eJournals lendemains 36/142-143

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
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2011
36142-143

Stadt-Wissen: Überlegungen zu Stadkonstruktionen in der Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers (1750-1772)

2011
Karen Struve
ldm36142-1430136
134 Dossier 1 Voir la synthèse toujours stimulante de Roger Chartier, Guy Chaussinand-Nogaret, Hugues et Emmanuel Leroy-Ladurie: Histoire de la France Urbaine, tome III: La ville classique de la Renaissance aux Révolutions, Paris, Editions du Seuil, 1981; rééd. La Ville des temps modernes, Paris, Editions du Seuil, coll. „Points/ Histoire“, 1998, et plus particulièrement la première partie, „La ville dominante et soumise“. 2 Alexandre Le Maître: La Métropolitée, ou De l’établissement des villes capitales, de leur utilité passive et active, de l’union de leurs parties et de leur anatomie, de leur commerce, etc., Amsterdam, B. Boekholt, pour J. Van Gorp, 1682, 5-6. Comme pour les autres citations de cet article, nous avons modernisé l’orthographe. 3 Cf. Volker Klotz: Die erzählte Stadt. Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis Döblin. Reinbek/ Hamburg: Rowohlt, 1987 [1969]. 4 Antoine Furetière: Le Roman bourgeois, 1666-1667, éd. Jacques Prévot, Paris, Gallimard, coll. „folio/ classique“, 1981, pour tous les passages que nous commenterons dans la présente étude. Sauf indication contraire, les italiques sont de notre fait. 5 Le Roman bourgeois est d’ailleurs sous-titré „ouvrage comique“. 6 Cf. Charles Sorel: Histoire comique de Francion, Paris, Gallimard, 1996 [édition 1633]. 7 Furetière, 29-31. 8 Ibid. 9 Ibid. 10 La rupture esthétique qu’introduisirent les œuvres des romanciers comiques du XVII e siècle pourrait être comparée à celle que provoqua, dans le paysage du cinéma français, l’irruption des cinéastes de la „Nouvelle vague“. C’est aussi pour donner à entendre et voir la vraie ville qu’ils abandonnèrent l’ambiance feutrée des studios, les décors recréés, le son propre, etc. 11 Furetière, 29-31. 12 Ibid. 13 Pierre de Marivaux: L’Indigent philosophe, in: Journaux 2, éd. Marc Escola, Erik Leborgne, Jean-Christophe Abramovici, Paris, Flammarion, coll. „GF“, 2010. 14 Denis Diderot: Le Neveu de Rameau, introduction Jean-Claude Bonnet, Paris, Flammarion, coll. „GF“, 1983. 15 En particulier: Jean Cayrol: Je vivrai l’amour des autres, 1947, in Œuvre lazaréenne, 1947-1959, Paris, Seuil, coll. „Opus“, 2007. 16 Habitude dont s’offusqueront encore, à la fin du XVIIIe siècle, les auteurs du Dictionnaire historique de la ville de Paris: „Avant que de finir cet article, on remarquera, que quoique la statue d’Henri IV soit parfaitement belle, et que la figure du cheval ait de grands défauts; cependant un usage ridicule fait qu’en parlant de ce monument, on dit toujours le cheval de bronze, sans dire un seul mot de la statue du Grand Henri“ (Pierre-Thomas Hurtaut, Nicolas Magny, Dictionnaire historique de la ville de Paris et de ses environs, art. Place d’Henri IV, Paris, Moutard, 1779, t. IV, 47). Résumé: Jean-Christophe Abramovici, problematisiert in Die unsichtbare Stadt: Zum Problem der Repräsentation des Realen im Roman der Klassik die These von der „Unsichtbarkeit der Stadt“ im Roman des 18. Jahrhunderts, die er anhand von Furetières Le roman bourgeois (1666) verdeutlicht. Dieser Roman ist zentral im Spannungsfeld zwischen bürgerlichem Bewusstsein, literarischer Konvention und Repräsentation des Realen angesiedelt, woraus sich für die Stadtkonstruktion eine paradoxe Situation ergibt. Anhand einiger Passa- 135 Dossier gen über die Stadtbewohner als bürgerliche Protagonisten zeigt Abramovici auf, dass der Autor seine Romanhandlung zwar in Paris auf einem berühmten Platz ansiedelt, sich aber explizit einer konkreten Beschreibung der Schauplätze verweigert. Die Gründe dafür liegen einerseits im literarischen Text selbst, wo die Deskription der realen Stadt im Sinne bürgerlicher Einfachheit und Ehrlichkeit auf die genrebedingte Forderung auf Unterwerfung unter literarische, und hier besonders: theatralische Codes früherer höfischer und dekorativer Ausschmückung trifft, was zum Paradox der allgegenwärtigen aber „unsichtbaren Stadt“ führt. Andererseits sieht Abramovici die Absenz der Stadt in der Repräsentation darin begründet, dass der Autor Furetière zögert, sich mit der literarisch repräsentierten Bourgeoisie zu identifizieren. 