eJournals lendemains 37/146-147

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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2012
37146-147

„La femme, la clandestine de l’histoire“. Margarete Rothbarth – ein Engagement für den Völkerbund

2012
Ute Lemke
ldm37146-1470045
45 Dossier Ute Lemke „La femme, la clandestine de l’histoire“ Margarete Rothbarth - ein Engagement für den Völkerbund Nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs wurde auf der Pariser Friedenskonferenz die Gründung eines Völkerbunds beschlossen, um künftig den Frieden weltweit zu sichern. Die Satzung dieser internationalen Organisation war Bestandteil des Versailler Vertrags, der in Deutschland als „Diktat“ abgelehnt wurde. Nachdem der Völkerbund im Januar 1920 seine Arbeit aufgenommen hatte, wurde zwei Jahre später am Völkerbundsitz in Genf die Internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit (IkfgZ) gegründet. Die erste umfassende Untersuchung zur intellektuellen Zusammenarbeit im Rahmen des Völkerbunds wurde fast achtzig Jahre später von dem Historiker Jean-Jacques Renoliet vorgelegt: L’UNESCO oubliée. La Société des Nations et la coopération intellectuelle (1919-1946). 1 Die „vergessene UNESCO“ ist insbesondere das „Institut International de Coopération Intellectuelle“ (IICI), das auch in Deutschland als „Internationales Institut für geistige Zusammenarbeit“ (IIfgZ) nur noch wenige Spezialisten kennen. Bei seiner Gründung im Jahre 1925 hingegen war dieses Völkerbundinstitut in Paris außer Politikern und Intellektuellen auch international einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, nicht zuletzt hervorgerufen durch die Polemik um den Sitz in der französischen Hauptstadt. Abgesehen von einigen Untersuchungen zu Einzelaspekten der geistigen Zusammenarbeit im Rahmen des Völkerbunds liegt eine die Jahre 1925-1946 umfassende Gesamtdarstellung in deutscher Sprache bisher nicht vor, die Arbeit von Jacques Renoliet wurde nicht übersetzt. 2 Das noch heute in allen einschlägigen Bibliografien zitierte Standardwerk zum Thema wurde 1931 von Margarete Rothbarth publiziert. 3 Die Verfasserin legte damit eine erste Bilanz der geleisteten Arbeit des IIfgZ vor, nachdem 1930 eine Umorganisation stattgefunden hatte und auch der bisherige Direktor abgelöst worden war. Zu dieser Zäsur führten die vehementen Angriffe auf die Arbeit des Pariser Instituts, die Rothbarth mit einer Antwort an die Kritiker relativiert: „Das Ergebnis ist besser, als die Angriffe der letzten Jahre glauben ließen. Zumal, wenn man die Schwierigkeiten in Betracht zieht, die sich jeder internationalen Arbeit heute bieten, da sie noch auf der Suche nach ihren Methoden ist, und da sie gleich nach dem größten aller Kriege auf Widerstände stieß, die jetzt zum Teil schon im Verschwinden sind.“ 4 Diese Publikation der „langjährigen, verdienstvollen Mitarbeiterin im Pariser Institut für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes“ 5 wurde bei ihrem Erscheinen in der Fachpresse ausnahmslos positiv besprochen. Gelobt wurden „Sachkenntnis“ und „Objektivität“ dieses ersten Versuchs eines Nachschlagewerks zum 46 Dossier komplexen Thema geistige Zusammenarbeit, 6 die präzisen Informationen sowie die verständliche Darstellung. 7 „Wer auf diesem Gebiet arbeiten will, wird in dem Buch einen unentbehrlichen Ratgeber finden“, 8 auf den auch im Ausland zurückgegriffen werden musste, da eine zusammenfassende Arbeit nur auf deutsch vorlag. 9 Wenn Rothbarth sich mit dieser Publikation bei einem Fachpublikum einen Namen machen konnte, das von der Bedeutung des Völkerbunds nicht mehr überzeugt werden musste, so kann von einer Rezeption in der breiteren Öffentlichkeit jedoch nicht die Rede sein. 10 Wer aber war diese Mitarbeiterin des Pariser Völkerbundinstituts, die noch heute als „einschlägig qualifizierte Mitarbeiterin“ gilt 11 und an die offenbar nur noch eine Publikation aus dem Jahre 1931 erinnert? Sie zählt zu den vergessenen Historikerinnen, die heute erst allmählich entdeckt werden. 12 Um das Warum des Vergessens zu verstehen, müsste ihre Intellektuellen-Biographie rekonstruiert werden, wobei man auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, da es keinen Nachlass gibt. Zudem ist über ein soziales Netzwerk, dem sie sich zugehörig fühlte oder über ihre Familie, Freunde, Bekannte und Kollegen so gut wie nichts bekannt. Sie war als Publizistin sehr aktiv. Nach einer ersten Bestandsaufnahme ließen sich bisher ca. 100 Artikel finden, die sie in der Zwischenkriegszeit in diversen Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und Frankreich publiziert hat. Was ihre Mitarbeit im IIfgZ betrifft, so wurden die Archive des Völkerbunds in Genf und in Paris konsultiert. Mit diesem Beitrag soll erstmals Rothbarths Engagement für den Völkerbund ausgeleuchtet werden, und zwar als Mitarbeiterin Friedrich Naumanns, als Dozentin der Deutschen Hochschule für Politik (DHP) in Berlin und als Diplomatin des Völkerbunds beim IIfgZ in Paris. Die folgende biographische Skizze soll zunächst einige Hinweise auf die Bildungsjahre geben. Margarete Rothbarth wurde am 7. Juni 1887 in Frankfurt am Main geboren. Die Rothbarths waren eine deutsche jüdische Familie, zu der der Kaufmann Martin Rothbarth und seine Frau Clementine, geborene Löwenstein, gehörten sowie die beiden Töchter. 13 Nachdem Margarete Rothbarth im Jahre 1908 in ihrer Heimatstadt die Reifeprüfung abgelegt hatte, 14 begann sie noch im gleichen Jahr in Heidelberg Naturwissenschaften zu studieren, eine Fachrichtung, die sie nach zwei Semestern wieder aufgab. Ab Ostern 1909 studierte sie Geschichte und Deutsch, vermutlich aber auch Anglistik. 15 In den folgenden vier Studienjahren war sie in München, Berlin und Freiburg immatrikuliert. Ihr Studium schloss Rothbarth mit einer Promotion bei dem Mediävisten Heinrich Finke, dem Neuzeithistoriker Friedrich Meinecke und dem Germanisten Philipp Witkop an der Ludwigs-Universität in Freiburg ab. Die Dissertation über „Urban VI. und Neapel“ wurde noch im gleichen Jahr publiziert, mit Unterstützung der beiden Freiburger Historiker, bei denen sie promoviert hatte. 