eJournals lendemains 33/130-131

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2941-0843
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2008
33130-131

Zum Frankreichbild deutscher Jugendlicher

2008
Adelheid Schumann
Diana Poggel
ldm33130-1310112
112 Adelheid Schumann/ Diana Poggel Zum Frankreichbild deutscher Jugendlicher Eine Umfrage bei 12bis 16-jährigen Schülerinnen und Schülern 1. Das Frankreichbild im Spiegel von Umfragen An Umfragen zum Frankreichbild der Deutschen gibt es wahrlich keinen Mangel. Seit der deutsch-französischen Aussöhnung im Jahre 1963 werden die Bürger Deutschlands in regelmäßigen Abständen gefragt, was Sie von den Franzosen halten und wie Ihnen Frankreich gefällt. 1 Ähnliche Umfragen mit vergleichbarer Frequenz werden in Frankreich zum Deutschlandbild der Franzosen durchgeführt. Bei diesen Umfragen zeigt sich immer wieder, dass stereotype Vorstellungen vom Nachbarland auf beiden Seiten des Rheins nahezu unverändert von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Sie sind meist bipolar und reziprok strukturiert, d.h. in beiden Ländern gibt es sowohl positive als auch negative Fremdbilder, die sich komplementär ergänzen. Einem negativen Fremdbild steht dabei antagonistisch ein positives Eigenbild gegenüber, während das positive Fremdbild mit einem negativen Eigenbild korreliert. So gibt es im deutschen Frankreichbild eine Konstante, die sich seit dem 19. Jahrhundert über alle Krisenzeiten hinweg hat halten können: Die Franzosen gelten als Lebenskünstler, die es verstehen, das Leben zu genießen. Sie beherrschen das savoir-vivre, eine aus Sinnenfreude, Geselligkeit, Leichtigkeit und Esprit sich speisende Kunst, dem Leben die heiteren Seiten abzugewinnen. 2 Es handelt sich bei dieser Vorstellung um den positiven Teil des deutsch-französischen Fremdwahrnehmungsmusters, dem das deutsche Eigenbild von Schwerfälligkeit, Ernst und Humorlosigkeit gegenübersteht, während der negative Teil des deutschen Frankreichbildes sich in der Vorstellung von französischer Arroganz, Chauvinismus und Rückwärtsgewandtheit ausdrückt und der positiven Eigenwahrnehmung von deutscher Weltoffenheit, Toleranz und Zukunftsorientierung gegenübersteht. Das französische Deutschlandbild bietet das genaue Gegenbild zum Frankreich-Image in Deutschland: Deutsche gelten in Frankreich einerseits als idealistisch, verträumt und naturverbunden, andererseits als tüchtig, rücksichtslos und effizient, d.h. als Vertreter eines zielstrebigen savoir-faire, während das französische Eigenbild dem deutschen Nachbarn das Autostereotyp von Realismus und Pragmatismus sowie Friedfertigkeit und Aufgeklärtheit entgegenzusetzen hat. Vergleicht man die gegenseitigen Vorstellungen in Deutschland und Frankreich, so wie sie sich in den Umfragen darstellen, so stellt man fest, dass im deutschen 113 Frankreichbild, zumindest dem einer deutlichen Mehrheit der Bürger, 3 die positiven Vorstellungen überwiegen: die Deutschen denken bei Frankreich zuerst an gutes Essen, Rotwein und Käse, und an Ferien am Meer und schätzen die französische Lebensart, während eine Mehrzahl von Franzosen mit Deutschland immer noch spontan Hitler, Nationalsozialismus und occupation in Verbindung bringt und die negativen Assoziationen insgesamt überwiegen. Das Problem solcher Umfragen zu nationalen Bildern und gegenseitigen Fremdwahrnehmungen liegt allerdings darin, dass sie durch die Art ihrer Fragestellungen dazu tendieren, Stereotypen zu generieren und zu verfestigen. Indem sie Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen in Form von Gegensatzpaaren, als Vergleich von Selbst- und Fremdkonzepten oder als offene Abfrage typischer Eigenschaften erheben, geben sie die Bilder, die sie herauszufinden wünschen, in gewisser Weise selbst vor und erhalten auf diese Weise relativ vorhersagbare Ergebnisse, die den Eindruck einer unveränderbaren Perpetuierung gegenseitiger Einschätzungen erwecken. Um der Komplexität von nationalen und kulturellen Perzeptionsmustern gerecht zu werden und auch Entwicklungen und Wahrnehmungsänderungen erfassen zu können, bedarf es differenzierter Erhebungsverfahren, die neben den in der Regel sozial vermittelten und in der primären Sozialisationsphase erworbenen Einstellungen, auch eigene Erfahrungen und in der Auseinandersetzung mit Sprache und Kultur erworbenes kulturelles Wissen berücksichtigen. 4 Es muss also darum gehen, alle kognitiven und affektiven Faktoren, die zur Entwicklung von nationalen Bildern beitragen, d.h. direkte Erfahrungen im Kontakt mit Land und Leuten, Kenntnisse landeskundlicher und kultureller Sachverhalte, sowie Einstellungen und Gefühle gegenüber der fremden Kultur zu erfassen. 5 Trotz einer scheinbaren Konstanz der gegenseitigen Wahrnehmungsmuster zwischen Deutschland und Frankreich lassen jüngere Umfragen, die Erfahrungswissen einbeziehen, auch deutliche Veränderungen im Bild des Nachbarn erkennen. In den letzten Jahren wurde Frankreich in Deutschland einerseits zunehmend als ein Land der Hochtechnologie und der technischen Effizienz wahrgenommen, andererseits büßte es im Zuge der Banlieue-Unruhen seinen Ruf als erfolgreiches Integrationsland ein. Umgekehrt gibt es in Frankreich immer mehr Verständnis für deutsches Umweltbewusstsein, während der Glauben an die Tüchtigkeit der Deutschen schwindet. 