eJournals lendemains 37/148

lendemains
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Narr Verlag Tübingen
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2012
37148

Louis Guilloux (1899-1980)

2012
Helmut Bertram
ldm371480005
5 Dossier Helmut Bertram (ed.) Louis Guilloux (1899-1980) Helmut Bertram Einleitung Warum Louis Guilloux und warum jetzt? Die zweite Frage ist schnell beantwortet. Seit kurzem erlebt der bretonische Schriftsteller der „proletarischen Literatur“ eine Renaissance in seinem Heimatland Frankreich, und dies nicht zuletzt dank der unermüdlichen Bemühungen von Arnaud Flici, der sich in Saint-Brieuc um den Nachlass seines Idols kümmert und auch eine wachsende Gruppe der „Freunde des Louis Guilloux“ betreut. Zu Guilloux, dessen bekannteste Werke lange Zeit allenfalls in Einzelausgaben im Buchhandel angeboten wurden, erschien aber 2009 ein von Philippe Roger besorgter Sammelband in der Reihe ‘Quatro’ bei Gallimard (D’une guerre l’autre). Diese Renaissance wird unterstrichen durch ein im Juni 2011 von der Université de Versailles Saint-Quentin veranstaltetes ‘Evénement’ mit dem Titel „La presse d’un écrivain, Louis Guilloux“, an dem auch die hier vertretenen Autoren Sylvie Golvet und Valérie Poussard teilgenommen haben. Zu den „Freunden“ gehört auch mein langjähriger Freund Marc Kauffmann, Lehrer für Philosophie in Colmar, der mir gegenüber den Gedanken äußerte, man sollte doch versuchen, den Schriftsteller auch in Deutschland - zumindest unter den Romanisten - besser bekannt zu machen. Das soll hier geschehen. Warum Louis Guilloux? Deutschland betrachtete Frankreich jahrhundertelang als seinen „Erbfeind“ (und umgekehrt), gegen den man mit wechselndem Geschick in den Krieg zog. Im 20. Jahrhundert geschah dies gleich zweimal, von Deutschland ausgehend, und die gegenseitige Abneigung war in allen Gesellschaftsschichten manifest. Die deutsche Romanistik bildete da keine Ausnahme. Dieser Zustand änderte sich erst langsam und zögerlich nach dem 8. Juli 1962, als Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in der Kathedrale von Reims den Mut fanden, die „Deutsch-französische Aussöhnung“ ins Leben zu rufen. (Noch 1957 wurden wir Schüler auf einer Klassenfahrt nach Paris von unseren Lehrern aufgefordert, möglichst englisch zu sprechen und uns nicht als Deutsche zu erkennen zu geben). Ein zweiter wichtiger Grund, einen Schriftsteller wie Guilloux in der jungen Bundesrepublik nicht zur Kenntnis zu nehmen, lag in der deutschen Teilung. Guilloux galt nach seinem Erstling La maison du peuple (1927) als Schriftsteller der Arbeiterklasse, also grob und verkürzt gesprochen als Kommunist. Dazu passt, dass die erste Übersetzung eines Werks von Guilloux, nämlich der Roman Le sang noir, ins Deutsche von Karl Heinrich in der ehemaligen DDR entstand (Schwarzes Blut, 6 Dossier Verlag Volk und Welt, Berlin 1973). Erst 1979, ein Jahr vor Guilloux’ Tod, wurde dieser Roman erstmals auch in der Bundesrepublik aufgelegt (München, Verlag Steinhausen). In der Übersetzung von Lillian Bondy erschienen im gleichen Verlag die Erzählung Coco perdu (Coco perdu oder der unerwartete Abschied, 1980) und der Roman La maison du peuple (Das Volkshaus, 1981). Es gab jedoch im frühen Nachkriegsdeutschland, scheinbar im Gegensatz zu dem oben Gesagten, eine Initiative zur Kontaktaufnahme zwischen deutschen und französischen Schriftstellern, auf die Marc Kauffmann (im Schriftwechsel) hinweist: Du 15 au 18 mai 1950, Louis Guilloux a séjourné sur les bords du Schluchsee (Forêt- Noire - Pays de Bade, et non „près de Munich“ Carnets, 101), dans l’ex-villa Bormann du Wolfsgrund. Il est l’un des rares écrivains français à avoir répondu présent à l’invitation lancée un mois auparavant par Hans Werner Richter pour le groupe 47. La rencontre s’était faite avec le soutien des Forces Françaises d’Occupation. Un délai de réponse trop court, des problèmes de langue, de déplacement et de frais à supporter ont écarté e.a. Paul Gadenne, Pierre Emmanuel, Henri Queffelec, Raymond Queneau tous intéressés par la jeune Allemagne (cf. Dossier AC. 809.4 des Archives de l’Occupation - Ministère des Affaires Etrangères - Vincennes). Si Guilloux a saisi cette opportunité pour le compte des Editions Gallimard, c’est aussi en raison d’un „besoin [récurrent] de coupures“ (Carnets, 66). De cette rencontre, dont aucun compte rendu n’a été dressé, est sortie l’idée d’une association „Les Ecrivains Associés“ (LEA) restée sans suite. Guilloux avait pourtant accepté d’en être le représentant français. Il poursuit ensuite sa route pour Venise et le Congrès de la Société européenne de Culture (SEC). Durant l’automne de la même année, il fait une tournée de conférences dans les Instituts français en Allemagne (Mayence, Berlin). Die hier geschilderte Episode wird interessanterweise von Philippe Roger in seiner Chronologie der Vita Guilloux’ in D’une guerre l’autre nicht erwähnt, wohl aber in aller Ausführlichkeit dargestellt von Jérome Vaillant in seinem 1991 erschienenen Artikel „Die Gruppe 47 und die französischen Schriftsteller. Hoffnungen und Enttäuschungen in der Frühphase der Gruppe 47.