eJournals lendemains 34/134-135

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2009
34134-135

Captatio malevolentiae. Infame Ich-Erzähler bei Céline und Littell

2009
Martin von Koppenfels
ldm34134-1350252
252 Martin von Koppenfels Captatio malevolentiae. Infame Ich-Erzähler bei Céline und Littell 1 Eigentlich hat mich die Zusammenschau von Blut, Lust und Dämonie, der wir in manchen Kunstwerken begegnen, schon immer geärgert. Mit meinen eigenen Erfahrungen stimmt das mit einem - sagen wir - feierlichen Gepräge versehene Bild eines sozusagen außerordentlichen, im allgemeinen mit der menschlichen Natur nicht zu vereinenden unaufhörlichen Hexensabbats nicht überein. Imre Kertész Meine Damen und Herren, gegen die Schrecken des Anfangens gibt es bekanntlich ein altes Zaubermittel namens captatio benevolentiae. Das war, bevor es zur rhetorischen Floskel wurde, eine durchaus ernste Angelegenheit. In mythischen Zeiten konnte es zum Beispiel darum gehen, aus Rachegöttinnen durch beschwichtigende Anrede Eumeniden, Wohlwollende zu machen. In Zeiten, die darüber aufgeklärt sind, dass Furien nichts als Projektionen des schlechten Gewissens darstellen - und das Gewissen ist immun gegen Rhetorik -, bleibt immerhin noch das kritische Publikum als Adressat, vor dem es sich lohnt, diesen antiken Zauberzirkus aufzuführen. - Wie aber, wenn einem solche Mittel genommen sind, weil man gerade mehr öffentliches Wohlwollen erfahren hat, als man als Wissenschaftler vernünftigerweise erwarten darf? Noch mehr Benevolenz heischen wäre ungesund. Einigermaßen hilflos steht man da. Zum Glück gibt es das eine oder andere Problem, das nach Fortsetzung verlangt. Eines dieser Probleme liegt in der Frage, die man sich gelegentlich anhören muss, wenn man sich mit Autoren wie Flaubert, Céline, Duras oder eben Littell befaßt. Sie lautet: „Warum arbeitest du eigentlich immer über so schreckliche Bücher? “ Es ist die Art Frage, deren Beantwortung man gerne aufschiebt, weil sie unangenehme Erkenntnisse über die eigene Person verheißt. In diesem Fall ist sie auch noch verbunden mit dem vitalen Problem der captatio benevolentiae, denn es handelt sich bei den Texten, um die es hier geht, um solche, die ihre Wirkung jenseits des Benevolenzprinzips entfalten - also jenseits jener Ökonomie des Wohlwollens, der eunoia, die nach Aristoteles’ Rhetorik (1378a) die Basis der Beziehung zwischen Redner und Publikum darstellt. Es geht um Texte, die den Leser mit anderen Reizen zum Lesen verführen als denen der Sympathie. Sie entwerfen Erzählerstimmen, die sich vor dem Leser spreizen, vor ihm paradieren, ihn abstoßen, quälen, erniedrigen, langweilen, abstumpfen, anekeln - und dennoch faszinieren. Damit stellen diese Stimmen die These, dass jedem Akt des Lesens ein Akt der Identifizierung zugrunde liegt, auf eine harte Probe. Besser gesagt: sie machen die 253 abgründige Dimension der Identifizierung erfahrbar. Da dies ein Problem des Leseaktes ist, kann eine Antwort auf die Frage nur auf dem Weg der Lektüre gesucht werden. Dabei geht es unter anderem um eine Veränderung der textuellen Phantasie, die ich anderswo beschrieben habe: um den Übergang von den immunen zu den infamen Erzählern. 1. Littell und Céline Littells Les Bienveillantes, die 2006 erschienenen fiktiven Memoiren des SD-Veteranen und Kriegsverbrechers Max Aue, sind in Deutschland ganz besonders schrill diskutiert worden. Das Echo, das diesem Text aus der deutschen Presse entgegenschlug, war überwiegend ablehnend. Die Kritiker sprachen etwa von einem „sterbenslangweiligen Buch“, von „Ästhetisierung des Grauens“, von „Gewaltpornographie“ (Harald Welzer) und „Voyeurismus“, von einer „Monströsität“ und von „widerwärtigem Kitsch“ (Iris Radisch), sie bezeichneten den Text als „Edelporno“ oder als „Paarung eines Kolportageromans mit einer Historikerbibliothek“ (Jürgen Ritte). 2 Dem gegenüber stand eine begeisterte Minderheit, die einerseits forderte, sich Littells Werk mithilfe eines positiven Begriffs von der Gattung Trivialroman zu nähern (Klaus Theweleit), andererseits aber in dem Buch ein epochales Werk sah, das die erste episch gültige Gestaltung der Täterperspektive liefert. Schon Littells „Entdecker“ Jorge Semprún hatte dem Autor bescheinigt, er habe den Paradigmenwechsel vom persönlichen Zeugnis der überlebenden Opfer zur fiktionalen Gestaltung durch die Nachgeborenen vollzogen und somit den Übergang der Erinnerungslast der Shoah von einer Generation auf die nächste eingeleitet. 3 Ich möchte der Versuchung widerstehen, diese Debatte zu analysieren. Mich interessiert Littells Roman nicht als gesellschaftliches Ereignis, auch nicht als Streitfall einer Ethik der Darstellung („Was darf man wie zeigen? “), sondern als Beispiel, an dem sich ein literarisches Problem verdeutlichen lässt: die seltsame Liebesaffäre zwischen Leser und Text. Weil diese Beziehung eine historische Dimension hat, werde ich Littell in eine bestimmte Tradition des skandalisierenden Erzählens einreihen: die Tradition der „infamen“ Ich-Erzählung. Und weil dieser Erzählertypus in der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts eine gewisse Rolle spielt, möchte ich Littell mit einem prominenten Vorgänger konfrontieren. Sein Roman tritt in eine bemerkenswerte Konstellation mit dem Werk eines Autors, der auf andere Weise Skandal gemacht hat als er - Céline. Céline ist ein Autor, auf den man gerne verzichten würde, der sich aber auf beunruhigende Weise unverzichtbar gemacht hat - als böse Erinnerung, die den Kanon der französischen Literatur heimsucht. Er ist in die Geschichte eingegangen einerseits als Revolutionär der französischen Prosa, andererseits als Nazi-Sympathisant und antisemitischer Hetzer. Julia Kristeva vertrat die Ansicht, Céline liefere eine „Röntgenaufnahme von den ‚Triebgrundlagen’ des Faschismus“. 4 Ähnliches sagt sie von Littell. 5 Eine Strategie zur Abwehr der Heimsuchung namens Céline bestand darin, den Autor in zwei Figuren zu zerlegen: von dem radikalen Roman- 254 cier, der 1932 mit dem Roman Voyage au bout de la nuit Literaturgeschichte schrieb, den antisemitischen Propagandisten abzuspalten, der zwischen 1937 und 1941 mit einer Reihe von Hetzschriften hervortrat. Diese Zerlegung lässt sich literaturwissenschaftlich nicht halten, zu zahlreich sind die stilistischen und motivischen Verbindungen zwischen den Romanen und den sogenannten Pamphleten, bei denen es sich nicht um kurze politische Polemiken handelt, sondern um hybride Texte im Romanformat. Eines dieser Pamphlete, L’école des cadavres, wird in Littells Roman zitiert, 6 und die Wege seines Erzählers Max Aue kreuzen sich des Öfteren mit denen des Autors von Voyage au bout de la nuit. Ein Merkmal des Phänomens Céline ist die Tatsache, dass er Autorperson und Erzähler-Ich systematisch kontaminiert - im Sinne der klassischen Erzähltheorie ein unhygienischer Zustand. Der Künstlername „Céline“ bezeichnet diese Kontamination und nicht etwa eine Person. Daran scheitern die Versuche, den Stilisten Céline von der diskreditierten Privatperson Louis Destouches zu trennen, ihn mittels der Kategorie des autonomen Stils von sich selbst zu erlösen. Céline hat Sorge getragen, dass sich bei der Lektüre seiner Romane ständig die Fratze des Autors vor die Maske des Erzählers drängt, damit beide zu einer Pseudo-Identität verschmelzen. Diese Verschmelzung betrifft beide Seiten: die Ich-Erzählung wird mit autobiographischem Material durchsetzt und die Biographie des Autors mit Mythen, die dann wieder ins Romanwerk eingehen. So ist etwa die Infamie des Rassisten und verurteilten Kollaborateurs in das abstoßende Erzähler-Ich eingegangen, das Céline in seinem Spätwerk, der sogenannten Trilogie allemande entwirft. Diese Trilogie beschreibt die Irrwege des flüchtenden Schriftstellers durch das zusammenbrechende Nazi-Deutschland auf dem Weg ins dänische Exil. Sie bildet einen der wichtigsten literarischen Bezugspunkte für Littell. 7 Ich greife einige der offenen und verdeckten Céline-Zitate auf, die sich bei Littell finden. Gleich zu Beginn spielt die Position des Erzählers Max Aue als Direktor einer Mieder- und Spitzenfabrik auf eine der Obsessionen des diskreditierten Vorgängers an: Im Werk Célines sind Klöppelspitzen eine nostalgische Chiffre, die auf den Beruf seiner Mutter und die verlorene Welt der belle époque zurück weist. Vor allem in der Schilderung des zusammenbrechenden Dritten Reichs kann Littell dem Einfluss von Célines Deutschland-Trilogie nicht entkommen. Das betrifft Hauptthemen wie die Darstellung des Bombenkriegs, aber zum Beispiel auch zwei motivische Details, mit denen der Apokalyptiker Céline markieren möchte, dass die Grenze der menschlichen Sphäre erreicht ist: Im Chaos der Flucht trifft sein Erzähler eine Gruppe geistig behinderter Kinder, die ihm von da an mit katzenartigem Überlebensgeschick folgen. Bei Littell entspricht dem die Begegnung mit einem Trupp verrohter Kindersoldaten, die im Niemandsland zwischen den Fronten versprengte Flüchtlinge massakrieren. Und beide Autoren widmen ihr Schlussbild in auffällig lyrischer Weise den Tieren. 8 Bei Céline, am Ende des Romans Rigodon, handelt es sich um eine Gruppe exotischer Vögel am Strand von Kopenhagen, die aus zerbombten deutschen Tiergärten entflogen sind; bei Littell um die Prozession der überlebenden Tiere im Berliner Zoo, wo er das groteske Finale seines Romans spielen lässt. 255 Ein Leitmotiv von großer struktureller Bedeutung ist ferner die Kopfverletzung des Erzählers. Bei Céline, der sich auch als Privatperson eine im ersten Weltkrieg erlittene Kopfverletzung andichtete, fungiert sie vom Erstling Voyage au bout de la nuit an als Alibi, sowohl im juristischen als auch im narrativen Sinn: Sie motiviert halluzinatorische Einschübe, die die Erzählung zugleich aus der Bahn werfen und gliedern. Ein letztes Mal wird diese Verletzung in Rigodon in Szene gesetzt, wo den Erzähler im bombardierten Hannover ein Ziegelstein trifft. Formale Grundzüge der Deutschland-Trilogie, wie die Inkohärenz der „zerhäckselten Chronik“ und ihre apokalyptische Komik, werden so physiologisch motiviert: A partir de cet instant, je vous préviens, ma chronique est un peu hachée, moi-même là qui ai vécu ce que je vous raconte, je m’y retrouve à peine… je vous parlais de „comics“ vous ne pourriez pas même en „comics“ vous faire une idée de cette rupture, de fil, d’aiguille, et de personnages… du si brutal net événement… tel quel, hélas! ... un de ces empapaoutages que subit plus rien n’exista... et que moi-même là vous racontant, vingtcinq ans plus tard, j’ergote, je m’y retrouve mal… bric et broc! Vous me pardonnerez…9 Littell kopiert diese Strategie direkt, wenn er seinem Erzähler erst in Stalingrad von einem Scharfschützen den Kopf durchlöchern (593) und ihn später in Berlin von einer Druckwelle durch die Luft schleudern lässt (1230), wodurch sich lange delirierende Intermezzi begründen lassen, in denen sich der Protagonist, ähnlich wie der Célines, auf den Weg zu den Toten und den Müttern macht. Wie bei Céline ist ein implizites Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit ein Nebeneffekt dieser Konstruktion. Wie Céline nimmt Littell schließlich musikalische Bauprinzipien für seine Erzählung in Anspruch. „Der Horror ist nichts ohne den Traum und die Musik“ zitiert er den Vorgänger. 10 Und wo dieser seinen letzten Roman nach einem französischen Tanz benennt (Rigodon), betitelt er die Teile des seinen nach den Tanz-Bewegungen einer barocken Suite: Allemande, Courante, Sarabande, Menuet, Air und Gigue. 11 Allerdings - und hier endet die Analogie - beruht die musikalische Prätention bei Céline auf radikaler sprachlicher Innovation, auf der Entwicklung einer am Argot geschulten, hoch stilisierten Aggressionsprosa. Dieser Innovation entspricht bei Littell wenig. Eine Ausnahme bildet die Anreicherung des französischen Textes mit deutschem Militär- und Verwaltungsvokabular. Das Glossar der Nazi-Verwaltungsbegriffe am Ende der Bienveillantes entspricht den Listen mit Argot-Worten und Neologismen am Ende von Célines Romanen. Beides sind Sammlungen von bösen Pretiösen. In diesem Bereich - der epischen Verarbeitung der Nazi-Bürokratie - liegt vielleicht Littells eigentlich literarischer Beitrag. An die diskursive Wucht des tobenden Célineschen Erzählers kann er dagegen nicht anschließen. Wie um dies zu kompensieren, leitet er einen Strom von Exkrementen und Erbrochenem durch sein Buch. Auf inhaltlicher Ebene ist dies ein hysterisches Symptom, nämlich die Konversion ausgefallener Gefühle (Mitleid, Schuldgefühl) in Eingeweidekrämpfe. Auf der Ebene der Romanpoetik wird dadurch Célines Stil der musikalischen Verkettung böser Worte ins Körperliche zurück transformiert. An die Stelle von Obszönität und Beleidigung tritt wieder deren frühkindlicher Ursprung: das Exkrement. 256 Eine Littell-Lektüre, die die Bezüge auf Céline hervorhebt, greift nur eine unter vielen Referenzen heraus. Wollte man diesen gerecht werden, so wäre dringend auch von Littells amerikanischen Hintergründen zu sprechen: von den ironischen Erzählerposen Nabokovs, der Konfessionsprosa der beat poets (die ihrerseits Céline-Leser waren) und von den seriellen Gewaltexzessen eines Bret Easton Ellis. Die Célinesche Optik ermöglicht aber auf jeden Fall einen privilegierten Blick auf das Phänomen, das hier in Frage steht: die Figur des infamen Erzählers. Diese bildet den Schlüssel zu Littells Perspektive und damit zu einem entscheidenden Aspekt seines Werks, dessen Provokationen im Wesentlichen perspektivischer Art sind. Es ist die das Buch organisierende erste Person Singular, ihr spezifischer Blick, ihre spezifische Stimme, die ihm den Vorwurf der Gewaltpornographie eingetragen haben. Diese Person, die in ihrer mechanischen Ichhaftigkeit gelegentlich an die Optik von ego shooters erinnert, ist die Maschine, mit deren Hilfe Littell das bedrohliche Korpus der Forschung zur Judenvernichtung und zum Krieg im Osten gleichsam animiert, mit deren Hilfe er die Archive mobilisiert hat. 12 Striche man diese erste Person weg, würde sich der ganze Spuk in einen - allerdings gewaltigen - Haufen Dokumente zurückverwandeln. (Die Naht, an der Ich-Erzählung und Geschichtsschreibung aneinander stoßen, tritt im Text allerdings auch so deutlich hervor. An ihr wuchert der didaktische Ton: Zahlreiche Erlebnisse Max Aues geben Anlaß zu einer under cover-Geschichtsstunde. Wenn die Kollegen vom Sonderkommando 4a beschrieben werden, ist Gelegenheit für einen kleinen Exkurs zur Soziologie der ordinary german men; angesichts des ersten Leichenbergs zitiert man Platos Staat über die morbide Schaulust des Leontios; wenn man nach einem Bombenangriff durch Berlin schlendert, trifft man zufällig Albert Speer, der die Gelegenheit nutzt, um die Zweckallianz von Flächenbombardement und Nazi-Stadtplanung zu erläutern.) - Striche man die erste Person Singular, dann würden auch die beiden Stränge des Romans, nämlich die Memoiren eines Nazi-Kriegsverbrechers und der Familienroman eines psychotischen Muttermörders, gänzlich auseinanderfallen. Mit anderen Worten, an dieser ersten Person hängt Littells ehrgeizigster Anspruch: der Anspruch darauf, die Erzählung von der Katastrophe des 20. Jahrhunderts wieder mit dem Tragischen in Verbindung zu bringen - genauer gesagt, mit dem Atridenmythos, noch genauer gesagt, mit der Orestie, aus deren drittem Teil die Eumeniden, die befriedeten Rachegöttinnen, in den Titel seines Romans eingewandert sind. 2. Zeugenschaft und Paranoia Wie lässt sich die Figur des infamen Erzählers historisch situieren? Die Gegenstände, an denen Erzähler wie Céline und Littell sich versuchen, sind kollektive Traumata. Traumatische Ereignisse stellen aber die Erinnerung und damit auch das Erzählen vor besondere Schwierigkeiten. Unter anderem beeinträchtigen sie die emotionale Gestaltung der Erzählung: die „Abspaltung“ bedrohlich großer Affektbeträge gehört zum Begriff traumatischer Erfahrung. Für das Erzählen heißt 257 dies, dass jene exemplarische Gestaltung von Leiden, die die traditionelle Poetik Pathos nannte, angesichts solcher Ereignisse nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Sie scheinen von dem, der sie erzählen will, irgendeine Form der Immunisierung zu verlangen. Eine Tendenz zum distanzierten und „kalten“ Bericht oder zu anderen Formen verschobener Emotionalität ist fast unweigerlich die Folge. Nun werden kalte und distanzierte Erzähler vom Leser in der Regel negativ besetzt. Die fehlende Einfühlung wird ihnen als moralisches Manko angerechnet. Es genügt in diesem Zusammenhang, an die Empörung zu erinnern, die Flaubert nach der Veröffentlichung von Madame Bovary entgegenschlug. Der unpersönliche Erzählstil, den er eingeführt hatte, wurde vom Publikum gestisch aufgefaßt als grausame Vivisektion seiner Figur. 13 - Es gibt allerdings Ausnahmen von dieser Regel: Gegenstände, an denen Einfühlung und Pathos objektiv scheitern und deshalb auch intuitiv als falsch wahrgenommen werden. Bei solchen Gegenständen wirkt gerade ein distanzierter Erzählstil emotional stimmig. Schon 1961 beobachtete George Steiner dies an den Berichten der Opfer nationalsozialistischer Vernichtungspolitik. In seinem Essay The Death of Tragedy brachte er seine Beobachtung mit dem sinkenden Gebrauchswert der Tragödienpoetik in Verbindung: „Anscheinend erstickt die Sprache an den Tatsachen. Die einzige Zusammenstellung von Worten, die noch fähig ist, dem Kern des Gefühls nahezukommen, ist jene Art des nackten Prosaberichts, wie wir ihn im Tagebuch der Anne Frank finden.“ 14 Die Abgrenzung vom tragischen Paradigma gehört in der Folge zu den Grundmotiven der ästhetischen Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Hannah Arendt polemisierte gegen die öffentliche Wahrnehmung Adolf Eichmanns als eines ‚großen Verbrechers’ im Sinne Shakespearescher Tragödienmuster: „Eichmann war nicht Jago und nicht Macbeth, und nichts hätte ihm ferner gelegen, als mit Richard III. zu beschließen, ein Bösewicht zu werden.“ 15 Und Imre Kertész konstatierte den Ausfall der Kategorien der Persönlichkeit und des persönlichen Schicksals, die er als Voraussetzungen tragischer Verarbeitung begriff: Ohne Zweifel […] ist es damit auch mit der tragischen Wiedergabe aus. Wo bleiben die außerordentlichen, grandiosen, auch in ihrer Entsetzlichkeit außergewöhnlichen Persönlichkeiten? Richard III. hatte sich selber geschworen, ein Schurke zu werden; die Massenmörder eines totalitären Systems dagegen legen einen Schwur aufs allgemeine Wohl ab.16 Vor diesem Hintergrund zeichnet sich einerseits ein Bedeutungszuwachs der Geschichtsschreibung ab, die bestimmte Funktionen der ästhetischen Gestaltung mit zu übernehmen hat, andererseits behauptet sich gegen den unpersönlichen Diskurs der Geschichtsforschung die fragile Instanz des bezeugenden Ichs. Das erzählende Ich ist im Zusammenhang mit den Erzählungen von Überlebenden der Konzentrationslager wieder ins Blickfeld gerückt - und zwar gebunden an den Begriff der Zeugenschaft. 17 Dieser Begriff stützt die erste Person Singular, weil Zeugnisse zahlreiche außerliterarische Funktionen haben: historische, rechtliche, ethi- 258 sche, politische und therapeutische. Fiktionen solcher Zeugenschaft stehen dagegen im Verdacht, sich die ethische Autorität des Zeugen anzumaßen. 18 Jonathan Littell erweist der unpersönlichen Erzähltradition des 19. Jahrhunderts gelegentlich seine Reverenz, etwa wenn er einen sowjetischen Kommissar in Stalingrad aus Stendhals Le rouge et le noir zitieren lässt (573), oder wenn er seinem Helden auf der Flucht vor der Roten Armee ein Exemplar von Flauberts Education sentimentale zusteckt (1250ff). Aues verhaßter französischer Stiefvater heißt übrigens Moreau, wie Flauberts Protagonist, was uns darauf hinweist, dass sich die Generationenrevolte der Jung-Nazis bei Littell gegen eine resignierte Bürgerlichkeit à la Education sentimentale richtet. Doch diese Erinnerungen an Flauberts impersonnalité sind Äußerlichkeiten im Vergleich zur massiven Präsenz einer Erzähltradition, die vom Ich fasziniert ist. Damit ist einerseits die Gattung der Berichte überlebender Opfer gemeint. Zu ihnen steht die Erzählung des Ex-Obersturmbannführers Aue in einem Verhältnis negativer Identifizierung: In der Erzählung des Opfers, die bezeugt, spiegelt sich die des Täters, die gesteht und zugleich rechtfertigt. Wichtiger aber, denn darin liegt die größere Provokation, ist die Tatsache, dass Aues Selbstdarstellung an die moderne Tradition der pathologisch entgrenzten Ich- Erzählung anschließt, die in Frankreich mit dem Namen Céline verknüpft ist. Anders als in Deutschland nämlich hält in Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Ich auf ganzer Linie wieder Einzug in den Roman. Aber es kehrt zurück als mehr oder minder pathologische Instanz. Die beiden französischen Romanciers, die oft in einem Atemzug (einem politisch belasteten Atemzug) als die bedeutendsten des letzten Jahrhunderts genannt werden, schieben beide ein Ich mit paranoiden Zügen zwischen ihre Romanwelt und den Leser: In Fall Prousts handelt es sich um den Eifersuchtswahn des Erzählers Marcel, im Fall Célines um die Verfolgungsphantasien seiner Helden Bardamu, Ferdinand und Céline, in denen der antisemitische Wahn des Autors widerhallt. Es sei daran erinnert, dass in der Zeit, als die ersten Bände von Proust Recherche erschienen, Sigmund Freud seine Wende zur Ich-Analyse vollzog, seine Aufmerksamkeit also auf jenes merkwürdige seelische Organ richtete, das in seinen Schriften einerseits als „finsterer Despot“ 19 erscheint, andererseits als „armes Ding, welches unter dreierlei Dienstbarkeiten steht“ dem Druck der äußeren Realität, dem Sog der Triebe und der Knute des Über-Ichs. 20 Und in den 50er Jahren, als Céline seine Trilogie allemande schrieb, entwickelte Jacques Lacan seine radikalisierte Fassung der Ich- Analyse, derzufolge das Ich keineswegs die Vermittlung zwischen Trieb und Realität leistet, sondern als „imaginäre Funktion“ 21 in gebrochenem Verhältnis zu beiden steht. Das Ich, so Lacan in seinem ersten Seminar, sei nichts als ein „privilegiertes Symptom“, das menschliche Symptom par excellence, die anthropologische Geisteskrankheit. 22 Namentlich Célines paranoider Ich-Erzähler ist ein solches Symptom. Er diskreditiert sich unablässig selbst, sät Unglauben und wirft den Leser auf den Text selbst zurück, weil er, statt Realität zu bezeugen, den Zugang zu ihr versperrt. Als Möglichkeit war der Realitätsverlust in der Form der Ich-Erzählung immer schon 259 angelegt: Die Augen, durch die der Leser auf die fiktive Welt blicken darf, könnten immer die eines Wahnsinnigen sein. Sowohl bei Proust als auch bei Céline entwickelte das erzählende Ich außerdem despotische Züge. Es zeigte Neigung zum perspektivischen Größenwahn, zur Überdehnung seiner notwendig beschränkten Perspektive. Beide Strukturmerkmale setzt Littells Erzählerstimme in gesteigerter Form fort. Der Realitätsverlust des Ichs äußert sich bei ihm (wie bei Céline) in den langen halluzinatorischen Schüben, die auf inhaltlicher Ebene (ebenfalls wie bei Céline) durch eine Kopfverletzung des Erzählers notdürftig motiviert werden. Und der Célinesche Verfolgungswahn ersteht nicht nur im Antisemitismus Aues und seiner Kollegen wieder auf, sondern auch in dem Verfolgungsszenario, das dem Roman den Namen gibt: Die Erinyen, die den Muttermörder jagen, sind hier allerdings keineswegs der Orestie entstiegen, sondern den Tintin-Comics. 23 Ein groteskes Polizisten-Duo ersetzt die göttliche Nemesis. Auch ein Célinescher Zug und zugleich eine andere Facette des elend-erhabenen Ichs ist die Bereitschaft zum „Überdrehen“, zum Abkippen ins Groteske, die das Finale von Littells Roman prägt und ihm die tragischen Allüren austreibt. Die perspektivische Überdehnung des Ichs, ein Erbteil Prousts, hat sich bei Littell zum grundlegenden Paradox ausgeweitet: Sein Roman beansprucht, die Faszination der beschränkten, ja wahnsinnigen Ich-Perspektive zu vereinen mit einem entgrenzten Blick, der alles sieht, was die historische Forschung zum Vernichtungskrieg in Osteuropa zutage gebracht hat. Und wie bei Proust verbindet sich diese Überschreitung einer Beschränkung der Perspektive mit der Übertretung eines Darstellungstabus. Der Pornographie-Vorwurf kommt nicht von ungefähr: Es geht darum, Verbotenes zu sehen. Dabei handelt es sich einerseits, wie bei Proust, um tabuisierte Sexualität (Homosexualität, Perversion, Inzest - alles, was das Herz begehrt), vor allem aber um tabuisierte Gewalt. Anstößig ist vor allem der Blick in die Schlucht von Babi Jar. Allerdings wahren beide Tabus bei Littell eine direkte Verbindung, denn der Blick auf die Gewalttaten ist bei im nur allzu oft ein erotisierter Blick. 24 3. Captatio malevolentiae Mehr als Wahn und Selbstüberschätzung dieses Ich-Erzählers interessiert mich hier freilich eine für ihn charakteristische Figur, die man - mit Marc Angenots gelungenem Ausdruck - captatio malevolentiae nennen kann: das Ablehnung-Heischen. 25 Ein gutes Beispiel ist der Anfang von Littells Roman: Frères humains, laissez-moi vous raconter comment ça s’est passé. On n’est pas votre frère, retorquerez-vous, et on ne veut pas le savoir… Hier klingen zwei berühmte Gedichtanfänge an, zwei durchtriebene Beispiele für die captatio benevolentiae, deren angestammter Platz der Anfang ist. Zum einen, darauf 260 hat Frank-Rutger Hausmann hingewiesen, 26 zitiert Littell hier den Beginn von François Villons selbstgeschriebenem Epitaph, der sogenannten Ballade des pendus: Frères humains qui après nous vivez, N’ayez les cœurs contre nous endurcis… Zum zweiten hört man durch Littells Anfang Baudelaires heimtückische Leseranrede nachklingen: „Hypocrite lecteur - mon semblable, - mon frère! “ - Wenn Villon sich vom Galgen herab mit dem Leser verbrüdert, um sich seines Wohlwollens und seiner Fürbitte zu versichern, so steckt darin bereits eine postume Unverschämtheit. Wenn Baudelaire am Ende einer atemlosen Selbstentblößung den Leser rhetorisch umarmt, dann ist die captatio ganz und gar bösartig mutiert. Das Motiv der hämischen Verbrüderung dient bei Baudelaire bereits dem gleichen Zweck, den es dann bei Littell hat: Es soll den Leser kompromittieren, seine Teilhabe am Verbrechen unterstellen. Das Unangenehme an solch ungebetenen Verbrüderungen ist ja, dass sie die Abstammung von einem gemeinsamen Vater unterstellen. Bei Littells Erzähler kommt hinzu, dass hier ein Kriegsverbrecher auf den Gattungsbegriff „Mensch“ spekuliert, aus dem die Opfer der von ihm vertretenen Vernichtungspolitik gerade ausgeschlossen waren: Primo Levis Se questo e un uomo und Robert Antelmes L’Espèce humaine tragen diesen Skandal sogar im Titel. Ein solcher Ausschluss steht für die Täter, die Max Aue repräsentiert, nicht zur Debatte. Sie sind mit Nietzsche immer schon allzumenschlich, mit Arendt banal und mit Christopher Browning ordinary men. 27 Littells Anfang verweist aber noch auf einen dritten Text: auf den legendär mündlichen Auftakt von Célines Voyage au bout de la nuit - „Ça a débuté comme ça“. Dort steht das „ça“ für eine gewaltige Last an Unausgesprochenem: die körperliche und seelische Verletztheit des Erzählers, seine „Aussetzer“, seine Bosheit. Das „ça“ kündigt an, dass sich hier ein Ich mit Lücken zu Wort meldet. Littells Anfang, der sich sofort in ein Gezänk mit einem imaginären Leser verwickelt, erinnert außerdem an eine Szene, die Célines späte Texte unermüdlich wiederholen: den keifenden Schlagabtausch mit Kritikern, Verlegern und entnervten Lesern. Vor allem im Spätwerk stellt Céline solches Gezänk auch gerne an den Anfang, um den aggressiven Grundton eines Erzählers zu etablieren, der mit Lesern rechnet, die ihm übel wollen. Seine letzten Texte, die die Abneigung der meisten Leser gegen den Antisemiten und collabo immer schon voraussetzen, zielen nicht auf Beschwichtigung, sondern auf Provokation: „que le lecteur se retrouve, se sente un semblable, un frère, bien compréhensif, prêt à tout…“. 28 Es geht darum, mit einem feindseligen Kollektiv in Kontakt zu treten, oder vielmehr, es herbeizuschreiben. Diese Feindseligkeit bildet den Brennstoff eines Erzählens, dessen Strategie als aggressive Liebeswerbung beschrieben werden kann. Es geht um die Herstellung dessen, was die Psychoanalyse eine negative Übertragung auf den Text nennt. Entstehen soll dabei eine empörte Faszination, eine Identifizierung, die zugleich wie ein Zwang wirkt. 261 Céline hat diese Strategie nicht erfunden. Dostojewskis Ich-Erzähler zum Beispiel spielen bereits ihr Spiel mit der antizipierten Ablehnung ihrer Leser: „Ich bin ein kranker Mensch … Ich bin ein böser Mensch“ heißt es am Anfang der Aufzeichnungen aus einem Kellerloch. 29 Prominente Beispiele aus den fünfziger Jahren sind Camus’ La chute und Nabokovs Lolita. Man könnte auch Otto Dietrich zur Linde zitieren, den Erzähler von Borges’ Deutschem Requiem, der sich als „Ich, der Abscheuliche“ vorstellt. 30 Borges’ kurze Erzählung von 1949 ist hier deshalb von Belang, weil sie bereits die beliebte Formel „ Nazi-Verbrecher plus Musik plus Metaphysik“ in den Modus der Ich-Erzählung umsetzt, genau wie dies später Littell tun wird. Unter dem Eindruck einiger dieser Texte hat auch der junge Imre Kertész in den fünfziger Jahren seinen Erstling mit dem Titel „Ich, der Henker“ verfaßt. 31 Doch anders als die Genannten hat Céline als öffentlich diskreditierter Autor seine ganz eigenen Gründe gehabt, die Strategie der captatio malevolentiae zu perfektionieren. In seinem Selbstinterview Entretiens avec le professeur Y beschreibt er die Schaffung einer negativen Identifikationsfigur als systematische Befleckung des Ichs: „moi, la modestie en personne! mon „je“ est pas osé du tout! Je ne le présente qu’avec un soin! ... mille prudences! ... je le recouvre toujours entièrement, très précautionneusement de merde! “ 32 Diese Strategie der Ich-Befleckung ist letztlich apologetisch: Die unterstellte Feindseligkeit der Leser, die den Erzähler als Opfer ihm entgegenschlagender Aggression erscheinen lässt, macht es ihm leichter, sich auch sonst als Opfer zu präsentieren. Die Projektion des Lesers als Verfolger ist das notwendige Gegenstück zur Sündenbock-Pose, die Célines paranoide Ich-Erzähler in nahezu all seinen Texten einnehmen. Die Célinesche Sündenbock-Rhetorik ist lediglich der extreme Fall einer Tendenz, die der Ich-Erzählung als Form eigen ist. Diese Tendenz ist einer der Hauptgründe für die Vorbehalte, auf die Littells fiktive Autobiographie eines Nazi-Verbrechers stoßen musste. Indem man den Täter „Ich“ sagen lässt, gibt man ihm nicht nur die Möglichkeit, Person zu sein, sondern auch Opfer. Es existiert eine strukturelle Affinität zwischen Ich-Perspektive und Opferstatus, zwischen persönlicher Lebensgeschichte und Leidensgeschichte. Diese Affinität beruht zunächst auf der Isolation der Ich-Perspektive, der Kehrseite ihrer Absolutheit. Es handelt sich ja um ein Ich ohne Du, ein endloses Sprechen ins Leere. Allein einem anonymen und stummen Kollektiv gegenüberstehend legt der Ich-Erzähler sein Bekenntnis ab und gleitet dabei unmerklich in die Rolle des Verfolgten. Der gattungsgeschichtliche Zusammenhang zwischen Autobiographie und Geständnis (confessio) legt die Vermutung nahe, dass es die Angst vor Strafe - oder ihre verinnerlichte Variante, das schlechte Gewissen - ist, die jemanden dazu bringt, sein Leben in der ersten Person Singular zu erzählen; dass es eine falsche Geschichte (eine Infamie) 33 gibt, einen Spalt zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung, der nur auf diese Weise überbrückt werden kann. Auch diese implizite Anklage zeichnet der Ich-Erzählung ein Verfolgungsszenario ein. Zu einer gereizten Erzählatmosphäre trägt schließlich noch die Abfuhr-Funktion solcher unerbetenen Lebensbeichten bei. Céline und Littell inszenieren beide die inhärente Befriedigung dieser Selbstentäuße- 262 rung, die einer physischen Ausschwemmung gleicht. Es gibt eine Art Katharsis - aber nur für den Sprecher. Sie blockiert kathartische Effekte auf Seiten des Lesers. Mehr noch, die Selbstreinigung des Erzählers wird zur Befleckung des Lesers: „Hypocrite lecteur - mon semblable, - mon frère! “ Littells Max Aue ist ein ausgezeichnetes Beispiel für den durch die Ich-Perspektive vermittelten Übergang des Täters auf die Opferseite. Auch seine Konfession ist die Geschichte eines Martyriums: Vaterlos aufgewachsen, inzestuös verzweifelt, als Homosexueller verfemt, tritt er in Heydrichs SD nur ein, weil man ihn mit seiner Homosexualität erpresst. Die Front erreicht er just an dem Ort, an dem die deutschen Soldaten erstmals zu Verlierern werden - und trägt prompt eine schreckliche Verletzung davon. Ein gewichtiger Baustein in der Konstruktion des eigenen Opferstatus ist - wie bei Céline - die Schilderung des entfesselten Bombenkriegs, der alle Bewohner deutscher Städte pauschal zu Opfern macht. - Es gibt also gute Gründe, die dem Verbrecher die erste Person Singular und den konfessionellen Modus nahelegen. Vor diesem Hintergrund erscheint Littells bzw. Claude Lanzmanns Bemerkung „die Henker reden nie“ 34 (weshalb die Literatur ihnen eine Stimme leihen muss) einigermaßen fragwürdig. Mit Vladimir Nabokovs Humbert Humbert, einem besonders infamen Erzähler, wäre ihnen zu entgegnen: „You can always count on a murderer for a fancy prose style.“ 35 4. Er oder ich Jonathan Littell sagt von sich, er könne nur in der ersten Person schreiben: „En fait, j’avais compris depuis longtemps que pour moi le „je“ fonctionnait comme un „il“ et que j’avais peur du „il“ parce que le „il“ était presque plus „je“ que le „je“. Le „je“ me permettait une plus grande distanciation.“ 36 - Was soll das heißen? Die dritte Person ist die grammatische Un-Person, die außerhalb der dialogischen Szene steht, weil man nicht mit ihr, sondern nur über sie sprechen kann. Wenn diese Person dem Autor Angst macht, weil sie allzusehr Ich ist, dann muss das wohl heißen, dass er sich gegen den Mechanismus verwahren möchte, den die Psychoanalyse Projektion nennt - jener Mechanismus, der in der Tat immer dann besonders naheliegt, wenn die Literatur vom Bösen spricht. Projektionen in diesem Sinne sind zum Beispiel jene Erinyen, die das Ich fürchtet, weil es sie nicht als ausgelagerte Verkörperungen der eigenen Mordlust oder der eigenen Gewissensempörung erkennt. Anstatt Aue zu projizieren, so könnte man umschreiben, möchte der Autor sich lieber mit ihm identifizieren - und zwar durchaus im Sinn jenes Abwehrvorgangs, den Anna Freud „Identifizierung mit dem Angreifer“ genannt hat. 37 Ein verstörendes und in Bezug auf Littells Roman erhellendes Beispiel für diesen Vorgang findet sich in Imre Kertész’ Roman eines Schicksallosen, an der Stelle wo der deportierte jüdische Junge bei der Ankunft in Auschwitz die Schönheit der SS-Männer bewundert, die mit ihren eleganten Peitschen die Rampe auf- und abschlendern. 38 263 Warum aber soll die erste Person Singular weniger Angst machen als die dritte, noch dazu wenn sie wie hier die persona non grata des Verfolgers darstellt? Zunächst einmal, weil sie dem Autor ermöglicht, die Verantwortung für die Erzählerstimme von sich zu weisen. Das Ich fungiert dabei als Distanzierungsmaschine: schlechter Stil, Landser-Kitsch, Gewalt-Voyeurismus, hohles Schicksalspathos und andere Merkmale der infamen Stimme der Bienveillantes gehen ganz aufs Konto des erzählenden Helden. Da die Grenzen von dessen Ich identisch mit denen des Textes sind, bleibt kein Rand zur Repräsentation einer ethisch und ästhetisch zurechnungsfähigen Instanz jenseits des Textes. 39 Nach erzähltheoretischer Doktrin gilt diese Unzurechnungsfähigkeit der Stimme zwar für alle Typen fiktiver Erzähler, doch in der Welt der wirklichen Leser bleibt dieses Privileg, wenn überhaupt, den Ich-Erzählungen vorbehalten, in denen der Ursprung der Stimme unverkennbar Teil der fiktionalen Inszenierung ist. Daher gilt: Je unpersönlicher die erzählende Stimme, desto mehr fällt die Verantwortung für ihren Klang und ihren Stil auf den Autor zurück, je stärker sich die Stimme dagegen zu einer Person verdichtet, die „ich“ sagt, desto weniger kann der Autor dafür belangt werden, wie diese Stimme spricht. Der Ich-Erzähler ist der narrative Sündenbock, der alle Kritik des Lesers an der Art, wie erzählt wird, auf sich zieht. Welche Distanzierung kann die 1. Person also bieten? Die von sich selbst - und das heißt, von der Verantwortung für das eigene Sprechen. Sich die Maske des Verfolgers aufsetzen und mit seiner Stimme sprechen - das bedeutet, die Position des Ich räumen und in einem fremden Ich unterkriechen; es von sich Besitz ergreifen lassen in einem Akt, der an rituelle Phänomene wie Besessenheit erinnert. Was Littell vorschwebt, ist also nicht ganz der alltägliche Fall der Identifizierung, in dem das Ich sich Stimme und Blick eines anderen zu eigen macht, um daran zu wachsen. Die Bereitschaft zu solcher Identifizierung wäre ja nichts anderes als das Wohlwollen der traditionellen Rhetorik, jenes Wohlwollen, um das die captatio benevolentiae warb. Hier aber geht es um eine Identifizierung trotz Übelwollen, deren Objekt ein verworfenes Gegen-Ich ist, das scheinbar alles tut, um die Bereitschaft zur Identifizierung mit ihm zu zerstören - und sie offenbar gerade dadurch anstachelt. Doch mich interessiert hier nicht nur die Frage, warum der Autor eine solche Maskerade betreibt, sondern auch, was der Leser an ihr findet. Damit kehre ich zu dem Problem zurück, mit dem ich begonnen habe: Warum liest man schlimme Bücher? Warum lässt man sich von infamen Erzählern fesseln? Was macht Bücher, die zur Ablehnung einladen, am Ende sogar zu Bestsellern? Die einfachste Erklärung lautet, dass solche Texte ein Strafbedürfnis ihrer Leser befriedigen. Sie ist für Céline und Littell nicht allzu plausibel, denn dieses Ziel wäre sehr viel wirkungsvoller zu erreichen mithilfe eines leidenden Helden, der unzweideutig zur Identifizierung einlädt, was hier nicht der Fall ist. Die erschwerte und gebrochene Identifizierung trennt die Romanwelten Célines und Littells auch unwiderruflich vom tragischen Paradigma, das durch die stellvertretende Darstellung von Leiden emotionale Reinigung versprach. Es ist kaum anzunehmen, dass irgendjemand die Flucht- 264 geschichten ihrer Helden mit Furcht und Mitleid verfolgen wird - ganz abgesehen davon, dass diese Geschichten für ihre Protagonisten vergleichsweise gut ausgehen, womit sie ein Schema erfüllen (nämlich die Straflosigkeit des Bösen), das Aristoteles als die „untragischste“ aller möglichen Handlungen definiert (Poetik 1452b 38). Was ist also der Gewinn - die Lustprämie, mit der die infamen Erzähler locken? Besonders im Fall Littells ist nicht auszuschließen, dass es perverse, voyeuristische Neigungen sind, die durch die Schilderungen von Massakern und sexuellen Transgressionen befriedigt werden. Doch führen zu solcher Befriedigung einfachere Wege als die Lektüre monströser Romane. Auch gleicht die Bindung des Lesers an die Stimme dieser Erzähler weniger einer Lust als einer Faszination oder einem Zwang. Es muss also andere psychische Vorteile geben, die ihn nötigen, eine solche Bindung einzugehen. Den Rahmen für diese Bindung gibt, zumindest für deutsche Leser, sicherlich ein historischer Wiederholungszwang ab: Konfessionen von Antisemiten und Sonderkommando-Veteranen zwingen deutsche Leser, sich ein weiteres Mal in das Trauma der Schuld zurückzuversetzen. Wie in den wiederholenden Alpträumen von Traumapatienten wirkt dabei der Wunsch, endlich das richtige, womöglich das erlösende Symbol zu finden, das „all dem“ einen Sinn gibt. Ein weiteres Motiv ist das Bedürfnis, ein für alle Mal zu repräsentieren, was man nicht sein will; sich abzugrenzen von dem, was Angst macht - und zwar vor allem die Angst, es zu sein. Auch in diesem Motiv sind Elemente von Projektion enthalten: die infamen Erzähler bieten breite Projektionsflächen für Regungen, die die Leser an sich selbst nicht wahrhaben wollen. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass sowohl Céline als auch Littell alter egos mit pathologischen Aussetzern entwerfen. Sie ermöglichen damit nicht nur die negative Identifizierung vom Typus Das bin ich nicht, sondern auch die radikalere Selbstentlastung, die da sagt: Ich bin nicht ich. Diese Identifizierung wäre freilich im literarischen Sinne nichtig, wenn sie nicht getragen würde von einer Bindung an den Akt des Erzählens selbst. Im Fall Célines ist diese Bindung unübersehbar auf die Stimme des Erzählers bezogen. Sie gilt dieser anarchischen, gehetzten, sich überschlagenden Stimme, diesem rassistischen Hiphop, der sich selbst gewaltsam genießt. Im Fall Littells ist die Grundlage der Faszination in der Mechanik des Blicks zu suchen. Sein Roman ist sprachlich unauffällig, innovativ allenfalls da, wo er die toten Stimmen der NS-Bürokratie hörbar macht. Dafür ist er auf aggressive Weise visuell. Sein Darstellungsstil erinnert an eine virtuelle Kamerafahrt durch die Tabuzonen der Geschichte; eine Kamerafahrt, die nicht belebt, sondern animiert. 40 Prinzip der Faszination ist hier die Montage der Dokumente zur monströsen Geschichtshalluzination. Der psychische Ort, an dem diese Erzähler zu Hause sind, ist die Szene der negativen Übertragung: Wer lesend in eine solche Szene eintritt, der aktiviert unheilvolle Beziehungsmuster, die nur auf diese Möglichkeit gewartet haben, sich zu symbolisieren. Man liest auch, um das Unheilvolle in sich zu benennen und mit ihm Fühlung zu halten. Das schafft eine Bindung, die nichts mit Sympathie zu tun hat, und trotzdem stark sein kann. In beiden Fällen, bei Céline und Littell, ist diese 265 Bindung eine Funktion der Ich-Erzählung. Mit einer Wiederkehr des Tragischen hat das nichts zu tun, auch wenn Littell behauptet, sein Max Aue habe „die Dimension einer Figur aus der griechischen Tragödie.“ 41 Aue ist aber in Wirklichkeit eine Doppelperson: einerseits die soziologisch gemittelte Verkörperung des SS-Bürokraten, andererseits ein Bataillescher Transgressor, der Blanchot liest, vom Analverkehr mit seiner Schwester träumt und seine Mutter im Bett erwürgt. Ein Muttermord macht aber noch keine Tragödie, zumal die andere Seite dieser erbaulichen Familiengeschichte - der Geschwisterinzest - nicht auf die Orestie verweist, sondern auf Thomas Manns antisemitische Novelle Wälsungenblut, die ihrerseits nicht die Luft der antiken Tragödie atmet, sondern den Bühnenstaub von Wagners Walküre. Keine seiner beiden Identitäten disponiert Aue zum tragischen Helden. Der Widerspruch zwischen ihnen ist ein durchaus moderner double bind und jedenfalls kein tragischer Konflikt. Und das Kunststück, das ungeklärte Verhältnis zwischen diesen beiden Identitäten über tausend Seiten durchzuhalten, ist nur im zwiespältigen, pathologischen Medium der infamen Ich-Erzählung denkbar. 1 Rede zur Verleihung des Anna-Krüger-Preises am Berliner Wissenschaftskolleg. Für Kritik und Anregungen, die zum Teil in diese überarbeitete Fassung eingehen konnten, danke ich Gerhard Poppenberg, Jonas Grethlein, Johanna Schumm, Iris Röbling, Wolfram Ette und Andreas Isenschmid. 2 Vgl. Romain Leick, „Giftige Blume des Bösen“, (Spiegel, 13.11.06), Harald Welzer, „Am Ende bleibt die Faszination“ (Zeit, 14.02.08), Klaus Harpprecht, „Der verklärte ‚Boche’“ (Zeit, 14.02.08), Iris Radisch, „Am Anfang steht ein Missverständnis“ (Zeit, 14.02.08), Jürgen Ritte, „Holocaust als Kolportage“ (NZZ, 23.02.08) und Jan Süssselbeck, „Nicht ohne Beispiel“ (literaturkritik.de, 05.05.08). 3 Vgl. Claude Lanzmann, „Littell hat die Sprache der Henker erfunden“ (FAZ, 28.11.07), Andreas Isenschmid, „Ein SS-Mann bekennt“ (NZZ am Sonntag, 17.02.08), Klaus Theweleit, „Die jüdischen Zwillinge“ (FAZ, 24.02.08), Stefan Mesch, „Aryan Psycho“ (literaturkritik.de, 05.05.08) und Michael Daxner, „Die Wohlgesinnten, ein Roman von Jonathan Littell, in: Oldenburger Universitätsreden, Nr. 182, 2008, 7-31. 4 Julia Kristeva, Pouvoirs de l’horreur, Paris, 1980, 181. 5 Julia Kristeva, „De l’abjection à la banalité du mal“ (Vortrag, 24.04.07). 6 Jonathan Littell, Les Bienveillantes, Paris, Gallimard-Folio, 2006, 88. Zitate aus dieser Ausgabe von nun an mit bloßer Seitenangabe in Klammern. 7 Zur Beziehung Littell-Céline vgl. auch Frank-Rutger Hausmann, „Voyage au bout de l’Holocauste“, in: Lendemains 125 (2007), 162-169, hier 167. Hausmann hebt die Affinitäten zur Voyage au bout de la nuit hervor, die freilich im Hinblick auf die Erzählerfigur der Bienveillantes weniger hergibt als Célines Spätwerk. 8 Célines letzter Roman Rigodon trägt zudem die Widmung „aux animaux“ (Céline, Romans, hrsg. v. Henri Godard, Bd. 2, Paris, 1974, 711). 9 A.a.O., 823. 10 Zitiert nach: Jürg Altwegg, „Leute, jeder ist ein Deutscher“ (FAZ, 11.09.06). 11 Von Frank-Rutger Hausmann elegant als sprechende Namen gedeutet (Hausmann, „Voyage au bout de l’Holocauste“, 165). 266 12 Iris Radisch zitiert in diesem Zusammenhang den von Foucault auf Flauberts Tentation de Saint Antoine gemünzten Begriff der Bibliotheksphantasie (siehe Anm. 2). 13 Dazu: Martin von Koppenfels, Immune Erzähler. Flaubert und die Affektpolitik des modernen Romans, München 2007, 185-190. 14 George Steiner, Der Tod der Tragödie, Frankfurt/ M., 1981, 246. 15 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, München, 1986, 56. 16 Imre Kertész, Fiasko, Berlin 1999, 58. Die Bemerkungen stehen im Kontext einer Polemik gegen Jorge Semprún, dem Kertész vorwirft, in seinem Roman Le grand voyage eben jenen Sensationalismus des monströsen Bösen zu kultivieren, den Hannah Arendt kritisiert hatte. 17 Vgl. Shoshana Felman, Dori Laub (eds.), Testimony. Crises of Witnessing in Literature, Psychoanalysis and History, New York, 1992. 18 So etwa beim Skandal um Binjamin Wilkomirski, der den fiktiven Lebenslauf eines KZ- Überlebenden mit der Aura persönlicher Zeugenschaft umgab: Wilkomirski, Bruchstücke: Eine Kindheit; 1939-1948, Frankfurt/ M., 1995. 19 Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Frankfurt/ M., 1999, Bd. 8, 302. 20 A.a.O., Bd. 13, 286. 21 Jacques Lacan, Le séminaire, livre II: Le moi dans la théorie de Freud, Paris, 1978, 50. 22 Jacques Lacan, Le séminaire, livre I: Les écrits techniques de Freud, Paris, 1974, 22. 23 Auf Tintin verweist Littell auch in seiner Studie über den wallonischen Faschisten Léon Degrelle, dessen Identifizierung mit Hergés Comic-Held er hervorhebt (Littell, Le sec et l’humide. Une brève incursion en territoire fasciste, Paris, 2008, 61). 24 Ein Beispiel für diese geschmacklose Vermengung von Massenmord und Erotik stellt die Episode dar, in der Max Aue mitten im Massaker von Babi Jar den Voyeurismus von Baudelaires A une passante imitiert, wobei er die „Begegnung“ mit einer langen Reihe stereotyper Adjektive garniert: „belle jeune fille… élégante… immense tristesse… jolies lèvres… grands yeux surpris…“ (192). 25 Marc Angenot, La parole pamphlétaire, Paris, 1982, 305. Angenot beschreibt die captatio malevolentiae als rhetorisches Gattungsmerkmal des französischen Pamphlets. 26 Frank-Rutger Hausmann, „Voyage au bout de l’Holocauste“, 165. 27 Christopher Browning, Ordinary Men: Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland (1992). 28 Céline, Romans, Bd. 2, 303. 29 Fjodor Dostojewskij: Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke. Aufzeichnungen aus dem Kellerloch. Aus dem Tagebuch eines Schriftstellers. Reinbek 1962, 71. 30 Jorge Luis Borges, El Aleph, Madrid, 1989, 85 (für diesen Hinweis danke ich Gerhard Poppenberg). 31 Imre Kertész, „Ich, der Henker“, in: ders., Opfer und Henker, Berlin, 2007, 23-44. 32 Céline, Romans, Bd. 4, 518. 33 Zu unterscheiden von der Art, wie Michel Foucault in „La vie des hommes infames“ (Dits et écrits II, 1976-1988, Paris, 2001, 237-253) den Begriff „Infamie“ gebraucht. Er konstruiert ihn etymologisch als bloße Negation des „Fabulierens“, ja des Sprechens (fari) überhaupt. „Infam“ sind für Foucault nicht diejenigen, die in Verruf, sondern die in gar keinen Ruf geraten und durchs Raster der Geschichtschreibung gefallen sind, weil ihre Verbrechen zu banal waren. Man könnte hinzufügen, dass sich die Auseinandersetzung um die literarische Bearbeitung der Shoah seit Hannah Arendt im Spannungsfeld dieser zwei Bedeutungen bewegt: zwischen der banalen „Nonfamie“ der Täter und der monströsen Infamie, die durch die Dimension ihrer Verbrechen erzeugt wurde. 267 34 Claude Lanzmann: „Littell hat die Sprache der Henker erfunden“, in: FAZ, 28.11.2007. Kritisiert auch von Klaus Theweleit in: Jonathan Littell, Le sec et l’humide, 132. 35 Vladimir Nabokov, Lolita, New York, 1955, 9. 36 Jonathan Littell, Pierre Nora, „Conversation sur l’histoire et le roman“, in: Le Débat, Nr. 144 (2007), 29. 37 Anna Freud, Das Ich und die Abwehrmechanismen, Frankfurt/ M., 1984, 118. 38 Imre Kertész, Roman eines Schicksallosen, 91, 96. 39 In der Konstruktion der Bienveillantes gibt es zwei Details, die den Alleinvertretungsanspruch des erzählenden Ichs durchbrechen: eine Fußnote mit einem Herausgeberkommentar, der auf das Glossar deutscher Militär- und Verwaltungsbegriffe am Ende des Buches verweist (48) - und dieses Glossar selbst. Von den in den Text eingestreuten deutschen Unworten, die die Authentizität der Stimme belegen sollen, geht somit der einzige Hinweis auf eine diskursive Instanz aus, die nicht mit dem sprechenden Ich identisch ist. 40 „Je m’observais en permanence: c’était comme si une caméra se trouvait fixée au-dessus de moi, et j’étais à la fois cette caméra, l’homme qu’elle filmait, et l’homme qui ensuite étudiait le film.“ (161) 41 Brief an Claude Lanzmann, zitiert in: Lanzmann, „Littell hat die Sprache der Henker erfunden“, FAZ, 28.11.07. Résumé: Martin von Koppenfels, Captatio malevolentiae. Des „moi[s] narratifs infâmes“ chez Céline et Littell. Les Bienveillantes, roman de Jonathan Littell, dont l’accueil de la part de la critique allemande a été plutôt négatif, compte parmi ses références littéraires l’œuvre du romancier et pamphlétaire antisémite Céline. Une comparaison des Bienveillantes avec l’œuvre tardive de Céline permet, d’un côté, de mettre en évidence toute une série de motifs parallèles; elle permet de l’autre côté de poser le problème d’une pratique narrative qui met en jeu un „transfert négatif“ entre le texte et le lecteur. Les provocations du roman de Littell résident surtout dans un certain type de moi narratif fait pour susciter l’hostilité du lecteur et qu’on peut appeler le „moi infâme“. Pour comprendre les réactions violentes suscitées par Les Bienveillantes il faut analyser l’enjeu inconscient de cette relation narrative.