eJournals lendemains 43/170-171

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2018
43170-171

Rayonnement culturel und Gastfreundschaft der französischen Sprache

2018
Luise Hertwig
ldm43170-1710007
7 Dossier Marco Thomas Bosshard / Margot Brink / Luise Hertwig (ed.) Der Frankfurter Buchmesseschwerpunkt Francfort en français 2017: Inszenierung und Rezeption frankophoner Literaturen in Deutschland 1 Luise Hertwig Rayonnement culturel und Gastfreundschaft der französischen Sprache Frankreich auf der Frankfurter Buchmesse 1989 und 2017 Anlässlich des französischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1989 veröffentlichte der franko-marokkanische Autor Tahar Ben Jelloun in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit einen Beitrag, in dem er das Verhältnis von Autoren nichtfranzösischer Herkunft zur französischen Sprache thematisierte: Lange Zeit war die französische Sprache ein großes Haus mit offenen Fenstern und Türen. Dichter, Philosophen und Erzähler aus anderen Ländern machten Halt und ließen sich nieder. Man fand es normal. […] Sie schreiben auf französisch, und das stellt niemanden vor Probleme. […] Vielleicht nehmen nicht alle Franzosen sie auf - die französische Sprache tut es (Ben Jelloun 1989). 2 Damit antizipierte Tahar Ben Jelloun ein Motiv, das fast dreißig Jahre später zum Leitgedanken des zweiten französischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse werden sollte: die Gastfreundschaft der französischen Sprache. Im offiziellen Rahmen der Ehrengastpräsentation von 1989 wurde französischsprachige Literatur von Schriftstellern nichtfranzösischer Herkunft vorerst nur am Rande thematisiert. Stattdessen war der Gastlandauftritt Frankreichs im Jahr des 200-jährigen Jubiläums der Französischen Revolution eher von nationalen Symboliken und einem Fokus auf den traditionellen literarischen Kanon geprägt. Im Jahr 2017, beim zweiten französischen Ehrengastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse, waren es nun die Organisatoren des Auftritts selbst, die unter dem Motto Francfort en français die französische Sprache und damit auch andere frankophone Literaturen in den Mittelpunkt stellten. Der internationale Charakter der Frankfurter Buchmesse als wichtigster Veranstaltung ihrer Art für den weltweiten Lizenzhandel bietet dem Gastland dank großer Medienaufmerksamkeit die Möglichkeit, einer breiten Öffentlichkeit auf internationaler Ebene und über die Akteure der Buchbranche hinaus ein Bild seiner Literatur und Kultur und damit des Landes zu vermitteln. Ausdruck findet dieses Bild in den Elementen, die den Ehrengastauftritt bestimmen: in der Wahl des Mottos, in der Gestaltung des Pavillons, in der Programmplanung sowie in der Einladung von Autoren. Im 8 Dossier Folgenden sollen die bestimmenden Elemente der beiden französischen Ehrengastauftritte von 1989 und 2017 vergleichend analysiert und in ihren zeitgeschichtlichen Kontext aus aktuellen politisch-gesellschaftlichen Diskursen und der Situation der deutsch-französischen Beziehungen eingeordnet werden. 3 Revolution und Sprache - Symbole der französischen kulturellen Identität Das Jahr 1989 stand für die Franzosen ganz im Zeichen des 200-jährigen Jubiläums der Französischen Revolution. Dieser nationale Gedenkmoment wurde auch zum Anlass genommen, sich als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse zu präsentieren. 4 Die Entscheidung dafür war eine politische: Während eines Kulturgipfels in Frankfurt 1986 beschlossen François Mitterand und Helmut Kohl, 1989 zum Jahr der deutsch-französischen Literaturbeziehungen zu machen, in dem sich Deutschland unter dem Motto L’Allemagne par ses livres im Frühjahr als Schwerpunktthema auf dem Pariser Salon du Livre präsentierte und Frankreich im Herbst nach Frankfurt eingeladen wurde. 5 Damit wurde Frankreich nach Italien zum zweiten Gastland der Frankfurter Buchmesse nach der Einführung dieses Formates im Jahr zuvor. 6 Organisiert wurde der französische Ehrengastauftritt vom Institut français in Frankfurt unter der Leitung des damaligen Direktors Alain Lance. Er erhielt dabei die Unterstützung des französischen Verlegerverbandes Syndicat national de l’édition ( SNE ), des französischen Außensowie Kulturministeriums sowie der französischen Botschaft in Bonn. Die Gastlandauftritte auf Buchmessen werden üblicherweise als Element der auswärtigen Kulturpolitik verstanden, da sie es, wie bereits erwähnt, dem Ehrengast erlauben, Imagepolitik zu betreiben. Zur Begründung seiner politischen Sonderstellung in der Staatengemeinschaft, der viel zitierten exception française, beruft sich die französische Außenkulturpolitik traditionell auf die besondere Ausstrahlung französischer Kultur, Literatur und Sprache, den rayonnement culturel, sowie auf die Errungenschaften der Aufklärung und der Revolution von 1789 (cf. Steinkamp 2012). Das Jubiläum der Französischen Revolution als Anlass für den Ehrengastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse zu nehmen schien insofern konsequent, als die Vorstellung von der Heimat der universellen Menschenrechte, der patrie des droits de l’homme, nicht nur dem Selbstbild der Franzosen, sondern auch der internationalen sowie der Fremdwahrnehmung in Deutschland entspricht. So gehört die Revolution von 1789 „zum festen Bestandteil des sozialen Wissens der Bundesbürger“ (Lüsebrink 1990: 304) und prägt das Bild des republikanischen und freiheitlichen Frankreichs mit entsprechender politischer Vorbildfunktion, insbesondere bei deutschen linksliberalen Intellektuellen (ibid.: 305). Für die französische auswärtige Kulturpolitik stellte der Ehrengastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse 1989 mit der einhergehenden internationalen Medienpräsenz eine Initiative dar, um nach dem Bedeutungsverlust Frankreichs nach der Epoche der Dekolonisation auf politischer und dem Verschwinden großer Intellektueller der französischen Nachkriegszeit wie etwa Jean-Paul Sartre und Michel Foucault 9 Dossier auf kultureller Ebene dem französischen rayonnement culturel wieder mehr Bedeutung zu verschaffen. Anders als im Jahr 2017 spielte bei der französischen Selbstdarstellung in Frankfurt die Frankophonie im französischen Verständnis der 1980er Jahre nur eine untergeordnete Rolle als Indiz für die weltweite kulturelle und politische Ausstrahlungskraft Frankreichs. Laut Pierre Monnet wählte man für den französischen Gastlandauftritt 1989 eine „approche assez nationale avec évidemment derrière la francophonie comme instrument de rayonnement de la présence française dans le monde“. 7 Tahar Ben Jelloun schrieb bereits 1989 von der Bereicherung, die die französische Sprache und Literatur durch französischsprachige Autoren aus anderen (frankophonen) Regionen erfahre: Das Französische wird reicher, weil es in seltsame Erinnerungen aus Verzweiflung und Ruin eintaucht, Erinnerungen, die durch Elendsviertel, düstere Gelände und dunkle Gassen, das Meer des Mangels und der Hoffnung streifen. Diese jungen Dichter sorgten für neuen Schwung, frisches Blut, führten es der französischen Sprache und Literatur mit Ungestüm und Großzügigkeit zu, die von der Suche des Nouveau roman schier ausgetrocknet war (Ben Jelloun 1989). Anlässlich des Ehrengastauftritts 2017, dessen Motto Francfort en français und nicht La France à Francfort lautete, entschieden sich die Organisatoren, diesen Reichtum und die Vielfalt der Literatur in französischer Sprache zu würdigen. Zum erhöhten Bewusstsein für dieses Thema führte in den fast dreißig Jahren zwischen den französischen Gastlandauftritten unter anderem die Veröffentlichung des Manifestes Pour une littérature-monde en français im Jahr 2007. 