eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 46/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
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2017
462 Gnutzmann Küster Schramm

Britta VIEBROCK: Forschungsethik in der Fremdsprachenforschung. Eine systemische Betrachtung. Frankfurt/M.: Lang 2015

2017
Karen Schramm
Buchbesp rechungen • Rezensionsartik el 147 46 (2017) • Heft 2 46 als „Gegenhorizont zu einer ... ausnutzenden Haltung“ (S. 8 ) entwickelt wird, differenziert hinterfragt: „Allerdings sollte auch berücksichtigt werden, dass eine auf em p ow erm ent und agency ausgerichtete Forschung paternalistische Züge tragen kann, wenn nämlich der Wunsch nach einer solchen Handlungsfähigkeit gar nicht von den Forschungsteilnehmerinnen und -t e i l nehmern geteilt wird bzw. als nicht durch das Forschungsvorhaben einlösbar eingeschätzt wird. Die Grenze zur Bevormundung ist schmal, wenn die Notwendigkeit zu em p ow erm ent nur aus der Perspektive des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin bestimmt wird“ (S. 8 ). Nach dieser facettenreichen Aufbereitung des Forschungsstands präsentiert die Autorin im vierten Kapitel eine eigene Dokumentenanal se von Kodizes benachbarter Disziplinen deutscher Fachgesellschaften (Soziologie, Ps chologie, Erziehungswissenschaft) sowie auch der entsprechenden nordamerikanischen Pendants. Auf dieser Grundlage plädiert sie dafür, dass „ein Ethik-Kodex für die Fremdsprachenforschung ... weitreichender sein sollte als nur Regeln guter wissenschaftlicher Praxis zu explizieren und stärker die Integrität des Forschers oder der Forscherin sowie die gesellschaftliche Verantwortung der Disziplin in den Blick n ehmen sollte “ (S. 10 ). Ihre detailorientierte Auswertung kritischer Einwände zur Formalisierung forschungsethischer Überlegungen lässt insbesondere die Bürokratisierung und den unangemessenen Zeitaufwand von einschlägigen Überprüfungsverfahren erkennbar werden. So stellt sie die Frage, inwieweit Formalisierungen durch Ethik-Kodizes, universitäre Ethik- Kommissionen und Prüfverfahren auf der Ebene der Bundesländer auch negative Auswirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb haben. Im fünften Kapitel präsentiert Viebrock die Ergebnisse einer Online-Befragung von 10 Nachwuchswissenschaftler(i n n e )n der Fremdsprachenforschung. Auf der Grundlage von maximal Items wurden folgende Bereiche genauer untersucht: biographische Angaben der Befragten und formale Angaben zu ihrem Forschungsprojekt (Dauer, Betreuungssituation, Finanzierung), Angaben zum Forschungsdesign, zum Umgang mit den Daten (Verwahrung, Zugang), zu rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen des Forschungsprojekts (universitäre und behördliche Genehmigungsverfahren), zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Forschungsprojekt, zur Einstellung zu forschungsethischen Aspekten sowie zur Ausbildung forschungsethischer Kenntnisse und Reflexionskompetenzen (vgl. S. 118). D i e leserfreundlich präsentierte Auswertung fördert erstmalig verfügbare Daten zu vielen dieser Untersuchungsschwerpunkte zutage. Interessant erscheint u.a., dass 0 der Befragten zu Beginn des Projekts eine Genehmigung für ihr Forschungsprojekt in einer Promotionskommission einholen mussten und dass bei nderungen am Projekt in der Regel jedoch nur eine Abstimmung mit den Betreuer(i n n e )n vorzunehmen war. Die substanziellen Befunde werden bestens nachvollziehbar präsentiert und in die zuvor entfalteten theoretischen Zusammenhänge eingeordnet. In ihrer Zusammenfassung der Ergebnisse im sechsten Kapitel betont die Autorin u.a. den Entwicklungsbedarf in zwei Bereichen: Erstens ergibt die Onlinebefragung, dass der Aspekt einer sicheren Datenverwahrung der individuellen Einschätzung überlassen bleibt, weil hierzu keine gesicherten Strukturen an den Universitäten vorliegen. Zweitens deuten die niedrigen Werte beim Erkennen von Interessenskonflikten (insb. Risikoabschätzung in Bezug auf Ergebnisverwertung) darauf hin, dass in diesem Bereich weitere Maßnahmen zur Ausbildung des fremdsprachendidaktischen Nachwuchses wünschenswert wären. Die abschließenden Überlegungen im siebten Kapitel beziehen sich auf die Ausbildung und Vertiefung forschungsethischer Reflexionskompetenzen. Dabei erkennt Viebrock u.a. 148 Buchbesp rechungen • Rezensionsartik el 46 (2017) • Heft 2 46 „die Wichtigkeit persönlicher Interaktionsmöglichkeiten sowohl mit Gleichgesinnten als auch mit erfahreneren Kolleginnen und Kollegen. Als weit weniger bedeutsam erweisen sich formale Regelwerke von Universität oder wissenschaftlichen Fachgesellschaften ebenso wie Angebote im Rahmen einer