eJournals lendemains 35/138-139

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Narr Verlag Tübingen
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2010
35138-139

I. Überhoff: Spurensuche. Poetik der Romane von Jean Echenoz

2010
Klaus Semsch
ldm35138-1390243
243 Comptes rendus des Bandes einschließlich der einleitenden Überlegungen der Hrsg. weniger abgeschlossene Antworten liefern als diese aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und somit Ausgangs- und Anknüpfungspunkt weiterer Forschungen in diesem hoch aktuellen Feld sind. Durch die beeindruckende Breite der analysierten Texte und Autoren gelingt es, die Diversität dessen aufzeigen, was heutzutage eine littérature française ausmacht. Französische Literatur, und man ist nach der Lektüre der überzeugenden Analysen geneigt, die das Adjektiv qualifizierenden Anführungszeichen nicht (mehr) zu setzen, ist nur zu verstehen als kulturell heterogene Kulturproduktion; sie ist anzusiedeln in einem espace interstitiel, d.h. zwischen (des in sich schon diversen) ‚Frankreich’ und China, Vietnam, Kameroun, Algerien, Kanada, Russland usw. Dieser ist z.B. auszumachen an den vielfältigen Übersetzungsprozessen, die nicht aufgehen, die Risse und Reibungen hervorrufen und die in den Texten bewahrt werden. Wenn Doris Eibl daher für die Romane Sijies konstatiert, diese seien „truffés de ces nouveaux signes identitaires issus de l’interpénétration des deux langages culturels“ (63), so gilt dies für die anderen Texte des Bandes gleichermaßen. Elke Richter (Bremen) ISABEL ÜBERHOFF: SPURENSUCHE. POETIK DER ROMANE VON JEAN ECHE- NOZ, HILDESHEIM/ ZÜRICH/ NEW YORK: GEORG OLMS VERLAG 2007, 226 S. Spätestens seit dem Erhalt des ‘Prix Goncourt’ für seinen Roman Je m’en vais im Jahre 1999 zählt Jean Echenoz zu den wichtigsten französischen Erzählern der Gegenwart. Die Rezeption seines nach dem Erstling Le Méridien de Greenwich (1979) mittlerweile zehn Romane und weitere Prosatexte umfassenden Werkes lief jedoch nur zögerlich an und bleibt holprig. Zu unvertraut sind den Lesern die recht eigenartigen Versatzstücke der Texte: banalste Handlungen, anmutige bis skurrile Stilpirouetten, die Vorliebe der Erzähler für fachspezifisches Vokabular, eine immer anwesende aber scheinbar ziellos verpuffende Ironie, intermediale Zitierspiele oder auch die von Roman zu Roman wechselnde Simulation und Parodie narrativer Gattungen (Kriminalroman, Spionageroman, Abenteuerroman, Science-Fiction usw.). Echenoz’ Erzähler führen den Leser immer wieder durch ein facettenreiches Labyrinth. Da findet er sich in langen Gängen klassischer Gradlinigkeit, präziser naturwissenschaftlicher wie technischer Details oder Vertrauen erheischender Puzzlesteine imitierter Gattungen wieder. Er begegnet desillusionierten, eine trauernde Auszeit nehmenden Protagonisten, die auch gerne mal in kalter sprich ‘neoliberaler’ Gleichgültigkeit verharren. Und plötzlich führt der Erzähler seine Leser auf der nächsten Seite ganz unverhofft unter kurvenreiche Bögen barocker Verspieltheit und entzündet ein erzählerisches Feuerwerk. Die Texte sind dem gemäß nur schwer übersetzbar und bleiben bis heute hierzulande recht erfolglos oder 244 Comptes rendus aber stoßen auf wenig Verständnis bei Literaturkritikern, wie das Beispiel Marcel Reich-Ranickis zeigt. Jean Echenoz selbst gefällt sich wiederum darin, eine Aura der Gegensätze, ja Widersprüche um sein Werk und seine Person aufzubauen und zu pflegen. So genießt er einerseits sichtlich den Erfolg des ‘Prix Goncourt’ (1999) für den Roman Je m’en vais. Andererseits nutzt er dessen Scheinwerferlicht in der Folgezeit kaum, flaniert stattdessen in aller Ruhe weiter durch Paris und entlockt seiner Tastatur immer unterschiedlichere Arbeiten: fiktive Musikerbiographien (Au piano, 2003 und Ravel, 2006), einen einfühlsamen Nachruf auf seinen