16 Der Einstieg ins Berufsleben begann für die junge Historikerin als Lehrerin an der höheren Mädchenschule in Freiburg. Von Dezember 1914 bis Januar 1917 war sie ebenfalls als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin im Deutschen Volksliedarchiv tätig. 17 47 Dossier Mitarbeiterin Friedrich Naumanns Ostern 1918, also noch während des Krieges, begann für Rothbarth mit der Übersiedlung nach Berlin ein neuer Lebensabschnitt, in dessen Mittelpunkt von nun an ihr Engagement für den Völkerbund stehen sollte. In Berlin wurde die Historikerin wissenschaftliche Sekretärin von Friedrich Naumann, der zu dieser Zeit an der Gründung der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) mitwirkte, zu deren erstem Partei-Vorsitzenden er dann auch gewählt wurde. Vermutlich hatte Rothbarth diesen Kontakt der Vermittlung Friedrich Meineckes zu verdanken, der seit den 1890er Jahren der nationalsozialen Bewegung Friedrich Naumanns nahe stand. 18 So kam sie in den Kreis um die linksliberale DDP, zu deren Programmbausteinen die Verbreitung des Völkerbundgedankens gehörte. Rothbarth setzte sich für dieses Ziel ein, ohne jedoch parteipolitisch aktiv zu werden. Ihre publizistischen Beiträge erschienen in den der DDP nahestehenden Presseorganen, ab 1919 schrieb sie beispielsweise sporadisch für die Frankfurter Zeitung, vor allem zum Thema Völkerbund und geistige Zusammenarbeit. In Berlin wurde Rothbarth Redaktionsmitglied in der von Naumann gegründeten Zeitschrift Die Hilfe. In den Jahren 1920 bis 1923 hat sie dort ungefähr zwanzig namentlich gezeichnete Artikel publiziert, die neben denen von Persönlichkeiten wie Theodor Heuss und Gertrud Bäumer erschienen. Die Frauen haben für die damalige Zeit eine bemerkenswerte Rolle in dieser der DDP nahestehenden Zeitschrift gespielt. 19 Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Kampf für die Gleichstellung der Frauen zum Programm dieser liberalen Partei gehörte. Wie Rothbarth betonte, spielte Naumann in dieser Frage eine wichtige Rolle. „Denn wenn jemand den Wert weiblicher Arbeit und weiblichen Intellekts würdigte, so war er es.“ 20 In den Beiträgen, die Rothbarth für Die Hilfe geschrieben hat, geht es im Wesentlichen um die Pariser Friedenskonferenz, den Versailler Vertrag, die Zukunft Europas und den Völkerbund. Dabei tritt sie insbesondere als Mittlerin zwischen den deutschen Lesern der Hilfe und den international stattfindenden Diskussionen auf. Zu den von ihr rezensierten Büchern gehören Die wirtschaftlichen Folgen des Friedens von John Maynard Keynes, 21 der als wirtschaftlicher Sachverständiger an den Pariser Beratungen teilgenommen hatte, La Paix von André Tardieu, 22 der als Pressechef Clemenceaus bei den Pariser Verhandlungen anwesend war, oder Europa ohne Frieden von Francesco Nitti, 23 dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten. In gewisser Weise sind diese Artikel für Die Hilfe Vorarbeiten für das Buch Die Großen Vier am Werk. Beiträge zur Geschichte der Friedenskonferenz, das Rothbarth 1921 publiziert hat. In diesen Artikeln für Die Hilfe zeigt sich, dass Rothbarth die Anfänge des Völkerbunds durchaus kritisch sah. „Leider aber hat die Verwirklichung des Völkerbunds wenig gemein mit den Forderungen, wie sie von Völkerrechtslehrern, von weitblickenden Politikern und anderen ‚Menschen guten Willens’ formuliert worden sind, und wie sie zum letzten Mal ihren großen historischen Ausdruck in den vier- 48 Dossier zehn Punkten Wilsons gefunden haben.“ 24 Mit ihrer Kritik zielt sie insbesondere darauf, dass der Völkerbund ohne die Mittelmächte seinen Namen nicht verdiene. Denn von einer wirklichen Gesellschaft der Nationen könne erst dann die Rede sein, wenn alle Staaten beigetreten seien. Obwohl Deutschland in der Nachkriegszeit zunächst noch von den meisten internationalen Organisationen und Veranstaltungen ausgeschlossen war, sah Rothbarth überall „optimistische Meinungen“, dass dieses Land so schnell wie möglich in den Völkerbund aufgenommen werden müsse. Und so sei das nächste Ziel, auch in „Deutschland darauf hinzuarbeiten, dass wir in den Völkerbund aufgenommen werden, so viele berechtigte Einwände es auch gibt, dass man warten sollte, bis der neue wirkliche Völkerbund geschaffen sei, und die Zeit bis dahin benutze, diesen Gedankenkreis vorzubereiten.“ 25 Rothbarth plädierte also in der Hilfe für eine bewusste Völkerbundspolitik mit dem Ziel, alle Staaten zum Beitritt zu bringen, wie noch einmal an folgendem Beispiel zu zeigen ist: „Bisher hat man in Deutschland wenig freundlich von dem Völkerbund gesprochen, in dem man nur ein Instrument der Entente sah, das bisher politisch bedeutsame Fragen nicht zu lösen imstande war und auch für die Zukunft keine Entwicklungsmöglichkeiten zu enthalten schien. Zweierlei hat man dabei vergessen: Einmal, dass nach Jahrhunderten ohne überstaatliche Organisation und nach einem fünfjährigen Weltkrieg es völlig unmöglich ist, durch ein Dokument einer Institution wie dem Völkerbund zu Leben und Wirksamkeit zu verhelfen. Der Völkerbund wird erst dann etwas leisten können, wenn er wirklich in das Bewusstsein der Menschen eingedrungen ist, wenn er für sie eine Selbstverständlichkeit, kein ihnen von außen auferlegter Zwang mehr ist.“ 26 Als die Deutsche Liga für Völkerbund (DLV) am 17. Dezember 1918 in Berlin gegründet wurde, soll Rothbarth neben ihren Mentoren Friedrich Naumann und Friedrich Meinecke zu den Gründungsmitgliedern 27 gehört haben und anschließend auch zum festen Mitarbeiterstab dieser Organisation. Sie war für die internationale Verständigung zuständig. Nach dem Tod Friedrich Naumanns im August 1919 28 übernahm Rothbarth das Archiv und die Bibliothek der Liga. „Anfang 1919 ging es zunächst darum, eine breite Völkerbund-Werbung in Deutschland durchzuführen, die sich vor allem auf langfristige Wirkungen durch Erziehung, Universitäten und Ausbau der Völkerrechtswissenschaften verlegte.