen im Dunkel magischer Beschwörung höherer Mächte, Sprachgebrauch HimmelHerrgottSakrament! Gopfridstutz! und Sacklzement! 329 Abb. 1: Altgriechische Fluchtafel (aus Gager 1992: 16) im Zeichen emotional-religiös aufgeladener Furcht im Bunde mit Zauber, Eid und Bann. Das Verb leitet sich aus der begleitenden Geste ab, aus dem sich mit der Hand auf die Brust schlagen (ahd. fluohhon), der verzweifelt-händeringenden Klage (ae. flocan), ringend mit Gott und Göttern und fremden Gewalten. Der Fluch konnte körperlich niederdrücken, und es gab, wie Plinius d.Ä. notiert, “keinen, der sich nicht fürchtet[e], durch furchtbare Verwünschungen gebannt zu werden.” 3 Der Angst des Verfluchten entsprach die des Fluchenden, sei es vor dem Zorn der Götter, sei es vor Entdeckung seiner Verwünschung durch den Verwünschten, weshalb er sein Übelwollen sicherheitshalber und zwecks nachhaltigerer Wirkung zuweilen versteckten Bleitafeln einritzte [Abb. 1]. Diese griechischen ‘Fluchtafeln’ zählen heute zu den ältesten Quellen antiken Fluchens, das bald auch im Alltag sich ausbreitet und im römischen Ritual bösartig verletzenden Sprachkampfs frühe Vorformen des Flaming, Trolling oder Dissing heutiger Chatter und HipHopper ausbildet, diesem freilich an rhetorischem Raffinement ätzender Treffgenauigkeit meist weit überlegen. Weiter nördlich zeugen Runensteine von nicht weniger gemeiner Verwundungslust durch Sprache, in altnordischen Sagas, wie z.B. in der Droplaugarsona Saga, finden sich Belege zuhauf (cf. Kiener 1983: 217; Hughes 1991: 48f.). Vom Ursprung des Fluchens aus der Angst und dem Bestreben, sich vor dem Unbekannten zu wappnen, zeugt auch die Fülle der zu allen Zeiten im Deutschen verbreiteten xenophobischen Formeln, mittels derer man den Fremden oder das Fremde zu bannen und sich der Geborgenheit in der eigenen, vertrauten Gruppe zu versichern suchte. Erst im Mittelalter wird hier (nach antikem bzw. christlichen Vorbild) so Ernest W.B. Hess-Lüttich 330 etwas wie ein Ethos der Alltagsrede entwickelt. Anstandstraktate und Predigerhandbücher sortieren bereits die Formen des Fluchs, des falschen Schwurs, des Meineids, der Gotteslästerung, der üblen Nachrede, der höhnischen Spottrede usw. zu Katalogen der “Zungensünden”, wie sie z.B. der Lyoneser Dominikanermönch Peraldus schon vor 1250 in seiner Summa de vitiis et virtutibus geißelt, indem er seine Darstellung der sieben Todsünden durch das Kapitel “de peccato linguae” ergänzt (cf. Lindorfer 2001). Mit der Ächtung verbaler Verfehlungen ging die Entwicklung dafür geeigneter Sanktionen einher, und da die religiösen Fluchwörter (wegen des stets drohenden Blasphemie-Verdachts) als die verwerflichsten galten, konnten sie einerseits besonders wirkungsvoll provozieren, mußten aber andererseits abgemildert, verfremdet oder verhüllt werden, um den drohenden Sanktionen zu entgehen. So wurden besonders im katholisch-pfiffigen Süden einerseits milde Phraseolexeme wie Um Gottes Willen, Jessasmariaundjosef oder Heilige Maria Muttergottes profanisiert, andererseits phonetisch abgewandelte Substitutionen latent blasphemischer Flüche à la Gott verdammmich! oder Himmelherrgottsakrament! durch Dialektformeln wie Gopfertoori, Gottverdangelhammer nomol bzw. Sapperment, Zapperlot, Sacklzement usw. euphemisiert und damit gesellschaftsfähig. Der Kirchenstreit heizte dann die verbale Wut offenbar so richtig