eJournals lendemains 36/142-143

lendemains
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Narr Verlag Tübingen
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2011
36142-143

Sarkozy und die arabische Politik Frankreichs

2011
Roland Höhne
ldm36142-1430199
197 Dossier Abb. 10: Jean-Jacques Moll, Plan d’une ville de cent mille ames, Bienne, 1801, http: / / www.erara.ch/ zut/ content/ structure/ 23511, 16.08.2011. Abb. 11: Etienne Dupérac, Der Kapitolsplatz in Rom, Radierung, 1569, http: / / de.wikipedia.org/ w/ index.php? title=Datei: CampidoglioEng.jpg&filetimestamp=20050103135625, 16.08.2011. Abb. 12: Ambrosius Holbein, Utopia, Holzschnitt aus Thomas Morus, Utopia, Ausgabe von 1518, http: / / www.accd.edu/ sac/ english/ bailey/ utopia.htm, 16.08.2011. Abb. 13: Questel, Rekonstruktion der Abbaye de Thélème, aus: Charles Lenormant, Rabelais et l’architecture de la Renaissance, Paris, Crozet, 1840, o.S. Abb. 14: Die ideale Stadt, um 1470, unbekannter Maler, The Walters Art Gallery, Baltimore. Abb. 15: Kupferstich vom Innenraum der zerstörten Basilika San Paolo fuori le mura in Rom, anonym, 1823, http: / / www.welt.de/ multimedia/ archive/ 01171/ rekonstruktion_rom_1171228s.jpg, 16.08.2011. Abb. 16: Pieter Breughel der Ältere, Der Turmbau zu Babel, 1563, Kunsthistorisches Museum Wien. Abb. 17: Zeitgenössisches Flugblatt vom Erdbeben von Lissabon, http: / / www.spiegel.de/ panorama/ 0,1518,grossbild-423553-335774,00.html, 16.08.2011. Abb. 18: Die wahre Geschichte des verheerenden Erdbebens von Lissabon, unbekannter tschechischer Künstler, Prag, 1755, http: / / nisee.berkeley.edu/ lisbon/ kz142.jpg, Fig. 14., 16.08.2011. Abb. 19: Jean-Pierre Louis Laurent Houel, La prise de la Bastille, 1789, Bibliothèque nationale, Paris, Katalognummer 07743702. Abb. 20: La foule parisienne est dispersée par la force aux Tuileries, Aquarell, anonym, um 1789, http: / / www.kunst-fuer-alle.de/ deutsch/ kunst/ kuenstler/ poster/ franzoesische-revolution/ 21288/ 8/ 141126/ lambesc-vertreibt-menge-1789---aquarell/ index.htm, 16.08.2011. Abb. 21: Jacques-Louis David, Le Serment du Jeu de paume, 1791, Paris, Musée Carnevalet. http: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Fichier: Serment_du_Jeu_de_Paume_-_Jacques-Louis_David.jpg, 16.08.2011. Abb. 22: Jean Henry Marlet, nach Adrien Victor Auger, Bouquiniste quai Voltaire, 1821, in: Charles Simond, La vie parisienne à travers le XIXe siècle, Paris, E. Plon, Nourrit et Cie, 1900, 458. Abb. 23: Ludwig Rullmann, Les Contrastes, Lithographie, Paris, zwischen 1820 and 1822, in: Jörn Christiansen (ed.): Kunst und Bürgerglanz in Bremen, Bremen, Hauschild Verlag, 2000, http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Datei: Les_Contrastes_-_1820_-_Ludwig_Rullmann.jpg, 16.08.2011. Abb. 24: Giuseppe Vasi, Il Campodoglio de Roma, um 1750, http: / / www.romeartlover.it/ Vasi80.htm, 16.08.2011. Abb. 25: Luc-Olivier Merson, aus: Victor Hugo, Notre Dame de Paris, Paris, Ausgabe von 1837, http: / / www.virtualmuseum.ca/ Exhibitions/ Valentin/ English/ 4/ 414.php3, 16.08.2011. Abb. 26: Nikolaus Gumberger, Stadtansicht von Mühldorf am Inn, um 1860, http: / / upload.wikimedia.org/ wikipedia/ commons/ thumb/ 7/ 70/ Stadtansicht_M%C3%BChld orf_um_1860.jpg/ 220px-Stadtansicht_M%C3%BChldorf_um_1860.jpg, 16.08.2011. Abb. 27: Die Sparrenburg bei Bielefeld, Stadtansicht um 1830, anonym, zeitgenössischer Stich, http: / / www.danisstern.de/ Button/ johannisburg.jpg, 16.08.2011. 