eJournals lendemains 43/172

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Narr Verlag Tübingen
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2018
43172

Elisabeth Carolin Bauer: Frankophone digitale Literatur. Geschichte, Strukturen und Ästhetik einer neuen Mediengattung

2018
Alexander Nebrig
ldm431720104
104 Comptes rendus Comptes rendus „Le désir de connaître“, décrit les conséquences dévastatrices du traumatisme issu de l’enfant mort et de „la mère morte“ dans les relations amoureuses ultérieures des figures. Dans la cinquième et dernière partie, „Le pouvoir des mots“, Jutta Fortin analyse la force de la langue parlée ou écrite pour établir un lien affectif avec une personne, que celle-ci soit absente ou morte. Dans un monde rempli de tabous, de silences, d’interdictions ou d’impossibilités de crier, l’écriture se révèle être une façon de s’exprimer, remède autant qu’acte d’accusation. Ainsi le texte littéraire permet-il de se montrer tout en restant caché comme on peut le voir aussi bien dans l’utilisation du pseudonyme Camille Laurens que dans les jeux avec les textes littéraires, les films, les œuvres d’art et avec la langue. Dans une analyse précise de l’œuvre de l’écrivaine, Jutta Fortin introduit des correspondances entre la vie de l’écrivaine et son œuvre, les textes et les autotextes, l’écriture et les images. Les chapitres de son ouvrage communiquent entre eux comme c’est le cas avec les textes de Camille Laurens. La pièce qui reste toujours présente dans chaque image de ce kaléidoscope est, selon Jutta Fortin, „la mère morte“. En s’appuyant sur la théorie d’André Green ainsi que sur les travaux de Pierre Bayard, John Bowlby, Sigmund Freud, Jacques Lacan et Donald Winnicott, Jutta Fortin dévoile le fait que Philippe, le fils mort-né de Camille Laurens aussi bien que la mère de l’écrivaine constituent le noyau du labyrinthe et hantent son œuvre entière. En partant du cri, qui se révèle à la fois cri de douleur et cri de colère et que Camille Laurens utilise en jouant sur l’homophonie de „je crie“ et „j’écris“, Jutta Fortin nous plonge dans les profondeurs des textes de Camille Laurens en utilisant la structure du kaléidoscope comme clé d’analyse. Les histoires des divers textes sont liées les unes aux autres et analysées dans leur rapport avec le concept d’André Green ainsi qu’avec des contes tels que La reine des neiges, Peter Pan, Alice au pays des merveilles, des films comme Nosferatu de Murnau et la trilogie cinématographique de Sissi réalisée par Ernst Marischka, des paroles de chansons, des pièces de théâtre, photographies, mythes et textes littéraires tournant autour de l’amour impossible. Plus on avance dans l’ouvrage de Jutta Fortin, plus les intrigues des différents romans et textes se construisent, de sorte qu’à la fin, l’œuvre entière se dévoile à travers de multiples perspectives et des interprétations convaincantes et fascinantes livrant ainsi une multitude de chemins à prendre pour des analyses à venir. Lydia Bauer (Potsdam) ------------------ 105 Comptes rendus Comptes rendus ELISABETH CAROLIN BAUER: FRANKOPHONE DIGITALE LITERATUR. GESCHICHTE, STRUKTUREN UND ÄSTHETIK EINER NEUEN MEDIEN- GATTUNG, BIELEFELD, TRANSCRIPT, 2016, 337 S. Vorliegende Arbeit erschien 2016, liegt aber bereits seit 2010 als Dissertationsschrift der Universität Regensburg vor. Von den 29 bibliographierten Primärwerken (320sq.) werden fünf als nicht mehr verfügbar verzeichnet. Weitere Titel fanden sich nach eigener Recherche nur noch im Webarchiv (https: / / archive.org/ web). Die behandelten frankophonen Texte erschienen zwischen 1995 und 2004, d. h. im Jahrzehnt, als das interaktive Potenzial des Internet zwar längst erkannt, aber nicht breitenwirksam genutzt wurde. Die sozialen Netzwerke und die von ihnen hervorgebrachte Partizipationskultur sind für die behandelten literarischen