136 Dossier Karen Struve Stadt-Wissen: Überlegungen zu Stadkonstruktionen in der Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers (1750-1772) 1. Brisantes Stadt-Wissen Im Winter 1757/ 58 wird das große Wissensprojekt der französischen Aufklärung, die Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers unter der Herausgabe von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert, von einer der schwersten Krisen ihrer Geschichte erschüttert. Auslöser ist der von d’Alembert verfasste Eintrag über die Stadt Genf, welcher hitzige Debatten und zahlreiche empörte Briefe nach sich zieht und beide Herausgeber schließlich entzweien sollte. Warum lässt sich über einen Eintrag in einer Enzyklopädie über die objektive Beschreibung einer realen Stadt so vortrefflich streiten? Der unauflösliche Dissens zwischen Diderot und d’Alembert, der nicht zuletzt von Voltaire ausgelöst und befeuert wird, 1 gründet auf einen ersten Blick auf inhaltlich-faktischen Streitpunkten: Die Herausgeber sind sich über die Qualität und vor allem die Richtigkeit der Aussagen im „GENEVE“-Eintrag über die Priester und Pastoren und die Kunstwelt uneinig. Ein Blick auf die strukturelle Anlage des Disputs zeigt aber vielmehr, dass es hier nicht um objektive oder gar neutrale Beschreibungen geht und selbst der Referent der Stadt Genf weniger disponibel und intelligibel ist, als er zu sein scheint. An dieser Auseinandersetzung lässt sich nachvollziehen, in welchem Maße die Encyclopédie ein Politikum und damit eine intentionale Konstruktion darstellt. Denn selbst in einem Artikel über eine Stadt, welcher vordergründig nicht die philosophischen Kernthemen der Aufklärung behandelt, ist die diskursive Konstruktion des Wissens - und hier: der zeitgenössischen Welt mit ihren Städten - im Rahmen der Encyclopédie als eines der Schlüsselwerke der Aufklärung erkennbar. Die in der Encyclopédie angestrebte Kartografierung (des Wissens) der Welt in einer „mappemonde“ 2 (so d’Alembert in seinem Discours préliminaire), hebt zwar, gestützt durch die geografische Metaphorik, auf die Neutralität und Objektivität der Wissensbeschreibung ab, lässt aber bei genauerem Hinsehen den Konstruktcharakter des Diskurses, d.h. die Bewertungen und diskursiven Ein- und Ausschließungsmechanismen, umso deutlicher aufscheinen. Damit ist die Perspektive des folgenden Beitrags benannt: der diskursive Zusammenhang von Wissens- und Stadtkonstruktionen. 3 Der Zusammenhang von Wissensformationen und Stadtbeschreibungen in der Encyclopédie erschöpft sich dabei keineswegs, wie dies noch anhand des Artikels „GENEVE“ gezeigt wird, in der politisierten bzw. philosophisch-pädagogischen 137 Dossier Schilderung verschiedener Städte der Vergangenheit und Gegenwart. Die Stadt bietet sich überdies als Allegorie für eine bestimmte Systematisierung von Wissen innerhalb des enzyklopädischen Projektes selbst an. Um diese Beschreibung der Herstellung/ Gestaltung von Wissen - Wissen als Stadt -, das mittels urbaner Metaphorik exemplifiziert, aber eben auch plausibilisiert werden soll, wird es im ersten Teil des vorliegenden Beitrags gehen. Im zweiten Teil soll die diskursive Konstruktion von Stadtdarstellungen in der Encyclopédie näher in den Blick genommen werden. Die faktische wie rhetorische Vermittlung des zeitgenössischen Wissens über Stadt wird zunächst anhand der Einträge zu den Lemmata „PARIS“ und „VILLE“ skizziert und strukturell analysiert. Dabei werden die Wissenskonstruktionen in der Encyclopédie nicht als mimetische, objektive oder gar neutrale Abbildungen von Wirklichkeit verstanden, sondern ihre diskursive Gemachtheit in den Blick genommen. In einem weiteren Schritt wird der Artikel zur Stadt Genf herangezogen, um die diskursive Konstruktion des Stadtbildes im Sinne der politischen und aufklärerischen Ziele der Enzyklopädisten aufzuzeigen. Schließlich werden Artikel zu Städten untersucht, die nicht nur selbst Konstruktionen darstellen, sondern sich sogar auf konstruierte, d.h. imaginierte Städte beziehen und die Dimension der Referenzialität als Narrativ von Wirklichkeit im 18. Jahrhundert außer Kraft setzen. 2. Stadt-Wissen: Wissen als Stadt Der Aufbau und die Formierung einer Enzyklopädie, so schreibt Diderot im gleichnamigen Eintrag, sind wie die Planung und Gründung einer Stadt: Il n’en faudroit pas construire toutes les maisons sur un même modele, quand on auroit trouvé un modele général, beau en lui-même & convenable à tout emplacement. L’uniformité des édifices, entraînant l’uniformité des voies publiques, répandroit sur la ville entiere un aspect triste & fatiguant. Ceux qui marchent ne résistent point à l’ennui d’un long mur, ou même d’une longue forêt qui les a d’abord enchantés.4 Interessanterweise folgt Diderot hier nicht den Beschreibungen einer idealen Stadt, die, wie weiter unten ausgeführt wird, auf Symmetrie und Gleichförmigkeit geradezu besteht, sondern betont den Charakter der Abweichung von einem grundlegenden Modell, um die Leserschaft nicht zu langweilen. Neben dem Anspruch den Leser zu unterhalten mag die Ablehnung der Uniformität der Artikel vermutlich auch dem Ziel geschuldet sein, die Encyclopédie nicht wie ein ideales und damit realitätsfernes Projekt aussehen zu lassen, sondern