eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 43/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
2014
432 Gnutzmann Küster Schramm

„Ich bin so in der Mitte“ – Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher mit türkischem Migrationshintergrund

2014
Rebecca Holewa
43 (2014) • Heft 2 © 2014 Narr Francke Attempto Verlag R EBECCA H OLEWA * „Ich bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher mit türkischem Migrationshintergrund Abstract. Recent educational research studies have shown that many children from in-migrant families are considered to be among the under-achievers in the German educational system. One of the main groups consists of children with a Turkish ethnic background. Researchers as well as politicians and teachers still point at linguistic deficits, namely insufficient proficiency in German, as the overall cause of the problem. Since cultural differences and acculturative challenges are often ignored within such research studies, the following study attempts to gain an insight into teenagers’ subjective perceptions of their own cultural identity as bicultural individuals. Furthermore, a potential link between cultural identity and bilingualism will be examined in order to identify positive and negative factors which could lead to more harmonious linguistic and cultural integration and successful careers in the German educational system. 1. Zur Einführung: Problemaufriss Im gegenwärtigen Bildungsdiskurs steht die Pluralisierung der Schülerschaft im Zentrum vieler Debatten. Insbesondere kulturelle Heterogenität aufgrund der hohen Zahlen von Schüler/ innen mit Migrationshintergrund rückt häufig in den Fokus bildungspolitischer Diskussionen. Innerhalb dieser kulturell heterogenen Schülerschaft machen Schüler/ innen mit türkischem Migrationshintergrund eine besonders große Gruppe aus. Migration, Integration und die sogenannte Eingliederung von Migranten innerhalb der deutschen Gesellschaft ist in gesellschafts- und bildungspolitischen Kontexten nunmehr seit fast einem halben Jahrhundert eine immer wiederkehrende Debatte. Dass Deutschland sich zunächst schwer tat, „Gastarbeiter“ und deren Familien als langfristige Bürger der Bundesrepublik zu betrachten und ihnen dementsprechend Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe zu bieten, zeigt ein gelungener Überblick von M ECHERIL / K ALPAKA (2010). Des Weiteren zeigen zahlreiche bildungswissenschaftliche Studien, * Korrespondenzadresse: Rebecca H OLEWA , Lehrkraft an der Carl-von-Ossietzky-Schule Berlin, Blücherstraße 46/ 47, 10961 B ERLIN . E-Mail: rebecca_holewa@web.de Arbeitsbereiche: Fremdsprachendidaktik, Interkulturelle Pädagogik, Bilingualitätsforschung. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l 108 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 nicht zuletzt die PISA-Studie oder der kürzlich veröffentlichte Bildungsbericht (H AS - SELHORN [et al.] 2014), dass insbesondere Schüler/ innen mit türkischem Migrationshintergrund immer noch eine der leistungsschwächsten Schülergruppen ausmachen. In bildungspolitischen Debatten werden vor allem sprachliche Schwächen für diese Schlusslicht-Position verantwortlich gemacht. Häufig soll die Förderung der deutschen Sprachkompetenz zur Lösung des Problems führen, jedoch beleuchtet G OGOLIN mit ihrer Kritik am „monolingualen Habitus der multikulturellen Schule“ schon 1994 auch eine andere Sichtweise und fordert die deutsche Schullandschaft zu mehr Selbstkritik im Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität auf. Während vielerorts problemorientierte Analysen der schulischen Leistungsfähigkeit der Jugendlichen das Erkenntnisinteresse ausmachen, sollen ihre subjektive Lebenssituation und ihre individuellen kulturellen und sprachlichen Herausforderungen im Zentrum der vorliegenden explorativen Studie stehen. Wie entwickeln die Jugendlichen eine kulturelle Identität, und welche Parameter können dabei als Einflussfaktoren festgestellt werden? Welche Rolle spielen Sprache und Bilingualität? Eine theoretische Diskussion dieser Fragen soll mögliche Vorannahmen hervorbringen, vor deren Hintergrund Leitfadeninterviews mit Jugendlichen geplant, durchgeführt und ausgewertet werden. Dabei ist das Ziel der Studie 1 , Erkenntnisse zur aktuellen bildungswissenschaftlichen Diskussion über sprachliche und kulturelle Heterogenität beizutragen und ihnen mögliche Schlussfolgerungen für die Unterrichtspraxis, insbesondere für den Sprach- und Fremdsprachenunterricht, abzugewinnen. 2. Fragestellung und Methodenwahl 2.1 Auswahl der Interviewpartner und Interviewsituation Die Interviews wurden im November und Dezember 2013 an einer Berliner Sekundarschule durchgeführt. Die Auswahl der Schule begründet sich vor allem in ihrer geographischen Lage im Bezirk Neukölln, welcher für seine kulturelle Heterogenität und den hohen Bevölkerungsanteil von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bekannt ist. Es wurden sechs Schüler/ innen einer 10. Klasse interviewt, deren Eltern der Teilnahme an der Studie schriftlich zustimmten. Der Kontakt wurde über die Klassenleitung hergestellt. Die Befragten haben einen türkischen Migrationshintergrund, sind jedoch alle in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihr Alter zwischen 15 und 16 Jahren ähnelt dem Zielalter der PISA- Studie. Die Interviews fanden in einem Klassenraum der Schule statt, so dass durch die bekannte Umgebung eine weitestgehend vertraute Atmosphäre geschaffen wurde. 1 Die Studie wurde im Rahmen der Masterarbeit der Autorin an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt. „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 109 43 (2014) • Heft 2 2.2 Fragestellung Das Erkenntnisinteresse der explorativen Studie liegt darin, auf Grundlage der Daten Aussagen über einen eventuellen Zusammenhang zwischen kultureller Identität und Sprache zu ermöglichen. Des Weiteren soll erörtert werden, welchen Schwierigkeiten die Schüler/ innen durch ihr bikulturelles und bilinguales Leben begegnen und welche Faktoren dabei als hilfreich oder hinderlich identifiziert werden können. 2.3 Datenerhebung und -analyse Zur Erhebung der subjektiven Haltungen zur eigenen sprachlichen und kulturellen Identität der Jugendlichen wurde als Erhebungsinstrument das „problemzentrierte Leitfadeninterview“ (W ITZEL 2000) gewählt. Dieses ermöglicht gezielte und gleichwohl offene Fragen, die den Jugendlichen richtungsweisende Erzählanreize bieten. Die offene Gestaltung verhindert darüber hinaus eine zu starke Vorfärbung der Erzählungen durch den Interviewer. Als Auswertungsmethode wurde die „qualitative Inhaltsanalyse“ nach M AYRING (2010) gewählt. Dabei wird das Erzählte in möglichst kleine Sinnabschnitte unterteilt, die mithilfe von Paraphrasierungen und Generalisierungen immer stärker abstrahiert und verdichtet werden. Am Ende werden sogenannte Kategorien gebildet, die die einzelnen abstrahierten Aussagen miteinander verknüpfen und auf Basis derer die Ergebnisse interpretiert werden. 