Verleger Jérôme London (Jérôme Lindon, 2001) oder aber eine neue französische Übersetzung der beiden Samuelbücher des Alten Testaments. Trotz seines wachsenden Ruhmes beharrt Echenoz im Gespräch außerdem oft auf der Position, seine Romane seien nur etwas für eine kleine Gruppe von Eingeweihten. Dabei lächelt er süffisant bis kokett oder aber blickt ein wenig zu ernst, fast schüchtern zu seinem Gesprächspartner oder Publikum hinüber. Über sein erzählerisches Talent befragt, errötet er bisweilen leicht, schweigt sich aus oder aber erzählt ausweichend, er sei eigentlich Musikliebhaber, aber vor langer Zeit kläglich bei den ersten Kontrabassstunden gescheitert. Sein vielleicht wichtigster Rezensent, Jean-Baptiste Harang (‘Libération’), winkt wiederum ab, wenn man versucht, ihm das Werk seines Weggefährten Echenoz philologisch zu erklären und erwidert verschmitzt, man müsse spätestens beim nächsten Roman wieder ganz neu nachdenken. Kein leichtes Unterfangen also, Erzählwerk und Autor Jean Echenoz in größeren Zusammenhängen oder gar systematisch zu begreifen und dem geneigten Leser näher zu bringen. Die vorliegende Monographie versucht nun aber gerade dies. Sie wird auf dem Buchdeckel selbstbewusst als „die erste Monographie über den französischen Schriftsteller Jean Echenoz (geb. 1947) in deutscher Sprache“ angekündigt. In ihrer Einleitung präzisiert die Vf.in ihr Vorhaben einer „systematischen Einführung ins Werk von Jean Echenoz unter poetologischen und programmatischen Leitfragen, zumal eine aus komparatistischer Perspektive“ (12). Sie hat sich lange und ausgiebig mit Echenoz beschäftigt, den Autor bereits 1995 im Kritischen Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur vorgestellt, ihn mehrfach interviewt, all das zu einem Zeitpunkt, als er selbst in Frankreich noch kaum wissenschaftliche Beachtung fand. In der Folgezeit hat sie dieses Ziel mit ihrer nun vorgelegten Promotionsarbeit konsequent weiter verfolgt. In der ‘Einleitung’ präzisiert die Vf.in ihr Anliegen einer „komparatistischen Perspektive“, indem sie diese zugleich einschränkt auf „die generelle Funktion von Bildern und modernen Bildmedien als Leitmedien der poetologischen Reflexion […]“ (18). Das intermediale Forschungsinteresse mit einer Akzentuierung der Bildmedien ist nun zwar nahe liegend wie legitim, gleichwohl aber seit den 90er Jahren einer, wenn nicht der zentrale Schwerpunkt der Echenoz-Forschung. Patchwork-Ästhetik, Gattungsparodie und ‘filmisches Schreiben’ sind meistens mit visuellen Merkmalen belegt und begründet worden. Gewissermaßen galt vielen ganz generell die so genannte ‘Rückkehr des 245 Comptes rendus Erzählens’ in den 80er Jahren als ein Erzählen derjenigen Generation, die ihre ästhetischen Standards von Kindesbeinen an in erster Linie dem Film verdankte. Dass die in der vorliegenden Studie anvisierte Bildfunktion laut Vf.in „noch nicht untersucht worden“ (18) sei, erscheint da als einigermaßen überraschend. Die Durchsicht zum ‘Forschungsstand’, die die Vf.in selbst auf knappen sieben Seiten ihrer Arbeit voranstellt, bespricht wichtige Beiträge zum Werk von Echenoz, ist jedoch mutig in ihrer Meinung, es handele sich hierbei bislang einzig um Prolegomena, d.h. um eine „im besten Sinne ambitionierte Exegese einzelner Anspielungen, Daten, Namen und anderer Teilaspekte des Werkes [von Echenoz]“ (13). Der Vorwurf der Partialität scheint grundsätzlich misslich, weniger ob des evidenten Umstandes, dass ein jeder Anspruch auf Ganzheitlichkeit suggestiv bis illusionär wirken muss, sondern vor allem, weil die Vf.in selbst das Echenoz so wichtige Medium der Musik in ihrer Komparatistik ganz ausspart und natürlich auch ihre Darstellung der visuellen Implikationen im Werk exemplarisch bleiben muss. Insgesamt viel zu kursorisch, fällt bei der Besprechung des Forschungsstandes zudem auf, dass alle Beiträger, die die Bildmedien in ihrer Analyse nicht zentral thematisieren als ein „Lager von Kommentatoren [erscheinen], die das Werk des französischen Schriftstellers pauschal als kunstvolle Ausgestaltung der Negation von Sinnhaftigkeit interpretieren und damit einseitig darstellen.