8 Das Manifest verteidigte die Idee einer Literatur in französischer Sprache, die nicht von einem Territorium oder einer Nation abhängt, sondern überall zum Ausdruck kommt: Et que désormais déliée de son pacte avec la nation, libérée de l’étreinte de la source-mère, devenue autonome, choisie, retournée à son chant premier, nourrie par d’autres aventures, n’ayant plus de comptes à régler avec la langue des anciens maîtres, elle avait de nouveau à proposer, vue d’Afrique, d’Asie ou des Caraïbes, de Chine ou d’Iran, d’Amérique du Nord ou du Vietnam, son interprétation du monde (Rouaud 2007: 21). Das Konzept der ‚littérature-monde en français‘ sollte auch die Unterscheidung zwischen den Bezeichnungen ‚französische‘ und ‚frankophone‘ Literatur verschwinden lassen, einem Ausdruck der Hierarchisierung nach Zentrum und Peripherie. Zu deren Verhältnis fragte sich der kongolesische Schriftsteller Alain Mabanckou: Pendant longtemps, ingénu, j’ai rêvé de l’intégration de la littérature francophone dans la littérature française. Avec le temps, je me suis aperçu que je me trompais, la littérature francophone est un grand ensemble dont les tentacules enlacent plusieurs continents. […] La littérature française apparaît comme une littérature nationale: à elle de savoir si elle veut ou non entrer dans ce vaste ensemble (Mabanckou 2006). 10 Dossier Francfort en français stützte sich nicht offiziell auf das Konzept, ernannte aber Alain Mabanckou zu einem der literarischen Berater des Projektes. Anders als beim ersten französischen Ehrengastauftritt lag die Organisation dieses Mal in der Hand eines eigens eingerichteten Komitees beim Institut français in Paris unter der Leitung des commissaire général Paul de Sinety. Infolge einer Reform der Strukturen der französischen Außenkulturpolitik im Jahr 2010 war das Institut français in Paris als Kulturagentur mit der Aufgabe gegründet worden, die strategische Ausrichtung der Politik des Außenministeriums umzusetzen. 9 Die zentrale Organisation des Ehrengastauftritts Francfort en français durch das Institut français in Paris verdeutlicht die Wahrnehmung seiner Bedeutung als Instrument der Kulturdiplomatie und als kulturelles Prestigeprojekt. Ein einzelnes Kulturinstitut hätte für dessen Umsetzung nicht die finanziellen und personellen Kapazitäten gehabt (zumal das lokale Institut in Frankfurt kein Institut français im klassischen Sinne ist, sondern das Forschungszentrum Institut Franco-Allemand de Sciences Historiques et Sociales): Francfort en français galt als das „wichtigste und größte Kulturprojekt, das Frankreich jemals mit Partnern in Deutschland umgesetzt hat“ (Pressemitteilung Frankfurter Buchmesse 15.10.2017). Dafür sorgten auch die Veranstaltungen der begleitenden saison culturelle in der gesamten Bundesrepublik, 10 bei deren Planung sich das Organisationskomitee wie schon die Organisatoren des Auftritts von 1989 auf das umfangreiche Netzwerk französischer kultureller Institutionen in Deutschland stützen konnte - eine Voraussetzung, die Frankreich im Vergleich zu anderen Gastländern der Frankfurter Buchmesse im Hinblick auf die Vielfalt der Programmplanung und die Sichtbarkeit einen großen Vorteil verschaffte. Der französische Ehrengastauftritt von 2017 verknüpfte kulturelle, politische und ökonomische Ziele. Laut Paul de Sinety war es zunächst einmal ein Anliegen, die deutsch-französischen Beziehungen im Kulturbereich zu erneuern, hinsichtlich neuer Wege des Austauschs und der Einbeziehung neuer Generationen von Kulturschaffenden und Intellektuellen. Außerdem sollte Francfort en français die französische verlegerische Vielfalt und Innovation würdigen und sie bewerben, denn mit der Präsentation auf der Frankfurter Buchmesse verbanden sich selbstverständlich auch ökonomische Interessen der französischen Verlagsbranche. Dazu gehörte die akzentuierte Präsentation junger, innovativer Verlagszweige wie den Sektor der Comics und Graphic Novels sowie der Kinder- und Jugendliteratur - Bereiche der französischen Verlagslandschaft, die seit dem ersten Auftritt in Frankfurt eine rasante Entwicklung und internationale Anerkennung erfahren hatten. Dafür sprachen schon die ökonomischen Erfolge dieser Sparten im Lizenzverkauf für Übersetzungen, der ja auf der Frankfurter Buchmesse eine große Rolle spielt. Darüber hinaus hatte das Projekt die Intention, die Einladung zur Buchmesse auf die französische Sprache auszuweiten, [pour] interroger cette langue française sur les questions d’hospitalité, d’accueil et de montrer toute l’extraordinaire richesse éditoriale qui existe aujourd’hui dans le domaine de l’édition avec des auteurs francophones venus du monde entier, de faire découvrir […] au public en Allemagne et international toute l’incroyable diversité éditoriale francophone. 11 11 Dossier Diese Ausweitung der Einladung war für die Organisatoren unumstritten. Die Veranstaltung sollte unter dem Motiv der Gastfreundschaft eine „signification généreuse, d’ouverture, d’accueil des cultures et des langues entre elles“ (Frédéric Boyer zitiert nach Francfort en français 2017) erhalten. Um daran zu erinnern, dass die französische Sprache allen gehört und sich durch den Kontakt mit anderen Sprachen verändert und bereichert wird, berief sich das Projekt Francfort en français unter anderem auf den Philosophen Paul Ricœur: „Hospitalité où le plaisir d’habiter la langue de l’autre est compensé par le plaisir de recevoir chez soi, dans sa propre demeure d’accueil, la parole de l’étranger“ (Ricœur 2004: 20). Über die Offensichtlichkeit der Entscheidung für die Organisatoren und die Symbolisierung von Weltoffenheit hinaus hatte die Wahl des Mottos Francfort en français vermutlich auch ökonomische Motive. Indem man die Einladung auf die Literatur in französischer Sprache ausweitete, konnten sich auch frankophone Länder wie die Schweiz, Belgien und Luxemburg am Auftritt sowie an dessen Kosten beteiligen (cf. Bosshard 2018: 26 und ausführlich Bosshard 2019). Vor dem Hintergrund der Bedeutung, die die französische Sprache für die kulturelle Identität der Franzosen darstellt, 12 kann ihre Würdigung auf der Buchmesse außerdem in einer nationalen Lesart auch als Ausdruck des Wunsches nach Erhaltung des rayonnement culturel gesehen werden - die verstärkte Förderung der französischen Sprache bestimmte die auswärtige Kulturpolitik der Präsidentschaft Emmanuel Macrons auch nach dem Ehrengastauftritt. Deutsch-französische Beziehungen und Blick nach Europa Wie schon 1989 wurde die Entscheidung, dass Frankreich ein weiteres Mal Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse werden würde, letztendlich auf politischer Ebene gefällt. Marco Thomas Bosshard zeigt in seiner Untersuchung zur Vorgeschichte des zweiten französischen Gastlandauftritts die Verflechtungen des literarischen mit dem politischen Feld auf, die das Ehrengastmodell der Frankfurter Buchmesse mit sich bringt (cf. Bosshard 2019). So bot die Buchmesse auch 2017 wieder eine Plattform für die deutsch-französischen Beziehungen, die der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Eröffnungsfeier für ihre erste gemeinsame Inszenierung vor einem größeren deutschen Publikum nach Macrons Amtsantritt im Mai 2017 nutzten. Mit der Auswahl von Autoren und den Beziehungen zwischen ihnen - darunter die Bewunderung Paul Ricœurs für Edmund Husserl - zeigte Macron in seiner Rede seine Kenntnis der deutsch-französischen Literaturbeziehungen 13 und sprach über den Spracherwerb als Basis für die Lebendigkeit des kulturellen Austauschs. Dies waren zwei Aspekte seiner Rede, die ihm große Sympathien seitens der bei der Eröffnungsfeier anwesenden Vertreter des deutschen literarischen Feldes einbrachten. Die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse im Umfeld des zweiten französischen Ehrengastauftritts waren außerdem geprägt von Macrons Visionen für eine Erneuerung Europas nach Herausforderungen wie dem Brexit und anhaltenden Migrationsbewegungen. 