eJournals Italienisch 40/80

Italienisch
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
Il presente contributo esamina il sonetto 'D'altrui pietoso' come caso esemplare di una commistione di registri e sistemi lirici eterogenei piuttosto caratteristica della poesia di Michelangelo. Fetiscismo petrarchista, amore neoplatonico, immaginario dantesco della purgazione e dell'ascesa dell'anima e linguaggio burlesco: tutti questi elementi confluiscono nell'immagine di un guanto di seta, che diventa leggibile contemporaneamente come simbolo di un desiderio erotico, di un'ansia spiritual e di un 'prodotto' artistico.
2018
4080 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Michelangelos Handschuh

2018
Christine Ott
10 C H R I ST I N E OTT Michelangelos Handschuh Zur Überlagerung heterogener Subjektentwürfe und literarischer Codes in D’altrui pietoso A sentence is but a cheveril glove to a good wit: how quickly the wrong side may be turned outward! (Shakespeare, Twelfth Night) 1. Der Handschuh Abb. 1: Jacopo Palma Il Vecchio, Porträt eines Mannes, 1512-1515, The State Hermitage Museum, St. Petersburg (Foto: - Leonard Kheifets) Italienisch_80.indb 10 01.03.19 12: 08 11 Christine Ott Michelangelos Handschuh Palma il Vecchios um 1515 entstandenes Männerporträt, das sich heute in der Eremitage in Sankt Petersburg befindet, zeigt einen jungen Mann, der soeben den Handschuh der linken Hand abgestreift hat, um mit der nackten Hand seinen Pelzumhang entweder über die Schulter nach hinten zu streifen oder aber enger an die Brust zu ziehen. Diese ambivalente Geste des Enthüllens oder Verhüllens wirkt, so Marianne Koos, «zuallererst erotisierend», zugleich deute sie an, was dieses Porträt - gemeinsam mit einer Reihe weiterer, von Koos als «lyrische Männerporträts» qualifizierter Männerbildnisse des 16. Jahrhunderts - dem Betrachter verspricht: einen Blick in das Innere, das emotionale Wesen des Dargestellten: «Indem die eine Hand enthüllt ist, die andere aber bekleidet bleibt, wird der Blick des Betrachters auf die ‘wahre’ Haut des Dargestellten gelenkt und so für diese empfindsame Grenze zum Inneren sensibilisiert, - oder aber sogar unter die Grenze geleitet: Durch den roten Innenraum des Handschuhs verstärkt, scheint das Entkleiden der Hand wie eine Häutung. Begreift man den Handschuh als Haut (wenn auch als eine falsche Haut), verhilft diese Gestik subtil, den Blick des Betrachters bis ‘unter die Haut’, das [sic] innere, verletzliche Selbst des Porträtierten zu lenken». 1 Marianne Koos begreift dieses Bild als eine perfekte Illustration des von ihr so benannten Genres des lyrischen Porträts, weil hier ein alter Topos der Liebesdichtung ganz augenfällig ins Bild gesetzt werde. Das Martyrium der Liebe, die Wunden, die Amor dem Liebenden zufügt, sieht sie in dem rot gerahmten linken Handschuh symbolisiert. 2 Dabei ist der von Koos derart gedeutete Handschuh keineswegs ein singulärer Fall. Wie Peter Stallybrass und Ann Rosalind Jones gezeigt haben, fungiert der Handschuh in der europäischen Literatur und Malerei der Renaissance als ein Symbol, das sowohl einen (hohen) sozialen Status, als auch Liebesbündnisse oder Machtbeziehungen indizieren kann. Handschuhe dienen gleichsam als «abnehmbare» Teile des Körpers der Geliebten - oder 1 Marianne Koos, «Identität und Begehren. Bildnisse effeminierter Männlichkeit in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts», in: Mechthild Fend/ Marianne Koos (Hrsg.), Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln/ Weimar/ Wien: Böhlau 2004, S. 53-78, S. 70. Für eine Definition des lyrischen Männerporträts vgl. Marianne Koos, Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts - Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten/ Berlin: Imorde 2006. 2 Ob der Handschuh darüber hinaus «nicht zufällig wie Christi Seitenwunde geformt ist» (Koos, «Identität und Begehren», S. 70), sei dahingestellt. Italienisch_80.indb 11 01.03.19 12: 08 12 Michelangelos Handschuh Christine Ott der Herrscherin -, die dem Untergebenen als Zeichen der Gunst überlassen werden können. Dadurch werden sie zu beseelten Dingen, zu Fetischen. Indem Koos die Gattung des lyrischen Männerporträts als eine neue Art der Repräsentation von Männlichkeit begreift, die petrarkistische Topoi in das Medium der Malerei übersetzt, führt sie einen von Elizabeth Cropper eingeschlagenen Forschungsansatz fort. Cropper sieht in der petrarkistischen Dichtung einen Interpretationsschlüssel für rinascimentale Bildnisse schöner Frauen; sie vertritt aber auch die These, dass die petrarkistische Kommunikationssituation im Cinquecento das Modell für eine neue Kunstkonzeption darstellte. Als Beispiel für eine neuartige, ‘petrarkistische»’ Begehrensstruktur zwischen dem Künstler, seinem Werk und dessen Betrachter nennt sie Michelangelos «presentation drawings», also jene Zeichnungen, die Michelangelo nicht als Auftragsarbeiten, sondern als private Geschenke für seine Freunde schuf - Liebesgaben, die mindestens in einem Fall auch als Geständnis eines homoerotischen Begehrens gedeutet werden können. Cropper wertet ‘Petrarkismus’ aber nicht notwendig als Ausdruck eines persönlichen, authentischen Begehrens. Es geht ihr vielmehr darum, eine Kommunikationssituation zu verdeutlichen, die von der Emergenz eines neuen Typus des emotional affizierten Kunstbetrachters charakterisiert sei («the affective beholder») und deren Quelle sie in einer «Petrarchan culture of desire» sieht. 3 Auf eine Reihe enigmatischer, schwer ‘identifizierbarer’ Frauenporträts der Renaissance angewandt, verdeutlicht Croppers These, dass diese nicht notwendig als Repräsentationen realer Persönlichkeiten oder eines realen sozialen Frauentypus gedeutet werden müssen. Ähnlich beharrt Koos auf der Notwendigkeit, sich in der Deutung der ‘lyrischen’ Männerporträts nicht nur auf eine mögliche Lesart zu fokussieren. Ihr Versuch, Porträts wie das von Palma il Vecchio als Gegenrepräsentationen zu einem dominanten Männlichkeitsentwurf zu lesen, der jedoch nicht unbedingt einem konkreten sozialen Typus entsprechen muss, stellt ein wichtiges Vorbild für meine Lektüre von Michelangelos homoerotischen Gedichten dar. Wegweisend sind zudem die Überlegungen, die Michael Bernsen im Anschluss an Stephen Greenblatts Theorie des «Renaissance Self-Fashioning» angestellt hat. Demnach entwickelt sich der Petrarkismus zu einer lingua franca, in der «Persönlichkeitsstrukturen des europäischen Subjekts» diskutiert sowie «anthropologische Vorstellungen entworfen» werden. 4 Michelangelo, der sich in seiner 3 Elizabeth Cropper, «The Place of Beauty in the High Renaissance and its Displacement in the History of Art», in: Alvin Vos (Hrsg.), Place and Displacement in the Renaissance, Binghamton 1995, S. 159-205, S. 175; zu Michelangelos «presentation drawings» als «new mode of the expression of private beauty» vgl. ebd., S. 195. 4 Michael Bernsen, «Der Petrarkismus, eine lingua franca der europäischen Zivilisation», in: Michael Bernsen/ Bernhard Huß (Hrsg.), Der Petrarkismus - ein europäischer Italienisch_80.indb 12 01.03.19 12: 08 13 Christine Ott Michelangelos Handschuh Lyrik immer wieder als ein unfertiges, defizitäres, schwaches Subjekt inszeniert, 5 dürfte gerade in Petrarcas zerrissenem Ich ein zentrales Modell für den eigenen Ich-Entwurf gesehen haben. Mit dem Petrarkismus konkurrieren allerdings der Neuplatonismus in der Prägung Ficinos und Landinos und die Orientierung an Dantes Commedia. Das Sonett D’altrui pietoso e sol di sé spietato soll im Folgenden als ein Knotenpunkt divergenter lyrischer oder literarischer Codes und entsprechender Subjektentwürfe gelesen werden, die sich im Phantasma eines seidenen Handschuhs verdichten. 6 2. Homoerotische Lyrik? Michelangelos Rime im Kreuzfeuer der Debatte über Homosexualität in der Vormoderne Michelangelos rund dreihundert, erst postum veröffentlichte Gedichte geben der Forschung aufgrund ihrer schwierigen Editionsgeschichte immer noch Rätsel auf. Vieles davon ist fragmentarisch und auf etlichen Manuskripten finden sich Varianten, von denen allerdings unklar ist, welche die vom Autor intendierte definitive Version darstellen soll. 7 Durch ihre komplexe Syntax und verrätselte Bildsprache versperren sich die Rime dem Verständnis; sie Gründungsmythos, Göttingen: V&R unipress 2011 (Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst, 5), S. 15-30, hier S. 18. 