3. Kultur, Migration und Sprache - eine theoretische Einordnung 3.1 Kultur und Migration Im gesellschaftspolitischen Diskurs über Migration und die damit einhergehenden Herausforderungen wird häufig das Wort Kultur zum Platzhalter vager gesellschaftlicher Merkmale, die nicht zuletzt für die Begründung sogenannter „gelungener“ oder „gescheiterter“ Integration zurate gezogen werden. Politisch und medial wurde der Begriff in einer solchen Weise ausgedehnt, dass mittlerweile zwar jedermann glaubt, seine Bedeutung zu kennen, diese semantische Entleerung jedoch jedwede Definitionsversuche fast unmöglich erscheinen lässt. Jedoch scheint Kultur in populärwissenschaftlichen oder politischen Kontexten häufig einen stabilen Bezugspunkt einer homogenen und in sich geschlossenen Gruppe von Menschen zu bezeichnen. Demgegenüber stehen verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, wie die Kulturwissenschaft, die Psychologie, die Pädagogik oder die fremdsprachlichen Fachdidaktiken, innerhalb derer Kultur immer mehr als ein dynamisches Konstrukt identitätsstiftender Merkmale auf der Ebene des Individuums verstanden wird. Im Folgenden sollen diese unterschiedlichen Kulturverständnisse veranschaulicht werden. 110 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 3.1.1 Homogenität als Merkmal von Kultur Im gesellschaftlichen Diskurs, insbesondere wenn über die Folgen wachsender Heterogenität heutiger Gesellschaften diskutiert wird, sind Begriffe wie „kulturelle Andersartigkeit“ oder „Kulturkonflikt“ keine Seltenheit. Eine solche Sichtweise lässt sich auf ein von Herder gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickeltes Modell von Kulturen zurückführen. Herders Motive waren allerdings ganz andere als die heutigen, denn er unternahm seinerzeit den Versuch, das Nationalbewusstsein der damaligen europäischen Völker zu begründen (vgl. R OTH 2001: 16). Er war überzeugt, dass das gemeinsame kulturelle Erbe eines Volkes ein ihm eigenes Orientierungssystem, „a collective soul“, prägt, welches Denken und Fühlen des Einzelnen leitet: „That collective soul gave and received at once nourishment from a shared heritage by virtue of which a nation and each one of his characters possessed, and continued to possess, their distinctive character“ (B ANARD 1983: 242). Herder verglich Nationen mit Kugeln, welche ihre Mitglieder fest an ihren Mittelpunkt binden, während alles Fremde als Bestandteil anderer Nationen (Kugeln) betrachtet wurde, die wiederum ihren eigenen Mittelpunkt haben (vgl. W ELSCH 2010: 41). Diese Betrachtungsweise von Kultur führt automatisch zu einem binären Kategoriensystem entlang der Pole eigen und fremd. Kulturelle Integrität im Herderschen Sinne basiert somit auf Homogenität, jegliche Abweichungen werden notwendigerweise außerhalb der eigenen Kultur positioniert: „Da der moderne Nationalstaat Herderscher Prägung Zugehörigkeit über die gemeinsame Ethnizität, Sprache und Kultur definiert und nach Homogenität strebt, wurde der Nachbar anderer Sprache, Religion, Ethnie oder Kultur… zwangsläufig zum Fremdkörper“ (R OTH 2001: 16). Das Herdersche Modell ist als seinerzeit fortschrittlich und modern zu betrachten, da es Zugehörigkeiten nicht bloß an dem Merkmal Rasse, sondern dem viel komplexeren Merkmal Kultur festmacht. Dass dieser Kulturbegriff besonders in nicht-wissenschaftlichen Kontexten auch heute noch verbreitet ist, wurde bereits angedeutet. Ein solches homogenisierendes Kulturverständnis, welches W ELSCH als „altes Modell klar gegeneinander abgegrenzter Kulturen beschreibt“ (W ELSCH 2010: 40) definiert Individuen als Objekte eines bestimmten sozio-kulturellen Gefüges, welches „in der Regel sozial-geographisch eingrenzbar, häufig staatsterritorial“ (W EIß 2009: 155) ist. Wenn geographische Grenzen in dieser Sicht durch kulturelle gesäumt sind, lassen sich die Konsequenzen für den Fall Migration bereits erahnen. Anders als geographische Grenzen, die in der heutigen Zeit schnell überquert sind, scheinen die kulturellen Grenzen unüberwindbar. Dieses Kulturverständnis liefert politischen Debatten willkommene Antworten auf gesellschaftliche Probleme. Im wissenschaftlichen Diskurs existiert jedoch eine grundlegend andere Definition von Kultur. 3.1.2 Kultur als reflexiver Diskurs Während das oben skizzierte Kulturverständnis noch in vielen Köpfen steckt, erfährt es in sozialpsychologischen und kulturtheoretischen Diskursen insbesondere aufgrund seiner statischen und geschlossenen Natur harsche Kritik, vor allem dann, wenn es auf den Kontext multikultureller Gesellschaften angewandt wird. Ethnisch-kulturelle „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 111 43 (2014) • Heft 2 Gruppierungen als in sich geschlossene und homogene Gemeinschaften zu betrachten, ist aus Sicht zahlreicher Wissenschaftler nicht aufrecht zu erhalten (vgl. A RIES 2003, A UERNHEIMER 2003, S CHMIDTKE 2010). Kultur als kollektiven und homogenen Wertekonsens innerhalb einer Gruppe von Individuen zu definieren, weist auch H A zurück: „Die ethnische Gemeinschaft erweist sich beim näheren Blick als ein äußerst vielfältiges und widersprüchliches Gebilde, das keine monolithische Einheit und einstimmige Loyalitätsbekundungen kennt“ (2000: 382). Ein derartiges Kulturverständnis habe nach H U (2003: 78) „abgedient“, da es die Mitglieder einer kulturellen Gruppe als bloße Objekte eines starren Systems positioniert. A UERNHEIMER stellt ebenso fest: „Außerdem begegnet man innerhalb der Gruppen wiederum verschiedenen Graden und Formen der Akkulturation und Hybridisierung“ (2003: 154). Die Begriffe Hybridisierung oder auch Hybridität wurden im Rahmen der Cultural Studies von H ALL (1990) und B HABA (1985) geprägt und werden im wissenschaftlichen Diskurs über Migration und kulturelle Identität seither häufig rezitiert. Auch W ELSCH , der den Begriff der Transkulturalität etablierte, greift auf den Terminus der „Hybridisierung“ als Merkmal „zeitgenössischer Kulturen“ zurück (2010: 43). In den migrationsbedingten Erfahrungen der kulturellen Entwurzelung, die H ALL (1990: 235) als „Diaspora“ bezeichnet, wird „kulturelle Identität“ als fortlaufender Aushandlungsprozess begriffen. Sie unterliegt in diesem Verständnis einem ständigen Wandel. Auch W ELSCH verdeutlicht, dass