198 Dossier Résumé: Gisela Febel analyse dans sa contribution intitulée Quelques remarques sur l’iconographie de la ville du Moyen Age à l’époque romantique les différentes fonctions de l’imaginaire pictural de la ville pour la construction de communautés idéales ou utopiques, mais aussi pour la mise en image des visions apocalyptiques ou révolutionnaires et pour la visualisation des contrastes entre nature et civilisation. Cité idéale ou lieu infernal, construction urbaine protectrice réelle voire réalisable ou pure vision géométrique et harmonique, la ville fait preuve d’une longue durée à travers son iconographie, ainsi que de sa fonction allégorique et moralisatrice renouvelée à chaque époque. La ville imaginée, peinte ou dessinée est, comme on peut voir ici, à la fois l’archive visuel pour les modèles de la ville littéraire et l’inspiration de nouvelles constructions urbaines dans l’imaginaire littéraire de la ville. 15: 48: 32 199 Actuelles Roland Höhne Sarkozy und die arabische Politik Frankreichs Als der französische Staatspräsident Sarkozy am 19. März 2011 den Befehl zur militärischen Intervention im libyschen Bürgerkrieg gab, glaubte er wahrscheinlich, daß ein paar energische Luftschläge genügen würden, das Gaddafi-Regime in die Knie zu zwingen. Er wäre dann als Vorkämpfer der arabischen Freiheit der große Held gewesen. Seine Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht. Trotz der schrittweisen Ausweitung der Luftangriffe auf immer weitere Ziele (Radar- und Raketenstellungen, Panzer und Artillerie, Truppenkonzentrationen und Versorgungstransporte, Munitionsdepots und Treibstofflager, Straßen, Raffinerien), der Erhöhung der Flugfrequenzen, des Einsatzes von Kampfhubschraubern gegen Bodentruppen und der Verhängung einer Seeblockade konnte sich Gaddafi in seiner Hochburg Tripolis behaupten. Mitte August war noch kein Ende der Kämpfe abzusehen. Früher oder später wird Gaddafi sicherlich aufgeben müssen, aber zurück bleibt ein zerstörtes Land, dessen Zukunft ungewiss ist. Was hatte Sarkozy zu seiner Fehlentscheidung veranlasst? Handelte er primär aus persönlichen und innenpolitischen, oder aber aus außen- und geostrategischen Überlegungen? Welche Rolle spielten wirtschaftliche Interessen? Vorwände und Motive der französischen Initiative In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin L’ Express vom 4. Mai 2011 nannte Sarkozy im wesentlichen drei Gründe für seine Entscheidung: den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, das Engagement für die Demokratie und den Schutz der Zivilbevölkerung. Frankreich sei seit den 80er Jahren Zielscheibe von Terroristen gewesen. Es habe sich diesen entschlossen widersetzt und keine ihrer Forderungen erfüllt. Zwischen dem Terrorismus und der Demokratie sei ein Kompromiss nicht möglich. Gegen diese mittelalterliche Form der Barbarei gäbe es nur den Frontalangriff, ohne Zugeständnisse. Demokratie sei die beste Antwort auf den Terrorismus. Frankreich müsse deshalb den demokratischen Aufbruch in den arabischen Ländern mit aller Kraft unterstützen. Von Charles de Gaulle bis Jacques Chirac habe es mit den autoritären Regimen in der arabischen Welt kooperiert, um die Stabilität dieser Weltregion zu sichern. Die Volkserhebungen in Tunesien und in Ägypten aber hätten Frankreich zum Umdenken gezwungen. Heute unterstütze es die arabischen Freiheitsbewegungen „Wenn ein Volk seine Freiheit einfordert, steht Frankreich künftig an seiner Seite. Stabilität ist ein Ziel, das man mit Hilfe von De- 200 Actuelles mokratie und Achtung der Menschenrechte erreichen kann; sie ist nicht mehr ein Zustand, den es zum Preis von so viel Ungerechtigkeit aufrecht zu erhalten gilt.