eJournals lendemains 39/156

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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2014
39156

Ursula Bähler / Peter Fröhlicher / Patrick Labarthe / Christina Vogel (ed.): Figurations de la ville-palimpseste

2014
Ursula Hennigfeld
ldm391560138
138 Comptes rendus mit mehreren Zitaten, dass und warum für Crumb „le dessin était le point d’ancrage de son existence“ (43, mittlere Sp.). Der Verlagsmitarbeiter Jean-Luc Fromental betreut bei Denoël die Domäne der Graphic Novels und hat dort drei Crumb-Titel publiziert, die er in seinem kurzen Beitrag u. d. T. „Paradis retrouvé“ (44-45) vorstellt und kommentiert. Die nicht signierte Chronologie erläutert zunächst (46 oben) ihre Quellen und ihren Aufbau und bietet dann auf den Seiten 46-49 einen biografischen Stichwortbericht mit wichtigen Lebens-, Publikations- und Ausstellungsdaten. Befriedigende, weil verstehende Betrachtung der fünf Bildbzw. Katalogteile „Crumb avant Crumb 1943-1966“ (50-65), „Underground 1967-1979“ (66-127), „Étrange Amérique 1980-2009“ (128-171), „Crumb par Crumb 1968-2012“ (172- 203) und „Crumb en France 1991-2012“ (204-227) wird dadurch verhindert, dass jegliche kontextuelle Erläuterungen zu den knappen Bildunterschriften fehlen. Die Publikationsquellen lassen sich zwar aus der „Liste des œuvres originales présentées dans l’exposition“ (224-234) entnehmen. Doch in der Undeutbarkeit vieler seiner Bilder liegt eine sehr gravierende Schwäche des so schön gestalteten Katalogs. Peter Ronge (Telgte) —————————————————— URSULA BÄHLER / PETER FRÖHLICHER / PATRICK LABARTHE / CHRISTINA VOGEL (ED.): FIGURATIONS DE LA VILLE-PALIMPSESTE, TÜBINGEN, NARR, 2012 (EDITION LENDEMAINS, 26), 149 S. Das Sujet der französischen bzw. französischsprachigen Stadt- oder Metropolenliteratur ist in den letzten Jahren in der romanistischen Forschung verschiedentlich behandelt worden. 1 Der im Anschluss an eine Sektion beim Essener Frankoromanisten-Kongress 2010 entstandene Sammelband macht die Metapher des Palimpsestes für eine Analyse französischsprachiger urbaner Literatur fruchtbar. Ausgangspunkt ist die These, dass die Stadt materielle Spur sozialer Praktiken, identitärer Prozesse und ästhetischer Diskurse zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Auslöschung und Wiederfinden, Erinnerung und Vergessen ist. Anhand der ‚ville-palimpseste‘ lassen sich - so die Herausgeber - die historischen Transformationen unserer Kulturen, ihre Epochen, Mythen und Ideologien entziffern. Neben Metropolen wie Rom, Paris, Sankt Petersburg, Venedig und Berlin werden auch Städte wie Brügge, Bordeaux, Oran, Ribandon und Le Clézios „drei 1 Z. B. Roswitha Böhm / Stephanie Bung / Andrea Grewe (ed.), Observatoire de l’extrême contemporain. Studien zur französischsprachigen Gegenwartsliteratur, Tübingen, Narr, 2009; Franziska Sick (ed.), Stadtraum, Stadtlandschaft, Karte. Literarische Räume vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Tübingen, Narr, 2012; Ursula Hennigfeld (ed.), Nicht nur Paris. Metropolitane und urbane Räume in der französischsprachigen Literatur der Gegenwart, Bielefeld, transcript, 2012. 139 Comptes rendus heilige Städte“ (Chancah, Tixcacal, Chun Pom) Gegenstand literaturwissenschaftlicher Analysen. Dabei reicht das Panorama der behandelten Schriftsteller von Du Bellay über Gautier, Proust, Gide, Céline, Némirovsky, Sarraute bis zu zeitgenössischen Autoren wie Modiano, Le Clézio, Bon, NDiaye, Djebar und Sebbar - um nur einige zu nennen. Ausgehend von Du Bellays im 16. Jahrhundert entstandenem Sonettzyklus der Antiquitez de Rome analysiert Peter Fröhlicher das Paris des 20. Jahrhunderts in Patrick Modianos Dora Bruder als Palimpsest, das im Roman zum individuellen wie kollektiven Gedenkort wird. Patrick Labarthe beleuchtet anhand von Baudelaires Tableaux parisiens und Le Spleen de Paris, wie dieser - mit Racine als Hypotext - sowohl den Verlust aller Ideale gestaltet als auch eine neue poetische Energie entfaltet. In Anlehnung an Paul Zumthor, der die dichterische Stadt-Imagination bis zur Renaissance anhand von clôture, solidité und verticalité beschrieben hatte, fasst Labarthe die baudelaire’sche Stadtpoetik in der Trias ouverture - blessure - horizontalité zusammen. Welches Bild von Sankt Petersburg sich in den französischen Russland-Diskursen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert zeigt, verdeutlicht Martina Stemberger u. a. anhand von Gautier, Cendrars, Salmon, Kessel, Gide, Morand, Béraud, Céline, Némirovsky, Sarraute und Makine. Bei Gide etwa sei Sankt Petersburg eine „‚ville-citation‘ hyper-textualisée“ (48), bei Céline jedoch finde sich eine