Individuen heute eine „patchwork-Identität“ besitzen, so dass „innere Pluralität“ bzw. eine „interne Transkulturalität“ zu den Hauptmerkmalen der Identitätsbildung zählen (2010: 46). Im starken Kontrast zum statisch-geschlossenen, homogenisierenden Kulturbegriff werden hier Dynamik und Aushandlungsprozesse als Kernmerkmale von Kultur definiert: „Kultur als Prozess der Interpretation beinhaltet so auch immer ein Aushandeln von Machtverhältnissen und von Definitionsgewalt über Interpretationen und Praktiken“ (E REL 2004: 38). Jede kulturelle Gemeinschaft unterliegt ihrer eigenen Hybridität, „das heißt, dass innerhalb einer Gruppe kulturelle Formen unterschiedlich verstanden, interpretiert und gelebt werden“ (ebd.). Während im „alten Modell klar gegeneinander abgegrenzter Kulturen“ (W ELSCH 2010: 40) eine derartige Instabilität das Orientierungssystem und gleichsam die Identität der Mitglieder einer Kultur ins Wanken brächte, ist es aus Sicht vieler Kritiker eben dieser dynamische Aushandlungsprozess, der Kultur konstituiert und letztlich ihre Mitglieder von bloßen Objekten zu produktiven und wirkmächtigen Subjekten emanzipiert. Es lässt sich festhalten, dass ein derartiges „diskursiv-reflexives Konzept von Kultur“ (vgl. H U 2003: 78) vor allem im Kontext von Migration seine Bestätigung erfährt, während der Herdersche Kulturbegriff in Zeiten von Globalisierung und multikultureller Gesellschaften kaum mehr zu vertreten ist. 3.1.3 Lebenssituation Migration - Akkulturation nach B ERRY Nachdem Kultur nun als wissenschaftliches Theorem diskutiert und kontroverse Definitionen vorgestellt wurden, soll im Folgenden die Thematik der Migration als Lebenssituation beleuchtet werden. Der dargestellte Kulturbegriff soll dabei als hilfreiche Per- 112 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 spektive auf ein Modell von B ERRY (1997) dienen, der verschiedene Bewältigungsstrategien in der Migration aufzeigt. Der Begriff Akkulturation hat seine Ursprünge in der Cross-cultural Psychology und beschreibt den Erfahrungsprozess, den Individuen und Gruppen bei der Migration durchlaufen. Migration wird dabei als dynamische Lebenssituation begriffen, die den Menschen vor verschiedene soziale Herausforderungen stellt. In diesem Zusammenhang stellte B ERRY vier mögliche Akkulturationsstrategien heraus. Grundlegend ist dabei die Tatsache, dass sich Minderheiten und Individuen in kulturell heterogenen Kontexten immer in einem bipolaren Spannungsgefüge befinden, nämlich zwischen der Bewahrung der eigenen Kultur („cultural maintenance“) einerseits und dem Kontakt mit und der Teilnahme an der Mehrheitsgesellschaft („contact and participation“) andererseits (vgl. B ERRY 1997: 9). Die vier Akkulturationsstrategien zeichnen die möglichen Umgangsformen mit einer derartigen Lebenssituation auf und sollen im Folgenden vorgestellt werden. Die erste Strategie ist die der Assimilation. In diesem Fall wird auf den Erhalt der eigenen Herkunftskultur verzichtet, das Ziel ist eine möglichst große Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft: „When individuals do not wish to maintain their cultural identity and seek daily interaction with other cultures, the Assimilation strategy is defined“ (ebd). Im Gegensatz dazu führt B ERRY die zweite Strategie Separation an. Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft wird in diesem Fall vermieden, stattdessen wird an der Herkunftskultur festgehalten (vgl. ebd.). Neben diesen beiden drastischen Strategien stellte Berry auch die Strategie der Integration fest. Der Erhalt der Herkunftskultur und die Teilnahme an der Mehrheitsgesellschaft werden miteinander verknüpft: „When there is an interest in both maintaining one’s original culture, while in daily interactions with other groups, Integration is the option; here, there is some degree of cultural integrity maintained, while at the same time seeking to participate as an integral part of the larger social network“ (ebd.). H AMERS / B LANC bezeichnen die Strategie der Integration auch mit dem Begriff „harmonious acculturation“ (2000: 205). Wenn durch die Folgen der Migration der Zugang zur Ursprungskultur versperrt ist, gleichzeitig aber auch die Teilnahme an der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt oder erschwert wird, kann dies auch zur vierten, unfreiwilligen Strategie Marginalisierung führen: „when there is little possibility or interest in cultural maintenance (often for reasons of enforced cultural loss), and little interest in having relations with others (often for reasons of exclusion or discrimination) then Marginalisation is defined“ (B ERRY 1997: 9). Kulturelle Identität im Falle der Marginalisierung kann somit weder aus der Zugehörigkeit zur Mehrheitskultur noch aus der Zugehörigkeit zur Herkunftskultur erwachsen, da diese für das marginalisierte Individuum nicht mehr zugänglich ist. 3.1.4 Akkulturationsstress Während B ERRY s Modell die vier Akkulturationsstrategien klar voneinander abgrenzt, ist die Trennschärfe in der Realität oft nicht so deutlich. Häufig stellt die Entscheidung für eine der Strategien eine komplexe Lebensaufgabe für das Individuum dar, die oft mit Stress verbunden ist. Das Phänomen des „acculturative stress“ (ebd.: 13) tritt vor allem bei der psychologischen Akkulturation, d.h. auf der Ebene des einzelnen Indivi- „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 113 43 (2014) • Heft 2 duum und weniger als kollektiv empfundenes Phänomen auf der Ebene der ethnischen Minderheitsgemeinschaft auf. Akkulturativer Stress kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden. Zum einen bewegt sich das Individuum stets in verschiedenen privaten und öffentlichen Lebensräumen, wie bspw. die Familie, die Schule, das soziale Umfeld, in denen die Tendenzen zur Bewahrung kultureller Werte unterschiedlich stark ausfallen (vgl. ebd.: 12). Zweitens weist Berry auf die dynamische Natur von Akkulturation hin. Zwar betont er, dass eine Strategie letzten Endes bevorzugt wird, das Individuum allerdings bis dahin möglicherweise auch andere Strategien erprobt (vgl. ebd.: 11). Des Weiteren muss der Einfluss der Mehrheitsgesellschaft auf individuelle Akkulturationsstrategien berücksichtigt werden. Er hat einen entscheidenden Anteil daran, inwiefern es dem Individuum gelingt, den neuen Lebensraum für sich zu gewinnen. Während eine Gesellschaft mit einer „positive multicultural ideology“ (ebd.: 17) den Boden für die Integrationsstrategie ebnet, gibt es auch jene Gesellschaften, die durch Gesetzgebung und Praktiken des Umgangs mit kultureller Diversität jegliche kulturelle Andersartigkeit ablehnen und außerhalb der