5 Susanne Gramatzki, Zur lyrischen Subjektivität in den Rime Michelangelo Buonarrotis, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2004. Vgl. außerdem die Darstellung Hugo Friedrichs in: ders., Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt/ M.: Klostermann 1964, S. 329-142, sowie Glauco Cambon, Michelangelo’s Poetry. Fury of Form, Princeton: University Press 1985. 6 Der Begriff des lyrischen Codes wird hier bewusst dem des Systems vorgezogen, weil sich eine Systemreferenz Klaus Hempfer und Gerhard Regn zufolge erst im Rahmen einer wenigstens im Ansatz narrativen, zyklisch gefügten Gedichtsammlung manifestieren kann (Klaus W. Hempfer, «Intertextualität. Systemreferenz und Strukturwandel: die Pluralisierung des erotischen Diskurses in der italienischen und französischen Renaissance-Lyrik [Ariost, Bembo, Du Bellay, Ronsard]», in: Michael Titzmann [Hrsg.], Modelle des literarischen Strukturwandels, Tübingen: De Gruyter 1991, S. 7-43; Gerhard Regn, Torquato Tassos zyklische Liebeslyrik und die petrarkistische Tradition. Studien zur Parte prima der Rime [1591/ 1592], Tübingen: Narr 1987, S. 32). Ich gehe davon aus, dass Michelangelo den petrarkistischen, neuplatonischen, burlesken Code bewusst anzitiert, ohne diese Codes notwendig gegeneinander ausspielen zu wollen. Mit jedem Code ist unweigerlich ein bestimmtes Konzept von literarischer Subjektivität verbunden (das Ich als unglücklich Liebender, als spirituell Suchender, usw.). 7 Die erste kritische Edition der Rime stammt von Carl Frey, Die Dichtungen des Michelagniolo Buonarroti [1897], Berlin: Walter de Gruyter 1964. Die 1960 von Enzo Noé Girardi veröffentlichte kritische Edition schlägt eine Konjektural-Chronologie der Gedichte vor. Ich zitiere nach der neuen Ausgabe von Corsaro und Masi, die stattdessen eine Einteilung nach lyrischen Untergattungen vornimmt (M. Buonarroti, Rime e lettere, a cura di Antonio Corsaro e Giorgio Masi, Milano: Bompiani/ Rizzoli 2016, im Folgenden zitiert als Corsaro/ Masi 2016). Italienisch_80.indb 13 01.03.19 12: 08 14 Michelangelos Handschuh Christine Ott lassen sich weder auf eine autobiographische Konfession noch auf eine Kunsttheorie in Versen reduzieren. Wie Ida Campeggiani (2012) anhand von beispielhaften Analysen der Varianten vorgeführt hat, lässt ich das kompositorische Prinzip Michelangelos keinesfalls als ein Wegnehmen des Überflüssigen begreifen, sondern ganz im Gegenteil als ein unermüdliches Hinzufügen. 8 Nicht auf eine Reduktion von Komplexität zielen demnach die nachträglich hinzugefügten Varianten, sondern auf eine gesteigerte Verschachtelung des Sinns, in der oft gegensätzliche Bedeutungsvarianten intentional nebeneinander gestellt werden. Neben philologischen Studien, zu denen Campeggiani und ihr Lehrer Giorgio Masi wichtige Arbeiten vorgelegt haben, dominieren in der gegenwärtigen Beschäftigung mit Michelangelos Lyrik zwei Tendenzen, von denen die eine danach strebt, Michelangelos Liebes- und Kunstkonzept auf die Philosophie des Neuplatonismus zurückzuführen, während die andere in der Homosexualität Michelangelos den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis seiner Rime sieht. Beide Ansätze beziehen sich vorzugsweise auf eine Gruppe von vorwiegend in den 1530er Jahren verfassten Gedichten, in denen ein männliches lyrisches Ich ein männliches Du anspricht. Gewidmet sind viele dieser Gedichte dem jungen Adligen Tommaso Cavalieri, den der 57-jährige Michelangelo 1532 kennenlernte und dem er neben den Gedichten auch Briefe und Zeichnungen schickte. Bei der Lektüre dieser Texte kann man sich tatsächlich nicht des Eindrucks einer heißen Leidenschaft erwehren, die jedoch von beiden Männern bevorzugt im Vokabular der neuplatonischen Männerfreundschaft artikuliert wird. Interessant ist dabei, dass sich bereits Michelangelos Zeitgenossen bestrebt zeigten, den großen Meister vom Verdacht der ‘Sodomie’ zu befreien. Bezeichnend ist etwa die von Michelangelos Großneffen 1623 zum Druck gegebene ‘bereinigte’ Gedichtsammlung, in der das männliche Du etlicher Gedichte in ein weibliches umgewandelt wurde. 9 Allerdings lässt sich ein solches gender-shifting teilweise auch schon in Michelangelos Manuskripten feststellen. Es ist also durchaus plausibel anzunehmen, dass Michelangelo den Topos der neuplatonischen Männerfreun- 8 Ida Campeggiani (Le varianti della poesia di Michelangelo. Scrivere «per via di porre», Lucca: Maria Pacini Fazzi 2012) beschäftigt sich in ihrer Monographie mit den Varianten und nimmt auch kritisch zu einigen editorischen Entscheidungen Girardis Stellung. 9 So wurde etwa der «desïato mie dolce signore» aus Rime 72 in eine «donna» umgewandelt - möglicherweise eine Vorsichtsmaßnahme gegenüber der Zensur. Die Verdienste des Michelangelo Buonarroti il Giovane dürfen allerdings nicht unterschätzt werden: Er hat viele Manuskripte und Zeichnungen seines Großonkels wieder aufgekauft und die handschriftlichen Versionen der Gedichte mit korrekter Wiedergabe aller Varianten transkribiert. Italienisch_80.indb 14 01.03.19 12: 08 15 Christine Ott Michelangelos Handschuh dschaft als Legitimations- und Deckdiskurs für sein homoerotisches Begehren verwendet hat. 10 Nun gibt es eine Reihe von Studien, die Michelangelos Lyrik einem orthodoxen Neuplatonismus zuzuschlagen suchen bzw. davon ausgehen, der Dichter habe sein homoerotisches Verlangen im Sinne der platonischen Männerfreundschaft sublimiert. 11 Das Verdienst dieser Arbeiten ist es, zentrale neuplatonische Denkmuster in Michelangelos Lyrik sichtbar gemacht zu haben. Übersehen wird dabei in der Regel aber die stellenweise subversive Abwandlung und Kontamination, die diese Motive bei Michelangelo erfahren. 12 Auf der anderen Seite hat insbesondere James M. Saslow versucht, in Michelangelos Lyrik Spuren eines prämodernen homosexuellen Bewusstseins auszumachen. In seinem Aufsatz von 1988 thematisiert er dabei zwar durchaus das Bewusstsein, sich mit dem Postulat eines «emerging sense of distinc- 10 Die neuplatonische Männerfreundschaft als Legitimations- und Deckdiskurs für homoerotische Lyrik zu verwenden ist durchaus zeittypisch, vgl. dazu etwa Michael Gassenmeier, «TWO LOVES I have, of comfort and despair: homo- und heterosexuelle Passion in Shakespeares Sonetten», in: Theo Stemmler (Hrsg.), Homoerotische Lyrik, Tübingen: Narr 1992, S. 129-174, bes. S. 145. Vgl. zur Praxis der Homosexualität im Florenz der Renaissance Michael Rocke, Forbidden Friendships. Homosexuality and Male Culture in Renaissance Florence, New York/ Oxford: Oxford UP 1996; zum visuellen Code homoerotischen Begehrens in der Renaissance Ulrich Pfisterer, «Freundschaftsbilder - Liebesbilder. Zum visuellen Code männlicher Passionen in der Renaissance», in: Sibylle Appuhn-Radtke/ Esther P. Wipfler (Hrsg.), Freundschaft. Motive und Bedeutungen, München: Zentralinstitut für Kunstgeschichte 2006, S. 239-259. 11 Vgl. für das bildkünstlerische Werk den klassischen Aufsatz Erwin Panofskys, «Die neuplatonische Bewegung und Michelangelo», in: ders., Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance, Köln: DuMont 1980, S. 251-326. Als «orthodoxer» Neuplatoniker wird Michelangelo von Berthold Hub («Material Gazes and Flying Images in Marsilio Ficino and Michelangelo», in: Christine Göttler/ Wolfgang Neuber [Hrsg.], Spirits Unseen. The Representation of Subtle Bodies in Early Modern European Culture, Leiden/ Boston: Brill 2008, S. 93-120 sowie ders.: «La beltà, che muove e porta al cielo ogni intelletto sano: Liebe dichten und Kunst denken», in: Grazia Folliero-Metz/ Susanne Gramatzki [Hrsg.], Michelangelo Buonarroti: Leben, Werk und Wirkung. Michelangelo Buonarroti: Vita, Opere, Ricezione. Positionen und Perspektiven der Forschung. Approdi e prospettive della ricerca contemporanea, Frankfurt/ M.: Peter Lang 2013, S. 357-379), Armando Maggi («L’immagine del concetto d’amore: una lettura del frammento michelangiolesco ‹Ben fu, temprando il ciel tuo vivo raggio›», in: Revue des études italiennes 46, 3-4 [Juli-Dezember 2000], S. 259-268) und Joseph Francese («On homoerotic tension in Michelangelo’s poetry», in: Modern Language Notes 117, 1 [2002], S. 17-47) eingeordnet. 