durch eine facettenreiche Rhetorik und Stilistik die Referenzialität zu unterstreichen. Die Diskrepanz zwischen der Stadt als Strukturmodell und der Stadt als partikulare Variante wird in der Analyse der Artikel „VILLE“ und „PARIS“ noch näher untersucht. Die Stadt als Allegorie für die Formierung des Wissens in der Enzyklopädie scheint mir keineswegs willkürlich für die Wissenskonstruktion gewählt; die Meta- 138 Dossier phorik für die Konstruktion des Wissens ist in der Encyclopédie oftmals raumaffin und weist in gewisser Weise „eine Neigung, Segmente des Wissens kartographisch zu umreißen und räumlich darzustellen“ auf, wie Robert Darnton es formuliert 5 - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der enzyklopädischen Tradition, der Memoria-Lehre bzw. Mnemotechnik. 6 Die Stadt bietet sich in besonderem Maße für die Erläuterung der ‚Architektur des Wissens an, denn sie entstammt zum Ersten der Erfahrungswelt der Leserschaft und zielt damit auf eine allgemeinverständliche Anschaulichkeit. Die Stadt mit ihrer urbanen Lebens- und Arbeitswelt dient folglich als Bildspender: etwa mit ihren sozialen Komponenten der Menschenmasse, der arbeitsteiligen Organisation des Handwerks, der Markt- und Gerichtstätigkeiten etc. Im Besonderen fungiert die Stadt auch als ‚Motor der Zivilisation’ und damit - wie im Falle von Paris - als intellektuelles Epizentrum der französischen und europäischen Aufklärung. Zum Zweiten wird also neben einer soziokulturellen und sozioökonomischen Dimension der ideologische, politische und generell aufklärerische Hintergrund aufgerufen, vor dem die Texte der Enzyklopädie entstehen. Die Allegorie der Stadt bezieht sich folglich auf die intellektuellen Schauplätze der französischen und europäischen Aufklärung, die eben nicht auf dem Lande zu finden sind. Die Stadt verweist zum Dritten auf die im Werk erstmals intendierte Verquickung von handwerklichem und intellektuellem Wissen, d.h. die rationale wie künstlerische Architektur von Menschenhand. Daran metaphorisch anschließend werden auch die ‚Bauprinzipien’ der Artikel innerhalb der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert an unterschiedlichen Stellen thematisiert; dabei geht es weitestgehend um den argumentativen Aufbau, die rhetorische Finesse und nicht zuletzt um die thematische Einpassung in dieses Vorzeigeprojekt der Vernunft und des modernen Menschen. Die Stadt-Metaphorik dient neben der Illustration der Wissensvermittlung innerhalb des Enzyklopädieprojektes auch der Erläuterung seiner rhetorischen Stilmittel wie etwa der Metapher selbst (als Figur der Verknüpfung von Wissensinhalten). Während zunächst im Eintrag „METAPHORE“ das Bild des Schlüssels eingeführt wird, um zu erklären, wie vorgelagerte Einsichten („connoissances préliminaires“) zu tieferen Erkenntnissen und zur Wissenschaft („sciences plus profondes“) führen, kommt der Stadt eine ähnliche Bedeutung für den Zutritt und Schutz des Königreichs zu: „On dit aussi d’une ville fortifiée qui est sur une frontiere, qu’elle est la clé du royaume, c’est-à-dire que l’ennemi qui se rendroit maître de cette ville, seroit à portée d’entrer ensuite avec moins de peine dans le royaume dont on parle.“ 7 Hier dringt das aufklärerische Credo abermals durch: Wer Wissen besitzt, kann die Welt erobern. 3. Stadt-Wissen: Wissen über die Stadt Städte- und Stadtbeschreibungen stellen einen nicht zu unterschätzenden Teil des von den Herausgebern als relevant erachteten, zeitgenössischen Wissens dar. Die 139 Dossier Suche nach dem Wort „ville“ führt zu über 50 Einträgen und insgesamt 10.000 Fundstellen in der gesamten Encyclopédie. Die Artikel über europäische (etwa Paris, Amsterdam oder Berlin) oder außereuropäische (etwa Mexiko, Moskau oder Peking) Städte sind dabei insofern aufschlussreich, als sie Wissensbestände und -systematisierungen dokumentieren, die ganz im Zeichen des aufklärerischen Projektes stehen. Dieser Konstruktcharakter ist interessanterweise besonders in jenen Artikeln augenfällig, die sich gerade durch einen starken Realitätsbezug bzw. eine vermeintlich eindeutige Referenzialität auszeichnen. Der Herstellung und Darstellung von Wissen über Städte kann man sich bspw. über den abstrakten Eintrag zum Begriff „Stadt“ nähern. Die Stadt stellt, so im Eintrag „VILLE“ von de Jaucourt, eine von Mauern umgrenzte Entität dar, deren Mauern, Häuser und Plätze, „[p]our qu’une ville soit belle“, 8 Symmetrie und Uniformität einhalten müssen. Diese ästhetischen Kriterien, die unmittelbar am Anfang des Eintrages stehen und in der Folge noch durch Kriterien des römischen Architekten Vitruv ergänzt werden, flankieren die Ausführungen zum idealen und geschlossenen Charakter der Stadt. Der nahezu anachronistische Verweis auf Vitruv, auf den schon Jean Ehrard hingewiesen hat, zeugt einerseits von der Editionsgeschichte der Encyclopédie: Der Band mit dem Artikel „VILLE“ erscheint weit nach vielen anderen alphabetisch vorgängigen Stadt-Artikeln und will daher vermutlich einen gewissen Abstraktionsgrad für sich in Anspruch nehmen. Die ahistorische, abstrakte und synthetisierende Funktion liegt dabei auf der Hand - und weniger eine „anticomanie“ des Autors. 