an, denn der Fluchwortschatz expandiert in dieser Zeit gewaltig. Die sprachliche Verrohung rief Gegenbewegungen auf den Plan, Sprachpflegevereine, Kulturkommissionen und - den Gesetzgeber. Inzwischen durfte der überführte Zungensünder zwar seine Zunge behalten, mußte aber empfindliche Geldbußen gewärtigen. Das tat freilich dem zügigen Ausbau lexikalisch degradierender Repertoires keinerlei Abbruch, eher im Gegenteil, wer oder was immer irgendwie anders war oder von der eigenen Norm abwich, wurde hämisch benannt, was indes von den Gerichten weniger streng geahndet ward als wenn es den Nachbarn traf oder den Pfarrer. 4 Heute haben sich die Gewichte indes verschoben: Blasphemie-Vorwürfe werden allenfalls noch in Bayern erhoben, wenn eine Comic-Serie für Kinder und sonstwie Kindliche im Fernsehen den Papst verulkt; Majestätsbeleidigungen werden, mangels Majestät, auch nicht mehr verfolgt; wer jemanden Hexe oder Teufel tituliert, muß nicht wie noch zur Zeit der Reformation mit empfindlicher Bestrafung rechnen; selbst die rüden Sprüche in den Songs der Rapper über Schwule und andere Minderheiten zeitigen allenfalls bei einigen Glossenschreibern ein indigniertes Heben der Augenbraue in den besseren Gazetten. Sanktioniert werden, wie zu allen Zeiten, die jeweils ‘wunden Punkte’ einer Gesellschaft. Bei rassistischen, faschistischen und antisemitischen Ausfällen wird genauer hingehört als ehedem. Aber noch heute gilt z.B. im Land der Eidgenossen, daß nach Art. 177 Schweizer Strafgesetzbuch “mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder Busse” zu bestrafen sei, wer “einen anderen durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder durch Beschimpfung in seiner Ehre angreift” (StGB 2000: 65). Wenn es freilich die Ehre der Muslime betrifft, kann das leicht - wie die Karikaturen des Propheten in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten - wieder wie im Mittelalter zu Mord und Totschlag führen (cf. Hess-Lüttich 2009 [im Druck]). 3 Der Fluch und die Fluchenden Die Redekonstellation Fluchen ist strukturell von überschaubarer Komplexität, phänomenologisch indes von unendlicher Vielfalt und Fülle. Anlaß, Gegenstand und Ziel des Fluchens, der Verwünschung und Beschimpfung variieren historisch beträchtlich, aber meist sind soziologische Gegensätze oder ethnographische Asymmetrien im Spiel. Das irgendwie Andersartige HimmelHerrgottSakrament! Gopfridstutz! und Sacklzement! 331 und von einem selbst Abweichende wird leicht zum Objekt der Schmähung. Ganze Opferkataloge wurden zusammengestellt (z.B. Lötscher 1993) und die lexikalischen Repertoires sortiert, aus denen Fluchende sich gern bedienen. Besonders die mit Tiernamen (Affetötz, Geierwade) semantisch gekoppelten Stereotypen sind hier aufschlußreich für historische, interkulturelle und soziosemantische Vergleichsstudien (cf. Schmauks 2008). Ursprünglich der magischen Anrufung entstammend, dann (etwa bis zur Reformationszeit) dem Dämonischen beigeordnet, diente die ‘tierische’ Beschimpfung schon in der Frühen Neuzeit der enthumanisierenden Herabsetzung des konkreten Anderen, aber das Arsenal wurde schnell erweitert auf Formen der Sachschelte und des nicht personbezogenen Fluchens sowie auf Bildbereiche der Religion, Sexualität und Skatologie. Ein heute im Deutschen so geläufiges Fluchwort wie Au Scheiße! (oder im Englischen wie shit! und fuck! ) paßt praktisch