eJournals lendemains 42/168

lendemains
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2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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2017
42168

Heidi Knörzer: Publicistes juifs entre France et Allemagne. Champions de la même cause?

2017
Joseph Jurt
ldm421680101
101 Comptes rendus (2001), Éric Saurays Theaterstück Fort de Joux, avril 1803 (2003), der Fernsehfilm Toussaint Louverture (2012) unter der Regie von Philippe Niang, sowie das Kinderbuch Toussaint Louverture (2011) von Jacques Vénuleth und Zeichnungen von Frédéric Rébéna. Pasquet gelingt es in einer metamythischen Lesart durch die Inszenierung eines fiktiven Dialogs zwischen Toussaint Louverture und Heinrich von Kleist in der Zelle im Fort-de-Joux, in der sie beide einst Gefangene gewesen sind, die Machart des Mythos aufzudecken und folgerichtig zu entmystifizieren. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es der Autorin gelungen ist, aufzuzeigen, welche Wandlungen der Toussaint-Louverture-Mythos im Laufe der Zeit erfahren hat. Hierbei ist deutlich geworden, dass die Repräsentation und Funktionalisierung grundsätzlich vom Standpunkt des Autors abhängt. Der Mythos wird so zu einem Spiegelbild der Haltung der französischen Öffentlichkeit gegenüber dem Kolonialismus und dem zeitgenössischen französischen Nationaldiskurs. Stephanie Wilk (Innsbruck) ------------------ HEIDI KNÖRZER: PUBLICISTES JUIFS ENTRE FRANCE ET ALLEMAGNE. CHAMPIONS DE LA MÊME CAUSE? , PARIS, CHAMPION, 2016, 459 S. (BIBLIO- THÈQUE D’ÉTUDES JUIVES, 56). Es handelt sich bei der hier anzuzeigenden Arbeit zweifellos um eine wichtige Untersuchung. Es geht nicht bloß um einige jüdische Publizisten in Frankreich und Deutschland, wie der etwas vage Titel zunächst zu suggerieren scheint. Nein, hier liegt eine intensive Analyse von zwei repräsentativen Organen der jüdischen Minderheit in den beiden Ländern für die Periode von 1848 bis 1914 vor, der Allgemeine Zeitung des Judenthums (1837-1922) und der Archives Israélites de France (1840- 1935). Entsprechend dem hier verfolgten mikro-historischen Ansatz stehen die Texte der Leiter der genannten Zeitschriften im Vordergrund, Isidore Cahen und Hippolyte Prague für das französische Organ, Ludwig Philippson und Gustav Karpeles für das deutsche. Man schätzt insbesondere die klare methodologische Reflexion am Anfang der Untersuchung. In den bisherigen Studien zur jüdischen Minderheit in den beiden Ländern sei die nationale Perspektive im Vordergrund gestanden; auch in vergleichenden Arbeiten habe ein dichotomischer Ansatz vorgeherrscht. Der Verfasserin geht es vielmehr darum, eine gemeinsame Logik und transnationale Aspekte herauszuarbeiten. Sie distanziert sich von der (normativen) Assimilations-Kategorie, die Michael R. Marrus in seiner Studie The Politics of Assimilation. A Study of the French Jewish Community at the time of the Dreyfus Affair (1971) vertrat, nach der die Assimilationsstrategie der französischen jüdischen Minderheit scheiterte und sich darum die Idee eines eigenen Staates zu artikulieren begann. Man könne in den beiden Ländern, so die Verfasserin, nicht von der Idee einer homogenen Nation aus- 102 Comptes rendus gehen, sondern von einer Subkultur innerhalb der Nation, für die der Begriff der Integration angemessener sei. Auch dürfe man die jüdische Minderheit nicht bloß als Objekt der Mehrheit betrachten, sondern auch als „Mitgestalter der Gesellschaft“ (Klaus Hödl). Als adäquater Ansatz erscheint darum der Verfasserin derjenige des Kulturtransfers von Michel Espagne und Michael Werner zu sein. Denn gerade bei den jüdischen Minderheiten in der Diaspora sei auf der Basis der gemeinsamen religiösen Ausrichtung die transkulturelle Dimension evident gewesen. Die strukturellen Unterschiede der Position der Minderheiten in Frankreich und Deutschland werden nicht verkannt. In Frankreich wurden den Juden die Bürgerrechte schon im Kontext der Revolution 1791 zuerkannt; in Deutschland erst 1871. Dort war ihnen auch dann der Zugang zur Hochschul- oder Offizierskarriere verwehrt, während man im Nachbarland schon relativ früh jüdische Abgeordnete, Minister oder Offiziere registrieren konnte. Die Verfasserin will aber nicht vom Kontext ausgehen, um dann Belege für die Strukturunterschiede zu eruieren, sondern in induktiver Weise von den Texten