“ (13) In diesem Kontext werden insbesondere auch die wichtigen Pionierarbeiten und Bemühungen um den Gegenwartsroman von W. Asholt genannt, die dem „Blick auf die französische Literatur der achtziger Jahre verbunden“ und somit einem „vergleichsweise eng gesteckten Rahmen“ (13) verhaftet blieben. Ein solches, wenig aussagekräftiges Pauschalurteil ist wohl kaum anders denn als ein selbstredendes Beispiel von ‘Leichtigkeit’ in der Forschung selbst zu verstehen. Vielleicht ist es aber auch heute manch später Geborenem einfach nur schwer vermittelbar, dass es eine Zeit gab, in der man Positionen bezog, Texte interpretierte, auch ‘parteiisch’ teilnahm an der Debatte um Moderne und Postmoderne und in diesem (seit längerem gern als ‘ideologisch’ verschmähten Sinne) natürlich und ganz bewusst ‘einseitig’ war. Das 2. Kapitel der Studie leistet eine Nacherzählung bzw. Inhaltsangabe der längeren Erzähltexte Echenoz’, von Le Meridien de Greenwich (1979) bis Au piano (2003). Der 2006 erschienene Ravel ist bei der Überarbeitung der Dissertation zwar bibliografisch erfasst, hier aber nicht berücksichtigt worden. Es stellt sich die Frage, ob angesichts eines längst kritisch bzw. ‘offen’ gewordenen Gattungsbegriffes ‘Roman’ nicht weitere Texte hätten kurz berücksichtigt werden sollen: so etwa der narrative Nekrolog auf den Verleger Jérôme Lindon, die ‘kriminalistische’ Kurzgeschichte Ayez des amis (1991) oder der kleine Text Le sens du portail, der als Vorwort für die Articles de Paris (1994) von Pierre Marcelle fungiert. Insbesondere letzterer Text liefert ein höchst interessantes und für die Romane aufschlussreiches ästhetisches Programm auf kleinstem Raum. Aber auch Echenoz’ Bibelübersetzungen können hilfreich sein, etwa bei einer Reflexion über die Stadt als (post)moderne ‘Hölle’, die die Vf.in in ihrer Besprechung von Au piano selbst erwähnt (vgl. 54) sowie generell für Überlegungen über Roman, récit und aktuelle 246 Comptes rendus Erscheinungsformen des Erzählens. Hierauf kommt die Vf.in jedoch im Interview mit Echenoz zu sprechen (vgl. 160ff.). Bereits der Titel der vorliegenden Studie zeigt sich für die wichtige Diskussion um roman und récit, der vom nouveau roman bis zur Jahrtausendwende eine hohe Bedeutung zukam, freilich wenig sensibel. Gleiches gilt für den Begriff der ‘Poetik’, den die Vf.in in Text und Titel - trotz ihres dezidiert intermedialen Ansatzes, der ja nicht zuletzt aus der Ausgrenzung traditioneller Literaturwissenschaft hervorgeht - ganz unreflektiert verwendet. Die Einzeldarstellungen sind dagegen meist erfreulich detailsicher, oft feuilletonistisch geschmeidig und informieren zunächst über inhaltliche Aspekte der Erzähltexte. Auch findet der Leser hier interessante Überlegungen und neue Beispiele bzgl. der Referenzstreuung der Texte, wie etwa zum möglichen Intertext des peruanischen Flugpioniers Jorge Chávez in Cherokee (vgl. 57). In analytischer Sicht teilt die Vf.in die in der Forschung verbreitete und plausible Ansicht, die Erzähltexte Echenoz’ hätten auf dem Wege von (parodiertem) Prätext, über Hypertext und Neuschreibung einen autonomen Platz in der französischen Gegenwartsliteratur gefunden. Das 3. Kapitel widmet sich nun dem Thema der ‘Bilder als Leitmedien der poetologischen Reflexion’. Dabei erinnert die Vf.in einleitend an thematische Beiträge von Diderot, Brecht und insbesondere an Roland Barthes Losung: „Un tableau n’est jamais que sa propre description plurielle.