immer, wenn etwas einem nicht paßt. Die Verwünschung im engeren Sinne zielt demgegenüber stets auf Zukünftiges, das man jemandem wünscht, Tod und Teufel etwa, Hölle und Verderben, Gebresten aller Art, nichts Gutes jedenfalls. Die ehedem als blasphemisches Sprachdelikt geahndete Verunglimpfung dagegen gilt im Zeichen progredienter Profanisierung als eher harmlos, zumal seit der mit Erleichterung aufgenommenen Entwarnung eines Basler Linguisten: “Wenn man ausruft: Häilige Bimbam oder Häilige Schtroohsack! , dann steckt dahinter gewiss kein Heiliger namens Bimbam oder Schtroohsack, der angerufen wird” (Lötscher 1993: 160). Diese Gewißheit kann natürlich auch schnell wieder ins Wanken geraten, wenn die von manchen Medien heute beobachtete (und z.T. betriebene) Re-Religiosierung und Infantilisierung der Gesellschaft weiter voranschreitet. Dann gewinnen möglicherweise auch jene Fluchwörter und Bannsprüche ihr ursprüngliches magisches Potential zurück, die pragmalinguistisch eigentlich längst als historische Sprechakttypen gebucht waren (cf. Ermen 1996: 44) oder, andernorts, ethnolinguistisch im Zusammenhang mit Ritual, Tabu und Voodoo untersucht werden (cf. Kiener 1983: 220ff.). Aus seinen transkulturellen Beobachtungen zur “Psychologie der verbalen Aggression” hat Kiener (ibid.: 234 ff.) eine Unterscheidung “der Menschheit” in verschiedene “Fluchertypen” abgeleitet. Bei usuellen Zwangsfluchern etwa haben sich Fluchwörter und Fluchanlässe zu ‘sekundären Interjektionen’ (i.S.v. Kainz) verkettet, die insoweit ungefährlich sind als sie nicht klinisch auffällig werden (wie in der Koprolalie beim Tourette-Syndrom). Beim zweiten Typ entlädt blinder Zorn sich in blasphemisch-sexuell geladenen Schmähketten differenziertester Variation, ein idealer Partner für den Malediktologen. Beim dritten Typ scheint der (! ) Fluchende sich seiner Männlichkeit in dem Maße unsicher, in dem er eben dadurch sich als echter Kerl und harter Bursche zu profilieren sucht, heute vor allem unter Gangsta-Rappern, Pogo-Rockern und schädelrasierten Dumpfbacken noch verbreitet. Das Fluchlexikon wird mit dem Spracherwerb im frühen Kindesalter erlernt (von den Eltern und den peers der Gleichaltrigen) und ist im Greisenalter selbst dann noch präsent, wenn andere sprachliche Fähigkeiten langsam verlöschen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind dabei nach wie vor strittig: die Feministische Linguistik schwankt noch, ob sie eher jenen Befunden vertrauen soll, die Frauen eine niedrigere Fluchfrequenz bescheinigen als Männern (als Indiz ihrer sozialen Überlegenheit), oder jenen, nach denen Frauen mindestens so gern, oft und obszön fluchen wie Männer (als Zeichen ihrer Emanzipation). 5 Warum indes bei beiden Geschlechtern die degradierenden Bezeichnungen für Homosexuelle in jüngster Zeit wieder stark ansteigen und sich z.B. in Rap Songs zunehmender Beliebtheit erfreuen, ist in den Gender Studies noch ungeklärt (ein hypothetisch vermuteter statistischer Zusammenhang mit niedrigen Intelligenzquotienten und hohen Religiositätsgraden harrt noch empirischer Prüfung). 