den Autoren, um Gemeinsamkeiten (oder auch Unterschiede) festzumachen. Wenn die politische Emanzipation in Frankreich sich früher vollzog, so war die kulturelle Bedeutung der Juden in Deutschland bedeutsam, so etwa der Salon von Rahel Varnhagen und vor allem das Wirken von Moses Mendelssohn und das Konzept der Haskala, der jüdischen Aufklärung, die die Religion mit der Moderne zu versöhnen trachtete (entgegen einem rein orthodoxen Verständnis). Diese Tendenz stieß auch bei den französischen Juden auf große Resonanz. Gemäß dem induktiven Ansatz werden die vier Leiter der beiden jüdischen Organe breit vorgestellt und auch in ihrer Laufbahn zahlreiche Parallelen herausgearbeitet. Isidore Cahen kam mit dem deutsch-jüdischen Denken schon früh auf Grund seiner Aufenthalte in Metz und dann in Mainz in Kontakt. Für Cahen wie für Philippson war der Bildungsweg auch ein Instrument der Emanzipation; der erstere studierte an der Eliteschule der ENS Philosophie, der letztere Altphilologie an den Universitäten von Berlin und Breslau. Er musste feststellen, dass in Deutschland, wie er schrieb, „für irgend eine staatliche Carrière für den Juden alles verschlossen“ war. Auch Cahen musste auf Betreiben der Kirche eine Stelle als Philosophielehrer an einem Gymnasium aufgeben. Die Erfahrung der Diskriminierung weckte bei beiden Autoren das politische Bewusstsein und ließ sie den Weg einer engagierten journalistischen Tätigkeit einschlagen. Aber auch die Nachfolger der beiden Intellektuellen beriefen sich auf das Bildungsengagement der „jüdischen Humanisten“; so sprach Gustav Karpeles von ihnen als den Männern, „die die Saat der Bildung ausgestreut und gelehrt haben, dass moderne Kultur und altes Judenthum sich nicht ausschließen, sondern gar wohl in einen harmonischen Einklang zu bringen seien“ (107). So gab es zwischen den beiden Zeitschriften eine große Konvergenz, beide setzten sich für eine Gesellschaft ein, in der Juden und Nicht-Juden in Eintracht leben können. Bei der Analyse der Texte der beiden Zeitschriften geht die Verfasserin thematisch vor. Ein wichtiges Kapitel ist der Thematisierung der Nation und des Nationalismus gewidmet. Zu Recht wird hier die politische Konzeption der Nation in Frankreich betont, bei der das biologische Prinzip der Abstammung keine Rolle spielt. Trotzdem 103 Comptes rendus sei der Rassengedanke auch in Frankreich nicht abwesend gewesen; erwähnt wird Gobineau und vor allem Renan, der eine Inferiorität der semitischen ‚Rasse‘ behauptete. Er vertrat in der Tat eine rassenhierarchische Sicht der Sprachen und Völker, „une vision essentialiste des peuples sémitiques“ (188). Sowohl Cahen wie Philippson traten diesen Thesen entgegen; letzterer sprach von „Rassenschwindel“. Man könnte hier allerdings einfügen, dass in Renans berühmter politischer Definition der Nation in den 1870er Jahren die Rasse kein konstitutives Element der Nation darstellt. Auf diese Debatte wird erst im Kapitel über die Haltung zum Krieg von 1870/ 71 (kurz) eingegangen. Sie hätte eher hier im Kapitel über die Nation ihren Platz gehabt. 1 Während des deutsch-französischen Krieges von 1870/ 71 bestimmt Philippson das jüdische und das deutsche Selbstverständnis vor allem kulturell: „Die Sprache macht uns zu Deutschen“. Über Herkunft und Sprache wird auch die Annexion von Elsass und Lothringen legitimiert und die Politik Bismarcks („die gerechte Sache Deutschlands“) wird nicht kritisiert. Der französische jüdische Partner erwartete von Philippson eine Distanzierung hinsichtlich der Annexion von Elsass-Lothringen, die auch darum für die französische Minorität so schmerzlich war, weil ein großer Teil des Rabbiner-Nachwuchses aus dieser Region stammte. Philippson war dazu nicht bereit. Der deutsche Patriotismus war ihm wichtiger als die Solidarität mit den Glaubensgenossen. Für die Verfasserin folgten beide Intellektuellen in einer Zeit der Krise einer „logique nationaliste“. Ich denke, man kann hier nicht von einer Symmetrie der Haltungen sprechen. Die Annexion war eindeutig völkerrechtswidrig. Eine Verurteilung wäre vor dem gemeinsamen Wertehorizont durchaus zu erwarten gewesen. Es erstaunt darum auch nicht, dass dieser Dissens zu einem (temporären) Bruch der Beziehungen führte. Auf der deutsch-jüdischen Seite teilte man offenbar die ethno-kulturelle Definition der Nation; die eigene Gruppe wurde indes nicht