eJournals lendemains 43/170-171

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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2018
43170-171

Dem Leben lauschen: Gesellschaftsporträts in zeitgenössischen Radio Soap Operas aus Subsahara-Afrika

2018
Ina Schenker
ldm43170-1710227
227 Dossier Ina Schenker Dem Leben lauschen: Gesellschaftsporträts in zeitgenössischen Radio Soap Operas aus Subsahara-Afrika Das Genre Soap Opera und noch spezifischer Radio Soap Opera ist keines, das in Forschungszusammenhängen, abgesehen von der Populärkulturforschung, eine zentrale Stelle einnimmt. Dies liegt unter anderem daran, dass Soap Operas lange Zeit in dem schlechten Ruf standen, ein Nebenprodukt der industriellen Massenproduktion zu sein, und in ihrer Flüchtigkeit nicht tiefgreifend schienen. So ist es auch das einzige Erzählgenre, das allein nach seiner Verkaufsintention benannt wurde. Dabei sind Soap Operas in ihren Ausformungen äußerst vielseitig und spiegeln als populäre, serielle Narrationen technische, historische und kulturelle Entwicklungen aus ihren jeweiligen Erzählkontexten wider (cf. Fröhlich 2015: 387). Dass nun Radio Soap Operas gegenüber TV - oder Webserien noch weiter in den Hintergrund rücken, liegt an der eher beiläufigen Nutzung des Mediums Radio in der westlichen Welt. Die Konsequenz ist ein „blinder Fleck“, denn „[d]ie Radiowelt ist wesentlich bunter, interessanter, differenzierter und spannender als es der zentraleuropäische Radioverstand vermuten lässt“ (Kannengießer/ Settekorn 2007: 11). Dies zeigt sich unter anderem in aktuellen Radio Soap Operas aus Subsahara-Afrika. Werden diese als Spiegel der Gesellschaften verstanden, aus der und über die sie erzählen, stellt sich zum einen die Frage nach den Darstellungsmodi: Wie werden in Radio Soap Operas über serielle und transmediale Erzählformen Gesellschaftsporträts erzeugt? Zum anderen ist von Interesse, welches soziokulturelle Wissen über diese Porträts konstruiert und transportiert wird. Welche Rolle spielen dabei Strategien der gesellschaftlichen Selbstanalyse? Und kann im vorliegenden postkolonialen Kontext überhaupt von Selbstanalyse gesprochen werden? Entlang einiger Bezüge zum Genre Radio Soap Opera geht der Beitrag auf diese Fragen ein. Er lenkt sein Augenmerk zunächst auf Radio Soap Operas als serielles Genre und auf transmediale Erzählverfahren. Anschließend wird das Potenzial, soziokulturelles Wissen durch sogenanntes Edutainment zu formieren, anhand zweier aktueller Radio Soap Operas, Shuga: Love, Sex, Money (2012) und Vivra Verra (2014-2016), erläutert. Radio Soap Operas: Serialität und Transmedialität Serialität ist ein Konzept, dem sich die Geisteswissenschaften im 21. Jahrhundert vermehrt annehmen. Die Herausforderung liegt darin, dass serielle Narration sich nicht als Werk verhält und die Rezeption von Einzelelementen nur lückenhafte Erkenntnisse zulässt (cf. Kelleter 2012: 15). Serialität wird darüber hinaus mit industrieller Massenproduktion und Repetition verknüpft (u. a. Adorno 1963, Eco 1989). Die Nähe zu Produktionspraktiken moderner Industriegesellschaften geht auch damit 228 Dossier einher, dass serielles Erzählen nicht einer einzigen geniehaften Autorenperson zugeschrieben werden kann. Zugleich suggeriert das Nebeneinanderstellen von Serialität und Massenindustrie, dass Serialität ein Signum der Moderne ist. Nach Fröhlich gilt dies aber für das serielle Erzählen gerade nicht. So sind auch als Werke kanonisierte Texte wie die Illias und die Odyssee zunächst in Form rhapsodischer Gesänge entstanden, ebenso die arabische Erzählkunst der Märchen aus 1001 Nacht. Sie basieren auf der seriellen Erzählform einer unterbrochenen Mündlichkeit. Dass sie heute als ein Buch erhältlich sind und als in sich geschlossenes Werk rezipiert werden, gehört zu einer Distributionsmechanik, die zur Verschleierung des seriellen Ursprungs der Erzählungen führt (Fröhlich 2015: 52). Diese Zusammenhänge veranlassen Fröhlich dazu, serielles Erzählen nicht zunächst über seine narrativen Merkmale und Strukturen innerhalb der Erzählung zu definieren, sondern den Fokus auf die Distributionswege zu legen: Serielle Narration beschreibt zunächst einmal nur eine Veröffentlichungsform: Statt eine Erzählung beziehungsweise auf irgendeine Art verbundene Teilerzählungen als ein geschlossenes Ganzes zu veröffentlichen, wird sie in verschiedenen, voneinander getrennten Teilen publiziert (ibid.: 57). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen gilt es zu unterscheiden, ob die Narration auf der Produktionsebene seriell konzipiert war, auf der Publikationsebene seriell veröffentlicht wurde oder auf der Werkebene eine serielle Struktur vorweist. Je nach Augenmerk ist serielles Erzählen folglich schon wesentlich länger Bestandteil geisteswissenschaftlicher Forschung, als es bewusst thematisiert wird. Eine Unterscheidung, mit der Werks- und Serialitätskonzepte voneinander abgegrenzt werden können, basiert dabei auf den Begriffen von ganzheitlicher und serieller Narration. Zuvor war Narration ganz selbstverständlich nur auf geschlossene Werke bezogen. Nach Fröhlich verweist der fehlende Begriff im Bereich Serialität auf das Neuland in der Forschung. Er bilanziert aber, dass ganzheitlich kein befriedigender Vorschlag ist, weil er suggeriert, dass serielles Erzählen bruchstück- und damit mangelhaft ist (Fröhlich 2015: 49). Serielles Erzählen kann positiv formuliert „als eine Menge sukzessiv geordneter narrativer Einzeltexte bestimmt werden, die aufgrund von Wiederholungsstrukturen einen Gesamttext ergeben“. Es handelt sich somit um eine „ästhetische Äußerungsform, die durch Wiederholung von Elementen auf Ebene der dramaturgischen Struktur, der Figuren oder relevanter Isotopien einen narrativen Fortsetzungszusammenhang generiert“ (Krah 2010: 43): Eine typologische Basisdifferenz auf diesem Feld ist die Unterscheidung zwischen ›series‹ und ›serials‹, d. h. Erzählungen mit abgeschlossenen und im Extremfall austauschbaren Folgen auf der einen Seite und, auf der anderen Seite, Erzählungen, die Handlungsbögen über mehrere Folgen spannen (Kelleter 2012: 25). Radio Soap Operas, deren ursprüngliche Bezeichnung auch radio daytime serials lautete, können als eine der radikalsten Formen des Serials verstanden werden, denn „the soap opera is rooted in the power of continuous storytelling“ (Batscha 229 Dossier 1997: 7). Sie schaffen eine Erzählkontinuität, die sich in ihrer prinzipiellen Anlage in den zeitlichen Kontext von Unendlichkeit setzen lässt: „The never-ending soap, however, is […] relentless [in] beginnings and middles, without any final resolution“ (Simon 1997: 11). Die Ursprünge des Genres liegen in den USA : „The soap opera was an invention of American radio, perhaps the only new form created by the media. There was no temporal restriction; it was a whole new way of storytelling with a realism unheard of in any other art“ (ibid.). Ab 1926 gab es die für jeweils fünfzehn Minuten von einer bestimmten Firma aufgekauften Zeitfenster für Fortsetzungsgeschichten, deren spezifisches Zielpublikum die US -amerikanische Hausfrau war. Die Seifenfirma Procter & Gamble war einer der häufigsten Sponsoren, was zum Namen der Soap Opera führte. Welche Auswirkungen hatte nun speziell Serialität als Erzählform auf die Inhalte und auf deren Potenzial, Gesellschaft zu porträtieren? Cliffhangerstrukturen und serial memory-Konzepte waren zunächst nur der Soap zu eigen. Diese bringen ein Erzählen in Pausen und Sprüngen mit sich, das Rezipienten aktiviert, in die Lebenswelten der Figuren einzutauchen und auf den eigenen Alltag bezogen weiterzudenken. „Sometimes this overlapping of fiction and reality is purposive“, es findet ein „blurring between fiction und reality“ statt (Allen 1997: 117). Im Abendprogramm dominierten Serien mit wenig ausgearbeiteten und psychologisierten Charakteren. Genau darum ging es aber in den Soaps: um das Mitleiden und eine moralisierte „Seelensuche“ (Simon 1997: 37). Dabei stand weniger die Ereignishaftigkeit der Erzählungen im Vordergrund als das Reden und Dramatisieren. Über den Dialog bestimmte sich das soziale Gefüge. Seit den Anfängen legen Soap Operas ihren Fokus auf das Privatleben ihrer Figuren und auf soziale Themen, die für dieses relevant sind. Wichtig ist dabei, dass alles, was politisch brisant sein könnte, nur auf persönlicher, d. h. figuraler Ebene thematisiert wird. Die Diegese wird so zum einen in Bezug auf Gesellschaftskritik zeitlos, da keine konkreten, realen Ereignisse einbezogen werden, zum anderen werden dadurch Grenzen im sozialen Engagement auferlegt, da Tagespolitik ausgeschlossen ist. Themen wie häusliche Gewalt, religiöse Konflikte, Krebs, AIDS , Alkoholismus oder Arbeitslosigkeit verbleiben darüber hinaus auf einer lokalen, fiktiven Ebene und betreffen keine nationalstaatlichen Systeme. Dafür formen die Figuren ein sehr komplexes Netzwerk einer eigenen fiktiven Gesellschaft und Welt. Serialität schafft dabei den Rahmen, „to examine a wide range of social issues in far greater detail than any other form of fictional stories allows“ (Mumford 1997: 99). Die Struktur des offenen Endes ermöglicht es, Sujets aus diversen Perspektiven zu untersuchen und nicht zum Episodenende hin auch ein Thema abzuschließen, das in seiner Komplexität noch gar nicht auserzählt ist. In dieser Hinsicht spiegeln sie das Leben selbst. „Soaps operate as parallel fictional universes, recognizable as possible worlds“ (Allen: 1997: 117). Damit trägt bereits die extreme Serialität der Soap Operas und die Nähe zum Alltag der Rezipienten das Potenzial eines umfangreichen Gesellschaftsporträts in sich. Welchen Einfluss haben nun transmediale Erzählformen auf die zeitgenössischen Darstellungen des sozialen Lebens in Radio Soap Operas? 