6 Ernest W.B. Hess-Lüttich 332 Demgegenüber schien die direkte Proportionalität von hoher Fluchfrequenz und niedrigem Sozialstatus bislang gesichert, aber selbst dieser Befund gerät durch neue Studien ins Wanken, die sich das Fluchen unter Akademikern, besonders Chirurgen, Finanzmanagern und Politikern vorgenommen haben (cf. Jay 2000; Krause-Plonka 2000; Friemel 2003). Inwieweit mit der sprachlichen Verrohung eine der Sitten allgemein einhergehe, ist zwischen Soziolinguisten und Sprachpflegern noch umstritten: während die einen (also die Soziolinguisten, Jugendsprachforscher, Subkultur-Semiotiker) die sprachliche Kreativität und Innovativität registrieren, mit der im Internet fleißig Schimpf- und Fluchwörter kompiliert werden (s. “Der Schimpfwortgenerator”, “Fluchen in fremden Sprachen”, “Fluchen auf Berndeutsch” u.ä. Websites), sehen die anderen (also die Sprachpfleger und -heger, die Sprachkritiker und Sprachglossenverfasser) die letzten Reste von Anstand und Etiquette verglühen im Abendschein versinkender Sprachkultur. Psycholinguisten fragen dagegen eher, warum Menschen überhaupt (und angeblich immer häufiger) fluchen, wenn gleichzeitig immer seltener direkte Folgen von Verwünschungen beobachtet werden (mit Ausnahme des Voodoo-Zaubers, aber dessen Wirkung stößt ‘im Westen’ auch auf verbreitete Skepsis). Fluchen diene der Entladungserleichterung im Frustrations-Stress und der Wiedergewinnung psychischer Balance bei Aufwallungen negativer Emotionen. Deren Palette ist leider ziemlich groß, entsprechend breit ist das Spektrum affektiver Kontrollverluste im bösen Sprechen (“bad language”, wie Andersson & Trudgill 1990 die Einzelphänomene zusammenfassen). Positiv daran sei immerhin das Substitut physischer Gewalt durch deren verbales Komplement. Das Tröstliche der Hypothese wird allerdings etwas geschmälert durch die neueren Befunde zur verbalen ‘Gewalt’ in den Medien, im Action Film oder in den Computer-Videos, auch in den Talkshows des Fernsehens (Luginbühl 1999), und wenn den Kids im Alltag erst die Worte fehlen, ist der Schritt vom Fluchwort zum Faustschlag oft schnell getan. Wie die Umleitung aggressiver Emotion in das Ventil der Verbalität neurologisch-biochemisch genau funktioniert, beschäftigt auch die Neurolinguisten, die sich fragen, inwieweit solche Prozesse dem ‘freien Willen’ des Individuums unterliegen, das, vom Gefühl übermannt, ‘nicht anders kann’ als fluchen. Das wiederum ruft die Philosophen auf den Plan und natürlich, unvermeidlich, die Theologen - aber so weit wollen wir der Debatte hier nicht in ihre transdisziplinären Verästelungen folgen. Bleiben wir lieber bei unserem linguistischen Leisten und tragen einige vorläufige Beobachtungen zur Grammatik des Fluchens zusammen, dessen Sprechakte und Diskursformen als vor allem durch ihren Wunschcharakter geprägt gelten, was sich (im Deutschen) etwa in nicht-indikativischen Modi wie Optativ, Imperativ, Konjunktiv, Konditional oder in bestimmten Modalverben und Modalpartikeln niederschlage (Ermen 1996: 45). 4 Zur Linguistik des Fluchens Die linguistische Vielfalt faktischen Fluchens im Deutschen ist immens. Phonetisch wurde z.B. eine signifikante Häufung von hellen Vokalen, Zisch- und Verschlußlauten gezählt (cf. Friemel 2003). Auch die starken Stroneme (mit ihren graphemischen Äquivalenten in Majuskel, Reduplikation und Interpunktion) fügen sich passend ins Bild (du verDAMMtes Aaarschloch! ! ). Morphologisch kommen Fluchwörter in den verschiedensten grammatischen Strukturen vor, als Satzergänzungen, Satzkonstituenten oder Morpheme in der Funktion von Affixen HimmelHerrgottSakrament! Gopfridstutz! und Sacklzement! 