6 Diese Veränderungen des gegenseitigen Bildes scheinen, wenn man die Ergebnisse der Allensbach-Umfrage von 2000 unter generationsspezifischen Gesichtspunkten betrachtet, vorwiegend von den Jugendlichen beider Länder auszugehen. Doch müsste die Frage nach dem Anteil der Jugendlichen an den Wahrnehmungsveränderungen gezielter und eingehender untersucht werden, als das in einer allgemeinen Meinungsumfrage möglich ist. Seit den umfangreichen Schülerbefragungen der 80er Jahre 7 sind abgesehen von begrenzten Erhebungen im Rahmen von Schulpartnerschaften, Jugendliche nur noch im Zusammenhang mit dem Rückgang der Schülerzahlen im Fach Französisch bzw. im Fach Deutsch in Frankreich gesondert zu ihrer Einstellung gegenüber dem Nachbarland befragt worden, und dabei standen Fragen der Motivation und der Erfahrung mit dem Er- 114 lernen der Fremdsprache im Vordergrund. Aus diesen Umfragen geht - zumindest was die deutsche Seite angeht - deutlich hervor, dass der Rückgang der Schülerzahlen kaum etwas mit dem Frankreichbild der Jugendlichen zu tun hat und nicht so sehr auf einem Desinteresse an Frankreich und den Franzosen beruht, sondern eher der Methodik des Französischunterrichts und den Frustrationserlebnissen beim Erlernen der französischen Sprache geschuldet ist. Die Einstellungen der Jugendlichen gegenüber Frankreich lassen sich jedenfalls aus diesen Umfragen nicht oder nur sehr begrenzt ablesen. 8 2. Faktoren der aktuellen Entwicklung des Frankreichbildes Drei Faktoren scheinen bei der Entwicklung des aktuellen Frankreichbildes und seiner Veränderung gegenüber den traditionellen stereotypen Vorstellungen eine zentrale Rolle zu spielen: • der Anstieg der Begegnungssituationen und konkreten Kontakterfahrungen zwischen Deutschen und Franzosen, • die Aktualisierung und landeskundliche Ausrichtung der Inhalte des schulischen Französischunterrichts, • die Verstärkung der Präsenz des Nachbarlandes in den Medien, insbesondere im Fernsehen. Dank der Aktivitäten des Deutsch-Französischen Jugendwerkes, der zahlreichen Schüleraustauschprogramme zwischen Deutschland und Frankreich sowie der Begegnungsangebote im Rahmen von Städtepartnerschaften, sind die Möglichkeiten deutscher Jugendlicher, eigene Erfahrungen im Umgang mit Franzosen zu machen und Frankreich nicht nur als Ferienland kennen zu lernen, sondern auch den Alltag, das Schulleben und die Freizeit mit französischen Jugendlichen zu teilen in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Zwischen Deutschland und Frankreich gibt es mehr funktionierende Jugendbegegnungsprogramme als zwischen allen anderen Ländern der Europäischen Union. Die Erfahrungen in der direkten Begegnungssituation tragen erheblich zur Entwicklung eines wirklichkeitsnahen und entmythologisierten Bildes vom Nachbarn bei und beeinflussen auch die Grundeinstellung gegenüber Französinnen und Franzosen. Hinzu kommt, dass das Frankreichbild, das im Französischunterricht der Schulen vermittelt wird, seit den 80er und 90er Jahren im Zuge der Diskussion um eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Landeskunde und der Förderung interkultureller Kompetenzen 9 eine deutliche Wandlung erfahren hat. Politische, gesellschaftliche und sozio-ökonomische Themen wie z. B. die Rolle Frankreichs in der Europäischen Union oder die Entwicklung einzelner französischer Industrieregionen, stehen seitdem im Mittelpunkt des Interesses. Ebenso finden sozio-kulturelle Aspekte des Alltagslebens, insbesondere des Alltagslebens französischer Jugendlicher, oder Probleme des multikulturellen Zusammenlebens im Zuge von Migration und postkolonialer Zuwanderungsprozesse zunehmend größere Beachtung. 115 Schließlich ist die Rolle der Medien für die Interessenentwicklung und den Kenntnisstand über politische und soziale Entwicklungen im Nachbarland nicht zu unterschätzen. Frankreich steht in der Auslandsberichterstattung in Deutschland an zweiter Stelle hinter den USA. 10 Im Zusammenhang mit der Entwicklung der europäischen Union gilt dem Nachbarland als einem privilegierten Partner Deutschlands das besondere Interesse der Medien, was sich in einer erhöhten Präsenz insbesondere im Fernsehen niederschlägt. Dem Fernsehen kommt als Quelle für Informationen über Frankreich deshalb eine besondere Bedeutung zu, und es fragt sich, wie intensiv diese Quelle von den Jugendlichen genutzt wird. 3. Umfrage zum Frankreichbild deutscher Jugendlicher Die Umfrage, die wir im Sommer 2007 durchgeführt haben, hatte zum Ziel, die verschiedenen Aspekte des Frankreichbildes deutscher Jugendlicher exemplarisch zu ergründen und dabei die zentralen kognitiven und affektiven Faktoren der Fremdwahrnehmung, die direkte Erfahrung mit Land und Leuten, die Kenntnisse landeskundlicher und kultureller Sachverhalte sowie die Einstellung und Gefühle gegenüber Frankreich und den Franzosen zu berücksichtigen. Es ging uns darum, zu erfragen, welche konkreten Erfahrungen die Jugendlichen beim Kontakt mit Franzosen und Französinnen gemacht haben, was sie über Frankreich wissen bzw. welche Persönlichkeiten, nationalen Symbole oder Ereignisse ihnen spontan zu Frankreich einfallen, was sie als die Hauptquelle Ihres Wissens über Frankreich ansehen und welche Einstellung sie gegenüber Franzosen und Französinnen haben. Darüber hinaus wurde nach den Erfahrungen mit der französischen Sprache und dem Französischlernen gefragt. Die Umfrage wurde mit Hilfe von Fragebögen an Gymnasien und Gesamtschulen des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Zielgruppe waren Schüler und Schülerinnen des Französischunterrichts in der Sekundarstufe I, d.h. den Jahrgangsstufen 7 bis 10. Dabei wurde einerseits darauf geachtet, dass die Probanden bereits über Erfahrungen mit der französischen Sprache und dem schulischen Französischlernen besaßen, also mindestens ein Jahr lang Französisch gelernt hatten. Andererseits sollten sie nicht zu den Spezialisten und Hochmotivierten zählen, die Französisch als Grund- oder Leistungskurs in der Oberstufe gewählt haben. Um zu gewährleisten, dass es sich bei den Probanden um durchschnittlich an Frankreich interessierte Jugendliche handelt, wurden deshalb nur Schüler und Schülerinnen der Klassen 7 bis 10 befragt. 