eJournals lendemains 33/130-131

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Narr Verlag Tübingen
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2008
33130-131

Briefe 1951 - 1975

2008
Werner Krauss
Rita Schober
ldm33130-1310249
249 Werner Krauss / Rita Schober Briefe 1951 - 1975 Die einen Zeitraum von nahezu einem Vierteljahrhundert umspannende Korrespondenz zwischen Werner Krauss (1900-1976) und Rita Schober (*1918) ist ihrem Umfang nach eher schmal und in ihren Bezügen lückenhaft. Viele Gegenbriefe fehlen, so dass Zusammenhänge des miteinander Besprochenen, der Fluß der Gedanken dunkel bleiben und sich dem interessierten Leser nicht ohne Zuhilfenahme komplementärer Literatur, von „Quellen“ erschließen, aus denen sich aufklärende Informationen über die in den Briefen verhandelten Fragen und über die Haltung und Meinung der Briefpartner gewinnen lassen. Gleichwohl vermitteln die 28 Briefe dieser Korrespondenz, 18 Briefe von Werner Krauss (W.Kr.), 10 Briefe von Rita Schober (R.Sch.), die im Nachlaß Krauss (NL Krauss) des Archivs der berlin-brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aufbewahrt sind, auch Einblicke in die Fachgeschichte der deutschen Romanistik, ihre inner- und interdeutschen Verwicklungen unter den geschichtlichen und politischen Bedingungen der deutschen Teilung in den fünziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese besonderen Bedingungen und ihre Zuspitzung in zwei Jahrzehnten nach 1945 spiegelt z. B. die Veränderung des Namens jener am damaligen ostberliner Platz der Akademie (heute Gendarmenmarkt) sitzenden wissenschaftlichen Institution, die ein besonderer lieu de mémoire für die beiden Briefpartner war: von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zur Akademie der Wissenschaften der DDR (seit 1969). Werner Krauss, der nach der Befreiung aus dem Wehrmachtsgefängnis Torgau an seine Universität Marburg zurückgekehrt war, wo er am 27. August 1945 durch den Rektor in das Amt des außerplanmäßigen Professors der Romanischen Philologie wieder eingesetzt wurde, folgte im September 1947 einem Ruf an die Universität Leipzig, die später als Karl-Marx-Universität Leipzig umbenannt wurde, und wurde unter dem Rektorat von Hans-Georg Gadamer zum Direktor des Romanischen Instituts ernannt. Von Leipzig aus war W.Kr. 1949/ 50 in die Verhandlungen zur Besetzung des romanistischen Lehrstuhls an der Berliner Humboldt Universität (HUB) involviert. Dieser Lehrstuhl war nach dem Wechsel (1948) seines Inhabers Fritz Neubert an die in Westberlin neu gegründete Freie Universität (FU) frei. W.Kr., der über ein durchdachtes wissenschaftsstrategisches Konzept für den „Abbau oder Wiederaufbau der Romanistik in der deutschen Republik“ i verfügte, bemühte sich vor allem um eine Berufung Erich Auerbachs, der damals noch in Istanbul war, auf den Lehrstuhl an der i Vgl. die im NL Krauss im Archiv der berlin-brandenburgischen AdW überlieferten unveröffentlichten Typoskripte Nr. 77: Die Notwendigkeit der einer Konzentration der Romanistik (9.3.1951); Nr. 78: Reorganisation des romanistischen Studiums in der DDR (1.8.51); Nr. 80: Abbau oder Wiederaufbau der Romanistik in der deutschen Republik? (undatiert); sowie ein Memorandum über die gegenwärtige Lage der Romanistik in Berlin und Leipzig (Nr. 79, undatiert, verfasst im zweiten Halbjahr 1952). 250 HUB. ii Mit dem Scheitern dieser Bemühungen wurde der Berliner Lehrstuhl bis zur Berufung Rita Schobers am 1. Mai 1954 kommissarisch besetzt von Victor Klemperer und Werner Krauss (vom 13.9.1950-September 1952). In dieser Zeit, R.Sch. war als Assistentin und Mitarbeiterin von V. Klemperer von Halle nach Berlin gewechselt, iii wo sie ein gutes Jahr (1951-1952) als Fachreferentin für Philologien im Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen tätig war, lernten W.Kr. und R.Sch. sich kennen. Man kann beider Briefe aus diesen 50er Jahren lesen als eine Innenansicht von institutionellen, personellen und auch persönlichen Problemen beim Aufbau der Romanistik in der jungen DDR. Die Beteiligten, durch ihren Beruf als Romanisten und Hochschullehrer verbunden, unterschieden durch ihrer Biographien und Erfahrungen, agierten in den 50er Jahren in einer Konstellation, deren geographische Brennpunkte Berlin und Leipzig und deren Kontrahenten Victor Klemperer und Werner Krauss waren. iv Manfred Naumann hat in dem hier beigegebenen Text die über dieser Konstellation liegenden Schatten, auch das Wetterleuchten hinter den Wolken, als ein Zeitzeuge beschrieben. Rita Schober, Klemperers junge und dynamische Assistentin in Halle, dann seine Habilitandin in Berlin, die noch vor Kriegsende an der damals deutschen Universität in Prag promoviert worden war, spielte in dieser Konstellation die Rolle eines agent de liaison. Klemperer, der seinen Minderwertigkeits-Complex gegenüber Krauss nie überwunden hat, beobachtete R.Sch’s Vermittlungsversuche mit Misstrauen. So notierte er im Januar 1952: „Im Augenblick hat er (Krauss) mit zwei gelesenen Stunden Rita gänzlich für sich gewonnen, ich bin zweiteste Geige, habe Traditionswert. Widerum: sie triumphiert, er u. ich zusammen - ihr Werk - werde großen Zusammenklang geben. Auch herrscht große Freundschaft zwischen uns dreien; Krauss soll nächste Woche meine Aufnahme in die Akademie beantragen, es werde gut laufen u. ich soll dann Rita ein <Abendkleid> schenken.“ v Mehr Gewicht als ein Generationskonflikt in dieser Dreierkonstellation zwischen dem siebzigjährigen Klemperer, dem fünzigjährigen Krauss und der dreißigjährigen Rita Schober hatten indes die theoretischen und methodischen Differenzen zwischen Klemperer und Krauss. Sie waren auch der Hintergrund der in dem Memorandum über die gegenwärtige Lage der Romanistik in Berlin und Leipzig von Krauss erläuterten Gründe für das Scheitern der Einrichtung eines Instituts für Romanische Literaturii Vgl. dazu die entsprechende Korrespondenz in: K. Barck, „Eine unveröffentlichte Korrespondenz. Erich Auerbach/ Werner Krauss“. Teil 1 in: Beiträge zur romanischen Philologie (Berlin) 26 (1987), S. 301-326; Teil 2: BRPH 27 (1988), S. 161-186. iii Vgl. R. Schober, „Zu Victor Klemperers Wirken nach 1945.“ In: R.Sch., Auf dem Prüfstand. Zola-Houllebecq-Klemperer, Berlin: edition tranvía 2003, S. 325-350. iv Vgl. dazu bei Gerdi Seidel, Vom Leben und Überleben eines <Luxusfachs>. Die Anfangsjahre der Romanistik in der DDR, Heidelberg 2005; Peter Jehle, Werner Krauss und die Romanistik im NS-Staat, Hamburg-Berlin 1996 (Argument-Sonderband NF 242); Karlheinz Barck/ Manfred Naumann/ Winfried Schröder, „Literatur und Gesellschaft: Zur literaturwissenschaftlichen Position von Werner Krauss.“ In: Werner Mittenzwei (Hg.), Positionen. Beiträge zur marxistischen Literaturtheorie der DDR, Leipzig: Reclam 1971. v V. Klemperer, So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1950-1959. Hg. v. Walter Nowojski unter Mitarbeit v. Christian Löser, Berlin 1999, S. 240. 251 wissenschaft an der DAW in Berlin. vi W.Kr. hat seinen Einspruch gegen den von Klemperer geforderten Einfluß auf das zu gründende Institut begründet mit dessen „Verzicht auf eine forscherische Einstellung zugunsten einer darstellenden und interpretierenden Funktion, die ein durchdachtes und meistens mit größter Wirksamkeit formuliertes Bild eines forscherisch längst erschlossenen literarischen Themas entrollen. Dabei versteht es Prof. Kl. in einem rhetorisch durchgearbeiteten Stil mit gleicher Brillianz, die breite Pinselführung des Polyhistors zu meistern, wie einfühlsame Betrachtungen über weltanschauliche oder poetische Lebensbilder anzustellen.“ vii In dieser konfliktuellen Situation geriet R.Sch. als Meisterschülerin von Klemperer viii bei dem immer misstrauischen W.Kr. in die Rolle eines Sündenbocks. In den 60er Jahren dann, nach Victor Klemperers Tod (1960) verbesserten sich beider Beziehungen, worüber R.Sch. selbst rückblickend bemerkt hat: „Mein Verhältnis zu Werner Krauss (ist) in all seiner Zwiespältigkeit (wie könnte es für eine Klemperer-Assistentin anders sein), in der Widersprüchlichkeit von Anziehung und Ablehnung, von Bewunderung und Reserve, ein essentieller Bestandteil meines eigenen wissenschaftlichen Werdegangs gewesen. Krauss hat mich im Jahr 1951 dem Aufbau-Verlag für die Herausgabe der Zola-Edition in deutscher Sprache empfohlen, meine Boileau-Studien waren ein beinahe verzweifelter Versuch der Annäherung an das von ihm in den Mittelpunkt gestellte Jahrhundert der Aufklärung, und sein anerkennender Brief für meinen 1973 erschienenen Artikel zur literarischen Wertung bedeutetet mir mehr als Akademiemitgliedschaft (1969) und Nationalpreis (1973). Erst mit diesem Brief hatte ich das Gefühl, im Fach wirklich angekommen zu sein.“ ix Karlheinz Barck PS. Ich danke Rita Schober und Manfred Naumann für aufklärende Informationen zum Kontext der Korrespondenz. Manfred Naumanns Text ist ein Kapitel aus seiner noch unveröffentlichten autobiographischen Chronik. Nathalie Crombée vom Institut für Romanistik der Universität Osnabrück danke ich für ihre umsichtige Transkription und drucktechnische Einrichtung der Briefe. vi Dem Memorandum ist beigefügt ein Vorschlag für die Wiederaufnahme des romanistischen Lehr- und Forschungsbetriebs an der Leipziger Universität. Beide Texte, geschrieben im August 1952, befinden sich unter der Nr. 79 GUTA im Nachlaß Krauss der berlinbrandenburgischen Akademie der Wissenschaften. vii Werner Krauss, Charakteristik der wissenschaftlichen Befähigung von Prof. Dr. Victor Klemperer. Typoskript in NL Krauss. GUTA, S. 1. viii V. Klemperer notierte am 30. Mai 1951 in sein Tagebuch: „Ich möchte R. habilitieren, in Berlin als ihr Berliner Ordinarius habilitieren, sie soll dort eine Vorlesung im Semester halten, sie soll mein ins Ministerium reichender Arm sein. Sie ist gelockt durch den Titel eines Prorektors in Halle.