Formen kein Kontext; „Mitschreibeprojekte“ (15) werden explizit ausgeschlossen. Die historische Begrenztheit des Korpus hätte in dieser Studie zur Frankophonen digitalen Literatur unbedingt markiert werden müssen. Dann wäre deutlicher geworden, dass sich die Faszination für den interaktiven Leser, die unter vielen Hypertext-Autoren zu beobachten ist, aus der Antizipation einer interaktiven Praxis gespeist hatte. Als der aktive Leser endlich real geworden war, verschwand die Hypertext-Literatur nicht ganz zufällig wieder. Der Gegenstand der Studie ist denn auch eher archäologischer Natur, ohne dass er aber als solcher behandelt würde. Eine Rekonstruktion, die historisch-kritisch ihr Material archivierte, wäre für die Literaturgeschichte des Internets durchaus verdienstvoll gewesen. Stattdessen werden die digitalen Formen analysiert, als handelte es sich um kanonische, für jedermann zugängliche Texte. Das mangelnde geschichtliche Bewusstsein zeigt sich auch auf der Ebene der Sekundärliteratur (324-337). Seit der Abgabe der Dissertation hat sich die Theorie zur digitalen Literatur gegenstandsbedingt rasant weiterentwickelt. Obgleich 2016 erschienen, geht die Arbeit auf Literatur nach 2010 nicht ein. Ihre Beurteilung fällt aus heutiger Sicht ausgesprochen schwer. Auch der titelgebende Begriff der ‚digitalen Literatur‘ verhindert die historische Sichtweise. Digitale Literatur sei „der schöpferische Umgang mit den Spezifika des Mediums“ (14). Interessant seien „Werke, die das vorhandene medialtypische Zeicheninventar für neue literarische Effekte sinnstiftend einsetzen“ (17). Gemeint sind Werke, die ihre „Medialität“ ausstellen, die autoreferenziell und metafiktional sind (ibid.). Da auch die sogenannte analoge Literatur selbstreferenzielle Phänomene und das Spiel mit der eigenen Medialität kennt, leuchtet nicht ein, warum es sich dabei um ein Wesensmerkmal der digitalen Literatur handeln soll. Das Spiel mit der eigenen Medialität ist nicht notwendig ein digitales Problem. Eher müsste man sagen: Die frühen Projekte der Netzliteratur am Ende der 1990er Jahre tendierten dazu, die Eigenschaften des digitalen Mediums poetisch zu reflektieren, anders als beispielsweise die in den 1990er Jahren populären interaktiven Spiele von Sierra On-Line wie King’s Quest, Police Quest, Space Quest oder Leisure Suit Larry. Und es ist nicht einmal gesagt, ob diese Spiele nicht auch autoreferenzielle Elemente 106 Comptes rendus Comptes rendus enthielten. Spürbar ist in Bauers Arbeit noch die alte, um 2000 verbreitete Denkweise, das digitale Medium bringe eine ihr ‚irgendwie‘ wesentliche Literatur hervor. Heute, da das Digitale in mehreren Wellen durchdacht vorliegt - durch die Avantgarde der Poststrukturalisten in den 1970er und 1980er Jahren, durch die Internetpioniere der 1990er Jahre, durch die Apologeten der sozialen Netzwerke der 2000er Jahre -, müsste eine Wesensbestimmung digitaler Literatur deren Theoriegeschichte ebenfalls mitberücksichtigen. Eine historisierende Herangehensweise hätte nicht so sehr versucht, die hyperfiktionalen literarischen Projekte der 1990er Jahre aus den Bedingungen des Mediums zu erklären. Diese würde die Texte stattdessen als Ausdruck der Vorstellungen begreifen, die in den 1990er Jahren dazu dienten, die neue Medientechnik zu reflektieren. Nicht wurde das Medium literarisch umgesetzt, sondern in der Literatur und ihren neuen Formen artikuliert sich die Theorie des Mediums. Jay D. Bolter spricht deshalb von Medien als sozialen Konstrukten. Die Kultur entscheide demnach, „welche Qualitäten sie dem elektronischen Schreiben zuordnen und wie sie ihre Implikationen bewerten will“. 