11 Französisch gehört für die meisten von Ihnen als zweite Fremdsprache zum schulischen Pflichtprogramm. 12 Befragt wurden insgesamt 1064 Jugendliche im Alter von 12-16 Jahren, davon waren 640 Mädchen (60,5%) und 424 Jungen (39,6%). 13 Der Fragebogen umfasste 14 Fragekomplexe, die in Form von Auswahlantworten, vorzugsweise zu den eigenen Erfahrungen, offenen Antworten vor allem zu den Wissensfragen und einem semantischen Differential zu den Einschätzungen und Sympathiewerten die verschiedenen Facetten des Frankreichbildes der Schü- 116 lerinnen und Schüler zu erkunden versuchten. An letzter Stelle stand eine kreative Aufgabe: „Stell Dir vor, Du sollst eine Collage von Frankreich machen. Welche sechs Motive sollten unbedingt vorkommen? “ Diese Aufgabe diente der Verbildlichung, der „Imaginierung“ der Vorstellungen von Frankreich. Die Schülerinnen und Schüler sollten ihr Bild von Frankreich in einer Collage konkretisieren und dabei ihre Präferenzen und Schwerpunkte offenbaren. Dass wir bei einem so begrenzten Umfang von Fragen kein differenziertes Ergebnis erwarten konnten, sondern lediglich Tendenzen des Frankreichbildes von deutschen Jugendlichen im Alter von 12- 16 Jahren erkunden konnten, war uns bewusst. 4. Auswertung der Umfrage 4.1 Erfahrungen im Umgang mit Franzosen und mit der französischen Sprache Der Fragekomplex zu den Kontakterfahrungen der Schülerinnen und Schüler umfasste Fragen zum Aufenthalt in Frankreich, zu Kontakten mit Franzosen und Französinnen und zur Einstellung gegenüber der französischen Sprache. Nur eine knappe Mehrheit von 58,3% der Schüler und Schülerinnen war schon einmal in Frankreich, doch gibt eine große Mehrheit von 85,5% an, gern einmal nach Frankreich reisen zu wollen. Dabei steht Paris an oberster Stelle der Wunschliste (621 Nennungen), während Feriengebiete wie die Côte d’Azur (102), die Bretagne (30) und die Provence (20) in relativ weitem Abstand folgen. Doch auch Großstädte wie Lyon (29) und Marseille (27) werden von einer größeren Zahl von Jugendlichen als Reiseziele genannt. Diese Verteilung lässt die Vermutung zu, dass das Interesse der jugendlichen Deutschen an Frankreich deutlich weniger von touristischen Vorstellungen bestimmt wird als noch von den Älteren, Paris aber weiterhin als Synonym für ganz Frankreich fungiert. Immerhin 156 Schülerinnen und Schüler (14,7%) bekunden allerdings keinerlei Interesse an einer Reise nach Frankreich. Relativ hoch ist auch die Zahl derjenigen, die Kontakte zu Franzosen und Französinnen haben (46,7%). Die Kontakte sind jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Nur 13,5% der Befragten stehen in regelmäßigem Kontakt mit Franzosen, 32,6% geben seltene Kontakte an und eine Mehrheit von 52,5% verneint die Frage nach den Kontakten vollständig. Wenn man diese Zahlen mit den Angaben zu Frankreichaufenthalten vergleicht - 620 Frankreichaufenthalte, 148 regelmäßige Kontakte und 351 seltene Kontakte -, so lässt sich schlussfolgern, dass etwa ein Viertel der Aufenthalte zu regelmäßigen Kontakten führt, was man durchaus als eine beachtliche Menge bezeichnen könnte. Die Erfahrungen mit der französischen Sprache werden weniger positiv bewertet: Nur 53,3% der Schüler geben an, Französisch gern zu lernen, 41,0% lernen nicht gern Französisch und 6,7% können sich nicht entscheiden und enthalten sich. Dabei lernen 36,7% der Schülerinnen und Schüler Französisch nur, weil eine zweite Fremdsprache Pflicht ist. Entsprechend eindeutig fallen die Fragen nach der Motivation aus. Für 37,7% ist die Motivation extrinsischer Art, d.h. es geht um 117 Berufsaussichten (30,3%) oder um die Erfüllung eines Elternwunsches (7,5%). Nur 41,5% der Schülerinnen und Schüler führen intrinsische Motive an: den Wunsch, Frankreich zu besuchen und Kontakt mit Franzosen und Französinnen zu pflegen. Ein erstaunlich hohe Übereinstimmung ist jedoch in der Bewertung der französischen Sprache festzustellen: 57,4% der Befragten (611 Schülerinnen und Schüler) sind sich darin einig, dass Französisch eine „schöne Sprache“ sei. Dieser Befund muss angesichts der 41,0% von Schülern und Schülerinnen, die nicht gern Französisch lernen, verwundern, zeigt er doch, dass ein Teil derer, die sich mit dem Französischen schwer tun (16,4%), die französische Sprache dennoch wertschätzen. Die Charakterisierung des Französischen als einer schönen Sprache hat eine lange Tradition und taucht in den verschiedenen Befragungen der letzten Jahrzehnte immer wieder als ein Motivationsgrund für das Erlernen der Sprache auf. 14 Dabei geht es vorwiegend um die als ästhetisch wahrgenommene Klangqualität der Sprache: „Französisch klingt schön“, „Französisch ist eine elegante Sprache“. Es handelt sich bei dieser Einschätzung zweifellos um eines jener Wahrnehmungsmuster der Franzosen, die dem stereotypen Bereich des savoir-vivre zuzurechnen sind: Eleganz, Leichtigkeit und Raffinesse, und die nicht unerheblich zu dem insgesamt positiven Image Frankreichs beitragen. Man kann zusammenfassend konstatieren, dass Französisch als Schulfremdsprache über ein affektives Potential verfügt, das höher einzuschätzen ist, als die Abneigung der Schüler und Schülerinnen gegen Französisch als vermeintlich schwer zu erlernender Sprache 15 und dass bei einer Mehrheit der Befragten ein eindeutiges Interesse an Frankreich und den Franzosen zu erkennen ist, was sich in dem Wunsch, Frankreich kennen zu lernen und dem Bemühen, Kontaktmöglichkeiten zu nutzen, niederschlägt. 