9 Andererseits aber zeigt sich an der vermeintlich zeitlosen Ästhetisierung der Stadt das Projekt der Aufklärung mit seiner utopischen 10 Prägung des Stadtbildes. „[C]’est de myopie intellectuelle qu’il faut parler“, schreibt Ehrard sogar ironisch, „sur l’image réelle de la ville l’Encyclopédie paraît projeter une image mentale, des plus désuètes.“ 11 Diese Überlagerung der Bilder ist m.E. nicht so sehr einer intellektuellen Kurzsichtigkeit geschuldet als vielmehr einer intendierten diskursiven Konstruktion, in der einerseits die Vorstellung eines ‚realen Bildes nicht mehr haltbar ist und andererseits die Stadt unter Verweis auf Vitruv und einer - durchaus auch aus der Ikonografie inspirierten 12 - idealen Architektur als Stadt der Aufklärung generiert wird. Die (Un-)Sichtbarkeit der ‚realen Stadt, die weniger in der notwendigen Komplexitätsreduktion durch die Verschriftlichung begründet ist, sondern vielmehr der Überlagerung mit Stadtbildern einer idealen, aufgeklärten Stadt entspringt, ist analog auch im Eintrag etwa zur Stadt Paris unmittelbar nachzuvollziehen. In den Einträgen zu konkreten Städten generiert sich das Wissen über die Stadt u.a. über ihre geografische Positionierungen und Kartierungen durch die genaue Angabe der Längen- und Breitengrade. Der Positionierung der Stadt Paris wird im gleichnamigen Eintrag allerdings die Beschreibung ihrer Lage in Relation zu anderen europäischen Städten wie etwa Amsterdam, London aber auch Stockholm, Konstantinopel und Moskau hinzugefügt. Auf diese Weise ist Paris aber keineswegs relativ lokalisiert, sondern bildet vielmehr vor dem inneren Auge des Lesers das Zentrum, auf welches in unterschiedlichen Entfernungen andere europäische 140 Dossier Städte schauen. Die Zentralität dieser Perspektive verstärkt sich durch die Fortsetzung des Artikels, in der die historische Verankerung, die bedeutende Bevölkerungsdichte sowie der intellektuelle Einfluss betont werden. Diese Stadt hat nämlich maßgeblich zur Wissensproduktion beigetragen: Als Ort des politischen, intellektuellen bzw. philosophischen und künstlerischen Wissens brachte sie „plus de grands personnages, plus de savans, plus de beaux esprits que toutes les autres villes de France réunies ensemble“ 13 hervor. Damit sind vermutlich auch die Enzyklopädisten selbst gemeint, die zu einem großen Teil in Paris lebten. An der Länge des Artikels sowie der begeisterten Beschreibung der Stadt wird deutlich, dass Paris und das Projekt der Encyclopédie immanent miteinander verbunden sind. Paris ist, so Philip Blom, „die Bühne, auf der die gesamte Geschichte der Encyclopédie spielte“. 14 Im Hinblick auf die diskursive Konstruktion von Paris ist die Studie von Blom insofern interessant, als er für seine Beschreibung der Enzyklopädisten die Schilderung der Zustände in Paris wählt und sich mit dem berühmten Pariser Stadtplan der Zeit, dem „Plan Turgot“ von 1739, auseinandersetzt. 15 Blom zeigt anhand des Stadtplanes, wie augenfällig die Diskrepanz zwischen einer vermeintlich objektiven, mimetischen Darstellung der Straßenzüge und der ländlichen angrenzenden Dörfer auf der Landkarte einerseits und den Schilderungen von Zeitgenossen andererseits ist. Für die im vorliegenden Beitrag angelegte Perspektive auf die Konstruktionen der Stadt ist zwar der Abgleich mit anderen diskursiven Konstruktionen der Stadt in Reiseberichten der Zeit nicht zentral, interessant aber ist die angedeutete Idealisierung der Straßenzüge. Sie drückt sich darin aus, dass diese leuchtend weiß erscheinen und in geschwungener Schrift die Straßennamen darauf zu lesen sind, und die Stadt menschenleer und unbelebt ist. 16 Damit ist hier eine bildliche Darstellung der idealen Stadt gegeben, die vermutlich auch auf die physiokratische Gesinnung des Planers verweist. Blom erklärt, dass der „Plan Turgot“ zwar „das erste umfassende graphische Inventar der Hauptstadt“ 17 darstellt, aber durch diese künstliche Leere und das Feststellen mehr verhüllt als er sich zu zeigen anschickt. 18 Der Konstruktcharakter der Stadtbeschreibung - und damit die Herstellung des idealen Wissens im Gegensatz zu einer Darstellung des erfahrenen Wissens - wird hier ebenso deutlich wie in den textuellen Einträgen zu den einzelnen Städten 19 in der Encyclopédie selbst. 