eJournals lendemains 34/134-135

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2009
34134-135

C. Goldenstedt: Les femmes dans la Résistance

2009
Helga Bories-Sawala
ldm34134-1350298
298 CHRISTIANE GOLDENSTEDT: LES FEMMES DANS LA RESISTANCE. HERBOLZ- HEIM, CENTAURUS, 2006. 246 S. Die intellektuelle Redlichkeit gebietet es, offen zu legen, warum mich die nunmehr erschienene Dissertation von Christiane Goldenstedt besonders neugierig macht. Sie hatte mir vor vielen Jahren ein erstes Projekt dazu vorgelegt. Das Thema „Frauen im Widerstand“, wenngleich nicht ganz originell, und die Doktorandin, die nicht aus dem ungestörten Forscherstübchen, sondern neben Familie und Schule promovieren wollte, nahmen mich für das Projekt durchaus ein. Um sie guten Gewissens zu betreuen, bat ich sie jedoch, ihren affirmativen Zugang zu ihrem Gegenstand zu überdenken, mehr kritische Distanz zu gewinnen und eine deutlich erkennbare innovative Fragestellung zu entwickeln. Es kam darüber nicht zu einer gemeinsamen Basis. Dass sie die Dissertation allen Hindernissen zum Trotz nun doch erfolgreich abgeschlossen, verteidigt und publiziert hat, verdient Anerkennung. Goldenstedt hat für ihre Untersuchung 36 noch lebende (daher damals recht junge) Frauen befragt, die auf verschiedene Weise in der französischen Résistance aktiv waren, überwiegend Französinnen, aber auch Belgierinnen und eine Deutsche. Nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgte, bzw. wie der Kontakt zustande kam, bleibt etwas unklar. Eins der erklärten Ziele der Arbeit, nämlich „einige Widerstandskämpferinnen ausführlicher zu Wort kommen zu lassen“ ist aber durchaus eingelöst. Die mittels eines Fragenkatalogs, an den sich die Zeitzeuginnen mehr oder weniger hielten, gewonnenen schriftlichen Aussagen berühren unterschiedliche Dimensionen wie die Motive, sich zu engagieren, das politische Bewusstsein, die Aktionen selbst, die Erfahrung der Deportation ins KZ Ravensbrück, das sechs der Befragten überlebten, und schließlich die identitätsbildende Wirkung der Résistance-Erfahrung. Auch wenn der Fragebogen reichlich Suggestivfragen und sprachliche Ungeschicklichkeiten enthält, z.B: „14. Important: a) „Qui vous a réquisitionnée pour la Résistance? , (un homme, une femme? etc.)“ - Marie Chombart de Lauwe protestiert dann auch gegen die Formulierung, was der Autorin offenbar entgeht (58) -, haben die Zeitzeuginnen überwiegend bereitwillig geantwortet und so kommt eine Fülle von Einzel-Statements zustande, die man so nicht in Archiven findet. Entscheidend Neues lässt sich indes nicht erfahren. Die Frauen berichten, dass sie von humanitären, patriotischen und teils auch politischen Motiven geleitet wurden, die sie oft mit der Familie und dem Freundeskreis teilten, erzählen von den vielfältigen Aufgaben, die sie wahrgenommen haben, sind stolz auf ihre Leistung, aber im Ton bescheiden. Im Detail unterlaufen der Autorin gelegentlich Missverständnisse und Fehlinterpretationen, z.B. wenn sie einen Widerspruch zwischen denen konstruiert, die sich hasserfüllt gegenüber dem Vichy-Regime äußern und denen, die zu bedenken geben, dass die Bevölkerung 1940 mehrheitlich zunächst erleichtert war und Pétain vertraute (71). Folgenreicher sind die methodischen Entscheidungen, die dazu führen, dass Goldenstedt weitgehend nur erfährt, was sie erwartet: die Widerstandskämpferinnen hassten die Besatzer, nahmen mutig die Gefahren auf sich, standen in selbstloser Solidarität füreinander ein, ja betrachteten die Résistance als Familie, ertrugen tapfer die Repression. Die Entscheidung für schriftliche