12 Vgl. dazu Christine Ott, «Liebe geht durch die Augen: Neuplatonismus, Homoerotik und Liebeskunst in Michelangelos Lyrik», in: Michael Bernsen/ Milan Herold (Hrsg.), Der lyrische Augenblick. Eine Denkfigur der Romania, Berlin: De Gruyter 2015, S. 99-125. Italienisch_80.indb 15 01.03.19 12: 09 16 Michelangelos Handschuh Christine Ott tive homosexual identity» 13 in der Lyrik Michelangelos der Gefahr des Anachronismus auszusetzen. Wenn er jedoch auf den Gegensatz zwischen dem Foucault’schen konstruktivistischen Ansatz und der «so-called essentialist school of gay historians» verweist, die von einer überzeitlichen homosexuellen Identität und entsprechenden Verhaltensmustern ausgehen, verortet er sich ganz klar auf der Seite der letzteren. 14 Saslow zufolge nutzt Michelangelo den petrarkistischen Code und die Polysemie der lyrischen Sprache, um ein homosexuelles Empfinden auszudrücken, für das es zu seiner Zeit noch keine Terminologie gab. Zugleich dekonstruiere er herkömmliche Gender-Gegensätze, indem er in seinen Gedichten und Briefen an Vittoria Colonna diese als «amico» und als «uomo in una donna» bezeichne. In einem späteren Aufsatz von 2013 schwächt Saslow diese These ein wenig ab, sieht in Michelangelos Lyrik jedoch weiterhin das Dokument eines erwachenden homosexuellen Bewusstseins. 15 In diesem Sinne argumentiert auch William J. Kennedy, der zeigen will, wie Michelangelo in D’altrui pietoso die heterosexuelle Norm der petrarkistischen Tradition mit seiner persönlichen «homosexual experience» in Einklang zu bringen suche und über textuelle Verschiebungs-Strategien (Kennedy bezieht sich explizit auf Freud) traditionelle Gender-Rollen zu subvertieren trachte. 16 Bei aller Zustimmung zu einzelnen Beobachtungen Kennedys halte ich es für problematisch, das Sonett als Protokoll eines Bewusstwerdungs-Prozesses zu lesen, in dem das (im Freud’schen Sinn) verdrängte homosexuelle Begehren zutage tritt. Dazu aber später mehr. Die Irritation, die von Michelangelos ‘homoerotischer’ Lyrik ausgeht, erklärt sich nun nicht nur aus seinem ambivalenten Umgang mit petrarkistischen und neuplatonischen Motiven, sondern auch aus dem soziokulturellen Kontext der Gedichte. Das Florenz der Medici, in dem Michelangelo aufwuchs, war nicht nur berühmt für seinen neuplatonisch-humanistischen Antike-Kult, sondern auch berüchtigt für die ‘Lasterhaftigkeit’ seiner Bewohner, die sich auch durch eine 1432 eigens dafür kreierte Überwa- 13 James M. Saslow, «A Veil of Ice between my Heart and the Fire: Michelangelo’s Sexual Identity and Early Modern Constructs of Homosexuality», in: Genders 2 (1988), S. 77-90, hier S. 81. 14 Ebd., S. 80. 15 James M. Saslow, «Sexual Variance, textual Variants: Love and Gender in Michelangelo’s Poetry», in: Grazia Folliero-Metz/ Susanne Gramatzki (Hrsg.), Michelangelo Buonarroti: Leben, Werk und Wirkung. Michelangelo Buonarroti: Vita, Opere, Ricezione. Positionen und Perspektiven der Forschung. Approdi e prospettive della ricerca contemporanea, Frankfurt/ M.: Peter Lang 2013, S. 99-118, hier S. 116. 16 William J. Kennedy: «Petrarchan Authority and Gender revisions in Michelangelo’s Rime», in: Antonio Toscano (Hrsg.), Interpreting the Italian Renaissance. Literary Perspectives, New York: Forum Italicum 1991, S. 55-66, S. 56. Italienisch_80.indb 16 01.03.19 12: 09 17 Christine Ott Michelangelos Handschuh chungseinrichtung nicht von ihren sodomitischen Praktiken abbringen ließen. Sexuelle Beziehungen nach dem Muster der antiken Päderastie waren in Florenz eine inoffizielle, aber in der Lokalkultur fest verankerte Institution. Doch gerade, weil es sich keineswegs um ein Minderheiten-Phänomen handelte, wendet sich Michael Rocke in seiner auf der umfassenden Erhebung historischer Daten basierenden Darstellung homoerotischer Beziehungen im Florenz der Renaissance dezidiert gegen Saslows These einer im Entstehen begriffenen homosexuellen Subkultur. Sodomitische Beziehungen zwischen Männern und Knaben betrafen vielmehr die Mehrheit der Florentinischen Männer, waren geprägt durch eine hierarchische Struktur, die der sexuellen Hierarchie einer Mann-Frau-Beziehung entsprach, und wurden trotz offizieller Verurteilung inoffiziell weitgehend toleriert. 17 Diese ‘verbotenen’ Freundschaften, die sich über die sexuelle Beziehung hinaus durchaus in ‘platonischen’ Männerfreundschaften und sozialen Bündnissen fortsetzen konnten, scheinen in der Tat (in Rom, das jedoch eine ähnliche Tradition vorweisen konnte) das Modell für Michelangelos Beziehung zu Tommaso Cavalieri vorgegeben zu haben. Wie Maria Ruvoldt gezeigt hat, hatte der Künstler seine Liebe zu Cavalieri selbst als ein ‘offenes Geheimnis’ inszeniert. Indem er enge Freunde mit der Aufgabe betraute, Tommaso Briefe, Gedichte und Zeichnungen zu überbringen und dadurch eine limitierte Zirkulation seiner Werke erlaubte, schuf er eine Art der künstlerischen Kommunikation, die ‘privat’ und ‘öffentlich’ zugleich war. 18 In diesem Sinn erscheint die Liebe zu Cavalieri auch als Teil einer bewussten Selbststilisierung, die ganz gezielt mit konventionellen (und zugleich sehr gegensätzlichen) Codes operiert. Beharrt die eine Forschungsrichtung folglich auf einem orthodoxen Neuplatonismus Michelangelos, so sieht die andere in der petrarkistischen Schmerzliebe sein zentrales lyrisches Modell, weil dieses ihm erlaubt habe, die Geschichte eines unerfüllten oder doch zumindest verbotenen Begehrens zu artikulieren. Doch die exklusive Fokussierung auf einen lyrischen Code (bzw. auf einen Subjektentwurf) wird der explosiven Mischung, wie sie sich in Michelangelos Rime zeigt, nicht gerecht. 17 Wie Rocke zeigt, wurden diese Beziehungen meist toleriert, weil sie dem jüngeren, passiven Partner (und seiner Familie) materielle Vorteile oder politische Protektion einbrachten oder weil sie den sozialen Zusammenhalt verstärkten (die älteren Liebhaber eines Jugendlichen waren oft miteinander befreundet). 18 Maria Ruvoldt, «Michelangelo’s Open Secrets», in: Timothy McCall/ Sean Roberts (Hrsg.), Visual Cultures of Secrecy in Modern Europe, Truman State University 2013, S. 105-125. Italienisch_80.indb 17 01.03.19 12: 09 18 Michelangelos Handschuh Christine Ott 3. D’altrui pietoso als Knotenpunkt heterogener lyrischer Modelle 3.1. Der petrarkeske Subtext D’altrui pietoso e sol di sé spietato, Zu anderen barmherzig und nur sich selbst unbarmherzig nasce un vil bruto, che con pena e doglia wird ein verächtlicher Wurm geboren, der mit Mühe und Schmerz l’altrui man veste e la suo scorza spoglia die Hand eines andern bekleidet und seine eigene Hülle aufgibt e sol per morte si può dir ben nato. und sich nur durch seinen Tod wohlgeboren nennen kann. -Così volesse al mie signor mie fato Wollte es doch mein Schicksal, dass auch ich meines Herren vestir suo viva di mie morta spoglia, lebendigen Körper so mit meiner toten Haut bedecken könnte, che, come serpe al sasso si discoglia, dann könnte ich so, wie sich die Schlange am Stein häutet, per morte pur potria cangiar mie stato. gleichfalls durch den Tod meine Existenzform ändern. -O fussi sol, la mie, l’irsuta pelle Oder wäre nur meine die struppige Haut che, del suo pel contesta, fa tal gonna die, aus seinem Haar gewebt, jenes Gewand macht che con ventura stringe sì bel seno, das glücklich eine so schöne Brust umfasst, -ch’i’ l’are’ pure il giorno, o le pianelle so besäße ich sie [die Brust] auch tagsüber; oder wären nur mein che fanno a quel di lor basa e colonna, [wäre ich nur] die Schuhe, die ihm Sockel und Säule sind, ch’i’ pur ne porterei du’oncie almeno. denn auch ich würde gern wenigstens zwei Unzen davon tragen. Michelangelo schrieb das Gedicht auf die Rückseite eines Briefs, den er um 1535 von Pierantonio Cecchini erhalten hatte - es war dieser gewesen, der ihn 1532 mit Cavalieri bekannt gemacht hatte und seitdem als einer der ‘Boten’ zwischen den beiden fungierte. 