“ 1 Die Intervention in Libyen sei jedoch nicht nur zur Förderung der Demokratie, sondern auch zum Schutz der Zivilbevölkerung notwendig gewesen. Hätte Frankreich nicht eingegriffen, wäre es in Bengasi zehnmal schlimmer ausgegangen als damals in Srebrenica. „Bengasi zählt nahezu eine Million Einwohner und Gaddafi hätte seine Drohung wahr gemacht, so gnadenlos vorzugehen wie in Misrata, wo er die Zivilbevölkerung blind bombardiert hat.“ 2 Alle drei Argumente erscheinen stichhaltig, bei näherem Hinschauen jedoch als problematisch. Gewiss war Gaddafi für Terroranschläge gegen den Westen verantwortlich, so für das von Lockerbie am 21.12. 1988 und gegen ein Flugzeug der französischen Fluglinie UTA im September 1989. Aber seine Motive waren nationalistisch, nicht islamistisch, können also nicht unter dem Sammelbegriff des Islamismus (Al-Quaida) subsumiert werden, der die Sicherheit des Westens bedroht. Außerdem wurden die Streitfragen zwischen Libyen und dem Westen, die zu den Terroranschlägen geführt hatten, nach langwierigen Verhandlungen geregelt, die internationale Isolierung Gaddafis aufgehoben. Der autoritäre, repressive Charakter des Gaddafi-Regimes war danach für Frankreich kein Grund, mit diesem keine engen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu unterhalten. Erst der Erfolg der Protestbewegung in Tunesien und Ägypten führte zu einer Änderung der französischen Haltung. Ihre Unterstützung liegt sicherlich im arabischen und europäischen Interesse, der gewaltsame Demokratieexport ist dagegen kontraproduktiv, wie die amerikanische Irakintervention von 2003 gezeigt hat. Auch die moralische Rechtfertigung der militärischen Intervention durch die Notwendigkeit des Schutzes der libyschen Zivilbevölkerung erscheint problematisch, da deren menschlichen und materiellen Kosten beträchtlich sein dürften, wie das Beispiel des Kosovokrieges gezeigt hat. Außerdem handelte es sich um einen Vorwand, wie sich im Verlauf der westlichen Militäraktion rasch zeigte. In Wahrheit ging es von Anfang an um die Erzwingung eines Regimewechsels durch den Sturz Gaddafis. Dieser ist aber durch die UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011 nicht gedeckt. Angesichts der Problematik der offiziellen Rechtfertigung der französischen Initiative zur militärischen Intervention in den libyschen Bürgerkrieg stellt sich die Frage nach den wahren Motiven Sarkozys. Im Präsidentschaftswahlkampf von 2008 hatte dieser einen „Bruch“ mit der Außenpolitik seines Vorgängers, Jacques Chirac, angekündigt. Geändert hat er aber lediglich deren Stil. An die Stelle ruhigen Handelns, das sorgfältig alle Argumente pro und contra eine Aktion abwägt, sind spontane, sich oft widersprechende Entscheidungen getreten, die sich an kurzfristigen Kalkülen orientieren. Sie entsprechen Sarkozys sprunghaftem Charakter, sie entspringen aber auch einer strukturellen Notwendigkeit der französischen Außenpolitik. Als Mittelmacht mit weltweiten Ambitionen hat Frankreich unter den gegenwärtigen Bedingungen des internationalen Systems nur eine Chance, gehört 201 Actuelles zu werden, wenn es geschickt plötzlich auftretende Gelegenheit nutzt, um sich als Führungsmacht zu profilieren. Schnelles Handeln ist daher geboten. Dieses schien auch aus innenpolitischen Gründen notwendig. Sarkozy will sich bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr zur Wiederwahl stellen. Bei Meinungsumfragen über die Intentionen der Wähler stand er Anfang 2011 aber nur an dritter Stelle hinter dem damaligen aussichtsreichen sozialistischen Kandidaten für die Kandidatur, Dominique Strauss-Kahn sowie der nationalistischen Kandidatin Marine Le Pen. Von einem diplomatischen Erfolg könnte er sich eine Verbesserung seiner Wahlchancen versprochen haben. So wichtig diese persönlichen Motive auch gewesen sein mögen, so scheinen doch außenpolitische Motive ausschlaggebend gewesen zu sein. Stellt