“ 1 Über das Frühjahrstreffen der Gruppe 47 im Mai 1950 am Schluchsee schreibt er: Auf französischer Seite waren, neben L. Clappier und M. Dupouey, A. Wiss-Verdier und der Schriftsteller Jean Verdier (La chair et l’ongle) vertreten sowie der weit prominentere Louis Guilloux, ehemaliges Mitglied des Verbandes der revolutionären Schriftsteller und Künstler, Prix Renaudot 1949 für seinen Roman Le jeu de patience. Auf deutscher Seite wurde H.W. Richter von W. Kolbenhoff, G. Eich […], Wolfgang Bächler, Rolf Schroers, Adriaan Morrien und F. Minssen begleitet. Dieses Treffen verfolgte ein doppeltes Ziel: zum einen sollte es auf internationaler Ebene den Gedankenaustausch zwischen ‘Schriftstellern der gleichen Mentalität’, wie es H.W. Richter formulierte, ‘entre écrivains de la même plume’, wie Lous Guilloux meinte, fördern, und zum anderen einen Verband schaffen, der in der Lage wäre, die Interessen der Autoren im Ausland wahrzunehmen. (411/ 412) Die hochgesteckten Ziele wurden indes nicht erreicht, da die Interessen der beiden Seiten doch zu weit differierten und die Zeit für eine deutsch-französische Aussöhnung wohl noch nicht reif war. Auf deutscher Seite wollten die Mitglieder der 7 Dossier Gruppe 47 vordringlich erreichen, den eigenen Bekanntheitsgrad im Ausland zu steigern und dadurch vielleicht auch die eigene pekuniäre Situation in den Nachkriegsjahren durch Verlagsverträge abzusichern. Zugleich aber auch galt es darzustellen, dass hier eine Schriftstellergeneration sich herausbildete, die vom Nazideutschland unbeeinflusst Neues schaffen wollte. Durchaus ehrbare Intentionen, die aber auf französischer Seite nicht im erhofften Ausmaß honoriert wurden. Biographische Notizen Louis Guilloux wird am 15. Januar 1899 als drittes Kind eines Schumachers und einer Schneiderin in Saint-Brieuc geboren. Er hat zwei Schwestern; Charlotte ist zwei und Marie vier Jahre älter als er. Im zweiten Lebensjahr erkrankt Louis an Knochentuberkulose. Seine linke Hand bleibt verkrüppelt, so dass er später keinen Handwerksberuf erlernen kann. Der Vater kann mit der kleinen Werkstatt seine Familie nicht ernähren und nimmt deshalb nebenher noch die Aufgaben eines Schulhausmeisters wahr, was ihm immerhin erlaubt, mit Frau und drei Kindern eine kleine Dienstwohnung zu beziehen. Da er sich mit dem Schulleiter überwirft, muss er jedoch diese Stelle und die Wohnung bald wieder aufgeben. Die Armut lässt der Familie keine Wahl, sie zieht in ein übel beleumundetes Viertel, das zum Abriss bestimmt ist. Louis ist jetzt sechs Jahre alt. Die Arme-Leute-Welt der Arbeiter und Handwerker um ihn herum, der tägliche Kampf um das Überleben und die Auflehnung des Vaters und seiner Freunde gegen diese Zustände werden früh sein späteres literarisches Werk prägen. Seine Kindheit fällt in die Zeit, als sich in der Bretagne die ersten Arbeiterorganisationen bilden, woran der Vater aktiv beteiligt ist. Im März des Jahres 1900 tritt in Nantes der Gründungskongress der Fédération socialiste zusammen, und die kleine Gruppe der Sozialisten aus Saint-Brieuc stellt die zunächst einzige Sektion aus der nördlichen Bretagne. 1904 erscheint die erste Ausgabe der von Jean Jaurès gegründeten Tageszeitung L’Humanité, die von Vater Guilloux eifrig und regelmäßig gelesen wird. 1905 erfolgt der Zusammenschluss des Parti socialiste français mit dem Parti socialiste de France zum Parti socialiste unifié als der französischen Sektion der Internationale. In Saint-Brieuc geriert sich Paul Boyer mit der von ihm herausgegebenen Zeitung Le Réveil du Côtes-du-Nord zum Anführer der dortigen Sozialisten und kämpft mit den wenigen Getreuen, die sich zum Demonstrieren auf die Straße wagen, unter anderem um die Einführung des 8-Stunden-Tages. Ihm wird Louis Guilloux später einen Auftritt als Docteur Rébal in seinem Roman La Maison du Peuple widmen. Im Jahre 1909 wird auf Betreiben Boyers, der sich in Saint-Brieuc unter den Sozialisten auch viele Feinde gemacht hat, die Bourse du travail durch die städtischen Behörden aufgelöst. Diese Einrichtung, die in vielen Regionen und