141 Dossier 4. Stadt-Wissen: Politisiertes Wissen im Eintrag „GENEVE“ und vom citoyen Besonders deutlich kommt die Gestaltung, Bewertung und Einordnung von Wissen über Stadt und citoyenneté im bereits erwähnten, brisanten Eintrag zur Stadt „Genf“ zum Ausdruck. Im Folgenden soll und kann die Diskussion um den Eintrag „GENEVE“ nicht rekonstruiert werden, wie sie sich in zahlreichen Briefwechseln etwa zwischen Diderot, d’Alembert, Voltaire oder Rousseau entwickelt; vielmehr wird der Eintrag unter der Perspektive der Wissensrepräsentation der Stadt untersucht. Der Artikel zur Stadt Genf von d’Alembert zeichnet sich zunächst durch seine ungewöhnliche Länge und damit durch die Ausführlichkeit der Stadtbeschreibung aus, ist er doch um ein Vielfaches länger als viele andere Einträge zu Städten oder gar Ländern (der Eintrag zu „FRANCE“ etwa ist nicht einmal ein Fünftel so lang). Bereits zu Beginn des Artikels zeigt sich der kritische, teilweise überhebliche Ton des französischen Enzyklopädisten: d’Alembert erläutert etwa das Stadtwappen und beurteilt die dargestellte Symbolik als falsch tradiert: La ville de Genève a conservé ces armes après avoir renoncé à l’église romaine, elle n’a plus de commun avec la papauté que les clés qu’elle porte dans son écusson ; il est même assez singulier qu’elle les ait conservées, après avoir brisé avec une espece de superstition tous les liens qui pouvoient l’attacher à Rome ; elle a pensé apparemment que la devise post tenebras lux, qui exprime parfaitement, à ce qu’elle croit, son état actuel par rapport à la religion, lui permettoit de ne rien changer au reste de ses armoiries.20 Und ähnlich wie das Wappen erscheint ihm auch die Inschrift auf dem Genfer Rathaus als falsch und nicht mehr zeitgemäß: On voit encore entre les deux portes de l’hôtel-de-ville de Genève, une inscription latine en mémoire de l’abolition de la religion catholique. Le pape y est appellé l’antechrist; cette expression que le fanatisme de la liberté & de la nouveauté s’est permise dans un siecle encore à demi-barbare, nous paroît peu digne aujourd’hui d’une ville aussi philosophe. Nous osons l’inviter à substituer à ce monument injurieux & grossier, une inscription plus vraie, plus noble, & plus simple. Pour les Catholiques, le pape est le chef de la véritable église, pour les Protestans sages & modérés, c’est un souverain qu’ils respectent comme prince sans lui obéir: mais dans un siecle tel que le nôtre il n’est plus l’antechrist pour personne.21 Doch d’Alembert findet für die Stadt nicht nur rügende Worte. Er schildert historische Schlachten um Genf sowie deren Abwehr der militärischen Angriffe, erklärt mit Bewunderung die Unabhängigkeit und Neutralität der Stadt, die sich aufgrund der geografischen Lage und ihres Reichtums zwar in Allianzen mit Frankreich und England ausdrückt, ohne sich jedoch in Konflikte verwickeln zu lassen. Der Autor lobt die demokratische Verfasstheit, beschreibt die rechtlichen Regelungen zu Eheschließungen, Erbrecht und Luxus bzw. Besitztümern. Am Ende des Artikels nimmt d’Alembert schließlich zwei Themenkomplexe in den Blick, die für die eingangs erwähnten Diskussionen mit Diderot, besonders 142 Dossier aber für entschiedene und erboste Kritik unterschiedlichster Parteien sorgt: Er beschreibt die Theateraufführungspraxis und die Religion - allerdings eingebettet in einer recht sprunghaften Argumentationsführung. Gemäß d’Alembert werden in Genf Aufführungen von Komödien unterbunden, so dass er den instruktiven, persönlichkeitsbildenden Charakter der Komödie dagegen in Anschlag bringt. Dabei greift er Genf in einer zivilisationsbzw. aufklärungskritischen Argumentationsfigur an: Une autre considération digne d’une république si sage & si éclairée, devroit peut-être l’engager à permettre les spectacles. Le préjugé barbare contre la profession de comédien, l’espece d’avilissement où nous avons mis ces hommes si nécessaires au progrès & au soûtien des Arts, est certainement une des principales causes qui contribue au déréglement que nous leur reprochons: ils cherchent à se dédommager par les plaisirs, de l’estime que leur état ne peut obtenir.22 Damit kommt d’Alembert zu den Insignien der akademischen Bildung der Stadt, nämlich dem Universitätswesen der Stadt und zur gut ausgestatteten Bibliothek, um direkt im Anschluss auf die grassierende Syphillis hinzuweisen. Wiederum in einem argumentativen Sprung führt der Autor aus, dass die Stadt - und hier ließe sich eine Parallele zur Beschreibung von Paris ziehen - viele „Savans“ und „artistes“ hervorgebracht hat; auch ausländische Denker kommen hier zu Ruhm. Genf hat demnach quelques fois l’avantage de posséder des étrangers célebres, que sa situation agréable, & la liberté dont on y joüit, ont engagés à s’y retirer; M. de Voltaire, qui depuis trois ans y a établi son séjour, retrouve chez ces républicains les mêmes marques d’estime & de considération qu’il a reçûes de plusieurs monarques.23 Der Beschreibung der Uhrenfabriken, der Architektur der Steinhäuser und dem Krankenhauswesen folgt der letzte, besonders heikle Abschnitt über die Ausübung und Definition der Religion in Genf, „c’est la partie de cet article qui intéresse peutêtre le plus les philosophes.