230 Dossier Zwei Modi von transmedialem Erzählen können unterschieden werden: Entweder wird eine Geschichte so populär, dass sie sich in allen Medien verbreitet, was Ryan als Schneeballeffekt beschreibt, oder eine Geschichte ist von Anfang an als ein Projekt konzipiert, das sich in vielen Medienplattformen als ein Verfahren entwickelt, das die Möglichkeiten eines einzigen Erzählmediums überschreitet (cf. Ryan 2013: 89). In Bezug auf Soap Operas ist zunächst von einem Schneeballeffekt bezüglich des gesamten Genres zu sprechen. Das Fernsehen sog spätestens seit den 1960er Jahren die US -amerikanischen Radio Soap Operas in sich auf und verlängerte die Folgenzeit von fünfzehn auf dreißig Minuten. Gleichzeitig setzten transnationale Wanderbewegungen ein. So waren viele britische und australische Soap Operas von den amerikanischen TV -Sendungen beeinflusst. Aber auch in Ägypten wurden zunächst viele US -Soaps gesendet, bis Hilmiyya Nights als eigenständige ägyptische Produktion entstand und im Ramadan zu einem nationalen Kulturereignis wurde. Ein weiteres Beispiel ist Brasilien mit den dort produzierten, seit den 1990er Jahren zunehmend populärer werdenden Telenovelas. Weltweit werden mehr brasilianische Serien exportiert als US -Soaps (cf. Allen 1997: 111). Diese Bewegungen haben das Genre dahingehend verändert, dass die meisten nicht US -amerikanischen Soaps so angelegt sind, dass sie, obwohl für eine lange Laufzeit konzipiert, ein klassisches Ende aufweisen. Der Fokus auf die persönliche und emotionale Dimension gesellschaftlicher Gefüge bleibt und ermöglicht dabei die über den medialen Wechsel herbeigeführten transnationalen Wanderbewegungen der Soap Operas in andere kulturelle Kontexte, da keine konkreten Referenzen im Sinne politischer Ereignisse oder popkultureller Bezüge übersetzt werden müssen. Transmedialität im Sinne expansiver medialer Ausweitung und daran anschließend transnationaler Wanderungsbewegungen hat also zunächst einmal das Genre als potenzielles Gesellschaftsporträt weltweit etabliert. Daneben existieren Rückkehrbewegungen ins Medium Radio und transmediale Erweiterungen in alltäglich genutzte Kommunikationsmedien eröffnen neue Erzählverfahren. Anhand zweier Beispiele aus Subsahara-Afrika soll nun aufgezeigt werden, auf welche Weise in Radio Soap Operas soziokulturelles Leben und Wissen dargestellt und generiert werden. Dies geschieht über die Analyse transmedialer Erzählverfahren im Zusammenhang mit der Frage nach den Partizipationsmöglichkeiten der Rezipienten. Partizipative Strukturen finden im Wechselspiel von Fiktion und Friktionalität statt. Friktionalität beschreibt „das unaufhörliche Oszillieren zwischen den Polen von Fiktion und Diktion“ (Ette 2010: 41), zwischen Fiktion und gesellschaftlicher Realität, das die Rezipienten in selbstanalytische Reflexion zum eigenen Leben treten lässt. Rezipienten werden über transmediales Erzählen aufgefordert, diese Radio Soap Operas als ‚friktionalisierbar‘ und damit auf die eigenen Lebensformen und Lebensnormen bezogen zu hören. 231 Dossier Radio Soap Operas: Shuga: Love, Sex, Money The 12-episode drama series was developed in collaboration with UNICEF, MTV and HIV and AIDS Free Generation, together with government representatives and young people from six participating countries - Tanzania, Kenya, the Democratic Republic of the Congo (DRC), Lesotho, South Africa and Cameroon (Jenkins u. a. 2014: 4). Shuga: Love, Sex, Money (2012) ist in ein umfangreiches mediales Konzept gefasst, das sich vor allem an junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren richtet. Neben dem Radio Drama, das von mehreren nationalen Sendern in Subsahara-Afrika ausgestrahlt wurde und über das Internet als Podcast abrufbar ist, gibt es eine sehr erfolgreiche und populäre TV -Soap, die ebenfalls nicht nur über das Fernsehen, sondern auch über das Internet vertrieben wird. Die Erzählungen sollen über diese multiplen Zugänge möglichst weite Teile der Gesellschaft erreichen. Neben den fiktionalen, narrativen Erzählsträngen der Soaps