man Sarkozys Interventionsentscheidung in den Gesamtzusammenhang der französischen Außenpolitik, dann werden deutlich Traditionslinien erkennbar. Die wichtigste von diesen ist die sogenannte „arabische Politik“ seit den sechziger Jahren. Die arabische Politik Frankreichs Als Teil seiner nationalen Unabhängigkeits- und Großmachtpolitik strebte de Gaulle nach dem Ende des Algerienkrieges (1962) eine Stärkung des französischen Einflusses in der arabischen Welt an. Er wolle dadurch einerseits den Verlust der französischen Kolonialherrschaft über Syrien und den Libanon sowie über Nordafrika kompensieren, andererseits die französische Position gegenüber den Vereinigten Staaten verbessern. Die arabische Welt bot sich als französisches Einflussgebiet besonders aus geographischen, historischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen an. Seit der arabischen Eroberung der östlichen und südlichen Mittelmeergebiete im 7. und 8. Jahrhundert sind Franzosen und Araber/ Berber Nachbarn. Diese Nachbarschaft hat intensive Interaktionen zur Folge. Nach der Abwehr des arabischen Vorstoßes in Frankrenreich durch Karl Martell bei Tours-Poitier 732 erfolgte der französische Gegenstoß während der Kreuzzüge des 11. und 12. Jahrhunderts, die zur Errichtung „fränkischer“ Herrschaften im Nahen Osten führten. Diese konnten sich zwar nicht lange behaupten, prägten aber das historische Gedächtnis. Nach Napoleons ägyptischem Feldzug von 1797 setzten sich die Franzosen im Zuge der europäischen Kolonialexpansion des 19./ 20. Jahrhunderts zunächst in Nordafrika, dann im Nahen Osten fest. 3 Ihr Versuch, durch den Bau des Suezkanals auch in Ägypten Fuß zu fassen, scheiterte am britischen Widerstand. Das Mittelmeer wurde kein französisches Meer, sondern eine britisch-französische Konfliktzone. Daran änderte auch das Bündnis im Krimkrieg (1854-1856) gegen Russland und die Entente cordiale gegen Deutschland (1904) nichts. Noch 1943-1945 kam es zu einem britisch-französischen Konflikt über Syrien und den Libanon. Erst während der Entkolonisierung der 50er Jahre begruben beide Kolonialmächte ihre Mittelmeerrivalität und intervenierten während der Suezkrise von 1956 gemeinsam in Ägypten. Allerdings ohne Erfolg, da sich die USA 202 Actuelles und die Sowjetunion ihrer Intervention diplomatisch widersetzten. Von nun an dominierten die beiden Supermächte den Mittelmeerraum und damit auch weitgehend die arabische Welt. Dort hatten sich nach der Entkolonisierung Nationalstaaten gebildet, die im Inneren instabil und untereinander verfeindet waren. Sie boten daher ausländischen Einflüssen Tür und Tor. Überschattet aber wurden die innerarabischen Rivalitäten durch den Nahostkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. In diesem nahm Frankreich zunächst eine pro-israelische Haltung ein. Es belieferte Israel mit schweren Waffen (Panzer, Flugzeuge), unterstützte es diplomatisch und kooperierte mit ihm während der Suezintervention 1956. 4 Den gemeinsamen Gegner bildete der arabische Nationalismus mit seinem Zentrum Ägypten unter Nasser. Auch de Gaulle setzte nach seiner Rückkehr an die Macht im Mai 1958 zunächst die pro-israelische Politik der IV. Republik fort. Nach dem Ende des Algerienkrieges 1962 begann er jedoch langsam, einen grundlegenden Kurswechsel anzustreben. Am Vorabend des Sechs-Tage-Krieges von 5.