“ (a.a.O., S. 169). ix R.Sch., Rezension zu Hans Ulrich Gumbrecht, Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. In: Poetica 34. Bd. (2002) H. 1-2, S. 279. 252 Rita Schober an Werner Krauss Halle/ S. Felsenstraße 23 Halle, den 9.4.1951 Sehr geehrter Genosse Prof. Krauß. [sic] Eine Reihe widriger Umstände haben mein Schreiben bis heute verzögert. Nun erhielt ich aber bereits eine Anfrage von Herrn Prof. Dornseiff 1 wegen der Klemperer-Festschrift 2 und konnte nichts anderes tun, als ihn an Dich zu verweisen, da ich selbst keineswegs imstande bin, eine Drucklegung durchzusetzen. Ich hoffe jedoch, daß Du trotz des vorgerückten Zeitpunktes die Freundlichkeit haben wirst, Dich mit Deiner Autorität für das Erscheinen dieser Festschrift einzusetzen. Das Ergebnis der Verhandlungen mit Niemeyer lege ich bei. Es ist nicht sehr ermutigend und ich glaube, es wäre besser, wenn man einen anderen Verlag finden könnte. Andererseits wäre es jedoch sehr schade, wenn dieser Plan vollkommen scheitern würde, ist er ja zugleich auch eine Möglichkeit, die Romanistik aus ihrer Hochschulklausurierung wieder einmal an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Ich bin auch der Ansicht, daß es nicht allzu schlimm wäre, wenn die Festschrift verspätet erscheint, die Festschrift für Eug. Lerch 3 ist wohl auch über ein Jahr später herausgekommen. Und Gen. Klemperer würde sich bestimmt auch über eine geplante Festschrift freuen, selbst wenn sie noch nicht zu seinem Geburtstag fertig vorliegt. Ich wäre daher außerordentlich dankbar, wenn Du die Freundlichkeit haben würdest, mir Deine Meinung und jetzige Stellungnahme zur Frage der Festschrift mitzuteilen. Von uns in Halle kämen drei Beiträge in Betracht. Mit Gen. Porf. [sic] Stern 4 habe ich wegen des Vortrags seinerzeit auch sofort verhandelt. Leider erklärte er sich für außerstande, über dieses Thema zu sprechen und verwies mich an die Gen. Zaisser. 5 1 Franz Dornseiff (1888-1960). Alt-Philologe. Seit 1948 Professor an der Universität Leipzig. War mit Werner Krauss befreundet. Autor des Standardwerkes Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen (1934). 2 Horst Heintze/ Erwin Silzer (Hg.), Im Dienste der Sprache. Festschrift für Victor Klemperer zum 75. Geburtstag, Halle 1958. 3 Eugen Lerch (1888-1952), Romanist und Schüler (wie W.Kr. und V. Klemperer) von Karl Vossler in München. In den 20er Jahren mit Victor Klemperer in der idealistischen Neuphilologie engagiert. Gab gemeinsam mit Klemperer eine gleichnamige Zeitschrift heraus. 1935 zwangsemeritiert. Vgl. Utz Maas, Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933-1945. Bd. 2: Bibliographische Daten G-P, Osnabrück: Secolo-Verlag 2004. 4 Leo Stern (1901-1982), Historiker (Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung). Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und in den 60er Jahren Vizepräsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin. 5 Elisabeth Zaisser (1898-1987), Slavistin und in den 50er Jahren Lehrbeauftragte für sowjetische Literatur an der Universität Halle.1949 Prof. für Methodik des Russischunter- 253 Für einen baldigen freundlichen Bescheid wäre ich sehr dankbar und erlaube mir, mich für heute mit den besten Grüßen und Wünschen für Dein persönliches Wohlergehen und Deine Gesundheit zu verabschieden. Rita Schober Werner Krauss an Rita Schober [Kopfbogen des Romanischen Instituts der Universität Leipzig] 17. April 1951 Verehrte Genossin Schober! Vielen Dank für Deine letzten Zeilen, aus denen ich mit Bekümmernis ersehe, daß die vorgesehene Druckmöglichkeit für die Festschrift ausschaltet. Nach Lage der Dinge wüßte ich nur noch den Aufbauverlag zu nennen, der vielleicht im Hinblick auf die mannigfaltigen Bande zu Klemperer sich bereit finden würde, den Druck zu übernehmen, wenn man ihm die gewiß reichlich vorhandenen Absatzmöglichkeiten vor Augen hält. Es käme also darauf an, die Verhandlungen mit Wendt 6 oder Schroeder 7 zu führen. Zunächst warte ich auf eine Gegenäußerung deinerseits. Möglicherweise würde es am günstigsten sein, daß Klemperer selbst unsern Vorschlag bei dem Verlag befürwortet. Nach wie vor bin ich davon überzeugt, daß hinreichend Material für einen hübschen Wissenschaftsquerschnitt verfügbar wäre. Ich möchte die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um einen kleinen Irrtum zu berichtigen: es wurde mir gesagt, daß man in Halle vor einigen Monaten davon Abstand genommen hätte, mich für ein Referat über Stalin und die Sprachwissenschaften heranzuziehen, da ich meine Inkompetenz über diesen Gegenstand verlautbart haben soll. Selbstverständlich habe ich eine solche Äußerung niemals getan, nachdem ich mehrwöchige Diskussionen in Leipzig und Berlin über dieses Thema durchgeführt hatte. Man braucht kein vollblütiger Linguist zu sein, um dieses Thema, welches das Thema für jedes wissenschaftliche Selbstbewußtsein bildet, einigermaßen zu meistern. Obwohl dies heute keine praktische Bedeutung richts an der TU Dresden, Ministerin für Volksbildung in der Regierung der DDR (1952- 1953). Verheiratet mit Wilhelm Zaisser (1893-1958), Minister für Staatssicherheit in der Regierung der DDR (1952-1953). Vgl. Irina Liebmann, Wär es schön? Es wäre schön! Mein Vater Rudolf Herrnstadt, Berlin Verlag 2008. 6 Erich Wendt (1902-1965), Leiter des Berliner Aufbau-Verlag (1947-1954). 7 Max Schroeder (1900-1958), Publizist und Verleger, ab 1947 Cheflektor des Ostberliner Aufbau-Verlages. 254 mehr hat, so wäre ich dir dankbar für eine Richtigstellung dieses für mich nicht gerade ergötzlich Mißverständnisses. 8 Wenn die Fama nicht trügt, hast Du in den letzten Wochen einem neuen Erdenbürger das Licht geschenkt. 9 Meine herzlichsten Wünsche für diese freudige Ereignis und einen schönen Gruß in der Hoffnung, daß der Kontakt zwischen Halle und Leipzig sich etwas stärker befestigen läßt. Rita Schober [Abschrift eines Gutachtens] Berlin C 2, Wallstr. 76/ 79 Berlin, den 24.10.51 Der vorliegende erste Teil des Lesebuches der französischen Literatur über die Aufklärung und Revolution 10 packt bei der Lektüre durch die Geschlossenheit der Gesamtkonzeption. Die großen geistigen Entwicklungslinien, die von Descartes über die französische Revolution in letzter Konsequenz zum wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engls [sic] führen, werden durch die gut ausgewählten Textstellen klar erkenntlich. Dabei ist es besonders verdienstvoll, daß diese Texte unter dem Gesichtspunkt ausgewählt sind, darzulegen, was jeder Autor speziell zur Bereicherung der gesellschaftlichen Problematik beigetragen hat. Es ist auch begrüßenswert, daß die allgemein weniger bekannten Schriften, von Mably, Morelly, Holbach und Helvetius, sowie vor allem von Babeuf nicht unerwähnt bleiben. Ebenso erfreulich sind die jeden Autor vorangestellten kritischen Würdigungen, die den neuesten wissenschaftlichen Abhandlungen entnommen wurde und die letzten Forschungsergebnisse vermitteln. Es ist klar, daß bei dem beschränkten Umfang eines Lesebuches und der notwendigen Rücksichtnahme auf die durchzuführende Grundkonzeption manche 8 Zur Debatte über Stalins Schrift und W.Kr. Interesse an einer Differenzierung und Relativierung der mechanisch-materialistischen Basis-Überbau-Theorie (Widerspiegelungstheorie) im Interesse einer relativen Unabhängigkeit kultureller und künstlerischer Prozesse von sozialgeschichtlichen Gesetzen vgl. Werner Krauss, „Die Bedeutung der sprachwissenschaftlichen Arbeiten Stalins für die Weiterentwicklung der Theorie des Marxismus-Leninismus.“ (1951). In: W.Kr., Das wissenschaftliche Werk Bd. 8. Sprachwissenschaft und Wortgeschichte. Hg. V. Bernhard Henschel. Mit einer Bibliographie von Horst F. Müller, Berlin-New York: Walter de Gruyter 1997, S. 191-206. 9 Rita Schobers Sohn Hans-Robert war am 1. März 1951 in Berlin geboren worden. 10 Das von Werner Krauss unter Mitarbeit seines Leipziger Oberassistenten Manfred Naumann 1952 im Berliner volkseigenen Volk-und-Wissen-Verlag für den Französischunterricht an den Oberschulen der DDR herausgegebene Lesebuch der französischen Literatur. Teil I: Aufklärung und Revolution enthielt eine kommentierte Anthologie einschlägiger Texte im französischen Original. Der zweite Band ist nicht erschienen. 255 Probe wegbleiben mußte, die man sonst in einem Lesebuch der französischen Literatur nicht vermissen möchte. Besonders positiv hervorzuheben ist aber die Einleitung von Prof. Dr. Werner Krauß [sic]. Sie bringt auf knapp 20 Seiten einen Gesamtabriß der gesellschaftlichen und geistigen Entwicklung Frankreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart, wobei trotz der Kürze die für den vorliegenden Abschnitt entwicklungsmäßig entscheidenden Fragen marxistisch analysiert werden. Hier ist nicht ein Wort zu viel, aber auch nicht eines zu wenig gesagt. Diese Einleitung wird selbst jeder Fachromanist mit größtem Genuß und Gewinn lesen, weil eine ganze Reihe entscheidender Probleme neu beleuchtet wird. Andererseits wird sie auch den Lehrern bei der Behandlung des Stoffes wertvollste Anregungen bieten. Dem Schüler allerdings müssen Fülle und Reichtum des hier Gebotenen durch den Lehrer erst erschlossen und vermittelt werden. Abschließend kann man sagen, daß dieses Lesebuch wegen seines hohen wissenschaftlichen Niveaus nicht nur ein wertvolles Lehrbuch für unsere Oberschulen ist, sondern auch für unsere Universitäten. Es ist in mancher Hinsicht geradezu die textliche Ergänzung zu den sources françaises du socialisme scientifique von Garaudy. 