herrschenden Normen platzieren. Den durch derartige komplexe Gegebenheiten hervorgerufenen Stress differenziert B ERRY in drei verschiedene Intensitätslevel (vgl. ebd.: 18 f). Mit „adjustment“ wird ein niedriges Stresslevel beschrieben, bei dem das Individuum seine Anpassung in der neuen soziokulturellen Umwelt als eher unproblematisch empfindet und ihm die Aneignung neuer und Anpassung alter Verhaltensformen („culture learning“ und „culture shedding“) leicht fallen. Im Gegensatz dazu steht der Zustand der „psychopathology“ (ebd.: 20), bei dem das Individuum die Kluft zwischen altem und neuen Lebensraum trotz großer Bewältigungsbemühungen als unüberwindbar wahrnimmt. Die Folge ist ein Rückzug in das, was als „Herkunftskultur“ begriffen wird, entsprechend der Strategie Separation. Verliert das Individuum durch die Migration aber zusätzlich den Bezug zur Herkunftskultur, kann dies zu völliger Isolation, also zur Akkulturationsstrategie der Marginalisierung führen. Die dritte Form der psychologischen Akkulturation beschreibt das Erleben von „acculturative stress“. Im Gegensatz zur Psychopathologie ist der erlebte Stress für das Individuum überwindbar. Das Individuum nimmt sich als Fremdkörper in der Mehrheitsgesellschaft wahr und erfährt Kulturkonflikte durch den interkulturellen Kontakt. Diese kulturellen Differenzen lassen sich nicht schnell durch bloße Anpassung oder schnelles „culture learning“ beheben, jedoch kann die Erfahrung des Akkulturationsstresses die eigenständige Entwicklung von Bewältigungsstrategien fördern. Der erlebte Stress führt in dem Fall zur aktiven Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Lebenssituation und fördert die Aushandlung der eigenen kulturellen Identität. Diese Aushandlungen können sowohl zur bewussten Assimilation als auch zur bewussten Separation beitragen. Ebenso kann dieser autonome Aushandlungsprozess aber auch zu einer bikulturellen Identität, d.h. zur Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft ohne Aufgabe der Ursprungskultur führen. „Acculturative stress“ ebnet dem Individuum somit möglicherweise den Weg zur Integration. Betrachtet man Akkulturation jedoch vor dem Hintergrund der zwei oben dargestellten Kulturdefinitionen, ergibt sich eine weitere Hürde zur Integration. Integration bedeutet, „there is some degree of cultural integrity maintained, while at the same time 114 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 seeking to participate as an integral part of the larger social network“ (ebd.: 9). Somit kann als eine Grundbedingung für Integration formuliert werden, dass das Individuum sich selbst auch als ein in zwei Kulturen agierendes und verortetes Individuum zu akzeptieren und diesen Zustand als wünschenswert zu empfinden weiß. Wenn die subjektive Theorie von Kultur und kultureller Zugehörigkeit allerdings einer im Herderschen Sinne homogenisierenden Kulturtheorie entspricht, ist eine solche Selbstwahrnehmung nicht möglich. In diesem Fall begreift das Individuum die verschiedenen Kulturen als geschlossene und homogene Räume, und der Versuch einer doppelten Zugehörigkeit und Teilhabe wird als großer Stressfaktor empfunden, so dass ihm nur die Bewältigungsstrategien einer deutlichen Zuordnung zur Zielkultur (Assimilation) oder zur Herkunftskultur (Separation) bleiben. Als Folge dieser Erkenntnis soll nun in Hinblick auf die qualitative Forschungsstudie eine erste Vorannahme formuliert werden: Die Strategie der Integration ist nur realisierbar für diejenigen Individuen, die ein diskursiv-reflexives Konzept von Kultur verinnerlicht haben, d.h., die Hybridität als eigene Lebensform akzeptieren. Die subjektiven Theorien der interviewten Jugendlichen sind damit bei der Untersuchung der jeweils gewählten Akkulturationsstrategie als essentieller Anhaltspunkt zu betrachten. 3.2 Migration und Sprache 3.2.1 Sprache - Denken, Handeln, Identität? Die Selbstverortung im Geflecht unterschiedlicher kultureller Kodierungen kann im Prozess der Akkulturation zu mehr oder minder großem Stressempfinden führen. Eine der vermutlich sichtbarsten und folgenschwersten Differenzen ist der Bereich der Sprache. Sie ist nicht nur als Schlüssel zur Kommunikation innerhalb kultureller Gruppen zu betrachten. Wissenschaftliche Studien schreiben ihr überdies elementare Bedeutung bei der Konstitution menschlicher Identität/ en zu. In den Diskussionen linguistischer und psychologischer Wissenschaft rückte die Rolle von Sprache insbesondere auf einer sozialpsychologischen Ebene im letzten Jahrhundert mehr und mehr in den Fokus. Die in dieser Diskussion entstandenen, nicht selten kontroversen Ansätze können innerhalb dieses kurzen Überblicks nicht in Gänze aufgeführt werden. L ANTOLF beruft sich in seinen Überlegungen zu Sprache auf V YGOTSKY 2 , dessen entwicklungspsychologische Theorien große Beachtung fanden und vielerorts weiterentwickelt wurden. Darüber hinaus werden hier grundlegende Thesen des Linguisten H ALLIDAY dargelegt, die für die Betrachtung von Sprache in Verbindung mit Kultur und Zweisprachigkeit fundamental zu sein scheinen. V YGOTSKY beschäftigte sich mit der Frage, wie der Mensch mit seiner Umwelt in Verbindung tritt und diese Erfahrungen wiederum mental verarbeitet. Dabei weist er schon im Vorwort seiner Monographie „Denken und Sprechen“ darauf hin, dass sich „das Problem von Denken und Sprechen als das Kernproblem der Psychologie insge- 2 Zum Zwecke der Einheitlichkeit wird für diesen Artikel nur folgende Schreibweise des Namens verwendet: V YGOTSKY . „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 115 43 (2014) • Heft 2 samt herausstellte“ (V YGOTSKY 2002: 40). Seine Forschungen ergaben, dass jegliche Form menschlichen Handelns auf Mediationsprozessen basiert und der Hilfe symbolischer Mittel bedarf (vgl. L ANTOLF 1994: 418). Mediation wird dabei definiert als „the introduction of an auxiliary device into an activity that then links humans to the world of objects or to the world of mental behavior“ (ebd.). Als das wichtigste symbolische Mittel wird dabei die Sprache angesehen (vgl. ebd.). Durch sie wird der Mensch befähigt, „to organize and control such mental processes as voluntary attention, logical problem-solving, planning and evaluation, voluntary memory, and intentional learning“ (ebd.). Darüber hinaus wird betont, dass auch innere mentale Prozesse, d.h. solche ohne direkte Interaktion mit der Außenwelt oder anderen Menschen über Sprache, gelenkt werden. Diese Art mentaler Prozesse bedienen sich des symbolischen Mittels Sprache in Form von sogenannter „inner“ oder „private speech“ (vgl. ebd.: 419). V YGOTSKY schlussfolgert aus seinen