4.2 Kenntnisse landeskundlicher und sozio-kultureller Sachverhalte Die Fragen zum landeskundlichen Wissen bezogen sich auf verschiedene Bereiche des öffentlichen Lebens in Frankreich, wobei die Interessenschwerpunkte der Jugendlichen berücksichtigt wurden. Gefragt wurde nach französischen Nationalsymbolen (Symbolträger, Symbolfiguren, Nationalhelden), Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens (Politiker, Künstler, Sportler), französischen Filmen und Büchern, Merkmalen des französischen Schulsystems im Vergleich zum deutschen sowie nach der Zusammensetzung der Migrationsbevölkerung in Frankreich. Die Antworten zu den Nationalsymbolen bewegen sich einerseits im Bereich des jugendlichen Erfahrungswissens: die Trikolore steht mit 739 Nennungen ganz oben auf der Liste und die Marseillaise mit 280 Nennungen an dritter Stelle. Beide Symbole sind den Jugendlichen aus den Fernsehübertragungen internationaler Sportereignisse oder anderer internationaler Großveranstaltungen bestens bekannt. Andererseits lassen sich auch stereotype Selektionsmuster erkennen. Mit 328 Nennungen steht Napoleon an zweiter Stelle und ist damit für viele deutsche Jugendliche mit Abstand die bekannteste Persönlichkeit der französischen Geschichte. Andere historische Personen wie Jeanne d’Arc (87 Nennungen) 118 Louis XIV (61 Nennungen), Vercingetorix (30 Nennungen), Charles De Gaulle (28 Nennungen) Robespierre (19 Nennungen) und Marie Antoinette (1 Nennung) folgen in weitem Abstand. Der herausragende Bekanntheitsgrad Napoleons entspricht den Ergebnissen landesweiter Umfragen. Offenbar gehört Napoleon zum festen Wissensbestand der Deutschen. Das Ergebnis entspricht aber in keiner Weise seiner marginalen Rolle im heutigen Französischunterricht. Während er zusammen mit Louis XIV und Jeanne d’Arc bis in die 70er Jahre hinein in den Lehrwerken für den Französischunterricht noch einen herausragenden Platz einnahm, sind Unterrichtseinheiten zur französischen Geschichte im aktuellen Französischunterricht auf ein Minimum reduziert. Im Geschichtsunterricht ist Napoleon allerdings nach wie vor sehr präsent und wird ähnlich umfassend behandelt wie die Französische Revolution. Von der Revolution sind in den Antworten der Schüler aber seltsamerweise nur vereinzelte Spuren zu finden (Robespierre, Marie Antoinette), während Napoleon einen herausragenden Platz einnimmt. Auch die Symbolfigur der Marianne als Verkörperung der Französischen Republik und Emblem der Liberté wird erstaunlich wenig genannt (18 Nennungen), während der Gallische Hahn immerhin unter den ersten 10 Nennungen auftaucht. Als französische Symbolfiguren werden neben Napoleon nur noch Zinedine Zidane (134) und Asterix und Obelix (115) mit größeren Nennungen bedacht. Zidane steht darüber hinaus an der Spitze der bekanntesten Sportler (461), was seine hohe Popularität unter deutschen Jugendlichen unterstreicht. Auch Asterix und Obelix tauchen mehrfach auf in der Umfrage, als Symbolfiguren und als literarische Figuren, wobei sie bei den Büchern mit 64 Nennungen sogar an der Spitze stehen, und schließlich in der Collage als Repräsentanten der französischen Lebensart. Dass der Eiffelturm (233 Nennungen) für viele deutsche Jugendliche Frankreich symbolisiert, verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass er von der Tourismusindustrie fast wie ein Logo für Frankreich behandelt wird und seit jeher zu einem der stabilsten Stereotypen über Frankreich zählt. Zwar werden auch andere Monumente und Gebäude erwähnt und als Nationalsymbole bezeichnet (Louvre 24, Notre Dame 22, Arc de Triomphe 16, Versailles 5, Invalidendom 2), doch bleibt ihre Quote deutlich hinter der des Eiffelturmes zurück. In den Bereich des stereotypen Frankreichbildes gehört zweifellos auch die Tatsache, dass Croissant und Baguette von 40 Schülerinnen und Schülern zu den Nationalsymbolen Frankreichs gezählt werden. Übersicht über die 10 häufigsten Nennungen 1. Trikolore 739 2. Napoleon 328 3. Marseillaise 280 4. Eiffelturm 233 5. Zinedine Zidane 134 6. Asterix und Obelix 115 119 7. Jeanne d’Arc 87 8. Louis XIV 61 9. Gallischer Hahn 57 10. Croissant/ Baguette 40 Die Frage nach Personen des öffentlichen Lebens in Frankreich spiegelt weitgehend die aktuellen Ereignisse des Sommers 2007 wieder und belegt, dass deutsche Jugendliche das politische Lebens Frankreichs mehrheitlich mit Aufmerksamkeit verfolgen, während sie das kulturelle Leben eher selektiv aus der Jugendperspektive wahrnehmen. Als bekannteste Politiker werden Chirac an erster Stelle (672), Sarkozy an zweiter Stelle (494) und Ségolène Royale (293) an dritter Stelle genannt. Die Umfrage fand in der Zeit des französischen Präsidentschaftswahlkampfes statt. Alle anderen Politiker verfügen über einen deutlich geringeren Bekanntheitsgrad: De Gaulle 45, Le Pen 21, Napoleon 16, Pompidou 8, Mitterrand 5. Interessant erscheint mir an diesem Ergebnis, dass Mitterrand unter Jugendlichen bereits fast vergessen ist, während De Gaulle noch über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügt, Le Pen immerhin von einigen wahrgenommen wird, Pompidou vermutlich als Namensgeber des Centre Pompidou bekannt ist und Napoleon es dank seiner herausragenden Bedeutung im Frankreichbild deutscher Jugendlicher selbst in die Listen aktueller Politiker geschafft hat. Bei der Frage nach Sängern, Schauspielern und Sportlern zeigt sich, dass es vor allem französische Sportler sind, die deutschen Jugendlichen ein Begriff sind (707 Nennungen), wobei mit Ausnahme der Tennisspielerin Amélie Mauresmo ausschließlich Fußballspieler benannt werden, allen voran Zidane (461) und Henry (200). Dann folgen Sänger mit 533 Nennungen und mit einer erstaunlichen Vielfalt von Namen. Neben Chansonsängern und -sängerinnen (Gilles de Floret 95, Patrick Bruel 77, Céline Dion 58, Patrizia Kaas 42, Edith Piaf 13) kommen auch Pop- und Rap-Sänger und -Sängerinnen (Alizée 59, MC Solar 