werden darüber hinaus Radiosendungen ausgestrahlt, die sich reflektierend mit den Figuren und Themen dieser Erzählungen beschäftigen. Weiterhin vermitteln Facebook, Twitter, Instagram und You- Tube einerseits beständig Neuigkeiten zu den realen Schauspieler_innen und Sprecher_innen, andererseits vermischen sich gesellschaftliche Realität und geschaffene Fiktion über die Möglichkeit der Partizipation der Rezipienten an den Erzählungen selbst. Es gibt Skype-Accounts und WhatsApp-Zugänge, über die direkt mit den Figuren in Kontakt getreten werden kann, SMS -Hotlines, die über die Diegese informieren, und regelmäßige Umfragen im Internet zu Entscheidungen bestimmter Figuren oder zu anderen Fragestellungen, die von den Rezipienten bewertet werden können. Darüber hinaus wurden ‚Listener-Clubs‘ in Jugendzentren mit ausgereiften Diskussionsrunden gegründet und regelmäßige SMS -Umfragen zu Auswirkungen des Gehörten eingerichtet. All diese Interaktionen werden von internationalen Organisationen wie Unicef kontinuierlich in umfangreichen Dossiers ausgewertet. Diese Dossiers dienen auch der Entwicklung neuer Erzählstränge und Erzählmodi (cf. Jenkins u. a. 2014). Es entstehen Geschichten, die zwischen den Grenzen von Fiktion und gesellschaftlicher Realität angesiedelt sind, die Erzählmedien und Alltagsmedien vermischen und damit Friktionalität im großen Maße ermöglichen, um - mit Ette gesprochen - „Zusammenlebenswissen“ zu generieren (Ette 2010). Ein erster wichtiger Indikator in den Erzählverfahren für dieses „Zusammenlebenswissen“, das aus dem bereits erwähnten „blurring between fiction and reality“ entsteht, zeigt sich in der Tatsache, dass Shuga entgegen der üblichen Soap Opera Tradition in der realen kenianischen Stadt Kisumu angesiedelt ist. Es handelt sich somit bereits um besonders greifbar wirkende „possible lives“ der Figuren in den „possible worlds“ der Radio Soap Diegese (Allen 1997: 117). Die Storyline beginnt mit der 19jährigen Sophia, die gegen den Willen ihrer Eltern zu ihrem Freund Fally nach Kisumu zieht. Fally verdient als Aushilfe in einem Truckstop nur wenig Geld und hofft auf eine Karriere als Musiker. Sophia fühlt sich dadurch gezwungen, auch nach Arbeit zu suchen. Auf den Hinweis von Karis, einem Motorradtaxifahrer und Frauenheld, fängt sie in einem Hotel an. Der Chef des Hotels will, dass Sophia sich 232 Dossier für die reichen Gäste prostituiert, aber sie leistet Widerstand. In seiner Männlichkeit gekränkt vergewaltigt er sie. In der Zwischenzeit ist Sophias 16jährige Cousine Amina in der Stadt eingetroffen. Sophia gelingt es erst nach einigen Tagen, über die Vergewaltigung zu sprechen. Amina und Fally wollen ihr helfen, doch das Trauma lähmt Sophia. Als sie feststellt, dass sie schwanger ist, trennt sie sich von Fally, der nach Nairobi zieht, um seine Musikerkarriere zu verfolgen. Amina hat sich in der Zwischenzeit mit Karis angefreundet und ihn überzeugt, einen AIDS -Test zu machen. Er ist HIV -positiv und Amina hilft ihm, die erste Krise zu überwinden, indem sie offen legt, dass sie HIV -positiv geboren wurde und trotzdem Zukunftsträume hat. Im Endeffekt ist es Amina, die sowohl Sophia als auch Karis die Kraft gibt, sich weiter mit ihren Zukunftsmöglichkeiten auseinanderzusetzen. Im Vordergrund des Serials stehen somit vier junge Protagonist_innen, deren Geschichten nach und nach über die Verbindung zur Haupterzählung um Sophia eingeflochten werden und sich dann zu eigenen Erzählsträngen entwickeln. Dies ermöglicht eine potenziell unendliche Erweiterung des Figurennetzes in weiteren Staffeln und damit die Darstellung gesellschaftlichen Lebens. Dabei operieren die Erzählverfahren auf zwei verschiedenen Ebenen. Die Hörspielserie selbst besteht aus einer intradiegetischen Erzählebene, die durch eher kurze Dialogsequenzen die Diegese entfaltet. Illustrierende Hintergrundgeräusche, die ein- und ausgeblendet werden, schaffen Übergänge in andere Szenarien der gleichen real-fiktiven Stadt Kisumu. Das Potenzial zur Friktionalisierung des Gehörten zeigt sich besonders in Bezug auf das Schlüsselereignis: die Vergewaltigung von Sophia. Intradiegetisch wird die Begegnung zwischen dem Chef und ihr nur andeutend erzählt und lässt Raum für Interpretation, da auch zuvor nie klare Worte in Bezug auf die sexuellen Dienste verwendet werden. Schließen einer Tür Sophia: erschreckter Schrei (Hintergrund: herunterfallendes Geschirr) Boss: No one will hear you down here, Sophia. No one, just me. Scream all you like. I don’t mind. I’m not leaving this time until I get what I want. Sophia: Please, Sir. I’ve never done anything to