Erkenntnissen, dass es „jedoch falsch [wäre] …, sich Denken und Sprechen als zwei einander äußerliche Prozesse vorzustellen, als zwei unabhängige Kräfte, die parallel zueinander verlaufen“ (V YGOTSKY 2002: 387). Ein solch falsches Verständnis bezeichnet er als „grundlegenden methodologischen Fehler“ in dem die „Fruchtlosigkeit“ vieler Untersuchungen begründet sei (vgl. ebd.: 388). Ähnlich argumentiert H ALLIDAY , dass die einzigartige Eigenschaft menschlichen Lernens darin bestehe, „that it is a process of making meaning - a semiotic process; and the prototypical form of human semiotic is language“ (H ALLIDAY 1993: 93). Unter ‚Lernen‘ versteht er sowohl die fundamentalen Prozesse, mit denen der Mensch seiner Umwelt Sinn verleiht und sich zu ihr in Beziehung setzt als auch die „institutionalized form of learning that we call education“ (ebd.). Aus diesem Grund verurteilt er die strikte Trennung von Lernen und Sprache, ebenso kritisiert er die bloße Subkategorisierung von Sprache als eines spezifischen Teils menschlichen Lernens. Stattdessen setzt er Sprache und Lernen in eine untrennbare und wechselseitige Beziehung: „Hence the ontogenesis of language is at the same time the ontogenesis of learning“ (ebd.). Sowohl V YGOTSKY als auch H ALLIDAY positionieren Sprache an der Basis jeglicher mentaler Prozesse. Somit wird Sprache eine fundamentale Rolle im Leben eines jeden Menschen zuteil. Menschen, die Migrationserfahrungen machen, befinden sich nicht nur in einem Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen kulturellen, sondern in den meisten Fällen auch zwischen zwei sprachlichen Prägungen. Das dargelegte Sprachverständnis muss somit jeder Betrachtung von Bilingualität und Bikulturalität zugrunde gelegt werden. 3.2.2 Subjektive Haltungen zur eigenen Bilingualität Wenn Sprache ein zentrales Element jeglichen Denkens, Handelns und Fühlens ist (siehe 3.2.1), muss Bilingualität nicht zuletzt deshalb aus einer soziokulturellen Perspektive betrachtet werden, da alle diese Prozesse nicht etwa innerhalb eines kulturellen Vakuums ablaufen, sondern in der Regel in soziale Interaktionen eingebettet sind. Aus dieser zentralen Rolle von Sprache ergibt sich die Frage, ob Sprache dadurch nicht selbst als einer der wichtigsten - und offensichtlichsten - Träger von Kultur zu betrachten ist. So stellen beispielsweise H AMERS / B LANC fest, „Speech is a powerful 116 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 factor of identification. Social, cultural and ethnic categorisations and value judgements based upon language can be expressed about individuals and generalised to whole groups“ (2000: 207). Bilingual im Sinne G OGOLIN s „lebensweltlicher Mehrsprachigkeit“ (2011) zu sein, heißt somit, zwei Medien für zwei Kulturen zu besitzen. Daraus lässt sich schließen, dass die sprachlichen Fertigkeiten eines Individuums, sowie seine Haltung in Bezug auf die jeweilige Sprache starken Einfluss auf sein soziokulturelles Handeln und Denken nehmen. Diese Darstellung ist allerdings einseitig in dem Sinne, dass Sprache den bloßen Zweck des Mediums von Kultur zu erfüllen scheint. Schon V YGOTSKY s und H ALLIDAY s Ausführungen deuten aber eine wechselseitige Beeinflussung von Sprache und Kultur an, und auch H AMERS / B LANC (2000) schreiben: „Rather than a one-way causal relationship between language and culture we consider there to be a continuous interaction in which language can at times shape ideas and at other times result from the existing cultural values and behaviour“ (ebd.: 200). An dieser Stelle lässt sich eine zweite Vorannahme in Hinblick auf die nachfolgende Studie formulieren: Sprache und kulturelle Identität stehen in einer wechselseitigen, also interdependenten, Beziehung. Ebenso, wie Sprache kulturelles Denken und Handeln ermöglicht, lenkt und prägt, so nimmt auch die kulturelle Identität des Individuums erheblichen Einfluss auf die subjektiven Überzeugungen, Haltungen und Motivationen zu Sprache. In eigenen Studien beobachten H AMERS / B LANC seitens der Migranten eine gewisse Angst vor der Zweitsprache; ein Phänomen, das sie als „fear that learning L2 may lead to a loss of first culture and language“ (ebd.: 232) begreifen. Nimmt diese Angst mehr Einfluss als der Faktor „integrativeness“, so führt dies zu einer relativen Vermeidung der Sprechergemeinschaft der Zweitsprache. Ist der Faktor „integrativeness“ größer als der Faktor „fear of assimilation“, wird das Individuum sich der Sprechergemeinschaft der Zweitsprache annähern. Diese Ergebnisse zeigen, dass auch Toleranz und Offenheit seitens der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der Minderheitensprache Grundvoraussetzungen für eine integrative Sprachmotivation sind. Dies spielt eine umso größere Rolle, je höher das Individuum den Status der eigenen Minderheitskultur und -sprache bewertet. Wenn das Individuum den Erhalt seiner Erstsprache und -kultur nicht von der Mehrheitsgesellschaft bedroht sieht, steigert dies seine Motivation, die Zweitsprache zu erwerben und Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft zu suchen. H AMERS / B LANC fassen daher die Rolle der Gesellschaft folgendermaßen zusammen: „To develop a harmonious bilingual bicultural identity the society must integrate multiculturalism as one of its values“ (ebd.: 214). Für die nachfolgende Studie lässt sich somit eine dritte Vorannahme festhalten: Die Ausprägung der subjektiven Haltung zu sprachlicher Teilhabe in beiden kulturellen Gemeinschaften hängt stark davon ab, ob die Jugendlichen das Verhältnis zwischen Minderheit und Mehrheitsgesellschaft als von Respekt und Offenheit oder aber als von Intoleranz und Konkurrenz geprägt wahrnehmen. Sprachliche Integration im Sinne einer harmonischen Bilingualität ist nur dann möglich, wenn das Subjekt mit seiner kulturellen und sprachlichen Hybridität in beiden Gemeinschaften auf Akzeptanz und Befürwortung stößt. „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 117 43 (2014) • Heft 2 4. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Die Auswertung der sechs Interviews zeigt, dass die Jugendlichen trotz ihres vermeintlich ähnlichen türkischen Migrationshintergrundes ihre jeweilige sprachliche und kulturelle Lebenssituation subjektiv sehr unterschiedlich bewerten. Wie bereits angenommen, erweist sich die Entwicklung einer kulturellen Identität als komplexer und für jedes Individuum einzigartiger Prozess. Aufgrund der relativ kleinen Erhebungsgruppe ist daher darauf hinzuweisen, dass mit der Analyse der beschriebenen Fälle keineswegs der Anspruch gestellt wird, alle möglichen existierenden subjektiven Haltungen Jugendlicher mit türkischem Migrationshintergrund im Sinne einer „Typenbildung“ abzubilden, denn eine solche erhebt schon rein semantisch den Anspruch, ein Kategoriensystem zu entwickeln, dem sich alle Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund unterordnen lassen würden. Unter Berücksichtigung dieser Vorbemerkungen sollen die auf Grundlage der Interviews erarbeiteten subjektiven Theorien der Jugendlichen über ihre kulturelle Identität im Folgenden jedoch so miteinander verglichen werden, dass mögliche Einflussfaktoren freigelegt werden können. 