333 (Präfix, Infix, Suffix) oder Komposita (cf. Andersson & Trudgill 1990: 62 f.). Syntaktisch entgleisen die Sätze nicht selten ins Anakoluth oder stülpen sich auf zu parataktischen Reihungen repetetiver Phrasmen (fahr zur Hölle! ) oder stereotyper Phraseolexeme (Himmelherrgottverdammich, Kruzifixkreuzsakrament! ). Semantisch schöpft die Fluchrede aus kulturell je negativ geladenen Domänen des Tabus, der (normativ) abweichenden Sexualität, der schamgeschützten Körperzonen, der ‘höheren’ Gewalt des Numinosen, des niederen Tierreichs. Die Metapher unterliegt keiner Rechenschaftspflicht durch Wahrheitsprüfung: die Anrede Bastard oder Hurensohn fragt nicht nach den Familienverhältnissen des so Titulierten. Die ‘Heterogonie der Zwecke’ (i.S.v. Wundt, cf. Janich 2006) ließ manch unbescholtenen Heiligen zum Begleitwort verbaler Affektentladung herabsinken. Heute nimmt der Fluchende statt Religiöses viel eher Skatologisches so gern und leichtfertig in den Mund, daß er dessen literale Bedeutung lieber nicht zu genau reflektiert. Es könnte ihm schier die Sprache verschlagen. In diachroner Perspektive ist der Euphemismus-Tabu-Zyklus von Interesse: die Spannungsbalance zwischen euphemistischer Verhüllung und pejorativer Konnotation verliert an Kraft, wodurch Bedarf an stärker ‘geladenen’ Lexemen entsteht oder der Euphemismus mit verblaßter Konntotation seinerseits wieder zum Tabu wird und umgekehrt: das Tabu wird von den damit Inkriminierten selbstbewußt zum Fahnenwort erhoben und zum Banner der Bewegung erklärt (Hure, schwul - wobei das Adjektiv schwul in heteronormativer Umgebung neuerdings wieder seinen diskriminierenden Gehalt zurückzugewinnen scheint, was manche Betroffenen schon wieder auf der Hut sein läßt). Am bislang gründlichsten untersucht im Bereich der sprachspezifischen Verbalaggression sind naheliegenderweise die lexikalischen Repertoires, aus denen Fluchende und Schimpfende sich zu bedienen pflegen. Die Verunglimpfung speist sich sprachlich aus mancherlei Quell: Gerätschaften, Kleidung, Nahrungsmittel (Kratzbürste; Lump, Schlafmütze; Pflaume, Mostdümpfi), verpönte Tätigkeiten und Eigenschaften (Nörgler, Heuchler; Grobian, Feigling), Tier- und Pflanzenkomposita (Hornochse, Schnapsdrossel, Zimtziege, Schweinigel; Asphaltpflanze, Birnenschädel, Hopfenstange), Völker- und Herkunftsbezeichnungen (Schlawiner [< Slowene], Polacken, Kanaken, Schluchtenjodler [für Schweizer], Souschwob [für Deutsche], Hottentotten, Saupreußen, Scheißjugos), Körperteile und Gebrechen (Großmaul, Schlitzohr, Langfinger, Gierschlund; Krüppel, Siëch, Kretin, Spasti). Mancher Ausdruck entstammt auch noch als solchem nicht mehr bewußtem Sprachschatz vergangener Zeiten oder fremder Zungen (Fatzke [< mhd. fazzen = foppen], Göre [< mhd. gure = schlechte Stute]; Tolpatsch [< ungar. talpas = Fußsoldat], Halunke [< tschech. homolek = Bettler] etc. ). 7 Auch wer das Substantiv in dessen diminutive Form versetzt, meint das nicht immer zärtlich oder liebevoll (Würstchen, Pimperl). Manche Kollektivkomposita setzen ganze Gruppen pauschal herab (Ausländergesindel, Zigeunerpack) und verraten in Alliteration, Rhythmus und zunftsprachlicher Entlehnung (Jägersprache! ) zuweilen die haßbefeuerte poetische Anstrengung des Urhebers (Kanakenkacke, Schwulengeschmeiß). Routinierte Flucher (z.B. der Nazi-Rocker-Szene) expandieren den Nominalkomplex durch Adjektivreihungen ins