11 gez. Dr. Rita Schober Werner Krauss an Rita Schober 10. März 52 Liebe Rita! Ich bedaure sehr, daß meine Berliner Tage so wenig mit Deinen Hochschultagen zusammenfallen, zumal im gegenwärtigen Augenblick, wo alles darauf ankäme, das Schiff der Akademie in die richtige Strömung zu versetzen. In der Anlage mein Gutachten über Viktor [sic] für die Akademie. Und nun noch einmal die Bitte, mir möglichst schnell (vielleicht durch Dr. Heintze) 12 einen Werkkatalog von Victor anzufertigen. Des weiteren ein Passus aus einem Brief von dem Genossen Dr. Engels, 13 Groningen, in wörtlicher Übersetzung aus dem Holländischen: 11 Roger Garaudys Schrift war 1948 erschienen und wurde 1954 in Berlin/ DDR in einer Übersetzung und mit einem Vorwort des Krauss-Schülers Winfried Schröder (1923-2005) versehen veröffentlicht: Die französischen Quellen des wissenschaftlichen Sozialismus. 12 Der Romanist, Italianist (Dantespezialist) Horst Heintze (*1923) war in Halle Klempererschüler und seit 1953 Dozent, später Prof. am Romanischen Institut der Humboldt-Universität Berlin. 13 Joseph Engels (1910-1975), niederl. Sprachwissenschaftler, 1943 in Groningen promoviert, ab 1958 (1963 Lehrstuhl) Professur für Neolatinistik in Utrecht, Redaktionsmitglied von Neophilologus (ab 1957). W.Kr. wollte ihn um 1950 an die Universität Leipzig holen. 256 „Wartburg 14 hat gesprochen: er habe seinen Lehrling 15 nach Berlin ge- “schickt, der Romanistik zuliebe; man könne sich keine Vorstellung „machen von den Umständen, unter denen man dort arbeiten müsse; er „wolle darüber - vielleicht wegen meiner Abwesenheit? - nicht weiter „sprechen. Außerdem mache er sich keine einzige Illusion über die „Dauer der Beziehung zu Berlin. - Das war so ungefähr der Umkreis „seiner Ausführungen. Über seine persönliche Einstellung („subjek- „tive“) besteht folglich kein Zweifel. An der Genauigkeit der Berichterstattung ist nicht zu zweifeln. Übrigens erhielt ich jetzt von Wartburg eine äußerst freundschaftlich gehaltene Empfehlung an die Klasse, das literatur-wissenschaftliche Institut so schnell wie möglich in Funktion zu bringen. Herzliche Grüße! Rita Schober an Werner Krauss Berlin-Niederschönhausen Berlin, 2. Mai 1952 Strasse 200, Parzelle 17 Tel. 480484 Lieber Werner! schon längst wollte ich Dir schreiben, aber leider sind meine Leistungsmöglichkeiten noch immer sehr beschränkt und so hatte ich vor allem gehofft, Dich am letzten Freitag selbst sprechen zu können, um Dir alles das zu sagen, was mir auf der Seele liegt. Denn ich habe doch von Naas 16 eine Zuschrift bekommen, worin er mir mitteilt, daß das Präsidium das Institut [sic] beschlossen hat und mich zur Leiterin der Arbeit ernannt hat. Ich war ganz aufgeregt vor Freude und werde bestimmt auch schneller gesund, denn Freude ist bekanntlich die beste Medizin. 14 Walter von Wartburg (1888-1971), schweizerischer romanistischer Linguist und Begründer und Herausgeber des Französischen Etymologischen Wörterbuchs (FEW), das an der Berliner Deutschen Akademie der Wissenschaften bearbeitet wurde (bis 1962). 15 Meint den schweizer Linguisten und Wartburg-Schüler Kurt Baldinger (1919-2007), der seit 1948 Professor mit Lehrauftrag, später Lehrstuhlinhaber an der Humboldt-Universität zu Berlin war und von 1949-1962 das Institut für Romanische Sprachwissenschaft und die Arbeiten zum FEW an der Deutschen Akademie der Wissenschaften leitete. Folgte 1957 einem Ruf nach Heidelberg. 16 Josef Naas (1906-1993), Mathematiker, 1932 KPD; 1942-1945 KZ Mauthausen; 1946- 1953 Direktor der Deutschen Akademie der Wissenschaften und Prof. an deren Forschungsinstitut für Mathematik. 257 Dir lieber Werner, möchte ich aber vor allen Dingen danken, denn ich weiß, daß ohne Deine wohlwollende Befürwortung dies nicht möglich gewesen wäre. Für mich gehen mit dieser neuen Aufgabe zwei lang gehegte Wünsche in Erfüllung: endlich wieder wissenschaftlich arbeiten zu dürfen und dabei zugleich die Verbindung zu Dir und Deiner Wissenschaftskonzeption zu finden, eine Verbindung, die ich seit dem Anfang Deines Leipziger Aufenthaltes immer wieder gesucht habe. Du erinnerst Dich vielleicht nicht mehr daran, aber noch ehe Victor nach Halle kam, war ich schon einmal bei Dir in Leipzig und bat Dich uns Hallensern doch einen Ordinarius besorgen zu helfen. Du hast dann ja auch mit Victor selbst gesprochen. Und in der Folgezeit war ich dann noch mehrmals in Leipzig, noch ehe der Aspirantenkurs offiziell bei Dir tagte. Einmal habe ich eine Pascalvorlesung bei Dir gehört, Dir anschließend meine Dissertation zur Begutachtung gegeben. Damals hat noch Popinceanu 17 den Gesprächsvermittler gemacht. Und immer wieder war es mein Wunsch, einmal ein Semester lang eine Vorlesung bei Dir hören zu können. Versteh mich, bitte, nicht falsch, wenn ich Dir das einmal schreibe, es ist lediglich die story meines jahrelangen Bemühens um einen wissenschaftlichen Kontakt mit Dir und wenn ich Dir davon sprach, so hatte ich manchmal den Eindruck als ob Du mir nicht ganz glaubtest. Vielleicht siehst Du darin einen Widerspruch zu meinem Verhältnis zu Victor. Dem ist aber nicht so. Ich habe Victor sehr viel zu danken, wissenschaftlich und menschlich, ich habe ihn vor allem in diesen Jahren als absolut offenen und ehrlichen Charakter schätzen und nehmen gelernt und er ist zu mir fast wie ein zweiter Vater. Aber das heißt doch nicht, daß mir der Blick versperrt sein muß für jede andere wissenschaftliche Problematik und für die Menschen, die ihrer Lösung meiner Ansicht nach näher gekommen sind. Dir ging noch ehe Du nach Leipzig gekommen warst, der Ruf eines marxistischen Literarhistorikus voraus. War es da nicht natürlich, daß ich wünschte, bei Dir ebenfalls lernen zu dürfen? Aber dann kam immer wieder so vieles dazwischen. Immer wieder wurde ich durch Parteiauftrag aus meiner wissenschaftlichen Arbeit gerissen, erst durch den Studentendekan und nun durch das Staatssekretariat. 18 Lange genug habe ich mich gerade gegen diese letzte Stellung gewehrt. Ich weiß nicht, ob Du Dich daran erinnerst, wie ich Dir bei unserer letzten Aspirantentagung in Leipzig auf dem Hauptbahnhof von dem Plan mich ins Staatssekretariat zu holen erzählte. Damals sagtest Du noch, es könne gar nichts schaden, wenn da einmal jemand Vernünftiges sitzen würde. Aber für mich bedeutete es wieder das Aufgeben der wissenschaftlichen Arbeit für längere Zeit. Und darum bin ich so froh, daß ich nun endlich mit Wunsch und Willen der Partei wieder wissenschaftlich arbeiten kann und danke Dir für Deine Mithilfe bei der Erreichung dieses Zieles. Du hattest seinerzeit den Wunsch geäußert, meine bisherigen Arbeiten kennenzulernen. Wäre es Dir nicht doch einmal möglich bei einem Deiner nächsten Berli- 17 Popinceanu war in Leipzig Leiter der rumänischen Abteilung des Instituts für Romanistik. 18 R.Sch. war 1951-1952 Hauptreferentin für Philologien im Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen bei der Regierung der DDR. 258 ner Besuche zu mir zu kommen, da ich noch immer nicht transportfähig bin? Dann könnte ich Dir alles vorlegen was überhaupt da ist. Das Richtigste wird es jedoch sein, wenn ich die Disposition meiner Arbeit vorlege, sobald ich einigermaßen hergestellt bin und wieder denken kann. Jetzt fällt mir dieser Brief schon schwer und ich muß Dich um Nachsicht für meinen Stil bitten. Mit der herzlichen Bitte, daß Du meines aufrichtigen Wunsches zu einer guten und fruchtbaren Zusammenarbeit versichert sein mögest, verbleibe ich mit den besten Grüßen und Wünschen Deine Rita Schober 259 Rita Schober an Werner Krauss Berlin, den 3.5.52 Lieber Werner! Ich war eben im Begriff den beiligenden [sic] Brief an Dich abzusenden, als ich nach einigen Umwegen Dein Schreiben vom 30.4. erhielt. Du hattest auf der Adresse Hohen-schönhausen statt Niederschönhausen geschrieben, so daß der Brief erst eine Rundreise gemacht hat. Dem Inhalt Deines Schreibens stehe ich etwas fassungslos gegenüber, denn ich kann mir absolut nicht vorstellen, um welche „Gestionen“ es sich handelt; ist für den Laien doch die Akademie ein Buch mit sieben Siegeln. 19 19 Dieser Brief (wie auch die beiden vom 2. Mai und vom 1. Dez. 1952) bezieht sich auf die Vorgänge im Jahr 1952 um die von W.Kr. betriebene Gründung eines Instituts für Romanische Literaturwissenschaft an der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Am 29. Februar 1952 hatte W.Kr. der Abteilung Wissenschaft beim ZK der SED einen entsprechenden Antrag eingereicht. Das Profil des zu gründenden Instituts sollte durch drei Themen und Gegenstandsfelder bestimmt werden: 1. Aufklärung 2. Klassischer bürgerlicher Roman des 19. Jahrhunderts 3. Übergänge zum sozialistischen Roman im 20. Jahrhundert in Frankreich. Seine Personalvorschläge sahen vor, dass die Forschungen zu Thema 3 von R.Sch. geleitet werden. In einem nicht mehr auffindbaren Brief von R.Sch. an W.Kr., den Jürgen Storost zitiert in seinem Buch 300 Jahre romanische Sprachen und Literaturen an der Berliner Akademie (Berlin 2001, Teil II, S. 394), bekräftigte R.Sch. ihre Zusage mit den Worten: „Ich werde mich mit allen Kräften bemühen, dieses Vertrauen durch gute Arbeit zu rechtfertigen, denn ich bin der großen Ehre, die die Übertragung dieser Aufgabe für mich bedeutet, bewusst. - Ich hoffe, dass es mir mit dem Einverständnis des Institutsdirektors, Herrn Prof. W. Krauß [sic], recht bald möglich sein wird, die Arbeit aufzunehmen.“ W.Kr. hatte seinem Antrag die ff. Begründung des Antrages für die Einstellung von Frau Dr. Rita Schober als gehobene wissenschaftliche Mitarbeiterin beigefügt: „Frau Dr. S c h o b e r hat ihre linguistische Vorbildung in den Jahren 1936-1944 an der damals deutschen Universität zu Prag genossen. Seit ihrem Übertritt in die DDR hat sie sich der wissenschaftlichen Anleitung von Professor Klemperer unterstellt und auf seine Anregung eine Habilitationsschrift vorbereitet, die das Verhältnis George Sands zum Sozialismus beleuchten soll. Frau Dr. Schober hat neben diesen gelehrten Bemühungen eine umfangreiche akademische Praxis als Studentendekan, als Hauptreferentin im Staatssekretariat für Hochschulwesen und durch die Ausfüllung verschiedener Lehraufträge entfaltet. Es wird beantragt, Frau Dr. S c h o b e r in die akademische Stellung einer gehobenen wissenschaftlichen Mitarbeiterin zu übernehmen. Es ist vorgesehen, ihr die Stellung einer Leiterin der Arbeiten einzuräumen von dem Zeitpunkt an, an dem sie ihre abgeschlossene Habilitationsschrift vorlegt und die Zusage machen kann, dass sie die ihr heute noch fehlende Kenntnis in dem für die Aufrechterhaltung des wissenschaftlichen Betriebes entscheidenden Sprach- und Kulturgebiet des Russischen und des Spanischen nachgeholt hat.