Kommunen Frankreichs durch die Initiative der Arbeiterorganisationen bzw. Gewerkschaften entstanden war, regelte besonders unter den Tagelöhnern die einigermaßen 8 Dossier gerechte Verteilung des anstehenden Arbeitseinsatzes. Die Zielsetzung war aber sehr viel weiter gefasst und beanspruchte die Durchsetzung von Rechten der Arbeiter auf allen Gebieten zur Teilhabe an sozialen und kulturellen Belangen der Gesellschaft. Diese Aktivitäten, bis in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts weitgehend illegal, führte schließlich zur Gründung der Confédération Générale du Travail (CGT). Vater Guilloux und einige Freunde nahmen die Auflösung der Bourse du Travail zum Anlass, nun energisch die Installation eines Maison du Peuple zu verlangen. Da die Hilfe der Kommune ausbleibt, beschließen sie, selbst ein solches Haus zu errichten. Sie kaufen ein Grundstück und beginnen in ihrer freien Zeit mit den Arbeiten für das Fundament. Doch der Erste Weltkrieg wirft seine Schatten voraus, und die Anfang August 1914 erfolgte Generalmobilmachung beendet zunächst ihr Vorhaben. Auch Vater Guilloux wird eingezogen. Seinem Sohn Louis gelingt 1910 auf Grund exzellenter schulischer Leistungen der Eintritt in das Lycée Anatole le Braz de Saint-Brieuc. Hier fällt den Lehrern das große Interesse des Jungen für das Erlernen der englischen Sprache auf, was sie auch nach Kräften unterstützen. Louis gelingt es 1913, einen englischen Brieffreund zu finden und Kontakte in Südengland zu knüpfen. Am 13. Juli 1914 folgt er einer Einladung des Vaters seines Brieffreundes und verbringt noch kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs einige Wochen seiner Schulferien in England. Einen großen Anteil an seiner schulischen Ausbildung nimmt das wachsende Interesse für literarische Werke ein, die er mit einigen Schulfreunden gemeinsam liest und diskutiert. Dabei spielt etwa ab 1915 sein Lehrer für Philosophie, Georges Palante, eine entscheidende Rolle. Dieser Lehrer wird später zur zentralen Figur des eigentlichen Hauptwerks von Louis Guilloux, dem Roman Le sang noir (1935), und er gibt ihm darin den Spitznamen „Cripure“, da er bei jeder Gelegenheit aus Immanuel Kants Critique de la raison pure zu zitieren pflegte. Palante war selbst recht produktiv und verfasste mehrere Werke: Précis de sociologie (1901), Combat pour l’individu (1904), La Sensibilité de l’individualiste (1909), Les Antinomies entre l’individu et la société (1912). Jugendzeit und Reife Guilloux’ und seiner Schulfreunde bleiben nicht unbeeinflusst durch die Kriegsereignisse in und um Saint-Brieuc, und besonders die Auflösungserscheinungen in den beteiligten Armeen gegen Ende des Weltkriegs finden die Aufmerksamkeit der jungen Leute. Im Sommer 1917 begegnet Guilloux in der Bibliothek von Saint-Brieuc dem gleichaltrigen Jean Grenier, woraus eine sehr intensive und fruchtbare Freundschaft erwächst. Jean Grenier wird in Paris Philosophie studieren und später an den Universitäten von Alexandria, Kairo und schließlich an der Sorbonne lehren. 1968 wird er mit dem Prix nationale des lettres ausgezeichnet. Zu seinen Schülern und späteren Freunden zählte auch Albert Camus, den er zum Schreiben animierte. Nach dem Schulabschluss 1918 geht Guilloux im November diesen Jahres zum ersten Mal nach Paris und beginnt eine Tätigkeit als Journalist zunächst bei der Zeitschrift Revue mondiale, die jedoch nur drei Monate andauert. Danach arbeitet er für etwa ein Jahr als Surveillant an einer Schule in Passy, bevor er im Juli 1920 9 Dossier wieder nach Saint-Brieuc zurückkehrt und seinen ehemaligen Lehrer Georges Palante wieder trifft. Den Winter verbringt er in Lannion bei Georges und Emilienne Robert, den engen Freunden seiner Eltern. Im Frühjahr des folgenden Jahres begibt er sich erneut nach Paris und trifft dort wieder auf seinen Freund Jean Grenier. Am 4. Mai 1921 begegnet er Jean Longuet von der Zeitschrift Populaire, in der er erste literarische Texte publizieren kann. Die Zeitschrift Le Peuple veröffentlicht eine seiner Erzählungen mit dem Titel Garlanche, in der er einige vertrauliche Informationen über Georges Palante preisgibt, worauf dieser seine Beziehungen zu Guilloux abbricht. Im Herbst des Jahres 1921 beginnt er nun tatsächlich mit der schon lange gehegten Absicht, seinen ersten Roman La Maison du Peuple ins Werk zu setzen. Dabei beflügelt ihn hauptsächlich der Wunsch, seine neue Umgebung über sich und seine Herkunft zu informieren und offenbar bestehende Missverständnisse darüber auszuräumen. 