geradezu Furchterregende oder nutzen (wie die Nazi-Band Weiße Wölfe) pejorative Vorgangsverben wieder zu imperativischem Verdikt (Juda verrecke! ). Im Alltag und Affekt bleiben die Invektive jedoch meist so einsilbig wie ihre Urheber einfältig (Sau, Pack; doof, blöd). Gerade Angehörige mancher der inkriminierten Ethnien betreiben lexikalisch vergleichsweise deutlich größeren Aufwand (cf. die Kaskaden von Fluchformeln im Arabischen oder die rituellen Dissing-Duelle im schwarzamerikanisch-urbanen Englisch: Labov 1972). Aber hier wären genauere pragma- und dialoglinguistisch instrumentierte Analysen Ernest W.B. Hess-Lüttich 334 bzw. interkulturell interessierte Vergleichsuntersuchungen vonnöten, die leider noch eher rar sind (s. jedoch Ermen 1996; Deppermann & Schmidt 2001; Meier 2007). 8 5 Eidgenössisches Fluchen Dem trans- und interkulturell Interessierten tut sich gerade im Felde des Fluchens ein faszinierendes Feld auf. Zumindest beim Blick auf Vergleichscorpora aus Sprachgemeinschaften, die des Fluchens kundig sind. Man hat ja offenbar auch einige gefunden, denen es (traut man den Quellen) völlig fremd sei: Eskimos oder Zumi-Indianer etwa, manche Völker Malaysias und Polynesiens, auch Quäker und Hutterer (Montagu 2001: 55). Die Deutschschweizer gehören jedenfalls nicht zu diesen. Nun sprechen die Deutschschweizer bekanntlich kein Schweizerdeutsch, was die Lage etwas unübersichtlich macht. Umso größer und variantenreicher die Fülle der Belege aus den unterschiedlichen Idiomen, die in den einzelnen Landstrichen so gepflegt werden. Wer das mündlich erhobene Material zu notieren unternimmt, provoziert in der Regel den Widerspruch der Informanten, die darauf beharren, daß in ihrem Dorf der Beleg nun mal anders ausgesprochen werde (cf. Hess-Lüttich & leiggener 2007). Importen aus dem nördlichen Ausland (Blödmann, Heulsuse, Rosettenschlecker, Kreiselblinker, Gegendenwindpinkler) schlägt geschärftes Mißtrauen entgegen, derlei klinge fremd, jedenfalls unschweizerisch; sowas sagen allenfalls elände Nitfahië (‘nicht von hier’). Da hält man sich lieber an die heimische Tierwelt (Souhung, Souchue, Chuehode, Rindspimpel, Hüenerscheiche, schwangeri Bärgänti, hingervervögleti Bärgschnatteränte). Dennoch sind ältere Lehnbildungen aus dem Deutschen über den Umweg des Jiddischen und des Rotwelsch durchaus belegt, aber denen sieht man ihre Herkunft kaum mehr an und hört sie auch nicht heraus. Umgekehrt sind Übernahmen aus schweizerdeutschen Dialekten im Standarddeutschen eher selten, mit Wörtern wie Trissl, Göich, Chäscha, Lööli etc. wüßte man in Berlin oder Hamburg vermutlich wenig anzufangen. Bereitwilliger dagegen wird auch im europafernen Land der Eidgenossen englisches Wortgut übernommen, was ‘nicht wirklich’ (not really) überraschend ist. Musik und Medien verstärken den Trend mit der shit’n’fuck-Inflation in amerikanischen TV-Serien (dort freilich mit neckischen beeps überspielt) oder den unfrommen Liedern mancher frommen Barden wie P RINCE (You sexy motherfucker). Die nachmittäglichen Talkshows mit Jugendlichen klingen denn auch zumindest in dieser Hinsicht recht elaboriert. In die Politik sollte man ebenfalls nicht mehr überzogene sprachkulturelle Hoffnungen setzen: die Protokolle parlamentarischer Reden verzeichnen eine eher monochrome Palette lexikalischer Fluch-Farben streitiger Rede (cf. Friemel 2003). Befragungen in der Schweiz ergeben ein differenzierteres Bild, wobei in jedem Kanton die Gewißheit bekräftigt wird, im Nachbarkanton werde ungleich häufiger und unflätiger geflucht (dä redt wie e puur). 