12 Dossier Diese hatte er kurz zuvor an der Pariser Sorbonne und am Tag der Eröffnung der Buchmesse auch einem deutschen Publikum an der Frankfurter Goethe-Universität präsentiert. Wie Bosshard feststellt, nutzte Macron seine Eröffnungsrede, um „die europäische Kohäsion im Zeichen der Krise neu [zu beschwören] und die europäische Identität von anderen Identitäten mit Büchern als ideologischen Multiplikatoren“ (Bosshard 2018: 27) abzuheben. Eine neue Ausrichtung und Herausforderungen für die europäische Integration, die Förderung der deutsch-französischen Beziehungen bei abnehmendem Interesse an der jeweils anderen Sprache, kulturelle Vielfalt und die Rolle französischer beziehungsweise europäischer Kultur in einer globalisierten Welt - all diese Themen prägten bereits das politische, gesellschaftliche und kulturelle Umfeld des ersten Frankreich-Ehrengastauftritts im Jahr 1989. Der Herbst 1989 war von den Entwicklungen im Osten Europas und in der DDR bestimmt. In den Medien stand der französische Ehrengastauftritt daher in Konkurrenz mit den Berichten über diese Umbrüche und den Ereignissen auf der Buchmesse selbst. Dazu gehörte unter anderem die ausführliche Berichterstattung über den Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, des tschechischen Dissidenten Václav Havel, der zur Entgegennahme der Auszeichnung nicht nach Frankfurt ausreisen durfte. 14 Die Entwicklungen in den Ostblock-Staaten konnten selbstverständlich zum Zeitpunkt der Planung des französischen Ehrengastauftritts in Frankfurt nicht vorausgesehen werden. Die Simultaneität der commémoration und der im Herbst 1989 aktuellen Umbrüche verlieh der Buchmesse einen außergewöhnlichen Charakter und prägte die politischen Reden zu ihrem offiziellen Beginn, insbesondere jene von Bundeskanzler Helmut Kohl, der gemeinsam mit dem französischen Kulturminister Jack Lang die Buchmesse eröffnete (cf. Kohl 1989). Schon im Vorfeld des Auftritts von 1989 visierte man eine Stärkung des kulturellen Austauschs zwischen beiden Ländern an. Beim deutsch-französischen Kulturgipfel in Frankfurt im Oktober 1986 wurde in diesem Sinne in der „Gemeinsamen Erklärung über kulturelle Zusammenarbeit vom 28. Oktober 1986“ die Gründung verschiedener Institutionen wie des Deutsch-Französischen Kulturrats, des deutsch-französischen Kultursenders Arte und der Deutsch-Französischen Hochschule angekündigt, welche in den 1990er Jahren erfolgte und den deutsch-französischen Kulturbeziehungen eine neue Dynamik verlieh. 15 Bezüglich der Literaturbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland heißt es in der „Gemeinsamen Erklärung“: Durch vermehrte Schriftsteller-, Übersetzer- und Verlegertreffen, die Förderung zweisprachiger Ausgaben, die Vergabe eines jährlichen Übersetzerpreises und die Abhaltung einer deutsch-französischen Literaturtagung 1987/ 88 wird eine gemeinsame Politik zur Verbreitung der Literatur des Partnerlandes betrieben (Gemeinsame Erklärung über kulturelle Zusammenarbeit vom 28. Oktober 1986: 4). Die wechselseitigen Präsentationen als Gastland der Buchmessen waren bereits Ausdruck des Vorhabens, die Literatur des jeweils anderen im Nachbarland bekannter zu machen. Zum Auftakt des französischen Ehrengastauftritts bemerkte Die Zeit, 13 Dossier dass Kulturaustausch, und dazu gehörten auch Übersetzungen, nicht per se „zum gegenseitigen Verständnis der Kulturen“ (Die Zeit 13.10.1989) beitrage. „Die deutsch-französische Freundschaft, damals, als Adenauer und De Gaulle sie proklamierten, eine politische Sensation, hat die Kenntnis des Nachbarlandes und vor allem die Kenntnis der Nachbarsprache nicht wesentlich vergrößert“ (ibid.). 16 Diesem Urteil über die aktuellen deutsch-französischen Beziehungen schloss sich auch Günther Christiansen, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, an. In seiner Rede zur Eröffnung der Buchmesse beklagte er den Rückgang der aus dem Französischen ins Deutsche übersetzten Buchtitel sowie den schwachen Import französischer Bücher nach Deutschland: Und doch, so scheint es, hat die deutsch-französische Versöhnung eine Art literarisches Vakuum geschaffen, das das Aufeinander-Zugehen gelegentlich erschwert. […] Diese Entwicklung muß uns alle nachdenklich stimmen, wenn man sich erinnert, wie stark sich die beiden Literaturen der Nachkriegsjahre noch gegenseitig geprägt haben. Der Rhein, so scheint es, ist stellenweise tiefer geworden (Christiansen 1989: 3375). Diese pessimistische Einschätzung begründet sich möglicherweise mit dem Blick auf langfristigere Entwicklungen der Übersetzungszahlen und in einer Abnahme des Interesses deutscher Verlage an französischsprachiger Literatur infolge der ‚Krise‘ derselben aufgrund des Fehlens einer neuen literarischen Strömung nach dem Ende des Nouveau roman. 17 Übersetzungen aus dem Französischen hatten 1989 einen zahlenmäßig bedeutenden Anteil von 13% an allen übersetzten Werken auf dem deutschen Buchmarkt. In der Folge wirkte sich der Gastlandauftritt Frankreichs auf der Buchmesse wohl positiv auf das Interesse deutscher Verlage an französischsprachiger Literatur aus: In den Jahren danach lag die Zahl der Übersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche sogar jeweils bei deutlich über 1.000 Büchern pro Jahr. 18 Die Auswirkungen der wechselseitigen Besuche als Ehrengäste auf den Buchmessen wurden im Nachhinein nicht nur für den Literaturaustausch positiv beurteilt. Als ein Baustein für die verstärkten deutsch-französischen Kulturbeziehungen in den 1990er Jahren hätten sie laut Pierre Monnet dazu beigetragen, „de donner encore un peu plus de corps au traité de l’Élysée de 1963 qui a un aspect évidemment politique, linguistique et diplomatique mais pas vraiment culturel“. 19 In seiner Rede zur Eröffnung der Buchmesse betonte der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl die Notwendigkeit zur Förderung des Spracherwerbs, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern. Mit Blick auf die Umbrüche im Osten Europas und die Erwartungen der dort für ihre Freiheit demonstrierenden Völker sprach er von der Aufgabe Deutschlands und Frankreichs, die kulturelle Dimension der europäischen Einigung voranzubringen: Die Europäische Gemeinschaft, wie wir sie verstehen, ist auch und vor allem eine Werte- und Kulturgemeinschaft. Dies zum Ausdruck zu bringen, ist mehr denn je auch eine Aufgabe deutsch-französischen Zusammenwirkens. Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland haben ihre enge Freundschaft seit jeher in den Dienst Europas gestellt, und sie haben dabei oft genug als Motor der europäischen Entwicklung gewirkt. Unsere Partnerschaft muss sich 14 Dossier auch als wegweisend bewähren, wenn es um kulturellen Austausch geht - untereinander und in Europa (Kohl 1989: 3372). 