14) vor. Die meisten von ihnen kennen die Jugendlichen vermutlich aus den Französischlehrwerken, in denen insbesondere in der Sekundarstufe I Chansons traditionell eine wichtige Rolle spielen und nicht nur zu Motivationszwecken, sondern auch zur Einführung in französische Kulturtraditionen genutzt werden. Doch das erklärt nicht die Vielfalt an Namen und die hohe Präsenz von Pop- und Rockgruppen. Es lässt vielmehr den Schluss zu, dass die französische Jugendmusikszene in Deutschland doch nicht so unbekannt ist, wie man gemeinhin meint. Schauspieler werden in dieser Gruppe am wenigsten genannt (405 Nennungen). Insgesamt sind es nur 11 Namen, wobei Gérard Depardieu (260) mit Abstand an der Spitze steht, gefolgt von Jean Reno (67) und Audrey Tatou (38). Die Liste der beliebtesten Filme findet in dieser Auswahl nur teilweise ihre Entsprechung. Bei den Filmen steht Die fabelhafte Welt der Amélie (99) an der Spitze, was die Bekanntheit von Audrey Tatou erklärt. Dann folgen La Boum mit 74 Nennungen und Die Kinder des Monsieur Matthieu mit 52 Nennungen. Bei diesen drei meistgenannten Filmen handelt es sich jeweils um Jugendfilme, die in Deutschland gro- 120 ßen Erfolg hatten. Der Film L’Auberge Espagnole, ebenfalls ein französischer Film, der in Deutschland ein großer Kinoerfolg war, kommt erstaunlicherweise nur auf 7 Nennungen. Alle diese Filme sind für den Französischunterricht didaktisiert worden, d.h. man kann davon ausgehen, dass viele der Schülerinnen und Schüler sie aus der Schule kennen. Filme mit Gérard Depardieu, dem weitaus am häufigsten genannten französischen Schauspieler, sucht man in den Antworten der Schülerinnen und Schüler jedoch vergebens. Depardieu ist den Jugendlichen offensichtlich vor allem als Darsteller des Obelix oder besser gesagt als Inkarnation des Obelix ein Begriff, was keiner besonderen Erwähnung bedarf, weil Asterix und Obelix ohnehin omnipresent sind in ihrem Frankreichbild. Während das französische Kino bei deutschen Jugendlichen bekannt und in gewissem Maße auch beliebt zu sein scheint - wenn auch längst nicht so wie der französische Fußball - offenbaren die Antworten zu französischen Büchern eine erschreckende Unkenntnis bzw. ein großes Desinteresse. Es werden insgesamt nur 11 Werke (97 Nennungen) genannt, davon fallen 64 Nennungen auf Asterix et Obelix, die bereits bei den Nationalsymbolen eine Spitzenstellung einnahmen, und 21 auf Le Petit Prince von Saint-Exupéry, einer der nach wie vor am meisten gelesenen Schullektüren. 16 Alle anderen Titel, durchgehend Schullektüren, bewegen sich im einstelligen Bereich. Man kann aus diesen Ergebnissen den Schluss ziehen, dass bei den 12bis 16-jährigen Schülerinnen und Schülern die französische Literatur im Gegensatz zu Film und Chanson weitgehend unbekannt ist, bzw. als nicht erwähnenswert erachtet wird und keinen Einfluss auf ihr Frankreichbild hat, was zweifellos auch mit dem Alter der Befragten zusammenhängt. Bei der Frage nach der multikulturellen Zusammensetzung der französischen Bevölkerung bzw. nach den wichtigsten Herkunftsländern der in Frankreich lebenden Migranten, zeigt sich hingegen, dass die deutschen Jugendlichen bei aktuellen sozio-kulturellen Themen sehr viel besser informiert sind. Afrika steht mit 264 Nennungen an der Spitze, es folgen Marokko (147) und Algerien (112). Zusätzlich wird der Maghreb genannt (40) und einzelne schwarzafrikanische Länder wie Senegal (34) und die Elfenbeinküste (52). Da in den Antworten leider nicht klar zwischen Nordafrika und Schwarzafrika unterschieden wird (insgesamt 649 Nennungen für Afrika und afrikanische Länder), ist eine eindeutige Zuordnung schwierig, aber die Zahlen zeigen dennoch, dass die Mehrzahl der Befragten (61,0%) vertraut ist mit den Herkunftsregionen der französischen Migrationsbevölkerung. Auch die DOM- TOM-Länder werden erwähnt (41 Nennungen), während Migranten aus den frankophonen Ländern Asiens kaum vorkommen (nur 2 Nennungen). Eine weitere Wissensfrage galt dem französischen Schulsystem und seinen Unterschieden zum deutschen System. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass deutsche Schüler und Schülerinnen sich mit diesem Vergleich gut auskennen. Als zentrale Unterschiede werden der Nachmittagsunterricht (569), die 12-jährige Schuldauer mit Selektion erst nach dem Collège (144), die insgesamt strengeren Regelungen (109) und das differente Notensystem (89) benannt. Es handelt sich bei den beiden meistgenannten Merkmalen (Ganztagsschule, 12 Schuljahre) um 121 Strukturen, die zur Zeit auch in Deutschland intensiv diskutiert werden. Das Ergebnis kann insgesamt nicht verwundern, da der Vergleich des Alltags französischer Jugendlicher mit dem deutscher Jugendlicher zum Standardrepertoire eines jeden Französischlehrwerkes der Sekundarstufe I gehört. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die landeskundlichen und soziokulturellen Kenntnisse der befragten deutschen Jugendlichen zwei deutliche Schwerpunkte aufweisen: Die Jugendlichen kennen sich einerseits relativ gut aus mit Fragen des Alltags von französischen Jugendlichen und der französischen Jugendkultur, andererseits sind sie mit Themen der politischen und sozio-kulturellen Aktualität vertraut. Diese Schwerpunktsetzung spiegelt recht genau die inhaltliche Orientierung der Lehrwerke für den Französischunterricht der Sekundarstufe I 17 wieder und lässt darauf schließen, dass der Französischunterricht eine der zentralen Wissensquellen für die Erkenntnisse der Jugendlichen über Frankreich darstellt. Doch deuten die Ergebnisse auch auf die zentrale Rolle des Erfahrungswissens hin, dass die deutschen Schülerinnen und Schüler bei Frankreichbesuchen und im Kontakt mit Franzosen und Französinnen erwerben konnten. 