“ (NL Krauss GUTA, Archiv der berlin-brandenburgischen Akademie der Wissenschaften) In einem bei J. Storost S. 395 überlieferten Brief von W.Kr. an Theodor Frings, den Sekretär der Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst, zog Kr. seinen Antrag mit dem Argument zurück, R.Sch., die ihre Habilarbeit noch nicht abgeschlossen habe, sei als Leiterin 260 Als ich die Mitteilung von Naas erhielt, so war meine erste Reaktion die, Dir zu schreiben oder Dich anzurufen, um Dir zu danken. Diesem Zweck galt mein Anruf vom vorigen Freitag im Institut und ich war sehr enttäuscht, als ich Dich nicht erreichen konnte, zumal ich Dich im Institut wußte. Denn ich habe natürlich angenommen, daß diese Ernennung zur Leiterin der Arbeit von Dir ausgeht, so wie es besprochen worden war. Zweifel daran sind mir überhaupt nicht gekommen, denn ich hatte nach unseren vielen und ausführlichen Gesprächen über das Institut den Eindruck, daß Du selbst meine Mitarbeit wünschtest. Hätte ich den Eindruck gehabt, daß es sich für Dich nur um die „Einhaltung eines Vertrages“ handle, um deren Realisierung man besorgt sein müsse, so wäre dies für mich inacceptabel gewesen. Vielmehr gaben mir gerade diese langen Nachtgespräche die Zuversicht, daß ein Vertrauensverhältnis im Entstehen sei, das alle Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit biete. Umso schmerzlicher, lieber Werner, berührt mich Deine Bemerkung von den zwei „Lebensmethoden“, die die verschiedensten Deutungsmöglichkeiten zuläßt und mir eine Beteiligung an den Vorgängen in der Akademie zu insinuieren scheint, wodurch das eben erst entstandene Gebäude des Vertrauens in sich zusammen zu sinken droht. Auch ich muß Dich bitten, mich nicht falsch zu verstehen, aber es liegt mir wirklich alles an einer guten, ehrlichen Zusammenarbeit, da ich weiß, daß ich nur so wirklich etwas lernen kann und wir nur so die Erwartungen, die schließlich von Partei und Akademie in ein neues Institut gesetzt werden, erfüllen können. Ich hoffe jedoch, daß sich all diese Mißverständnisse in einem persönlichen Gespräch klären werden und möchte Dich nochmals herzlich bitten, mich doch so bald wie möglich zu besuchen. Auf alle Fälle lege ich Dir die notwendigen Unterlagen bei zu Deiner eigenen Information und für alle noch irgendwie erforderlichen Anträge. Auch ich möchte zum Abschluß eine schon beinahe verzweifelte Bitte aussprechen, mir zu glauben, daß Reden und Denken nicht auseinanderfallen, es mir so lange zu glauben, bis ich Dich durch die Arbeit werde überzeugen können, wozu ich in der Akademie hoffentlich recht bald Gelegenheit haben werde. Mit den besten Wünschen für Deine Gesundheit und vielen herzlichen Grüßen verbleibe ich Deine Rita Schober 5 Anlagen der Arbeiten noch nicht qualifiziert. Diese Entscheidung und der Rückzug von seinem eigenen Antrag war ein Eklat, dessen Motive in den von offizieller Seite unterstützten Bestrebungen V. Klemperers zu suchen sind, über seine Schülerin R.Sch. Einfluß auf das zu gründende Akademieinstitut zu gewinnen. Die eigentlichen wissenschaftlichen Beweggründe, die W.Kr. zur Aufgabe seines Plans brachten, sind dem Memorandum über die gegenwärtige Lage der Romanistik in Berlin und Leipzig (s. NL Krauss, Nr. 79), zu entnehmen (vgl. auch die Darstellung dieser Vorgänge bei Gerdi Seidel, Vom Leben und Überleben eines <Luxusfachs>. Die Anfangsjahre der Romanistik in der DDR, Heidelberg 2005). 261 Rita Schober an Werner Krauss Berlin-Niederschönhausen Strasse 200, Parzelle 17 Berlin, 1.12.52 Herrn Prof. Dr. Werner Krauß Leipzig 0 27 Gletschersteinstraße 53 Betr.: Lebenslauf, Zeugnisabschriften. Am 3.5.52 übersandte ich die von mir angeblich für den Akademievorschlag am 15.5.52 angeforderten Personalunterlagen: Lebenslauf, 4 Zeugnisabschriften. Bis heute ist eine Bestätigung des Eingangs dieser Unterlagen nicht erfolgt, noch viel weniger natürlich ihre Verwendung für die Akademie, ich ersuche daher um ihre unverzügliche Rückgabe. Ich darf mich dabei der berechtigten Hoffnung hingeben, daß in der Zwischenzeit von 5 Monaten alle notwendigen Personalnotizen, die zu einer speziellen Forschungsarbeit über meine politische und sonstige Vergangenheit notwendig waren, inzwischen abschriftlich entnommen werden konnten, so daß auch von diesem zweifelsohne wichtigen Gesichtspunkt aus einer Rückgabe kaum mehr etwas im Wege stehen dürfte. Was die Beschwerlichkeiten der Dissertationsbeschaffung aus Prag anbelangt, so hätten sie dem interessierten Forscher durch eine Lektüre der von mir bereits 1948 persönlich in Leipzig im Frühjahr bei einem Besuch überreichten Dissertation erspart werden können. Sie war unverändert und enthielt sämtlich Klammerzusätze, auch den hinter Gradenwitz. Allerdings wußte mir der damalige rumänische Lektor von Leipzig, Herr Dr. Popinceanu von keinerlei diffamierenden Äußerungen des Direktors des Leipziger Romanischen Instituts Herrn Prof. Dr. Werner Krauß über Dissertation und Inhalt zu berichten, als er sie mir im Auftrag des gleichen Direktors nach einem Jahr zurückgab. Ich gestatte mir, an diese an sich belanglose Tatsache zu erinnern, falls sie in Vergessenheit geraten sein sollte. Ich erwarte die Rückgabe meiner Papiere bis spätestens zum 5.12. einschließlich/ Datum des Poststempels/ . Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung: Dr. Rita Schober 262 im Auftrag von Werner Krauss an Rita Schober 4. Dezember 1952 Berlin-Niederschönhausen Straße 200, Intelligenzsiedlung Sehr geehrte Frau Dr. Schober! Im Auftrag von Herrn Prof. Krauss Leipzig habe ich Ihnen bezüglich Ihres Eilbriefes folgendes mitzuteilen: das gesamte Material an persönlichen Dokumenten, die Prof. Krauss für die damals vorgesehen Gründung eines romanistischen literaturgeschichtlichen Instituts an der Deutschen Akademie der Wissenschaften geplant hatte, ist auf dem regulären Instanzenweg zunächst an die Klasse für Sprache und Literatur zur Stellungnahme eingereicht worden. In dieser Akte befanden sich Ihre Papiere an erster Stelle entsprechend der von Prof. Krauss für Sie damals vorgesehenen Position. Nach der positiven Verabschiedung seiner Vorschläge durch die Klasse für Sprache und Literatur ist Prof. Krauss über das weitere Schicksal seiner Anträge keine offizielle Nachricht zugegangen. Da aber auf Anfrage das Präsidium der Deutschen Akademie erklärte, daß die betr. Anträge ihm überhaupt nicht vorgelegen hätten, dürften die von Ihnen zurückerbetenen Papiere mitsamt den Anträgen dem Direktor der Akademie, Herrn Dr. Josef Naas, vorliegen. Prof. Krauss möchte Ihnen daher empfehlen, sich in dieser Angelegenheit mit dem Büro des Akademiedirektors auseinanderzusetzen. Schließlich habe ich den Auftrag, Ihnen mitzuteilen, daß weder die Form noch der Inhalt Ihres Briefes eine Grundlage für eine Bereinigung von persönlichen Mißverständnissen sein können. Mit vorzüglichster Hochachtung i.A. 20 Werner Krauss an Rita Schober 22.12.53 Liebe Rita, sehr herzlichen Dank für Deine freundliche Weihnachtsgabe und die daran geknüpften Wünsche, die ich diesmal leider mit leeren Händen, aber aus vollem Herzen erwidere. Vor allem müssen wir alle dafür stehen, dass das Neue romanistische Jahr ein Jahr der romanistischen Erneuerung werde. Als einen Beitrag dazu begrüsse ich Deine Bereitschaft, an der so dringenden Textherstellung mitzuwir- 20 Der Verfasser des nicht unterzeichneten Briefes konnte nicht ermittelt werden. 263 ken. Ich schlug Dir das Stichwort Zola vor, 21 weil Dir es doch wohl jetzt am schnellsten von der Hand geht. Bei der Art der Ausarbeitung schalte bitte ganz nach Ermessen! Im Prinzip habe ich uns vorbehalten, dass auch kommentierte Einzelausgaben (so etwa Discours de la méthode, oder D’Alemberts Discours préliminaire) erscheinen können. Für Zola kommt dies wohl weniger in Frage. Die Ausbeute von „Paris“ würde vielleicht auch noch für einen Band „Kommune oder französischer Sozialismus“ verwertbar sein. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch betonen, dass die von H. Mayer und mir mit dem Sammelband „Aufklärung“ eröffnete literaturgeschichtliche Reihe für jede methodologische oder forscherisch ertragreiche Arbeit offensteht. 22 Wenn Du also für Deine Habilschrift nichts besseres vor hast, so bitte ich Dich diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen: Dein Erscheinen hätte auch den symbolischen Sinn einer Besitzergreifung der Reihe durch die Gesamtromanistik. Meine Arbeit beschränkt sich auf die unumgänglichen Hebammendienste. Gute Wünsche fürs Neue Jahr W. Kr. Werner Krauss an Rita Schober (27.2.1954) Liebe Rita! Behalte nur den P. 23 noch 14 Tage - aber dann brauche ich ihn, schon wegen der Korrektur der Fahnen. Hattest Du keinen so zwiespältigen Eindruck? Jedenfalls gehört es zu den repräsentativen Büchern, über die auch die Zeitschrift referieren müsste. Sicher wäre P. einverstanden mit einer ev. Teilpublikation! Eine weitere Anregung möchte ich auf Grund meiner letzthinnigen westdeutschen Erfahrungen wagen: die Ignoranz über sowjetische Dinge ist total, nicht aber die Unlust sie zu erfahren. Nur dass jede Verflechtung mit Politischem geächtet ist. Eine objektive 21 Werner Krauss war Anfang der 50er Jahre vom Potsdamer Verlag Rütten&Loening über das Projekt einer Zola-Ausgabe konsultiert worden und hatte Rita Schober als Herausgeberin empfohlen, die zu der Zeit an ihrer Habilschrift über Zola arbeitete. (Krauss hatte ihr das Thema nahegelegt, mit dem sie sich 1954 in Berlin habilitierte: Emile Zolas Theorie des naturalistischen Romans und das Problem des Realismus. Die Arbeit wurde nicht publiziert. 