20 Ähnlich positiv über die Errungenschaften der deutsch-französischen Beziehungen äußerte sich auch der französische Kulturminister Jack Lang. Für ihn stellte der Empfang Frankreichs als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse „in diesem Jahr zugleich ein[en] Höhepunkt der deutsch-französischen Zusammenarbeit“ (Lang 1989: 3374) dar. Er thematisierte in seiner Rede außerdem den Einfluss der Globalisierung auf die Kultur und übte Kritik an der zunehmenden Dominanz amerikanischer Kulturproduktion. Gleichzeitig rief er mittels der Metapher eines Hauses für das kulturelle Europa zu Offenheit für den kulturellen Austausch und für Vielfalt aus: „Die Fenster dieses Hauses sollen weit geöffnet sein gegenüber allen friedlichen und wohltätigen Einflüssen, ob sie nun vom Atlantik kommen oder aus dem Osten, aus dem Norden, aus dem Süden“ (ibid.: 3373-3374). Jack Lang sah die Aufgabe Deutschlands und Frankreichs darin, auf europäischer Ebene ein neues Modell für die Kultur in Zeiten der Globalisierung zu schaffen (cf. ibid.). Wie Frankreich damals seine eigene Kultur wahrnahm, zeigte sich in der Gestaltung des französischen Pavillons auf der Buchmesse. Pavillon bleu versus Pavillon ohne Grenzen 21 Das französische Veranstaltungsprogramm anlässlich des Ehrengastauftritts 1989 war beeinflusst vom bicentenaire der Französischen Revolution. Auf der Buchmesse fanden politische Podiumsdiskussionen mit den Titeln „Menschenrechte, Frauenrechte? “ und „Demokratie in der Antike, Demokratie in der Moderne“ statt. Eine Ausstellung in Frankfurt präsentierte Plakate internationaler Kampagnen für Menschenrechte, und im begleitenden Automne français, dem französischen Programm kultureller Ereignisse in mehreren Städten der Bundesrepublik, wurden Ausstellungen zur Revolution von 1789 in den Instituts français in München, Essen und Köln gezeigt. Dennoch standen das Buch, die Literatur und das Lesen in allen Bereichen im Zentrum des französischen Ehrengastauftritts: Laut Alain Lance war es das Ziel, das Buch in „seiner unersetzbaren Rolle als Kulturmittler“ (Institut français 1989) zu präsentieren. Über den Pavillon bleu, Frankreichs Ausstellungsbereich in der Kongresshalle der Messe, schreibt Marion Rütten in ihrer vergleichenden Darstellung des italienischen und französischen Auftritts Ende der 1980er Jahre: „Auf alles, was von den Büchern und der Literatur ablenken konnte, wurde bewusst verzichtet“ (Rütten 1999: 146). Wie die Bezeichnung Pavillon bleu schon ausdrückt, dominierte im Pavillon die Farbe Blau: an den Wänden, an den Präsentationskästen der Exponate in Form überdimensionaler Bücher sowie auf dem mit Konjugationsformen des französischen Verbs ‚lire‘ bedruckten blauen Teppich. Wie Michel Pastoureau in seiner kulturgeschichtlichen Abhandlung über die Farbe Blau zeigt, entwickelte sich das Blau über die Jahrhunderte, schon vor der Einführung der Trikolore in den Tagen nach 15 Dossier dem Sturm der Bastille während der Revolution von 1789, zur Nationalfarbe Frankreichs: Il y a ainsi au fil des siècles une continuité du bleu ‚français‘ […] parce que cet azur des armoiries royales est devenu dès le XIIIe siècle la couleur de la monarchie, puis à la fin du Moyen Âge, celle de l’État et du gouvernement, et enfin à l’époque moderne, celle de la Nation. […] C’est la Révolution qui en fait définitivement la couleur nationale (Pastoureau 2000: 143sq.). Frankreich wird insbesondere im Rahmen von Sportveranstaltungen (Bezeichnung Les Bleus für die Mannschaften), aber auch darüber hinaus mit der Farbe Blau assoziiert, und dies möglicherweise sogar stärker im Ausland als von den Franzosen selbst (cf. ibid.: 141), weshalb die Gestaltung des französischen Pavillons in der Nationalfarbe auf der international ausgerichteten Frankfurter Buchmesse 1989 als adäquate Lösung erschien. Laut Pierre Monnet handelte es sich beim Pavillon bleu um einen „espace assez ouvert, pas de compartimentage dans mon souvenir, […] un peu de convivialité avec des tables basses, des fauteuils bas etc.“. 22 Wie von Journalisten mehrfach kommentiert, wurde dieser offene, in blaues Licht getauchte Raum auf der ansonsten hektischen Buchmesse als „Wohltat“ (Nürnberger Zeitung 13.10.1989) und „angenehmer, kühler Gegenpol“ (Haase 1989) wahrgenommen - diese Funktion eines Erholungsraumes für Fachbesucher sowie Laienpublikum erfüllt der jeweilige Gastlandpavillon in Frankfurt bis heute regelmäßig. Die verschiedenen Ausstellungen im französischen Pavillon widmeten sich insbesondere der Gegenwartsliteratur und Werken der Geistes- und Sozialwissenschaften. Präsentiert wurden aktuelle Verlagsprogramme renommierter französischer Verlagshäuser, Literatur der petite édition ebenso wie die Geschichte der französischen Verlagslandschaft anhand einzelner Akteure. Dabei durften auch bedeutende Institutionen wie die Imprimerie nationale sowie die Bibliothèque nationale mit der Präsentation eines Modells des von François Mitterrand 1988 angekündigten Bibliothekneubaus nicht fehlen, um das Prestige des französischen literarischen Feldes abzubilden. Mit derselben Intention lässt sich auch die Ausstellung von Gipsbüsten großer literarischer Persönlichkeiten wie Rabelais, Racine, Voltaire, Mirabeau, Balzac, Hugo, aber auch Jeanne d’Arc und Napoleon einordnen. Offiziell unterlag der französische Gastlandauftritt von 1989 den Prinzipien von Vielfalt und Aktualität eher als der Abbildung von Traditionen (cf. Institut français 1989). Den Organisatoren ging es nicht darum, „ein ‚Ereignis Frankreich‘ darzustellen“ (zitiert nach Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 1989: 2549), womit sie sich auch vom Auftritt Italiens im Jahr zuvor abgrenzen wollten. Während Angehörige der italienischen Buchbranche die „Showkultur und den Kitsch in der Gestaltung des italienischen Pavillons“ (Rütten 1999: 143) kritisierten, nahmen Publikum und Presse die aufwändige Selbstdarstellung Italiens mit Konstruktionselementen aus der Literaturverfilmung des Bestsellers Der Name der Rose von Umberto Eco größtenteils begeistert auf. In der Folge wurde der französische Ehrengastauftritt von der 16 Dossier deutschen Presse als kälter, strenger, aber auch intellektueller rezipiert. Die Journalisten beschrieben den Auftritt als „eher konventionell“ (Kronsbein 1989), „bescheiden klein, ja trist“ (Kinner 1989) und maßen ihm einen „Hauch von Harmlosigkeit“ (Nürnberger Zeitung 13.10.1989) bei. Andere lobten die Konzentration der Ausstellung auf das Thema Literatur: „Wort und Schrift, nicht Bilderflut und kulinarische Kultur, standen im Vordergrund“ (Markgraf 1989). 23 Der Pavillon böte „kein[en] Starkult, keine literarische Leistungsshow, sondern genaue Information“ (Campe 1989). Das vornehmlich intellektuelle Programm des französischen Ehrengastauftritts richtete sich im Wesentlichen an ein deutsches Publikum, das Frankreich gut kannte und schätzte. Mehrere Generationen der deutschen Besucher der Buchmesse hatten Verbindungen nach Frankreich, sei es durch eigene Erfahrungen noch während des Krieges oder aber durch die entschiedene Jugendaustausch- und Städtepartnerschaftspolitik der vorangegangenen Jahrzehnte. Aufgrund der besonderen Beziehungen zwischen den beiden Ländern bezeichnete man den Auftritt der Franzosen daher auch mit dem Stichwort „Verwandtenbesuch“ (Neue Ruhr Zeitung 11.10.1989). Viele Besucher der Buchmesse brachten Sprach- und entsprechende Vorkenntnisse zur französischen Literatur und Kultur mit. Wenn sich auch der Auftritt der Aktualität des französischen Literaturschaffens verpflichtet hatte, so war doch die Erinnerung an die großen Namen und geistig-literarischen Strömungen der Nachkriegszeit wie Existenzialismus, Theater des Absurden und Nouveau roman verantwortlich für die Attraktivität der französischen Präsentation für das deutsche und auch internationale Publikum. Auch 2017 übte der französische Ehrengastauftritt eine Anziehungskraft auf das deutsche Publikum aus. Die Umfragen auf der Buchmesse zeigten, dass Frankreich und andere französischsprachige Länder nicht nur immer noch beliebte Reiseziele waren, sondern auch mehr als die Hälfte der befragten Besucher wenigstens elementare Sprachsowie mehr als ein Drittel von ihnen auch Kenntnisse über französischsprachige Autoren besaßen (cf. Bosshard 2018: 30sq.). Pierre Monnet beobachtete, dass Frankreich in den 1990er Jahren in den Augen vieler Menschen etwas altmodisch geworden war und „un petit coup de vieux“ 24 bekommen hatte, so wie es sich auch 1989 in Frankfurt eher als traditionelles Land dargestellt hatte. Mit einer Demonstration seiner Modernität und Innovationsfähigkeit sollte dieses Bild nun revidiert werden. Junge Menschen standen dabei besonders im Fokus der Selbstdarstellung. Dem Thema Jugend wurde im Pavillon daher mit einer großen Ausstellung zum Kinder- und Jugendbuch sowie einer ebenfalls umfassenden Präsentation von Comics und Graphic Novels viel Platz eingeräumt. Einerseits konnte in diesen Genres die Innovativität des französischen Buchmarktes, auch im Hinblick auf digitale Erzählformen über das Buch hinaus, gezeigt werden. Auf der anderen Seite sollte es mit der Ausstellung dieser Themen gelingen, junge Menschen anzusprechen, die weniger frankreichaffin sind, um sie über neue kulturelle Entwicklungen für Frankreich und die französische Sprache zu interessieren. 