you. Boss: Oh yes, you have Sophia. Oh come here, no one makes a fool out of me. Stöhnen und Stille (Episode 7, 3: 35-4: 13). Im Anschluss an das Gehörte wird die Diegese auf einer weiteren, extradiegetischen Erzählebene regelmäßig von einer heterodiegetischen, personifizierten Erzählinstanz aufgegriffen, auserzählt und in einen deutlichen Moment von Friktionalisierbarkeit gesetzt: Erzähler: That was Shuga: Love, Sex, Money Episode 7. Sophia is raped. What options does she have? A: Go and report it to the police, B: Go to a clinic right away, C: Go to a clinic and the police, D: No options. This is just too bad. Tell us what you think! Visit Shuga.tv for more information and join the conversation on our website or facebook.com (ibid., 7: 48-8: 14). 233 Dossier Durch diese Zusammenfassung und die Frage nach den weiteren Optionen für die Figur Sophia entsteht ein Moment von gesellschaftlicher Selbstanalyse. Die Rezipienten sind aufgefordert, sich in die Lage von Sophia zu versetzen und aus ihren Erfahrungen und ihrem Bild der realen Welt nach Handlungsmöglichkeiten zu suchen. Das Gehörte wird bewusst nicht nur als fiktive Diegese vermittelt. Vielmehr wird dem friktionalen Moment, dem Moment der Selbstanalyse, über transmediale Kommunikationsstrukturen nachgeholfen. Mehr noch, er wird eingefordert. Dass dieser Moment Rückwirkungen auf die Weitererzählung der fiktiven Storyline hat, zeigt ein weiteres Beispiel, das sich thematisch mit dem HIV -positiven Karis auseinandersetzt. Der Erzähler fordert am Ende der Folge die Rezipienten nicht nur auf, darüber nachzudenken, welche Optionen diese fiktive Figur in einem potenziell realen Lebenslauf hat, sondern will wissen, wie sie sich in der Diegese weiter verhalten soll. Damit stellen sich hier auch selbstanalytische Fragen nach dem Porträt einer Wunsch-Gesellschaft und dem Verhalten ihrer Mitglieder. Erzähler: That was Shuga: Love, Sex, Money Episode 11. Amina is moving on with her life. Karis is nowhere to be found. What would you like to see to happen to Karis? A: Pick himself up, live healthily and move on, B: Disappear. He deserves what he got, C: He shouldn’t change. It was just bad luck. (Episode 11, 8: 18-8: 42). Die Frage nach Karis’ Verhalten in der Diegese bleibt nicht nur auf die fiktive Welt bezogen, sondern skizziert Möglichkeiten des Umgangs mit AIDS in der potenziell eigenen Lebensrealität der jugendlichen Rezipienten. Um diese Lebensrealität selbstanalytisch zu reflektieren, werden Erzählungen transmedial ausgeweitet und in das Konzept eines umfangreichen Social Media-Diskussionspaketes gefasst. Radio Soap Operas: Vivra Verra Social Media-Rückkoppelungen, wie bisher dargestellt, rücken für die Rezipientengruppe einer erwachsenen Generation von Frauen, die nicht in städtischen, multimedialen Verhältnissen lebt, eher in den Hintergrund. Das Übereinanderlegen von eigenen Erfahrungen und fiktionalen Erzählungen sowie Kommunikations- und Erzählmedien über die Radio Soap bleibt hingegen. Ein Beispiel ist die von 2014-2016 bei Radio Okapi, einem der zentralen Informationssender in der demokratischen Republik Kongo, gesendete Soap Vivra Verra. Vivra Verra spielt im Gegensatz zu Shuga und gemäß der Genretradition in zwei fiktiven kongolesischen Städten: Egogo-Ville und Kizambeti. Diese sind durch Fiktionalitätsmerkmale markiert, wie z. B. einer eigenen Egogo-Währung und eigenem Egogo-Bier. Dass die Grenzen der fiktiven Welt sehr eng gezogen werden, zeigt sich auch an einem geschlossenen Figurenrepertoire. Alle Figuren sind entweder miteinander verwandt oder befreundet. Anders als bei Shuga wird also verdeutlicht, dass es sich um eine bewusst abgeschlossene, fiktive ‚possible world‘ handelt, deren Protagonist_innen nicht in einer realen Stadt leben oder einfach per Skype angerufen 234 Dossier werden können. Es handelt sich um ein Porträt einer Gesellschaft, die es im Kongo so geben könnte. Die Erzählstränge sind in vier Familien mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten angesiedelt. In der Geschichte um Goliath, Vindi, Kitoko und Kunka geht es um den gewalttätigen Vater Goliath, der seinen Sohn Kunka aus dem Haus und auf die Straße treibt, und im Anschluss daran um Kunkas soziale Rehabilitierung in einem Ausbildungszentrum für Straßenkinder. Die Storyline um Sinke dreht sich um ein 14jähriges Mädchen, das sich auf einen älteren Taxifahrer einlässt, der sie verführt und schwängert. Sie wird ihm schließlich illegal zur Frau gegeben, kann sich aber mit der Hilfe eines Lehrers und ihrer Mutter aus dieser Situation befreien. Ihre Erfahrungen nutzt sie später als