22 Im Verlag Rütten&Loening gaben Werner Krauss und Hans Mayer seit 1955 die Reihe Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft heraus, die mit dem Band Grundpositionen der französischen Aufklärung eröffnet wurde. 23 R.Sch. hatte sich von Krauss die Arbeit des westberliner Romanisten Walter Pabst (1907- 1992) Novellentheorie und Novellendichtung. Zur Geschichte ihrer Antinomie in den romanischen Literaturen ausgeliehen 264 Darstellung der sprachwissenschaftlichen oder literaturmethodologischen Entwicklungen in der S.U. würde geradezu begierig aufgenommen. Warum machst Du nicht letzteres auf Grund Deiner Vorarbeiten? Wir behandeln dieses Thema jetzt in einem Aspirantenseminar, ausgehend von Burows letztem Aufsatz in „Fragen der Philosophie“ V. 24 Ein weiterer Vorschlag zur Güte ist ein jeweiliger Austausch von Listen über unsere Neuerwerbungen und daran anschliessend die Einrichtung kurzfristiger (gestrichen) Verleihungen zwischen beiden Instituten. Das wäre ein bescheidener Anfang, der aber doch zu sehr viel mehr führen könnte. Wann kommen Deine Zola-Naturalismus-Texte? Sie würden sofort gesetzt: Anmerkungen könntest Du auf Grund der Fahnen machen. Am nächsten Donnerstag muss ich zu einer Besprechung nach Berlin, hätte aber vor 17h Zeit und bitte in diesem Fall um baldige Nachricht, weil ich dann mit einem früheren Zug führe. Will der Dr. Heintze nicht in der Textreihe mitarbeiten? Ich hatte ihm 17. Jahrhundert vorgeschlagen. Sehr herzliche Grüße W. Kr. Rita Schober an Werner Krauss Berlin-Niederschönhausen, 3.4.1954 Strasse 200 Parzelle 17 Lieber Werner! Du hast sicher inzwischen das Buchpaket mit der Habilitationsarbeit und dem Pabst erhalten. Zum Pabst: Nochmals recht herzlichen Dank dafür, daß Du ihn mir geliehen hast und sei, bitte, auch nicht böse, daß es mit dem Zurückschicken etwas länger gedauert hat. Ich konnte mich bei der Genrefrage der Lais auf die Anfangskapitel vom Pabst sehr gut stützen. Leider kann ich die versprochene Stellungnahme zum ganzen Buch nicht abgeben, da ich wegen der Überlastung mit den Vorarbeiten für die Habilitation nicht dazu gekommen bin, das ganze Werk durchzuarbeiten. Ich habe nur den ersten Abschnitt über die italienischen Novellen durchgesehen und den über die französischen überflogen und von beiden den Eindruck bekommen, 24 Aleksandr Ivanovitch Burow, russischer Philosoph und Anti-Kantianer. Hatte in der Moskauer Zeitschrift Voprossy filofofii 1954 einen Aufsatz zur Theorie der Kunst publiziert, worin er „die relative Selbständigkeit der Kunst“ gegen „Tendenzen der Vulgarisierung in der Ästhetik“ ins Feld führte. W.Kr., der in der russisch sprach, interessierte diese These im Kontext der Formalismus-Debatten der 40er/ 50er Jahre in den sozialistischen Ländern. Burows 1956 in Moskau erschienenes Buch zu dieser Problematik Esteti eskaja suchnostj iskusstva erschien 1958 auf deutsch im ostberliner Dietz-Verlag unter dem Titel Das ästhetische Wesen der Kunst. 265 daß es sich um eine sehr sorgfältige und sehr materialreiche Arbeit handelt. Allerdings definiert Pabst nirgends seinen Novellenbegriff, obwohl er dauernd gegen einen normativen Novellenbegriff polemisiert. Sicher wäre das Erscheinen dieser Arbeit bei uns ein Gewinn, ich fürchte aber, daß der Leserkreis des Buches ein sehr kleiner ist und ich weiß nicht, ob der Verlag R. & L. eine solche Edition geschäftlich wagen kann. Zur Habilitationsarbeit: Lieber Werner, entschuldige bitte, daß ich Dir nur einen Durchschlag schicken konnte, das Original liegt noch immer in der Fakultät. Wenn man einen weißen Bogen unterlegt, läßt sich der Durchschlag besser lesen. Und nun zum Inhalt. Meiner Ansicht nach muß in den Teilen über Molière, Diderot, die Romantik und Zolas Auffassungen von Sprache und Stil noch ergänzt werden. Der zweite Teil, die Germinal-Analyse, soll nur ein Beispiel sein, wie ich mir die Untersuchung der Zolaschen Romankunst ungefähr vorstelle. Ursprünglich sollten die Rougon-Macquart im Mittelpunkt stehen, die Romantheorie war nur als Einleitung gedacht. Ich bin sehr gespannt auf Dein Urteil und bitte Dich herzlich, es mir offen und ehrlich zu sagen. Solltest Du nach der Lektüre der Arbeit noch die Herausgabe in Deiner Reihe für wünschenswert erachten, so würde ich vorschlagen, nur den ersten Teil zu bringen, der ja dann noch überfeilt und abgerundet werden könnte. Die Habilitation hat gut geklappt und ich bin sehr froh, daß ich es hinter mir habe. Mit Manfred habe ich gestern wegen der Zeitschrift gesprochen und auch wegen Quevedo. Die Angelegenheit B. läßt sich kaum länger hinausschieben. Ich habe auch diese Dinge mit Manfred 25 durchgesprochen und er wird Dir sicher davon berichten. Schalk ist eingeladen. Ich nehme an, daß wir bald eine Beiratssitzung haben, auf der die wichtigsten Fragen der Romanistik besprochen werden können. Im übrigen würde ich Dich herzlich bitten, daß wir die endlich wieder angeknüpfte Verbindung nicht abreißen lassen und uns über die wichtigsten Dinge verständigen. Für heute viele herzliche Grüße und hoffentlich gefällt Dir die Arbeit. Deine Rita 25 Manfred Naumann (*1927), Romanist, Literaturwissenschaftler und Stendhalspezialist. Schüler der ersten Generation von W.Kr.; 1955 Leiter der Arbeiten an der an der Deutschen Akademie der Wissenschaften auf Antrag von W.Kr. gegründeten Arbeitsstelle zur Geschichte der französischen und der deutschen Aufklärung. Nach Professuren in Jena, Berlin und Rostock, 1969 Mitbegründer mit dem Brechtforscher Werner Mittenzwei und dem Anglisten und Shakespeareforscher Robert Weimann des Zentralinstituts für Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR; Leiter des Theoriebereichs und seit 1982 Direktor des ZIL bis zu seiner Emeritierung 1990. 266 Rita Schober an Werner Krauss [Kopfbogen des Romanischen Instituts der Humboldt-Universität] 1. Juni 1954 Lektorenstunden von Frau Rüdiger. Lieber Werner, von Frau Rüdiger 26 erfuhr ich, dass sie im nächsten Studienjahr stärker als bisher in Leipzig mit Stunden belastet sein wird und dass sie durch Deine Fürsorge so beträchtlich gefördert worden ist, dass sie sich Dir zutiefst verpflichtet fühlt und deshalb nicht recht weiss, ob sie die weitere Fortführung des Berliner Sprachunterrichts Deinem Institut gegenüber verantworten kann. Ich sehe deshalb nur die eine Möglichkeit, mich mit der herzlichen Bitte an Dich zu wenden, uns Frau Rüdiger auch weiterhin für ein bis zwei Tage in der Woche „zu leihen“ und wäre Dir für Deine Zustimmung sehr dankbar. Ich wüsste sonst im Augenblick nicht, wie ich den Unterricht von Frau Rüdiger gleichwertig ersetzen sollte. Vor einigen Tagen hatte sich ein Herr Sokolow 27 bei mir gemeldet, der bisher als Lektor für Französisch und Russisch an unserer Universität tätig war. Er ist ähnlich wie Frau Kotler 28 in Frankreich geboren, hat dort studiert und nach dem Krieg für die Sowjet-Union optiert und befindet sich deshalb auf Zwischenstation bei uns. Er wollte gern in nähere Verbindung mit dem Romanischen Institut kommen. Da ich seinetwegen nicht Frau Kotler entlassen kann, andererseits weiss, dass Du ebenfalls einen fremdsprachigen Lektor für Französisch dringend benötigst, habe ich ihn gebeten, sich an Dich zu wenden. Sollte daraus nichts werden, so bitte ich Dich, mir noch einmal mitzuteilen, ob Du Frau Kotler im Wintersemester benötigst und wieviel Stunden. Ich würde dann in Deinem Namen mit ihr sprechen. Lieber Werner, nun komme ich noch mit einer Anfrage. Du weisst, dass durch das Ableben vom Genossen Prof. Böhme 29 in der Hispanistik bei uns eine schwierige Lage eingetreten ist. Genosse Dessau, 30 der ja Aspirant unter Deiner Betreu- 26 Die Wienerin Hermine Rüdiger war in den 40er und 50er Jahren Französischlektorin in Leipzig und Berlin. 27 Die Identität konnte nicht aufgeklärt werden. 28 Françoise Kotler, eine mit einem Franzosen verheiratete Russin, war in den 40er und 50er Jahren in Halle und Berlin Französischlektorin. 29 Traugott Böhme (1884-1954); Berliner Hispanist; lehrte von 1947 bis 1954 am Romanischen Institut der HUB. 30 Adalbert Dessau (1928-1984), Hispanist und Lateinamerikanist; hatte als Ass. bei W.Kr. in Leipzig gearbeitet; war nach seiner Promotion Dozent am Berliner Romanischen Institut (1952-1960) und danach Gründungsdirektor des Lateinamerikainstituts an der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock (1960-1984). 