“ 29 An diesen Werbeaktionen hatte Rothbarth als Referentin 30 und als Publizistin aktiven Anteil. Nachdem die DLV 1921 Mitglied der Internationalen Völkerbundliga geworden war, nahm sie als Delegierte an deren internationalen Treffen teil. 31 Noch bevor die Liga wegen finanzieller Schwierigkeiten die Zahl der Mitarbeiter in der Geschäftsstelle drastisch reduzieren musste, 32 wechselte Rothbarth 1922 zum Auslandsarchiv des Reichsfinanzministeriums, wo sie bis zu ihrer Übersiedlung nach Paris tätig war. Da das Auswärtige Amt maßgeblich an der Gründung und vor allem an der Finanzierung der Liga beteiligt war, kann man davon ausgehen, dass hierdurch ein gewisses Mitspracherecht bei der Wahl der festen Mitarbeiter bestand, zu denen 49 Dossier auch Rothbarth gehörte. Dies führt zu der Frage, welcher Art ihre Kontakte zu Regierungskreisen waren und insbesondere zum Auswärtigen Amt. Kontakte zur Deutschen Hochschule für Politik (DHP) Für Rothbarths Völkerbundengagement ist die DHP insofern von Bedeutung, als sie von und auf Kosten dieser Institution ans IIfgZ entsandt wurde. Zumindest ist dies die offizielle Version, die bisher nicht in Frage gestellt wurde. Von Rothbarth selbst stammt der Hinweis, dass sie an der von Naumann gegründeten Staatsbürgerschule in Berlin, aus der später die DHP hervorging, Vorlesungen gehalten habe. 33 Quellen, die ihre Dozententätigkeit bestätigen, ließen sich bisher jedoch nicht finden. 34 Wenn eine Historikerin, die nicht zu den Dozenten der Berliner Hochschule gehörte, auf Kosten der DHP ans Pariser Völkerbundinstitut entsandt wurde, so wäre zu fragen, welche Beziehungen und Interessen hier ins Spiel gekommen sind. Zu den Persönlichkeiten, die an der Gründung der DHP beteiligt waren, gehörten neben Friedrich Naumann, u.a. der spätere Leiter der Berliner Hochschule, Ernst Jäckh, der Historiker Friedrich Meinecke und der Geheimrat im Preußischen Kultusministerium Carl Heinrich Becker. Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der DHP wurde von Jäckh ein Sammelband herausgegeben, mit einem Bericht über die Auslandsarbeit von Wilhelm Haas. Er war ab 1923 Dozent an der DHP und wurde später mit der Studienleitung der Akademischen Abteilung beauftragt. Als intimer Kenner dieser Institution beschrieb er die Bemühungen der DHP, dem IIfgZ in der Anfangsphase Hilfestellung zu leisten, wie folgt: „Während der Völkerbundsversammlung 1926 wurde zwischen dem Internationalen Institut für geistige Zusammenarbeit und der Hochschule für Politik vereinbart, dass die Hochschule auf ihre Kosten dem Institut einen Beamten zur Verfügung stellen werde, der den Institutsbeamten völlig gleichgestellt wäre und unabhängig von der Hochschule ein ihm vom Direktor des Instituts zugewiesenes Referat zu bearbeiten und die Verbindung der Hochschule mit ähnlichen Anstalten in Paris herzustellen und zu festigen hätte.“ 35 Die nach Paris delegierte Beamtin sei Dr. Margarethe Rothbarth und dort seit Herbst 1926 als Chef-adjoint tätig. 36 Zu ihren Aufgaben gehörte es, den Informationsaustausch zwischen Deutschland und dem Pariser Völkerbundinstitut zu fördern und zu koordinieren. Ihre Rolle als Mittlerin zwischen Deutschland und Frankreich in diesen Pariser Jahren kann im Rahmen dieses Beitrags nicht untersucht werden. Im gleichen Jahr wie die von Jäckh herausgegebene Bestandsaufnahme der ersten Jahre der DHP erschien auch die bereits erwähnte Bilanz von Rothbarth über das IIfgZ. Darin widmete sie der politischen Bildung als einem der Arbeitsgebiete des Pariser Völkerbundinstituts ein eigenes Kapitel, auf das hier kurz eingegangen werden soll. 50 Dossier Unter dem Eindruck der Schrecken des Ersten Weltkriegs sei man sich in vielen Ländern der außerordentlichen Bedeutung der politischen Bildung bewusst geworden. „Seit dem Kriege hat man sich in fast allen Ländern viel mehr mit den Problemen politischer Bildung befasst als vorher. Überall stellte man die Frage, ob nicht manches anders gelaufen wäre, wenn die großen Massen mehr politische, wirtschaftliche und soziale Kenntnisse gehabt hätten, wenn aktive Politiker und Staatsmänner eine sorgfältigere Durchbildung genossen und mehr von der Psychologie anderer Völker gewusst hätten.“ 37 Nach dem Vorbild der ersten politischen Hochschule, der Ecole libre des Sciences politiques, die 1871 in Frankreich gegründet wurde, seien nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zahlreiche ähnliche Institute entstanden. Nun habe die DHP die Initiative ergriffen, „bei der Universitätsabteilung des I.I.C.I. anzuregen, diese Anstalten zur Behandlung der sie interessierenden Fragen zu einer Round-Table-Besprechung zu vereinigen.“ 38 Das erste dieser Treffen fand im März 1928 in der DHP in Berlin statt, zu dem Vertreter aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und den Vereinigten Staaten gekommen seien. Wie die deutsche Presse berichtete, war aus dem Pariser Völkerbundinstitut der Direktor Julien Luchaire mit einigen Mitarbeitern angereist. 39 In den Ansprachen in Berlin wurde betont, dass die Ausbildung angehender Politiker in speziellen Instituten noch etwas Neues sei, dies aber durchaus zukunftsträchtig sei. Als dieses Treffen der wissenschaftlichen Institute zum Studium der internationalen Beziehungen ein Jahr später in London tagte, wurden in der deutschen Presse neben Luchaire namentlich auch Rothbarth und Picht als Vertreter des IIfgZ erwähnt. 40 Rothbarth nahm als Leiterin der deutschen Abteilung teil und Picht als Leiter der Universitätsabteilung des Pariser Instituts. Das dritte Treffen, das im Juni 1930 im IIfgZ in Paris stattfand, 41 hatte konkrete Ergebnisse vorzuweisen, wie Rothbarth hervorhebt. „Im Mittelpunkt der Beratungen steht augenblicklich die Ausarbeitung eines Lexikons politischer Ausdrücke, das gegen die Sprachenverwirrung auf politischem Gebiet ankämpfen will.