Sozialarbeiterin in einer Jugendorganisation. Einen weiteren Handlungsbogen spannen Ngala und Faro, deren kränkliches Baby sie immer wieder neu vor die Entscheidung stellt, ob sie die von der Familie bevorzugten traditionellen Behandlungsmethoden anwenden wollen oder der krankenhäuslichen Schulmedizin vertrauen. Außerdem wird von Koni und Mato erzählt, deren Familienplanung zwischen Tradition und Moderne schwankt: Koni stirbt fast, als sie im Alter von 46 Jahren ohne medizinische Versorgung ihr sechstes Kind bekommt, und zieht daraus die Konsequenzen, sich für Frauenrechte und sexuelle Aufklärung einzusetzen. Anders als Shuga folgt Vivra Verra einer sehr klaren Erzählstruktur. Alle Folgen sind fünfzehn Minuten lang und in drei Erzähleinheiten gegliedert, die durch syntaktisch fungierende Musik voneinander getrennt sind. Jede Erzähleinheit hat einen Ort, eine Zeit und eine Storyline. Diese folgen dann in parallelen Verläufen ähnlichen dramatischen Dynamiken. Es handelt sich um repetitives und zirkuläres Erzählen, in dem bestimmte Entscheidungen über viele Folgen hinweg diskutiert, revidiert und erneut aufgegriffen werden. Die Entwicklung der Figuren geschieht langsam und die Erzählung basiert auf ausführlicher Dialogisierung. Die fiktive Diegese kommt außerdem zu einem abgeschlossenen Ende. Um Vivra Verra herum entstehen neben diesen narrativen Episoden ebenfalls partizipative und grenzüberschreitende Strukturen. So gibt es zum einen Figuren, die im Anschluss an die Sendung aus der Intradiegese treten und extradiegetisch Verhaltensweisen der Figuren kommentieren, wie im Folgenden Sinke: „Jeunes filles, faites comme Sinke! Demandez conseil au Centre de Santé le plus proche en ce qui concerne les consultations prénatales“ (Episode 107, 13: 19-13: 29). Im Hinblick auf das Friktionalitätspotenzial des Gehörten sind vor allem Brüche mit der Fiktion von Bedeutung. So ist in diesem Beispiel Sinke durch ihre Stimme eindeutig zu identifizieren. In der extradiegetischen Rahmung tritt sie aber als faktuale Sprecherin auf, die auf diese Figur referiert und den Hörerinnen eine reale Empfehlung mitgibt. Über diese Kommunikationsstruktur entsteht ein friktionalisierbarer Oszillationsmoment. Zum einen werden zwar die fiktive und die reale Welt noch einmal stärker voneinander getrennt, da Sinkes Sprecherin ihre Rolle verlassen kann, zum anderen wird aber die Modellhaftigkeit des Verhaltens in dieser fiktiven Gesellschaft für das eigene Leben und die eigene reale Gesellschaft betont. 235 Dossier Ähnliche Spannungen entstehen, wenn Stimmen, die in der Serie eigentlich negativ besetzte Inhalte transportieren, extradiegetisch eine gegensätzliche Meinung vertreten und damit friktionales und selbstanalytisches Nachdenken über die eigene Entwicklungsfähigkeit durch das Verlassen von Rollen suggerieren. Dies ist bei den Figuren Mbata, dem älteren Taxifahrer und Vater von Sinkes Kind, und Mato der Fall. Mbata ist eine Figur, die grundsätzlich jegliche Art von Schulmedizin und Krankenhausaufenthalte als Geldverschwendung ablehnt, in folgendem extradiegetischen Nachsatz aber genau dafür wirbt: „Chers auditeurs, parlez de la solidarité, même à titre privé, sans attendre les structures spécialisées. Pour en savoir plus, consultez les spécialistes dans les Centres de Santé les plus proches“ (Episode 106, 14: 31-14: 42). Mato ist die Figur, die seine Nichte illegal und minderjährig verheiraten will und im extradiegetischen Anhang aufklärerisch dagegen argumentiert: „Chers auditeurs, le mariage forcé précoce est punissable par la loi d’une peine d’un à douze ans de servitude pénale. La peine est doublée lorsqu’il s’agit de mineurs. Chers parents, ne marions pas nos enfants avant l’âge de la majorité“ (Episode 99, 14: 36- 15: 01). Figuren werden als Figuren entlarvt, da die Stimmen die Diegese verlassen können. Somit werden zwei mögliche Gesellschaftsversionen eröffnet, indem bestimmte Haltungen als fiktionalisiert und selbstanalytisch friktionalisierbar mit Veränderungspotenzial aufgezeigt werden. Im Anschluss an diese extradiegetischen Kommentare folgen dann Radiodiskussionen mit Hörer_innen zum Thema. Hörer_innen haben also die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu schildern und sich mit den Figuren zu vergleichen. Selbstanalytisch wird Vivra Verra darüber hinaus durch intradiegetische Transmedialitätskonzepte. So finden sich metanarrative Verweise darauf, dass die Figuren selbst wiederum eine Radio Soap Opera verfolgen, die Vivra Verra heißt, und wichtige gesellschaftliche Werte daraus ableiten. 