1 Die literarische Avantgarde der 1990er war demnach dermaßen von den hypertextuellen und interaktiven Möglichkeiten des Netzes fasziniert, dass sie diese Qualitäten unaufhörlich ästhetisch ausgestellt hat. Unter ‚frankophoner digitaler Literatur‘ versteht die Verfasserin vornehmlich Erzählprojekte im Internet auf Französisch, die zugleich audiovisuelle Elemente einbeziehen und in der Regel nicht gedruckt vorliegen und auch nicht druckbar sind. Das erste Kapitel unternimmt eine Wesensbestimmung der digitalen Literatur (13- 45). Hauptsächlich geht die Verfasserin negativ vor, indem sie verschiedene Formen und Schreibweisen des Netzes aus der Untersuchung ausschließt. Der versprochene Kriterienkatalog wird nicht wirklich aufgestellt. Betont wird vielmehr, dass verschiedene Entwicklungen bereits durch das Printmedium angekündigt worden seien, sich aber nunmehr durch das Internet radikalisiert hätten: „Vehikel dieser Veränderungen in der digitalen Literatur sind die genannten distinktiven Merkmale Hypertext, Multimedia, Interaktivität und Algorithmen, die im Dienste einer neuen Werkästhetik einer literarischen Umdeutung unterzogen werden“ (17). Ähnlich dürftig sind die Ausführungen zu den Untergattungen der digitalen Literatur. Die Schwierigkeiten, den Gegenstand der Arbeit abzugrenzen, resultieren vor allem daher, dass der Anspruch, digitale Literatur zu definieren, unmöglich eingelöst werden kann. Weil die Verfasserin ihren eigentlichen Gegenstand - ‚hypertextuelle Literatur im Internet zwischen 1995 und 2004‘ - nicht explizit ausweist und immer zugleich die digitale Literatur im generalisierenden Singular im Blick hat, entsteht ein Zielkonflikt, der für Aufbau, Argumentation und Darstellung der Arbeit nicht förderlich ist. 2 1 Jay D. Bolter, „Das Internet in der Geschichte der Technologien des Schreibens“, in: Sandro Zanetti (ed.), Schreiben als Kulturtechnik, Berlin, Suhrkamp, 2 2015, 318-337, hier 320. 2 Die Arbeit von Dietrich Scholler, Transitorische Texte. Hypertextuelle Sinnbildung in der italienischen und französischen Literatur, Göttingen, V & R Unipress, 2016, vermeidet diesen Konflikt und kann dadurch den Gegenstand genauer einordnen und anhand einer durchgehenden Fragestellung erschließen. 107 Comptes rendus Comptes rendus Das zweite Kapitel (47-62), das auch technische Fragen behandelt, situiert die sogenannte digitale Literatur im Poststrukturalismus. Damit übernimmt die Arbeit ein Deutungsmuster, das der bereits erwähnte Bolter als „Rhetorik des Poststrukturalismus“ 3 bezeichnet hat. Die Verfasserin stellt vornehmlich den Begriff des Rhizoms in den Vordergrund (z. B. 62), um die Eigenart digitaler Texte zu bestimmen. Weiter spricht sie von spezifisch postmodernen Paradigmen wie der Einebnung der Grenze von Hoch- und Populärkultur oder dem der „Assoziativität“ (62), welches im Hypertext eine „ideale Umsetzung“ gefunden habe. Das dritte Kapitel geht das größte Wagnis ein: Erklärt werden soll nichts weniger als der Unterschied zwischen der analogen und der digitalen Literatur (63-93). Als neuartige Ausdrucksmittel werden vorgestellt: die graphische Benutzeroberfläche der Software, der Hypertext, Multimedia, computergesteuerte Abläufe und die Software-Ergonomie. Es handelt sich nicht um einen Vergleich mit analogen Praktiken des Schreibens, sondern um den Versuch, Eigenschaften vorzustellen, die für die in Frage stehende hypertextuelle Literatur maßgeblich sind. Der Unterschied zwischen analoger und digitaler Literatur kann dagegen besser über den Begriff der Kommunikation erläutert werden. „Literatur ist Kommunikation“ (78) zwischen Autoren und Lesern über ein Werk. Tatsächlich hat hier die Digitalisierung zwar nicht die Kategorien abgeschafft, aber den Umgang mit ihnen deutlich verändert. Werke beispielsweise werden nicht mehr in einer festen materiellen Form kommuniziert, da digitale Texte bekanntlich durch die Dynamik dreier Ebenen geprägt sind: der binären, der Auszeichnungsebene und dem äußeren Erscheinungsbild des zu lesenden Textes. Vor allem aber ist der Unterschied zwischen