2 Am 1. Mai 1922 tritt er in die Redaktion der Zeitschrift L’Intransigeant ein und wird mit der Übersetzung von Artikeln aus der englischen Presse beauftragt. Durch Vermittlung seines Freundes Jean Grenier nimmt er in dieser Zeit auch Beziehungen zu der Gruppe der vorticistes auf. Ursprünglich in der britischen künstlerischen und literarischen Avantgarde entstanden, trat der Vortizismus - von Ezra Pound so benannt - nur eine relativ kurze Epoche lang zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Erscheinung, und eigentlich nur durch zwei Ausstellungen 1915 und 1917 in der Londoner Tate-Galerie. 3 Aber auch in New York und Paris hatten sich solche Gruppen gebildet. Zu der letzteren gehörte neben Jean Grenier auch André Chamson, der für Guilloux noch eine wichtige Rolle spielen wird. Jean Grenier ist es auch, der ihn mit einer jungen Frau bekannt macht, Renée Tricoire, die an der Sorbonne Literatur studiert. Sie heiraten im Sommer 1924 in Toulouse. Ziemlich genau ein Jahr später, am 5. August 1925, setzt Georges Palante seinem Leben ein Ende. Ein Streit mit einem Kritiker und die Umstände eines vereitelten Duells (die Leser des Sang noir werden aufhorchen) brachten ihn dazu, sich weitgehend zurückzuziehen. Er erschoss sich in seinem Ferienhaus in Hillion mit einem Revolver, den Guilloux ihm nach eigener Aussage gegeben hatte. 4 Im gleichen Jahr beendet Guilloux die Arbeit an einem Theaterstück mit dem Titel Echec et Mat, das von seinen Freunden hoch gelobt wird, die aber zugleich eine erfolgreiche Aufführung wegen seines intellektuellen Anspruchs bezweifeln. 5 Im Frühjahr 1926 stellt André Chamson Guilloux dem Essayisten und Historiker Daniel Halévy vor, der bei der Edition Grasset die Sammlung der Cahiers verts leitet. Von nun an wird er regelmäßig den Jour fixe, also die „Samstage bei Halévy“ besuchen, bei denen er vielen Persönlichkeiten der literarischen Szene von Paris begegnet, darunter André Malraux. Aber schon Ende April verlässt er den Intransigeant und kehrt nach Saint-Brieuc zurück, um das Romanprojekt des Maison du peuple zu vollenden. Im September besucht ihn dort Jean Grenier, der aus Paris den Dichter, Maler und Schriftsteller Max Jacob mitgebracht hat. Dieser zeigt sich begeistert von Guilloux und bietet ihm seine Freundschaft an. 10 Dossier Endlich, im März 1927, schickt Guilloux das Manuskript an Halévy, der gibt es weiter an Jean Guéhenno, ebenfalls Mitarbeiter bei Grasset. Beide zeigen sich enthusiastisch und bereiten ein baldiges Erscheinen vor. Guéhenno entdeckt im Maison du peuple seine eigene Kindheit wieder. Im April unterschreibt Guilloux den Vertrag, der ihm einen Vorschuss von 1000 Francs sichert - und bereits im Juni ist das Buch auf dem Markt. Im Oktober schreibt Jean Grenier eine Rezension in der NRF (No.169), die eigentlich einen kaum zu übertreffenden Lobgesang darstellt. Während all dem Trubel zieht sich Guilloux eine Lungenerkrankung zu, Ärzte und Freunde raten zu strikter (Bett-)ruhe und organisieren einen Sanatoriumsplatz in Passy nahe Chamonix. Er freut sich über soviel Hilfe und Zuneigung, nimmt das Angebot aber schließlich doch nicht an und kehrt im Mai 1928 nach Saint-Brieuc zurück. Renée Guilloux erhält einen Platz als Französischlehrerin in Angers und das Ehepaar entschließt sich, dorthin überzusiedeln. Die Edition Plon veröffentlicht 1929 seine Übersetzung von Margaret Kennedys The Constant Nymph und den von seiner Frau und ihm gemeinsam übersetzten Roman The Fool of the Family derselben Autorin. Zusammen mit Halévy editiert er eine Ausgabe der Lettres de Proudhon. Aber schon bald beklagt er gegenüber dem Ehepaar Robert seine Unlust und mangelnden Lebensmut, in Angers zu leben. Er nennt es „incapacité de vivre“ und fasst darin Unsicherheit, dunkle Ängste, tiefes Empfinden des menschlichen Elends und auch seinen Geldmangel zusammen. 6 Zu Beginn des Jahres 1930 entwickelt Guilloux die Idee eines neuen Romans, in dem Georges Palante die Hauptrolle spielen soll. Doch er zögert noch, mit der Arbeit zu beginnen. Gallimard gibt seine Übersetzung von G.K.Chestertons The Life of Robert Browning heraus und Grasset veröffentlicht seinen Roman Dossier confidentiel. Er hat also trotz seiner ‘Unfähigkeit zu leben’ nicht aufgehört zu arbeiten. Doch seine Selbstzweifel beherrschen ihn weiterhin. Im Januar 1931 schreibt er an Romain Rolland, wie schwierig es für ihn sei, „im augenblicklichen Chaos“ verstanden zu werden und dennoch frei zu bleiben. Man wolle in ihm nur den „Schriftsteller des Proletariats“ sehen: Mais les gens que j’ai voulu peindre ne sont pas d’abord des prolétariens. Ils sont avant tout des hommes douloureux ou joyeux, toujours en attente et, pour