19 Das Gedicht wird hier (ebenso wie weiter unten einige Varianten) in einer modernisierenden Schreibweise wiedergegeben, die von Michelangelo zusammengeschriebene Wörter trennt und Apostrophe einfügt; statt «aquel» heisst es also «a quel», statt «acte» «a te», statt «lare» «l’are‘» im Sinne von «l’avrei» usw.). Abb. 2: Handschrift des Gedichts, Casa Buonarroti, Florenz 19 Zit. nach Corsaro/ Masi 2016, S. 186. Übers. Christine Ott. Das Gedicht «si legge dietro una lettera di Pierantonio, familiare del cardinale Ridolfi in Roma a M. in Roma, non datata, ma probabilmente della primavera del 1535» (Michelangelo Buonarroti, Rime, a cura di Enzo Noé Girardi, Bari: Laterza 1960, S. 278). In dem Brief berichtet Pierantonio unter anderem, es gehe Tommaso Cavalieri (der offenbar krank gewesen war) besser. Italienisch_80.indb 18 01.03.19 12: 09 19 Christine Ott Michelangelos Handschuh Bereits seine Transkription gibt Rätsel auf. Aufgrund der schwer leserlichen Schrift wurden nämlich die beiden vorletzten Worte des Gedichts unterschiedlich transkribiert und ausgelegt: Michelangelos Großneffe las sie als ein zusammengeschriebenes «duoncie» («due oncie»). Allerdings kann man auf der Handschrift einen deutlichen Abstand zwischen dem gut lesbaren «duo» und dem folgenden, kaum zu entziffernden Wort erkennen. Frey und Girardi lesen daher «duo neie»; was Girardi im Sinne von «due nevi», also zwei Winter (zweimal Schnee) deutet. 20 Michelangelo il Giovane hatte dagegen in seiner Transkription die Stelle im Sinne von «due oncie», also zwei Unzen aufgefasst (ein geringes Gewicht), diese Lesart wurde von Contini, Gorni sowie jüngst von Zaja, Campeggiani und Corsaro/ Masi übernommen. Protagonist der ersten Strophe ist ein ‘niedriges Tier’; «bruto» wird in der frühen Neuzeit als Bezeichnung für unvernünftige Tiere oder - auch schon bei Dante - Menschen gebraucht. Der Kontext legt nahe, dass es sich um eine Seidenraupe handelt. 21 Sich selbst gegenüber unbarmherzig, mit Mühe und Schmerz, bekleidet sie die Hand anderer, indem sie sich ihrer Hülle entkleidet («suo scorza spoglia»). Tatsächlich wurden die Schmetterlingslarven, um die kostbare Seide zu gewinnen, mit kochendem Wasser getötet, was Michelangelo sehr gut wusste - Florenz war seit dem Mittelalter eines der wichtigsten Zentren des Seidenhandels. 22 Jedoch wird diese Seidenraupe durch das tödliche Ablegen ihrer Hülle («per morte») erst richtig geboren («ben nato») - daher hat Michelangelo erwogen, den Hinweis auf «pena e doglia» des Tiers durch ein neben den Text geschriebenes «con dolce doglia» zu ersetzen. Das tote Tier liefert den Stoff für einen seidenen Handschuh. Dass Michelangelos Handschuh, analog zu dem von Palma il Vecchio gemalten, wie ein Fetisch fungiert, der den Blick auf ein geheimes Begehren freigibt, wird deutlich, wenn man das Motiv, zusammen mit weiteren, als eine intertextuelle Anspielung liest. In den Gedichten 199 bis 201 der Rerum vulga- 20 Die Lesart ist wenig plausibel: «nevi» wäre ein Hapax und es leuchtet nicht ein, weshalb das Ich das Du ausgerechnet «zwei Winter lang» tragen wollte. 21 Dabei verweist «bruto» höchstwahrscheinlich auch auf eine psychische und physische «bruttezza» des lyrischen Ich, wie sie für Michelangelos Selbstdarstellungen als Melancholiker typisch ist. Antonio Corsaro verweist auf einen entsprechenden Passus aus Ficinos De vita, III.2: «Saturnus […] significat […] hominem ab aliis segregatum, divinum aut brutum, beatum aut extrema miseria pressum» («Michelangelo, il comico e la malinconia», in: Studi e problemi di critica testuale (ottobre 1994), S. 97-119, S. 112). 22 Erst seit dem Quattrocento gab es aber in der Toskana eine Seidenraupenzucht (vgl. Christina Ubaldini, «Le trasformazioni del verme setaiuolo. Creazione poetica e parodia divina nei sonetti di Giacomo Lubrano», in: Romanische Forschungen 124 (2012), S. 199-221, S. 201). Italienisch_80.indb 19 01.03.19 12: 09 20 Michelangelos Handschuh Christine Ott rium fragmenta geht es um einen Handschuh, den der Liebende der Geliebten entwendet hat und schließlich widerwillig zurückgeben muss. Auf Petrarcas Kanzone 126 (Chiare, fresche et dolci acque) verweisen aber die Reimwörter «colonna», «gonna» und «seno». Wandte sich das Ich dort an die Zweige und das Wasser, die Lauras Körper bei einem früheren Verweilen berührt hatte, so wünscht sich Michelangelos lyrisches Ich, seinem geliebten «signore» nah zu sein, indem es entweder Gegenstände besitzt oder sich gar selbst in Gegenstände verwandelt, die dessen Haut berühren: erst der Handschuh, dann das Gewand («gonna» - nicht im heutigen Sinn, als Rock, zu verstehen, sondern als Gewand), schließlich sogar die Schuhe. Dabei entsprechen die «pianelle» den heutigen Pantoletten; sie konnten aus Leder oder Stoff sein und waren ein beliebtes Schuhwerk der Reichen und Vornehmen. 23 Verweisen die Kommentatoren des Sonetts einhellig auf diese petrarkesken Reminiszenzen, so ist ein weiterer petrarkistischer Prätext des Gedichts bisher völlig unbeachtet geblieben. In einem Sonett aus Francesco Ceis Canzoniere (1503), den Michelangelo gekannt haben muss, spricht ein verliebtes lyrisches Ich eine Seidenraupe an, die starb, um die Hände der Geliebten zu bekleiden. Es wünscht sich, die Raupe bzw. der Handschuh zu sein. Die Terzette wenden sich an den Handschuh selbst, der zuletzt zu «Süße», Demut und Diskretion aufgefordert wird. Er solle sich leicht an- und ausziehen lassen, denn «poca cosa offende un fior di neve». 24 Eine erste Lektüre des Gedichts zeigt also, dass das verliebte Ich sich - ähnlich seinen Vorgängern bei Petrarca und Cei - wünscht, den Platz verschiedener Kleidungsstücke einzunehmen, um so dem geliebten Du näher zu sein. 3.2. Danteske Reminiszenzen und Neuplatonismus Neben den petrarkesken springen danteske Reminiszenzen ins Auge, die sich wenigstens teilweise mit dem Vorstellungsbereich des Renaissanceplatonismus vermischen. So ruft die Tätigkeit der Seidenraupe, die sich opfert und stirbt, um erst so zu wahrem Leben zu gelangen, eine Passage aus dem Purgatorio und ihren Kommentar durch Landino auf. 25 23 Im Florenz des Cinquecento waren «pianelle» bei der gesellschaftlichen Elite äußerst beliebt, vgl. Michelle O’Malley, «A Pair of little Gilded Shoes: Commission, Cost, and Meaning in Renaissance Footwear», in: Renaissance Quarterly 63, 1 (2010), S. 45-83. 24 Francesco Cei, Il canzoniere, a cura di Marta Ceci, Roma: Zauli Arti grafiche 2014, S. 30. 25 Bereits Sarah Rolfe Prodan (Michelangelo’s Christian Mysticism. Spirituality, Poetry, and Art in Sixteenth-Century Italy, Cambridge University Press 2014, S. 60-64) weist auf diese Analogie hin. Italienisch_80.indb 20 01.03.19 12: 09 21 Christine Ott Michelangelos Handschuh In Purgatorio X bewegt der Anblick der büßenden Hochmütigen den Erzähler Dante zu einem Ausbruch gegen die blinde superbia der Menschen: O superbi cristiani, miseri lassi […] Non v’accorgete voi che noi siam vermi, nati a formar l’angelica farfalle che vola alla giustizia sanza schermi? Di che l’animo vostro in alto galla, poi siete quasi entomata in difetto, sì come vermo in cui formazion falla? (Purg. X, 121-129) O ihr hochmütigen Christenmenschen, arme Elende! Krank am geistigen Auge, wie ihr seid […] macht ihr euch nicht klar, dass wir doch Raupen sind, dazu geboren, Engelsfalter zu werden, die unbehindert nach oben schweben sollen zum Gerechten! Wie könnt ihr euch einbilden über allem zu stehen, wo ihr doch eher missratene Zufallswesen seid, wie ein Gewürm, bei dem der Bauplan fehlschlug? (Ü. Hartmut Köhler) Die irdische Dimension der Menschen wird jener von Raupen («vermi») gleichgesetzt, die gleichwohl dazu bestimmt sind, Schmetterlinge zu werden. Die Hochmütigen vergleicht Dante aber mit defizitären Wesen («entomata»), weil ihre Überheblichkeit sie für den Aufstieg zu Gott ungeeignet macht. Landino kommentiert den Passus wie folgt: «Sono molti vermi e maxime e bigatti, che fanno la seta, e quali benché sieno animali imperfetti, nientedimeno concepono in sé una farfalla, la quale crepando, el vermine escie, et vola via. Chosì l’uomo è quasi un vil vermine. […] Ma chosì vermi siamo apti a formare la farfalla chome el bigatto. Questa è in noi l’anima immortale […].» 