1 In diesem Zusammenhang findet ein Austausch über die Rolle der Medien für gesellschaftliches Zusammenleben und Wissensvermittlung statt. Die Figuren fordern von den Medien mehr Geschichten mit aufklärerischem, selbstanalytischem Gesellschaftsbezug, wie es eben Vivra Verra leistet. Es entsteht das Bild eines sich beständig selbst reflektierenden Spiegels, der allein durch das intradiegetische Reflexionsmoment friktionalisierbar auf die reale Hörsituation referiert. Insgesamt ermöglichen die vorgestellten transmedialen Grenzüberschreitungen Gesellschaftsporträts, die sich vor allem in den selbstanalytischen Momenten zwischen Fiktion und Realität formieren. Dabei werden aus dem Erzählgenre Soap Opera Wissensstrukturen über das gesellschaftliche Zusammenleben geformt, die sich in größere Diskurse einschreiben, wie im Folgenden dargestellt wird. Radio Soap Opera und soziokulturelles Wissen Das Konzept, das Wissensbildung in Unterhaltungsgenres beschreibt, nennt sich Edutainment und erlebt vor allem in Radio Soap Operas aus Subsahara-Afrika eine neue Offensive. Die Rolle des Gesellschaftsporträts geht mit dem Anspruch einher, 236 Dossier die soziale Realität zu fiktionalisieren und vice versa friktionalisierend in diese einzugreifen. Dieser Anspruch wird von der kenianischen Gesundheitsministerin Dr. Joyce Onsongo in den Analysen des Kulturtheoretikers Njogu wie folgt zusammengefasst: Society is in fact dialogue, involvement and participation. It requires creating cultural identity, trust, commitment and ownership. It is vital for the empowerment of peoples. I would like to encourage you to listen to the people in whose interest you design programs. By listening to them we are able to address important health and gender issues within their cultural context. Even as we try to change cultures, we should do so with respect and sensitivity (Njogu 2005: 5). Njogu betont darüber hinaus, dass es kein neuer Versuch ist, über Soap Operas aktiv in soziokulturelle Wissensstrukturen und damit in gesellschaftliche Entwicklungen einzugreifen. So thematisiert er auch die Vorbehalte, nach den schwerwiegenden kolonialen und postkolonialen Erfahrungen ein westliches Genre zu nutzen, um gerade afrikanische Gesellschaften darzustellen und zu verändern: It is likely to view the use of forms emanating from the West as a negation of the creative project in Africa. However, this view may be limiting because it assumes that genres are not subjected to cultural interventions once they cross the borders of their origin. Genres are always re-invented and re-crafted. They are never static or insulated. […] The soaps will have the challenge of indicating ways of giving birth to new human beings with a vision and mission that seeks to humanize the entire world. [They are] culturally homegrown solutions to our specific local problems (ibid.: 36sq.). Das spezifisch Lokale der Radio Soap Operas aus Subsahara-Afrika führt Njogu auf die Tradition mündlicher Erzählungen zurück. Diese beantwortet die Frage nach Kunst um der Kunst willen oder der Kunst als politisches Instrumentarium, als soziales Wissens- und Bildungsforum aus der eigenen Geschichte. In orature conceptualization there is no contradiction, for, it is not a question of either/ or, but rather a matter of complementariness. This is to say in orature, while art is by and large utilitarian; its aesthetic appeal also matters. The orature heritage perceives art as an aspect of human productivity that has a functional purpose, but one that is also meant to express beauty while it entertains the audience. Thus, when we describe soaps as edutainment, we are at one with the orate tradition in which teaching, education and entertainment converge to define a desirable piece of art (ibid.: 48). Edutainment hat somit eine lange Tradition in Subsahara-Afrika. Es wird darüber hinaus als notwendig erachtet, da es gesellschaftliche Überlebensstrategien und Wissensformen braucht, die sich am effizientesten über das Erzählen und vor allem das friktionalisierbare Erzählen formieren können. Dies betrifft gerade tief verankerte Wertestrukturen, wie sie sich in lange eingeübten Geschlechterrollen oder dem Umgang mit Gesundheitsthemen finden. Mündliche Erzähltradition wird in neue Erzählmedien und transmediale Erzählverfahren eingearbeitet. Die Einbeziehung und An- 237 Dossier eignung westlicher Genres und westlicher Medienerfahrung ist dabei eine transnationale Gegebenheit und Selbstverständlichkeit, wirft jedoch auch postkolonial sensibilisierte Fragen auf: Wer bezahlt diese Radio Soap Operas? Wer schreibt die Geschichten? Wer wertet sie aus? Wer ist also