“ 24 Der Verweis auf weitere, zur Semantik der Religion gehörige, kontextualisierende Artikel in der Encyclopédie, die Schilderung des Klerus und der Beerdigungsmodalitäten münden schließlich in einer Diagnose der Genfer Gottesmänner, die d’Alembert erbosten Widerstand und vehemente Kritik einbringen sollte: der Sozinianismus. Diese Lehre, nach der die Pastoren der Stadt nicht an die Dreifaltigkeit glaubten, wird von d’Alembert im Folgenden zwar durchaus positiv bewertet, geht sie doch mit einer vorbildlichen und fortschrittlichen Toleranz einher, ist aber für die Genfer Geistlichen ein nicht hinnehmbarer Vorwurf. 25 D’Alembert schließt seinen Artikel mit einer Begründung für dessen Ausführlichkeit. Hier führt er einerseits das Wissensprojekt der Enzyklopädie an, das in seiner Anlage Wissensbestände weder hierarchisch systematisiert noch quantitativ hierarchisiert: „Nous ne donnerons peut-être pas d’aussi grands articles aux plus vastes monarchies ; mais aux yeux du philosophe la république des abeilles n’est pas moins intéressante que l’histoire des grands empires.“ 26 Andererseits stellt d’Alembert nochmals explizit den Vorbildcharakter der Stadt aus: „ce n’est peut- 143 Dossier être que dans les petits états qu’on peut trouver le modele d’une parfaite administration politique.“ Eine Einschränkung stellen allein die Religion dar: „Si la religion ne nous permet pas de penser que les Génevois ayent efficacement travaillé à leur bonheur dans l’autre monde, la raison nous oblige à croire qu’ils sont à-peu-près aussi heureux qu’on le peut être dans celui-ci: O fortunatos nimiùm, sua si bona norint ! “ 27 Anhand dieses Artikels lässt sich sowohl auf der Ebene der Inhalte als auch auf der Ebene der politisierten Rhetorik die Verbindung zwischen der textuellen Gestaltung der Stadt und der Wissenskonstruktion unter den politisierten Zeichen der Aufklärung nachvollziehen. Zwar gibt d’Alembert vermeintlich faktisches Wissen zur städtischen Geschichte, Gerichtsbarkeit, Verwaltung oder wirtschaftlichem Wohlstand wieder, dennoch fallen unmittelbar die wertenden Aussagen ins Auge, die sich besonders in den Bemerkungen um Religionsfreiheit und den Konnex zwischen der Stadt und dem Stadtbewohner, dem Genfer als citoyen, ausdrücken. Damit ist die Stadt nicht nur ein Raum, in dem sich eine spezifisch lokale Geschichte niederschlägt, sondern neben ihrer Kartografierung spielen auch deren Auswirkungen auf die Mentalität der Stadtmenschen eine wichtige Rolle. Insbesondere geht es hier um die Differenzierung zwischen der Stadt als „ville“ und „cité“ und damit um die anthropologische und politische Hinwendung zum Stadtbewohner als Bürger. „Fonder une ville“, heißt es in diesem Sinne bei Ehrard, „c’est créer en même temps une cité, donc des citoyens. 28 Der Zusammenhang zwischen der Stadt und der Bildung und dem Verhalten ihrer Bewohner lässt sich etwa im Eintrag zum Lemma „URBANITE ROMAINE“ nachvollziehen, in dem der Autor Jaucourt nicht mit harscher Kritik an den sprachunbegabten und oberflächlichen Franzosen spart („il est vraisemblable que les François qui examinent rarement les choses à fond, n’ont pas jugé ce mot fort nécessaire“ 29 ). Er betont zudem die synonyme Verwendung des Wortes Urbanität mit der galanten, höflichen, ja edlen Sprache und Haltung der Stadtbewohner (hier: Roms): URBANITE ROMAINE, (Hist. rom.) ce mot désignoit la politesse de langage, de l’esprit & des manieres, attachée singulierement à la ville de Rome. [...] & parmi nous, la politesse n’est le privilege d’aucune ville en particulier, pas même de la capitale, mais uniquement de la cour. [...] Pour me recueillir en peu de paroles, je crois que la bonne éducation perfectionnée par l’usage du grand monde, un goût fin, une érudition fleurie, le commerce des savans, l’étude des lettres, la pureté du langage, une prononciation délicate, un raisonnement exact, des manieres nobles, un air honnête, & un geste propre, constituoient tous les caracteres de l’urbanité romaine.30 In dieser Passage kommt nicht nur die Hypostasierung des antiken Roms zum Ausdruck, sondern Jaucourt betont auch den immanenten Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit einer Stadt und der Persönlichkeitsstruktur ihrer Bewohner, die durch Bildung verfeinert und veredelt wird und die stets, so eingangs im Eintrag „CITOYEN“ betont, in einem kollektiven Zusammenhang stehen. 