267 ung für Hispanistik werden soll, hat sich prinzipiell bereiterklärt, die sechs bzw. vier Vorlesungs- und Übungsstunden vom Genossen Prof. Böhme zu übernehmen. Das würde allerdings bedeuten, dass er bereits im ersten Ausbildungsjahr seiner Aspirantur eine zweistündige Überblicksvorlesung über spanische Literaturgeschichte halten müsste. Das ist natürlich eine grosse Belastung. Genosse Klemperer hatte deshalb daran gedacht, Genossen Dr. Bahner 31 zu bitten, bei uns diese Vorlesung zu lesen. Ich möchte Dich deshalb fragen, ob Du Genosse Dr. Bahner eine solche einsemestrige Gastvorlesung bei uns gestatten würdest, zumal ich nicht ganz sicher bin, ob das Staatssekretariat Genossen Dessau eine so hohe Stundenzahl im ersten Aspiranturjahr bewilligen wird. Ich würde mich auch sonst sehr freuen, von Dir und Leipzig wieder einmal etwas zu hören, und verbleibe für heute mit den herzlichsten Grüssen Deine Rita Werner Krauss an Rita Schober [Kopfbogen des Romanischen Instituts der Karl-Marx-Universität, Leipzig] 16. Juli 1954 Liebe Rita! Entschuldige bitte die lange Verzögerung meiner Antwort durch meinen leider zu kurzen Ferienaufenthalt und die Hoffnung, Dir zugleich abschliessend über Zola schreiben zu können. Für heute nur als Vorgriff, dass selbstverständlich Frau Rüdiger wie verabredet nach Berlin kommen wird, was Bahner betrifft, so ist es ja unser gemeinsames Interesse, dass durch ihn das bisherige sprachwissenschaftliche Monopol gebrochen wird und dass er die entsprechenden Vorlesungen bei uns hält. Ausserdem sind bei seiner Habilitierung retardierende Momente in Erscheinung getreten und schliesslich müssen wir alle hier zusammenwirken, um die unbillige und einen wahren Abgrund von Inkompetenz und Erbärmlichkeit eröffnende Entlassung von Quevedo 32 solange lehrmässig auszugleichen, bis wir ihn in der Form eines Lehr- 31 Werner Bahner (*1927), Romanist und Schüler von W.Kr. der ersten Generation an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nachfolger als Direktor des Instituts für romanische Sprachen und Kultur an der Berliner Akademie der Wissenschaften (1965-1970). Promovierte bei W.Kr. mit der Arbeit Beitrag zum Sprachbewußtsein in der spanischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, die 1956 als Band 5 der Reihe Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft erschien. 32 José Quevedo (1908-1984), Flugzeugtechniker und Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg, der nach 1945 als Emigrant in der DDR lebte und von W.Kr. als Spanischlektor am Romanischen Institut der KMU von 1952 bis 1962 engagiert wurde. Übernahm zeitweise auch als Muttersprachler den Spanischunterricht am Romanischen Institut der HUB. Va- 268 auftrags wieder verwenden können. Wenn Bahner bei all dem es trotzdem schafft und vor allem nicht zu einer sehr unzweckmässigen Hast bei der Habilitierung gezwungen ist, kann er es ja machen. Viel zweckmässiger wäre es allerdings, bei den jungen Dozenten, wenn sie die mühsam erarbeiteten Erstvorlesungen dann auch zum Gegenstand ihrer Gastreisen machen würden. Für heute nur dies. Über das andere und wichtigere einandermal ausführlicher Herzliche Grüße Werner Krauss handschriftlich: Ich hoffe der Zola wird schnell erscheinen können. Die Nummerierung (5) schliesst nicht aus, dass die Arbeit vor der früher nummerierten gesetzt wird und erscheint. 33 P.S. Was das Merkblatt betrifft, so beruhen leider Beziehungen wie Schalk 34 vorläufig darauf, dass er mir nicht eine solche Koppelung zutraut. Allenfalls könnte man es bei Rheinfelder 35 machen, der ja im Herbst kommt. Werner Krauss an Rita Schober [nach 57? nach 58? oder 60 (handschriftlich R.Sch.)]36 Liebe Rita! Sei sehr herzlich bedankt für Deine freundlichen Gedenkworte! Da Berge und Propheten so selten zusammen kommen, so möchte ich Dir auf diesem nicht gerade ter der in der DDR sozialisierten Malerin Nuria Quevedo (*1938). - Die Vorgänge um die Entlassung konnten nicht mehr aufgeklärt werden. 33 Die Habilschrift über Zola ist nicht erschienen. Einer der Gutachter, der Philosoph und Kybernetiker Georg Klaus, hatte umfangreiche Ausbauten empfohlen, zu denen die jüngst mit der Leitung des Romanischen Instituts der HUB beauftragte Autorin keine Zeit hatte. 34 Fritz Schalk (1903-1980), Kölner Romanist (1940-1970) und lebenslang Herausgeber der Romanischen Forschungen. Mit W.Kr. befreundet, der seine Zuwahl zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaft in Ostberlin betrieb. 35 Hans Rheinfelder (1898-1971), Münchener Romanist. Begründet 1953 inmitten des Kalten Krieges den Deutschen Romanistenverband und setzt sich für deutsch-deutsche Wissenschaftskooperation ein. Mit W.Kr. und R.Sch. befreundet, die ihn in den 50er Jahren mehrfach zu Gastvorträgen einladen. Engagierte sich für den gesamtdeutschen Zusammenhalt der deutschen Romanistik. 36 Wahrscheinlich 1954. Nimmt Bezug auf R.Sch.’s Ernennung nach ihrer Habilitation im März 1954 zur Professorin mit vollem Lehrauftrag am Institut für Romanistik der HUB am 1. Mai 1954 und daselbst als Victor Klemperers Nachfolgerin als geschäftsführende Direktorin des Instituts (ab 1. September 1954). 269 geeigneten Wege meine Freude darüber mitteilen, dass der Berliner Wirkungsort von keiner anderen Hypothek belastet Dir überlassen bleibt. Das wird hoffentlich auch eine solide Grundlage sein für ein neues Einvernehmen in fachlicher Hinsicht. Das andere was ich Dir längst schon sagte, ist nun unumgänglich: das Erscheinen Deines Zola muss in die nächste freie Produktionslücke eingesetzt werden! Für heute nur diesen kurzen Gruß Dein Werner Krauss Rita Schober an Werner Krauss Berlin NW 7, den 8. Juni 1955 Clara-Zetkin-Str. 1 Lieber Werner, eingedenk Deiner Bemerkung im Staatssekretariat über die Unsitte des grassierenden ‘Du’ habe ich die Karte mit Harry [sic] Meier 37 absichtlich auf ‘Herr’ und ‘Sie’ umgestellt. Ich hoffe jedoch, dass Du mir im privaten Verkehr auch weiterhin das freundschaftliche Du zubilligst. Ich komme mit einer grossen Bitte: wäre es Dir wohl möglich, im Verlauf des nächsten Studienjahres eine Gastvorlesung bei uns über ein spanisches Thema zu halten? Ich sage „spanisch“ weil es auf diesem Gebiet bei uns besonders schlecht aussieht. Sollte Dir das nicht angenehm sein, so ist mir selbstverständlich ein Vortrag über ein Dir genehmes Thema der französischen Literatur oder irgendein anderes Thema ebenso angenehm. Ich würde mich nur freuen, wenn durch eine solche Gastvorlesung die so dringend notwendige wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Leipziger und Berliner Institut auch äusserlich dokumentiert würde. Ich bin selbstverständlich ebenso gern bereit, für einen Vortrag nach Leipzig zu kommen, wenn Du es wünschst. Ich möchte Dir auf diesem Wege auch noch einmal herzliche danken für Dein Entgegenkommen in bezug auf Frau Rüdiger. Ohne die Hilfe von Frau Rüdiger wüsste ich gar nicht, wie wir den Anfangsunterricht in Französisch bewältigen sollten, und da mir aus ihren Mitteilungen bekannt ist, dass die Freistellung Frau Rüdigers für einen Tag nicht ohne gewisse Einschränkungen bei Euch möglich war, danke ich besonders herzlich. 37 Harri Meier (1905-1990), linguistischer Romanist. Professor an der Universität Leipzig 1940-1945. War von 1943 bis 1945 Direktor des Deutschen wissenschaftlichen Instituts in Lissabon. 270 Über die Münchener Erlebnisse wird Dir ja Manfred 38 ausführlich berichtet haben. Ich habe von Deinem Brief gegenüber den Kollegen Dabcovich, 39 Meier und Weinert 40 Gebrauch gemacht und ihnen die Gründe Deines Fernbleibens in Deinem Sinne dargelegt. Sie waren über die Urteilsbegründung und die im Zusammenhang damit gemachten offiziösen Bemerkungen sehr erstaunt. Frau Dabcovich scheint im übrigen nicht ganz so böse auf uns zu sein, wie Du es immer annimmst. Sie ist eine sehr angenehme und aufgeschlossene Frau, und wie sie mir sagte, bereit, bei uns einen Gastvortrag zu halten. Ob Du wohl auch daran interessiert wärest? Denn ich möchte nicht wieder, dass so ein Fehler wie mit Rheinfelder entsteht. Ich werde mir überhaupt erlauben, sobald meine Liste von Gastvorlesungen für das kommende Jahr feststeht, sie Dir in Abschrift zugehen zu lassen mit der Bitte, dass Du mir mitteilst, welche der eingeladenen Kollegen Du ebenfalls in Leipzig haben möchtest. Für heute herzliche Grüsse und auf hoffentlich baldiges Wiedersehen. Deine Rita Schober (Prof. Dr. handschriftlich durchgestrichen Rita Schober) Werner Krauss an Rita Schober [2. Nov. 1960 Briefumschlag (handschriftlich R.Sch.); Kopfbogen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin] Liebe Rita! Bitte entschuldige dass die Blätter für die Zeitschrift 41 so lange liegen blieben, unter einem Berg von Unerledigtem. Solche Stauungen kommen immer wieder vor und verursachen dann Katastrophen, von Kriegserklärungen und Hinrichtungsbefehlen gefolgt. Und zwar nicht mit Unrecht! 38 Manfred Naumann (*1927); s. Anm. 25. 39 Elena Eberwein-Dabcovich (1899-1970). Romanistin. 1932 Assistentin von Leo Spitzer in Köln; 1937 wegen öffentlicher Solidarisierung mit ihrem Lehrer von den Nazi-Behörden entlassen; 1952 ao. Prof. an der TU Berlin bis zu ihrer Emeritierung. 40 Hermann Karl Weinert (1909-1974), Romanist. Professor in Tübingen. 41 Bezieht sich auf die Beiträge zur Romanischen Philologie, die seit 1961 gemeinsam von W.Kr. und R.Sch. in Berlin herausgegeben wurde; ab Jg. IV (1965) erweitert durch Werner Bahner, Leipzig; Adalbert Dessau, Rostock. - In dem von W.Kr. verfassten Geleitwort zur 1. Nummer steht das Credo: „Nur marxistisch orientierte Forschung“ im Zeichen toleranter wissenschaftlicher Auseinandersetzung „mit allen fruchtbaren Bemühungen in unserem Fach“. „Wissenschaft ist nur gegenüber der Unwissenschaftlichkeit zur Intoleranz verpflichtet.“ (I. Jg. 1961). 271 Könnten wir nicht wieder mal einen so schönen Abend wie damals in [recte: im] Warschau 42 verbringen? Ich würde Dich sehr gerne hören, aber mein Horror vor Festivitäten ist ungeheuer. Schon das Wort Rumänien verursacht mir Magendrücken und zwingt mich Pepsin zu schlucken. Das Sachliche kommt morgen. Bitte, bitte um Verständnis wenn auch Vergebung nicht gewährt wird. Und schreibe mal unvermittelt, ein gutes Wort täte mir dringend not! Ich weiss noch gar nicht, was ich mit meinen sechs Jahrzehnten anfangen soll. Früher gab es dafür Fischbein und Korsette! Vale! Flehentlich: Werner Krauss Werner Krauss an Rita Schober [Budapest, 1962? (handschriftlich R.Sch.)] Liebe Rita Ich werde nicht gerade von einem Glücksstern verfolgt: gestern ist meine Zahnprothese zerbrochen: Daher kann ich weder essen noch sprechen. Meine Bitte ergeht an Dich: das beiliegende Essbillett einem beliebigen Dir sympathischen Bettler zu schenken 1. Aus dem beiliegenden Geld im besagten Duna meine Bierrechnung zu bezahlen 2. Etiemble zu verständigen, warum ich am Montag V. II. zu seinem Referat nicht kommen kann und ihn bitten muss, den Vorsitz an meiner Stelle zu übernehmen 3. Dich wegen des Flugbillets zu gedulden. Ich war gestern um 16 Uhr dort und es war geschlossen. Ich werde aber morgen, Montag früh die beiden Flugscheine besorgen und den Deinigen in die Schlüsselkassette stecken lassen. Vielen Dank für all die Mühe und herzlichem Gruß W. Kr. 42 Meint das Café Warschau in der Berliner Stalinallee (später: Karl-Marx-Allee), dessen Ambiente W.Kr. goutierte. 