Fragebögen statt mündlicher Interviews bedeutet eben auch, Texte zu erhalten, die völlig der Eigen-Logik der jeweiligen 299 Autorin verhaftet sind. Die Historikern begibt sich der Möglichkeit nachzufragen, vielleicht verschüttete Erinnerungsschichten freizulegen, kurz: es entsteht keine Neugier über die sehr schematischen und suggestiven Vorgaben hinaus. Insofern geht auch die sehr knappe theoretische Beschäftigung mit der Frage der Validität von mündlichen Quellen, die mehr nach Pflichtübung klingt, an der Sache vorbei: Goldenstedt befragt ja lediglich schriftlich. Aber auch dann - und davon ist bezeichnenderweise in den Vorüberlegungen nicht die Rede - wäre es doch nötig, quellenkritisch vorzugehen, die Erinnerungsarbeit der Zeitzeuginnen mit den Methoden wissenschaftlicher Geschichtsschreibung zu analysieren. Konkret hätte dies z.B. bedeutet, in den Diskursen die Leitbilder der kollektiven Erinnerung zur individuellen in Bezug zu setzen, die Spuren der inzwischen jahrzehntelangen Einwirkungen des Stellenwerts der Résistance im öffentlichen Bewusstsein auf das Selbstverständnis der Beteiligten herauszuarbeiten, sich dafür zu interessieren, ob und wie die teils vehementen Veränderungen (der Resistentialismus, seine Infragestellung, die Diskussion über Vichy und Kollaboration, die Prozesse gegen Kollaborateure, um nur einige zu nennen) von den Betroffenen wahrgenommen und bewertet wurden. Schlicht in Rechnung zu stellen, dass die Erinnerung von heute aus auf eine Situation zurückblickt, deren Bewertung Gegenstand eines langen und kontroversen Prozesses war. Die Widerstandskämpferinnen kommen zu Wort, aber wie viele Chancen werden vergeben, sie wirklich zu fragen! Haben sie tatsächlich in keinem Moment je gezögert? Gab es nie eine Abwägung? Was hätten sie anders entschieden? Welcher Blick gilt der überwältigenden Mehrheit derjenigen, die zusahen und sich arrangierten? Waren sie alle Kollaborateure? Wie sehen sie die jungen Männer, in den Arbeitsdienst nach Deutschland und nicht in den Maquis gingen? Konnte man sich in einen Feind verlieben? Verdiente man dann, kahl geschoren zu werden? Wie sehen sie die Debatte um die „Kinder der Schande“? Haben tatsächlich Juden in Frankreich nur Solidarität erlebt? War es damals, ist es von heute aus gesehen, völlig unumstritten, Verräter zu liquidieren? War es so selbstverständlich, sich seine Menschlichkeit im KZ zu bewahren? Haben die Résistantes heute nur Umgang mit Menschen, die damals selbst im Widerstand waren? Spielt die eigene Vergangenheit eine Rolle in den alltäglichen Beziehungen, in der eigenen Familie, oder nur im Kreis der Ehemaligen? Haben sie später Bücher gelesen, Filme gesehen? Hat sich die eigene Haltung verändert? Wie steht man heute zu Deutschland, zu Europa? Sieht man die eigene historische Rolle zutreffend gewürdigt? Eine weitere Forderung der Geschichtswissenschaft lässt Goldenstedt unbeachtet, nämlich den Abgleich mit anderen Quellen. Der Feststellung, über den zivilen Widerstand gäbe es in den Archiven nichts zu finden, liegen vermutlich keine eigenen Bemühungen zu Grunde. Auch ein Blick auf „graue“ Literatur, etwa im Selbstverlag erschiene Memoiren, wäre sicher der Mühe wert gewesen. Die Bibliographie enthält nur einige wenige besonders bekannte autobiographische Titel, übrigens ohne Unterscheidung von der Sekundärliteratur, deren Auswahl ihrerseits erstaunt: von Mechthild Gilzmer nur ein Aufsatz statt der grundlegenden Bücher über die Frauen-Internierungslager. Claude Quétel: Femmes dans la guerre (Mémorial de Caen/ Larousse 2004) fehlt ganz, dafür