eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 47/1

Fremdsprachen Lehren und Lernen
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Narr Verlag Tübingen
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2018
471 Gnutzmann Küster Schramm

Solveig CHILLA, Karin VOGT (Hrsg.): Heterogenität und Diversität im Englischunterricht. Frankfurt/M.: Peter Lang 2017 (Kolloquium Fremdsprachenunterricht), 294 Seiten [€ 36,00]

2018
Andreas Rohde
130 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 47 (2018) • Heft 1 Solveig C HILLA , Karin V OGT (Hrsg.): Heterogenität und Diversität im Englischunterricht. Frankfurt/ M.: Peter Lang 2017 (Kolloquium Fremdsprachenunterricht), 294 Seiten [€ 36,00] Heterogenität und Diversität erhalten vor dem Hintergrund von Inklusion und verstärkter Flüchtlings-Migration eine neue Dimension für jede Art von Unterricht und bieten insbesondere für den Englischunterricht neue Herausforderungen. Der vorliegende, von Solveig C HILLA und Karin V OGT herausgegebene Band versammelt daher eine Reihe von Beiträgen, die sich mit verschiedenen Dimensionen von Heterogenität und Diversität beschäftigen. Dabei wird ein Bogen gespannt, der mit einem Blick auf frühere Erfahrungen mit Heterogenität beginnt (H ERMES ), einen vergleichenden Blick auf die norwegischen felleskole wirft (D OETJES ), Heterogenität interdisziplinär betrachtet (C HILLA und V OGT ) und selbstständiges Lernen als wesentliches Moment der Individualisierung erkennt (S CHUBERT ). Im weiteren Verlauf werden Implikationen für die (Fort-)Bildung von Fremdsprachenlehrkräften erörtert (R ÄDER ), Sprachlernklassen mit ihren Entwicklungsperspektiven diskutiert (R UHM ) und digitale Medien wie die Web 2.0 Tools (E ISENMANN ) geprüft. Die dann folgenden drei Beiträge beschäftigen sich konkret mit Heterogenität in der Primarstufe. Es werden tabletgestützte Lernaufgaben (D AUSEND und N ICKEL ), offene Lernaufgaben für inklusiven Grundschulunterricht (R ECKERMANN ) sowie der Mehrsprachenerwerb im CLIL-Unterricht der Primarstufe (B ELLET ) in den Blick genommen. Den Abschluss macht ein Beitrag zur inklusiven Literaturdidaktik in der Sekundarstufe I (N IERAGDEN ). C HILLA und V OGT weisen auf die starke Forschungsaktivität in der Bildungswissenschaft in Bezug auf Heterogenität und Inklusion hin und formulieren als Ziel des vorliegenden Bandes, die erst beginnende empirische und konzeptionelle Aufarbeitung dieser Herausforderungen für die Fremdsprachendidaktik, insbesondere der Fachdidaktik Englisch, mit der bildungswissenschaftlichen Perspektive zusammenzuführen (S. 7). In den einzelnen Beiträgen wird diese angestrebte Zusammenschau der Perspektiven mit unterschiedlichem Erfolg realisiert. Besonders hervorzuheben sind diejenigen Aufsätze, in denen es gelingt, Theorie und Praxis des Englischunterrichts aufeinander zu beziehen. Für besonders bedeutsam halte ich in dieser Hinsicht den ersten Beitrag von Liesel H ERMES zur „Heterogenität damals und heute“. Ihre kritischen Bemerkungen zur Binnendifferenzierung sind einleuchtend: Wenn von Anfang an nach Leistungsniveau differenziert wird, öffnet sich die Leistungsschere der Schülerinnen und Schüler rasch, weil vor allem „der mündliche Sprachgebrauch, das Üben und Wiederholen eines grundlegend produktiv verfügbaren Vokabulars [...] hinter individuellen schriftlichen Aufgaben“ zurücksteht (S. 20). H ERMES geht auch mit Lehrwerken streng ins Gericht und führt überzeugend aus, dass Lernerautonomie gerade den schwächeren Lernenden keineswegs zugute komme, da das Hörverstehen und die Ausspracheschulung zu kurz kämen (S. 22). Auch der Beitrag von Meike R ÄDER muss gesondert erwähnt werden, da hier Differenzierung und Individualisierung sinnvoll voneinander getrennt werden. Als weniger zielführend erachte ich jedoch ihren Hinweis, dass Grundschullehrkräften die Bedeutung einer Orientierung am Kernlehrplan verdeutlicht werden sollte (S. 126). Sicher ist eine Orientierung am Kernlehrplan wichtig, aber gerade im Grundschulbereich ist er recht vage und stellt m.E. keine überzeugende Orientierung dar. Eine äußerst hilfreiche und dezidierte Begriffsbestimmung des Terminus’ „Heterogenität“ liegt darüber hinaus im