4.3 Einstellungen gegenüber den Franzosen und Französinnen Die Sympathiewerte deutscher Jugendlicher gegenüber Franzosen und Französinnen wurden mit Hilfe eines semantischen Differentials erhoben. Die Schüler und Schülerinnen konnten ihre Einschätzungen typisch französischer Verhaltensmuster und Charaktereigenschaften in einer Skala von 1-6 verschiedenen Gegensatzpaaren zuordnen. Dabei ergaben sich folgende Bewertungen. Sympathiewerte für Franzosen und Französinnen 1 2 3 4 5 6 freundlich 182 17,1% 379 35,6% 304 28,6% 100 9,4% 32 3,0% 31 2,9% unfreundlich attraktiv 66 6,7% 184 17,2% 321 30,2% 213 20,2% 138 13,0% 82 7,7% unattraktiv tolerant 38 3,6% 181 17,0% 367 34,5% 250 23,5% 101 9,55 54 5,1% intolerant organisiert 60 5,7% 189 17,8% 337 31,7% 240 22,6% 116 10,5% 54 5,1% unorganisiert herzlich und gesellig 220 20,7% 226 21,2% 260 24,4% 123 11,6% 46 4,3% 32 3,0% kühl und reserviert nationalistisch 197 18,5% 246 23,1% 278 26,1% 168 15,7% 61 5,7% 39 3,7% nicht nationalistisch offen und aufgeschlossen 148 13,5% 276 25,5% 336 31,6% 158 14,6% 66 6,2% 29 2,7% verschlossen 122 Eine fast uneingeschränkt positive Einschätzung der Jugendlichen zeigt sich bei den Eigenschaften „freundlich“ sowie „herzlich und gesellig“. In beiden Skalen erhalten die Plätze 1 und 2 zusammen die höchste Quote: „freundlich“ 52,7%, „herzlich und gesellig“ 41,9%. Bei allen anderen Gegensatzpaaren liegen die höchsten Quoten im mittleren Bereich (Plätze 3 und 4), d.h. in der Mitte zwischen „attraktiv“ und „unattraktiv“ (50,4%), in der Mitte zwischen „tolerant“ und „intolerant“ (58,0%), in der Mitte zwischen „organisiert“ und „unorganisiert“ (54,3%) und in der Mitte zwischen „offen und aufgeschlossen“ und „verschlossen“ (46,2%). Negative Einschätzungen (Plätze 5 und 6) sind in allen Fällen in der Minderheit, wobei die höchsten Negativwerte bei „unattraktiv“ (20,7%) und „unorganisiert“ (15,6%) anzutreffen sind. Das Gegensatzpaar „nationalistisch/ nicht nationalistisch“ bedarf einer besonderen Analyse. Auch hier liegt der Schwerpunkt im mittleren Bereich (41,8%), jedoch ist eine ziemlich deutliche Tendenz zu einer stärkeren Bewertung von „nationalistisch“ zu erkennen. 31,6% der Befragten kreuzen die Plätze 1 und 2 an, d.h. sie halten sie Franzosen für sehr bzw. ziemlich nationalistisch, während nur 9,4% der Befragten die Franzosen als nicht bzw. kaum nationalistisch (Plätze 5 und 6) bezeichnen. Insgesamt zeigt sich aber eine mehrheitlich positive Einschätzung der Franzosen und Französinnen bei den befragten Schülern und Schülerinnen, wobei die höchsten Sympathiewerte durchgehend auf den Plätzen 2, 3 und 4 zu finden sind, seltener auf Platz 1. Die deutschen Jugendlichen schätzen insbesondere die sozialen Verhaltenweisen der Franzosen: Freundlichkeit, Herzlichkeit, Geselligkeit und Offenheit als positiv ein, während sie der Toleranzfähigkeit der Franzosen etwas weniger vertrauen und auch nationalistische Tendenzen nicht ganz ausschließen. Deutlich ist auch eine gewisse Skepsis gegenüber dem französischen Organisationstalent zu erkennen. Die recht ausgewogene mittelwertige Einschätzung der Attraktivität der Franzosen und Französinnen ist ebenfalls auffällig und entspricht nicht den üblichen Klischees. Sie lässt sich möglicherweise als Ausdruck einer realistischen, weder überschwänglich positiven noch negativen Wahrnehmung des Anderen interpretieren, als ein Zeichen von Normalität in den Beziehungen und gegenseitigen Einstellungen. Vergleicht man diese Bewertungen mit den traditionellen stereotypen deutschfranzösischen Wahrnehmungsmustern, wie sie zu Beginn als bipolar und reziprok beschrieben wurden, so lassen sich einige Ähnlichkeiten und einige Abweichungen feststellen. Die weniger positiven Einschätzungen entsprechen eher den traditionellen Wahrnehmungsmustern und korrelieren als tendenziell negative Heterostereotype mit positiven Autostereotypen, d.h. die Jugendlichen sehen sich selbst vermutlich als organisierter, toleranter und weniger nationalistisch an als die Franzosen und Französinnen. Die uneingeschränkt positiv markierten Bewertungen zum französischen Sozialverhalten deuten hingegen auf eigene positive Kontakterfahrungen hin. 123 Auf die Frage, was und wer ihr Frankreichbild am meisten geprägt hat, erhalten Erfahrungen im Kontakt mit Franzosen und Französinnen (417 Nennungen) und bei Reisen nach Frankreich (412 Nennungen) dann auch die höchste Wertung: zusammen 829 Nennungen. An zweiter Stelle steht das Fernsehen als Informationsquelle (557 Nennungen) und erst an dritter Stelle wird der Schulunterricht genannt (388 Nennungen), d.h. in der Wertungsskala der Jugendlichen wird den eigenen Erfahrungen die höchste Bedeutung bei der Entwicklung des Frankreichbildes beigemessen. Diese Einschätzung steht allerdings in einem gewissen Gegensatz zu einigen Ergebnissen der Befragung. Zumindest was den Erwerb von Kenntnissen über landeskundliche und sozio-kulturelle Sachverhalte angeht, lässt sich der Französischunterricht in vielen Punkten als zentrale Wissensquelle ausmachen, während vor allem bei den Sympathiewerten die eigenen Erfahrungen ausschlaggebend zu sein scheinen. Als weitere Einflussfaktoren werden außerdem verschiedene Sekundärquellen angeführt: Freunde (272 Nennungen) und Eltern (225 Nennungen) und als Letztes Bücher (205 Nennungen). Allerdings wird der Einfluss dieser Quellen eindeutig für geringer erachtet als die eigene Anschauung oder die Frankreich-Berichterstattung des Fernsehens. 