ainsi dire, hors du temps. Il n’y a peut-être qu’une expérience, la même pour tous et qui est l’expérience de l’Amour.7 Endlich, im Sommer 1932, verlassen Renée und Louis Guilloux das ungeliebte Angers und kehren nach Saint-Brieuc zurück, in die rue Lavoisier Nr. 13, wo sie sich ein Haus haben bauen lassen. Am 2. Oktober bringt Renée die Tochter Yvonne zur Welt. Bei Gallimard erscheint Le lecteur écrit. Im Jahr1933 kommt es wie überall in Frankreich, so auch in der Bretagne zu Protesten und Tumulten auf den Straßen anlässlich des Wahlsiegs der Nationalsozialisten in Deutschland. Auch Guilloux mischt sich unter die Protestierenden, und wie einst sein Vater ergreift er die Partei der politisch und sozial Benachteiligten. Er engagiert sich besonders für die Bauern, die von zahlreichen Pfändungen 11 Dossier und Zwangsverkäufen betroffen sind. In den Jahren nach dem Krieg ging es der Landwirtschaft recht gut und die Bauern kauften Land und erweiterten ihre Produktion. Dabei haben sich allerdings viele bei den Banken verschuldet. Da diese jetzt in Schwierigkeiten gerieten, trieben sie mit zunehmender Härte ihre Außenstände ein. Der Erlös aus den Zwangsversteigerungen deckte indes kaum die Schulden. Die Bauern verloren ihr Land und damit ihre Existenz. Neben der politischen Arbeit vollendet Guilloux den Roman Angélina, der bei Grasset erscheint. 1935 übernimmt er die Verantwortung für die „Rote Hilfe“ im Bereich der Côtes-du-Nord, die ihre Aufgabe darin sieht, den Arbeitslosen, aber auch den spanischen Flüchtlingen zu helfen, die in einer ersten Welle in Nordfrankreich ankommen. Das französische Innenministerium hatte angeordnet, diese Flüchtlinge dürften sich nur nördlich der Loire, aber außerhalb der Region um Paris aufhalten. Anfang Mai findet auf Initiative der Mutualité in Paris ein internationaler Kongress „zur Verteidigung der Kultur“ statt. Da er neben Malraux, Chamson, Rolland, Aragon und anderen zu den Unterzeichnern des Aufrufes zu diesem Kongress gehört, wird Guilloux zum Sekretär dieses Kongresses gewählt. Er avanciert auch zum Mitglied der französischen Delegation beim Präsidium dieses Kongresses, aus dem eine internationale Organisation hervorgeht. Zugleich arbeitet Guilloux an der Endfassung des Sang noir, der bei seinen Freunden auf ein nicht ungeteiltes Echo stößt. Noch kurz vor seinem frühen Tod am 23. April wundert sich Georges Robert, wie er in dieser Weise über Palante schreiben könne, mit dem er doch befreundet gewesen sei. Allgemein aber wird der Roman, der nun bei Gallimard erscheint, begeistert aufgenommen; so auch zum Beispiel von André Gide, den Guilloux jetzt persönlich kennenlernt. Am 12. Dezember organisiert das Maison de la Culture eine öffentliche Debatte mit dem Thema: „Défense du roman français - ce que signifie Le sang noir“, an der auch Malraux, Aragon und Paul Nizan teilnehmen. Die Mutualité in Paris richtet eine Feier zum 60. Geburtstag von Romain Rolland aus, an der Guilloux neben, Aragon, Malraux und Eugène Dabit auch auf Heinrich Mann trifft. Am 28. Januar 1936 verbringt er einen Abend bei André Gide, der ihn einlädt, Eugène Dabit, Jacques Schiffrin, Jef Last und ihn selbst auf einer Reise in die Sowjetunion zu begleiten. Doch zunächst reist er im Mai zusammen mit Dabit und Last nach London zur Fortsetzung des Kongresses „Zur Verteidigung der Kultur“. Zu gleicher Zeit drängt ihn Gide, die konsularischen Formalitäten für die Reise in die UdSSR rechtzeitig zu erledigen und die nötigen Papiere zu beschaffen. Man müsse jedoch getrennt anreisen, zunächst Gide mit seinem Freund Pierre Herbart, der in Moskau die französische Ausgabe der Zeitschrift Littérature internationale herausgibt, und einige Tage später Guilloux mit den anderen. 8 Am 16. Juni trifft Gide in Moskau ein und hält am 20. Juni seine bekannte Lobrede auf dem Roten Platz von der Tribüne des Lenin-Mausoleums in Gegenwart Stalins. Guilloux und seine Freunde reisen über London, schiffen sich auf der russischen „Cooperatzia“ ein und erreichen am 1. Juli Leningrad. Zusammen mit Gide, der kurz zuvor Boris Pasternac besucht hat, besichtigen sie die Festung „Pe- 12 Dossier ter und Paul“. Auch Guilloux trifft mit Pasternac zusammen, dem er schon beim Kongress in Paris begegnet war. Dieser begrüßt ihn begeistert, macht ihm aber Vorhaltungen („Warum hast du „Cripure“ getötet? “). 