31 Das in der Encyclopédie aufzunehmende Wissen über die Stadt konstruiert diese somit 144 Dossier als „cité“, als Ort des politischen Handelns und der ‚zivilisierten Umgangsformen. Dabei ist diese Akzentuierung durchaus unter aufklärerischen Vorzeichen zu lesen, indem dem citoyen nach Gladstone als „homme de Lumières“ 32 die Möglichkeiten des selbstbestimmten, ratio-geleiteten Lebens zugeschrieben wird und indem er als „un idéal du citoyen, un citoyen modèle“ 33 fungiert. Wie die Stadt wird also auch der konkrete Stadtbewohner von einem idealisierten, imaginierten citoyen überlagert, dessen Bild gar - wie im Falle der Stadt Genf - konträr zu den (Selbst-)Wahrnehmungen und dem Wissen der Beschreibungsobjekte stehen kann. 5. Stadt-Wissen: Fingiertes Wissen und imaginierte Städte Ein weiterer Blick auf Einträge besonderer Städte enthüllt, dass in der Encyclopédie nicht nur Wissen aufgenommen und kartografiert worden ist, das (heutzutage) als gesichert gilt, im Sinne von auf Tatsachen basierend oder ‚real . Das gesamte Wissen der Zeit, das aufgezeichnet werden sollte, beinhaltete durchaus auch Wissen, das imaginären Ursprungs bzw. sogar fiktiven Charakters ist. Denn es haben etwa Einträge zu imaginierten Städten Eingang in die Encyclopédie gefunden, die zwar unmittelbar als fiktiv und damit als in der Realitätswahrnehmung inexistent markiert werden, die aber sehr wohl - nach der Ansicht der Herausgeber und Enzyklopädisten - einen Teil des (mythischen und exotistischen) Imaginariums der Aufklärung darstellen. Drei Einträge seien hier exemplarisch erläutert: jener zur peruanischen, goldenen Stadt „MANAO & DORADO“, jener zur Region des ginnistanischen „SCHADUKIAM“ mit der Hauptstadt sowie jener, der die Tempelanlage „TINAGOGO“ nahe der asiatischen Stadt Meydur beschreibt. Zunächst ist auffällig, dass die drei Einträge unterschiedlichen Wissensgebieten zugeordnet werden. Während „Manoa & Dorado“ als geografischer Begriff ausgewiesen wird, gehört „Schadukiam“ in den Bereich der modernen Geografie; „Tinagogo“ wird indes als „terme de relation“ 34 bezeichnet und nahe der Stadt Meydur im Land Brama verortet. Manoa & Dorado wird als „ville imaginaire“ 35 apostrophiert, die als Zufluchtsort der vor den Kolonialherren geflüchteten Peruaner gilt. Unterhalb des Äquators, am Ufer des Parime-Sees, sollen sie hier eine Stadt errichtet haben, in der sie große Schätze vor den Eroberern verbergen konnten. Diese imaginierte Stadt, deren Dächer und Mauern aus Gold bestehen sollen, wird als Fantasie gekennzeichnet und es wird sogleich ihre Funktion benannt: Sie dient dazu, die Habgier der spanischen Eroberer zu entlarven und ist also eine „chimere fondée sur la soif des richesses“. 36 Während noch 1745 M. de la Condamines Mémoires de l’académie des Sciences, année 1745, Vermutungen über den Ursprung des Mythos anstellt, ist die Stadt zwar in den Erzählungen und in der Fantasie lebendig, aber von allen Karten verschwunden: „Mais enfin cette ville fictive a disparu de toutes les anciennes cartes, où des géographes trop crédules l’avoient fait figurer autrefois, avec le lac qui rouloit sans cesse des sables de l’or le plus pur.“ 37 145 Dossier Während diese Stadt also als kolonialistisch-exotistischer Mythos Eingang in die Encyclopédie findet, stellt die Stadt Schadukiam ein Imaginarium einer menschlichen Sünde dar. Die Übersetzung des aus dem Persischen stammenden Stadtnamens „Schadukiam“ verweist auf die Imagination der menschlichen Sünde: „SCHADUKIAM, (Géog. mod.) c’est-à-dire le plaisir & le désir.“ Diese Gegend entstammt orientalischen Romanen, ist von Feenwesen bewohnt und hat als „royaume des fées, une capitale imaginaire, qu’ils appellent Ghevher-Abad, mot persien, qui signifie la ville des joyaux.“ 38 „Tinagogo“ schließlich wird von Jaucourt als Name einer indischen Götze identifiziert, die der Fantasie Fernand Mendez Pintos entspringt. Hier geht also eine fiktive Gottheit, zu deren Ehren ein prunkvoller Tempel im Königreich Brama in der Nähe der Stadt Meydur errichtet worden ist, auf einen Urheber zurück, der vermutlich aufgrund seiner Berühmtheit als portugiesischer Weltreisender (als ‚Entdecker ) und Schriftsteller nicht weiter eingeführt wird. Bemerkenswert ist dabei zum einen, dass auf Pintos Beschreibungen der Pilger und (die Techniken der) Märtyrer hingewiesen wird, zum anderen wird kritisch angemerkt, dass die Erläuterungen zu eben diesen Praktiken Eingang in eines der Vorläuferprojekte der Encyclopédie gefunden haben. Jene Ausführungen „forment peut-être l’article le plus long & le plus faux du dictionnaire de Trévoux.