strukturierten Doktorandenausbildung“ (S. 1 ). Thematisch fokussierte Workshops und individuelle Beratung stehen bei der Wunschliste der Doktorand(i n n )en in Bezug auf forschungsethische Ausbildungsangebote nach Viebrocks Untersuchung an oberster Stelle. Es ist zweifellos eines der vielen Verdienste ihrer Studie, dass sie den forschungsethischen Entwicklungsbedarf der Fremdsprachendidaktik in Bezug auf die Nachwuchsförderung klar dokumentiert und dass sie konkrete Anregungen zu Ausbildungsmodellen und -inhalten unterbreitet. Als Fazit ist festzuhalten, dass es Viebrock in ihrer kurzen Monographie im Umfang von 18 Seiten gelungen ist, in gleichermaßen konziser wie auch präziser Weise sowohl den theoretischen Stand der Diskussion in anderen Disziplinen mit durchgängig klarem Bezug auf die Fremdsprachendidaktik aufzubereiten als auch einen fundierten empirischen Beitrag zur forschungsethischen Praxis fremdsprachendidaktischer Nachwuchswissenschaftler/ -i nnen zu liefern. Dem Buch ist eine breite fremdsprachendidaktische Leserschaft zu wünschen, die die vielen zur Diskussion gestellten Punkte mit derselben Reflexionstiefe und Leidenschaft aufgreift, mit der Britta Viebrock sie in dieser ersten deutschsprachigen Monographie zu diesem Thema behandelt hat. W ien K AREN S CHRAMM 46 (2017) • Heft 2 46 I n f o • V o r s c h a u Vorschau auf Jahrgang 47.1 (2018) Der von Lutz K ÜSTER und Jochen P LIKAT (beide Humboldt Universität zu Berlin) koordinierte Themenschwerpunkt trägt den Titel „Fachlichkeit und Erziehungsauftrag im schulischen Fremdsprachenunterricht“. Die Ziele des schulischen Fremdsprachenunterrichts werden weitestgehend bestimmt von den Vorgaben der Bildungsstandards und der länderspezifischen Rahmenlehrpläne. Übereinstimmend orientieren diese sich an den Kompetenzmodellierungen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Im Zuge der bildungspolitisch implementierten Output-Orientierung mit ihren Postulaten einer Rechenschaftslegung (accountability) und empirischen Fassbarkeit der Ergebnisse schulischen Unterrichts erhalten in diesem Rahmen die fertigkeitsbezogenen Teilkompetenzen gegenüber den sog. „weichen“ Kompetenzen ein vergleichsweise starkes Gewicht. Letztere weisen große Schnittmengen mit den fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen auf, welche durchaus auch in den genannten Vorgaben zu finden sind. Da sie aber zumeist in der Begrifflichkeit unterschiedlicher Teilkompetenzen ausdifferenziert werden (insbesondere der interkulturellen, aber auch der methodischen Kompetenzen), steht in ihnen überwiegend die Befähigung zu Problemlösungen in konkreten Handlungssituationen im Vordergrund. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen (rapides Ansteigen populistischer Diskurse zum gesellschaftlichen Umgang mit Fremdheit und Fremden, Herausforderungen durch den Strukturwandel von Öffentlichkeit im Zuge der digitalen Kommunikations- und Unterhaltungselektronik, um nur zwei Felder zu benennen) erhält die Frage nach dem Erziehungsauftrag von Schule jedoch eine neue Dringlichkeit. Auf der Ebene aller Fächer, also auch der fremdsprachlichen, wäre demzufolge zu klären, welchen spezifischen Beitrag diese zum fächerübergreifenden Erziehungsauftrag zu leisten imstande sind. Die im Grunde vorgelagerte Frage, wie dieser Erziehungsauftrag zu fassen ist, lässt sich stets nur im Zuge gemeinschaftlicher Aushandlungsprozesse bestimmen. Insofern lassen sich beide Bereiche, der fächerübergreifende und der fachspezifische, in vielen Aspekten nicht voneinander trennen. Ziel des Themenschwerpunktes im Heft 1/ 2018 ist es, einen Beitrag zu der oben angesprochenen Diskussion zu leisten. Zugrunde gelegt wird dabei ein weit gefasstes Verständnis des schulischen Erziehungsauftrags und zwar als Befähigung zu Selbstständigkeit des Denkens und Handelns in sozialer Verantwortung und zu einer als bereichernd empfundenen Lebensgestaltung. Diese unterschiedlichen Facetten spiegeln sich in den thematischen Fokussierungen der einzelnen Beiträge. Bei Redaktionsschluss lagen Zusagen für Beiträge mit folgenden Arbeitstiteln vor: Lutz K ÜSTER , Jochen P LIKAT (Berlin): Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Barbara S CHMENK (Waterloo, Canada): Aporien des Lern- und Bildungsziels Autonomie im Kontext des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts Andreas B ONNET , Elisabeth B RACKER DA P ONTE (Bremen): Überfachliches Lernen durch Ungewissheit? - Social skills und Reflexivität im kooperativen Englischunterricht Jochen P LIKAT (Berlin): Der evolutionäre Humanismus - eine ethische Grundlage für kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht?