eJournals lendemains 34/134-135

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Narr Verlag Tübingen
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2009
34134-135

Bologna im Fokus

2009
Maximilian Gröne
Florian Henke
Frank Reiser
ldm34134-1350184
184 Maximilian Gröne, Florian Henke, Frank Reiser (eds.) Die deutschsprachige Romanistik im Bologna-Prozess. Bestandsaufnahme und Positionen Maximilian Gröne, Florian Henke, Frank Reiser Bologna im Fokus Die europäische Hochschullandschaft ist im Wandel, und die seit der Bologna-Erklärung von 1999 eingetretenen Entwicklungen spalten, wenn nicht die Öffentlichkeit, so doch zumindest die Betroffenen - Studierende und Lehrende - zunächst einmal in unterschiedliche Lager. Das Streben nach Vereinheitlichung ist augenblicklich von Uneinheitlichkeit gekennzeichnet, und die auf bildungspolitischer Ebene beschlossenen Ziele stoßen auf ein Resonanzspektrum, das von schierem Fatalismus über stille Resignation bis hin zu positivem Denken reicht. Die Kernelemente der Reform stehen allseits zumindest als Anspruch klar vor Augen: Es geht um die Einführung gestufter Studiengänge, welche über die Zusammenfassung sich ergänzender Lehrveranstaltungen zu Modulen, die Kennzeichnung des studentischen Arbeitsaufwands durch ein Leistungspunktesystem und die genaue Ausweisung studienbegleitend erbrachter Prüfungsleistungen in diploma supplements zu einer verbesserten Vergleichbarkeit von und dem erleichterten Wechsel zwischen Studiengängen oder Hochschulstandorten beitragen soll. Eine verstärkte Ausrichtung auf praxisrelevante, sprich: arbeitsplatzorientierte Anwendungsmöglichkeiten sowie die Verkürzung der Studiendauer sollen die Konkurrenzfähigkeit der Absolventinnen und Absolventen im internationalen Wettbewerb erhöhen. Diese auf das Jahr 2010 gerichteten Zielvorgaben sind mit Bedacht vage gehalten, um auf unterschiedlichen Ebenen eine spezifische Autonomie bei der Ausgestaltung dieses top-down-Prozesses zu gewährleisten. Insofern nimmt es nicht wunder, wenn über die Fächer, Fakultäten, Hochschulen, Bundesländer oder europäischen Nationen hinweg durchaus divergente Möglichkeiten erprobt werden, um mit den jeweils vorhandenen Ressourcen das vorgelegte Rezept umzusetzen: Studiengänge, Curricula, Zulassungs- und Prüfungsmodalitäten, die Vergabe von Leistungspunkten, der Einbezug von Praktika oder Auslandsaufenthalten bilden allesamt zum augenblicklichen Zeitpunkt eine unübersichtliche Gemengelage. Erst mit der Zeit wird ein Ausleseprozess stattfinden, vollzogen durch die Akkreditierungsagenturen, durch Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen akademischer Lehre und exzellenzgeförderter Forschungstätigkeit sowie nicht zuletzt durch den jeweiligen Zuspruch von Seiten der Studierenden. 185 Von einer solchen systemimmanenten Heterogenität, die auf ein staunenswertes Maß an konstruktivem Elan zurückzuführen ist, ist im Gegenzug auch das Feld der Kritiker gezeichnet. Hier findet sich eine Vielzahl skeptisch-ablehnender Stimmen, die ihren Unmut durchaus artikulieren, jedoch bislang ohne nachhaltige Auswirkungen auf den Reformfortgang. In der Regel vollzieht sich vielmehr losgelöst von den privaten Überzeugungen eine schrittweise Anpassung an die veränderten Strukturen des Unterrichts. Die Erfahrungswerte bleiben dabei auf den unmittelbaren persönlichen Horizont bezogen, die Hintergründe des Bologna-Prozesses und v.a. seine Umsetzung an anderen Hochschulen oder in anderen Bundesländern sind hingegen selten bekannt. Insofern scheint es, als nehme das Gros der Lehrenden und Studierenden die im universitären Bereich durchaus auf hohem Niveau geführte Diskussion kaum zur Kenntnis oder mache sich lediglich Versatzstücke zur Bekräftigung persönlicher Grundüberzeugungen zu eigen. Dieser Umstand mag zumal in der Romanistik aus einem gern thematisierten Eingeständnis der Reformbedürftigkeit des Faches resultieren. Als Geisteswissenschaft sieht sie sich seit längerem schon dem methodischen Rechtfertigungsdruck durch die Naturwissenschaften ausgesetzt und muss sich in letzter Zeit in besonderem Maße der Quantifizierung von Leistung im internationalen Wettbewerb stellen bzw. auf die Standards ihrer Ausbildung hin befragen lassen. Dem Auseinanderbrechen eines auf gesamtgesellschaftlicher Ebene konsensfähigen Bildungsbegriffs korrespondiert darüber hinaus die Einsicht in die inhaltliche wie methodische Diversifizierung innerhalb der Romanistik (in Sprach-, Kultur-, Literaturwissenschaft, Didaktik), wie sie im Zuge einer voranschreitenden wissenschaftlichen