17 Dossier Mit seinen verschiedenen Veranstaltungsformaten und der Präsentation vielfältiger literarischer Formen im Pavillon - neben der littérature générale und Kunstbüchern wie bereits erwähnt auch Comics, Graphic Novels, Kinder- und Jugendliteratur sowie digitale Literatur -, setzte Francfort en français darauf, diverse Zielgruppen zu erreichen. Über seinen Zweck als Ausstellungsraum hinaus erfüllte der Pavillon auch diverse andere Funktionen. Mehrere Bühnen inklusive Sitzgelegenheiten, eine Brasserie und eine integrierte Buchhandlung machten aus dem Pavillon auch einen Veranstaltungs-, Verkaufs-, Erholungs- und Begegnungsraum. Der Direktor für Design, Ruedi Baur, plante den Pavillon mit seinen vielen Regalen und Büchern als labyrinthische Bibliothek. Durch die sehr präsente Beschilderung in mehreren Sprachen sollte der Pavillon einem Stadtzentrum ähneln. Die insbesondere an Jugendliche gerichteten digitalen Aktivitäten sorgten für die Atmosphäre eines FabLabs. 25 Im Ganzen war der Pavillon als Kommunikationsraum zu verstehen, der die Beziehungen zwischen der französischen, der deutschen und anderen Sprachen abbildete. Schon beim ersten Gastlandauftritt Frankreichs hatte es im Pavillon bleu eine Schautafel gegeben, in dem ein Text des Autors Jean Duché die Offenheit der französischen Sprache für die Beiträge aus anderen Sprachen demonstrierte, in dem darin die sprachlichen Einflüsse aus verschiedenen Sprachen hervorgehoben wurden. 26 Die Leitgedanken des Projektes Francfort en français, die Gastfreundschaft der französischen Sprache, Offenheit und Austausch, spiegelten sich im Gesamtkonzept des Pavillons insofern wider, als dem Thema Übersetzung vor allem in zwei Ausstellungen ein wichtiger Platz eingeräumt wurde (Les routes de la traduction und Mille et une Übersetzungen) und es sich um einen Pavillon der französischsprachigen Literatur ohne Grenzen handeln sollte: Weder zwischen den literarischen Formen und damit Leserschaften sollten Abgrenzungen aufgebaut werden, noch zwischen Ausstellungsbereichen aus Frankreich und aus den offiziell beteiligten Partnerregionen in der Schweiz, Belgien und Luxemburg. Da im transnational gedachten Pavillon in dieser Hinsicht auf eine explizite Kennzeichnung verzichtet werden sollte, mussten die Partner ihre Teilnahme am Projekt Francfort en français für das Publikum über das Programm mit den von ihnen eingeladenen Autoren sichtbar machen. „Unbekannte Gesichter“ versus „Autoren, die auf Französisch träumen, schreiben und zeichnen“ 27 Auf der Frankfurter Buchmesse 1989 standen die 63 anwesenden französischsprachigen Autoren im Mittelpunkt des gesamten Gastlandauftritts. Die Auswahl dieser Schriftsteller unterlag ebenfalls den Prinzipien von Aktualität und Vielfalt, um dem deutschen und internationalen Publikum neue literarische Strömungen vorstellen zu können. Die Werke etwa der Hälfte der eingeladenen Autoren waren bis dahin noch nicht ins Deutsche übersetzt. Alain Lance begründete die Auswahl der Autoren folgendermaßen: „Wir setzen nicht auf Sensationen, sondern auf unbekannte Gesichter“ (zitiert nach Rehn 1989). Zu diesen im deutschsprachigen Raum noch „unbe- 18 Dossier kannten Gesichtern“ gehörten auch Schriftsteller mit Wurzeln außerhalb Frankreichs, denn in der Programmplanung wurde dieser Aspekt auch beim französischen Ehrengastauftritt 1989 nicht ignoriert. Unter anderem war auch Tahar Ben Jelloun eingeladen, der frankophone Literatur von nichtfranzösischen Autoren damals schon für in Frankreich allgemein anerkannt hielt: „Was halten die Franzosen von diesen Einflüssen? Gewiß nehmen sie diese Literatur mit Interesse und Sympathie auf“ (Ben Jelloun 1989). Dennoch spiegelte die Liste der nach Frankfurt eingeladenen Autoren, die die französische Literatur repräsentieren sollten, wider, dass Themen wie Diversität, Literatur frankophoner Autoren von außerhalb Frankreichs und auch Geschlechtergleichstellung bei der Auswahl der repräsentierenden Schriftsteller noch weniger Berücksichtigung fanden. Nur ein Fünftel der eingeladenen Autoren waren Frauen (12), im Vergleich zu 51 männlichen Schriftstellern. Zwölf Schriftsteller, die außerhalb Frankreichs geboren wurden und aus verschiedenen biographischen Gründen Französisch als ihre Literatursprache gewählt hatten, waren zur Frankfurter Buchmesse eingeladen, ohne dass dies im Rahmen des Auftritts explizit thematisiert worden wäre. Dies waren Tahar Ben Jelloun (Marokko), Édouard Glissant (Martinique), Jean Daive und Pierre Mertens (Belgien), Alfred Grosser und Joseph Rovan (Deutschland), Marek Halter (Polen), Edmond Jabès (Ägypten), Albert Memmi (Tunesien), Jean Métellus (Haiti) sowie mit Leslie Kaplan ( USA ) eine einzige weibliche Autorin. Wie die übrigen Autoren veranstalteten sie Lesungen auf der Buchmesse oder an anderen Orten in Frankfurt. Einige von ihnen nahmen an der Podiumsdiskussion „Literatur und Frankophonie“ im Pavillon teil. 28 Wie aus der Aufzählung ersichtlich, stammte ein Großteil dieser Schriftsteller - abgesehen von jenen aus westlich privilegierten Ländern - aus den traditionellen, gerade dekolonisierten frankophonen Gebieten, in denen Frankreich noch starke strategische Interessen verfolgte. Die intensivierten Debatten um kulturelle Vielfalt und Genderfragen sowie die Veröffentlichung des Manifests Pour une littérature-monde en français nach der Jahrtausendwende prägten die Liste der Autoren, die für Francfort en français eingeladen wurden. Im Gegensatz zum ersten französischen Gastlandauftritt galt 2017 für die Einladung derjenigen Autoren, die Frankreich beziehungsweise die Literatur in französischer Sprache in Frankfurt repräsentieren sollten, als Voraussetzung, dass sie eine relativ aktuelle deutsche Übersetzung eines ihrer Werke vorweisen konnten. Offiziell waren 130 französischsprachige Autoren aus den Bereichen Belletristik und Sachbuch (littérature générale), Comics und Kinder- und Jugendbuch zur Buchmesse eingeladen. Dazu kamen weitere französischsprachige Autoren, die auf Einladung ihrer deutschen Verlage oder in einem anderen Zusammenhang nach Frankfurt kamen. 29 Francfort en français hatte nicht nur im Hinblick auf die literarischen Genres das Ziel, eine vielfältige Auswahl zu präsentieren, sondern auch hinsichtlich ihres Alters und Geschlechts sowie ihrer Beziehung zur französischen Sprache. Während tatsächlich Literaten nahezu jeden Alters eingeladen waren - zwischen der ältesten und der jüngsten Schriftstellerin lagen 60 Jahre -, war die Bilanz des 19 Dossier Frauen- und Männeranteils in der Autorenliste zwar ausgeglichener als 1989, spiegelte aber mit einem Verhältnis von einem Drittel zu zwei Dritteln noch immer die Vorherrschaft des männlichen Geschlechts im Literaturbetrieb wider. Von den offiziell eingeladenen Autoren kamen immerhin 58 aus Ländern außerhalb Frankreichs. Aufgrund der besonderen Partnerschaft des Projektes mit der Schweiz, Belgien und Luxemburg stammten viele Schriftsteller aus diesen frankophonen Regionen; darüber hinaus waren aber auch Autoren vertreten, die mit der Sprache der ehemaligen Kolonisatoren aufwuchsen, sowie jene, die Französisch als Sprache ihres kreativen Schaffens frei gewählt hatten. Das Publikum der Buchmesse war somit zum einen mit Französisch als „ der Sprache als Erbe des Kolonialismus, zum anderen mit der gewählten Sprache, der nachhaltigen Sprache, der Sprache des Leidens, der Sprache der Liebe und der Sprache der Freiheit“ (zitiert nach Kammann 2017) konfrontiert, so Paul de Sinety. Fazit und Ausblick Auch wenn zwischen den beiden französischen Ehrengastauftritten auf der Frankfurter Buchmesse fast 30 Jahre lagen, so lassen sich durchaus Parallelen feststellen. Wie die Reden der politischen Vertreter zeigten, nutzten diese den Gastlandauftritt Frankreichs auf der Buchmesse, um die Relevanz der deutsch-französischen Beziehungen für Europa vor dem Hintergrund der Umbrüche im Osten 1989 beziehungsweise der Abwendung Großbritanniens von der Europäischen Union zu inszenieren und sich - wieder einmal - für ihre Stärkung auszusprechen. Inhaltlich dominierte bei beiden Gastlandauftritten das Schlagwort ‚Vielfalt‘ (so wie es im Übrigen im Zusammenhang von Gastlandauftritten oftmals verwendet wird). 