eJournals lendemains 34/133

lendemains
0170-3803
2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2009
34133

Brief an Michael Nerlich

2009
Rita Schober
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190 Rita Schober Brief an Michael Nerlich Lieber Michael, was tut man, wenn ein Freund zu seinem 70. Geburtstag eine Festschrift erhält, zu der man aus objektiven Gründen - Alter und Krankheit haben eben manchmal ihre Tücken - keinen wissenschaftlichen Artikel beisteuern kann, unter den Gratulanten aber dennoch nicht fehlen möchte? Darf man in diesem Fall einer Grußbotschaft der Erinnerung Raum geben und den Artikel durch einen Gratulationsbrief ersetzen? Wir kennen uns seit mehr als dreißig Jahren und eine solch langjährige Verbindung geht natürlich auch in das eigene Leben ein. Ungefähr Ende 1973 muß es gewesen sein, als Du mich das erste Mal mit Evelyne - Dich ohne sie zu denken scheint mir eigentlich gar nicht möglich! - besucht hast. Ein solches Interesse eines Kollegen von der TU für eine Kollegin von der HU gehörte zum damaligen Zeitpunkt unter den gegebenen politischen Bedingungen wahrlich nicht zum akademischen Alltag. Seitdem sind wir uns immer wieder, nicht regelmäßig, aber hie und da begegnet, persönlich bei uns zu Haus oder im Klub der Kulturschaffenden, bei Tagungen wie an der Universität in Halle, bei Euch in Frankreich, als ich 1978 auf dem Rückweg von dem FILLM-Kongreß in Aix in Charroux vorbeikam - ich höre noch früh in der Stille dieses verwunschenen Dörfchens das Krähen der Hähne und rieche die wunderbare frische Luft - und nach der Wende 1989 bei Euch in der Innsbrucker Straße - und immer gab es einen regen Austausch der Gedanken. Denn wir waren natürlich keineswegs immer einer Meinung. Doch Dein oft sehr kritischer Blick von außen auf die politischen Fragen war stets anregend und Deine aus einem ganz anderen wissenschaftlichem Umfeld kommende fachliche Meinung ein unschätzbarer Gewinn. Genau so wie Deine eigenen Bücher. Ich denke im Rückblick vor allem an die zwei 1977 im Akademie-Verlag der DDR herausgekommenen Bände zur Abenteuerideologie. Entscheidend war für mich in Deinen Arbeiten immer Deine Art der ungewöhnlichen Fragestellung, mit der Du - wie Marx vielleicht gesagt hätte, die Dinge zum „Tanzen“ brachtest. Ganz gleich, ob man Deiner Meinung zustimmte oder nicht, Du zwangst den Leser, über die aufgeworfene Frage und die damit zusammenhängende eigene Meinung erneut nachzudenken. Das nachhaltigste Bindeglied zwischen uns über all die Jahre aber war die von Dir seit April 1975 herausgegebene Zeitschrift lendemains, die Du mir von Anfang an regelmäßig zukommen ließest. Die Gründung dieser nur auf Frankreich konzentrierten Zeitschrift, ohne finanzielle Mittel und ohne einen wissenschaftlichen Verlag - denn der als Herausgeber geplante Athenäum Verlag war überraschend zusammengebrochen - stellte an sich schon ein Wagnis dar. Ihre Ausrichtung ein zusätzliches. Eine Zeitschrift, die sich auch der modernen Literaturentwicklung, Themen der Landeskunde - wie man altmodisch gesagt hätte - d.h. den Verände- 191 rungen im gegenwärtigen Frankreich widmen wollte, war zwar ein dringendes Desiderat, verstieß aber gegen alle universitäre Tradition. Und so fand die Zeitschrift mit vier für einen Preis von 24 DM pro Jahr geplanten Heften zunächst nur im Verlag Sozialistische Politik eine Heimstatt und Druck, Papier und Umfang, kurz die ganze äußere Aufmachung waren eher bescheiden. Doch die Zeitschrift hielt sich trotzdem und konnte ungeachtet aller finanziellen Schwierigkeiten, ab dem 3. Jahrgang mit dem zehnten Heft 1978 zum Pahl-Rugenstein Verlag, Köln wechseln, wo lendemains zehn Jahre lang blieb. Aber auch damit war die Verlags-Odyssee noch lange nicht zu Ende. Mit dem 12. Jahrgang, H. 46, 1987, übernahm der Hitzeroth Verlag, Marburg, für fünf weitere Jahre die Publikation. Zwar hatte sich bei Pahl-Rugenstein im Laufe der Zeit das äußere Erscheinungsbild von lendemains allmählich verbessert, stabilerer Einband, ästhetisch anspruchsvolles Deckblatt, kräftigerer, doch immer noch sehr kleiner Druck, aber das Gesamtformat von DIN A5 war geblieben. Mit Heft 49 gab Hitzeroth der Zeitschrift einen wesentlich besseren Druck und ein anspruchsvolleres, größeres Format (16x26), das sich bis heute durch alle weiteren Verlagswechsel - Sybil Dümchen- Verlag, Berlin (ab H. 69/ 70, 1993), Stauffenburg Verlag, Brigitte Narr GmbH, Tübingen (ab H. 89, 1998), Narr Verlag GmbH, Tübingen (ab H. 114/ 115, 2004) - bis zu dem jetzigen Narr Francke Atempto Verlag, Tübingen (ab H. 116, 2004) gehalten hat. In diesen Zeilen ist es natürlich nicht möglich eine inhaltliche Analyse oder gar Würdigung der Zeitschrift und damit Deiner ideellen Urheberschaft zu geben. Das wäre der Artikel gewesen, leider. Aber eines möchte ich doch ohne Abstriche feststellen: Durchgehalten hat die Zeitschrift die ganze Zeit - trotz aller materiellen Turbulenzen der „ökonomischen Kontingenz“ - ihr Grundprofil und ihr wissenschaftliches Grundanliegen, Frankreichforschung im umfassenden Sinne zu fördern und Artikel zu Ökonomie-Politik-Geschichte-Kultur-Literatur-Medien-Sprache einzubeziehen und zur aktuellen Methodendiskussion und literaturkritischen Auseinandersetzung auf wissenschaftlichem Niveau beizutragen. Meine Präsentierung der ersten drei Hefte von lendemains in den Beiträgen zur romanischen Philologie (H. 2, 1976) schloß mit dem Hinweis darauf, dass sich die Zeitschrift schon kurz nach dem Erscheinen „als ein nützliches und notwendiges Publikationsorgan profiliert hat.“ Aus heutiger Sicht könnte man hinzufügen, sie hat für das Fach damit den Sinn ihres Symboltitels „lendemains“ erfüllt, die Frankreichstudien im breiten Sinne auf der Höhe der Zeit zu fördern. Ich glaube Michael, es gibt auch für Dich an Deinem 70. Geburtstag keine größere Freude, als feststellen zu können, dass die Zeitschrift, die Du initiiert hast, auch unter der jetzigen Leitung von Wolfgang Asholt in Deinem Sinne erfolgreich fortgeführt wird und ihren festen Platz in den Fachorganen behauptet. Lieber Michael, ich wünsche Dir von Herzen noch viele schaffensreiche Jahre und damit der Romanistik - denn Dein eigenes Werk greift ja über die Frankreichstudien weit hinaus - noch viele neue interessante, wissenschaftliche Arbeiten - aus Deiner Feder, wie man in alten Zeiten hinzugefügt hätte. Deine uralte Rita Schober