Spezialisierung nach außen nur noch bedingt zu vermitteln ist. Mehr noch: In Jahrzehnten des Desinteresses oder der Geringschätzung seitens der Öffentlichkeit, zeitweise bestenfalls durch eine nunmehr extensivierte deutsch-französische Freundschaft oder die Wogen der Faszination an hispanophonen Kulturräumen überdeckt, konnte sich ein fachliches Selbstwertgefühl oftmals nur eigenbezüglichdefensiv formieren. Die Tradition, größere Kongresse mit einer table ronde zu beschließen, in der ausführlich über die ‘ Misere’ des Faches debattiert wird, ist nur ein Beispiel. Insofern verspricht der Bologna-Prozess auf den ersten Blick dank offizieller Konsekration wieder einen Teil der verlorenen fachlichen Relevanz zurückzubringen. Viele gute Gründe sprechen für ihn: Einer Europäisierung der Studiengänge und -abschlüsse kann sich ein Fach, dessen Studierende (und Lehrende) per se einen wichtigen Teil der Ausbildung im Ausland verbringen sollten, nicht guten Gewissens entgegenstellen. Der anvisierte Praxisbezug der neuen Studiengänge wiederum ist geeignet, in den Augen der Öffentlichkeit die Esoterik des Intellektuellenfaches zu relativieren. Die deutlichere wissenschaftliche Akzentuierung der neuen Masterstudiengänge gegenüber den alten Magisterwie auch den aktuellen Lehramts- und Bachelor-Studiengängen muss im Hinblick auf die nicht forschungsorientierten Berufsfelder für Philologen wünschenswert erscheinen. Schließlich wird ein Hauptargument der geisteswissenschaftlichen Selbstverteidigung durch die BA-Studiengänge befördert, nämlich dank zahlreicher Schlüs- 186 selkompetenzen ihre Studienabgänger erfolgreich auf eine Vielzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten statt nur auf einen einzigen konkreten Beruf vorzubereiten - ein Profil, das zu den undergraduate-Abschlüssen nach kurzen 3 (oder seltener 4) Jahren Hochschulstudium wie maßgeschneidert passt. Mit den Schlüsselwörtern ‘Europa’ bzw. ‘Internationalität’ umfasst der aktuelle Bologna-Diskurs letztlich positiv besetzte Begriffe, die schlechterdings von keinem der Beteiligten verworfen werden können. In der Logik hochschulpolitischer Korrektheit öffnen sie daher für den Bologna-Prozess Tür und Tor und mögen höchstens durch skeptische Einwände in Detailfragen abgeschwächt werden. Die Neu- oder Umstrukturierung der bisherigen bzw. die Einrichtung neuer Studiengänge hat insofern zumindest eine Signalfunktion gegen jene fatale Entwicklung, die von Studierenden und Öffentlichkeit möglicherweise als schleichende Degradierung der Fachwissenschaften zu einer Begleiterscheinung der Sprachausbildung wahrgenommen wird. Während die formale Transformation des Studiums durch den Bologna-Prozess im Zuge der gegenwärtigen Experimentierfreude gar nicht der eigentliche Stein des Anstoßes sein müsste, gebührt der gleichzeitig geführten inhaltlichen Diskussion verstärkte Aufmerksamkeit. Hier geht es um die Vermittlung der fachlichen Grundlagen, eines wissenschaftlichen Methodenbewusstseins und der Kompetenz zu selbständigem problemorientierten Handeln. Diese Ziele wurden wohlgemerkt auch in bisherigen Studiengängen umgesetzt. Sie können aber im Rahmen der Neuordnung demonstrativ als Überzeugung von der eigenen fachlichen Qualität nach außen getragen werden. Die Frage, was man innerhalb der Romanistik eigentlich erreichen will, lässt sich sicherlich auf verschiedene Arten beantworten; doch sollten diese Antworten deutlich formuliert und kommuniziert werden, auch um nach der strukturellen Vereinheitlichung einer drohenden inhaltlichen Uniformisierung entgegenzutreten. Nicht die äußere Form der Studiengänge ist hauptverantwortlich für die Unzufriedenheit außerhalb und innerhalb des Fachs, sondern die nicht ohne Weiteres einsichtige Effektivität von Forschung und Lehre, welche sich in Zeiten der Studiengebühren nicht zuletzt einem erhöhten Anspruchsdenken der Studierenden (und ihrer Eltern) ausgesetzt sieht, das häufig nicht nach innerdisziplinären Maßstäben urteilt. Das vorliegende Dossier versteht sich als Beitrag zur Diskussion des Bologna- Prozesses und betrachtet aus unterschiedlichen Perspektiven den Stand und den Fortgang einer nunmehr 10 Jahre währenden Entwicklung: Erfahrungsberichte und Positionspapiere zur Konzeption von Studiengängen, zum Umgang mit den veränderten Rahmenbedingungen in Lehre und Forschung, zur Frage der Akkreditierung wie auch ein persönliches Fazit von BA-AbsolventInnen der ersten Generation zeichnen ein Bild der Umwandlung des romanistischen Studiums. 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