dem Code der Auszeichnungssprache (markup language) und der sichtbaren Oberfläche wesentlich geworden: Leser und Lesegerät haben an der äußeren Gestaltung des Werkes Teil. Deutlich wird ebenfalls, dass der Leser nunmehr als user Handelnder im digitalen Textuniversum ist. Autorschaft wird, so betont das Kapitel, zudem stärker als zuvor durch Algorithmen konturiert. Im vierten Kapitel werden konkrete Texte der Netzliteratur vorgestellt. Es ist das längste Kapitel der Studie (95-209) und demonstriert, dass die frankophone hypertextuelle Literatur im Internet der 1990er Jahre den Hauptgegenstand der Arbeit bildet. Als Einstieg wählt die Verfasserin hypertextuelle Literatur im PDF -Format: Diese „Hypertext-Inkunabeln“ (95) werden verlagsgeschichtlich untersucht (100-107) - ein Unterkapitel zum Verlag digitaler Werke, das für eine Geschichte des e-Books durchaus wertvoll ist. Eine Erkenntnis des Buches ist die enge Verbindung fiktionaler Hypertexte mit Rollenspielen. Allerdings, wie oben schon angedeutet, bleiben die Gemeinsamkeiten mit den Adventure-Spielen unerörtert. Die Arbeit, die Tomb Raider (1996-2003) nennt, grenzt sich ausdrücklich von diesen ab (16). Das ist schade, weil die interaktive Spieleproduktion der 1990er Jahre aufgrund der durch den Spieler zu lesenden und zu schreibenden Texte eine Nähe zu vielen Hyperfiktionen zeigt. Die Studie veranschaulicht den interaktiven Ansatz vornehmlich an den fictions 3 Bolter, ibid. (Anm. 1), 323. 108 Comptes rendus Comptes rendus interactives von François Coulon (111-116). Selbstreflexiver ist das Projekt Le Nœud, einer „Simulation des WWW im Kleinen“ (124). Dabei erhalten die relationalen Knoten substanziellen Charakter innerhalb der Fiktion. Ein Kernstück der Arbeit bildet die Analyse des ‚Hyperromans‘ Edward Amiga der Autorin Fred Romano (*1961). Er gilt als der bekannteste französische Beitrag zur hyperfiction und entstand zwischen 1997 und 1999. Die Verfasserin analysiert ihn als Gebrauchsanweisung für das netzbasierte Medium, geht auf die Erzählstimme und die hypertextuelle Struktur ein, die eine Kommunikation zwischen der Autorin und ihren Lesern ermöglicht. Weiter besprochen werden das Krimi-Projekt Apparitions inquiétantes der Belgierin Anne-Cécile Brandenbourger und ein spielerischer Text namens Les cotres furtifs. In diesem Versuch geht es darum, qua Navigation den zu lesenden Text erst sichtbar zu machen. Unter www.cotres.net ist das Projekt tatsächlich noch einsehbar. Der „internaute navigiert, surft, entdeckt neue Welten; als ‚Piratenschiff‘ macht der Kutter die Meere unsicher“ (198), heißt es unter Verweis auf ein Interview mit dem Autor Jean-Paul. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob der Begriff der Literatur für diese multimedialen ästhetischen Ordnungen noch der richtige ist. Das Lesen bildet zwar einen wichtigen, aber eben nur einen Teil der ästhetischen Wahrnehmung von Formen. Den Abschluss der Beispielreihe bildet der ebenfalls Ende der 1990er Jahre entstandene NON -roman von Lucie de Boutiny, der die Mediennutzung umkehrt: Die Medien sind darin zu Konsumenten geworden und die Autorin produziert Inhalte für sie. Kapitel 5 und 6 werten die Ergebnisse des eher deskriptiven vierten Kapitels aus und versuchen sie auf allgemeiner Ebene zu erläutern. Von einer digitalen Narrativik spricht das fünfte Kapitel, das sechste postuliert gar eine Ästhetik der Hyperfiktion. Kurz behandelt wird der Hypertext als mediale Form, makro- und mikrostrukturelle Elemente werden herausgearbeitet, ebenso die Diskursstruktur der vorgestellten Romane. Im Kapitel zur Ästhetik der Hyperfiktion werden interaktive, intertextuelle, intermediale Phänomene der Erzählungen vorgestellt und Fragen erörtert, die das Verhältnis von Mensch und Maschine betreffen. Im siebten Kapitel kommt es zu einem nicht ganz einleuchtenden Gattungswechsel von der