4.1 Der Einfluss eines homogenisierenden Kulturverständnisses auf die individuelle Akkulturation Zum einen wurde untersucht, ob die dargestellten Akkulturationsstrategien im lebensweltlichen Kontext der Befragten erkennbar sind. Dabei ist zunächst zu sagen, dass das Forschungsziel nicht darin lag, die Akkulturationsstrategien innerhalb einer objektiven Betrachtung auf die tatsächlichen Lebenssituationen anzuwenden, da alle Jugendlichen sich alltäglich in verschiedenen kulturellen Lebensräumen bewegen (Schule, Familie, Freundeskreis). Betrachtet man jedoch die individuellen Theorien über kulturelle Zugehörigkeit, so lassen sich die subjektiven Empfindungen über die eigenen Identitäten durchaus in Richtung der verschiedenen Akkulturationsstrategien interpretieren. Hierfür war es notwendig, auch die herrschenden Kulturbegriffe der Jugendlichen herauszuarbeiten. Denn wie sich in der Analyse der Interviews bestätigte, spielen diese in Hinblick auf die Akkulturationsstrategien eine ausschlaggebende Rolle. Dabei ließ sich feststellen, dass nur zwei der Befragten Kultur als diskursiv-reflexiv betrachten (Interview 1 und 2), die vier anderen vertreten ein deutlich homogenisierendes Kulturverständnis. Wie sich durch die Auswertung der Interviews zeigen ließ, sind innerhalb eines solchen Kulturverständnisses keine Formen von Hybridität als Lebenskonzept möglich, so dass vier der Befragten einen großen Wunsch nach einer eindeutigen, d.h. monokulturellen, Zugehörigkeit offenbaren. Dieser Wunsch führt zu unterschiedlichen Identifikationsformen. Einerseits kann es sich in dem Bedürfnis nach totaler Anpassung und Anerkennung als Deutsche/ r äußern. Ein derartiger Wunsch nach Assimilation im Sinne einer monokulturell deutschen Identität erfordert aus Sicht der Interviewpartnerin die Aufgabe der türkischen Kultur. Andererseits kann ein homogenisierendes Kulturverständnis auch zu Separation führen, d.h. zu einer monokulturellen Identifikation mit der „türkischen Kultur“, die nur in Abgrenzung zum Fremden, also zu dem, was als 118 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 „deutsche Kultur“ verstanden wird, möglich ist. Während zwar sowohl die Strategie der Assimilation als auch die der Separation lebenspraktisch nicht umsetzbar sind, lassen sich die verschiedenen Akkulturationsstrategien der Jugendlichen auf einer emotionalen Ebene, also auf der Ebene subjektiver Bewertungen der beiden Kulturen, deutlich herausstellen. Abhängig davon, ob es sich um Separation oder Assimilation handelt, wird eine kulturelle Gemeinschaft als wichtiger Anhaltspunkt für die Entwicklung einer kulturellen Identität betrachtet, während die jeweils „andere Kultur“ lediglich im Sinne einer funktionalen Notwendigkeit geduldet wird. Des Weiteren zeigte sich, dass ein homogenisierendes Kulturverständnis die Jugendlichen in ihrer Identitätsentwicklung erheblich belasten kann. Insbesondere dann, wenn die empfundene kulturelle Zugehörigkeit im sozialen Umfeld der Befragten nicht anerkannt wird, erleben die Jugendlichen großen Stress und sind in der Entwicklung ihrer eigenen Identität stark verunsichert. Diese Problematik zeigte sich zum einen bei zwei Befragten, die sich eine türkische kulturelle Zugehörigkeit wünschen, allerdings innerhalb der türkischen Gemeinschaft nicht als berechtigte Mitglieder akzeptiert werden („Also ich bin auch eine Türkin. Aber manche sagen so, ok, sie hat einen deutschen Pass und ist auch eine Deutsche. Nein, ich bin halt eine Ausländerin“ I. 3). In diesen Fällen ließ sich die subjektive Wahrnehmung der eigenen kulturellen Ausgrenzung als Form von Marginalisierung interpretieren. Zum anderen stößt auch die Befragte, die sich eine deutsche kulturelle Zugehörigkeit zuschreibt, auf harsche Kritik aus der türkischen Minderheitengemeinschaft („Also die würden das auch so, na ich hör’s ja voll oft, dass ich halt nicht so reinpasse, so. Also in deren Vorstellungen, wie eine Türkin sein sollte, aber ich mach mein eigenes Ding“ I. 6). 4.2 Äußere Beeinflussung der subjektiv empfundenen kulturellen Zugehörigkeit Es zeigt sich somit, dass der Wunsch nach kultureller Zugehörigkeit nicht als alleiniger Bestimmungsfaktor kultureller Identität zu betrachten ist. Wie schon in der theoretischen Aufarbeitung betont wurde (siehe 3.1.3), müssen auch äußere Einflüsse, wie die Familie der Jugendlichen und die Mehrheitsgesellschaft 3 mit einbezogen werden, um die Komplexität der Lebenssituationen zu erfassen. Dabei legen die Erzählungen der Jugendlichen offen, dass sie in der Mehrheitsgesellschaft vor allem auf kulturelle Akzeptanz stoßen. Darüber hinaus scheinen die Haltungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft besonders für die Jugendlichen, die sich eine türkische kulturelle Identität zuschreiben, auf einer subjektiv-emotionalen Ebene ohnehin nur eine kleine Rolle zu spielen. Die Haltungen der Minderheitengemeinschaft und ihrer Familien werden hingegen in emotionaler Hinsicht als viel wichtiger empfunden. Einerseits können Eltern die kulturelle Identität der Jugendlichen unterstützen und befürworten. Andererseits erle- 3 Im Folgenden bezeichnet „Mehrheitsgesellschaft“ die Gruppe von Menschen, die die Jugendlichen als die „deutsche“ Gesellschaft wahrnehmen, und „Minderheitengemeinschaft“ die Gruppe, die die Jugendlichen als „türkisch-kulturelle Subgruppe“ innerhalb dieser Gesellschaft empfinden. „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 119 43 (2014) • Heft 2 ben einige Befragte einen erheblichen Druck aus der türkischen Gemeinschaft, sich klar zu jenen religiösen und sprachlichen Normen zu bekennen, die von ihr vertreten werden. („Bei meiner Familie ist es so, wir sollten eher beten, und ich tu das nicht so direkt. Das würden die auch bei mir ändern. Und eben meine Sprache“ I. 4). Separation als Ausprägung einer kulturellen Identität kann somit auch besonders durch familiäre Forderungen bestimmt werden. Aufgrund der Befürchtungen, dass die Jugendlichen die türkische Kultur zugunsten der deutschen Kultur aufgeben könnten, scheinen manche Eltern jegliche kulturelle