“ 42 Vor Jahren sei diese Idee schon von den Professoren Haas (DHP) und Guardini ins Gespräch gebracht worden, ebenso von Max Clauß, dem Schriftleiter der Europäischen Revue. Wegen der außerordentlichen Schwierigkeit und Komplexität dieses Projekts sei es bisher jedoch nicht zu seiner Umsetzung gekommen. Rothbarth erklärt die Notwendigkeit dieses Lexikons damit, dass viele Wörter nicht übersetzbar sind, was sie u.a. an folgendem Beispiel erläutert: „Eines der größten Missverständnisse der Reparationsregelung entstand dadurch, dass die Engländer unter ‚damages’ nur die materiellen, die Franzosen unter ‚dommages’ dagegen auch die ideellen Schäden verstanden.“ 43 Auch Haas erwähnt in seinem Beitrag über die Auslandsarbeit der DHP das Projekt dieses Handbuchs der wichtigsten politischen Begriffe, ohne jedoch seinen persönlichen Beitrag zu erwähnen. 44 Unter der Herausgeberschaft des Pariser Völkerbundinstituts ist dieses Handbuch jedoch nicht erschienen. Da Rothbarth häufig an internationalen Kongressen teilnahm, war sie sich der Bedeutung der Fremdsprachen durchaus bewusst. Sie setzte sich mit diesem 51 Dossier Thema auch in ihren Publikationen auseinander. Insbesondere alarmierend sind ihre Bemerkungen über die Pariser Friedensverhandlungen, die Willkür einiger Entscheidungen, da die Verhandlungspartner wegen fehlender Fremdsprachenkenntnisse nicht schnell genug intervenieren konnten. Mit diplomatischer Zurückhaltung kommt sie zu dem Schluss: „so ist die Einsprachigkeit der führenden Politiker doch immer wieder von neuem verwunderlich.“ 45 Rothbarth dürfte das Projekt eines Lexikons politischer Ausdrücke persönlich unterstützt haben, wohl wissend, dass dies ein unverzichtbares Hilfsmittel bei den zunehmend internationalen Verhandlungen war. In ihrer Bilanz der Arbeit des IIfgZ unterstreicht sie, dass sie die Zusammenarbeit der politischen Hochschulen für eines der wichtigsten Ergebnisse der Arbeit des Pariser Völkerbundinstituts halte. 46 Als Diplomatin im IIfgZ in Paris Auf die Gründungsgeschichte, den Aufbau und die thematischen Schwerpunkte der Arbeit im IIfgZ kann im Rahmen dieses Beitrags nicht eingegangen werden. 47 In der deutschen Presse wurde den Zeitgenossen das Pariser Institut als „die erste mondiale Spitzenorganisation des Geistes“ vorgestellt, die „kein wissenschaftliches oder Lehrinstitut“ sei, sondern „deren Aufgabe darin besteht, die geistigen Leistungen aller Völker der Erde zu registrieren und zu koordinieren [...]“ 48 Es wurde ferner die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass nun „endlich jene dringend notwendige Luftreinigung vollzogen“ werden kann - die Hoffnung auf das Ende des Boykotts deutscher Wissenschaftler in den internationalen Organisationen -, und Deutschland wieder zu einem Vollmitglied werden kann. Mit der Unterzeichnung des Locarno-Vertrags im Jahre 1925 und Deutschlands Beitritt zum Völkerbund im Jahre 1926 wurden erste Schritte in dieser Richtung unternommen. Im Gegensatz zu den anderen Einrichtungen des Völkerbunds hatte das IIfgZ seinen Sitz nicht in Genf, sondern wurde im Januar 1926 in einem Flügel des Palais Royal in der französischen Hauptstadt eingeweiht. Nur unter dieser Voraussetzung, dass der Sitz des Instituts in Paris sein würde, hatte sich die französische Regierung zu einer Stiftung bereit erklärt. Eine weitere Bedingung war die Ernennung eines Franzosen als Direktor. Von 1925 bis 1930 war dies der Historiker Julien Luchaire, der sich von Anfang an erfolgreich um eine Annäherung an Deutschland bemüht habe. 49 In Deutschland begegnete man den Völkerbundinitiativen zunächst mit Misstrauen und auch Ablehnung, obwohl in der Locarno-Ära die verhärteten Fronten zwischen Frankreich und Deutschland allmählich abgebaut werden konnten. Diese Haltung war insbesondere dem Pariser Institut gegenüber festzustellen, da es aus deutscher Sicht vornehmlich der französischen Kulturpolitik und Kulturpropaganda diente. Im Auswärtigen Amt wurde vor dem „vermutlich wahren Charakter des Instituts als französischer Propagandastelle“ gewarnt. 50 52 Dossier Die Kritiker sahen sich dadurch, dass ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Posten von Franzosen besetzt war, in ihrer Meinung nur bestärkt. 51 In einer Liste mit der geplanten personellen Besetzung der verschiedenen Abteilungen des IIfgZ aus dem Jahre 1925, die dem Auswärtigen Amt vorlag, befand sich unter den 47 Namen nur ein deutscher Repräsentant. 52 Dies war Gerhart von Schulze-Gävernitz, Professor der Nationalökonomie an der Universität Freiburg i. B. Er kam aus dem Kreis um Friedrich Naumann, war Mitglied der DDP und lehrte seit 1925 an der DHP. Im Juli 1925, Deutschland war noch nicht Mitglied im Völkerbund und hatte somit auch kein Mitspracherecht, wurde er von der IKfgZ in Genf zum Leiter der Abteilung für wissenschaftliche Beziehungen im IIfgZ ernannt. Der Oxforder Professor Gilbert Murray, von Anfang an Mitglied des IKfgZ, hatte sich für Schulze- Gävernitz eingesetzt. Wenig erbaut war man im Auswärtigen Amt über diese Entscheidung, da deutsche Entscheidungsträger weder informiert noch befragt wurden. Bei Gründung des IIfgZ war die Diskussion über die von Deutschland einzunehmende Haltung im Auswärtigen Amt noch nicht abgeschlossen. Zunächst ging man überaus selbstbewusst davon aus, dass Deutschland mit dem Ende des internationalen Boykotts seine Stellung als geistige Weltmacht schnell wieder einnehmen würde. Allmählich setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, dass man um eine konstruktive Mitarbeit nicht umhin komme und somit auch ein deutscher Repräsentant ins Pariser Institut delegiert werden müsse. Mit Blick auf die Ernennung von Schulze-Gävernitz wollte die Regierung nun aber bei personellen und inhaltlichen Fragen eine gewisse Entscheidungsbefugnis haben. Auf der erwähnten Liste war für die Informationsabteilung, in der Rothbarth ab November 1926 arbeiten sollte, als Leiter der Italiener Guiseppe Prezzolini vorgesehen und als Stellvertreter der Tscheche Siblik. Sie sollten von zwei französischen „Sachverständigen und Hilfsarbeitern“ unterstützt werden. Vorgesehen waren Roger Levy und Jean Luchaire, der Sohn des Direktors. Letzterer hat seine Stelle aber wohl nie angetreten. 