über diese Kriterien definiert; man sprach von einem jüdischen ‚Stamm‘ (sowie in den Archives Israélites von einer ‚race juive‘). Damit war aber beiderseits nie ein biologischer Determinismus gemeint. Beiderseits definierte man die eigene Gruppe über die Religion und den Cultus. Darum auch die französische Bezeichnung der Zeitschrift als Archives Israélites (und nicht: juives) und die deutsche Selbstbezeichnung als ‚israelitische Deutsche‘. Einig waren sich beide Journalisten in ihrer religiös und humanitär fundierten Kritik des Krieges. Aber auf beiden Seiten empfand man das militärische Engagement als patriotische Pflicht. Im deutschen Heer standen 14 000 jüdische Soldaten, im französischen Heer stammte sogar ein General, Léopold Sée, aus der jüdischen Minderheit. Einig waren sich die Vertreter der beiden Gruppen in der Verurteilung des wachsenden Antisemitismus, der sich ab den 1870er Jahren zuerst in Deutschland artikulierte, dann aber vor allem nach der Veröffentlichung des Pamphlets La France juive (1886) von Edouard Drumont auch in Frankreich. Der Verfasserin gelingt es auf der Basis der Analyse der Texte der Archives Israélites, die von Hannah Arendt und M. Marrus vertretene These zu entkräften, nach der die französischen Juden so 1 Cf. dazu Joseph Jurt, Sprache, Literatur und nationale Identität. Die Debatten über das Universelle und das Partikuläre in Frankreich und Deutschland, Berlin/ Boston, De Gruyter, 2014, 199-218. 104 Comptes rendus gut in der laizistischen Republik integriert gewesen seien, dass sie kaum auf der politischen Ebene gegen den wachsenden Antisemitismus reagierten. Die beiden Organe teilten auch die transnationale Solidarität mit den verfolgten Juden in Rumänien oder Russland. Nach den Pogromen in Osteuropa wählten immer mehr Juden den Weg der Emigration nach Palästina und die zionistische Idee gewann an Boden, um dann in Herzls Werk Der Judenstaat (1896) zu gipfeln. Eine Minderheit nahm in Frankreich diesen Gedanken auf, etwa Bernard Lazare in seinem Essay Le nationalisme juif (1898). Das war aber nicht eine Mehrheitsmeinung. Auch Philippson hielt dafür, wenn man die Juden als eigene Nation betrachte, gebe man letztlich den Antisemiten recht und mache die ganzen Integrationsanstrengungen zunichte. Die Lösung könne nur im Kampf um die Bürgerrechte und die Gewissensfreiheit bestehen. Die beiden Nachfolger in den beiden Zeitschriften vertraten eine nuancierte Position; sie hatten gewisse Illusionen hinsichtlich der Integrationsmöglichkeit in den beiden Ländern verloren. In der Schlussfolgerung betont die Verfasserin noch einmal die gemeinsame universalistisch-humanistische Position der Vertreter innerhalb einer liberalen bürgerlichen Gesellschaft bei der gleichzeitig intendierten politischen Integration in innerhalb der jeweiligen Nation. Man erfährt allerdings kaum etwas über das Verhältnis zur sozial diskriminierten Gruppe der Arbeiterklasse. Dank ihres Kulturtransfer-Ansatzes vermochte die Verfasserin zahllose gemeinsame Positionen herauszuarbeiten. Begriffe wie ‚parallèles‘, ‚similitudes‘, ‚points de convergence‘, ‚points communs‘, ‚aspirations similaires‘ kehren so immer wieder. Die jüdische Minderheit nahm zweifellos auf der Grundlage der gemeinsamen Aspekte und der permanenten Kontakte während des genannten Zeitraumes eine Mittlerrolle zwischen den beiden Ländern wahr wie kaum eine andere soziale Gruppe. Das Hauptaugenmerk auf die transnationale Dimension ließ vielleicht bestehende Dissense etwas unterschätzen. Die Einschätzung „champions de la même cause“ wurde bezeichnenderweise 1869 - vor dem deutsch-französischen Krieg - formuliert. Es handelt sich hier aber ohne jeden Zweifel um eine sehr gut recherchierte und klar strukturierte Arbeit, die auf einer extensiven Kenntnis der Forschungsliteratur beruht und die dank eines profilierten Ansatzes neue Ergebnisse zeitigt. Joseph Jurt (Basel / Freiburg i. Br.) ------------------ FRITZ NIES: SOZIALGESCHICHTE - INTERKULTURELL: ÜBERSETZEN INS FRANZÖSISCHE, TÜBINGEN, NARR, 2016 (TRANSFER, 23). Wer übersetzt? Die historische Übersetzungsforschung seit den 1950er Jahren geht diese Frage über lange Zeit vor allem individuell an - namhafte Übersetzerpersönlichkeiten von Luther über Voltaire bis Peter Handke werden vorgestellt - oder biobibliographisch, indem aus den vorhandenen Katalogen und Kompendien die Über-