“ (vgl. 62). Von hier ausgehend interpretiert sie die kurze Erzählung L’Occupation des sols (1988) und Le Méridien de Greenwich. Dabei werden Bilder allgemein als Elemente im narrativen Fingierungsakt sichtbar, die die Erzählchronologie in eine unabschließbare mise en abyme überführen, sei es um die ‘reduktive’ Rezeption einer gezielten Referenzialität zu verhindern, sei es als metapoetische Spielgeste der Bewusstmachung der Unabschließbarkeit narrativer Fiktion. Die Intention dieses literarischen Verfahrens, so argumentiert die Vf.in, indem sie direkt an die Studie von Dällenbach (1977) zur mise en abyme anknüpft, sei eine ‘produktive Rezeption’ (78) des vorgefundenen Bildmaterials und dessen pluralisierende Weiterschreibung im Sinne einer ‘potentiellen Literatur’ (90). Diese Argumentation bringt in der recht breiten Anlage des Kapitels interessante und z.T. noch nicht erwähnte Exempla hervor, überrascht aber in ihrer Struktur keineswegs, sondern liegt ganz auf der Linie wichtiger Positionen der Forschung, wie wir sie bei F. Schoots (1997) oder Chr. von Tschilschke (2000) vorfinden. Die Überzeugung, Echenoz verlängere eine narrative Spielästhetik oulipotischer Pluralisierung, die die Vf.in im folgenden Kapitel 4.2 ausführt, ist nun aber in mehrfacher Hinsicht ärgerlich. Zum einen, weil Echenoz selbst eine Vorbildfunktion Oulipos für sein Werk wiederholt und dezidiert abgelehnt hat und sie zudem sein behavioristisches, sozial stets interessiertes und betroffenes Schreibinteresse verdeckt, das er ungeachtet der oberflächlich wirksamen, spielerischen Ironie verfolgt. Zum anderen, weil diese These das große Leistungsspektrum der traditionsreichen Bild-Text-Debatte arg reduziert. Drittens suggeriert diese Auffassung auch, dass es im Werk Echenoz keine neuartige Verwendung solch ‘potentieller’ Schreibtechni- 247 Comptes rendus ken gebe bzw. geben könne. Der Autor erscheint letztlich implizit als Epigone der literarischen Auflösungstechniken der späten Avantgarde: ein Standpunkt, den die jüngere Echenoz-Forschung bereits weitgehend überwunden hatte. Dass das Ausloten des Bild-Text-Bezuges als berühmter poetologischer ‘ut pictura poesis’-Topos eine lange Geschichte hat, ja in der europäischen Neuzeit bereits in Mittelalter und Renaissance eine gewichtige Rolle im Gespräch über Literatur einnahm, scheint hier vergessen, wenn die Vf.in im abschließenden Resümee konstatiert: „Unter besonderer Berücksichtigung von Echenoz’ Erstling wurden im zweiten Teil ‘Bilder als Leitmedien der poetologischen Reflexion’ untersucht. Seit dem achtzehnten Jahrhundert thematisieren Schriftsteller den literarischen Schaffensprozess zunehmend in der Reflexion über Bilder.“ (156) Ob man das Wirken von Bildern in literarischen Texten begreifen kann, wenn man das Medium im Kern auf einige, gerade geläufige (post)strukturalistische Thesen zu Foto und Film reduziert, ist fraglich. Einer zeitgemäßen wie sinnvollen Intermedialität ist ein historisch kurzsichtiges Beharren auf Visualisierung als narrative Pluralisierung wohl nur bedingt zuträglich. Hierzu müsste man zunächst einmal das (hier nur zögerlich einbezogene) filmwissenschaftliche Vokabular mit dem literaturwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen abgleichen. Aus der engeren literaturwissenschaftlichen Sicht hätte man diesen Befund zudem gezielt auf Wirkungsweisen von ‘Bildern’ in Texten zu befragen und zu erweitern: Wie funktionieren, was leisten, was bezwecken Bilder in Textgestalt? Wie lassen sich die allgemeinsprachlichen Vokabeln der mise en abyme, des Pluralisierens, mit den tradierten von Poetik, Ästhetik und Hermeneutik in eine für die aktuelle und intermediale Diskussion fruchtbare Beziehung bringen? Aber auch zentrale Anknüpfungen im Bereich der Malerei, etwa zum Stillleben (‘nature morte’) oder zur Rhetorik des Bildes (‘descriptio’ u.a.), werden nicht thematisiert. Wichtig wäre es auch, zu sehen, ob und wie die visuelle Ästhetik der