26 «Es gibt viele Würmer, und besonders jene Raupen, die Seide spinnen, die, obwohl sie unvollkommene Tiere sind, doch in sich einen Schmetterling ausbilden - wenn dieser zerbricht, kommt der Wurm heraus und fliegt weg. Ähnlich ist der Mensch wie ein verächtlicher Wurm. […] Doch so, 26 Cristoforo Landino, Comento sopra la Comedia, a cura di Paolo Procaccioli, tomo III: Purgatorio, Roma: Salerno 2001, S. 1212 f., Hervorh. und Übers. Christine Ott. Italienisch_80.indb 21 01.03.19 12: 09 22 Michelangelos Handschuh Christine Ott als Würmer, sind auch wir imstande, einen Schmetterling auszubilden, so wie die Seidenraupe. Dieser ist unsere unsterbliche Seele […].» Wenn Michelangelo die Seidenraupe als «vil bruto» bezeichnet, nimmt er Landinos Formulierung, nach der der Mensch ein «vil vermine» ist, beinahe wörtlich auf. Die erste Strophe erscheint damit zunächst als eine Reflexion über die menschliche Bestimmung: So wie die Raupe dazu bestimmt ist, ihre Hülle abzuwerfen um sich in einen Schmetterling zu verwandeln, wird der Mensch erst durch seinen Tod (also durch das Abwerfen der sterblichen Hülle) zum eigentlichen Leben geboren - nämlich zum ewigen Leben. Allerdings wird diese christlich-danteske Bedeutung von einer weiteren, neuplatonischen Sinnschicht überlagert. Präzisiert wird nämlich, dass der «vil bruto» mit sich selbst unbarmherzig, einem anderen jedoch milde gesinnt ist. Mir scheint, dass Michelangelo damit auf das Ficinianische Motiv der «morte degli amanti» aus Buch II, VIII des Libro dell’amore verweist. Das Gemüt («animo») des Liebenden ist nicht bei ihm selbst, erklärt Ficino; es verlässt den Körper des Liebenden, um im Körper des Geliebten weiterzuleben. Handelt es sich um wechselseitige Liebe, so erfährt der Liebende eine zweifache geistige «Auferstehung»: «Una solamente è la morte nell’amore reciproco, le resurretioni sono due; perché chi ama muore una volta in sé quando si lascia, risuscita subito nello amato quando l’amato lo riceve con ardente pensiero, risuscita ancora quando lui nello amato finalmente si riconosce e non dubita sé essere amato. O felice morte alla quale seguono due vite! » 27 Wird der Liebende allerdings nicht wiedergeliebt, so wird er gleichsam zum Untoten, der weder in sich selbst noch in dem Geliebten leben kann. Die geistige Auferstehung im Körper des anderen bleibt ihm verwehrt - es sei denn, er würde sich «entlieben» («indegnatione»): «Adunque in nessun luogo vive chi ama altrui e non è da altrui amato, e però interamente è morto el non amato amante, e mai non risuscita, se già la indegnatione no’l fa risuscitare.» 28 Auch die zweite Strophe beginnt mit einer dantesken Reminiszenz. Das Bild der sich häutenden Schlange und der Neologismus «si discoglia» wurde 27 Marsilio Ficino, El libro dell’amore, a cura di Sandra Niccoli, Firenze: Olschki 2013, S. 41 f. 28 Ebd., S. 40 f. Italienisch_80.indb 22 01.03.19 12: 09 23 Christine Ott Michelangelos Handschuh von den Kommentatoren nämlich auf den Aufruf Catos in Purgatorio II zurückgeführt, der die säumigen Seelen ermahnt, sich büßend ihrer sündhaften «Hülle» zu entledigen. 29 Zugleich lässt sich der hier geäußerte befremdliche Wunsch des Ich, seinen Herrn mit der eigenen toten Hülle zu bekleiden, mit einem Bibelvers in Verbindung bringen, den die Predigtliteratur zur Auslegung des Bartholomäus-Martyriums verwendete. Es handelt sich um eine Episode aus dem ersten Buch Samuel. Jonathan, der David in inniger Freundschaft verbunden ist - er liebt ihn wie seine eigene Seele - legt sein Gewand ab, um David damit zu bekleiden («Er zog den Mantel, den er anhatte, aus und gab ihn David» - «Exspoliavit se Ionathas»; 1. Samuel 18, 4). 30 Aus Liebe zum ewigen Leben seiner Seele möchte Michelangelos lyrisches Ich folglich seinen Körper ablegen (so wie Bartholomäus sich der Häutung unterzog). Das Motiv des Bartholomäus verweist wiederum auf die vieldiskutierte Szene in Michelangelos Jüngstem Gericht, wo uns aus den leeren Augen der abgezogenen Märtyrerhaut Michelangelos Selbstporträt entgegenblickt. 31 Über den Umweg des Motivs der abgezogenen Haut kann Michelangelos Gedicht aber eine innige Männerfreundschaft - die zwischen David und Jonathan - aufrufen. Das bedeutet, dass die spirituelle und die homoerotische Ebene hier keineswegs nebeneinander (oder gegeneinander) stehen, sondern eng miteinander verwoben sind. Der erwünschte Liebestod, die Verwandlung in eine tote Haut, würde es dem Ich erlauben, seinen ‘Zustand’ zu verändern - in Michelangelos Lyrik bezeichnet das «cangiar stato» ein ersehntes - und oft unerreichbar scheinendes - Eintreten in einen Gnadenzustand (denn nur wer im Zustand der Gnade stirbt, kann erlöst werden, wie mehrere Gedichte betonen). 29 «Correte al monte a spogliarvi lo scoglio» (Purg. II, 122). Für einen ausführlicheren Kommentar des Passus im Zusammenhang mit dem Motiv der «Haut» vgl. Christine Ott, «La vesta, ch’al gran dì sarà sì chiara: Dante, Michelangelo und das Jüngste Gericht», in: Deutsches Dante-Jahrbuch 2018, S. 3-24. Auch in der fragmentarischen Sestine Sie pur, fuori di mie proprie (Corsaro/ Masi [2016], S. 390) verwendet Michelangelo das Bild der sich häutenden Schlange als ein Bild für spirituelle Umkehr und Läuterung. 30 Vgl. Nicole Bériou, «Pellem pro pelle (Job 2, 4). Les sermons pour la fête de saint Barthélémy au XIIIe siècle», in: Micrologus: La pelle umana/ The human skin XIII (2005), S. 267-284, S. 271. 31 Zu den hilfreichsten der äußerst kontroversen Deutungen gehören m.E. Victor Stoichita («Michelangelos Haut», in: Hans-Georg von Arburg u.a. [Hrsg.], Mehr als Schein. Ästhetik der Oberfläche in Film, Kunst, Literatur und Theater, Zürich/ Berlin: diaphanes 2008, S. 35-51) und Leo Steinbergs provokante, aber dem Irritationspotenzial des Freskos Rechnung tragende Lektüre («A corner of the Last Judgement», in: Daedalus 109, 2 [1980], S. 207-217, 221-273). Italienisch_80.indb 23 01.03.19 12: 09 24 Michelangelos Handschuh Christine Ott Lässt sich in Strophe 2 folglich eine Überlagerung von religiöser und erotischer Ebene feststellen - tatsächlich kann «signor» ebenso gut Gott bezeichnen wie den Geliebten - so erregen die Terzette den Verdacht eines sexuellen Subtextes. 3.3. Der erotisch-burleske Subtext Die Terzette bilden gemeinsam einen einzigen langen Satz, mit dem das Ich abschließend sein erotisches Begehren ausdrückt. Dieser Wunsch ist aber in einer Weise formuliert, die in der Schwebe lässt, ob das Ich sich (dem Verwandlungsmotiv der Quartette folgend) tatsächlich in die Kleidungsstücke («gonna», «pianelle») des Geliebten verwandeln möchte, oder ob es - den Kleiderfetischismus Petrarcas nachahmend - lediglich die Kleidungsstücke des Du besitzen möchte, gleichsam als Ersatz für den Geliebten. 32 Das Ich wünscht sich, die «struppige Haut» zu besitzen - oder zu sein -, die aus «seinem Haar» - also vermutlich aus dem Faden des «vil bruto» gewebt ist, und so den Stoff für das Gewand («tal gonna») liefert, das glücklich die Brust des Geliebten bedeckt. Einige Kommentatoren sehen in der «irsuta pelle» einen Hinweis darauf, dass es sich wohl eher um ein Felltier handle als eine Seidenraupe. Doch der Verweis auf das Weben des Stoffes («contesta») zeigt, dass Michelangelo zweifellos an eine solche denkt. Wenn die «irsuta pelle» zusätzlich an Tierhaut denken lässt, so ist damit einerseits das Motiv der ‘Sündenhaut’ aufgerufen - ein zentraler Topos der Genesis-Exegese, derzufolge die menschliche Sündhaftigkeit durch jene Tierhäute symbolisiert wird, mit denen Gott Adam und Eva nach dem Sündenfall bekleidete. Eine «irsuta pelle» ist aber auch das gängige Attribut der Satyrn - der Satyr Marsyas indes verkörpert durch sein Schicksal eine weitere Variante des Häutungsmotivs. 33 Ebenso, wie das Ich das Gewand des Du sein (oder besitzen) möchte, möchte es dessen Schuhe sein (oder besitzen). Michelangelo hat unter die letzte Strophe noch einige, teilweise kaum zu entziffernde Varianten hinzugefügt: 32 Das würde dann bedeuten, das nicht das Ich der «vil bruto» ist, sondern der Geliebte, was wiederum das Wortspiel mit «cavaliere» erklären würde; in jedem Fall wird durch diese Ambivalenz und durch den in den Varianten vollzogenen «Rollentausch» eine Austauschbarkeit der Rollen Liebender-Geliebter; Kleid-Körper suggeriert. 