-10. Juni 1967 warnte er Israel vor einem Waffengang. Als dieses dann auf die ägyptische Blockade des Golfs von Akkaba doch mit einer militärischen Offensive antwortete, verhängte er ein Waffenembargo gegen dieses und stimmte am 22. November für eine UN-Resolution, die den israelischen Rückzug auf die Vorkriegsgrenzen forderte. In seiner Pressekonferenz vom 27. November verurteilte er scharf das israelische Vorgehen und begründete seine Unterstützung der Araber mit historischen Argumenten. Trotz heftiger innerfranzösischer Proteste hielt er an seinem pro-arabischen Kurs fest. 5 Die „arabische Politik“ war geboren. Sie beruhte offiziell auf den Prinzipien der Selbstbestimmung, der Souveränität, der Nichteinmischung, der Partnerschaft und der Kooperation, im Kern auf der französischen Unterstützung des arabischen Nationalismus. Ihren internationalen Kontext bildete der Ost-West-Konflikt und die daraus resultierende sowjetisch-amerikanische Rivalität im Nahen Osten, ihre Voraussetzung das französische Streben nach Unabhängigkeit und Weltgeltung, ihre Basis der Tausch von Waffen gegen Erdöl. Zwischen allen drei Dimensionen bestand ein enger Zusammenhang. Im Interesse seiner nationalen Unabhängigkeitspolitik unterhielt Frankreich eine überdimensionierte nationale Rüstungsindustrie, deren Rentabilität nur durch massive Rüstungsexporte gesichert werden konnte. Infolge der amerikanischen Dominanz in der westlichen Welt und der sowjetischen im Ostblock waren diese praktisch nur in die Länder der Dritten Welt möglich. Diese boten sich als Käufer an, da sie selbst ihren Bedarf an hochentwickelter Militärtechnik nicht decken konnten, rüstungspolitisch aber von den Supermächten nicht abhängig sein wollten. De Gaulles Unabhängigkeitspolitik erforderte aber auch eine unabhängige Energieversorgung. Nach dem Verlust der algerischen Erdölquellen kamen für diese nur die arabischen Erdölproduzenten in Frage, da diese ihre Abhängigkeit von den angloamerikanischen Erdölgesellschaften lockern wollten, ohne in die Abhängigkeit von der Sowjetunion zu fallen. Frankreich und die arabischen Staaten schienen daher nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ideale Partner. In der Praxis erwies sich die arabische Politik jedoch weitgehend als Fehlschlag. Sie belastete die fran- 203 Actuelles zösischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, ohne Frankreich erkennbare Vorteile zu bringen. Trotzdem hielten de Gaulles Nachfolger an ihr fest. Ihnen gelang es, die Beziehungen zum Maghreb zu normalisieren und im Nahen Osten, insbesondere im Irak sowie in Syrien, Fuß zu fassen. Im Libanon erlitten sie dagegen eine schwere Niederlage. Frankreichs Ressourcen reichten für eine Führungsrolle nicht aus. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts 1990 änderte sich der internationale Kontext der französischen Nordafrika- und Nahostpolitik grundlegend. An die Stelle der amerikanisch-sowjetische Rivalität trat in der arabischen Welt die amerikanische Dominanz. Dies zeigte sich eindeutig während der ersten Golfkrieges 1991. Unter amerikanischer Führung beteiligten sich an ihm 750 000 Soldaten aus 30 Ländern. Die USA stellten 500 000, die Briten 40 000, die Franzosen aber nur 12 000 Mann. Das französische Kontingent war auf die logistische und informationelle Unterstützung der Amerikaner angewiesen. Da die französischen Kampfflugzeuge über kein Nachtradar verfügten, waren sie nachts blind. Entsprechend gering war der französische Einfluss auf die Regelung der Nachkriegsordnung. Die „arabische Politik“ hatte sich erneut als Fehlschlag erwiesen. 