9 Die Reisegruppe fährt weiter nach Georgien. Nach etwa einer Woche in Tiflis trennen sich Guilloux und Schiffrin von den anderen und kehren per Bahn über Moskau, Berlin und Brüssel nach Frankreich zurück. In seinen Carnets (p.131-2) notiert Guilloux wenig enthusiastisch die auf der Reise gewonnenen Eindrücke. Gide dagegen erlebt noch die drei Schauprozesse in Moskau gegen die Kampfgenossen Lenins, Zinoview und Kamenew. Unter diesem Schock verlässt er überstürzt die Sowjetunion am 23. August. Zwei Tage zuvor starb Eugène Dabit in Sewastopol an Typhus. Nach seiner Rückkehr veröffentlicht Gide in der NRF seinen kritischen Bericht über das sowjetische Regime, den Retour de l’U.S.S.R. Guilloux hat inzwischen ein Angebot von Aragon angenommen, bei der von ihm und Jean- Richard Bloch geleiteten kommunistischen Zeitschrift Ce Soir als literarischer Kritiker zu arbeiten. Im Juni 1937 hat André Gide unterdessen einen noch kritischeren Bericht über die Sowjetunion, die Retouches à mon retour de l’U.S.S.R. bei der NRF veröffentlicht. Aragon und Bloch bedrängen Guilloux daraufhin, Gides Berichte im Ce Soir zu entschärfen. Er lehnt ab, da er sich als persönlicher Reisegast Gides diesem verpflichtet fühlt und wird prompt entlassen. Auf seinen Platz folgt Paul Nizan. Guilloux kehrt nach Saint-Brieuc zurück und engagiert sich wieder für die spanischen Flüchtlinge, wird jedoch von der einheimischen Presse dafür angegriffen. Er beendet deshalb die 1935 begonnene Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Commune, dem Organ der „Association des écrivains et artistes révolutionnaires“. Der Beginn des Jahres 1938 sieht Guilloux an der Arbeit zu einem neuen Roman mit dem Arbeitstitel Le jeu de patience. Aber seine Aktivitäten zur Verbesserung der Lage der spanischen Flüchtlinge gehen unvermindert weiter. Er wendet sich an den Kabinettschef des Präfekten und will erreichen, dass deren geplante Ausweisung aufgeschoben wird, zumal weitere Flüchtlingswellen in der Bretagne ankommen. Unter diesen finden sich nicht nur Zivilpersonen aus Nordspanien und dem Baskenland, sondern auch viele antifaschistische Milizionäre, die zum Teil schwerverletzt sind. Die Situation verschärft sich noch 1939, als bis zu einer halben Million Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden müssen. Ein gewisser Milizionär namens Salido entflieht aus einem der Flüchtlingscamps - eigentlich Internierungslager - und wird später zum Protagonisten in Guilloux’ Erzählung Salido (1976). Das Jahr 1940 bringt den Zweiten Weltkrieg nach Saint-Brieuc. Deutsche Truppen überrennen Nordfrankreich. Guilloux verbrennt vorsichtshalber Papiere und Dokumente, die ihn eventuell kompromittieren könnten. Auf Anweisung der Stadtverwaltung muss er in seinem Haus deutsche Offiziere beherbergen. Vater Guilloux, inzwischen 73 Jahre alt, übergibt seine Werkstatt an einen Flüchtling. Sein Sohn Louis beginnt über den Winter einen neuen Roman: Le Pain des rêves, und vollendet ihn im Frühjahr 1941. Als er am 29. März 1942 zum Erscheinen des Ro- 13 Dossier mans bei Gallimard nach Paris kommt, begegnet er auch wieder Jean Grenier. Das Buch wird mit dem „Prix populiste“ ausgezeichnet, doch Guilloux ist darüber keineswegs begeistert. 10 Am 12. Dezember 1942 stirbt Vater Guilloux an den Folgen eines Unfalls. Im März 1943 erhält Guilloux eine Vorladung der Polizei - „wegen Hélène“, wie er in seinen Carnets notiert. 11 Dabei handelte es sich um Hélène Le Chevalier, die er durch ihre Lehrerin kennengelernt hatte. Sie erhielt von Louis und Renée Unterricht in Französisch und Englisch, um sich auf die Aufnahme an der Ecole normale vorzubereiten. Im Gegenzug erledigte sie viele Arbeiten im Haus Guilloux. Seit 1939 Mitglied der Kommunistischen Partei, engagierte sie sich während der deutschen Besatzung in der Résistance. Am 19. März wird sie verhaftet, zum Glück für Guilloux nicht in dessen Haus. Gleichwohl wird er mehrmals von der französischen Polizei, die ja mit den Besatzern „kollaborieren“ muss, verhört - bleibt aber frei. Hélène Le Chevalier wird im Dezember 1943 aus der Haft entlassen. Sie wird sich später in großer Dankbarkeit an das Engagement Guilloux’ erinnern, dass sie durch ihn erfahren hat. 12 Ende Februar 1944 wird Max Jacob verhaftet und in Drancy interniert. Es gelang ihm noch, einen Brief an Jean Cocteau zu schicken. Auf Intervention seiner Freunde wird seine Freilassung für den 6. März angekündigt, aber er stirbt am Abend zuvor an Lungenentzündung. Am 6. Juni 1944 landen die Alliierten in der Normandie, und einen Monat später wird Saint-Brieuc durch amerikanische Truppen befreit, nachdem die deutschen Besatzer vor ihrer Flucht noch große Zerstörungen angerichtet hatten. Guilloux wird noch am gleichen Tag durch den neuen Bürgermeister M. Royer zu sich gerufen, denn es war seit langem vereinbart, dass er als offizieller Dolmetscher bei den amerikanischen Truppen arbeiten sollte. 