erscheint Ernst Hinrichts (sic): Kleine Geschichte Frankreichs 300 (in einer alten Auflage, wie auch manches andere), sicher verdienstvoll, aber doch in einer so schmalen Liste nicht gerade einschlägig. Die von Goldenstedt gewählte Methode besteht nun schlicht darin, die erhaltenen Texte der Résistantes zu zerlegen, die Aussagen den thematischen Abschnitten zuzuordnen und dort zu zitieren, was oft etwas langatmig wirkt, wenn sich die Zitate fast wörtlich wiederholen. Die Rolle der Autorin beschränkt sich auf einen weitgehend affirmativen Kommentar. Am Schluss jeden Abschnitts werden dann die Aussagen noch einmal zusammengefasst und mit der „historischen Forschung“ verglichen, was soviel heißt, dass die in der Sekundärliteratur vorhandenen Befunde referiert werden. Dabei zeigt sich meist, dass die Untersuchung nichts Neues zutage gebracht hat. Es sei denn, man zieht es an den Haaren herbei, auf die Gefahr hin, sich selbst in Widersprüche zu verwickeln. Ein Beispiel unter mehreren: Goldenstedt schließt aus der zweimaligen Okkurrenz des Wortes „haine“ in den eingereichten Texten, dieser habe ein eigenständiges Motiv für Widerstand dargestellt (Punkt 4.8). Es finde in der Forschung „erstaunlicherweise [...] nur selten eine Berücksichtigung“ (86), während es auf Seite 117 heißt: „Ein Vergleich mit der Forschung ergibt eine weitgehende Übereinstimmung mit meiner Untersuchung. So wird der Hass gegenüber der Besatzungsmacht bestätigt.“ Sehr ausgiebig und mit großem Erstaunen stellt die Autorin Mal um Mal fest, dass die Widerstandskämpferinnen sich nicht als Feministinnen betrachten. Sie standen zwar mutig „ihren Mann“, aber es ging ihnen tatsächlich in erster Linie um den Widerstand gegen die Besatzung, und nicht um die Gleichberechtigung. Die befragten Zeitzeuginnen lassen sich auch durch die Suggestivfrage nach der nouvelle femme (auch auf deutsch immer im klischeeschweren Singular), die die Résistance hervorgebracht hätte, nicht davon abbringen. Was hier eigentlich wundert, ist die Verwunderung der Autorin. Sie liegt auf der gleichen Ebene wie von ihr behauptete Unterbelichtung der Résistance der Frauen durch die historische Forschung - ein Mythos, den Goldenstedt allerdings selbst widerlegt. In den allgemeinen Darstellungen der Résistance, die sie referiert, werden die Frauen sehr wohl neben den Männern an prominenter Stelle erwähnt, und namhafte Historiker-innen haben seit langem auch ihren spezifischen Anteil analysiert, Goldenstedt zitiert ja aus diesen Arbeiten. Eine Forschungslücke, wie sie zu Recht hinsichtlich der Geschichte der Frauen in mancher anderen historischen Periode konstatiert werden kann, hier klaffte sie glücklicherweise gerade nicht! Dennoch hätte man dem Gegenstand neue Seiten abgewinnen können (s.o.). Die Mühe hat sich Goldenstedt leider nicht gemacht. Sie will von den Frauen, die sie befragt, nichts erfahren, was sie nicht schon weiß. Neugier und Interesse werden ersetzt durch eine weitgehend schematische „Auswertung“ der Aussagen einerseits und andererseits durch eine grenzenlose Bewunderung, die sie ihnen entgegen bringt. Die Darstellung wimmelt von Huldigungen mit Ausrufezeichen und sogar im Abschnitt über die Auswertung der Fragebögen lobt sie die „die geistige Größe und die Lebendigkeit dieser beeindruckenden Zeitzeuginnen! “ (52) Und: ja, auch der Titel ist auf seine Weise peinlich, die Identifikation mit dem Gegenstand führt sogar sprachlich den Leser in die Irre: es ist kein französisches Buch. Aber das wäre vielleicht die Aufgabe des Lektors/ der Lektorin gewesen? Helga Bories-Sawala (Bremen)