Vermischung bei ihren Kindern als Gefahr für die eigene Herkunftskultur zu erleben. In diesen Fällen wird deutlich, dass offenbar auch die Eltern Homogenität als Kernmerkmal von Kultur betrachten. Diese elterlichen Forderungen nach einem klaren türkisch-monokulturellen Zugehörigkeitsbekenntnis ihrer Kinder platzieren die Jugendlichen in ein belastendes Spannungsfeld. Insbesondere der Wunsch nach einer erfolgreichen beruflichen Zukunft erfordert ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Teilhabe und steht in starkem Widerspruch zu der von den Eltern geforderten, bedingungslosen Einhaltung herkunftskultureller Verhaltensregeln. Dieser Widerspruch führt zu einem hohen subjektiven Stressempfinden bei den betroffenen Interviewpartnern: Jegliche kulturelle Öffnung, welche die eigene gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, wird von Eltern oder der türkischen Minderheit als Abkehr von der Herkunftskultur gedeutet, so dass die türkische kulturelle Zugehörigkeit der Jugendlichen in Frage gestellt wird. Während also ein homogenisierendes Kulturverständnis bei den Jugendlichen den Wunsch nach einer eindeutigen, türkischen kulturellen Zugehörigkeit hervorruft, ist es eben dieses starre Kulturverständnis der Eltern und der türkischen Minderheit, die den Jugendlichen ihre türkische kulturelle Identität abspricht. Aus diesen Fällen geht hervor, dass das Dilemma kultureller Marginalisierung im Falle der Befragten vor allem durch das vorherrschende Kulturverständnis in Familie und sozialem Umfeld forciert wird. 4.3 Sprache als Parameter kultureller Identität Des Weiteren legen die Untersuchungen offen, dass Sprache in der Tat als kulturelles Unterscheidungsmerkmal betrachtet wird. In allen Interviews stellte sich Sprachkompetenz als Anhaltspunkt kultureller Identität heraus. Für den Fall subjektiv empfundener Assimilation ist es besonders die hohe deutsche Sprachkompetenz, in der sich eine deutsche kulturelle Identität der Befragten manifestiert. Ebenso erachtet die Befragte ihre türkische Sprachkompetenz als Zeichen türkischer kultureller Zugehörigkeit, die im Widerspruch zu ihrem Wunsch nach einer monokulturellen deutschen Identität stehe („Also, in mir steckt glaub ich nicht mehr so viel Türkin. Also nur halt, eigentlich gar nichts mehr, nur die Sprache“ I. 6). Im Fall der subjektiv empfundenen Separation belegt die hohe türkische Sprachkompetenz aus Sicht des Befragten seine türkische kulturelle Identität. In ähnlicher Weise ist mangelnde Sprachkompetenz im Türkischen in den oben beschriebenen Fällen kultureller Marginalisierung der Anlass dafür, die Befragten trotz ihrer subjektiv empfundenen Zugehörigkeit außerhalb der Minderhei- 120 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 tenkultur zu positionieren („Na, mir war es auch eigentlich ganz peinlich, weil ich bin ja jetzt eine Türkin und ich behaupte, dass ich eine Türkin bin und kann nicht so gut Türkisch sprechen“ I. 3, „Eigentlich sollte ich ja meine Muttersprache sehr gut können“ I. 4). Daraus lässt sich schließen, dass Sprache in Verbindung mit einem homogenisierenden Kulturverständnis als entscheidender Faktor kultureller Zugehörigkeit oder kultureller Ausgrenzung zu begreifen ist. Sprache prägt somit in erheblichem Maße die kulturelle Identität der Befragten. In der theoretischen Diskussion konnte eine wechselseitige Beeinflussung von Sprache und Kultur abgeleitet werden. Auch die Forschungsergebnisse veranschaulichen diese große Bedeutung von Sprache im Prozess der Entwicklung einer kulturellen Identität. Ebenso machen sie deutlich, dass der Wunsch nach einer bestimmten kulturellen Zugehörigkeit erheblichen Einfluss auf die subjektiven Haltungen zu den jeweiligen Sprachen nimmt. Demnach bestätigen die Forschungsergebnisse die theoretische Annahme einer interdependenten Beziehung von Sprache und Kultur. 4.4 Akkulturative Chancen eines diskursiv-reflexiven Kulturbegriffs Wie sich oben zeigt, führt der starke Wunsch der Jugendlichen nach einer eindeutigen, also monokulturellen, Identität zu einer hohen emotionalen Wertschätzung einer Kultur und einer Sprache, während Nicht-Zugehörigkeit durch Abgrenzung von der anderen Kultur und durch eine rein pragmatisch-funktionale Bedeutung der anderen Sprache manifestiert wird. Dies begründet sich in einem homogenisierenden Kulturverständnis der Jugendlichen, das keine hybriden Identifikationsformen zulässt. Die zwei Jugendlichen, die ein diskursiv-reflexives Kulturverständnis verinnerlicht haben, äußern hingegen nicht das Bedürfnis, sich einer der beiden Kulturen zugehörig zu fühlen. Sie erleben kulturelle Vermischung und die eigene Hybridität als Selbstverständlichkeit ihrer Lebenssituation. Ferner erfahren die Befragten Befürwortung ihrer bikulturellen Identität durch ihre Familie und ihr soziales Umfeld („Also für die [Eltern] ist das ganz normal…weil wir leben ja in Deutschland und die wollen auch, dass wir hier weiterleben“ I. 1). Für die Eltern scheint die sprachliche und kulturelle doppelte Zugehörigkeit ein ebenso positives wie selbstverständliches Produkt der Migrationserfahrung zu sein. Somit scheinen auch die Eltern der Befragten Kultur als diskursiv-reflexiv zu begreifen. Es ist diesen beiden Jugendlichen daher möglich, beide Kulturen als Anhaltspunkte ihrer bikulturellen Identität zu nutzen und die Zugehörigkeit zu beiden Kulturen als persönliche Bereicherung zu empfinden („Für mich ist beides wirklich gleich wichtig. Also die deutsche Kultur, und die türkische Kultur, ist auch für mich sehr wichtig. Beide“ I. 2). Diese harmonische Vereinbarung beider Kulturen in der eigenen Identität legt die Akkulturationsstrategie Integration offen. Die theoretische Annahme, nur ein diskursiv-reflexives Kulturverständnis ermögliche Integration, wird durch diese Ergebnisse bestätigt. Darüber hinaus ist hier der große Einfluss der Eltern auf das Kulturverständnis der Jugendlichen und auf ihre harmonische Bikulturalität hervorzuheben. Die Akkulturationsstrategie Integration wird auch durch die persönlichen Haltungen der „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 121 43 (2014) • Heft 2 Befragten zu den beiden Sprachen veranschaulicht („Weil, ich habe von beides etwas…sprachlich gesehen“ I. 1). Beide Befragte empfinden Bilingualität als selbstverständliche Erscheinung einer bikulturellen Lebenssituation und als positiv für die eigene Zukunft. Darüber hinaus verfügen sie laut ihrer subjektiven Einschätzung über eine höhere Sprachkompetenz im Deutschen, was in keinerlei Widerspruch zur eigenen bikulturellen Identität wahrgenommen wird. Des Weiteren berichtet einer der beiden, dass die eigene