53 Nach dieser Liste aus dem Jahre 1925 war also weder Rothbarth als Mitarbeiterin noch die von ihr zu besetzende Stelle vorgesehen. Eine Woche vor ihrem Arbeitsantritt in Paris, im Oktober 1926, schrieb Luchaire an Simons, den Direktor der DHP: „Nous créerons, pour y nommer Melle Rothbarth un ‘service allemand’ à la Section d’Information et de Documentation. Elle aura pour mission d’observer la vie intellectuelle de l’Allemagne au point de vue de la coopération internationale, de s’occuper de toutes les affaires traitées dans la Maison en tant qu’elles intéressent l’Allemagne.“ 54 Offenbar war die Historikerin die gesuchte Person, die Deutschland im Pariser Völkerbundinstitut repräsentieren konnte. Für sie wurde daher eine Stelle geschaffen. Die Finanzierung kam jedoch nicht von der DHP, wie allgemein angenommen oder Glauben gemacht wurde, sondern vom Auswärtigen Amt. Dies geht aus einem Brief von Hugo Andres Krüss hervor, der seit 1927 als Stellvertreter Albert Einsteins in der IkfgZ tätig war und anschließend zunehmend an Einfluss im Völkerbund gewann. 55 Zwischen Rothbarth und Krüss bestand übri- 53 Dossier gens ein sehr gutes Verhältnis, das fast schon als freundschaftlich bezeichnet werden kann. Als Deutschland im Oktober 1933 den Völkerbund verließ, wurden alle Deutschen aufgefordert, aus den Völkerbundsgremien und -kommissionen auszuscheiden. Dieser Aufforderung kam Rothbarth im Gegensatz zu Krüss nicht nach. Für ihre Entscheidung bat sie den Botschafter Köster in einem Schreiben um Verständnis: „Ich habe aber die Sachlage geprüft, die sich für mich aus dem Aufgeben einer noch weiter vertraglich gesicherten Stelle ergibt: wie die Dinge liegen, habe ich als Jüdin nicht die geringste Aussicht, meinen Unterhalt in Deutschland zu verdienen.“ 56 Dass sie ihre Arbeit in Paris fortsetzt, ist also nicht allein auf ihr „persönliches Engagement“ für den Völkerbund zurückzuführen, 57 sondern war eine Notwendigkeit. Für sie als Jüdin war die Rückkehr in ein nunmehr nationalsozialistisches Deutschland unmöglich geworden. Nachdem sie sieben Jahre in Paris als Auslandsdeutsche gelebt hatte, war sie plötzlich zur Emigrantin geworden. 58 Eine „privilegierte“ Emigrantin mit Arbeitsstelle, die sie anbetracht der wirtschaftlichen Krise unter keinen Umständen aufgeben konnte. In ihrem Brief an den Botschafter versicherte Rothbarth, dass sie auch in Zukunft ihre Arbeit „streng sachlich“ weiterführen werde und aus diesem Grunde aus dem Referat für die Revision der Schulbücher ausscheiden wolle. Zweifelsohne war sie aber für die Schulbuchfragen die Spezialistin im IIfgZ, auf deren Mitarbeit schlecht verzichtet werden konnte. In den zwanziger und dreißiger Jahre hat Rothbarth zahlreiche Artikel über die Arbeit der Schulbuchkommissionen in der Tagespresse publiziert. In ihrem Buch stellt sie in einem eigenen Kapitel „Schulbücher“ den Stand der Arbeit vor. 59 Darin gibt sie zu Bedenken, dass „verständige und unparteiische Geschichtsbücher [...] die Voraussetzung für Erziehung der Jugend im Geiste des Völkerbunds“ 60 sind, und dass die Behandlung dieser Frage auf internationaler Ebene besonders schwierig sei und viel diplomatisches Geschick erfordere. Sie wusste, wovon sie sprach. Stand sie doch im Zentrum dieser Arbeit im Pariser Völkerbundinstitut, obwohl dies kaum in die Öffentlichkeit gelangte. Interessant ist daher folgender Hinweis aus der Frankfurter Zeitung, da ihre Arbeit selten derart gewürdigt wurde: „Wir haben Frau Dr. Margarete Rothbarth vom Institut International der Coopération Intellectuelle, die den wesentlichen Anteil an dem vom Institut herausgegebenen Handbuch ‚La Révision des Manuels Scolaires’ hat, die Frage vorgelegt, warum auf diesem wichtigen Gebiet aller gute Wille, alle theoretische Arbeit, die in den zahlreichen Entschließungen steckt, bisher praktisch fast ohne Erfolg geblieben ist.“ 61 Die Revision der Geschichtsbücher beinhaltete sowohl pädagogische Aspekte als auch die Frage nach der „unparteiischen Geschichtsforschung“. Nur zögernd beteiligten sich die Historiker an der Diskussion darüber, wie Geschichtsbücher abzufassen sind. Rothbarth erwähnt in ihrem Buch ein seit 1926 bestehendes Internationales Komitee der Geschichtswissenschaften sowie einen Ausschuss für 54 Dossier Geschichtsunterricht, der 1928 auf dem internationalen Historikertag in Oslo ins Leben gerufen wurde. 62 Neben diesen internationalen Initiativen gab es auch binationale Kommissionen, u.a. eine deutsch-französische. Erstaunlicherweise wurde noch 1935 ein Abkommen über den Geschichtsunterricht unterzeichnet, ohne dass dies jedoch noch in der Praxis die erhofften Auswirkungen haben konnte. 63 Der Text wurde 1938 im Bulletin of the International Committee of Historical Sciences publiziert, neben den Berichten über den internationalen Historikertag in Zürich. Auch Rothbarth war zu diesem Historikertreffen angereist, um in der Sektion „Historische Methode, Geschichtstheorie, Geschichtsunterricht“ über die Arbeit des IIfgZ zum Geschichtsunterricht zu referieren. 64 Die Teilnahme einer jüdischen Emigrantin muss von den deutschen Delegierten jedoch als Störung der „tiefsten Ruhe eines europäischen Friedens“ 65 empfunden worden sein - von dieser Idylle berichtete die Münchner Historische Zeitschrift. In den publizierten Tagungsberichten fehlen bei Rothbarth, im Gegensatz zu allen anderen Referenten, Titel, Funktion und die institutionelle Zuordnung. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs befand sich Rothbarth in der Schweiz. Ihr Pass war mittlerweile ungültig, eine Rückkehr nach Frankreich wurde ihr von den französischen Behörden verweigert, die ihr zustehenden Gehaltszahlungen aus Paris blieben aus. Die französische Staatsbürgerschaft, die sie im August 1938 beantragte, hat sie nie bekommen. Sie selbst schreibt nach dem Krieg rückblickend über die Schweizer Jahre: „J’étais donc en sécurité, mais ces sept années étaient très pénibles. J’étais malade, pauvre, et la Suisse interdisait tout travail payé aux réfugiés.“ 66 Es ließen sich bisher keinerlei Hinweise darauf finden, wie Rothbarth den Krieg in der Schweiz überlebt hat. Eine Erwerbsarbeit kam nicht in Frage, da dies die Ausweisung zur Folge gehabt hätte. Offenbar wurde sie aber auch von keiner Hilfsorganisation unterstützt. 67 Den Arbeitsprozess, den sie 1946 gegen das IIfgZ anstrengte, hat sie gewonnen, die ihr zustehenden Gehälter wurden nachgezahlt. Als sie am 7. September 1953 in Zürich starb, war sie staatenlos. 1947 erschien gewissermaßen abschließend die Geschichte des Pariser Völkerbundinstituts unter dem Titel Institut International de Coopération Intellectuelle 1925-1946. 68 Unter Leitung des letzten Direktors des IIfgZ, Jean-Jacques Mayoux, waren es vor allem ehemalige Mitarbeiter, die sich an der Redaktion beteiligten. Rothbarth, die von 1926 bis 1939, also in den entscheidenden Jahren, in eben diesem Institut als ständige Beamtin tätig war, wurde nicht hinzugezogen. Ihr Arbeitsbereich, Schulbücher und Geschichtsunterricht, wurde von Nicolas Tolu bearbeitet. Warum wurde er der langjährigen Mitarbeiterin und Kennerin der Materie vorgezogen? Über seine Kontakte zum Pariser Institut konnte bisher nichts in Erfahrung gebracht werden. Mayoux wusste sehr wohl, dass und wo Rothbarth lebte. Sie hatte ihn im Oktober 1945 um Hilfe gebeten, als sie erneut die französische Staatsbürgerschaft beantragen wollte. Er sah aber keinerlei Notwendigkeit, die ehemalige Völkerbund-Diplomatin zu unterstützen. „Se trouvant en Suisse à la déclaration de guerre, elle n’est pas rentrée en France, sans autre raison que de prudence personnelle.“ Diese Erklärung vom April 1946 entbehrt nicht eines gewissen 55 Dossier Zynismus, zumal Rothbarth alles versucht hatte, nach Frankreich zurückkehren zu können, was ihr aber, wie schon gesagt, verweigert wurde. Zu einer Zusammenarbeit zwischen ihr und Mayoux ist es auf jeden Fall nicht mehr gekommen, wer auch immer von den beiden dies abgelehnt haben mag. Gut sechzig Jahre nachdem das Pariser Völkerbundinstitut durch die UNESCO abgelöst wurde, interessieren sich nun Historiker, Soziologen und Kulturwissenschaftler für diese internationale Institution, deren Geschichte nicht nur aus der höchst trockenen Materie der endlosen Sitzungsberichte zu rekonstruieren ist. Die Geschichtsbücher sind hierfür ein gutes Beispiel. 69 Nachdem im Jahre 2006 das deutsch-französische Geschichtsbuch herausgekommen ist, bestand auch Interesse an der historischen Dimension dieser Zusammenarbeit. 70 Es gehörte nicht zu den Gepflogenheiten des Völkerbunds, Einzelleistungen hervorzuheben. Im Vordergrund stand die internationale Institution, das Engagement der einzelnen Beamten blieb weitgehend anonym. Ein Beispiel dafür ist das Handbuch zur Revision der Geschichtsbücher, das von Rothbarth fast allein geschrieben wurde, ohne dass ihr Name erwähnt wird. Wie am Beispiel dieser Historikerin gezeigt wurde, ist es Zeit, die Projekte und Initiativen des IIfgZ aufzuarbeiten und dabei sollte den bisher anonym gebliebenen Akteuren der ihnen zustehende Platz eingeräumt werden. 1 Jean-Jacques Renoliet: L’UNESCO oubliée. La Société des Nations et la coopération intellectuelle (1919-1946), Paris, Publication de la Sorbonne, 1999. 2 Birgit Lange: Medienpolitik des Völkerbunds, Konstanz, Universitätsverlag, 1991; Ute Lemke: „Das Pariser Völkerbundsinstitut für geistige Zusammenarbeit und die aus Deutschland geflüchteten Intellektuellen“, in: Anne Saint Sauveur-Henn (ed.): Fluchtziel Paris. Die deutschsprachige Emigration 1933-1940, Berlin, Metropol, 2002, 51-59; Eckhardt Fuchs: „Der Völkerbund und die Institutionalisierung transnationaler Bildungsbeziehungen“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 10, 2006, 888-899; Isabella Löhr: „Der Völkerbund und die Entwicklung des internationalen Schutzes geistigen Eigentums in der Zwischenkriegszeit“, ibid., 900-910; Hans Manfred Bock: „Europa als konkrete Utopie? Zum intellektuellen Umfeld der deutschen Vertretung im Internationalen Institut für geistige Zusammenarbeit in Paris 1927-1933“, in: ders.: Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts, Tübingen, Narr, 2010, 97-120; Ute Lemke: „Ein Beitrag zur ‚Entgiftung der öffentlichen Meinung der Welt’ - Völkerbund und Presse“, in: Susanne Marten-Finnis, Michael Nagel (eds.): die PRESSA. Internationale Presseausstellung Köln 1928 und der jüdische Beitrag zum modernen Journalismus, Bd. 1, edition lumière, Bremen 2012, 105-117. 3 Margarete Rothbarth: Geistige Zusammenarbeit im Rahmen des Völkerbunds, Münster, Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, 1931. 4 Ibid., 1. 5 Cf. Deutsch-Französische Rundschau, 6. Juni 1931, 533; Europäische Gespräche, 1931, 42. 6 Cf. Völkerbund, 8/ 9, September 1931, 63sq. 7 Cf. Bulletin de la Coopération Intellectuelle, mai 1931, 260. 56 Dossier 8 Elisabeth Rotten, in: Das werdende Zeitalter. Eine Monatsschrift für Erneuerung der Erziehung, 5, Mai 1931, 258. 9 Cf. Internationale Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 1931/ 32, 455. 10 Wie Stichproben in der Vossischen Zeitung und in der Frankfurter Zeitung ergaben, scheint die Tagespresse weder durch Anzeigen des Verlags noch durch Rezensionen auf das Buch hingewiesen zu haben. 11 Cf. Erich Nickel: Politik und Politikwissenschaft in der Weimarer Republik, Berlin, Rotschild Verlag, 2004, 138. 