33 Zum Fell der Satyrn vgl. Francoise Lavocat, La syrinx au bûcher. Pan et les satyres à la Renaissance et à l’age baroque, Genève: Droz 2005, S. 86. Italienisch_80.indb 24 01.03.19 12: 09 25 Christine Ott Michelangelos Handschuh Abb. 3: Handschrift des Gedichts, Ausschnitt: die Varianten zur letzten Strophe, Casa Buonarroti Unter der Schlussstrophe ch’i’ l’are’ pure il giorno; o le pianelle che fanno a quel di lor basa e colonna, ch’i’ pur ne porterei du’oncie almeno. steht somit: fuss’io che basa a quel fanno o Colonna ch’al piover t’are‘ pure addosso almeno darunter einige unleserliche Wörter, von denen das vorletzte «felice» lauten könnte, dann: fuss’io che fanno a te basa e Colonna che’l dì pur m’aresti o che’l giorno pur m’aresti, o le pianelle Aus dem in dritter Person besprochenen Geliebten ist in den Varianten ein ‘tu’ geworden, das vom Ich unmittelbar angesprochen wird. Dieses Du nimmt zugleich, im Gegensatz zur ersten Version, den ‘aktiven’ Part in der herbeigesehnten liebevollen Umarmung ein. In der ersten Version will das Ich, in Form eines Kleidungsstücks, das Du besitzen; in der zweiten Version wird es vom Du ‘besessen’ - was im Fall der «gonna» keine größeren Verständnisschwierigkeiten aufwirft. Schwieriger zu deuten ist die Variante zum Schlussvers, die Campeggiani liest als: «c’al piover t’are’ pure addosso almeno». Wenn ich deine Schuhe wäre, besagt das Ich, dann würdest du dich wenigstens bei Regen an mich schmiegen - es wäre also der Fuß des Du, der Italienisch_80.indb 25 01.03.19 12: 09 26 Michelangelos Handschuh Christine Ott sich beim Regen an die nassen Schuhe schmiegt (und nicht umgekehrt, wie es eigentlich plausibler wäre). Deutlich wird jedenfalls, wie Campeggiani zu Recht bemerkt, die Imagination eines engen Hautkontakts. 34 Wenn das Du in den Varianten eine ‘aktivere’ Rolle einnimmt, so rückt es (noch) ein wenig mehr von der unnahbaren petrarkistischen Geliebten ab; eine reziproke Liebe wird angedeutet. Auf die Problematik der Entzifferung des Schlussverses wurde bereits hingewiesen. Angenommen, die von Frey und Girardi vorgeschlagene Lesart («duo nevi») sei plausibel, bleibt immer noch die Frage, was das Ich (als Schuh des Geliebten) nun genau ‘tragen’ möchte («ne porterei»). Eine etwas abenteuerliche Lesart meint, es handle sich bei diesen «duo nevi» um die schneeweißen Hinterbacken des Angebeteten. 35 Dagegen liest Ida Campeggiani das «portare» im Sinne von ‘beitragen’. So wie das Ich in der ersten Strophe den Stoff für die Handschuhe des Du liefern möchte, möchte es nun wenigstens zwei Unzen zu dem Stoff beitragen, aus dem die Pantoffeln des Du gewebt sind. Bedenkt man aber, dass den Schuhen eine stützende Funktion zugeschrieben wird (sie sind «basa» und «colonna» für «quel», also für den Geliebten), 36 so scheint es plausibler, den letzten Vers so zu verstehen, dass das Ich - zum Schuh geworden - wenigstens zwei Unzen der Last des Geliebten tragen möchte. Die Evokation der Schuhe verleiht den Schlussversen eine Note des Alltäglichen, wenn nicht gar des Komisch-Burlesken. Doch die burleske Lesart schließt, ebenso wie die erotische, die spirituelle mitnichten aus. Ein neuer Blick auf das Gedicht zeigt zudem, dass diese beiden Ebenen kei- 34 Für die folgenden Verweise auf Campeggiani vgl. Ida Campeggiani, Le varianti della poesia di Michelangelo. Scrivere per via di porre, Lucca: Pacini Fazzi 2012, S. 23-29. 35 Frey vermutet in «duo neie» (für «duo nevi») eine Anspielung auf die weiße Haut des Liebesobjekts; davon ausgehend vermutet er dann, dass «neie» für «Oberschenkel, Backen (? )» gebraucht sein muss, «dann würden wenigstens le pianelle als basa e colonna besser am Platz sein» (Frey (1897), S. 346). Dies veranlasst dann wiederum den Michelangelo-Übersetzer Michael Engelhard dazu, «neie» kurzerhand mit Po- Backen gleichzusetzen. Sein Kommentar: «Die letzte Zeile hält sich an den Wortlaut «neie», was (Po-)Backen heißt. Übersetzer und Herausgeber machen daraus durchweg «nevi», einem ungebräuchlichen Plural von «neve» = Schnee, was dann auch noch als Metapher für «Jahre» herhalten muß und einen überaus schwachen und schwer verständlichen Gedichtschluß ergibt. […] Man sollte aufhören, einen Mann vom Range Michelangelos unter die Glasglocke der Moral besorgter Professorenväter zu stellen» (Michelangelo, Sämtliche Gedichte. Italienisch und deutsch, übersetzt und herausgegeben von Michael Engelhard, Frankfurt/ M.: Insel 1992, S. 408). Schade, dass der Insel- Verlag für eine solche Übersetzung keinen des Italienischen Kundigeren herangezogen hat. 36 Strenggenommen muss sich «quel» auf «seno» beziehen; doch lässt sich bereits das «l’arei» sowohl auf das Besitzen der Brust wie auch des Geliebten beziehen. Italienisch_80.indb 26 01.03.19 12: 09 27 Christine Ott Michelangelos Handschuh neswegs erst ab der zweiten oder dritten Strophe hinzutreten; sie sind von Anfang an im Text angelegt. 4. Die Ambivalenz der Seidenraupe Mit dem Bild der Seidenraupe werden gleich mehrere Diskurselemente sehr unterschiedlicher Provenienz in den Text eingelassen. Das Bild der ihren Faden auswerfenden Seidenraupe wird in einigen Komödien des Cinquecento als obszöne Anspielung auf den sexuellen Akt eingesetzt: Die Raupe heißt dann nicht ‘baco da seta’ oder ‘verme da seta’, sondern dialektal ‘cavaliere’. 37 Daher lesen einige Kommentatoren in dem «vil bruto» eine onomastische Anspielung auf den Namen Cavalieri. 38 Diese Deutungsmöglichkeit lässt dann doch einen deutlichen Bruch mit petrarkistischen Sprachkonventionen aufscheinen - und sie rückt es vielmehr in die Nähe jener burlesken Lyrik, in der sich Michelangelo, das Vorbild Lorenzo de’ Medicis nachahmend, bereits versucht hatte. 39 Zum Kreis der burlesken Dichter (und oft zugleich zur Accademia fiorentina) gehörten u.a. der Maler und Dichter Agnolo Bronzino, Pietro Aretino und Benedetto Varchi. Ihre Dichtungen gaben in der Regel vor, einfache Alltagsgegenstände zu rühmen, die jedoch, einem extrem codierten Sprachgebrauch folgend, auf Sexuelles verwiesen. 40 Im vorliegenden Gedicht könnten insbesondere die «pianelle» (neben dem «cavaliere») eine mögliche sexuelle Anspielung enthalten. 41 37 Campeggiani (2012), S. 28. 38 Eine ähnliche erotisch-onomastische Anspielung darf man in dem Sonettfragment Chi di notte cavalca vermuten. 39 Wie Ida Campeggiani gezeigt hat (Campeggiani [2012], S. 143-147), ist Bernis Lob auf Michelangelo recht ambivalent; auch seine Darstellung Michelangelos als Platoniker (womit ohnehin wohl mehr auf seine Männerliebe angespielt wird) und Antipetrarkist ist nicht vollends ernst zu nehmen. Jedenfalls bezeugt das Gedicht, ebenso wie Michelangelos Antwort darauf, dass dieser dem Kreis der burlesken Dichter nahestand (beide Gedichte in Corsaro/ Masi [2016], S. 276-281). 40 Zu den verschiedenen Codierungsmöglichkeiten vgl. die monumentale Arbeit von Jean Toscan, Le carnaval du langage. Le lexique érotique des poètes de l’equivoque de Burchiello a Marino (XVe-XVIIe siècles), Presses universitaires de Lille 1981, 4 Bde. Zu Bronzino vgl. Deborah Parker, Bronzino. Renaissance painter as a poet, Cambridge University Press 2000, S. 20. Als Beispiele nennt Parker u.a. Bronzinos Gedichte Del pennello, La padella, Della cipolla. 41 Toscan zufolge ist «pianelle» in der burlesken Lyrik ein Codewort für den Anus, während «andare in pianelle» den sexuellen Verkehr «contre nature» bezeichne (Toscan, Bd. III, S. 1321, 1344 f.). Auch wenn Toscans Arbeit Gefahr läuft, überall sexuelle Codewörter zu entdecken, sind die durch sein Werk eröffneten Interpretationsmöglichkeiten doch bedenkenswert. Italienisch_80.indb 27 01.03.19 12: 09 28 Michelangelos Handschuh Christine Ott Die «Häutung» der Seidenraupe wäre demnach eine verschlüsselte Evokation der Ejakulation - dafür könnte auch die Variante «dolce doglia» (statt «pena e doglia») sprechen, die Michelangelo neben den Text gesetzt hat. Die Möglichkeit, «vil bruto» als Anspielung auf Cavalieri zu lesen, ist zunächst einmal verwirrend, weil man die Seidenraupe dann nicht nur als eine Identifikationsfigur des lyrischen Ich, sondern auch als alter ego des realen Adressaten des Gedichts lesen müsste. Dies würde freilich den üblichen rhetorischen Unterwerfungsgesten, die Michelangelo sowohl in seinen Briefen als auch in seinen Gedichten an Cavalieri verwendet, widersprechen. Frappierend ist insbesondere die übertriebene Demut, mit der er diesem seine Zeichnungen offeriert (Zeichnungen, um die ihn andere vergebens baten): Wenn es darunter etwas gebe, das Tommaso gefalle, sei dies weniger der Qualität von Michelangelos Arbeiten als vielmehr ihrem Glück geschuldet, schreibt Michelangelo. 