13 Eine seiner ersten Tätigkeiten war die Teilnahme an einem Prozess des örtlichen US-Militärgerichts gegen einen Soldaten, einen Schwarzen namens James Hendricks, der beschuldigt wurde, im betrunkenen Zustand den Vater eines jungen Mädchens getötet zu haben, welches er begehrt hatte. Hendricks wurde gehenkt. Guilloux verarbeitete später dieses Ereignis in seiner Erzählung O.K., Joe! (1976). Alice Kaplan nahm diese Erzählung zum Anlass ihrer Untersuchung The Interpreter. 14 Während der Befreiung durch die Alliierten kam es in vielen Orten besonders der Bretagne zu Ausschreitungen meistens gegen Frauen, die sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten. Man nannte sie die „tondues“ (kahlgeschoren), und Guilloux verurteilte in dem 1952 erschienenen Labyrinthe die grausame Behandlung der Opfer. In den folgenden Jahren kommt es zu mehrfachen Begegnungen mit Albert Camus, und ihre gegenseitige Freundschaft vertieft sich. Camus besucht Guilloux im August 1947 in Saint-Brieuc. Guilloux begleitet ihn zum Grab seines Vaters Lucien Camus, der im Ersten Weltkrieg verwundet wurde und hier im Militärhospital starb (1914), als sein Sohn Albert noch ein Säugling war. Anfang 1948 bereitet sich Guilloux vor - einer Einladung des „Mouvement de jeunesse“ folgend 15 - über die Schweiz nach Algerien zu reisen. Zuvor schickt er das Manuskript seiner Überset- 14 Dossier zung von Steinbecks Pastures of Heaven an Gallimard, während Camus seine Rezension des Maison du peuple im Caliban veröffentlicht, die später (1953) zur Neuauflage des Romans als Vorwort dienen wird. Im April 1949 beteiligt sich Guilloux zusammen mit Camus und Grenier an der Herausgabe der ersten Nummer der Zeitschrift Empédocle und im Oktober erscheint sein Jeu de patience bei Gallimard. Vom 15. bis 18. Mai 1950 (wie oben erwähnt) nimmt Guilloux auf Einladung Hans Werner Richters am Frühjahrstreffen der Gruppe 47 teil. Anschließend reist er nach Venedig zum Kongress der Société européenne de culture (SEC). Es folgt ein Aufenthalt in Ägypten. Am 20. Juni kehrt er nach Paris zurück. Das ganze Jahr ist eigentlich gekennzeichnet durch ständige Depressionen, Gefühle der Nutzlosigkeit seines Tuns und einer gewissen Heimatlosigkeit. Er notiert er in seinen Carnets: Je me plais plus ici, à Saint Brieuc, et, désormais, je crois bien que je quitterais Saint- Brieuc sans regrets, et sans retour, avec la dernière facilité.16 Im Dezember jedoch rafft er sich wieder auf und beschließt, aus dem Sang noir ein Theaterstück zu formen. 1951 macht er sich dagegen wieder sehr intensiv an die schriftstellerische Arbeit. Er ordnet seinen Briefwechsel mit Jean Grenier unter dem Titel Absent de Paris, beginnt zugleich mit seinem „roman vénétien“, Parpagnacco, und mit einem Roman, dem er zunächst den Titel Les Idiots gibt, dann aber La Délivrance, und endgültig Labyrinthe. Das Jahr 1952 sieht ihn hauptsächlich in Paris. Er bezieht eine Dachwohnung bei Claude Gallimard und das ermöglicht ihm ein häufiges Zusammentreffen. Gleichzeitig intensiviert er seine Freundschaft zu Camus. Die spanische Föderation der aus politischen Gründen Deportierten und Internierten bittet ihn um Unterstützung ihres Protestes gegen die politischen Verfolgungen durch das Franco-Regime, und im November bittet man ihn um seine Unterschrift auf einem Telegramm an den tschechischen Staatspräsidenten als Gnadengesuch für Rudolf Slansky und zehn weitere, zum Tode verurteilte Genossen, denen ein Schauprozess auf Grund erzwungener Geständnisse (und nicht wegen erwiesener Fakten) gemacht wurde. 17 Dies zeigt, dass Guilloux im Frankreich der Nachkriegszeit als bedeutender Schriftsteller angesehen wird, dessen Stimme Gewicht hat. Im Mai 1953 reist er nach Jugoslawien, besucht Sarajevo und begegnet Marschall Tito. Im gleichen Jahr vollendet er den Parpagnacco, der im Juli 1954 bei Gallimard unter dem erweiterten Titel Parpagnacco ou la Conjuration erscheint. Wir springen in das Jahr 1960. Am 4. Januar lässt sich Albert Camus von Michel Gallimard, dem Neffen des Verlegers, dazu überreden, in dessen Auto von Lourmarin nach Paris mitzufahren, obwohl er eigentlich mit der Bahn reisen wollte. Unterwegs, zwischen Villeblevin und Champigny (Yonne), ereignet sich ein furchtbarer Unfall. Ein Reifen platzt, der Wagen prallt gegen die Chausseebäume. Camus ist sofort tot, Gallimard stirbt einige Tage später. Seine Ehefrau Janine und seine Tochter Anne überleben nahezu unverletzt. 