4.4 Entwurf eines repräsentativen Frankreichbildes Die Aufgabe, sich zum Schluss ein eigenes Frankreichbild zu erstellen, zielte auf die mentale Visualisierung und Fokussierung der Einstellungen der Jugendlichen. Dabei musste mit symbolischen Bedeutungsträgern gearbeitet werden, und persönliche Begegnungserfahrungen konnten nur indirekt verarbeitet werden. Bei den Antworten der Schülerinnen und Schüler tauschen deshalb erwartungsgemäß eine Reihe von stereotypen Bildern auf, die in der Befragung bisher keinen Platz gefunden hatten: der typisierte Franzose mit Baskenmütze und Baguette unterm Arm, der Wein und der Käse sowie die französische Mode, und es zeigt sich, dass die „Imaginierung“ Frankreichs sich vorzugsweise eines tradierten Bildrepertoires bedient. Am häufigsten werden Gebäude und Monumente genannt, insgesamt 2011 Nennungen, d.h. durchschnittlich gibt jeder Befragte zwei Architekturdenkmäler an, die als lieux de mémoire Frankreichs kulturelles Erbe repräsentieren. Der Eiffelturm steht dabei mit 932 Nennungen an der Spitze. Für 87,6% der Jugendlichen symbolisiert er wie kein anderes Monument Frankreich. Alle der genannten Gebäude (Louvre, Notre Dame, Arc de Triomphe, Versailles, Centre Pompidou, Grande Arche, Musée d’Orsay, Stade de France, Elysée-Palast) bzw. Straßen, Plätze und Quartiers (Champs-Elysées, Place de la Concorde, Montmartre) gehören ausnahmslos zu Paris, bzw. wenn man Disneyland mit 28 Nennungen dazurechnet, zum Großraum Paris, ein deutliches Zeichen für die ungebrochene Repräsentationsdominanz der Stadt Paris. Paris repräsentiert, auch für deutsche Jugendliche, ganz Frankreich. 124 An zweiter Stelle steht mit 1075 Nennungen das französische Essen. Es symbolisiert offensichtlich die Besonderheit der französischen Lebensart nach wie vor auf herausragende Weise und transportiert darüber hinaus die Alteritätserfahrungen der Jugendlichen. Neben Baguette (558), Wein (206), Käse (132) und Croissant (115) werden auch Crêpes (28), Schnecken (15) und Frösche (12) genannt. Als Repräsentationsfiguren der französischen Nation rangieren an dritter Stelle die Nationalsymbole mit insgesamt 544 Nennungen: Trikolore (460), Hahn (25) und Marianne (6), sowie die französische Mode (27) und die Tour de France (24). Und erst an vierter Stelle (224 Nennungen) findet man die stereotypen Vorstellungen des Franzosen vom Lande, der an der Baskenmütze und dem Baguette unterm Arm zu erkennen ist. Zu dieser Kategorie zählen auch Asterix und Obelix als französische Sozialtypen, die für französischen Esprit und französische Lebensfreude stehen. 18 Historische Gestalten wie Napoleon oder Louis XIV oder andere Nationalhelden wie Zidane spielen in diesem mentalen Frankreichbild eine untergeordnete Rolle (129 Nennungen), d.h. ihr repräsentativer Wert wird offensichtlich nicht so hoch eingeschätzt. Bemerkenswert ist aber, dass aktuelle Ereignisse wie z.B. die Unruhen in der banlieue an dieser Stelle ihren, wenn auch bescheidenen, Platz finden (14 Nennungen). Eine gezielte Frage nach aktuellen Ereignissen hätte zu diesem Themenbereich sicher ein anderes Ergebnis erbracht, zumal die Angaben zur Bedeutsamkeit des Fernsehens als Quelle des Frankreichbildes von Jugendlichen zeigen, dass die aktuelle Fernsehberichterstattung für die Schüler und Schülerinnen eine wichtige Rolle spielt. Die folgende Graphik gibt die Gewichtung der Bildmotive der Frankreichcollage wieder: Bildmotive der Frankreichcollage 0 500 1000 1500 2000 2500 Architektur und Monumente in Paris Essen und Trinken Nationalsymbole Frankreichs Stereotype Franzosen Nationalhelden Aktuelle Ereignisse 125 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bitte um Visualisierung und Fokussierung der Einstellungen gegenüber Frankreich bei den Schülern und Schülerinnen dazu geführt hat, dass sie bei ihrer Wahl von repräsentativen Frankreichmotiven viel häufiger auf das stereotype Bildrepertoire der deutsch-französischen Wahrnehmung zurückgegriffen haben, als sie das bei den Antworten auf die Fragen nach ihren Erfahrungen mit Frankreich und den Franzosen getan haben. In den Collagen dominiert Paris in Gestalt des Eiffelturms, gepaart mit Baguette, Wein und Käse sowie der Trikolore, das stereotype Frankreichbild schlechthin, während die Ergebnisse der Befragung ein sehr viel differenzierteres Frankreichbild offenbaren, bei dem das Erfahrungswissen und die im Französisch- und Geschichtsunterricht erworbenen Kenntnisse eine entscheidende Rolle spielen und die Fernsehberichterstattung über Frankreich ihren Beitrag zur Entwicklung eines aktuellen Frankreichbildes leistet. 5. Zusammenfassung Im Frankreichbild der 12bis 16-jährigen Schülerinnen und Schüler konnten sowohl tradierte stereotype Wahrnehmungsmuster als auch sehr individuelle Perspektiven auf Frankreich festgestellt werden, doch zeigte sich auch, dass die Art der Fragestellung bei der Präsentation der eigenen Vorstellungen eine wichtige Rolle spielt. Sobald die Jugendlichen Gelegenheit erhielten, ihr Erfahrungswissen einzubringen, konnten sie differenzierte Einschätzungen abgeben, und es wurde ein sehr junges auf die Lebensumstände und Interessen von Jugendlichen fokussiertes Frankreichbild sichtbar, während allgemeine Fragen recht globale Antworten mit einem hohen Anteil an Stereotypen hervorriefen. Insgesamt erwies sich das Frankreichbild der deutschen Jugendlichen in der Umfrage als positiv, dabei durchaus realistisch und kenntnisreich. Ein zunehmendes Desinteresse an Frankreich und an den Franzosen von Seiten deutscher Jugendlicher konnte durch die Erhebung in keiner Weise bestätigt werden. Die vielfältigen Kontaktmöglichkeiten zwischen jungen Deutschen und Franzosen scheinen vielmehr für ein gegenseitiges Interesse und einen unverkrampften Blick auf das Nachbarland zu sorgen. 