Bilingualität auch durch die Mehrheitsgesellschaft bewertet wird. Schwächen in der deutschen Sprache werden, so empfindet der Befragte, von der Mehrheitsgesellschaft als minderwertig betrachtet. Dieses Empfinden verunsichert den Befragten in seinem Wunsch nach Integration, denn diese negative Bewertung seiner Sprachkompetenz stellt seine Zugehörigkeit in Frage. Darin zeigt sich, dass neben den subjektiven Kulturbegriffen der Befragten und ihrer Familien auch die der Mehrheitsgesellschaft ausschlaggebend für eine erfolgreiche und harmonische Integration sind. Formen hybrider Identitäten, nicht nur auf kultureller, sondern eben auch auf sprachlicher Ebene, müssen gesellschaftlich akzeptiert und befürwortet werden, um Integration zu ermöglichen. Somit lassen sich kulturelle Offenheit und Toleranz seitens der Jugendlichen, der Eltern und des sozialen Umfelds und nicht zuletzt der Mehrheitsgesellschaft als Prämissen für die selbstbestimmte Aushandlung der eigenen kulturellen Identität festhalten. 4.5 Haltungen zum schulischen Fremdspracherwerb Die Jugendlichen äußerten sich auch zu ihrer Haltung zum Fremdsprachenerwerb, insbesondere zur englischen Sprache. Dabei wurde deutlich, dass alle eine gute englische Sprachkompetenz als persönlichen und beruflichen Vorteil erachten, was auch von den Eltern geteilt wird („Ich zähle halt auf, Englisch, Türkisch, Deutsch, und dann bewundern mich alle“ I. 3). Allerdings zeigte sich auch, dass Jugendliche, die sich mit ihrer eigenen Bilingualität überfordert sehen, dieses Überforderungsgefühl auch auf die Fremdsprache übertragen. Sie empfinden die drei Sprachen als schwer vereinbar und ihre subjektiv als schwach bewerteten Kompetenzen im Deutschen und Türkischen werden als Ursache für das Scheitern im Fach Englisch wahrgenommen („Und dann kommt noch Englisch dazu und dann irgendwie die anderen Sprachen, das ist dann voll schwer, das irgendwie einzuordnen“ I. 6). 5. Schlussbemerkung Im Rahmen theoretischer Vorüberlegungen wurden das homogenisierende sowie das diskursiv-reflexive Kulturverständnis als mögliche subjektive Perspektiven auf Kultur dargelegt. Bei der Analyse der subjektiven Theorien der Jugendlichen ließen sich die verschiedenen Kulturbegriffe deutlich zuordnen. Ferner konnten, auf der Ebene subjektiver Wahrnehmungen der eigenen kulturellen Zugehörigkeit, auch die Akkulturationsstrategien nach B ERRY in den Erzählungen der Jugendlichen offengelegt werden. 122 Rebecca Holewa 43 (2014) • Heft 2 Dabei legen die Ergebnisse die Vermutung nahe, dass ein subjektives homogenisierendes Kulturverständnis lediglich Assimilation und Separation zulässt. Darüber hinaus belegen die Ergebnisse den starken Einfluss sozialer Faktoren auf das individuelle Kulturverständnis, wobei insbesondere durch Forderungen nach kultureller Homogenität (sowohl in der Minderheitengemeinschaft als auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft) ein erheblicher kultureller Druck auf die Jugendlichen ausgeübt wird . Eine selbstbestimmte kulturelle Identität wird dadurch verhindert; stattdessen werden den Jugendlichen kulturelle Zugehörigkeiten von außen auferlegt. In diesen Fällen erwiesen sich Sprache und Sprachkompetenz als bedeutende Anhaltspunkte, wobei Bilingualität und mangelnde Sprachkompetenz in der emotional höher bewerteten Sprache als Zeichen kultureller Illoyalität verstanden werden, was subjektive Unsicherheiten erheblich steigert. Die Ergebnisse haben ferner veranschaulicht, dass eine subjektive innere Verflechtung türkischer und deutscher kultureller und sprachlicher Prägungen innerhalb einer individuellen Identitätskonstruktion tatsächlich nur dann möglich ist, wenn die Jugendlichen hybride Identitätsformen als normal und selbstverständlich begreifen. Es hat sich daher ebenso bestätigt, dass ein diskursiv-reflexives Kulturkonzept die beste Voraussetzung für harmonische Integration und additive Bilingualität bietet. Wenn die Institution Schule das oft formulierte Desiderat der Chancengleichheit tatsächlich umsetzen möchte, so ist es aus bildungspolitischer und entwicklungspsychologischer Sicht eine absolute Notwendigkeit, Sprache nicht nur als kommunikatives Medium zu begreifen, sondern, wie die obige Studie verdeutlicht, auch als bedeutenden Kultur- und Identitätsträger. Viele Sprachförderprogramme erhoffen sich durch eine Stärkung der deutschen Sprachkompetenz der Schüler/ innen eine größere gesellschaftliche Teilhabe und einen höheren Bildungserfolg. Diese Bestrebungen sind sicherlich wichtig, denn Sprachkompetenz im Deutschen - im Sinne einer Bildungssprache - ist eine Grundvoraussetzung für den schulischen und beruflichen Erfolg und sollte daher ein Hauptziel von Schule sein. Die obigen Ergebnisse zeigen jedoch, dass eine einseitige Sprachförderung im Deutschen die Entwicklung einer kulturellen Identität behindern kann und als Bedrohung der türkischen kulturellen Zugehörigkeit wahrgenommen wird, wenn die deutsche Sprache als Konkurrenz zur türkischen Sprache empfunden wird. Insbesondere die von allen Befragten empfundene mangelnde Sprachkompetenz in der türkischen Sprache ist als besorgniserregender Störfaktor im Hinblick auf die Entwicklung von Integration und Bilingualität zu betrachten. Somit sollte Sprachförderung mit dem Ziel bildungssprachlicher Kompetenz im Deutschen die Herkunftssprachen der Jugendlichen so mit einbeziehen, dass ihre Bikulturalität und (additive) Bilingualität bestärkt werden. Während ein derartiges Bewusstsein in allen Bereichen schulischen Wirkens notwendig ist, sollte besonders der Fremdsprachenunterricht sprachliche Vielfalt zulassen und wertschätzen. Eine ganzheitliche Förderung aller Sprachen seitens der Bildungsinstitutionen würde nicht nur eine tatsächliche Wertschätzung kultureller Vielfalt zum Ausdruck bringen, sondern den Jugendlichen hybride kulturelle Identitätsformen und additive Bilingualität, also Integration, ermöglichen. „In bin so in der Mitte“ - Bilingualität und Akkulturation aus Sicht Jugendlicher 123 43 (2014) • Heft 2 Literatur A RIES , Wolf D. Ahmed (2003): „Dialog und interkulturelle Kompetenz - ‚Begegnung‘ versus ‚Sozialtechnik‘? “ In: Erwägen, Wissen, Ethik - Streitforum für Erwägungskultur 14.1, 153-154. A UERNHEIMER , Georg (2003): „Sensibilität für Kulturdifferenz genügt nicht! “ In: Erwägen, Wissen, Ethik - Streitforum für Erwägungskultur 14.1, 154-156. B ACKUS , Ad (2004): „Turkish as an Immigrant Language in Europe“. In: B HATIA , Tej K. / R ITCHIE , William C. (Hrsg.): The Handbook of Bilingualism. Oxford: Blackwell Publishing, 689-719. B ANARD , Frederick M. 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