1989 hieß dies noch insbesondere Vielfalt der literarischen Formen und auch der Produktionsstätten von Literatur. Die Ausstellung „Anspruchsvolle französische Kleinverlage“ bot kleinen, unabhängigen Verlagen eine sichtbare Bühne im Pavillon, ganz im Sinne des später formulierten Konzeptes der Bibliodiversität. Mit der Wahl der französischen Sprache als Schwerpunkt des Auftritts 2017 rückte auch die unterschiedliche Herkunft der auf Französisch schreibenden Autoren sowie die Diversität des Publizierens in französischer Sprache in den Fokus. 30 Frankreich war sich der Erwartungen an den Ehrengastauftritt nach den anfänglichen Abstimmungsschwierigkeiten bewusst. Mit Blick auf die Imagepflege schien der Auftritt 2017, der gleichzeitig das größte bisher veranstaltete Kulturprojekt Frankreichs in Deutschland war, im Vergleich zu jenem von 1989 professionalisiert. Wie Ernst Fischer feststellte, kann ein Ehrengastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse „nicht nur zum Schauplatz nationalen Selfmarketings [werden], sondern mitunter auch zum Katalysator ernsthafter nationaler Selbstfindungsprozesse“ (Fischer 1999: 162). 31 Wie es oft bei langfristigen Projekten der Fall ist, wurde Francfort en français noch nicht unter der Präsidentschaft Emmanuel Macrons geplant. Dennoch kann der Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse Ausdruck dessen sein, dass sich die französische Außenkulturpolitik an das veränderte Selbstverständnis der Franzosen im 20 Dossier Umgang mit der Frankophonie und der Idee der littérature-monde en français anpasst. Ein halbes Jahr nach Francfort en français, am Internationalen Tag der Frankophonie im März 2018, kündigte Emmanuel Macron seine Strategie für die französische Sprache an, die 33 Maßnahmen in den drei Bereichen „apprendre“, „communiquer“ et „créer en français“ umfasste, pour faire du français, qui est déjà la 5ème langue la plus parlée sur la planète et dont les locuteurs sont de plus en plus nombreux, l’une des grandes langues-monde de demain et un atout dans la mondialisation (France Diplomatie 2018). Im Bereich „créer en français“ und im Hinblick auf die internationale frankophone Verlagsszene forderte Macron die Einberufung von États généraux de l’édition en français, um das frankophone Verlagswesen aus verschiedenen Ländern besser zu vernetzen und ausdrücklich Lizenzvergaben vom Französischen ins Französische zu fördern. 32 Letzteres ist ein Thema, das auch am Rande des Auftritts Francfort en français zwischen frankophonen Verlegern von außerhalb Frankreichs diskutiert wurde (cf. Rhein 2018), um auf die asymmetrischen Machtbeziehungen zugunsten französischer Verlage im frankophonen literarischen Feld aufmerksam zu machen. Auch Macrons Ankündigung einer Strategie für die französische Sprache steht mit Sicherheit in der Tradition des rayonnement culturel Frankreichs, indem sie auch das Ziel verfolgt, über die Förderung der französischen Sprache Frankreichs Einfluss in der Welt in Zeiten der Globalisierung zu erhalten. Tahar Ben Jelloun beschrieb schon in seinem Beitrag anlässlich der Frankfurter Buchmesse 1989 die Bedeutung, die frankophonen Autoren bei der Belebung und Bewahrung der französischen Sprache zukommt: Man hat den Eindruck, daß jene Ausländer, die sich entschieden haben, ihre Erinnerungen - oft voller Verletzungen -, ihre Gefühle, ihre Intimität, ihr Aufbegehren und ihre Hoffnung auf französisch auszudrücken, diese angenommene Sprache mehr lieben und besser verteidigen als die französischen Schriftsteller, die das Problem des kulturellen Exils und diese Unruhe bei ihrer Suche nach Wurzeln nicht kennen. Das Französisch weicht heute zusehends dem Englischen, die Regierung weiß das und versucht, ihre Sprache zu verteidigen; es ist jedoch Aufgabe der Schriftsteller, der Kulturschaffenden, diese Sprache lebendig zu erhalten, indem ihre Fenster und Türen weit offen bleiben […] (Ben Jelloun 1989). Dazu müssten aber auch Verleger, Kulturschaffende und letztlich Politiker in Frankreich dafür sorgen, dass ein Austausch auf Augenhöhe und die Etablierung einer littérature-monde en français stattfinden kann. Mit der Ernennung der franko-marokkanischen Schriftstellerin Leïla Slimani als persönliche Vertreterin des Präsidenten für die Frankophonie im Sinne von „rayonnement et […] promotion de la langue française et du plurilinguisme“ (Présidence de la République française 2017) und der Einberufung der États généraux de l’édition en français ist für die frankophone Verlagswelt vielleicht ein erster Schritt in diese Richtung gemacht. 21 Dossier Anastasio, Matteo, „Neue Sprachen der Literatur ‚auf Französisch‘: Strategien des Literaturausstellens im Zeichen von Innovation und Kooperation im Rahmen des Ehrengastauftritts Frankreichs auf der 69. Frankfurter Buchmesse (2017)”, in: lendemains, 170/ 171, 2018, 47- 74 (im vorliegenden Dossier). Ausstellungs- und Messe-GmbH des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Frankfurter Buchmesse (ed.), Pressedokumentation 41. Frankfurter Buchmesse 11.-16. Oktober ’89. Schwerpunktthema Frankreich, Frankfurt am Main, 1989. Baur, Ruedi, „Ein Bibliothekspavillon für die französische Sprache“, in: Francfort en français (ed.), „Program(me) Francfort en français“, http: / / wp.buchcontact.de/ wp-content/ uploads/ 2017/ 08/ Programme_EN_Francfort-en-fran%C3%A7ais.pdf (publiziert am 01.09.2017, letzter Aufruf 17.07.2018). Ben Jelloun, Tahar, „Das Haus Descartesʼ steht offen“, in: Die Zeit, 42, 1989, online unter www.zeit.de/ 1989/ 42/ das-haus-descartes-steht-offen (letzter Aufruf 21.09.2018) Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Buch und Buchhandel in Zahlen, Frankfurt a. M., Ausgaben 1981-1989/ 1990. Bosshard, Marco Thomas, „Las ferias del libro y el campo del poder: Los políticos y el capital simbólico en la feria de Fráncfort y la polémica entre México y Francia por ser invitado de honor en 2017“, in: Cuadernos de Historia Contemporánea, 41, 2019 (im Druck). —, „Die Rezeption des Frankfurter Buchmesseschwerpunkts Francfort en français 2017 in der Politik, beim Publikum, bei Fachbesuchern und bei Buchhändlern“, in: lendemains, 170/ 171, 2018, 26-46 (im vorliegenden Dossier). Campe, Joachim, „Nachwuchs im blauen Pavillon“, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 16.10.1989. Christiansen, Günther, „Rede des Börsenvereins-Vorstehers Günther Christiansen zur Eröffnung der Buchmesse 1989“, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 84, 20.10.1989, 3375. Defrance, Corine, „Von der Konfrontation zur Kooperation. Deutsch-französische Kulturbeziehungen nach 1945“, in: Nicole Colin / Corine Defrance / Ulrich Pfeil / Joachim Umlauf (ed.), Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945, Tübingen, Narr, 2013, 50- 59. De Weck, Roger, „Frankreich, eine literarische Republik“, in: Verena von der Heyden-Rynsch (ed.), Vive la littérature! Französische Literatur der Gegenwart, München, Hanser, 