6 Im zweiten Golfkrieg von 2003 schwankte Chirac zunächst zwischen Teilnahme und Enthaltung. Er wollte einerseits den französischen Einfluss sowie die hohen französischen Investitionen im Irak retten, andererseits aber diesmal an der Nachkriegsregelung beteiligt werden. Schließlich entschied er sich für die Nichtintervention und fand dabei die Unterstützung Deutschlands und Russlands. So bildete sich aus Anlass der Irakfrage eine Achse Paris-Berlin-Moskau, von der de Gaulle einst geträumt hatte, die aber in Washington und London keineswegs goutiert wurde. Dank ihrer eindeutigen militärischen Dominanz konnten sich die Amerikaner mit Hilfe von „Willigen“ des Atlantischen Bündnisses, unter ihnen Großbritannien, Spanien, Italien sowie Polen, durchsetzen, aber noch heute ist der Irak weit von einer inneren Stabilisierung entfernt. Frankreich hatte somit durchaus richtig gehandelt, aber auf die Nachkriegsregelung nahm es abermals keinen Einfluss. Als Sarkozy 2008 die Nachfolge Chiracs antrat, hatte sich der internationale Kontext abermals gewandelt. Die USA, die nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes eindeutig das internationale System dominierten, hatten infolge des Aufstiegs der Schwellenländer, insbesondere Chinas sowie infolge innerer Probleme, insbesondere der horrenden Staatsverschuldung, seit Beginn des neuen Millenniums weltweit an Einfluss verloren. Sie bildeten zwar nach wie vor die größte Wirtschafts- und Militärmacht der Welt, aber sie waren nicht mehr überall fähig, allein zu handeln, sondern auf die Unterstützung von Verbündeten angewiesen, so z.B. in Afghanistan. Dies erweiterte den außenpolitischen Handlungsspielraum europäischer Mächte mit weltweiten Ambitionen. Allerdings sind diese aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen und ihrer inneren Verfassung nicht in der Lage, größere internationale Konflikte zu bewältigen Sie sind dafür nach wie vor auf fremde, d.h. in der Regel amerikanische Hilfe angewiesen, wie die jugoslawischen Nachfolgekriege, so im Kosovo, zeigten. 204 Actuelles Sarkozy reagierte auf den veränderten internationalen Kontext, indem er sich den USA wieder annäherte, Frankreich in die integrierte Kommandostruktur der NATO zurückführte und das französische Engagement in Afghanistan verstärkte, gleichzeitig aber die französische Einflußpolitik in der arabischen Welt forcierte. Er pflegte nicht nur wie seine Vorgänger die privilegierte Beziehungen zu den ehemaligen französischen Besitzungen in Nordafrika und im Nahen Osten - Algerien, Marokko und Tunesien sowie Syrien und den Libanon - sondern bemühte sich auch um die Intensivierung der Kontakte zu Ägypten, Saudi-Arabien, Libyen und den Golfstaaten. So vereinbarte er die Errichtung eines französischen Flottenstützpunktes in Abu Dhabi, um auch am Persischen Golf präsent zu sein. Er gab damit zu verstehen, daß Frankreich auch im postkolonialen Zeitalter in dieser Weltregion eine aktive Rolle spielen wolle. Im Nahostkonflikt bekannte er sich wie seine Vorgänger wiederholt nachdrücklich zum Existenzrecht Israels, kritisierte jedoch dessen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten und das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen. Er befürwortet eine Zwei-Staaten-Lösung des Konflikts und ist bereit, einen Palästinenserstaat anzuerkennen, falls die Vereinten Nationen dessen Gründung beschließen sollten. Weit entschiedener als Chirac widersetzte er sich jedoch dem iranischen Atomprogramm. Er handelte dabei in der Überzeugung, dass die atomare Bewaffnung des Iran eine ernsthafte Gefahr nicht nur für Israel, sondern für den gesamten Nahen und Mittleren Osten und damit für den dortigen französischen Einfluss bilden würde. Auch in den Methoden seiner arabischen Politik folgte Sarkozy weitgehend den Spuren seiner Vorgänger. So bediente er sich ebenfalls neben der kulturellen Penetration vor allem des wirtschaftliche Austausches. Allerdings wollte er die Palette des französischen Warenangebots um eine nukleartechnische Komponente erweitern. Er folgte damit ähnlich wie beim Rüstungsexport einem Imperativ der