12 Ein sehr kurzer Eintrag befindet sich bei Walther Killy, Rudolf Vierhaus (eds.): Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd.8, München, Saur, 1998. Zwei Angaben finden sich im Deutschen Biographischen Index, 2. kumulierte und erweiterte Ausgabe, Bd.6, München, Saur, 1998. Eine erste biographische Skizze publizierte Peter Schöttler: „Margarethe Rothbarth“, in: Hiram Kümper (ed.): Historikerinnen. Eine biobibliographische Spurensuche im deutschen Sprachraum, Kassel, Schriftenreihe des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Bd. 14, 2009, 182sq. 13 Der Vorname der Schwester ist nicht bekannt. In den konsultierten Dokumenten wird sie nur als Frau von Rudolf Meyer erwähnt. Im November 1933 bestimmte Margarete Rothbarth als ihre Erben Herrn und Frau Rudolf Meyer sowie deren Kinder, die zu dem Zeitpunkt noch eine Frankfurter Adresse hatten, UNESCO, I.I.C.I., A.IV. 28 / 116, dossier Margarete Johanna Rothbarth. Offenbar konnte die Familie Meyer emigrieren, auf den Ausbürgerungslisten gibt es keinen in Frankfurt wohnhaften Rudolf Meyer. Michael Hepp (ed.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, München, Saur, 1988. In der Todesanzeige, die am 10.9.1953 in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen ist, wird als Angehöriger nur Dr. Rud. Meyer aus Haiffa genannt. 14 Die Angaben zu Schule und Studium sind ihrem Lebenslauf entnommen, den sie im Januar 1913 mit dem Antrag um Zulassung zum Doktorexamen an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg vorlegte. Universitätsarchiv, Promotionsakte von Margarethe Rothbarth, B 42/ 1606. 15 Im Lebenslauf für die Bewerbung beim IIfgZ gibt sie als drittes Studienfach Anglistik an, UNESCO, I.I.C.I., A.IV. 28 / 116, dossier Margarete Johanna Rothbarth. In der Promotionsakte fehlt dieser Hinweis. 16 Margarete Rothbarth: Urban VI. und Neapel, Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte, 49, Georg v. Below, Heinrich Finke, Friedrich Meinecke (eds.), Berlin und Leipzig, Verlag Dr. Walther Rothschild, 1913. 17 Rothbarths Mitarbeit wurde vom Deutschen Volksliedarchiv bestätigt, Schreiben vom 17. 8.2010. 18 Stefan Meineke: „Friedrich Meinecke und der ‚Krieg der Geister’“, in: Wolfgang J. Mommsen (ed.): Kultur und Krieg: Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München, Oldenbourg Verlag, 1996, 103. 19 Cf. Philippe Alexandre: „Une communauté de nations indépendants, unies par la paix, la démocratie et la solidarité. - Le projet européen de Die Hilfe, organe de la Deutsche Demokratische Partei 1918-1930“, in: Der Europadiskurs in den deutschen Zeitschriften (1918-1933), Michel Grunewald (ed.) in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock, Bern u.a., Peter Lang, 1997, 101. 20 Margarete Rothbarth: „Erinnerungen an Friedrich Naumann“, in: Frankfurter Zeitung, 12.9.1919. 21 Dies.: „Clemenceaus Karthagerfriede“, Die Hilfe, 29.1.1920, 73-76. 57 Dossier 22 Dies.: „Tardieus Entüllungen“, Die Hilfe, 5.5.1921, 200-202. 23 Dies.: „Nitti zum Wiederaufbau Europas“, Die Hilfe, 15.3.1922. 24 Dies.: „Die ersten Wochen des Völkerbundes“, Die Hilfe, 26.2.1920, 138. 25 Ibid., 139. 26 Dies.: „Ein neues Elsass-Lothringen“, in: Die Hilfe, 5.9.1921, 390. 27 Siehe: Deutscher Biographischer Index, 2. kumulierte und erweiterte Ausgabe, Bd.6, K.G. Saur, München 1998, darin: Lexikon der Frau, Bd.2, 1954, 533. Dieser Hinweis findet sich ebenso in der Deutschen Biographischen Enzyklopädie, Walther Killy, Rudolf Vierhaus (eds.), Bd.8, München, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt. 28 Theodor Heuss erwähnt einen Nachruf für Naumann, den Rothbarth, „seine Biographin“, geschrieben haben soll. Die Quelle präzisiert er nicht. Theodor Heuss: Das war Friedrich Naumann, München, Franz Schneider Verlag, 1974, 11. 29 Cf. Jost Dülffer: „Vom Internationalismus zum Expansionismus: Die Deutsche Liga für Völkerbund“, in: Wolfgang Elz, Sönke Neitzel (eds.): Internationale Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn, Ferdinand Schöningh, 2003, 252sq. 30 Am 9. April 1930 sprach sie z.B. in den Räumen der Liga in Berlin über das IIfgZ, UNESCO, ICII, A.XI.3Deutsche Liga für Völkerbund (1926-32). 31 Ibid., UNESCO, I.I.C.I., A.IV. 28 / 116, dossier Margarete Johanna Rothbarth. 32 Von den anfänglich 45 Mitarbeitern blieben 1923 noch 3, Dülffer, op.cit., 258. 33 UNESCO, I.I.C.I., A.IV. 28 / 116, dossier Margarete Johanna Rothbarth. 34 Cf. Antonio Missiroli: Die Deutsche Hochschule für Politik, St. Augustin, Comdok-Verlagsabteilung, 1988. Weder im Vorlesungsverzeichnis der Staatsbürgerschule noch im Dozentenverzeichnis wird Rothbarth als Dozentin erwähnt. 35 Cf. Wilhelm Haas: „Auslandsarbeit“, in: Ernst Jäckh (ed.): Politik als Wissenschaft. Zehn Jahre Deutsche Hochschule für Politik, Berlin, Verlag Hermann Reckendorf, 1931, 261. 36 Idem, 262. 37 Rothbarth, op. cit., 70. 38 Idem, 71. 39 „Internationale Tagung politischer Bildungsanstalten“, in: Frankfurter Zeitung, 23.3.1928 (Morgenblatt), 2. 40 „Internationale politische Forschung“, in: Frankfurter Zeitung, 14.3.1929 (Abendblatt), 2. 41 Die Pariser Veranstaltung wurde in der Frankfurter Zeitung nicht mehr erwähnt. 42 Rothbarth, op. cit., 73. 43 Idem. 44 Haas, op. cit., 260sq. 45 Margarete Rothbarth: Die Großen Vier am Werk. Beiträge zur Geschichte der Friedenskonferenz, Berlin, Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte, 1921, 53. Dem Thema „Sprachenverwirrung“ ist ein eigener Abschnitt gewidmet. 46 Rothbarth op. cit., 74. 47 Cf. Margarete Rothbarth: „Internationale geistige Zusammenarbeit“, in: Karl Strupp (ed.): Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Bd. III, Berlin u. Leipzig, Verlag Walter de Gruyter, 1928, 873-884; dies. op. cit. 48 „Das internationale Institut des Geistes“, in: Vossische Zeitung, 31.12.1924. Wenn die DHP Dozenten nach Paris schickte, dann war es nicht mit einem Lehrauftrag, wie Gangl schreibt, sondern in einer anderen Mission, cf. Manfred Gangl: „Die Ecole libre des sciences politiques in Paris und die Berliner ‚Deutsche Hochschule für Politik’“, in: Berlin-Paris (1900-1933), Begegnungsorte, Wahrnehmungsmuster, Infrastrukturprobleme im Vergleich, Hans Manfred Bock, Ilja Mieck, Bern, Peter Lang, 2005, 103. 