tatsächlich beteiligt an den seriellen Darstellungen von Gesellschaft und hat damit die Macht, kontinuierlich Wissen zu bilden und Gesellschaft zu formieren? Handelt es sich wirklich um gesellschaftliche Selbstanalyse oder gibt es Eingriffe von außen? Finanzielle Mittel für Soundarchive und Sprecher_innen stammen häufig von auswärtigen Organisationen. Vivra Verra beispielsweise wird von einer lokalen Schreib- und Sprecher_innengruppe umgesetzt, aber produziert vom Population Media Center ( PMC ), einer NGO mit Sitz in den USA , die wiederum über Spenden verschiedenster UN -Organisationen und privater Stiftungen im Kampf gegen AIDS und für Frauenrechte finanziert wird (www.populationmedia.org). Shuga ist ebenfalls von diversen Sponsoren 2 abhängig, um auf dieser interaktiven und transmedialen Basis agieren zu können. Seit Anfang der 2000er Jahre werden von der UN regelmäßig mediale Kampagnen im Edutainment-Stil unterstützt. Seitdem fördert der Auslandssender der BBC auch Projekte wie BBC Media Action, die unter anderem Edutainment Soap Operas produzieren. Die Deutsche Welle Akademie hat ähnliche Programme, die allerdings schon seit den frühen 1990er Jahren laufen, wie es Wolfram Frommlet, ein ehemaliger Mitarbeiter der Akademie, beschreibt. 3 Westliche Produzenten spielen also eine ganz entscheidende Rolle. Gesellschaftliche Selbstanalyse findet in Radio Soap Operas aus Subsahara-Afrika vor allem auf der Ebene der Diegese und den eingeschriebenen friktionalisierbaren Momenten durch transmediale Erzählverfahren statt. Darüber hinaus wird aber auch, wie es die umfangreichen Dossiers und Auswertungen von Unicef, BBC Media Action und der Deutschen Welle Akademie zeigen, ausführliche Fremdanalyse betrieben. Dies geschieht durch die weltweit geldgebenden Organisationen und ein Netz, das immer noch die Fortsetzungen und unumgänglichen Verstrickungen der kolonialen, postkolonialen und neokolonialen Hinterlassenschaften und Einflüsse zeigt. In seinen Untersuchungen fasst Njogu aber zusammen, dass diese finanziellen Verstrickungen und damit immer auch externen Einflüsse aus westlichen Organisationen von den meisten Schreiber_innen und Sprecher_innen vor Ort hingenommen werden, um ihre Ziele verfolgen zu können. „There is need to use available resources to produce local programmes“ (ibid.: 74). Wichtig ist, dass im Format der transnational erfolgreichen Soap lokale Erzähltraditionen wirksam werden können. Im Vordergrund stehen darüber hinaus der Inhalt und die Botschaft der Erzählungen, die auf ein zukunftsorientiertes Selbstbild gerichtet sind: „bringing the strongest social messages of all - the message of pride and a sense of belonging. […] Images of ourselves with an ability to talk, laugh, to dream, a vision of a future that we can create“ (ibid.: 71). 238 Dossier Zusammenfassung Radio Soap Operas, wie die analysierten Beispiele aus dem frankophonen Kongo (Vivra Verra 2014-2016) und anglophonen Südafrika (Shuga: Love, Sex, Money 2012) zeigen, erleben gerade außerhalb Europas, im postkolonialen Raum und für jugendliche Hörer_innen ein Revival, das neue Formen der narrativen Inszenierung von Gesellschaft und sozialem Alltag ermöglicht. Serielle und partizipative Formen des Erzählens werden genutzt, um mögliche Welten zu erzeugen, Figuren mit Identifikationspotenzial auszustatten und Gesellschaftsbilder zu vermitteln. Gerade in Subsahara-Afrika stehen Fragen nach dem Leben in einer von AIDS geprägten Gesellschaft, dem Stadt-Land Gefälle und Generations- und Geschlechterkonflikten im Vordergrund. Unter dem Schlagwort des Edutainment entstehen dabei transmediale Erzählwelten, die soziokulturelles Wissen fiktionalisieren und friktionalisieren. Aus postkolonialer Perspektive sind dabei die neokolonialen Machtstrukturen in den Produktionsprozessen kritisch mitzudenken. Adorno, Theodor W., „Fernsehen als Ideologie“, in: id. (ed.), Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt/ Main, Suhrkamp, 1963, 81-98. Allen, Robert C., „As the World tunes in. An international perspective“, in: Robert Morton (ed.), Worlds without End. The Art and History of the Soap Opera, New York [u. a.], Abrams [u. a.], 1997, 11-119. Batscha, Robert M., „Foreword“, in: Robert Morton (ed.), Worlds without End. The Art and History of the Soap Opera, New York [u. a.], Abrams [u. a.], 1997, 7-8. Eco, Umberto, „Serialität im Universum der Kunst und der Massenmedien” in: id. (ed.), Labyrinth der Vernunft. Texte über Kunst und Zeichen, Leipzig, Reclam, 1989, 301-324. Edmondson, Madeleine / Rounds, David, The Soaps. 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