abjekte und feminisierte Variante dieser Stadt. In Prousts Albertine disparue überlagern sich in der Erinnerung des Erzählers Venedig und Combray, wie der Beitrag von Cristina Nägeli und Reto Zöllner zeigt. Mit Hilfe von Analogien, Parallelismen sowie Kirchen, Plätzen und Gebäuden als tertium comparationis komme es zu einer semantischen Kreuzung beider Städte; das Palimpsest werde bei Proust zur Metapher für das Schreiben selbst. - Palimpseste und Gewebe als sprachliche Bilder untersucht Christina Vogel am Beispiel einer Kurzgeschichte von Le Clézio, der sich auf die Suche nach den Spuren dreier heiliger Städte des präkolumbianischen Amerika macht und mit Hilfe polyphoner Intertexte eine Verbindung zwischen untergegangenen Zivilisationen und der modernen Welt stiftet. Verschachtelung, Schichtung und Überlagerung sind die Verfahren, derer sich François Bon in Calvaire des chiens bedient. Christof Schöch interpretiert die Städte Berlin und Ribandon bei Bon vor allem als Ort der Isolation und Ausgrenzung. In ähnlich negativer Weise deuten auch Assia Djebar und Leïla Sebbar in ihren Romanen Oran bzw. Paris als Schauplätze kollektiver Geschichte, die vor allem von Gewalt zwischen Frankreich und Algerien geprägt ist. Sabine Narr betont in ihrem Beitrag, dass beide Autorinnen immer wieder in diesem Zusammenhang auf die Ambivalenz der Sprache hinweisen und gegen das Vergessen anschreiben. Ursula Bähler vergleicht Georges Rodenbachs Bruges-la-Morte mit Marie NDiayes Mon cœur à l’étroit: Beide Romane behandeln Städte als Ort ethischer Diskurse. Marie NDiaye lässt die Identitätssuche der Protagonistin zwischen Bordeaux und einer nicht näher identifizierbaren zweiten Stadt verlaufen, immer vor der Folie von Marginalisierung, sozialem Ausschluss und Segregation. Der 140 Comptes rendus Beitrag von Heidi Denzel de Tirado führt „ein neues Raumkonzept“ ein, die „Hageographie“ (147) - entstanden aus ‚Hagiographie’ und ‚Geographie’. Damit sollen solche Räume gemeint sein, „die in besonderer Weise Bezüge zum Leben und Werk einer Person reflektieren“ (ibid.). Unter Rückbezug auf Foucaults Heterotopie-Konzept und Marc Augés non-lieu wird dies anhand von Texten des 20. Jahrhunderts über Denis Diderot nachvollzogen. Im Vorwort des Bandes wird ‚Palimpsest‘ eher neutral definiert und als „désignant toutes sortes de processus d’écriture et de lecture qui superposent des couches de textes et, partant, de significations en réalisant de multiples configurations“ (7) eher weit gefasst. Wie das Panorama der versammelten Aufsätze zeigt, geht es bei der ‚ville-palimpseste‘ jedoch auch um die brisante Frage, auf welche Weise literarische Texte Diskontinuitäten und Alteritäten, die vom gegenwärtigen historischen Bewusstsein marginalisiert oder nivelliert werden, die gewissermaßen einer kulturellen ‚Überschreibung‘ zum Opfer gefallen sind, wieder sicht- und lesbar gemacht werden können. In dieser Hinsicht bietet der Sammelband interessante und aufschlussreiche Lektüren zu französischsprachiger Literatur vom 16. bis 21. Jahrhundert. Ursula Hennigfeld (Osnabrück) —————————————————— LAURENT BARIDON: UN ATLAS IMAGINAIRE. CARTES ALLÉGORIQUES ET SATIRIQUES, PARIS, CITADELLES ET MAZENOD, 2011, 200 S. Der mit 32,5 x 30 cm sehr großformatige, überwiegend farbig oder den Farbzustand alter Vorlagen offenbar getreu reproduzierend gedruckte Band ist ein prächtiges Bilderbuch geografisch-kontinentaler (bzw. seltener: ) global angelegter Bildinszenierungen aus früheren Epochen realer Welterkundung bis hin zu parteiisch-parteilich-polemischen Territorialdarstellungen des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Charme und wissenschaftliche Nutzbarkeit des Buches werden freilich leider dadurch stark gemindert, dass 50 komplexe querformatige Bildvorlagen auf je zwei Seiten reproduziert sind, und das mit der Folge, dass wichtige Bildteile unsichtbar im Falz des Buches verschwunden und damit Gesamtbetrachtung wie Auswertung etwa eines Drittels aller Abbildungen aufgrund fragwürdig-mutwilliger Entscheidung der technischen Hersteller im Verlag unterbunden sind, anstatt entweder bei gleichem Buchformat die derzeitigen Bildbreiten (zwischen 42 und 33) auf etwa 30 cm zu begrenzen, um die leicht verkleinerten Breitformate (wie z. B. auf S. 94-95 geschehen und zu besichtigen) auf je einer Seite unterzubringen oder dem Buch bei der derzeitigen Höhe etwa 45 cm Breite zu geben und falzlosen Abdruck in der jetzigen Bildgröße und ebenfalls auf je einer Seite zu ermöglichen. Das Buch ist insgesamt chronologisch (19, linke Sp.) und in seinen 10 Kapiteln thematisch gegliedert: das „Sommaire“ (5) wartet bei Einführungs-, Schluss- und