42 Falls die als «vil bruto» - als niedriges, nicht vernunftbegabtes Tier - benannte Seidenraupe also tatsächlich zugleich den Liebenden wie auch den Geliebten des Gedichts bezeichnet, käme die rhetorische Strategie des Gedichts einem ambivalenten Gestus der Selbsterniedrigung und Selbstüberhebung gleich. Doch die schon angezeigte Austauschbarkeit der Rollen von Ich und Du, die es möglich machte, das Ich simultan als das Du bekleidendes und von diesem bekleidetes zu sehen, macht genau diese Lesart plausibel. Wie Ida Campeggiani gezeigt hat, liegt die Besonderheit von Michelangelos Textproduktion gerade darin, dass sie vielfältige, bisweilen auch konträre Lesarten gleichberechtigt nebeneinander stehen lässt. Angesichts der erotischen Konnotationen ließe sich nun die von William Kennedy sehr treffend herausgearbeitete Austauschbarkeit der ‘aktiven’ und ‘passiven’ Rolle von Ich und Du - ganz im Sinne Saslows - als ein Wunsch nach Subversion der im Florenz des Cinquecento geltenden (homo-) sexuellen Rollenmuster verstehen. 43 Ein wenig zu weit geht Kennedy allerdings, wenn er in der Konfusion der Identitäten von Ich und Du sowie der entsprechenden Konfusion von aktivem und passivem Liebespartner das 42 «E se […] avien che alcuna ne facci, come desidero, che a•llei piaccia, la chiamerò molto più avventurata che buona.» («Michelangelo in Roma a Tommaso de’ Cavalieri in Roma, 1.1.1533», in: Filippo Tuena (Hrsg.), La passione dell’error mio. Il carteggio di Michelangelo. Lettere scelte 1534-1564, Roma: Fazi 2002, S. 10). 43 Wie Rocke herausgearbeitet hat, folgen die homosexuellen Praktiken im Florenz des Cinquecento streng dem Muster der platonischen Knabenliebe, in dem dem Älteren stets nur der aktive, dem Jüngeren der passive Part zukommt. Ein Verstoß gegen diese Konvention wurde entsprechend streng geahndet und als besonders ‘unnatürlich’ angesehen. Italienisch_80.indb 28 01.03.19 12: 09 29 Christine Ott Michelangelos Handschuh Resultat einer Freud’schen Verdrängung sieht. 44 Darüber hinaus darf man auch nicht vergessen, dass Michelangelo in seinen an weibliche lyrische Dus gerichteten Gedichten das lyrische Ich oftmals eine ähnlich ‘passiv’-unterwürfige Rolle einnehmen lässt, wie es hier (teilweise) der Fall zu sein scheint. Der burleske Code verstärkt die auch in den Petrarca-Reprisen angedeuteten erotischen Anspielungen. Zugleich hebt er das, was der petrarkistische Code behauptet, zumindest ein Stück weit auf: Die Liebe des lyrischen Ich ist keine Verzicht- und Schmerzliebe, sondern eine erwiderte Leidenschaft. Entwirft sich das lyrische Subjekt im petrarkistischen Code als ein verzichtendes, so affirmiert es im burlesken Code den Genuss einer erwiderten Liebe. Der burleske Code entwertet jedoch den spirituellen Subtext des Gedichts nicht; er wird diesem nur hinzugefügt. 5. Faden und Stoff: die metapoetische Ebene Um weitere Sinnebenen des Textes zu erschließen, lohnt sich ein Blick auf die literarische Geschichte der Seidenraupe, für die eine Studie von Cristina Ubaldini erste Bausteine liefert. 45 Die Seidenraupe nimmt im allegorischen Bestiarium der frühen Neuzeit einen weniger prominenten Platz ein als der Schmetterling, die Zikade oder die Biene. Dabei bieten sich doch die zahlreichen Metamorphosen, die sie im Laufe ihrer Existenz durchmacht - sie häutet sich viermal, bevor sie sich in ihren Kokon einspinnt und zum Schmetterling wird - hervorragend für eine theologische Lektüre an (etwa als Figur des auferstandenen Christus oder der Befreiung der Seele aus dem Gefängnis des Körpers). Wie schon erwähnt, bleibt den realen Zuchtraupen eine solche Auferstehung aus menschlicher Profitgier verwehrt: Um den kostbaren Spinnfaden zu gewinnen, werden die eingepuppten Tiere in kochendem Wasser getötet. Einen ersten literarischen Auftritt hat die Seidenraupe in Dantes Commedia - die für Michelangelo entscheidende Stelle und ihr Kommentar durch Landino wurden bereits besprochen. In Petrarcas Familiares (I, 8) wird sie als metapoetisches Motiv eingesetzt. Ihre Art der Produktion - sie spinnt die 44 Diese Verdrängung wird Kennedy zufolge deutlich in der «gonna», der die Rolle zukomme, die Genitalien und somit die «phallic identity» des Geliebten zu verbergen (Kennedy [1991], S. 63 f.). Kennedy liest das Gedicht wie das Psychogramm eines Bewusstwerdungsprozesses: Über die Reminiszenz an Petrarcas Handschuh-Fetisch, der schon bei diesem ein zuerst «verdrängtes» körperliches Begehren anzeige, sei sich Michelangelo seines Begehrens gegenüber Cavalieri erst voll bewusst geworden. 45 Vgl. zum Folgenden Cristina Ubaldini, «Le trasformazioni del verme setaiuolo. Creazione poetica e parodia divina nei sonetti di Giacomo Lubrano», in: Romanische Forschungen 124 (2012), S. 199-221. Italienisch_80.indb 29 01.03.19 12: 09 30 Michelangelos Handschuh Christine Ott Seide ganz aus sich selbst heraus («ex visceribus sericum produit») - wird von Petrarca jener der Bienen, die ihren Honig überall sammeln («passim sparsa colligere») entgegensetzt. 46 Nun hat Michelangelo, des Lateinischen kaum mächtig, die Familiares wohl eher nicht gelesen; dennoch ist es gut möglich, dass er diesen im Cinquecento weitverbreiteten Text oder Auszüge davon kannte. 47 Falls Michelangelo den Passus kannte, könnte er mit dem Bild des «vil bruto» auch eine metapoetische Aussage in sein Gedicht eingewebt haben. Zumindest hat er das Bildfeld des Stoffes später, in einem Brief an seinen Freund Luigi del Riccio, in metatextuellem Sinn verwendet. Darin verteidigt er die eigene Art zu Dichten gegenüber der seines Freundes Donato Giannotti, indem er sie mit einem einfachen, aber neuwertigen Tuch vergleicht. Dieses ziehe er jenen Kleidern vor, die aus Seide und Gold gemacht, aber gebraucht seien. Der einfache Stoff wird so implizit zum Zeichen der eigenen dichterischen Originalität. «Il sonetto di messer Donato mi par bello quante cosa fatta a’ tempi nostri; ma perch’io ò cattivo gusto, non posso far manco stima d’un panno fatto di nuovo, benché romagnuolo, che delle veste usate di seta e d’oro che faren parer bello un uom da sarti.» 48 «Messer Donatos Sonett scheint mir so schön, wie es die Dinge sind, die man heutzutage schreibt; weil mein Geschmack aber ein schlechter ist, kann ich einen groben, aber neuen Stoff nicht weniger wertschätzen als gebrauchte Kleider aus Seide und Gold, die einer Schneiderpuppe gut stünden.» Das Bild der Seidenraupe erweist sich derart als überaus vielschichtig. Wie schon angedeutet, bietet Michelangelo durch die Insistenz auf dem Tod der 46 «Rühmlicher wäre es nämlich, nicht nach Art der Bienen weit und breit Zerstreutes zu sammeln, sondern nach dem Beispiel eines Wurmes, der kaum größer ist und in seinem Gedärm einen Saft erzeugt, ein eigenes Wissen und eine eigene Sprechweise aus sich selber zu schöpfen.» (Petrarca, Familiaria. Bücher der Vertraulichkeiten, Bd. I, Buch 1-12, hrsg. von Berthe Widmer, Berlin/ New York 2005, S. 42). Stackelberg verweist auf diese Gegenüberstellung nur en passant (Jürgen v. Stackelberg, «Das Bienengleichnis: ein Beitrag zur Geschichte der literarischen ‹Imitatio›», in: Romanische Forschungen 68, 3/ 4 (1956), S. 271-293, hier S. 283); freilich deutet Petrarca diese «alternative» Produktionsweise auch nur kurz an, um dann zu den Bienen zurückzukehren. 47 Etwa durch die Lektüre mit Freunden. Für den Hinweis danke ich Luca D’Onghia. 48 Brief an Luigi del Riccio, Februar (? ) 1544, in: Corsaro/ Masi (2016), S. 685. Übers. Christine Ott. Italienisch_80.indb 30 01.03.19 12: 09 31 Christine Ott Michelangelos Handschuh Seidenraupe, der erst zu wahrem Leben führe, zuallererst eine christliche oder neuplatonische Lesart der Metapher an. Gleichzeitig aber stirbt dieser Seidenwurm, um die Hand eines reichen Patriziers zu bekleiden: Die religiöse Semantik wird von der Semantik merkantiler Ausbeutung überlagert. Schließlich ist auch ein erotischer Subtext nicht auszuschließen. Überdies lässt sich der Seidenraupen-Kokon - denkt man an die metapoetische Bedeutung, die Petrarca ihm gab - auch als Produkt eines Künstlers auffassen. In dem bereits zitierten Brief an Cavalieri schreibt Michelangelo, er hätte sich «nicht geboren» («non nato») oder «totgeboren» gefühlt, hätte ihm dieser nicht zu verstehen gegeben, dass er seine Zeichnungen gerne annehme. 