1989, 205- 209. Fischer, Ernst, „Geglückte Imagekorrektur? Bilanz des Schwerpunktthemas Österreich 1995“, in: Stephan Füssel (ed.), 50 Jahre Frankfurter Buchmesse, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1999, 150-162. France Diplomatie (ed.), „Une ambition pour la langue française et le plurilinguisme“, https: / / diplomatie.gouv.fr/ IMG/ pdf/ une_ambition_pour_la_langue_francaise_et_le_plurilinguisme_c le816221.pdf (publiziert am 20.03.2018, letzter Aufruf am 17.07.2018). Francfort en français (ed.), „Program(me) Francfort en français”, https: / / buchcontact.de/ wpcontent/ uploads/ 2017/ 08/ Programm_DE_Francfort-en-fran%C3%A7ais.pdf (publiziert am 01.09.2017, letzter Aufruf 17.07.2018). —, „Pressedossier 20.09.2017“, https: / / buchcontact.de/ wp-content/ uploads/ 2017/ 08/ Presse- Dossier_Francfort-en-fran%C3%A7ais.pdf (publiziert am 20.09.2017, letzter Aufruf am 17.07.2018). Frankfurter Buchmesse (ed.), Katalog Bücher aus, Bücher über Frankreich, Frankfurt a. M., 1989. —, „Frankfurter Buchmesse 2017: Politisch wie nie“, https: / / buchmesse.de/ fbmsite/ de/ fbm/ presse/ pressemitteilungen/ 03276 (publiziert am 15.10.2017, letzter Aufruf am 17.07.2018). 22 Dossier Französische Botschaft Berlin (ed.), „Gemeinsame Erklärung über kulturelle Zusammenarbeit vom 28. Oktober 1986“, https: / / de.ambafrance.org/ IMG/ pdf/ kultur86.pdf? 432/ 68008b6ca34d 6b9b98fe505725986d4fced59de9 (letzter Aufruf am 17.07.2018). Hertwig, Luise, „Bibliodiversity in the Context of the Presence of Guests of Honour at International Book Fairs. An Outline on the Analysis of Francfort en français 2017“, in: Marco Thomas Bosshard / Fernando García Naharro (ed.), Las ferias del libro como espacios de negociación cultural y económica, vol. I: Planteamientos generales y testimonios desde España, México y Alemania, Frankfurt a. M. / Madrid, Vervuert/ Iberoamericana, 2019, 109- 132. Haase, Marlis, „Voltaire und Balzac in bleu“, in: Neue Ruhr Zeitung, 13.10.1989. Institut français (ed.), Programmflyer L’Automne Français. Die Autoren in Frankfurt, Frankfurt a. M., 1989. Jurt, Joseph, Sprache, Literatur und nationale Identität. Die Debatten über das Universelle und das Partikuläre in Frankreich und Deutschland, Berlin/ Boston, De Gruyter, 2014. Kammann, Petra, „En marche: Die französische Sprache, die Gastfreundschaft und die Geselligkeit. Interview mit Paul de Sinety, dem französischen Commissaire Général der Buchmesse“, http: / / feuilletonfrankfurt.de/ 2017/ 06/ 18/ interview-mit-paul-de-sinety-dem-fran zoesischen-commissaire-general-der-buchmesse (publiziert am 18.06.2017, letzter Aufruf am 17.07.2018). Kinner, Sabine, „Die ‚Grande Nation‘ kleckert mit Champagner“, in: Frankfurter Neue Presse, 12.10.1989. Kohl, Helmut, „Rede des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl zur Eröffnung der Buchmesse 1989“, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 84, 20.10.1989, 3369-3372. Kronsbein, Joachim, „Blau vor Augen, blau vor Ohren“, in: Hamburger Abendblatt, 12.10.1989. Lang, Jack, „Rede des französischen Kulturministers Jack Lang zur Eröffnung der Buchmesse 1989“, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 84, 20.10.1989, 3373-3374. Le Bris, Michel / Rouaud, Jean (ed.), Pour une littérature-monde, Paris, Éditions Gallimard, 2007. Lüsebrink, Hans-Jürgen, „Das Frankreichbild in Deutschland - Geschichte, Medien und Strukturen der deutschen Frankreichwahrnehmung“, in: Jörg Maier / Gabriel Wackermann (ed.), Frankreich. Ein regionalgeographischer Überblick, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1990, 302-317. Mabanckou, Alain, „La francophonie, oui, le ghetto: non! “, in: Le Monde, 18.03.2006. Malinas, Charles, „Die französische auswärtige Kulturpolitik heute“, in: Deutsch-französisches Institut Ludwigsburg (ed.), Frankreich Jahrbuch 2011. Kulturnation Frankreich? Die kulturelle Dimension des gesellschaftlichen Wandels, Wiesbaden, Springer VS, 2012, 37-43. Markgraf, Hendrik, „Frankreichs Wagnis auf der Buchmesse“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.1989. N. N., „Kultur geht eigene Wege. Schwerpunktthema ‚Frankreich‘: Bei Alain Lance, Direktor des Institut Français in Frankfurt, laufen die Fäden zusammen“, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 71, 05.09.1989, 2549-2550. N. N., „Der Esprit der Franzosen“, in: Neue Ruhr Zeitung, 11.10.1989. N. N., „Hauch von Harmlosigkeit. Frankreich - Schwerpunktthema der Frankfurter Buchmesse“, in: Nürnberger Zeitung, 13.10.1989. N. N., „Paris-Hamburg“, in: Die Zeit, 42/ 1989, 13.10.1989. N. N., „Pour une ‚littérature-monde‘ en français“, in: Le Monde des livres, 15.03.2007. N. N., „Langue française et hospitalité. Entretien avec Frédéric Boyer (Conseiller littéraire)“, in: Francfort en français (ed.), „Program(me) Francfort en français”, https: / / buchcontact.de/ wpcontent/ uploads/ 2017/ 08/ Programm_DE_Francfort-en-fran%C3%A7ais.pdf (publiziert am 01.09.2017, letzter Aufruf 17.07.2018). 23 Dossier Pastoureau, Michel, Bleu: histoire d’une couleur, Paris, Seuil, 2000. Présidence de la République française (ed.), „Entretien avec Mme Leïla Slimani“, http: / / elysee.fr/ communiques-de-presse/ article/ entretien-de-mme-leila-slimani (publiziert am 06.11.2017, letzter Aufruf am 17.07.2018). Rehn, Renate, „Für die Buchmesse machen Franzosen Millionen locker“, dpa-Meldung, zitiert aus: Frankfurter Neue Presse, 4.10.1989. Ricœur, Paul, Sur la traduction, Paris, Bayard, 2004. Rouaud, Jean, „Mort d’une certaine idée“, in: Michel Le Bris / Jean Rouaud (ed.), Pour une littérature-monde, Paris, Éditions Gallimard, 2007, 7-22. Rütten, Marion, „Die Länderschwerpunkte ab 1988. Fallbeispiele Italien und Frankreich“, in: Stephan Füssel (ed.), 50 Jahre Frankfurter Buchmesse, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1999, 139-149. Schröder, Eggert, „Le charme des livres… Pavillon Bleu: eine kühle Bücherkathedrale? “, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, 84, 20.10.1989, 3260-3261. de Sinety, Paul, „Vorwort von Paul de Sinety“, in: Francfort en français (ed.), „Pressedossier 20.09.2017“, https: / / buchcontact.de/ wp-content/ uploads/ 2017/ 08/ Presse-Dossier_Francforten-fran%C3%A7ais.pdf (publiziert am 20.09.2017, letzter Aufruf am 17.07.2018). Steinkamp, Volker, „Frankreichs soft power im 21. Jahrhundert“, in: Deutsch-französisches Institut Ludwigsburg (ed.), Frankreich Jahrbuch 2011. Kulturnation Frankreich? Die kulturelle Dimension des gesellschaftlichen Wandels, Wiesbaden, Springer VS, 2012, 131-141. Weidhaas, Peter, Zur Geschichte der Frankfurter Buchmesse, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 2003. Wittmann, Heiner, „Zwischen Seine und Main: die Brücke der Bücher. Die deutsche Buchmesse und der Salon du Livre“, in: Dokumente, 6, 1989, 460-466. 1 2 3 4 Der französische Auftritt von 1989 mit seiner Veranstaltungsorganisation, Ausstellungselementen und zeitgleich publizierten deutschen Übersetzungen französischsprachiger Literatur wurde - mit geringerem zeitlichem Abstand - von Heiner Wittmann und Marion Rütten beschrieben (cf. Wittmann 1989 und Rütten 1999). Dieses Dossier entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „Buchmessen als Räume kultureller und ökonomischer Verhandlung” an der Europa-Universität Flensburg, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter der Projektnummer 317687246. Ben Jelloun unterscheidet in seinem Artikel zwischen jenen Autoren, die die französische Sprache frei als Literatursprache wählten und deren Werke akzeptiert und der französischen Literatur zugerechnet werden, wie Apollinaire, Ionesco, Cioran, Beckett und Julien Green, sowie jenen Schriftstellern aus frankophonen Territorien, die sich mit und in der französischen Sprache als Erbe der Kolonialzeit auseinandersetzen (cf. Ben Jelloun 1989). Um die Absichten der Präsentationen zu untersuchen, wurden Experteninterviews mit den an den beiden Auftritten beteiligten Akteuren durchgeführt. Ich danke dem damaligen Direktor des Institut français in Frankfurt und Leiter des Gastlandprojekts Alain Lance (Interview im März 2018 in Paris) sowie Pierre Monnet (Telefonisches Interview im April 2018), der damals als volontaire au service national actif am Auftritt mitarbeitete und heute Direktor des Institut Franco-Allemand de Sciences Historiques et Sociales in Frankfurt ist, für ihre Gesprächsbereitschaft zum französischen Ehrengastauftritt 1989. Zum Projekt Francfort en français auf der Frankfurter Buchmesse 2017 und seinen Hintergründen gaben unter anderem der commissaire général Paul de Sinety und sein Vertreter Louis Presset (beide Interviews im März 2018 in Paris) Auskunft. 