Narrativik zur digitalen Lyrik (273-292). Das achte Kapitel (293-310) behandelt computergenerierte Formen der Literatur bzw. algorithmische Prozesse, die an der Textgenese beteiligt sind. Da, wie gesagt, im Zentrum der Arbeit narrative Formen stehen und diese mehr als die Hälfte des Gesamtumfangs einnehmen (178 Textseiten von insgesamt 310), wäre die Kennzeichnung beider Kapitel als Exkurse oder aber ihre Einarbeitung in die auf den Hauptgegenstand der Untersuchung hinleitenden Kapitel angebracht gewesen. Im deutlich nach Abschluss der Dissertation verfassten Fazit weist die Verfasserin ihre Studie als „Retrospektive auf die Zeit der Hyperfictions“ (317) aus, spricht von den 1990er Jahren als einer Pionierzeit der Medienerkundung: „Jeder Autor war für sich Pionier und fand eigene, originäre Ausdrucksformen, die sich auf der Grundlage der mikrostrukturellen Besonderheiten wie der neuen Zeichencodes in besonderer 109 Comptes rendus Comptes rendus Weise auf die Diskursstruktur auswirken“ (312). Die mise en abyme trete beispielsweise gehäuft auf, die Figurenpsychologie gehe zurück. Vor allem aber falle auf, dass der Leser „formgebend und meist auch stark involviert an der Werkwerdung Teil“ habe, indem er „das rhizomatisch-plural aufgefächerte Werk wieder in einen einheitlichen Lesevorgang normalisiert“ (313). Tatsächlich zeigen die Projekte der Netzliteratur der 1990er Jahre bereits jene interaktive Tendenz, die im Netzmedium der Gegenwart selbstverständliche Praxis geworden ist. Teile der Arbeit sind bereits zwischen 2004 und 2009 in diversen Aufsätzen präsentiert worden (325). Seinerzeit war das Korpus gegenwärtig. Im Erscheinungsjahr der Studie (2016) allerdings besteht ein historischer Abstand, der durch Kontextualisierungen oder Historisierungen hätte überbrückt werden müssen. Die Verfasserin selbst sieht im Fazit die von ihr behandelten Werke „mittlerweile von einem plötzlichen spurlosen Verschwinden bedroht“ (316). Der ephemere Charakter digitaler Fakturen stellt ein Grundproblem dar, an dessen Lösung sich mittlerweile auch Bibliotheken beteiligen. So unterhält die Deutsche Nationalbibliothek ein Webarchiv. Wer möchte, dass diese Literatur der Forschung zugänglich bleibt, wird anders vorgehen müssen als diese Studie. Literarische Praktiken des digitalen Raumes können nicht allein durch eine textimmanente Literaturwissenschaft erschlossen werden. Die Quellendokumentation oder gar die Edition digitaler Projekte, denen Werkförmigkeit zugesprochen wird, sind für die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen konstitutiv. Auf die Frage, wie das Korpus zu sichern wäre, damit es überhaupt literaturgeschichtlich beschreibbar und für eine Fachkommunikation anschlussfähig bleibt, gibt Bauers Studie keine Antwort. Dennoch kommt ihr das Verdienst zu, die digitalen Hypertext-Projekte der 1990er als Gegenstand der französischen Literaturgeschichte erfasst zu haben. Alexander Nebrig (Düsseldorf) ------------------ WOLFGANG ADAM / JEAN MONDOT (ED.): GALLOTROPISMUS UND ZIVILISA- TIONSMODELLE IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM (1660-1789) / GALLOTRO- PISME ET MODÈLES CIVILISATIONNELS DANS L’ESPACE GERMANOPHONE (1660-1789). 3 Bände: (1) Wolfgang Adam / Ruth Florack / Jean Mondot (ed.): Gallotropismus - Bestandteile eines Zivilisationsmodells und die Formen der Artikulation / Gallotropisme - Les composantes d’un modèle civilisationnel et les formes de ses manifestations, Heidelberg, Winter, 2016, 257 S., (2) Wolfgang Adam / York-Gothart Mix / Jean Mondot (ed.): Gallotropismus im Spannungsfeld von Attraktion und Abweisung / Gallotropisme entre attraction et rejet, Heidelberg, Winter, 2016, 377 S., (3) Barbara Mahlmann-Bauer / Michèle Crogiez Labarthe (ed.): Gallotropismus aus helvetischer Sicht / Le gallotropisme dans une perspective helvétique, Heidelberg, Winter, 2017, 419 S.