französischen Unabhängigkeits- und Großmachtpolitik. Diese erfordert nicht nur den Besitz von Nuklearwaffen, sondern auch die weitgehend Sicherung der nationalen Energieversorgung durch Atomstrom, um die Abhängigkeit von ausländischen Energieeinfuhren so weit wie möglich zu verringern. Die französische Nuklearindustrie beruht auf einer hochentwickelten Nukleartechnik, deren hohen Kosten nicht allein vom französischen Binnenmarkt aufgebracht werden können. Ihr Export ist somit eine politisch bewirkte wirtschaftliche Notwendigkeit. Eingebettet waren Sarkozys Beziehungen zur arabischen Welt in seine Mittelmeerpolitik. Hier strebte er die Gründung einer Mittelmeerunion an, um die Beziehungen zur arabischen Welt zu institutionalisieren. Es handelte sich dabei um ein altes Projekt, das bereits der vorletzte Premierminister der untergehenden IV. Republik, Felix Gaillard 1957/ 58 verfolgte, um das Algerienproblem zu lösen. An seiner Verwirklichung beteiligte Sarkozy zwar die europäischen Anrainer des Mittelmeeres einschließlich des atlantischen Portugals, nicht jedoch die nördlichen und östlichen EU-Mitglieder. Es bedurfte der energischen Intervention der deutschen Bundeskanzlerin, damit auch die übrigen EU-Mitglieder in Fortsetzung des 205 Actuelles Barcelona-Prozesses an dem Projekt beteiligt wurden. Dadurch vergrößerten sich zwar dessen Erfolgsaussichten, es verminderte sich jedoch seinen Wert für die Durchsetzung spezifischer französischer Interessen. Im Jahre 2009 wurde es unter dem Namen „Union für das Mittelmeer“ mit großem Pomp in Paris verwirklicht. Den Vorsitz der Union übernahm Sarkozy, der ägyptische Staatspräsident Mubarak sollte ihm folgen. Ständige Institutionen, so ein permanentes Sekretariat, sollten für ihre Funktionsfähigkeit sorgen. Aufgrund des noch immer ungelösten Nah-Ost- Konflikts und der innerarabischen Gegensätze war die Union von Anfang an ein totgeborenes Kind. Ihre Gründung zeigte jedoch, dass Sarkozys Ambitionen im Mittelmeerraum weit über die seiner Vorgänger hinausgingen. Sonderfall Libyen Ein Sonderfall der französisch-arabischen Beziehungen bildet Libyen. Geostrategisch ist es die Landbrücke zwischen dem französisch geprägten Maghreb und dem britisch-amerikanisch geprägten Nahen Osten. In den europäischen Rivalitäten um die Kontrolle Nordafrikas vor dem 1. Weltkrieg konnte sich Frankreich zwar in Tunesien (1889) durchsetzen, aber Libyen fiel 1911 mit britischer Unterstützung an Italien. Damit wurde das weitere französische Vordringen nach Ägypten blockiert. Nach dem de facto Ende der italienischen Kolonialherrschaft 1943 geriet das seit 1945 formal selbständige Libyen zunächst in britische, dann in amerikanische Abhängigkeit. Aus dieser befreite es erst Gaddafi nach seinem Staatsstreich vom 8. September 1969 durch die Verstaatlichung der Erdölgesellschaften, die Beschränkung ausländischer Kapitalbeteiligungen an einheimischen Unternehmen auf 49 Prozent und die Schließung des amerikanischen Militärstützpunktes im Norden von Tripolis. Er wurde dabei von Frankreich unterstützt, das ihm wie anderen arabischen Ländern Waffen gegen Erdöl verkaufte. So lieferte es 1970 hundert Kampfflugzeuge und schloss in den Jahren 1971-1973 Kooperationsabkommen über 900 Millionen Francs. Ferner bauten französische Staatsunternehmen ein Elektrizitätswerk in West-Tripolis. Im November 1973 besuchte Gaddafi zum ersten Mal Paris. Er forderte Hilfe beim Aufbau einer einheimischen Atomindustrie oder die Lieferung von Atomwaffen. Da Frankreich beides ablehnte, kühlten sich die französisch-libyschen Beziehungen merklich ab. Sie verschlechterten sich weiter durch Gaddafis aggressive Afrikapolitik, insbesondere durch seine Einfälle im Tschad und seine massive Unterstützung schwarzafrikanischer Rebellenbewegungen. Im Namen der afrikanischen Einheit wollte er sich zum Führer Schwarzafrikas aufschwingen und verletzte dadurch vitale französische Interessen. 