24 Dossier 5 Zum deutschen Auftritt auf dem Pariser Salon du livre im Mai 1989 cf. insbesondere Wittmann 1989. 6 Zu den Motiven für die Einführung der Schwerpunktthemen und später der Einladung von Ländern als Ehrengäste zur Frankfurter Buchmesse cf. Weidhaas 2003: 255-290. 7 Pierre Monnet am 3. April 2018. 8 Das Manifest Pour une ‚littérature-monde‘ en français erschien zunächst am 15.03.2007 in Le Monde des livres. Dem Manifest folgte eine Publikation mit Beiträgen der unterzeichnenden frankophonen Schriftsteller bei den Éditions Gallimard (cf. Le Bris/ Rouaud 2007). 9 Zur Reform der französischen Außenkulturpolitik im Jahr 2010 cf. zum Beispiel Malinas 2012. 10 Zum Begleitprogramm des französischen Gastlandauftritts 1989, dem Automne français, gehörten kulturelle Veranstaltungen im Frankfurter Raum sowie vor allem in den Instituts français in ganz Deutschland, zum Beispiel Kunstausstellungen wie die Hommage an André du Bouchet in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, Lesungen der eingeladenen Autoren, Filmvorführungen, Konferenzen, Buchausstellungen etc. 11 Paul de Sinety am 15. März 2018. 12 Zur Bedeutung von Sprache und Literatur für die französische nationale Identität cf. Jurt 2014. 13 Nach dem Vorbild Charles de Gaulles erwartet die französische Gesellschaft literarische Bildung und Ambitionen ihres Präsidenten (cf. De Weck 1989: 205), darin manifestiert sich einmal mehr die Bedeutung der Literatur für die französische nationale Identität. 14 Außerdem wurde von der Buchmesse umfassend über den Ausschluss iranischer Verlage berichtet, nachdem der Schriftsteller Salman Rushdie infolge der Veröffentlichung seines Werkes Die satanischen Verse vom damaligen Staatschef des Iran, Ayatollah Chomeini, mit dem Todesurteil der Fatwa belegt worden war. Trotzdem war auch der französische Ehrengastauftritt in den Medien präsent. Von etwa 5 000 Pressemeldungen, die die Frankfurter Buchmesse im Jahr 1989 verzeichnete, beschäftigten sich immerhin über 130 deutsche und über 100 internationale Berichte sowie zusätzlich weitere Artikel in der deutschen und internationalen Fachpresse ausschließlich mit dem französischen Auftritt (cf. Ausstellungs- und Messe-GmbH des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - Frankfurter Buchmesse 1989). 15 Zu den deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945 cf. Defrance 2013. 16 Um zum besseren Verständnis „der Unterschied[e] der historischen Erfahrungen, der sozialen Mentalitäten und also auch der Kulturen“ (Die Zeit 13.10.1989) beizutragen, arbeitete Die Zeit zu besonderen Anlässen wie den Gastlandpräsentationen 1989 und später dem 50-jährigen Jubiläum des Élysée-Vertrags 2013 mit der französischen Zeitung Le Monde zusammen. 17 Die Statistiken aus Buch und Buchhandel in Zahlen des Börsenvereins zeigen, dass die Zahl der Übersetzungen aus dem Französischen in den Jahren 1980 bis 1989 ohne große Schwankungen durchschnittlich bei knapp 900 Titeln pro Jahr lag. Ausgenommen ist hier das Jahr 1988 direkt vor dem französischen Gastlandauftritt in Frankfurt, da der Börsenverein zu diesem Jahr leider keine Daten veröffentlicht hat. Cf. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1981: 23, 1982: 25, 1983: 27, 1984: 25, 1985: 25, 1986: 34, 1987: 32, 1988: 26, 1989/ 1990: 24. 18 Von diesem Interesse an Übersetzungen profitierten weniger jene Autoren, die als ‚unbekannte Gesichter‘ auf der Buchmesse präsent gewesen waren, als die französischsprachigen Autoren ganz allgemein: Vor 1989 waren die Werke von 28 der eingeladenen 63 25 Dossier Schriftsteller ins Deutsche übersetzt; eine Recherche im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek zeigte, dass in den Jahren nach dem Ehrengastauftritt 1989 die Werke von nur zehn weiteren der in Frankfurt anwesenden französischsprachigen Autoren auf Deutsch veröffentlicht wurden. 19 Pierre Monnet am 3. April 2018. 20 Da der Bundeskanzler bei der Eröffnung der Buchmesse zu einer Versammlung von Vertretern des literarischen Feldes sprach, gehörte an dieser Stelle auch dazu, dass er sich für die Gestaltung und Erhaltung optimaler Bedingungen für kulturelles Schaffen wie die Buchpreisbindung, einen reduzierten Mehrwertsteuersatz und das Urheberrecht auch im europäischen Rahmen aussprach (cf. Kohl 1989). 21 Für eine detailliertere Analyse des französischen Pavillons 2017 cf. Anastasio 2018. 22 Pierre Monnet am 3. April 2018. 23 Ähnlich äußerten sich auch Haase 1989 und Nürnberger Zeitung 13.10.1989. 24 Pierre Monnet am 3. April 2018. 25 Zur Konzeption des Pavillons siehe Baur 2017. 26 Eggert Schröder wies in seiner Kritik des französischen Pavillon Bleu im Börsenblatt des deutschen Buchhandels darauf hin, dass sich „der politische Diskurs einer solchen sprachgeschichtlichen Schautafel“ dem deutschen Publikum wohl nicht so ohne Weiteres erschlossen habe, den französischen Besuchern aber verdeutlichen könne, dass die „französische Sprache keine nationale Schöpfung ist, sondern Produkt aus dem friedlichen oder auch kriegerischen Austausch mit anderen Völkern“ (Schröder 1989: 3260). 27 Formulierungen von Alain Lance (zitiert nach Rehn 1989) und Paul de Sinety (de Sinety 2017). 28 Anders als andere Podiumsdiskussionen aus dem französischen Programm wie etwa jene zu den Frauenrechten wurde diese Veranstaltung von der deutschen Presse in ihrer Berichterstattung nicht berücksichtigt, weshalb das Thema ‚Literatur und Frankophonie‘ über die Werke der einzelnen Schriftsteller hinaus zum Zeitpunkt des Gastlandauftritts Frankreichs in der deutschen Öffentlichkeit wohl auch keine Beachtung fand. 29 Die Rekonstruktion der genauen Anzahl französischsprachiger Schriftsteller, die auf der Frankfurter Buchmesse 2017 anwesend waren, gestaltet sich schwierig, da mehrere Angaben dazu kursieren. Im Pressedossier des Ehrengastauftritts werden 130 offiziell eingeladene Autoren aus den Genres Belletristik und Sachbuch (littérature générale), Comics und Kinder- und Jugendbuch aufgelistet sowie weitere 49 frankophone Schriftsteller genannt, die auf Einladung eines Verlages, als Mitglied einer Jury oder aus anderen Motiven an der Buchmesse teilnahmen (cf. Pressedossier Francfort en français 20.09.2017: 10sq.). 30 Für eine ausführlichere Analyse der Auswahl der eingeladenen Autoren beim französischen Ehrengastauftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2017 aus der Perspektive der Bibliodiversität cf. Hertwig 2019. 31 Österreich versuchte mittels des Ehrengastauftritts in Frankfurt 1995 explizit, seine Wahrnehmung im Ausland zu verändern und einen Imagegewinn zu erzielen - nachdem der anstehende Auftritt Anlass für öffentliche Debatten zur nationalen Identität geworden war (cf. Fischer 1999). 32 Die États généraux de l’édition en français fanden erstmals im Mai 2018 im Rahmen des Festivals Étonnants Voyageurs in Saint-Malo statt, dessen Gründer und Direktor Michel Le Bris zu den Initiatoren des Manifests Pour une littérature-monde en français von 2007 gehört.