Aufsatz von Solveig C HILLA und Karin V OGT vor (vor allem S. 57- 63). Die beiden Autorinnen weisen aus bildungswissenschaftlicher Perspektive auf die verschiedenen Bedeutungskomponenten des Terminus hin und verdeutlichen damit die Relevanz, Heterogenität nicht als diffuses Schlagwort zu verstehen, sondern in jedem konkreten Fall Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 131 47 (2018) • Heft 1 genau zu schauen, welcher Bedeutungsaspekt der Heterogenität in einem konkreten Fall tatsächlich relevant ist. In dieser Hinsicht ist auch das konkrete Beispiel einer stotternden Schülerin und der am ehesten angemessene Umgang mit ihr für den Fremdsprachenunterricht aufschlussreich und wichtig (S. 66f.). Eine sehr gelungene Verknüpfung von Theorie und Praxis liegt auch mit dem Aufsatz zum TET (Teaching English with Tablets) von D AUSEND und N ICKEL vor. Die Autorinnen berichten von einem Projekt, in dem Grundschülerinnen und Grundschüler mit einer Auswahl an story-making Apps arbeiten. Dabei geht es u.a. darum, kleine Videofilme herzustellen, dafür Charaktere und Hintergründe auszuwählen, Texte einzusprechen und damit Geschichten zu erzählen. Es wird aufgezeigt, wie derartige Aktivitäten für starke und schwächere Schülerinnen gleichermaßen geeignet sind (S. 196). Vor allem erscheint mir der Hinweis bedeutsam, dass die Art der Lernaufgabe zentral für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler ist. Lehrkräfte tendieren laut D AUSEND und N ICKEL häufig dazu, sich aufgrund ihrer Strukturiertheit zu sehr auf die jeweilige App zu verlassen und dabei Vorentlastung und Scaffolding zu vernachlässigen sowie eine zu vage Aufgabenstellung zu wählen (S. 198f.). In dieser Hinsicht ist der Beitrag von D AUSEND und N ICKEL erheblich hilfreicher als z.B. die Ausführungen von E ISENMANN über Web 2.0 Tools im vorliegenden Band. Sie führt aus, „der Einsatz von digitalen Medien als binnendifferenzierende und inkludierende Maßnahme in aufgaben- und standardorientierten Lernkontexten kann die Unterrichtsqualität in einer positiven Weise beeinflussen, weil dadurch selbstgesteuertes und kooperatives Lernen sowie der Einsatz von offenen Unterrichtsformen gefördert wird.“ (S. 157). Dazu ist zu sagen, dass der Einsatz digitaler Medien selbst noch keine binnendifferenzierende und inkludierende Maßnahme darstellt. Zudem wird überhaupt nicht deutlich, inwieweit Schülerinnen und Schüler mit Sprachproblemen und/ oder Lernbeeinträchtigungen selbstgesteuert und kooperativ lernen sollten. R ECKERMANN weist daher zu Recht in ihrem Beitrag („Eine Aufgabe - 25 richtige Lösungen“) darauf hin, dass Kindern an vielen Stellen des Unterrichts Offenheit angeboten werde; dennoch müsse die Bearbeitung von Aufgaben strukturiert sein. „Struktur wird durch Transparenz, klare Arbeits- und Verhaltensregeln, genaue Planung, das Einbetten der Aufgabe in einen Kontext und kontinuierliche Begleitung der Lernenden und durch die Lehrperson gewährleistet.“ (S. 220). Es erscheint mir wichtig, dass die an anderer Stelle geforderte Offenheit des Unterrichts und die mehrfach beschworene „Selbststeuerung“ durch die von R ECKERMANN genannten Maßnahmen gerade im inklusiven Unterricht relativiert und dadurch realistischer eingeschätzt werden. In gewisser Weise richtet sich S CHUBERT in ihrem Beitrag zum selbstständigen Lernen gegen die von R ECKERMANN genannte Strukturierung und fordert eine Abkehr vom starren, regelhaft ablaufenden und eng durch die Lehrkraft geführten und kontrollierten Unterricht (S. 87). Auch hier zeigt sich jedoch, dass S CHUBERT s Überlegungen ohne Bezug auf eine konkrete Lerngruppe formuliert werden. Das wird auch in ihren Vorschlägen zum Stationenlernen deutlich, in denen es darum geht, Informationen zu Sehenswürdigkeiten Irlands zu beschaffen und eine Hotelreservierung vorzunehmen (S. 94). Letztere Aufgabe entspricht eher nicht der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern der Altersstufe, von der S CHUBERT hier offenbar ausgeht. Fazit: Insgesamt enthält der vorliegende Band Heterogenität und Diversität im Englischunterricht eine gute Auswahl von Beiträgen, die z.T. recht unterschiedliche Ebenen des modernen Englischunterrichts in den Blick