9 Die gender-Verteilung ist erwartbar helvetisch-konservativ: Männer fluchen mehr als Frauen, härter auch und ätzender, verletzender. Besonders wirksam scheint es dem Norm-Mann, dem Mit-Mann seine Männlichkeit abzusprechen (Schlappschwanz, Weichei, Warmduscher, Wichser, Schwuli Sau, Schwanzlutscher, Fotze, Tunte, Chinderfigger etc.), seine Mutter zu beleidigen (Hurensohn, Hueregex) und ihm obszöne Wörter entgegenzuschleudern, die seine Geschlechtsorgane beschreiben (obwohl er die ja eigentlich nicht so genau kennen sollte). Auf die Frau bezogene Schimpfwörter waren ungleich weniger variantenreich, ganze acht Lexeme konnten erhoben werden, darunter die auch in Deutschland geläufigen (Huere, Nutte, Schlampe, Fotze, Tusse etc.). Kindern gegenüber ist man (noch) etwas zurückhaltender und HimmelHerrgottSakrament! Gopfridstutz! und Sacklzement! 335 bezieht sich meist auf Maximen der Reinlichkeit (bzw. des Verstoßes gegen das Reinheitgebot: Drecksgoof, Schnudergoof, Saugoof). Die Beliebtheit des Lexems Sau in diesem Zusammenhang hat übrigens bereits zu einem eigenen Forschungszweig geführt, der Susologie, die sich liebevoll dem (sprachlichen) Vorkommen des Haustiers im Alltag und in allen Lebenslagen widmet (Schmauks 2004). Jedenfalls scheint die Zeit reif für die Planung eines umfassenden Schweizer Fluchwörterbuchs, das typisch schweizerische Einträge versammelt (wie Chäscha, Floita, Gigu, Ginggilioni, Göich, Löi, Seckl, Tampa, Trimpu ,Trissl, Tschifu, Tschinggu etc.) und mit dem der prominente Berner Germanist Roland Ris (der bis vor kurzem an der ETH Zürich lehrte und die Schweizer Wissenschaftsakademien präsidierte) die Hoffnung verbindet, den Schweizern kreativeres Fluchen zu vermitteln und dem ihm innewohnenden Humor wieder zu mehr Geltung zu verschaffen. Gerade die originelleren unter den spezifisch helvetischen Verunglimpfungen zeugen durchaus von homorvoller Sprachphantasie, die das Opfer mal obszön oder fäkal titulieren (Biräwixer, Ministrantevögler, Duregfaggts Landei; Sitzbisler, Schliimschiisser, überschissenes Öppis), mal mit Invektiven ganz eigener Art adeln (Magronächischta, Pannädriëgg, sältedämliche Eggerepfli, Zibelsuppegsicht, Totewagelibramser, ufgidunseni Cervelas), die der Fremde sicherheitshalber nicht als Komplimente mißverstehen sollte. Immerhin deutet die Frequenz der blasphemischen Flüche (die neben den fäkalsprachlichen die höchste Gebrauchsdichte aufweisen) auf die Grenzen der Profanisierung des Sakralen in der Schweiz hin (neben den zahllosen Varianten der Selbstverfluchung Gott verdamme mich wie Gopfertami, Gopferteckl, Gopfridstutz, Gopfridstübli, Gopfertori, Gopferdamevelo, Gopfridstützlich etc. erfreuen sich Ausrufe wie Himuheiterblauiblüemli, Tamiröösi, Sapperlipoppette, Härrgottsgüegeli nomol! nach wie vor besonderer Beliebtheit). Damit liegt die Schweiz also doch wieder ‘voll im Trend’ gesamtgesellschaftlicher Entwicklung im deutschsprachigen Raum, in dem mancher sich zwar vom Höheren das Heil erhofft, aber, bis das eintrifft, sich vorläufig eher im Niederen der Sprache wohlfühlt und, insoweit, Heinrich Heines “Stoßseufzer” beherzigt (Heine 1972: II. 417): Unbequemer neuer Glauben! Wenn sie uns den