49 Die Geburtsmetaphorik des Briefs lässt sich auf den neuplatonischen Topos zurückführen, demzufolge der Liebende nur im Herzen des Geliebten wirklich leben kann. Aber auch die in dem etwa zwei Jahre später verfassten Gedicht auftretende Formulierung «e sol per morte si può dir ben nato» hat Teil an diesem Vorstellungskreis - sie kann den Tod des Körpers als Voraussetzung der Geburt der Seele (im Jenseits) bedeuten, aber auch das neue Leben des Liebenden im Herzen des Geliebten. Als Mittler einer solchen Geburt, die den ‘non nato’ zum ‘ben nato’ macht, fungieren aber, wie Michelangelos Brief zu verstehen gibt, die Zeichnungen, die Geschenke des Künstlers an seinen Geliebten. Entsprechend möchte ich die These vertreten, dass die Hülle des Seidenwurms hier auch ein Bild für jene Produkte ist, die der Künstler, «con pena e doglia», ganz aus sich selbst heraus schafft. Der erotische Wunsch, dem geliebten Du nahe zu sein, wird also in ein vieldeutiges Bild übersetzt, wird zugleich als christlich-neuplatonischer Wunsch nach dem wahren Leben in der Transzendenz, als ‘demütiger’ Wunsch, zum Gebrauchsgegenstand für den geliebten ‘signore’ zu werden und schließlich als künstlerischer Wunsch, dem Geliebten die eigenen Kunstwerke gleichsam als organische Fortsätze des eigenen Selbst zu schenken, präsentiert. Schluss: Das Gedicht als Gabe Michelangelos Text ist von einer Vielfalt poetischer Reminiszenzen durchwoben, die sich in ihrer Heterogenität zu einem struppigen Knäuel von potenziellen Bedeutungen verknoten. Zwar lässt sich das gesamte Gedicht mühelos als eine re-écriture von Petrarcas Handschuh-Fetischismus lesen. Zugleich evozieren die ersten beiden Strophen jedoch christlich-danteske und neuplatonische Vorstellungen liebender Selbstentäußerung - deren Deutung 49 «Michelangelo in Roma a Tommaso de’ Cavalieri in Roma, 1.1.1533», in: Filippo Tuena (Hrsg.), La passione dell’error mio. Il carteggio di Michelangelo. Lettere scelte 1534-1564, Roma: Fazi 2002, S. 10. Italienisch_80.indb 31 01.03.19 12: 09 32 Michelangelos Handschuh Christine Ott allerdings dadurch an Komplexität gewinnt, dass diese Selbstentäußerung zugleich als eine künstlerisch-produktive Geste lesbar wird. Dass diese in den demütigen Wunsch mündet, zu einem Gebrauchsgegenstand (Handschuh, Schuhe) für das Du zu werden, muss nicht verwundern. Denn Michelangelos liebendes Ich identifiziert sich oft mit einfachen Gegenständen und Materialien. So setzt es sich in dem vermutlich Vittoria Colonna gewidmeten Madrigal Non pur d’argento o d’oro mit einer leeren Tonform gleich, die als Modell für aus Metall gegossene Statuen fungiert. Künstlerische Prozesse dienen dabei meist gleichzeitig dazu, die Liebe zu einem lyrischen Du und ein Streben nach spiritueller Läuterung auszudrücken. Die Liebe des Ich zum Du, die zugleich eine künstlerische Tätigkeit impliziert, wird in D’altrui pietoso als ein Akt der Metamorphose und Häutung, der extremen Selbstentäußerung, der schenkenden Selbstaufgabe dargestellt. Die neue Kunstkonzeption, die sich in dem Bild der Seidenraupe darstellt, lässt sich, mit Bezug auf eine Studie von Alexander Nagel, als ein im Geist des Evangelismo geborenes Konzept fassen. Der Evangelismo war eine mit reformatorischem Gedankengut sympathisierende Bewegung italienischer Kirchenmänner und Intellektueller. Nagel hat nun gezeigt, wie Michelangelo und Colonna in ihrer aus Briefen, Gedichten und Zeichnungen bestehenden ‘Korrespondenz’ ein auf der paulinischen Gnadenlehre basierendes Kunstkonzept entwickeln, das das künstlerische Schaffen implizit als eine elitäre, dem mäzenatischen Mechanismus des Tausches enthobene Tätigkeit konzipiert. Michelangelo tut dies, indem er seine Gedichte und Zeichnungen als Geschenke definiert, die keine Gegengabe erwarten. 50 Wird die Seidenraupe bei Michelangelo zu einer Passionsfigur, so rückt auch der Künstler in die Nähe des sich selbst schenkenden und entäußernden Christus. Ziel des vorliegenden Beitrags war es einerseits zu zeigen, dass die Brisanz von Michelangelos Lyrik nicht in der Versprachlichung eines ‘prämodernen homosexuellen Bewusstseins’ oder entsprechender Freud’scher Theoreme liegt. Es ist vielmehr die kühne Mischung gegensätzlicher lyrischer Register, die das eigentliche Interesse nicht nur dieses Gedichtes aus den 50 Alexander Nagel, «Gifts for Michelangelo and Vittoria Colonna», in: The Art Bulletin 79, 4 (Dec. 1997), S. 647-668, außerdem Una Roman D’Elia, «Drawing Christ’s Blood: Michelangelo, Vittoria Colonna, and the Aesthetics of Reform», in: Renaissance Quarterly 59, 1 (Spring 2006), S. 90-129. Die Idee der Kunst als eines Geschenks findet sich in Per esser manco, alta signora, indegno; die im Vergleich zur technischen Kunstfertigkeit höhere Bedeutung der göttlichen Gnade im (liebes-)künstlerischen Prozess deutet sich an in Se ben concetto ha la divina parte. Der Gedanke der «grazia», die die Frau dem Du zuteil werden lässt, rekurriert z.B. in Non posso non mancar d’ingegno o d’arte; Non men gran grazia, donna, che gran doglia; Tanto sopra me stesso; S’alcun legato è pur dal piacer molto. Italienisch_80.indb 32 01.03.19 12: 09 3 3 Christine Ott Michelangelos Handschuh Rime ausmacht. Andererseits ging es darum, in der Interpretation des Sonetts der Vielfalt der Motive und Codes gerecht zu werden, die sich hier kreuzen. Petrarkistischer Fetischismus, neuplatonische Seelenfreundschaft und Seelenwanderung, christlich-danteske Läuterungsmotivik, erotisch-burlesker Code und die scheinbar abwertende Selbstdarstellung des Künstlers als Seidenraupe: Alle diese Motive fließen zusammen im Motiv des seidenen Handschuhs. Die Verknotung heterogener Codes bringt den literarischen Entwurf eines ‘verknoteten’ Subjekts hervor: keine autobiographisch-dokumentarische Darstellung zwar, aber doch eine Selbstreflexion des Autors, die kein rein textuelles Artefakt ist. Wie in Palma il Vecchios Männerporträt eröffnen Handschuh und Hand die Perspektive auf eine Innerlichkeit, die man nicht auf eine sexuelle Orientierung des Autors reduzieren sollte, um statt dessen eine komplexe Überlagerung vielfältiger - erotischer, religiöser, künstlerischer - Anliegen und Motive zu erkennen. Abstract. Il presente contributo esamina il sonetto D’altrui pietoso come caso esemplare di una commistione di registri e sistemi lirici eterogenei piuttosto caratteristica della poesia di Michelangelo. Fetiscismo petrarchista, amore neoplatonico, immaginario dantesco della purgazione e dell’ascesa dell’anima e linguaggio burlesco: tutti questi elementi confluiscono nell’immagine di un guanto di seta, che diventa leggibile contemporaneamente come simbolo di un desiderio erotico, di un’ansia spirituale e di un ‘prodotto’ artistico. Summary. The author of this article analyses Michelangelos’s sonnet D’altrui pietoso as an exemplary case of a mixture of registers and heterogeneous poetical systems, typical of his poetry. Petrarchan fetishism, neoplatonic love, dantesque imagery of Purgatory and of the ascension of the soul, and a burlesque language: all these elements come together in the image of a silk glove, which is interpreted as a symbol of erotic desire, of spiritual concern and as a ‘product’ of art at the same time. Bibliographie M. Buonarroti: Rime e lettere, a cura di Antonio Corsaro e Giorgio Masi, Milano: Bompiani/ Rizzoli 2016. D. Alighieri: La Commedia/ Die göttliche Komödie II, Purgatorio/ Läuterungsberg, übers. und komm. von Hartmut Köhler, Stuttgart: Reclam 2011. Bériou, Nicole: «Pellem pro pelle (Job 2,4). Les sermons pour la fête de saint Barthélémy au XIIIe siècle», in: Micrologus: La pelle umana/ The human skin XIII (2005), S. 267-284, S. 271. 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Abbildungsnachweise Abb. 1 Palma, Jacopo, il vecchio (Jacopo Nigreti). - Portrait of a Man. Italy, between 1512 and 1515. Oil on canvas, The State Hermitage Museum, St. Petersburg; Photograph © The State Hermitage Museum. Photo by - Leonard Kheifets. Abb. 2: Handschrift des Gedichts, Casa Buonarroti, Florenz (eigenes Foto). Abb. 3: Handschrift des Gedichts, Ausschnitt: die Varianten zur letzten Strophe, Casa Buonarroti, Florenz (eigenes Foto). Dem State Hermitage Museum in St. Petersburg und der Fondazione Buonarroti in Florenz danke ich für die freundliche Abdruckgenehmigung. Italienisch_80.indb 36 01.03.19 12: 09