18 15 Dossier Guilloux veröffentlicht 1960 seinen Roman Les Batailles perdues. Die Handlung spielt in den Jahren vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in den Wirren um den Bürgerkrieg in Spanien. 1961 besucht er in seiner Eigenschaft als Delegierter des Hohen Kommissariats für Flüchtlinge die nach dem Krieg in Europa errichteten Lager. 1962 erscheint bei Gallimard das Theaterstück Cripure als Auszug aus dem Roman Le Sang noir (siehe oben). Es erlebt seine Uraufführung am 15. Januar 1967 im „théâtre du Cothurne“ in Lyon, dem 68. Geburtstag seines Autors. ( Es wird erst zehn Jahre später wieder aufgeführt, und zwar 1977 im „théâtre de la Criée“ in Marseille, und 1979 ebendort im „théâtre de la Gymnase“). 1967 erscheint auch sein Roman La Confrontation bei Gallimard. André Malraux, sein Freund seit 1935 und inzwischen Kultusminister, überzeugt Guilloux, sich für die Einrichtung der „Maisons de la culture“ einzusetzen. Guilloux zieht auch wieder einmal um, und zwar ins 18. Arrondissement in den boulevard Blanqui; und ebenfalls 1967 wird ihm der Grand Prix national des Lettres verliehen. Im Mai 1968 beginnt Guilloux mit der Arbeit an einer Erzählung, die ein Ereignis beschreibt, welches er in der Nachkriegszeit bei seiner Tätigkeit als Dolmetscher für die amerikanischen Militärgerichte erlebte. Es ist die Geschichte eines spanischen Milizionärs, des Leutnants Salido, die er auch unter diesem Titel erzählen wird. Sie erscheint 1975 bei Gallimard, zusammen mit O.K. Joe! (siehe oben und Anm. 14) 1971 stirbt sein innigster Freund Jean Grenier. 1972 folgen einige Adaptationen für das Fernsehen, darunter Le Pain des rêves und Le jeu de patience. Im November 1973 muss sich Guilloux einer Staroperation am rechten Auge unterziehen. Im gleichen Jahr erscheint La Bretagne que j’aime im Verlag Sun. 1978 gibt Gallimard die letzte Erzählung Guilloux’ heraus: Coco perdu, Essai de voix. Es ist die Geschichte eines alten Mannes, der sich ein Leben lang stets etwas vorgemacht hat und alle diese Illusionen Stück für Stück aufgeben musste. Er begleitet seine Frau zum Bahnhof in dem Glauben, sie wolle für ein Wochenende eine Freundin besuchen, und muss schließlich erkennen, dass sie ihn für immer verlassen hat. Am 14. Oktober 1980 stirbt Louis Guilloux im Krankenhaus von Saint-Brieuc. 1 Jérome Vaillant, „Die Gruppe 47 und die französischen Schriftsteller. Hoffnungen und Enttäuschungen in der Frühphase der Gruppe 47“, in: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte, Jg. 15 (1991), 402-417. 2 Vgl. hierzu Philippe Roger (ed.), „Vie et Œuvre“, in: Louis Guilloux, D’une guerre l’autre, romans, récits, Gallimard, Paris 2009, 43. 3 Erst kürzlich, am 29. Januar 2011, stellte die Peggy Guggenheim Collection in Venedig eine Retrospektive über den Vortizismus zusammen. 4 Vgl. Louis Guilloux, Carnets 1944-1974, Gallimard, Paris 1982, 108. 5 Vgl. Roger (2009), 44. 6 Ibid., 50. 7 Hélène le Chevalier, Regards sur Louis Guilloux, Saint-Brieuc 1999, 20. 8 Vgl. Roger (2009), 64. 16 Dossier 9 Vgl. Carnets 1921-1944, 241. 10 Der „Prix (du roman) populiste“ ist ein von Antonine Coullet-Tessier 1929 geschaffener Literaturpreis, mit dem Werke ausgezeichnet werden sollten, die besonders die einfachen Leute des Volkes in ihren Milieus als Protagonisten herausstellen und damit eine gewisse Authentizität bieten. 1940 wurde zum Beispiel Jean-Paul Sartre für Le Mur ausgezeichnet. Guilloux indessen stand solchen Kategorien entschieden ablehnend gegenüber, da die Kriterien des Populismus und des Pauperismus nicht immer klar auseinandergehalten wurden. 11 Vgl. Carnets 1921-1944, 277. 12 Hélène Le Chevalier, op.cit., 15. 13 Vgl. Carnets 1921-1944, 403. 14 Alice Kaplan, The Interpreter, New York 2005. In französischer Übersetzung erschienen als L’Interprète. Dans les traces d’une cour martiale americaine, Bretagne 1944, Gallimard, 2007. 15 Das „Mouvement de jeunesse et d’éducation populaire“ besaß südlich von Algier in der Nähe von Sidi-Madani ein Anwesen. Auf Anregung von dem mit Camus befreundeten Charles Aguesse wurden für die Zeit von Mitte Februar bis Ende März 1948 französische Künstler dorthin eingeladen. 16 Carnets 1944-1974, 97. 17 Rudolf Slansky (1901-1952) war von 1945-1951 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Auf Drängen der sowjetischen Führung, die unter dem Vorwand einer zionistischen Verschwörung versuchte, unbequeme Genossen auszuschalten, wurde Slansky in einem Schauprozess als „Leiter eines staatsfeindlichen Verschwörungszentrums“ zum Tode verurteilt und am 3. Dezember 1952 hingerichtet. Vgl. Der Spiegel 49/ 1952 und Spiegel-Online vom 27.4.2011. 18 Die Zeit-Online: Ein Zeitgenosse unserer Träume, 30.12.2009.