Herrgott rauben, Hat das Fluchen auch ein End’ - Himmel=Herrgott=Sakrament! Wir entbehren leicht das Beten, Doch das Fluchen ist vonnöten, Wenn man gegen Feinde rennt - Himmel=Herrgott=Sakrament! Nicht zum Lieben, nein, zum Hassen Sollt ihr uns den Herrgott lassen, Weil man sonst nicht fluchen könnt - Himmel=Herrgott=Sakrament! Anmerkungen 1 Zu verwandten Formen in der Literatur, z.B. zum Gerücht (bei Sheridan) oder zur Herabsetzung und Entblößung (bei Thümmel), zum Klatsch (bei Fontane) oder zum Lästern (bei Capote), zur üblen Nachrede (bei Kafka) oder zum Streiten (bei Büchner) cf. Hess-Lüttich 1982 (“Maxims of Malice”); id. 1980 (“Degradation und Découverte”); id. 2002 (“Evil Tongues”); id. 2003 (“Rhetorik der Nach-Rede”); id. 2006 (“Understanding misunderstanding”); id. 2007 (“Streit in Dantons Tod”). Ernest W.B. Hess-Lüttich 336 2 Zu Beleidigungen cf. jetzt Meier 2007 mit zahlreichen Belegen und nützlichen Hinweisen zur jüngeren Sekundärliteratur. Die folgenden Beobachtungen stützen sich indes auf helvetisches Material, das mir von Sabine Fux im Rahmen ihrer Lizentiatsarbeit (Bern 2005) dankenswerterweise zusammengestellt wurde. 3 “The behavior of certain Arabs who, when cursed, ducked their heads or fell flat on the ground in order to avoid direct hit” (Montagu 2001: 8); das Plinius-Wort hier zit. n. Brodersen 2001: 68). 4 Zu einschlägigen Gerichtsurteilen aus dem 18. Jahrhundert cf. Roth 2000. 5 Cf hierzu vor allem das 10. Kapitel (“Sexuality in Swearing”) in der Sozialgeschichte des Fluchens von Geoffrey Hughes (1991: 206 ff.) mit zahlreichen Belegen zur geschlechtsspezifischen Entwicklung von Fluchwörtern. 6 Die bislang umfassendste Sammlung von spezifischen Bezeichnungen für Homosexuelle im Deutschen hat m.W. Jody Skinner angelegt: s. Skinner 1997 und id. 1999 (2 vols.). 7 Die hier herausgegriffenen Beispiele stehen exemplarisch für die unüberschaubar gewordene lexikalische Vielfalt von Fluch- und Schimpfwort-Einträgen, die in der Literatur nach den unterschiedlichsten Kriterien sortiert und klassifiziert werden (cf. Kiener 1983; Lötscher 1993); allein für das weibliche Genital z.B. wurden über 700 abschätzige Bezeichnungen gesammelt. 8 Erst die pragmatische Analyse klärt auch die genauere sprechakttypologische Differenzierung zwischen sprachlichen Handlungen des Fluchens, Verfluchens, Beschimpfens, Beleidigens usw. Zudem wird über Grad und Status des maledictums erst im Prozeß interaktiver Bedeutungskonstitution entschieden, was nur mit modernen Verfahren der empirischen Gesprächsanalyse genauer zu ermitteln ist. Zur Präsentation und Kommentierung solchen Materials ist hier freilich nicht der Raum. 9 Umfrage 2005 bei 200 Deutschschweizern mit 36 Fragen und 541 Belegen zu ihrem Fluchverhalten im Alltag; zur statistischen Auswertung s. Fux 2005: 124-151. Literatur Andersson, Lars & Peter Trudgill 1990: Bad language, Oxford: Penguin Brodersen, Kai 2001: Gebet und Fluch, Zeichen und Traum. Aspekte religiöser Kommunikation in der Antike, Münster: L IT Deppermann, Arnulf & Axel Schmidt 2001: “‘Dissen’. Eine interaktive Praktik zur Verhandlung von Charakter und Status in Peer-Groups männlicher Jugendlicher”, in Svenja Sachweh & Joachim Gessinger (eds.) 2001: Sprechalter (= O BST 62), Osnabrück: O BST , 79-98 Ermen, IIse 1996: Fluch - Abwehr - Beschimpfung. 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