7 Frankreich betrachtete das frankophone Afrika, die Franceafrique, nach dem Ende seiner formalen Kolonialherrschaft 1959/ 60 als sein „reserviertes Jagdgebiet“, das es nicht mit anderen Mächten teilen wollte. Der Konflikt mit Gaddafi war daher unvermeidlich. Er erreichte seinen Höhepunkt mit dem libyschen Anschlug auf eine französisches Flugzeug über Zentralafrika 1989. Daraufhin kam es zum offenen Bruch. 206 Actuelles Frankreich beteiligte sich an den internationalen Sanktionen gegen Libyen und nahm erst nach deren Aufhebung 2002 wieder die Beziehungen auf. Seither konkurrierte es mit Italien, Großbritannien, den USA und Rußland um libysche Großaufträge, insbesondere im Rüstungsbereich. Dabei hatte es allerdings oft gegenüber Italien das Nachsehen. Im Rahmen seiner Mittelmeerpolitik nahm Sarkozy einen neuen Anlauf zur Verbesserung der französisch-libyschen Beziehungen. Kurz nach seinem Amtsantritt empfing er Gaddafi in Paris und rollte für ihn den roten Teppich aus. Er ertrug dessen exzentrisches Betragen und erlaubte ihm, sein Beduinenzelt in den Gärten des Elyseepalastes aufzustellen. Mit solchen diplomatischen Gesten hoffte er, den unberechenbaren Libyer in seine Mittelmeerpolitik einbinden und so die Landbrücke zwischen dem französisch geprägten Maghreb und dem Nahen Osten schließen zu können. Die ökonomische Grundlage sollte nicht nur wie früher der Tausch von Waffen gegen Erdöl sein. Vielmehr wollte ihm Sarkozy auch modernste französische Nukleartechnik verkaufen, was seine Vorgänger noch abgelehnt hatten, da Gaddafi sie sicherlich nicht nur für friedliche Zwecke genutzt hätte. Seine Bemühungen um den libyschen Machthaber waren jedoch nur teilweise erfolgreich, da es ihm nicht gelang, diesen in seine Mittelmeerpolitik einzuspannen. Hierin liegt wahrscheinlich ein wesentlicher Grund, weshalb Sarkozy nach dem Übergreifen der arabischen Protestbewegung auf Libyen seine Haltung gegenüber Gaddafi radikal änderte. Aus dem einst umworbenen potentiellen Partner wurde nun plötzlich ein Todfeind, den es gewaltsam zu stürzen galt. Im Februar/ März 2011 bemühte sich die französische Diplomatie mit britischer Unterstützung erfolgreich um die Bildung einer internationalen Interventionskoalition, deren wichtigsten Mitglieder neben Frankreich Großbritannien und die USA wurden. Gedeckt wurde die Intervention durch die UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011, die es erlaubte, „ alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um von Angriffen bedrohten Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebieten zu schützen. “ Es zeigt sich jedoch bald, dass das eigentliche Ziel der Intervention nicht der Schutz der Zivilbevölkerung, sondern der Sturz Gaddafis war. Dieses Ziel konnte auch nach fünf Monaten intensiver Luftangriffe auf die Truppen Gaddafis und die Infrastruktur seines Herrschaftsbereiches nicht erreicht werden. Angesicht der zahlreichen moralischen, politischen, menschlichen, wirtschaftliche und psychologischen „Kollateralschäden“ ist die bisherige Bilanz der Intervention für Frankreich eher negativ. Bilanz der französischen Interventionsinitiative 1. Die führende Rolle bei der Vorbereitung und Durchführung der Intervention diskreditierte Frankreich moralisch, da dessen wahre Zielsetzung weit über die humanitäre Intention der UN-Resolution 1973 vom 17. März 2011 hinausgeht. In ihrer Unbestimmtheit lässt diese zwar eine weite Auslegung zu, sie rechtfertigt