58 Dossier 49 Renoliet, op. cit. 50 GStA PK, I. HA Rep.76 Kultusministerium, Bl. 117sq. - Aufzeichnung eines Gesprächs mit Schulze-Gävernitz vom 29.7.1925. 51 Von den insgesamt 47 Posten wurden 23 von Franzosen besetzt, cf. Anmerkung 50. 52 Ibid. 53 Es ist auffällig, wie oft die Namen Jean und Julien Luchaire sowohl in deutschen als auch in französischen Publikationen verwechselt werden. Der Vater Julien Luchaire (1876- 1962) war Historiker, vor dem Ersten Weltkrieg Direktor des Institut français in Florenz, von 1926 bis 1931 Direktor des IIfgZ. 1927 heiratete er die Publizistin und Übersetzerin Antonina Vallentin, die für ihn eine wichtige Mittlerin zu deutschen Intellektuellen, Künstlern und Politikern war. Nach 1940 war Julien Luchaire im französischen Widerstand aktiv. Der Sohn Jean Luchaire (1901-1946) war Journalist, er wurde 1946 als Kollaborateur hingerichtet. 54 UNESCO, I.I.C.I., A.IV. 28 / 116, dossier Margarete Johanna Rothbarth, Brief von Julien Luchaire an Simons, 23 octobre 1926. Bei der Entscheidung über die Besetzung der Stellen in Paris habe der deutsche Vertreter und Untergeneralsekretär im Genfer Völkerbundssekretariat, Albert Dufour-Feronce, eine Rolle gespielt. Nicht zuletzt ist es auch seiner Unterstützung zu verdanken, dass Rothbarth und Picht in die französische Hauptstadt kamen. Cf. Brigitte Schröder-Gudehus: Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit 1914-1928, Thèse, Genève 1966, 259. 55 Berliner Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Acta Preußische Staatsbibliothek: Generaldirektion, Völkerbund, Nr.140, I Commission internationale de Coopération intellectuelle Vol.3, Brief von Krüss an Dufour-Feronce vom 3.3.1931. 56 AA Berlin, R65746, Schreiben Rothbarths an den Botschafter Köster in Paris, 20. November 1933. 57 So wird es dargestellt bei Werner Scholz: „Das deutsch-französische Verhältnis in den internationalen Kulturorganisationen der Zwischenkriegszeit“, in: Christian Baechler, Klaus-Jürgen Müller (eds.): Dritte in den deutsch-französischen Beziehungen, München, 1996, 223. 58 Rothbarth wird in keinem der einschlägigen Handbücher oder Publikationen über das deutsche Exil zitiert. 59 Rothbarth op. cit., 120-125. 60 Idem, 121. 61 Margarete Rothbarth, „Die Reinigung der Schulbücher“, Frankfurter Zeitung, 19.6.1932. 62 Rothbarth, op. cit., 124. 63 Monique Mombert, „Enseigner la paix? Réforme pédagogique et pacifisme dans l’Allemagne des années 1920“, in: Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande, n°2, 2010, 207. Über die personelle Zusammensetzung der deutsch-französischen Kommission gibt es keine Angaben. 64 Margarete Rothbarth: „Le travail de l’Institut international de Coopération intellectuelle en matière d’histoire“, in: Bulletin of the International Committee of Historical Sciences, 40 - July 1938, Scientific Reports, II, Volume X, Part III, 688-690. Im gleichen Heft wurde auch der Text des deutsch-französischen Abkommens über Geschichtsbücher publiziert, idem, 738. 65 Karl Brandi, „Der internationale Historikerkongress in Zürich“, in: Historische Zeitschrift, München 4.11.1938, 214-218. 66 UNESCO, I.I.C.I., A.IV. 28 / 116, dossier Margarete Johanna Rothbarth. 59 Dossier 67 Auf meine Anfrage antwortete das Schweizerische Bundesarchiv am 2.4.2001, dass es ein Dossier gegeben habe, dies aber schon vor einiger Zeit vernichtet wurde. Im Staatsarchiv des Kantons Zürich konnte der Name in den Katalogen und Verzeichnissen nicht nachgewiesen werden, da „kaum mehr Akten der Zürcher Fremdenpolizei aus jenen Jahren vorhanden sind“, Schreiben vom 26.4.2001. Das Stadtarchiv Zürich musste sich auf die Akten der Einwohnerkontrolle und des Standesamts beschränken, Antwort vom 7.5.2001. Da Rothbarth nicht Mitglied der Israelitischen Cultusgemeinde war, wurde im Schreiben der Bibliothek der Israelitischen Cultusgemeinde vom 18.5.2001 auf den Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorge (VSJF) verwiesen, der am 18.6.2001 ebenfalls eine negative Antwort schickte. Das Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich, wo die Recherchen zu Rothbarth ebenso erfolglos blieben, verwies darauf, dass sie als Emigrantin mit ungültigen deutschen Papieren der eidgenössischen Fremdenpolizei unterstand, weshalb sich Unterlagen im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern befinden müssten, Schreiben vom 8.5.2001. Auf der mitgeschickten Kopie aus dem Zürcher Telefonbuch aus dem Jahre 1949 gibt es einen Eintrag für Frl. Dr. phil. Rothbart Margarethe, Asylstraße 80. Möglicherweise beruht diese Schreibweise ihres Namens auf einem Druckfehler. 68 Cf. Institut International de Coopération Intellectuelle 1925-1946, Paris, Institut International de Coopération Intellectuelle, 1947. 69 Cf. Marcello Verga, „Manuels d’histoire pour la paix en Europe, 1923-1938“, in: Marta Petricioli, Donatella Cherubini (eds.): Pour la paix en Europe. Institutions et société civile dans l’entre-deux-guerres, Brüssel, Peter Lang, 2007, S.503-524. 70 Cf. Corine Defrance, Ulrich Pfeil: „Historischer Perspektivenwechsel. Das deutsch-französische Geschichtsbuch: Vorgeschichte und Realisierung“, in: Frankreich Jahrbuch 2009, Wiesbaden, 2010, 95-110. Résumé: Ute Lemke, „La femme, clandestine de l’histoire“. Margarete Rothbarth - un engagement pour la Société des Nations. L’auteur présente un aperçu du parcours intellectuel de Margarete Rothbarth (1887-1953), historienne et collaboratrice de Friedrich Naumann, en mettant l’accent sur son engagement pour la Société des Nations et en particulier son rôle au sein de „l’Institut International de Coopération Intellectuelle“ à Paris. Cette institution, qui a préfiguré l’UNESCO, est encore peu connue, de même que ses acteurs, et parmi eux la responsable du service Allemagne Margarete Rothbarth. Cette contribution montre également le rapport difficile entre la Société des Nations et les gouvernements allemands successifs de l'entre-deux-guerres.