jüngeren Generation mit der Tradition der zahlreichen Realismen in Bezug steht, welche Rolle hier ästhetische und phänomenologische Kategorien der Wahrnehmung wie die Aisthesis spielen oder auch die rhetorische ‘evidentia’, eine heutzutage fast vergessene diskursive Strategie emotionaler Vergegenwärtigung. Zuletzt kann eine intermediale Betrachtung des Erzählwerks von Echenoz nicht ohne eine vertiefte Reflexion über die latent vorhandenen Einlassungen mit der Musik auskommen. Es ist freilich im Rahmen dieser Studie durchaus legitim, ja vielleicht geradezu geboten, diesen umfangreichen Kontext einer eigenständigen Studie zu überlassen. Im 4. Kapitel spricht die Vf.in dann von narrativen ‘Echoräumen’ im Sinne einer „pointillistischen Erinnerungsarbeit“ der Protagonisten Echenoz’ (vgl. 118). Diese Metapher suggeriert missverständlich musikalische Implikationen. Wichtiger aber ist zu vermerken, dass die Vf.in sich hier zuletzt dem eingangs kritisch betrachteten Asholt wieder annähert, der ja die Diskussion über die französischen Erzähler der 80er Jahre gerade mit dem bedeutsamen Stichwort der ‘Trauerarbeit’ eröffnet hatte. Was sich bei Überhoff resümierend abzeichnet, galt in den 90er Jahren als Ausgangspunkt einer spannenden und noch nicht beendeten Diskussion. Natürlich 248 Comptes rendus sind Calvino, Perec, Queneau, die in diesem Kapitel sodann erinnert werden, wichtige Stimmen der Zeit, die ihr Jahrhundert prägen und nachhallen. Inwieweit sie bei Echenoz jedoch fortklingen bzw. moduliert werden oder auch im Einzelfall versiegen, bleibt in der vorliegenden Studie unscharf. Das Kapitel wird abgeschlossen durch ein Unterkapitel 4.3., das sich nicht dem Bild-Text-Bezug, sondern einer Gattungsfrage widmet. Der für das Werk von Echenoz zweifelsohne wichtige Bezug zum Kriminalgenre wirkt an dieser Stelle und im Kontext des Rahmenthemas jedoch ein wenig unvermittelt und hätte evtl. besser als punktuelle Vertiefung in das Kapitel 2 gepasst. Das Buch enthält eine gute Bibliographie der Werke und Arbeiten von und über Echenoz (Stand: Januar 2006). Auch die deutschen Übersetzungen sind hier erfasst. Die Sekundärliteratur weist dagegen wichtige Lücken in den Bereichen Intermedialität, Bildlichkeit, Diskussion des französischen Gegenwartsromans auf (etwa die Studien von A. Gelz zur postavantgardistischen Ästhetik, 1996, oder von C. Klettke zum Simulakrum Schrift, 2001). Das Erscheinen der Studie von K. Semsch (Diskrete Helden, 2006) überschnitt sich dagegen mit der Drucklegung der vorliegenden Studie, verweist aber auf einen wachsenden Bedarf an systematischen Darstellungen zum Thema. Auch wegweisende Vertreter des jüngeren geisteswissenschaftlichen Gespräches wie Deleuze, Lyotard oder Derrida fehlen. Der Anhang des vorliegenden Buches enthält mehrere verdienstvolle Interviews, die die Vf.in mit dem Autor am 18.02.2000 in Heidelberg, am 18.04.2000 und 19.10.2005 in Paris geführt und für den zweisprachigen Abdruck ins Deutsche übersetzt hat. Auch wenn es mittlerweile keinen Mangel an Interviews mit Echenoz mehr gibt, findet sich hier eine Fülle an Informationen, Stellungnahmen und weiterführenden Aspekten. Abschließend lässt sich sagen: Das Buch verschafft einen Einblick in die Romanwelten von Jean Echenoz und fasst zentrale Positionen der Kritik zusammen. Auch wenn die Ergebnisse die erwähnten argumentativen Engführungen mit sich führen und strukturell wie vom Wissensstand nicht wirklich Neues bieten, leistet die Darstellung einen thematischen Einstieg bzw. Überblick und vermittelt viele interessante Details, die eine Beschäftigung mit dem Autor im Curriculum romanistischer Lehrveranstaltungen zusätzlich anregen und erleichtern mögen. Eine weitere Ausgangsbasis für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Echenoz in verschiedene Richtungen liegt vor. Klaus Semsch (Düsseldorf)