272 Werner Krauss an Rita Schober [Kopfbogen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin] 9. Januar 1963 Sehr verehrte Frau Professor Schober! Im Zuge der Neuordnung des ehemaligen Instituts für Sprachwissenschaft der romanischen Völker ist in der DAW ein Institut für Romanische Sprachen und Kultur begründet worden. 43 Die verschiedenen Abteilungen sollen allmählich aufgebaut werden; fest stand aber von vorneherein, dass die sofortige Errichtung einer Abteilung für Moderne Französische Literaturgeschichte ein unaufschiebbares Desiderat ist. Ich habe die Ehre, in Übereinstimmung mit einem Sitzungsbeschluss der Klasse für Sprache und Literatur, Sie, verehrte Frau Professor Schober, mit der Leitung dieser Abteilung zu betrauen. Die Entwicklung der Ihnen unterstehenden Abteilung ist in den Empfehlungen des Präsidiums für den Ausbau der Gesellschaftswissenschaftlichen Institute sowie in den Beschlüssen der Zentralen Parteigruppe der SED an der DAW verankert. In der sicheren Erwartung, dass die fruchtbare Zusammenarbeit mit Ihnen auch den Gesamtinteressen des Institutes zugutekommt, begrüsse ich Sie als Ihr ergebenster Werner Krauss 43 Der Brief bezieht sich auf die Auflösung des von Walter v. Wartburg an der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin geleiteten Instituts für romanistische Sprachwissenschaft und die im Sommer 1962 beschlossene Neugründung eines Instituts für romanische Sprachen und Kultur, das die vorgängige Arbeitsstelle zur Geschichte der französischen und der deutschen Aufklärung integrierte und dessen Direktor W.Kr. bis zu seiner Emeritierung 1965 war. Diesem Institut sollte die von W.Kr. erwähnte Abteilung zur modernen französischen Literaturgeschichte angegliedert werden, die unter der Leitung von R.Sch. einige Jahre bestand und Forschungen über den französischen Strukturalismus betrieb. Obwohl nie aufgelöst, stellte die Abteilung ihre Tätigkeiten in den 60er Jahren ein. R.Sch.’s Essay Im Banne der Sprache. Strukturalismus in der Nouvelle Critique, speziell bei Roland Barthes (Halle 1968) ist ein Ergebnis der Arbeit dieser akademieexternen Abteilung. Vgl. zum Kontext Martin Fontius, „Werner Krauss und die Deutsche Akademie der Wissenschaften.“ In: Lendemains, 18. Jg. 1993, H. 69/ 70, S. 225-238 und Gerdi Seidel, Vom Leben und Überleben eines <Luxusfachs> (2005) 273 Werner Krauss an Rita Schober [23.V.1963 Poststempel (handschriftlich R.Sch.)] Montag Liebe Rita! Da die cubanische Exzellenz ihre Ankunft verschoben hat, so fahre ich doch wie geplant, am Mittwoch. Von Rumänien mache ich gleich die westliche Tournée von der ich um den 20.7., nichts als Ruhe im Hessenwinkler Schreberglück 44 erstrebend, zurück sein werde. Kortum 45 ist beauftragt unter allen Umständen, ob Du mitgehst oder nicht, die Änderung Deines Arbeitsvertrages in dem besprochenen Sinn durchzusehen. Der Krausssche Teufel 46 ging heut schon ab. Nun alles Gute und Liebe! W. 44 W.Kr. Wohnort am südöstlichen Rande von Berlin in der Kanalstraße 35 in Berlin- Hessenwinkel. Vgl. dazu das Tagebuch Vor gefallenem Vorhang. Aufzeichnungen eines Kronzeugen des Jahrhunderts, hg. v. Manfred Naumann. Mit einem Vorwort von Hans Robert Jauss, Frankfurt/ M. 1995 (insbesondere das Kap. X Waldstraße in Hessenwinkel). 45 Hans Kortum (1923-1997), Romanist und Schüler der ersten Generation von W.Kr. in Leipzig. Promovierte mit einer Arbeit über die Querelle des Anciens et Modernes (Charles Perrault und Nicolas Boileau. Der Antike-Streit im Zeitalter der klassischen französischen Literatur, Berlin: Rütten&Loening 1966 = Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft Bd. 22.) H. Kortum war am von W.Kr. geleiteten Akademie-Institut für romanische Sprachen und Kultur sein Stellvertreter bis zu dessen Emeritierung 1965. 46 Meint den von W.Kr. 1963 im Berliner Verlag Rütten&Loening hg. Sammelband Der verliebte Teufel. Französische Erzählungen des 18. Jahrhunderts. 274 Werner Krauss an Rita Schober [Kopfbogen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin] 2. Nov. 1963 Liebe Rita! In diesem Jahr hast Du offenbar eine große Pechsträhne. Auf der Diderotkonferenz 47 wurdest Du sehr vermißt. Es war eigentlich eine recht gute Sache. Hoffentlich gibst Du den Text Deines Referats der Wissenschaftlichen Zeitung von Berlin zum Abdruck, damit sich wenigstens in der Schrift die Reihen wieder schließen. Nun noch ein Vorschlag zu der Promotionsangelegenheit der Jutta Emke. 48 Die Promotionsbestimmung der Humboldt Universität sind sehr rigoros, was im Prinzip ganz richtig ist, aber in dem gegebenen Fall ein Bestehen der Prüfung unmöglich macht. Fächer, wie italienische Lautlehre liegen ebenso außerhalb ihres Horizontes, wie Kenntnisse im Russischen. Ich würde daher den Vorschlag machen, daß wir die Prüfung nach meiner Rückkehr oder wann immer es sei in Leipzig durchführen und dass Dein Gutachten dort als das Erste angesehen wird. Der Vorteil dieses Arrangement ist auch ein sehr egoistischer: die Karl-Marx-Universität hat mit mir ausgemacht, daß ich Doktorprüfungen bei mir zu Hause machen kann. Vielleicht erinnerst Du Dich an den kleinen Gutachtentwurf, den ich in die Arbeit eingelegt hatte. Die große Sucherei nach der Kopie blieb ergebnislos, und so würde ich Dich bitten, das Gutachten direkt an mein Institut zu schicken, wo es dann abgeschrieben wird als eine vorläufige Stellungnahme gekennzeichnet wird. Übermorgen mache ich den Flug nach Kuba, das ich zum Hispanismus zurückzubekehren hoffe. 49 Nun laß es Dir gut gehen und entschließe Dich einmal, alle Verpflichtungen auch nach Deiner Entlassung abzusagen. Es grüßt sehr herzlich Dein Werner 47 W.Kr. organisierte 1963 als Direktor des Akademie-Instituts für Romanische Sprachen und Kultur eine Diderot-Konferenz, an der namhafte französische Wissenschaftler teilnehmen. 48 Jutta Emcke (*1934) studierte und promovierte bei W.Kr. in Leipzig (1964). Ging dann nach Westdeutschland und arbeitete als freie Journalistin. 49 Auf Einladung der kubanischen Akademie der Wissenschaften reiste W.Kr. im November 1963 in Begleitung seines damaligen hispanistischen Assistenten Fritz Rudolf Fries zu einem vierwöchigen Aufenthalt nach Cuba zu Vorträgen und Gesprächen. Hauptmotiv war die Beobachtung des kubanischen Weges zum Sozialismus. Krauss’ utopischer Roman Die nabellose Welt (hg. Von Elisabeth Fillmann u. Karlheinz Barck im Berliner Verlag Basisdruck 2001) ist auch eine Stellungnahme zu W.Kr. kubanischen Erfahrungen im Jahr der Ermordung Kennedys. 275 Werner Krauss an Rita Schober Berlin - Hessenwinkel Berlin, den 14. Juli 1964 Kanalstr. 35 - Tel.: 64 96 36 Liebe Rita! Vielen Dank für Deinen Brief. Ich gehe morgen auf die DLZ, 50 auf deren Gestion es schwierig ist, Einfluß zu nehmen, da der entscheidende Mann Französisch nicht versteht. Ich werde schriftlich fixieren, daß Frankreich, 19. Jahrhundert, immer automatisch an Dich geschickt wird; was Dir nicht behagt, kannst Du ja dann weitergeben. Ich habe nun die Arbeit über Balzac gelesen und bin, wenn man alles abwägt, doch sehr dafür, daß wir sie bringen. In der Anlage schicke ich Dir eine ganz provisorische Beurteilung. Inwieweit die Verfasserin meine darin enthaltenen Einwände bei der Fassung für den Druck berücksichtigen will, das muß ich in erster Linie Dir und in zweiter ihr selbst überlassen. Ich nehme an, Du bist im Alpina-Hotel, 1400m. Bitte, grüße dort allerseits von mir. Mit den besten Wünschen und allerherzlichsten Grüßen Dein Werner Anlagen: Gutachten Brief des Akademie-Verlages. Rita Schober an Werner Krauss [Abschrift] Prieros, den 17.7.64 Eilboten/ Einschreiben An Prof. Dr. Werner Krauss Hessenwinkel b. Berlin Kanalstrasse 35 Lieber Werner, Verzeih die rustikale Form dieses Briefes. Ich bin nicht auf der „Cota“, sondern schlicht und einfach in der „Wildnis“, um zu arbeiten. Sinaia soll im August folgen, aber zum Ferienkurs, was wohl weniger erholsam werden sürfte [sic]. Frl. Lim- 50 Die Deutsche Literatur Zeitung (DLZ) war das in Ostberlin an der Akademie der Wissenschaften von allen deutschen Akademien der Wissenschaften herausgegebene und redigierte renommierte Rezensionsorgan, zu dessen regelmäßigen Mitarbeitern W.Kr. gehörte. Nach der „Wende“ und der deutschen Wiedervereinigung wurde es abgeschafft. 276 berg 51 hat mir nun gestern mit Robi Deinen Brief geschickt. Hab’ vielen Dank für alles? - Wegen der Literaturgeschichte waren wir uns ja einig! Ich habe gerade eine „Rezension“ des 4. Bandes fertig gemacht, die vielleicht weniger eine Rezension im üblichen Sinne als eine Diskussion dieser Grundprinzipien ist. Dabei bin ich mit der Periodisierung noch immer nicht fertig. Die „sowjetische“ ist einfach historisch. Da ....? und in allen Bänden durchgehalten, auch ein Standpunkt. Aber das ist noch keine literarhistorische! Nun schlage ich mich schon drei Jahre damit herum. Willst Du mir nicht helfen? Ich möchte diese Frage so gern einmal mit Dir diskutieren, aber ich wage es doch immer nicht. Lach mich bitte nicht aus, Dir gegenüber habe ich immer ein bisschen Komplexe! Na! - Aber diese Periodisierungsfrage - ich muss noch einmal darauf zurückkommen - rührt ja an das Grundproblem: wie man Literatur überhaupt auffasst. Im „sowjetischen“ Fall steht der ideologiegeschichtliche Aspekt einwandfrei im Vordergrund. - Nun zum Balzac! 52 Hab’ schönen Dank für Deine Mühe. Ich freue mich sehr, dass Du Dir soviel Zeit dafür genommen hast und die Arbeit bringen willst. Und ich stimme Deiner Kritik auch insgesamt zu: uneingeschränkt: Rückverklammerung? 