1 Die letzten größeren Umfragen wurden im Jahre 2000 von EMNID für Die Zeit und im Jahre 2003 von Allensbach für die Frankfurter Allgemeine Zeitung durchgeführt, sowie im Jahre 2002 gemeinsam von SOFRES und EMNID für das Deutsch-Französische Jugendwerk. Vgl. Renate Overbeck und Gabriele Padberg: „Regards croisés. Was Deutsche und Franzosen voneinander denken und wissen“, in: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog 2, 2006, 49-53. 2 Zur Geschichte des deutschen Frankreichbildes vgl. Hans-Manfred Bock: „Wechselseitige Wahrnehmung als Problem deutsch-französischer Beziehungen“, in: Frankreich- Jahrbuch, Opladen, Deutscher Verlagsverbund, 35-56; Hans-Jürgen Lüsebrink: Interkulturelle Kommunikation, Stuttgart, Metzler, 2005; Adelheid Schumann: „Stereotype im 126 Französischunterricht. Kulturwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlagen“, in: Adelheid Schumann und Lieselotte Steinbrügge (eds.): Didaktische Transformation und Konstruktion, Frankfurt, Peter Lang, 113-130; Isabella von Treskow: „Deutsche und französische Grenzüberschreitungen“, in: Französisch heute 32, 2001, 327-339; Karl Ferdinand Werner: „Vom Frankreichbild der Deutschen“, in: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog 4, 35, 1979, 305-310. 3 Laut Umfrage in Die Zeit von 2000 finden 83% der Deutschen die Franzosen sympathisch bis sehr sympathisch; vgl. Klaus Peter Schmid: „Modern, einflussreich, genießerisch. Was die Deutschen von Frankreich und den Franzosen halten“, in: Die Zeit, 2000, www.zeit.de. 4 Zum Problem der Erhebung von Stereotypen vgl. Hans Jürgen Lüsebrink op. cit., 109 sq. Lüsebrink bestätigt, dass sich in den vergangenen 40 Jahren kaum Veränderungen in der Liste der gegenseitigen Zuschreibungen ergeben haben. 5 Zu den Komponenten von Images vgl. Hans Jürgen Lüsebrink, op. cit., 87. 6 Vgl. Klaus Peter Schmid, op. cit., 2. 7 Dieter Tiemann: „Französische und deutsche Schüler über ihre Nachbarn am Rhein“, in: Marieluise Christadler (ed.): Deutschland - Frankreich. Alte Klischees - Neue Bilder. Duisburg, Sozialwissenschaftliche Kooperative, 1981, 170-185; Dieter Tiemann: Frankreich- und Deutschlandbilder im Widerstreit. Urteile französischer und deutscher Schüler über die Nachbarn am Rhein, Bonn, Europa Union Verlag, 1982. 8 Christoph Bittner: „Der Teilnehmerschwund im Französischunterricht - eine unabwendbare Entwicklung? Eine empirische Studie am Beispiel der gymnasialen Oberstufe“, in: Französisch heute 34, 2003, 338-353; Lutz Küster: „Schülermotivation und Unterrichtsalltag im Fach Französisch“, in: Französisch heute 38, 2007, 210-226; Franz-Joseph Meißner: „Gymnasialer Fremdsprachenunterricht in Nordrhein- Westfalen im Lichte der Statistik (1965-1990)“, in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 8, 1997, 1-26; Marcus Reinfried und Annette Kosch: „Sprachvermittlung in der Krise? Die Entwicklung des Französischunterrichts in Deutschland seit dem Elysée - Vertrag“, in: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog 58, 2003, 17-27. 9 Zur Auswirkung der Landeskundediskussion auf Französischlehrwerke vgl. den Beitrag von Adelheid Schumann „Der Wandel des Frankreichbildes in den Lehrwerken für die Oberstufe“ in diesem Dossier. 10 Ursula E.Koch, Detlef Schröter und Pierre Albert (eds.): Deutsch-französische Medienbilder/ Images Médiatiques franco-allemandes, München Verlag Reinhard Fisch, 1993. 11 Da die Fragebogenaktion im Sommer durchgeführt wurde, hatten auch die Schüler und Schülerinnen der Klasse 7, sofern sie Französisch nicht schon in der 6 begonnen hatten, fast ein Jahr Französischunterricht hinter sich. 12 In Nordrhein-Westfalen kann Französisch im Gymnasium ab Klasse 6, 8, 9 und 11 gewählt werden, in einzelnen Schulen auch schon ab Klasse 5 und in Gesamtschulen ab Klasse 7, 9 und 11. 13 An der Umfrage waren 15 Gymnasien und Gesamtschulen aus Nordrhein-Westfalen beteiligt. Allen Kolleginnen und Kollegen, die die Umfrage unterstützt haben, unseren herzlichen Dank. 14 Christoph Bittner, op. cit.; Gisela Hermann-Brennecke und Michael Candelier: „Wahl und Abwahl von Fremdsprachen. Deutsche und französische Schüler und Schülerinnen im Vergleich“, in: Die Neueren Sprachen, 91, 1992, 416-433; Heike Burk et.al.: „Was Studierende über ihre Schulsprachen denken. Ein Beispiel qualitativer Lehrerforschung“, in: 127 Dagmar Abenroth-Timmer und Gerhard Bach (eds.): Mehrsprachiges Europa. Festschrift für Michael Wendt, Tübingen, Gunter Narr Verlag, 2001, 111-130. 15 Werner Bleyhl: „J’accuse“, in: Französisch heute, 3, 1999, 252-263; Franz-Josef Meißner: „Zielsprache Französisch - zum Unterricht einer „schweren“ Schulsprache“, in: Französisch heute, 3, 1998, 241-257. 16 Franz Rudolf Weller: „Literatur im Französischunterricht heute. Bericht über eine größere Erhebung zum Lektüre-Kanon“, in: Französisch heute, 31, 2000, 138-159. 17 Vgl. den Beitrag von Christiane Fäcke „Das Frankreichbild in neueren Französischlehrwerken der Sekundarstufe I“ in diesem Dossier. 18 Zur Stereotypik der Asterix- und Obelix-Gestalten vgl. André Stoll: Asterix, das Trivialepos Frankreichs. Die Bild- und Sprachartistik eines Beststeller-Comics. Köln, DuMont Schauberg, 1975. Résumé: Adelheid Schumann/ Diana Poggel, L’image de la France des jeunes Allemands. Une enquête auprès des élèves entre 12 et 16 ans. L’article présente les résultats d’une enquête auprès des élèves allemands âgé(e)s entre 12 et 16. L’enquête révèle d’une manière évidente que l’image de la France des jeunes Allemands est surtout fondée sur des expériences de contact et de communication personnelles et directes avec des Français et en deuxième lieu sur les informations diffusées par la télévision et la presse, ainsi que sur les connaissances socio-culturelles acquises aux cours de français. Les stéréotypes et les idées reçues sur la France sont toujours actuels, mais jouent un rôle beaucoup moins important que supposé.