nehmen, eines Unterrichts, der mehr denn je von Heterogenität geprägt und in inklusiven Settings erheblichen Herausforderungen ausgesetzt ist. Besonders positiv hervorzuheben sind die Beiträge, die auf theoretischer Ebene sehr differenziert mit der gegebenen Terminologie arbeiten, sowie die empirischen Untersuchungen, in 132 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 47 (2018) • Heft 1 denen konkrete Unterrichtsszenarien analysiert werden. In diesen Aufsätzen nähern sich die Autorinnen und Autoren dem von den Herausgeberinnen formulierten Ziel, bildungswissenschaftliche Perspektiven mit den theoretischen und praktischen Implikationen für den Englischunterricht zu verknüpfen. In einigen wenigen Beiträgen jedoch werden pauschalisierende Forderungen formuliert, die sich letztendlich nicht ohne weitere Spezifizierungen gewinnbringend auf die Praxis beziehen lassen und daher weniger aussagekräftig sind. Köln A NDREAS R OHDE Elizabeth E LLIS : The Plurilingual TESOL Teacher. The Hidden Languaged Lives of TESOL Teachers and why they Matter. Boston/ Berlin: de Gruyter Mouton 2016 (Trends in Applied Linguistics; 25), 313 Seiten [99,95 €] Während der Englischunterricht in Kontinentaleuropa, insbesondere an Schulen, auch heute noch, fast ausschließlich von Nichtmuttersprachlern des Englischen erteilt wird, legte man in anderen Regionen der Welt, z.B. Japan, sehr hohen Wert darauf, dass vor allem Muttersprachler des Englischen die Fremdsprache Englisch unterrichteten. Letzteres gilt größtenteils auch weiterhin für den Englischunterricht als Zweitsprache in den ‚BANA‘-Ländern, d.h. Großbritannien, Australien, Nordamerika. Muttersprachler des Englischen zu sein, war somit eine essenzielle Voraussetzung für diesen Typ Englischlehrer. Die quasi-absolute Priorisierung des Faktors Sprache bedeutete, dass fremdsprachendidaktische Kenntnisse des Englischen als vernachlässigenswert im Vergleich zur englisch-muttersprachlichen Herkunft der Lehrer/ -innen eingeschätzt wurden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass z.B. deutsche Fremdsprachenlehrer/ -innen immer über Kenntnisse in mindestens einer oder mehrerer Fremdsprache/ n verfüg(t)en und somit eigene Fremdsprachenlernerfahrungen und mehrsprachige Kompetenzen vorweisen konnten bzw. können. Der Nachweis von über das Englische hinausgehenden Fremdsprachenkenntnissen ist bekanntlich eine wichtige Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme eines Fremdsprachenstudiums in Deutschland, während dieser Faktor, d.h. Mehrsprachigkeit der Studierenden, auch heute keine wesentliche Rolle in den entsprechenden TESOL-Ausbildungsgängen spielt. Insofern betritt Elizabeth E LLIS mit ihrer Studie zum mehrsprachigen TESOL-Lehrer (Teaching of English to Speakers of other Languages) Neuland, zumindest für die Länder, in denen das Englische als Erstsprache fungiert. Die auf insgesamt elf Kapitel angelegte Monographie beginnt mit einem Einführungskapitel, in dem der sprachbiographische Hintergrund der Verfasserin, das Anliegen und die Ziele des Buches sowie der Adressatenkreis angesprochen werden. Nach einem 1980 in London abgeschlossenen TESOL-Ausbildungsgang, in dem die Mehrsprachigkeit der Lehrer/ -innen als nicht relevant für den Englischunterricht erachtet wurde, begann Ellis unter Bezug auf ihre eigenen Sprach(lern)biographie an der Gültigkeit dieser Auffassung zu zweifeln: Sie hatte Französisch und Deutsch in Sidney studiert und ebenfalls Italienisch und Spanisch gelernt, auch weil sie es herausfordernd und attraktiv fand, „in einer anderen Sprache zu leben“. Sie empfand es deshalb als Widerspruch, dass ihr in der TESOL-Ausbildung vermittelt wurde, dass man keine Fremdsprachenlernkenntnisse benötige, um das Englische als Fremdbzw. Zweitsprache zu lehren. Konsequenterweise verwirft Ellis diesen Ansatz und argumentiert stattdessen, dass mehrsprachige Lehrer eine größere language awareness wie auch language learning awareness besäßen und dass fremdsprachliche Lernerfahrungen zu einer den Unterricht positiv beeinflussenden Lehreridentität beitrügen. Das wiederum stützt auch die zentrale These des Buches, dass die Unterscheidung von mutter- und nichtmuttersprachlichen TESOL-