“ 39 Erneut wird auf die Fiktivität des beschriebenen Ortes hingewiesen: le lieu même de la scène est imaginaire. Les Géographes ne connoissent ni la ville de Meydur, ni le royaume de Brama ; tout ce qu’on sait de cette partie de l’Asie où les Européens n’ont pas encore pénétré, c’est qu’aux extrêmités des royaumes d’Ava & de Pégu, il y a un peuple nommé les Bramas, qui sont doux, humains, ayant cependant quelques loix semblables à celles du Japon; c’est à-peu-près tout ce que nous apprend de ce pays le voyage des peres Espagnac & Duchalz, jésuites.40 Zusammenfassend ist zu bemerken, dass das Wissen über die Stadt und die Stadt als Allegorie für das Wissen in der Encyclopédie diskursiv konstruiert werden und selbstreferentiell an das große Projekt der französischen Aufklärung gebunden sind. Damit dient die Stadt einerseits als Bildspender für den Aufbau der Encyclopédie und die Architektur der Artikel. Die Stadt fungiert andererseits in der Encyclopédie als ville idéale bzw. als Utopie, deren Beschreibungen sich weniger an zeitgenössischen Begebenheiten orientieren als vielmehr an idealisierenden, antiken Vorbildern. Zu diesem Idealbild der Stadt, das sich auch in der Ikonografie der Zeit wiederfindet, gesellt sich das Bild der Stadt der Aufklärung und damit eine politisierte, didaktische Darstellung der Stadt, wie sie sich aus dem Wissen der Menschen generiert. Damit ist die textuelle Repräsentation der Stadt weniger Abbild als Neukonstruktion, die stets den Diskurslogiken der Aufklärung unterliegt und mit deutlichen Wertungen der Autoren einhergeht. Dieses Wissen kann sogar so weit gehen, dass auch fiktive Städte Eingang in die Encyclopédie finden und somit eine Form von imaginiertem Wissen aufgenommen wird. An der Repräsentation der idealisierten Stadt im Artikel „VILLE“, ähnlich wie im Stadtplan von Turgot, der ästhetisierten Imagination im Artikel „PARIS“, an dem politisch-intendierten Eintrag 146 Dossier zur Stadt Genf und schließlich anhand der Artikel zu den fiktiven Städten zeigt sich, dass die diskursive Konstruktion der Stadt stets im Kontext der Aufklärungsdiskurse um die vernunftgeleitete politische und philosophische Emanzipation der Zeit steht. Die Wissenskonstruktionen, beziehen sie sich nun auf konkrete Städte oder auf fiktive, haben in dieser Perspektive weniger mit dem Referenten zu tun als mit den die Texte durchziehenden autoritätskritischen Diskurssträngen. So stehen Stadt und Wissen in der Encyclopédie in einem unmittelbaren Zusammenhang, der sich nicht durch die mimetische Nähe und die Referenzialität erschließt. In diesem Blickwinkel wird auch die Brisanz eines scheinbar so eindeutigen Falles wie dem der Darstellung der Stadt Genf augenfällig: Die Encyclopédie-Einträge stellen (auch und gerade auf der Basis der menschlichen ratio) keine neutral-additiven (und damit universalistischen) Deskriptionen sondern intentional-selektive Konstruktionen in der Zeit der Aufklärung dar. Und um die philosophisch-politische Ausrichtung dieser aufklärerischen Diskursformierung, um das Verhältnis von Wissen und Macht kann und muss sehr wohl gerungen werden. 1 Vgl. dazu bspw. Philipp Blom: Das vernünftige Ungeheuer: Diderot, d’Alembert, de Jaucourt und die große Enzyklopädie, Frankfurt/ M., Eichborn, 2005, S. 291sq. 2 Jean le Rond d’Alembert: Discours préliminaire de l’Encyclopédie (1751). Einleitung zur Enzyklopädie von 1751, hg. und eingeleitet von Erich Köhler, Hamburg, Felix Meiner Verlag, 1955, 86. 3 Dieser Ansatz verwendet eine am Foucault’schen Diskursbegriff geschulte Perspektive, die den Zusammenhang von sprachlicher (Re-)Präsentation und Machtmechanismen - hier im Sinne des aufklärerischen Projekts - in den Blick nimmt. Damit können weitere Diskurse, die die Encyclopédie bedingen bzw. deren textuelle Gestaltung durchziehen, in diesem Rahmen nicht berücksichtigt werden, wie bspw. in den Ausführungen von Thomas Cassirer, der die Stadtdarstellungen in der Encyclopédie zwischen den Diskursen um Luxus und dem Nutzen der Zivilisation einerseits und um die architektonische Verschönerung der Städte andererseits verortet (vgl. Cassirer, Thomas: „Awareness of the City in the Encyclopédie“, in: Journal of the History of Ideas, Vol. 24, N° 3, 1963, 387-396, 387. unter: www.jstor.org/ stable/ 2708214. Stand: 08.06.2011). 4 Denis Diderot: „ENCYCLOPEDIE“, in: Ders./ Jean Le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000. 5 Robert Darnton: „Philosophen stutzen den Baum der Erkenntnis: Die erkenntnistheoretische Strategie der Encyclopédie“, in: Ders: Das große Katzenmassaker. Streifzüge durch die französische Kultur vor der Revolution, München, Hanser 1989, 219-290, 222. 6 Die Verbindung von Raum und Wissen ist nicht erst in der Aufklärung so virulent. In der Tradition der Enzyklopädien, die schon im Wort den Kreis und den Raum des Theaters in sich tragen, werden Raumstrukturen, Bilder vom Baum des Wissens oder dem Labyrinth reflektiert (vgl. dazu bspw. Darnton 1989, S. 222ff. oder d’Alembert: Discours préliminaire, S. 84,86); in der Rhetorik ist der Konnex zwischen Raum und Gedächtnis im Sinne der Memoria-Lehre bzw. als Mnemotechnik etabliert. 7 Nicolas Beauzée: „METAPHORE”, in: Denis Diderot/ Jean le Rond d’Alembert (eds.): Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, CD-ROM, 2000.