18. Jh., Curtius, Glorifizierungstendenz und notwendige ausgewogene Darstellung der „magischen“ Überhöhung. Utopisten scheinen mir vor allem für Geniekult und Rolle der Kunst überhaupt in Frage zu kommen, was ich schon in früheren Gesprächen Christa gegenüber betont habe. Weniger religiöse Seite. Auch wenn solche Tendenzen verstärkt worden sein können. - Wäre Dir über die Arbeit ein Gespräch zu dritt recht? Sobald Sinaia, Schweiz und endlich fälliger Urlaub hinter uns liegen? - Leider habe ich noch eine grosse Bitte: Vor mir liegt Heintzes Arbeit über „Humanismus und rhetorische Praxis in der franz. Beredsamkeit des 16. Jh.“ (eine Untersuchung über die gesellschaftliche Funktion der Rede). Es ist die zweite Fassung. Die erste, - die ja auch ohne mein Zutun entstanden war - hatte ich gründlich kritisiert. Diese neue habe ich noch nicht gelesen. Ich möchte sie aber auf keinen Fall durch die Fakultät ohne Dich gehen lassen. Ich möchte das in Zukunft überhaupt bei lohnenden Problemen so handhaben. Mal müssen wir doch zu kontinuierlicher Zusammenarbeit kommen. - Für die DLZ bin ich Dir dankbar. Möchte aber nicht gern zum „18. Jh.“ gestempelt werden. Es gab viele Jahre, wo ich im „Mittelalter“ z.B. versunken war. Na! - So, und nun: sehr liebe Grüsse und noch einmal vielen Dank! Deine gez. Rita 51 Lieselotte Limberg (1915-1985) war von 1951-1981 am Romanischen Institut der HUB Sekretärin der Institutsdirektoren V. Klemperer und R.Sch.; später Sekretärin bei R.Sch. im Dekanat der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät. 52 Bezieht sich auf die Dissertation von Christa Bevernis (*1929), Ass. von R.Sch., die 1963 mit der Diss. Die ästhetischen Anschauungen Balzacs promoviert wurde. 277 Rita Schober an Werner Krauss 13.11.1964 Prof. Dr. Krauss, Hessenwinkl [sic], Kanalstr. 35 und Durchschlag an Akademie-Inst. Lieber Werner, Nach unserem Gespräch habe ich mir die Möglichkeiten für die inhaltliche Gestaltung der beiden Seminare an Deinem Akademie-Institut noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich würde denken, dass es vielleicht ganz glücklich wäre, eine der beiden Sitzungen Herrn Dr. Heintze zur Verfügung zu stellen. Da die Abteilung ja über keine festen Mitarbeiter verfügt, könnte man ihn als Gast heranziehen. Sein Thema über die Rolle der Beredsamkeit in Humanismus und Renaissance würde sich sicher gut in den Rahmen der allgemeinen Orientierung Deiner Aufklärungsforschung einfügen. Ich würde dann selbst zum zweiten Termin den in der Schweiz gehaltenen Vortrag zur Übersetzungstheorie bringen. Ich wäre Dir dankbar, wenn Du Dich mit dieser veränderten Regelung einverstanden erklärtest und mir gleichzeitig durch Dein Sekretariat die genauen Termine nennen liessest. Mit Dank für die Kaffeestunde und sehr herzlichen Grüssen verbleibe ich Deine Rita Schober Werner Krauss an Rita Schober [Kopfbogen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin] Frau Prof. Dr. Rita Schober Berlin - Niederschönhausen Straße 200, No. 17 19.11.1964 Sehr verehrte Frau Kollegin! Wir hatten seinerzeit ausgemacht, daß Sie am 3. Dezember eine seminaristische Übung über „Theorie der Übersetzungen“ und am 17. Dezember über „Lyrische und epische Gestaltung der Wirklichkeit“ halten. Ihr Vorschlag, daß nun an Ihrer Stelle Herr Dr. Heintze über „die Rolle der Beredsamkeit in Humanismus und Renaissance“, eintreten soll, entspricht nicht ganz den Bedürfnissen unserer Mitarbeiter. Vielleicht werden wir später einmal eine Abteilung für Humanismus und Re- 278 naissance-Literatur einrichten; solange dies nicht der Fall ist, ist es aber tunlich, unsere Veranstaltungen auf diejenigen Gebiete zu beschränken, die in den schon vorhandenen Abteilungen bearbeitet werden. Aus diesem Grunde, sehr verehrte Frau Kollegin, geht meine Bitte an Sie, es doch bei der ursprünglichen Ausmachung zu belassen. Die neuerdings auf den 11. Dezember, 15.oo Uhr, verschobene Besprechung über die Gestaltung der Zeitschrift wird - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - in unseren Räumen stattfinden. Mit vorzüglicher Hochachtung (Prof. Dr. Werner Krauss) Rita Schober an Werner Krauss 23.11.1964 Sehr geehrter Herr Professor Krauss, Ich habe Ihr Schreiben vom 19.d.M. erhalten. Es ist selbstverständlich, dass ich Ihrem Wunsch als Institutsdirektor, die beiden vorgesehenen seminaristischen Übungen am 3. und 17. Dezember abzuhalten, Rechnung tragen werde. Ich bedaure jedoch aufrichtig, dass Sie es nicht für möglich halten, Herrn Dr. Heintze in Ihrem Institut einen Diskussionsrahmen für seine Probleme zu bieten. Ich glaube nicht, dass es dafür unbedingt einer Abteilung für Humanismus und Renaissance bedurft hätte. Mein Vorschlag resultierte aus der Überlegung, dass eine Ausweitung der Themen in eng benachbarte Grenzgebiete, zumindest zu Ihrer Aufklärungsforschung, wünschenswert sein könnte. Aber selbstverständlich muss eine solche Entscheidung Ihrem Ermessen überlassen bleiben. Mit vorzüglicher Hochachtung Prof. Dr. Rita Schober Rita Schober an Werner Krauss [7.6.65, handschriftlich, Telegramm] Telegramm aus 44 LX Berlin F 30/ 28 9 1525 = LIEBER WERNER ZU DEINEM 65. GEBURTSTAG MEINE ALLERHERZLICH- STEN GLUECKWUENSCHE FUER DIE SCHOENE ZEIT DEINER REICHEN WISSENSCHAFTLICHEN ERNTE AD MULTOS ANNOS = RITA + 279 Rita Schober an Werner Krauss [Kopfbogen der Beiträge zur Romanischen Philologie im Verlang Rütten & Loening - Berlin, Redaktion] Einschreiben 20. Mai 1966 Herrn Prof. Dr. Werner Krauss 1167 Berlin-Hessenwinkel Kanalstrasse 35 Sehr geehrter Herr Kollege, Die „Weimarer Beiträge“ bringen, wie uns erst jetzt bekannt geworden ist, in ihrer Nummer 1/ 66 eine von Dr. Rincón/ Barck verfasste Rezension Ihres Sammelbandes „Zur Dichtungsgeschichte der romanischen Völker“. Dieselbe Rezension - möglicherweise sind im Wortlaut geringfügige Abweichungen enthalten - ist mit Ihrer nachträglichen Befürwortung von Herrn Barck zur Veröffentlichung in den „Beiträge zur Romanischen Philologie“ eingereicht worden. Beide Einreichungen erfolgten, wie eine Rückfrage bei den „Weimarer Beiträgen“ ergeben hat, gleichzeitig im Oktober 1965. Da nach den Prinzipien unserer Zeitschrift bisher nur Erstveröffentlichungen abgedruckt wurden, bitte ich Sie um Ihre Stellungnahme. 53 Mit kollegialem Gruss Prof. Dr. Rita Schober Werner Krauss an Rita Schober 24.8.73 Liebe Rita! Nur kurz die Nachricht, daß wir auf unserer Kongreßreise Erfolg hatten und daß überhaupt die Stimmung ausgesprochen DDR-freundlich war. Dein Name wurde des öfteren mit Bedauern über Dein Nichterscheinen genannt. Ich möchte Dich noch besonders beglückwünschen zu dem sehr guten Aufsatz über das Problem der Wertung in den Weimarer Beiträgen. 54 Läßt Du Dich wieder einmal bei mir sehen? Sehr herzliche Grüße Dein Werner Krauss 53 W.Kr. „Stellungnahme“ ist nicht überliefert. 54 R. Sch’s Essay Zum Problem der literarischen Wertung erschien in den Weimarer Beiträgen 7 (1973), S. 10-54. 280 Werner Krauss an Rita Schober [Donnerstag 13. X (1974, handschriftlich R.Sch.)] Liebe Rita, vielen herzlichen Dank für Deine lieben Glückwünsche. Ich beglückwünsche Dich meinerseits für Deine Unesco-Stellung 55 für die man im weiten Umkreis keine bessere Wahl hätte treffen können. Ich hoffe, wir können bald zusammenkommen, denn meine Tage werden nicht mehr unendlich währen. Nach verschiedenen Herzkollapsen bin ich in die Bucher Herzklinik transportiert worden. Es wäre schwarzer Undank über das hier Gebotene Klage zu führen - nur eben bin ich ein miserabler Klinikpatient, der sich mit dem Verlust der Freiheit niemals versöhnen wird. 56 Euch herzliche Grüße, liebe Rita, von Deinem Werner Krauss Werner Krauss an Rita Schober [28.06.1975 (handschriftlich R.Sch.)] Liebe Rita! Unter der fast 3 stelligen Zahl von Telegrammen, die mich zum Mythos museumsreif machen wollen, greife ich das Deinige heraus, weil es ein Anliegen vorbringt, das ich durchaus teile. Dass zwischen uns friedlich-freundschaftliche Beziehungen bestehen will wenig sagen, so lang wir uns nicht in möglichst häufiger Begegnung konfrontieren. Leider bin ich mit Schwemmfüssen und wässrig aufgedunsenen Beinen zu jeder Bewegung außerhalb der 500m Zone des Gartens unfähig; so dass alles davon abhängt, ob Du mit Deinem hurtigen Wägelchen herausfahren kannst. Bis 20. VI. habe ich bei konventionellen Einladungen wie ein verstaubter Apoll von Tenea eine Maske des starren Lächelns zu tragen. Dann aber würde mich jeder Tag erfreuen, an dem Du kommen könntest. Lass hören! Mit Dank und in Herzlichkeit Dein Werner Kr. 55 R.Sch. wurde im Herbst 1974 für zwei Jahre zum Mitglied des Exekutivrats der UNESCO gewählt. 56 Vgl. zum Horizont dieser Erfahrungen außer den Tagebuch-Notizen in Vor gefallenem Vorhang die jüngst erstmals veröffentlichten autobiographischen Dokumente in: Werner Krauss, Ein Romanist im Widerstand. Briefe an die Familie und andere Dokumente. Hg. v. Peter Jehle und Peter-Volker Springborn, Berlin: Weidler Buchverlag 2004. 281 Werner Krauss an Rita Schober 9.12.75 Liebe Rita Sei herzlich bedankt für Deine wundervollen Blumen und Deine lieben Worte. Seit einigen Wochen bin ich aus Buch zurückgekehrt, aber belastet durch eine Unzahl diätischer Vorschriften die sich unerträglich in meinen Mahlzeiten auswirken. Aus diesem Grund muss ich die Einladung zum Abendessen so lang verschieben, bis ich wieder normal essen und leben kann. Würdest Du mich nicht vorläufig zu Kaffee und Kuchen besuchen? Über den Tag mögest Du noch telefonieren, am besten über Frau Erika Wolf, 57 die in der Teilnehmerliste steht. Sehr herzlichen Dank und Gruss! Dein W.K. 57 Erika Wolf war die Besitzerin der Villa in der Hessenwinkler Kanalstraße 35 am Dämeritz- See, wo W.Kr. das spanische Souterrain und die französische Beletage bewohnte.